Journal of Health Monitoring - Sexuelle Gesundheit AUSGABE 2
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JUNI 2022 GESUNDHEITSBERICHTERSTATTUNG DES BUNDES AUSGABE 2 GEMEINSAM GETRAGEN VON RKI UND DESTATIS Journal of Health Monitoring Sexuelle Gesundheit 1
Journal of Health Monitoring Inhaltsverzeichnis Sexuelle Gesundheit Editorial Sexuelle Gesundheit braucht Daten – und 3 Ideen zur Gestaltung einer positiven Sexualkultur! Focus Sexual- und Verhütungsverhalten von jungen 7 Erwachsenen in Deutschland – Ergebnisse aus KiGGS Welle 2 Focus Sexualaufklärung junger Menschen in 23 Deutschland. Ergebnisse der repräsentativen Wiederholungsbefragung „Jugendsexualität“ Fact sheet Schwangerschaftsabbrüche 42 in Deutschland – Aktuelle Daten aus der Schwangerschaftsabbruchstatistik 52 Concepts & Methods Erhebung geschlechtlicher Diversität in der Studie GEDA 2019/2020-EHIS – Ziele, Vorgehen und Erfahrungen Journal of Health Monitoring 2022 7(2) 2
Journal of Health Monitoring Sexuelle Gesundheit braucht Daten – und Ideen zur Gestaltung einer positiven Sexualkultur! EDITORIAL Journal of Health Monitoring · 2022 7(2) DOI 10.25646/9953 Sexuelle Gesundheit braucht Daten – und Ideen zur Gestaltung Robert Koch-Institut, Berlin einer positiven Sexualkultur! Petra Kolip Sexuelle Gesundheit und sexuelles Wohlbefinden sind nur unterschiedlicher Informationsquellen zur Sexualaufklä- selten ein Thema für Public Health. Umso wichtiger ist es, rung sowie Schwangerschaftsabbrüche. Universität Bielefeld, Fakultät für Gesundheitswissenschaften hartnäckig das Augenmerk hierauf zu lenken. Das Thema Der Beitrag von Hintzpeter et al. zeigt auf der Basis der ist dabei sehr facettenreich und lässt sich nicht auf sexuell Daten der KiGGS Welle 2, dass Jugendliche immer später Eingereicht: 12.06.2022 übertragbare Krankheiten reduzieren. Die WHO-Definition sexuell aktiv werden, dass im jungen Erwachsenenalter Akzeptiert: 20.06.2022 sexueller Gesundheit aus dem Jahr 2015 stellt einen engen Sexualität überwiegend in festen Paarbeziehungen gelebt Veröffentlicht: 29.06.2022 Bezug zum allgemeinen Wohlbefinden her: „Sexuelle wird und dass Pille und Kondom nach wie vor die wichtigs- Gesundheit ist untrennbar mit Gesundheit insgesamt, mit ten Verhütungsmittel sind. Spannend wird es sein zu beob- Wohlbefinden und Lebensqualität verbunden. Sie ist ein achten, wie sich hier das Sexual- und Verhütungsverhalten Zustand des körperlichen, emotionalen, mentalen und sozi- durch die Corona-Pandemie verändert hat. Die neunte alen Wohlbefindens in Bezug auf die Sexualität und nicht Befragung der BZgA zur Sexualität in der Altersgruppe 14 nur das Fehlen von Krankheit, Funktionsstörungen oder bis 25 Jahre gibt zudem Hinweise darauf, welche Informa- Gebrechen“ (zitiert nach [1], S. 265). Sexuelle Gesundheit tionsquellen Jugendliche und junge Heranwachsende nut- ist eng mit Menschenrechten assoziiert und impliziert die zen. Auch wenn das Verhütungsverhalten positiv bewertet Möglichkeit, „angenehme und sichere sexuelle Erfahrun- werden muss, kann es gleichwohl zu ungewollten Schwan- gen zu machen, und zwar frei von Zwang, Diskriminierung gerschaften kommen. Das Fact sheet von Prütz et al. zeigt und Gewalt“ [1]. Studien zur sogenannten integrierten bio- auf der Basis der Daten des Statistischen Bundesamtes, logischen und Verhaltenssurveillance, die eine wichtige dass die Schwangerschaftsabbrüche zwar weiterhin rück- Grundlage für Interventionen sind, werden seit vielen Jah- läufig sind, dass aber die Versorgungsstruktur, regional ren im Robert Koch-Institut durchgeführt. Diese Studien unterschiedlich, suboptimal ist. So ist der Anteil der medi- verbinden Angaben zur Häufigkeit bestimmter Infektionser- kamentösen Abbrüche vergleichsweise niedrig, und die krankungen mit Daten zum sexuellen Verhalten. Dabei wer- Zahl der Einrichtungen, die Abbrüche vornehmen, geht den auch vulnerable Gruppen adressiert: Männer, die Sex noch immer zurück, sodass Frauen teilweise weite Wege mit Männern haben, Drogengebraucher*innen (intrave- auf sich nehmen müssen – auch dies ein Thema, das aus nös), Sexarbeiter*innen und Migrant*innen. Einige Beiträ- Public-Health-Perspektive Aufmerksamkeit verlangt. ge dieser Ausgabe des Journal of Health Monitoring grei- Die Studien des RKI und der BZgA geben wichtige Hin- fen weitere wichtige Themen auf, so das Sexual- und weise auf zielgruppengerechte Prävention und Gesundheits- Verhütungsverhalten Heranwachsender, die Nutzung kommunikation. Auch wenn dieser individuenbezogene Journal of Health Monitoring 2022 7(2) 3
