Jazzstadt 2020 Ausfälle, Umbrüche, Perspektiven - Die Auswirkungen von Corona auf den Konzertbetrieb in der Kölner Jazzszene
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Kölner Jazzkonferenz e.V. Vorstand: Janning Trumann, Theresia Philipp, Dr. Urs Benedikt Müller Venloer Straße 40, 50672 Köln www.jazzstadt.de Jazzstadt 2020 Ausfälle, Umbrüche, Perspektiven Die Auswirkungen von Corona auf den Konzertbetrieb in der Kölner Jazzszene „Die Frage nach der Perspektive stellt sich jetzt alle kulturinteressierten Menschen. Vor allem aber noch weit intensiver als in der ersten Lockdown- trifft es die vielen Künstler*innen, darunter auch die Phase: Wie lange wird unser faktisches Arbeits- in hoher Zahl in der „Jazzstadt“ Köln lebenden und verbot diesmal dauern? Wie werden die Men- auf künstlerisch höchstem Niveau arbeitenden Jazz- schen aufgefangen, und wie schafft man Pers- musiker*innen. pektiven, damit wir durchhalten?“ (Prof. Anette von Eichel) Sowohl auf Bundes-, und Länderebene als auch auf kommunaler Ebene wurden zahlreiche Maß- Seit März 2020 befinden sich alle wichtigen Teile nahmen zur Unterstützung des Kulturbereichs in des Kulturbereichs als Folge der Corona-Pandemie der Corona-Krise initiiert. Über ihre Effizienz wur- im permanenten, existenzbedrohenden Ausnahme- de viel diskutiert, wobei generell deutlich wurde: zustand. Nachdem bereits im letztjährigen Früh- Auf den teils bislang nur versprochenen, teils den jahr der öffentliche Konzertbetrieb vor Publikum praktisch greifenden wirtschaftlichen Hilfsmaß- eingestellt wurde, führt der neuerliche Lockdown nahmen konnten und wollten sich viele Menschen seit November 2020 erneut zum kompletten Aus- in den Kulturbetrieben nicht ausruhen. Viele Kul- fall von Konzerten vor Publikum. Lediglich während turschaffende haben Initiative gezeigt und Ver- der Sommermonate 2020 konnten zwischenzeitlich antwortung übernommen. Auch im Kölner Jazz einige Einrichtungen unter strengen Auflagen und kam es zu etlichen kreativen Eigeninitiativen. Ver- mit deutlich reduzierten Publikumszahlen zum Ver- anstalter*innen und Musiker*innen bewiesen in anstaltungsbetrieb zurückkehren. der Krise ihre Handlungsfähigkeit und entwickelten Die Folgen von Corona sind für den gesamten im Rahmen des machbaren Konzertbetriebs neue Kulturbereich dramatisch und existenziell. Betroffen Handlungsmodelle, denen die Substanz auch für sind alle Spielstätten und Akteure des Jazz, ebenso grundlegende, zukünftige Perspektiven innewohnt.
Jazzkonzerte in Köln 2019 / 2020 JAN FEB MÄ R APR MA I JU N JU L AUG SEP OKT NOV DE Z Konzerte mit Stream verschoben Publikumsbeschränkung Im Jahr 2020 sank die Zahl der Jazz-Konzerte in Mit Beginn des Lockdowns begann das alterna- Köln gegenüber dem Vorjahr deutlich. Allerdings tive Angebot der Streaming-Konzerte. Das LOFT mussten dank Streaming Angeboten und Konzerte streamte am 19.3.2020 das erste Mal aus einem mit Publikumsbeschränkung nur 35 Prozent der Kölner Jazz-Club, der Stadtgarten startete am Veranstaltungen gänzlich ausfallen (Konzerte 2019: 21.3.2020. Mit der ab April 2020 stets wachsen- 400, Konzerte 2020: 260). den Zahl an Live-Streams konnte der Spielbetrieb unter neuen Vorzeichen einen Teil der regulären Gleich zweimal musste im Jahr 2020 der Konzert- Konzerte aufrechterhalten. Teilweise führten betrieb in den Veranstaltungsorten pandemiebedingt Sachzwänge bei einzelnen Jazz-Veranstalter*in- eingestellt werden. Zur ersten Zäsur kam es Mitte März nen aber auch zu völligem Stillstand. 2020, die zweite wurde Anfang November 2020 ge- setzt. Diese zweite Konzertpause voraussichtlich bis weit in die erste Jahreshälfte 2021 anhalten. Reaktionen und Maßnahmen Auch unter Corona-Bedingungen blieb die hohe die Krise geschlagen hat. Nicht zuletzt haben dazu Qualität des Jazz in Köln aufrechterhalten. Im Rah- auch Radiobeiträge und Produktionen im Deutsch- men der von der Pandemie diktierten Möglichkeiten landfunk sowie neue Aktivitäten des WDR dazu blieb der Jazz in der Stadt damit überaus präsent. beigetragen. Auch diverse Fachartikel, Konzert(vor) Insgesamt lässt sich feststellen, dass sich der Jazz berichte, Interviews und CD-Besprechungen im in Köln dank diverser Initiativen (Streaming-Kon- Kölner Stadt-Anzeiger hatten ihren Anteil an einer zerte, neue Open-Air-Räume etc.) beachtlich durch kontinuierlichen öffentlichen Wahrnehmung.