Journal of Health Monitoring Sexuelle Gesundheit braucht Daten – und Ideen zur Gestaltung einer positiven Sexualkultur! EDITORIAL Ansatz zur Erhöhung des Wissens wichtig sein mag, so individuellen Zuordnung nicht übereinstimmen müssen. sehr verwundert es aus Public-Health-Perspektive, dass in Aber die Frage blieb bislang offen, wie das soziale Geschlecht der Diskussion um die Förderung der sexuellen Gesund- denn erfasst werden kann, zumal dann, wenn in repräsen- heit und des sexuellen Wohlbefindens strukturelle Rahmen- tativen Studien mit standardisierten Erhebungsinstrumen- bedingungen weitgehend ausgeblendet werden. Vulnerable ten nur einige wenige Fragen gestellt werden können. Das Gruppen im Jugend- und jungen Erwachsenenalter und RKI-Team legt nun einen pragmatischen Vorschlag vor, der ihre Lebenswelten stehen deshalb im Zentrum eines wich- in der Studie GEDA 2019/2020-EHIS bereits erprobt wurde tigen Modellvorhabens des interdisziplinären Zentrums und internationale Erfahrungen aufgreift: Das Geschlecht für Sexuelle Gesundheit und Medizin „WIR“ (Walk in Ruhr), wird in einem zweistufigen Verfahren abgefragt. Auf die das vom PKV-Verband unterstützt wird. Das Vorhaben zielt Frage, welches Geschlecht in der Geburtsurkunde eingetra- auf die Förderung der sexuellen Gesundheit junger Men- gen ist (für die derzeitig in die Befragungen eingeschlosse- schen in herausfordernden Lebenssituationen – etwa von nen Personen in einem binären Format) folgt die Frage, Jugendlichen und jungen Erwachsenen ohne Wohnung welchem Geschlecht sich die befragte Person zugehörig oder mit Suchtproblemen, Haft- oder Pay-Sex-Erfahrungen. fühlt (männlich/weiblich/einem anderen, und zwar). Dies Ziel des Programms „Junge Welten Leben (JuWeL)“ ist es, gibt die Möglichkeit, Personen jenseits der biologischen eine positive gesundheitsfördernde Sexualkultur in den binären Zuordnung zu erfassen. Zugleich bleibt eine Kon- Lebenswelten der Zielgruppen zu etablieren, zum Beispiel tinuität zu bisherigen Erhebungen gewahrt, weil eine binäre im offenen Strafvollzug, in Wohngruppen oder Beratungs- Auswertungsoption bestehen bleibt. Die in dem Beitrag stellen. Auch im Themenfeld sexuelle Gesundheit gilt, dass berichteten Erfahrungen der Interviewer*innen zeigen, dass verhaltens- und verhältnisbezogene Ansätze Hand in Hand die Befragten zwar punktuell irritiert sind, diese zweistufige gehen müssen – hier liegt ein spannendes Lernfeld vor uns. Abfrage aber grundsätzlich funktioniert. Für fundierte Ana- Der Themenschwerpunkt in dieser Ausgabe des Journal lysen unter Berücksichtigung geschlechtlicher Diversität of Health Monitoring wird zudem genutzt, um einen Vor- mag diese Erhebungsvariante zwar vielleicht zu grob sein, schlag zur Erfassung des Geschlechts in standardisierten für eine Nutzung im Rahmen von repräsentativen Surveys Befragungen zu machen. Bereits vor Änderung des Perso- ist sie aber sicherlich ein erster richtungsweisender Schritt. nenstandsgesetzes im Jahr 2018, das nunmehr auch einen Korrespondenzadresse Eintrag jenseits der binären Zuordnung in männlich/weib- Prof. Dr. Petra Kolip lich erlaubt, war die Erfassung des Geschlechts eine Her- Universität Bielefeld ausforderung. Die theoretischen Arbeiten der Frauen Fakultät für Gesundheitswissenschaften AG 4 Prävention und Gesundheitsförderung (gesundheits)forschung zur Differenzierung des biologi- Postfach 10 01 31 schen (sex) und sozialen (gender) Geschlechts haben seit 33501 Bielefeld den 1980er Jahren gezeigt, dass beide Kategorien in der E-Mail: petra.kolip@uni-bielefeld.de Journal of Health Monitoring 2022 7(2) 4
Journal of Health Monitoring Sexuelle Gesundheit braucht Daten – und Ideen zur Gestaltung einer positiven Sexualkultur! EDITORIAL Zitierweise Kolip P (2022) Sexuelle Gesundheit braucht Daten – und Ideen zur Gestaltung einer positiven Sexualkultur! J Health Monit 7(2): 3–6. DOI 10.25646/9953 Die englische Version des Artikels ist verfügbar unter: www.rki.de/journalhealthmonitoring-en Interessenkonflikt Die Autorin leitet die wissenschaftliche Studie zur Evalua- tion des Programms „Junge Welten Leben (JUWeL)“. Literatur 1. Robert Koch-Institut (Hrsg) (2020) Gesundheitliche Lage der Frauen in Deutschland. Gesundheitsberichterstattung des Bundes. Gemeinsam getragen von RKI und Destatis. RKI, Berlin Journal of Health Monitoring 2022 7(2) 5
Journal of Health Monitoring Sexuelle Gesundheit braucht Daten – und Ideen zur Gestaltung einer positiven Sexualkultur! EDITORIAL Impressum Journal of Health Monitoring Herausgeber Robert Koch-Institut Nordufer 20 13353 Berlin Redaktion Johanna Gutsche, Dr. Birte Hintzpeter, Dr. Franziska Prütz, Dr. Martina Rabenberg, Dr. Alexander Rommel, Dr. Livia Ryl, Dr. Anke-Christine Saß, Stefanie Seeling, Dr. Thomas Ziese Robert Koch-Institut Abteilung für Epidemiologie und Gesundheitsmonitoring Fachgebiet Gesundheitsberichterstattung General-Pape-Str. 62–66 12101 Berlin Tel.: 030-18 754-3400 E-Mail: healthmonitoring@rki.de www.rki.de/journalhealthmonitoring Satz Kerstin Möllerke, Alexander Krönke ISSN 2511-2708 Hinweis Inhalte externer Beiträge spiegeln nicht notwendigerweise die Meinung des Robert Koch-Instituts wider. Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 Das Robert Koch-Institut ist ein Bundesinstitut im International Lizenz. Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit Journal of Health Monitoring 2022 7(2) 6
Journal of Health Monitoring Sexual- und Verhütungsverhalten von jungen Erwachsenen in Deutschland – Ergebnisse aus KiGGS Welle 2 FOCUS Journal of Health Monitoring · 2022 7(2) DOI 10.25646/9872 Sexual- und Verhütungsverhalten von jungen Erwachsenen Robert Koch-Institut, Berlin in Deutschland – Ergebnisse aus KiGGS Welle 2 Birte Hintzpeter, Laura Krause, Felicitas Vogelgesang, Franziska Prütz Abstract Das Sexualverhalten ist ein wichtiger Aspekt der sexuellen Gesundheit. Fragen zum Sexual- und Verhütungsverhalten Robert Koch-Institut, Berlin wurden den 18-jährigen und älteren Teilnehmenden der KiGGS-Kohorte in KiGGS Welle 2 gestellt. In die Auswertung, Abteilung für Epidemiologie und Gesundheits- die mittels Gewichtung an die Alters- und Geschlechtsverteilung der deutschen Bevölkerung angepasst wurde, gingen monitoring Daten von 2.966 Frauen und 2.206 Männern ein. Mehr als die Hälfte der Befragten gibt den ersten Geschlechtsverkehr Eingereicht: 26.01.2022 vor Erreichen der Volljährigkeit an (Frauen: 61 %, Männer: 53 %). Frauen berichten ein niedrigeres Alter als Männer. Im Akzeptiert: 24.03.2022 Hinblick auf die Anzahl an gegengeschlechtlichen Sexualpartnern beziehungsweise -partnerinnen in den letzten zwölf Veröffentlicht: 29.06.2022 Monaten geben knapp 69 % der Frauen und 58 % der Männer an, einen Kontakt gehabt zu haben. Drei oder mehr Sexualpartnerinnen beziehungsweise -partner berichten 11 % der Frauen und 20 % der Männer. 7,4 % der Frauen haben gleichgeschlechtliche und 1,4 % sowohl gleich- als auch gegengeschlechtliche Sexualkontakte, bei den Männern sind es 2,8 % und 0,4 %. Gefragt nach der Art der Verhütung beim letzten Geschlechtsverkehr geben etwa zwei Drittel der Frauen und mehr als die Hälfte der Männer die Pille an; ein Kondom verwenden etwa 44 % der Frauen und rund zwei Drittel der Männer. Knapp ein Drittel der befragten Frauen hat bereits die „Pille danach“ eingenommen. Insgesamt können die Ergebnisse dazu beitragen, Präventions- und Aufklärungskampagnen zur sexuellen und reproduktiven Gesundheit zu unterstützen. SEXUALVERHALTEN · ERSTER GESCHLECHTSVERKEHR · VERHÜTUNG · PILLE DANACH · KIGGS WELLE 2 1. Einleitung und nicht nur das Fehlen von Krankheit, Funktionsstörun- gen oder Gebrechen [2]“. Zu den verschiedenen Aspekten Sexuelle Gesundheit wird nach der Weltgesundheitsorga- von sexueller Gesundheit zählen das Sexualverhalten, die nisation (WHO) in engem Zusammenhang und in Anleh- sexuelle Orientierung und die Geschlechtsidentität sowie nung an den allgemeinen Gesundheitsbegriff [1] definiert: weitere Aspekte wie sexuell übertragbare Infektionen (Sexu- „Sexuelle Gesundheit ist untrennbar mit Gesundheit insge- ally Transmitted Infections, STI) [3]. samt, mit Wohlbefinden und Lebensqualität verbunden. Voraussetzungen für sexuelle Gesundheit sind eine posi- Sie ist ein Zustand des körperlichen, emotionalen, menta- tive und respektvolle Haltung zu Sexualität und sexuellen len und sozialen Wohlbefindens in Bezug auf die Sexualität Beziehungen sowie die Möglichkeit, angenehme und sichere Journal of Health Monitoring 2022 7(2) 7
Journal of Health Monitoring Sexual- und Verhütungsverhalten von jungen Erwachsenen in Deutschland – Ergebnisse aus KiGGS Welle 2 FOCUS sexuelle Erfahrungen zu machen, einschließlich Gewalt- Ausgabe des Journal of Health Monitoring zeigt anhand Infobox und Diskriminierungsfreiheit [2]. Neben sexueller Selbst- der Daten der Jugendsexualitätsstudie der BZgA aus dem Sexuelle Orientierung bestimmung, sexueller Bildung, sexueller Zufriedenheit Jahr 2019, dass junge Menschen eine Vielzahl an unter- und Wohlbefinden umfasst sexuelle Gesundheit auch die schiedlichen Quellen und Instanzen zur Vermittlung von Die sexuelle Orientierung einer Person beschreibt, Möglichkeit, eine sexuelle Identität zu entwickeln und zu Gesundheitsinformationen in diesem Bereich nutzen. Dazu ob sie sich von dem eigenen Geschlecht (Homo- sexualität), dem jeweils anderen Geschlecht leben [4]. zählen die Wissens- und