Streaming-Konzerte Alte und neue Spielorte Im Lauf des Jahres 2020 erreichte das Jazz-Strea- Quasi über Nacht kehrte der Jazz in Köln mit behut- ming eine neue, eigenständige Qualität. Ähnlich samen, aber selbstbewussten Schritten im Sommer wie im Stadtgarten („Nica Streams“) haben sich vor auf die Konzertbühnen zurück und erschloss da- allem die Internet-Konzerte im LOFT sowie im King bei sogar neues Terrain. Die Möglichkeit zu Live- Georg zu einer spezifischen, optisch wie klanglich Konzerten vor reduziertem Publikum nutzten in den jeweils unverwechselbaren Identität entwickelt. So Monaten Juli bis Oktober diverse Veranstalter, wobei sehr man zunächst mit dem leeren Konzertraum die Hygiene-Beschränkungen teilweise konzep- haderte, so schnell gewannen die digitalen Konzer- tionelle und personelle Auswirkungen auch auf die te ohne Publikum an kultureller Bedeutung, aber Konzerte selbst hatten: In der Regel kamen eher auch an künstlerischer Intensität. Entsprechend Konzerte mit kleineren Ensembles, etwa in Duo- avancierte die anfängliche Corona-Notlösung zu oder Trio-Besetzung, zu Aufführung, auch Soloauf- einem neuen, vielfältigen Musikformat. Durch das tritte nahmen zu. Wenn es die Räumlichkeiten zu- Streaming wurde der Konzertbesuch unabhängig ließen (Open-Bühne in der Kantine), kamen mitunter von räumlicher Distanz, was sowohl für einen Zulauf größere Ensembles zusammen, selbst einige Big von neuem und internationalen Publikum geführt als Bands waren zu hören: das Subway Jazz Orchest- auch den Zugang zum Konzertgeschehen für ältere ra im Alten Wartesaal, KLAENG & WDR Big Band im und beeinträchtigte Menschen erleichtert hat. Sendesaal des WDR, Pascal Klewer Big Band in der KHG Köln. So gehörte auch der Alte Wartesaal zu Dr. Urs Benedikt Müller (LOFT) zu den Konzert- den neuen Spielorten, an denen unter Corona-Be- Livestreams: „Es hat etwas gedauert, aber dann dingungen Jazz-Konzerte stattfanden. haben die Menschen (Musiker*innen wie Publi- kum) doch gemerkt, dass man quasi von überall Ab Mai 2020 öffnete der Stadtgarten im hinteren auf der Welt live dabei sein kann. Teilweise schau- Teil seiner Außengastronomie (dem ehemaligen „Al ten Leute von L.A. über Chicago, NY, London bis Bosco“) den Open-Air Konzertraum GREEN ROOM, Marokko und Tokio aus zu. Wahrscheinlich haben wo den Sommer über vierzig Konzertveranstaltun- jeweils mehr Menschen die Streams geschaut, als gen stattfanden. Zugleich waren die Konzerte über dass sie live vor Ort gewesen wären.“ den Cologne Culture Stream zu verfolgen. Christine Eitel (Stadtgarten): „Streaming-Kon- Ab Pfingsten 2020 gab es Subway-Freiluft-Konzer- zerte bieten die Möglichkeit, einem breiteren te: Ein unter der Woche als Parkplatz genutzter, an Publikum bekannt zu werden. Bei Winterjazz zum das Subway ein angrenzender Hinterhof wurde an Beispiel schauten auch Menschen aus anderen Wochenenden mit 60 Stühlen in 1,5 Meter Sicher- Ländern wie den USA, Frankreich und Italien live heitsabstand bestuhlt. So eröffneten am 31.5. der zu. Natürlich kann aber eine Übertragung niemals Club Subway und das Subway Jazz Orchestra die das Live-Erlebnis vor Ort ersetzen.