Handlungsvermittlung in der (Heterosexualität), beiden Geschlechtern (Bisexu- Sexualität wird in den verschiedenen Lebensphasen Schule, persönliche Gespräche, das Internet oder die pro- alität) oder keinem Geschlecht (Asexualität) roman- tisch und sexuell angezogen fühlt [15]. unterschiedlich gelebt [5]. In der Pubertät zählen Sexualität fessionelle Beratung in gynäkologischen Praxen und aner- Zu den drei Dimensionen der sexuellen Orientie- und sexuelle Erfahrungen neben der Auseinandersetzung kannten Beratungsstellen [11]. rung gehören die sexuelle Attraktion oder Anzie- mit dem eigenen Körper, der Abgrenzung von den Eltern Sexualität wird in allen Altergruppen überwiegend in hung (zu welchem Geschlecht sich eine Person hingezogen fühlt), das sexuelle Verhalten (mit wel- und der Gestaltung sozialer Beziehungen zu den Entwick- festen Beziehungen gelebt. In Studien wurde gezeigt, dass chem Geschlecht sie sexuelle Kontakte hat) und lungsaufgaben [6]. Die Pubertät geht mit körperlichen, psy- bereits im Jugendalter Beziehungen häufig eng, romantisch die sexuelle Identität [15]. Die sexuelle Identität ist chologischen und emotionalen Veränderungen einher. und durch die Ideale Liebe und Treue geprägt sind [12]. das grundlegende Selbstverständnis der Menschen davon, wer sie als geschlechtliche Wesen sind, wie Dabei wirken sich die biologischen Prozesse in Wechsel- Knapp ein Fünftel der Mädchen und Jungen in Deutsch- sie sich selbst wahrnehmen und wie sie von ande- wirkung mit dem sozialen Kontext auf die emotionale und land, die in der Studie Health Behaviour in School-aged ren wahrgenommen werden wollen [18]. Die drei soziale Entwicklung der beziehungsweise des Einzelnen Children (HBSC) 2017/18 befragt wurden, hatten mit etwa Dimensionen müssen nicht übereinstimmen, zudem können sie sich über die Lebenszeit verän- aus [7]. In der Pubertät müssen sich Mädchen und Jungen 15 Jahren mindestens einmal Geschlechtsverkehr [13]. Im dern [17]. mit alterstypischen Verhaltenserwartungen auseinander- Durchschnitt sind Mädchen in einem früheren Alter als Unter der Abkürzung LSBTIQ werden unterschied- liche sexuelle Orientierungen und Lebensweisen setzen und entsprechende Strategien des Umgangs mit Jungen sexuell aktiv [14]. Ergebnisse der Studie Gesundheit sowie geschlechtliche Identitäten zusammenge- diesen finden, dies gilt auch für die Sexualität [8]. und Sexualität in Deutschland (GeSiD), die von 2018 bis fasst: lesbische, schwule, bisexuelle, trans- und Sexualaufklärung, Sexualerziehung und sexuelle Bildung 2019 vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf durch- intergeschlechtliche sowie queere Menschen. Queer ist ein Sammelbegriff, der geschlechtliche werden zunehmend als gesellschaftliche Querschnittauf- geführt wurde, zeigten, dass Geschlechterunterschiede Identitäten und sexuelle Orientierungen umfasst, gabe verstanden. Neben Schule und Familie sind unter auch hinsichtlich der Anzahl an gegengeschlechtlichen die sich nicht an einer heterosexuellen Zweige- anderem die Gesundheits- und Sozialdienste, die Medien Sexualkontakten bestehen. Heterosexuelle Männer geben schlechtlichkeit orientieren. Gerade jüngere LSBTI- Personen bezeichnen sich eher als queer [17]. und die Erwachsenenbildung daran beteiligt [9]. Die Bun- höhere Zahlen an Partnerinnen an als heterosexuelle deszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) hat den Frauen. Dies zeigt sich bereits für Jugendliche und junge gesetzlichen Auftrag, Konzepte und Medien für Sexualauf- Erwachsene [15, 16]. klärung zu entwickeln und Informationen zur Verhütung Nach dem aktuellen Forschungsstand werden drei bereitzustellen. Dies geschieht unter Beteiligung der Län- Dimensionen der sexuellen Orientierung (Infobox) unter- der und in Zusammenarbeit mit Vertretern der Familien- schieden, die nicht übereinstimmen müssen: die sexuelle beratungseinrichtungen aller Träger [10]. Der Beitrag Sexu- Identität, die sexuelle Attraktion oder Anziehung sowie das alaufklärung junger Menschen in Deutschland in dieser sexuelle Verhalten [15]. Zum Beispiel muss sich eine Frau, Journal of Health Monitoring 2022 7(2) 8