“ Reihe „Jazz hinterm Haus“. Besondere Aufmerksamkeit fanden Live-Strea- Ab dem 24.5. organisierte Patrik Becker Schreber- mings mit Event-Charakter, z.B. Veranstaltungen im garten-Konzerte als private Veranstaltungen. Gele- Festival-Modus. Beispiele dafür sind: „Small Series“ gentlich wich die Reihe in andere Open-Air-Settings im Subway, „Monday Meetings“ im LOFT“, „BTHVN aus, auch gab es ein Hinterhofkonzert in einem 2020“, „KLAENG 2020 – The Solo Edition“, „Winter- Wohnhauskomplex in Sülz für 30 Gäste. jazz“, alle im Stadtgarten. Im Kölner Norden öffnete ab Juni 2020 Den Erfolg der ambitioniert kuratierten Strea- die Kantine, bislang traditionsreiche Größe der ming-Konzerte würdigte auch die Vergabe der Kölner Club- und Partyszene, im Außenbereich die Spielstättenprogrammprämie des Landes Nord- zehnteilige Reihe „Jazz in der Kantine“ für maximal rhein-Westfalen am 14.1.2021, bei welcher der 100 Gäste. Unter Federführung von Patrik Becker Verein 2ndFLOOR e.V. des Kölner LOFTs mit dem kuratierten ABS Real Live Jazz, Heimathirsch, Artt- Hauptpreis und der Höchstsumme von 25.000 Euro heater, Salon de Jazz und Greesberger jeweils zwei ausgezeichnet wurde. Konzerte.
Patrik Becker über die Konzerte in der Kantine: — Westdeutscher Rundfunk: Beteiligungen am Fes- „Das Wetter war fast zu jedem Konzert katastro- tival Winterjazz 2021 (8./9.1.21, der zweite Tag des phal. Dazu hatten wir gerade mal zwei Wochen Festivals wurde bei West 3 live ausgestrahlt) so- Zeit, das Ding auf die Beine zu stellen. Nichtde- wie am Festival KLAENG 2020 – The Solo Edition. stotrotz war es die Sache wert, die Fahne hoch- halten und Zuversicht ausstrahlen, auch wenn im — philharmonie.tv: Janning-Trumann-Oktett mit dem Durchschnitt zu wenige Besucher kamen. Umso Konzert „Wem Zeit wie Ewigkeit“ in der Philhar- erstaunlicher die Tatsache, dass insgesamt um die monie Köln. Es wurde in der leeren Kölner Philhar- 3000 Menschen die Live-Streamings verfolgten.“ monie aufgezeichnet und war ab dem 25.12. im Stream auf philharmonie.tv zu verfolgen. Partnerschaften Regelmäßig unterstützt werden: der Stadtgarten – Zu ereignisbezogenen Partnerschaften kam es Europäisches Zentrum für Jazz und Aktuelle Musik u.a. auch mit dem WDR, der Philharmonie und dem (Ministerium für Kultur und Wissenschaft NRW & Schauspielhaus Köln: Kulturamt der Stadt Köln) und das LOFT (Kulturamt — „Früchte des Zorns“ am Schauspiel Köln mit der Stadt Köln). Musik von Pablo Giw. Digitale Online-Premiere am 20.12.2020. Resümee und Ausblick: Maßnahmen für die Jazzstadt 2025 „Der Verlust an kulturellem Leben ist nur schwer Ein Beispiel ist in diesem Zusammenhang das aufzufangen, insbesondere für freie Musikerin- richtungsweisende Konzept des zehnten Winter- nen und Musiker in Jazz, Pop, Elektronik und ver- jazz-Festivals im Stadtgarten (8. und 9.1.21): Via wandten Bereichen, die nicht vor einem Massen- Live-Stream trafen in zehn Konzerten zahlreiche publikum spielen. Die Entwicklungen, deren Ende Kölner Jazz-Musiker*innen auf zehn überregionale noch nicht abzusehen sind, werden auf Dauer Gäste, womit sich das Festival internationaler denn Kompetenz, Spielfreude und kulturelles Wissen je aufstellte. Der zweite Festivalabend wurde darü- gefährden, wenn wir nicht gegenhalten und der ber hinaus von WDR 3 Radio live übertragen. Musik immer wieder Platz, Raum und Gehör ver- schaffen.“ Klaus Kaiser, Parlamentarischer Staats- Maßnahmen sekretär für Wissenschaft und Kultur Nach wie vor ist die existenzielle Bedrängnis für alle Wie kein zweiter Kulturbereich hat sich die Jazzsze- Veranstalter*innen und Musiker*innen trotz aller ne in Köln mit Mut, Einfallsreichtum und Kompetenz Unterstützungsmaßnahmen ungebrochen groß, der Nischen angesichts des eingeschränkten bzw. aus- künstlerische und ökonomische Schaden insgesamt gefallenen Veranstaltungsbetriebs erarbeitet. Ge- kaum fassbar. rade im Zusammenwirken von Live-Streaming und Gerade aber die Kultur hat in der Pandemie Verant- innovativer Konzertkultur entwickelte sich dabei in wortung übernommen, so in bedeutsamer Vielfältig- der Summe aller Initiativen eine kreative Antwort auf keit auch die Jazzszene in Köln. Klar ist allerdings die Pandemie-Krise auch, dass ohne entsprechende politische Weichen- . stellungen, einschließlich einer effizienten finanziellen Förderung für den (Wieder)Aufbau eine nachhaltige Zukunft nach Corona nicht möglich sein wird.
Deswegen gilt es nun die positiven Entwicklungen Ausblick aus dem vergangenen Jahr zukunftsfähig zu ma- chen und Maßnahmen zur Stärkung des Kölner Jazz Trotz aller Einschränkungen, Behinderungen und zu ergreifen: Ausfälle hat sich die Jazzszene in Köln mit selbst- bewussten und kraftvollen Schritten und Initiativen (1) Die Planungssicherheit der Projekte und Ins- im „Corona-Jahr“ 2020 behauptet und sich dabei titutionen müssen auch weiterhin gewährleis- sogar neues Terrain erschlossen. Wann der (regu- tet werden. Ein wichtiger Schritt hierfür ist die läre) Konzertbetrieb wieder starten kann ist noch Verstetigung der neu hinzugekommenen Arbeits- offen – vor April plant allerdings niemand mit Veran- und Recherchestipendien „Musik“ über die Krise staltungen. Auch wenn der lange Tunnel der Ent- hinaus. behrungen noch nicht durchschritten ist, erwartet Wie vom Land NRW bereits angestoßen, wer- uns ein besonderer Lichtblick: Mit der „Cologne den zusätzlich langfristige Projektförderungen Jazzweek“ (28.8. bis 4.9.2021) bekommt Köln sein benötigt, um mit Ensembles oder an definierten eigenes internationales Jazzfestival. Die Planungen Projekten gezielt und nachhaltig arbeiten zu dazu laufen auf Hochtouren, und weitere Informatio- können, und somit Perspektiven und Sicherheit nen – wie das line up – folgen im Frühjahr. zu entwickeln. (2) Die Verstetigung der Mittel aus der Kultur- förderabgabe des Stadthaushalts 2020/21 für den Jazz (Cologne Jazzweek / Projektmittel für den Stadtgarten) sowie die weitere Anhebung des Betriebskostenzuschuss für das LOFT sind notwendig, um nach der Pandemie einen star- ken Impuls zu geben, der eine hohe Anzahl von Veranstaltungen ermöglicht und so direkt die Wirtschaftlichkeit der Künstler*innen fördert. (3) Digitalisierung: Durch die Pandemie ist ein vorzeigbares Digitalangebot nicht mehr nur ein nice-to-have, sondern eine zusätzliche Dimen- sion des kulturellen Wettbewerbs. Es braucht neue Förderprojekte, die die Digitalisierung des Konzertbetriebes zügig vorantreiben, neue For- mate ermöglichen und die kurz- und langfristig die internationale Sichtbarkeit der Kölner Jazz- szene vergrößern. (4) Um die herausragende internationale Position der Jazzstadt Köln zu stärken, braucht es eine deutliche Verstärkung der Marketing-Maßnah- men. Eine Strategie dazu muss offline und in verstärktem Maße auch online Kanäle umfassen. Dieser Punkt geht mit der Förderung der Digitali- sierung einher, denn ein digitales Angebot muss auch gezielt digital beworben werden.
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