Journal of Health Monitoring Sexual- und Verhütungsverhalten von jungen Erwachsenen in Deutschland – Ergebnisse aus KiGGS Welle 2 FOCUS die Sex mit Frauen hat, nicht unbedingt als lesbisch oder an, der unter anderem ein Fokus-Kapitel zur sexuellen und KiGGS Welle 2 bisexuell begreifen [17]. Bei den verschiedenen Dimensio- reproduktiven Gesundheit sowie eines zur Mädchenge- Zweite Folgeerhebung der Studie zur nen der sexuellen Orientierung handelt es sich nicht um sundheit enthält [17]. In KiGGS Welle 2 wurden die Teilneh- Gesundheit von Kindern und Jugendlichen starre Kategorien, sondern um wandelbare und über die menden der KiGGS-Kohorte, die in der zweiten Nachbefra- in Deutschland Lebenszeit veränderliche Phänomene [19]. gung bereits volljährig waren (zwischen 18 und 31 Jahren), Datenhalter: Robert Koch-Institut Auch das Verhütungsverhalten gehört zur Sexualität. auch zu ihrem Sexualverhalten befragt. Neben Fragen zum Ziele: Bereitstellung zuverlässiger Informationen Der Zugang zur Empfängnisverhütung ist ein wichtiger Alter beim ersten Geschlechtsverkehr wurde auch die über Gesundheitszustand, Gesundheitsverhalten, Lebensbedingungen, Schutz- und Risikofaktoren Faktor, damit Menschen frei entscheiden können, ob, Anzahl an Sexualpartnerinnen beziehungsweise -partnern und gesundheitliche Versorgung der in Deutsch- wann und wie viele Kinder sie haben möchten [20]. Zu erfragt, und es wurden Fragen zu Verhütungsmitteln sowie land lebenden Kinder, Jugendlichen und jungen den Verhütungsmitteln zählen beispielweise hormonelle zur Notfallverhütung gestellt. Erwachsenen mit der Möglichkeit von Trend- und Längsschnittanalysen Verhütungsmittel wie die Pille, Barrieremethoden wie das Die Ergebnisse können dazu beitragen, Präventions- Studiendesign: Kombinierte Querschnitt- und Kondom oder das Diaphragma, die Spirale sowie soge- und Aufklärungskampagnen zur sexuellen und reproduk- Kohortenstudie nannte natürliche Methoden der Empfängnisverhütung. tiven Gesundheit zu unterstützen, beispielsweise zur Querschnitt in KiGGS Welle 2 Das Kondom bietet neben dem Verhütungsaspekt auch Anpassung von Informationsmaterialien zu Sexualaufklä- Alter: 0 – 17 Jahre Schutz vor STI [21]. rung und Verhütung an bestimmte Zielgruppen. Zudem Grundgesamtheit: Kinder und Jugendliche mit ständigem Wohnsitz in Deutschland Mehr als 70 % der sexuell aktiven erwachsenen Bevöl- können sie einen Beitrag zur Evaluation von Maßnahmen Stichprobenziehung: Einwohnermeldeamt- kerung nutzt bei sexuellen Kontakten ein Verhütungsmittel leisten, die Ergebnisse bereits vorhandener Studien in die- Stichproben – Einladung zufällig ausgewählter [22]. Gründe nicht zu verhüten sind unter anderem ein Kin- sem Bereich ergänzen und damit zum wissenschaftlichen Kinder und Jugendlicher aus den 167 Städten und Gemeinden der KiGGS-Basiserhebung derwunsch oder eine Schwangerschaft [23]. Daneben gibt Diskurs beitragen. Stichprobenumfang: 15.023 Teilnehmende es Paare, die trotz fehlender Schwangerschaftsabsicht keine KiGGS-Kohorte in KiGGS Welle 2 Verhütungsmittel verwenden [24]. Die „Pille danach“ ist 2. Methode Alter: 10 – 31 Jahre ein Notfallverhütungsmittel, das vorwiegend nach Verhü- 2.1 Stichprobendesign und Studiendurchführung Stichprobengewinnung: Erneute Einladung aller wiederbefragungsbereiten Teilnehmenden der tungspannen oder dem Vergessen von Verhütungsmitteln KiGGS-Basiserhebung eingesetzt wird. Seit März 2015 ist sie in Apotheken rezept- Grundlage für die Auswertungen in diesem Beitrag sind Stichprobenumfang: 10.853 Teilnehmende frei erhältlich. Hier wird auch eine Beratung angeboten [25]. die Daten der KiGGS-Kohorte. Die KiGGS-Basiserhebung, KiGGS-Erhebungswellen: Der vorliegende Beitrag stellt Ergebnisse zum Sexual- die von 2003 bis 2006 vom RKI durchgeführt wurde, lie- ▶ KiGGS-Basiserhebung (2003 – 2006) Untersuchungs- und Befragungssurvey und Verhütungsverhalten von jungen Erwachsenen vor, die ferte erstmals bevölkerungsbezogene, bundesweit reprä- ▶ KiGGS Welle 1 (2009 – 2012) im Rahmen der zweiten Folgeerhebung der Studie zur sentative Ergebnisse zur gesundheitlichen Lage der 0- bis Befragungssurvey Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland 17-jährigen Kinder und Jugendlichen in Deutschland. Im ▶ KiGGS Welle 2 (2014 – 2017) Untersuchungs- und Befragungssurvey (KiGGS Welle 2) erhoben wurden. Damit knüpft er an den Rahmen der KiGGS-Kohorte werden diese Kinder und Mehr Informationen unter Ende 2020 veröffentlichten Bericht Gesundheitliche Lage Jugendlichen weiterbeobachtet. Auf die KiGGS-Basiserhe- www.kiggs-studie.de der Frauen in Deutschland des Robert Koch-Instituts (RKI) bung folgten zwei weitere Erhebungen. Nach KiGGS Welle 1 Journal of Health Monitoring 2022 7(2) 9
Journal of Health Monitoring Sexual- und Verhütungsverhalten von jungen Erwachsenen in Deutschland – Ergebnisse aus KiGGS Welle 2 FOCUS (2009 – 2012) liefert KiGGS Welle 2 (2014 – 2017) die bis- oder anderen Geschlechts in den letzten zwölf Monaten lang aktuellsten Daten [26]. Teilnehmende der KiGGS- generiert werden. Basiserhebung, die noch erreichbar und wiederteilnahme- Zum Verhütungsverhalten kamen folgende Fragen zum bereit waren, wurden erneut zur Studie eingeladen. Zum Einsatz: „Verwenden Sie zurzeit Verhütungsmittel?“ (Ant- Zeitpunkt von KiGGS Welle 2 konnten insgesamt 10.853 wortkategorien: „Ja“, „Nein“), „Welche Verhütungsmittel Kohortenteilnehmende im Alter von 10 bis 31 Jahren wie- haben Sie bzw. Ihre Partnerin/Ihr Partner beim letzten derbefragt werden; die Wiederteilnahmequote lag bei 62 %. Geschlechtsverkehr verwendet?“ („Antibaby-Pille“, „Kon- Eine ausführliche Beschreibung der KiGGS-Kohorte findet dome“, „Diaphragma“, „Chemische Verhütungsmittel“, sich an anderen Stellen [27, 28]. „Spirale“, „Natürliche Methoden“, „Sonstiges“, „Keine“), Die vorliegenden Auswertungen basieren auf Daten von „Verwenden Sie beim Geschlechtsverkehr Kondome?“ (Ant- 5.172 jungen Erwachsenen (2.966 Frauen und 2.206 Män- wortkategorien: „Ja“, „Nein“), „Haben Sie jemals die Anti- nern), die in KiGGS Welle 2 zwischen 18 und 31 Jahre alt baby-Pille eingenommen?“ (Antwortkategorien: „Ja“, waren und gültige Angaben zum Sexual- und Verhütungs- „Nein“) und „Haben Sie schon einmal die „Pille danach“ verhalten gemacht hatten. eingenommen?“ (Antwortkategorien: „Ja“, „Nein“). 2.2 Operationalisierung der Variablen Bildung, migrationsbezogene Merkmale und Familienform In KiGGS Welle 2 gaben die Befragten ihren höchsten Bil- Sexual- und Verhütungsverhalten dungsabschluss an. Um die Angaben zu klassifizieren, wur- In KiGGS Welle 2 wurden den volljährigen Teilnehmenden de die International Standard Classification of Education der KiGGS-Kohorte erstmals Fragen zum Sexual- und Ver- (ISCED-11) verwendet. Es erfolgte eine Einteilung der Bil- hütungsverhalten gestellt. Folgende Fragestellungen zum dungskategorien in eine untere, mittlere und obere Bil- Sexualverhalten sind Bestandteil der Analysen: „Wie alt dungsgruppe [29]. waren Sie, als Sie zum ersten Mal mit jemandem geschla- Der Migrationsstatus wurde anhand der Angaben zum fen haben?“ (offenes Antwortfeld zur Altersangabe) und Geburtsland der Teilnehmenden sowie zum Geburtsland „Wie viele Sexualpartner bzw. -partnerinnen hatten Sie in und der Staatsangehörigkeit der Eltern bestimmt. Teilneh- den letzten 12 Monaten?“. Als Antwort auf die letzte Fra- mende, die selbst nach Deutschland migriert sind oder ge sollte sowohl die Anzahl der Frauen als auch der Män- deren beiden Elternteile nicht in Deutschland geboren sind ner angegeben werden. Neben der Anzahl an Sexualpart- beziehungsweise nicht deutsche Staatsangehörige sind, nerinnen und -partnern in den letzten zwölf Monaten gelten als Migrantinnen beziehungsweise Migranten. Als („keine“, „ein/e“, „zwei“, „drei“ und „mehr als drei“) konnte weiteres migrationsbezogenes Merkmal wurde die zu Hause hieraus der Anteil der Befragten mit mindestens einer gesprochene Sprache betrachtet (ausschließlich Deutsch, Sexualpartnerin/einem Sexualpartner des gleichen und/ andere Sprache/n) [30]. Bezüglich einer Partnerschaft wurde Journal of Health Monitoring 2022 7(2) 10
Journal of Health Monitoring Sexual- und Verhütungsverhalten von jungen Erwachsenen in Deutschland – Ergebnisse aus KiGGS Welle 2 FOCUS in KiGGS Welle 2 die Frage gestellt, ob die Befragten mit statistisch signifikanten Unterschied ausgegangen, wenn einer Partnerin/einem Partner in einem gemeinsamen der p-Wert kleiner als 0,05 ist. Haushalt wohnen (Antwortkategorien: „Ja“, „Nein“). Die Analysen wurden mit den Survey-Prozeduren von Stata 17.0 durchgeführt (Stata Corp., College Station, TX, 2.3 Statistische Methoden USA, 2015), um das Clusterdesign von KiGGS und die Gewichtung angemessen bei der Berechnung der Konfi- Für die deskriptiven Analysen wurden jeweils Prävalenzen denzintervalle und p-Werte zu berücksichtigen. Die Analy- mit 95 %-Konfidenzintervallen berechnet. Die Frage zum sen zum ersten Geschlechtsverkehr wurden mit SAS 9.4 Alter beim ersten Geschlechtsverkehr wurde bereits allen (SAS Institute, Cary, NC, USA) durchgeführt. Kohortenteilnehmenden ab 14 Jahren gestellt. Aus diesem Grund bezieht sich die Datenbasis für diese Auswertung 3. Ergebnisse Mehr als die Hälfte der auf alle Personen zwischen 14 und 31 Jahren (n = 4.639 Befragten hatte vor Erreichen Mädchen und Frauen, n = 3.870 Jungen und Männer). Um Zunächst werden die Auswertungen zum Alter des ersten der Volljährigkeit den ersten bei der Altersangabe beim ersten Geschlechtsverkehr die Geschlechtsverkehrs betrachtet. Hierfür wurden Personen Geschlechtsverkehr, bei den Rechtszensierung der Daten zu berücksichtigen, also das zwischen 14 und 31 Jahren berücksichtigt. Von den befrag- unterschiedliche Alter der Teilnehmenden zum Zeitpunkt ten Jugendlichen und jungen Erwachsenen berichtet etwa Frauen sind es 61 %, bei den von KiGGS Welle 2, wurden Überlebenszeitmodelle (Sur- jedes vierte Mädchen beziehungsweise jede vierte Frau Männern etwa 53 %. vivalanalysen) herangezogen. Survivalanalysen berücksich- (26,6 %) und jeder fünfte Junge beziehungsweise Mann tigen, dass eine Person, die zum Beispiel erst 17 Jahre alt (20,6 %), bis zum Alter von 15 Jahren den ersten Geschlechts- ist, keine Angabe über ein vielleicht in der Zukunft stattfin- verkehr erlebt zu haben. Mehr als die Hälfte der Befragten dendes Ereignis im Alter von 19 oder 20 Jahren machen gibt den ersten Geschlechtsverkehr vor Erreichen der Voll- kann. Die Angaben zum Alter beim ersten Geschlechtsver- jährigkeit an (61,0 % der Mädchen und Frauen, 53,3 % der kehr werden durch dieses Verfahren hochgerechnet auf den Jungen und Männer). Etwa jede fünfte Person hatte bis Fall, dass die komplette KiGGS-Kohorte bis zum Alter von zum Alter von 20 Jahren noch keinen Geschlechtsverkehr. 31 Jahren nachverfolgt worden wäre. Geschlechterunter- Im Alter von 30 Jahren sind es etwa 4 % der Frauen und schiede zwischen den Kurven wurden mithilfe eines log- 9 % der Männer (Abbildung 1). Mädchen und Frauen berich- rank-Test in SAS geprüft. ten ein niedrigeres Alter beim ersten Geschlechtsverkehr Die Auswertungen wurden mit einem Gewichtungs- als Jungen und Männer (der Geschlechterunterschied ist faktor durchgeführt, der sowohl den Dropout der Basiser- statistisch signifikant, p < 0,001). hebung herausrechnet als auch die Bevölkerungszahlen Gefragt nach den Sexualkontakten in den letzten zwölf nach Alter, Geschlecht und Bildung an den aktuellen Erhe- Monaten, geben etwa jeweils 10 % der Frauen und Männer bungszeitpunkt (31.12.2015) anpasst. Es wird von einem an, keine Kontakte gehabt zu haben (Tabelle 1). Mehr als Journal of Health Monitoring 2022 7(2) 11
Journal of Health Monitoring Sexual- und Verhütungsverhalten von jungen Erwachsenen in Deutschland – Ergebnisse aus KiGGS Welle 2 FOCUS Abbildung 1 Anteil (%) 100 Berichtetes Alter beim erstem Geschlechtsverkehr* bei 14- bis 31-Jährigen 90 nach Geschlecht, kumulierte Inzidenz 80 (n = 4.639 Mädchen und Frauen, n = 3.870 Jungen und Männer) 70 Quelle: KiGGS Welle 2 (2014 – 2017) 60 50 40 30 Knapp 69 % der Frauen 20 und 58 % der Männer hatten 10 genau eine gegengeschlecht- 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 liche Sexualpartnerin Alter (Jahre) beziehungsweise einen * Weiblich (kumulierte Inzidenz) Männlich (kumulierte Inzidenz) Berichtetes Alter beim ersten Geschlechtsverkehr, hochgerechnet auf eine Kohorte, bei der alle Teilnehmenden bis zum Alter von 31 Jahren nachverfolgt worden wären. -partner in den letzten zwölf Monaten, drei oder zwei Drittel der Frauen (68,8 %) und mehr als die Hälfte In Tabelle 2 wird differenziert, ob es sich um gleichge- mehr werden von 11 % der der Männer (57,8 %) berichtet von genau einem Sexual- schlechtliche oder gegengeschlechtliche Sexualpartnerinnen Frauen und 20 % der kontakt, während etwa 10 % der Frauen und 12 % Männer oder -partner handelt. Über 90 % der befragten Frauen und zwei Kontakte angeben. Drei oder mehr Sexualkontakte Männer geben gegengeschlechtliche Sexualkontakte im letz- Männer berichtet. werden von etwa 11 % der Frauen und etwa 20 % der Män- ten Jahr vor der Befragung an. Von den Frauen haben 7,4 % ner angegeben. gleichgeschlechtliche und 1,4 % sowohl gleich- als auch gegengeschlechtliche Sexualkontakte. Die entsprechenden Anzahl Sexual- Frauen Männer Anteile bei den Männern liegen bei 2,8 % beziehungsweise Tabelle 1 partnerinnen/-partner % (95 %-KI) % (95 %-KI) 0,4 %. Dabei ist zu beachten, dass die Daten zu gleich- und Anzahl an gegengeschlechtlichen Keine 10,4 (8,9 – 12,0) 10,2 (8,5 – 12,2) gegengeschlechtlichen Partnerinnen beziehungsweise Part- Sexualpartnerinnen bzw. -partnern in den letzten 1 68,8 (66,4 – 71,2) 57,8 (54,7 – 60,8) nern auf sehr geringen Fallzahlen beruhen (Tabelle 2). zwölf Monaten bei 18- bis 31-Jährigen mit 2 10,2 (8,6 – 12,0) 11,7 (10,0 – 13,6) Geschlechtsverkehrerfahrung nach Geschlecht Im Hinblick auf das Verhütungsverhalten geben 76,5 % 3 4,8 (4,0 – 5,8) 7,9 (6,4 – 9,7) (n = 2.950 Frauen, n = 2.206 Männer) >3 5,8 (4,6 – 7,3) 12,4 (10,4 – 14,7) der Frauen und 59,1 % der Männer an, zum Befragungszeit- Quelle: KiGGS Welle 2 (2014 – 2017) KI = Konfidenzintervall raum Verhütungsmittel zu verwenden. Weitere Analysen Journal of Health Monitoring 2022 7(2) 12
Journal of Health Monitoring Sexual- und Verhütungsverhalten von jungen Erwachsenen in Deutschland – Ergebnisse aus KiGGS Welle 2 FOCUS Tabelle 2 Mindestens ein/e… Frauen Männer Mindestens eine Sexualpartnerin bzw. -partner % (95 %-KI) n % (95 %-KI) n des gleichen und/oder anderen Geschlechts gegengeschlechtliche/r Sexualpartner/in 94,0 (92,5 – 95,1) 2.654 97,7 (96,6 – 98,4) 1.979 in den letzten zwölf Monaten bei gleichgeschlechtliche/r Sexualpartner/in 7,4 (6,0 – 9,0) 182 2,8 (1,9 – 3,9) 55 18- bis 31-Jährigen mit Sexualkontakten nach gleich- und gegengeschlechtliche/r Sexualpartner/in 1,4 (0,8 – 2,5) 36 0,4 (0,2 – 1,1) 7 Geschlecht (n = 2.800 Frauen, n = 2.027 Männer) KI = Konfidenzintervall Quelle: KiGGS Welle 2 (2014 – 2017) zeigen, dass Frauen und Männer, die in einer festen Part- als Verhütungsmethode an. Ein Kondom nutzen 44,1 % der nerschaft leben, deutlich häufiger verhüten als Frauen und Frauen und 64,2 % der Männer zur Verhütung. Die kombi- Männer ohne feste Partnerschaft (Frauen: 79,2 % vs. nierte Verwendung von Pille und Kondom berichten 23,1 % 68,2 %, p ≤ 0,001 und Männer: 63,1 % vs. 52,9 %, p ≤ 0,001). der Frauen und 31,6 % der Männer. Die Spirale wird dage- Rund zwei Drittel der Frauen (67,5 %) und etwa die Hälfte gen deutlich seltener genutzt: 3,8 % der Frauen und 3,0 % Gleichgeschlechtliche der Männer (51,0 %) geben an, derzeit in einer festen Part- der Männer geben diese als Verhütungsmittel an. Sonstige sexuelle Kontakte wurden nerschaft zu leben (Daten nicht gezeigt). Verhütungsmittel wie das Diaphragma, chemische Verhü- von 7,4 % der Frauen und Gefragt nach der Art der Verhütung beim letzten tungsmittel oder natürliche Methoden spielen ebenfalls 2,8 % der Männer angegeben, Geschlechtsverkehr zeigt sich, dass die Pille und das Kon- eine eher untergeordnete Rolle. 8,9 % der Frauen und 6,8 % dom am häufigsten verwendet werden. Mehr als die Hälfte der Männer geben an, beim letzten Geschlechtsverkehr sowohl gleich- als auch der Frauen (62,1 %) und Männer (57,0 %) geben die Pille nicht verhütet zu haben (Abbildung 2). gegengeschlechtliche Des Weiteren wurden die Teilnehmenden der KiGGS- Sexualkontakte hatten Kohorte danach gefragt, ob sie beim Geschlechtsverkehr Pille 1,4 % der Frauen und generell Kondome verwenden. Kondome werden grund- 0,4 % der Männer. Kondom sätzlich von 27,3 % der Frauen beim Geschlechtsverkehr verwendet, etwa ein Drittel der Frauen (32,2 %) nutzt Kon- Pille und Kondom dome gelegentlich, 40,5 % der Frauen verwenden keine Kondome. Bei den Männern liegen die Anteile der grund- Spirale sätzlichen (41,8 %) und der gelegentlichen Verwendung Abbildung 2 (34,6 %) höher. Ein knappes Viertel der Männer (23,6 %) Art der Verhütungsmittel beim letzten * Sonstige nutzt keine Kondome. Werden nur Männer betrachtet, die Geschlechtsverkehr (Angaben in Prozent, nicht in einer festen Partnerschaft leben, geben 59,9 % der Mehrfachantworten möglich) Keine Männer an, dass sie Kondome grundsätzlich verwenden, bei 18- bis 31-Jährigen mit 10 20 30 40 50 60 70 Geschlechtsverkehrerfahrung nach Geschlecht Anteil (%) 33,3 % verwenden Kondome gelegentlich und 6,7 % geben (n = 2.880 Frauen, n = 2.160 Männer) Frauen Männer an, keine Kondome zu nutzen. Zudem wurden die Frauen * Pille und Kondom: zusammengesetzte Variable, Sonstige: Diaphragma, Quelle: KiGGS Welle 2 (2014 – 2017) Chemische Verhütungsmittel, natürliche Methoden und andere gefragt, ob sie jemals die Pille genommen haben. Ein Journal of Health Monitoring 2022 7(2) 13
Journal of Health Monitoring Sexual- und Verhütungsverhalten von jungen Erwachsenen in Deutschland – Ergebnisse aus KiGGS Welle 2 FOCUS Tabelle 3 % (95 %-KI) n Erreichen der Volljährigkeit erlebt, bei den Frauen sind es Verwendung von Notfallverhütung Gesamt 30,8 (28,4 – 33,4) 838 61 %, bei den Männern 53 %. Dieses Ergebnis deckt sich (jemals „Pille danach“) (Angaben in Prozent) Altersgruppe mit den Daten der achten Welle der Jugendsexualitätsstu- bei 18- bis 31-jährigen Frauen mit 18 – 24 Jahre 29,0 (26,1 – 32,1) 501 die der BZgA, die auf einer Befragung von 14- bis 25-Jähri- Geschlechtsverkehrerfahrung (n = 2.961) 25 – 31 Jahre 32,6 (28,8 – 36,6) 337 Quelle: KiGGS Welle 2 (2014 – 2017) gen aus dem Jahr 2014 basiert. Demnach sind 39 % der Bildung Untere Bildungsgruppe 24,5 (17,8 – 32,8) 73 Jugendlichen im Alter von 16 Jahren erstmals sexuell aktiv, Mittlere Bildungsgruppe 31,1 (28,1 – 34,1) 517 bei den 17-Jährigen liegt der Anteil bei 58 % [16]. Nach den Obere Bildungsgruppe 33,6 (28,9 – 38,6) 231 Daten von KiGGS Welle 2 haben etwa jedes vierte Mädchen Migrationsstatus und etwa jeder fünfte Junge bis zum Alter von 15 Jahren Nein 30,0 (27,5 – 32,5) 742 den ersten Geschlechtsverkehr. Damit sind die Anteile Ja 34,4 (27,0 – 42,7) 91 Zu Hause gesprochene Sprache annähernd vergleichbar mit denen der HBSC-Studie, in der Beim letzten Geschlechts Ausschließlich Deutsch 30,5 (28,0 – 33,1) 728 15-Jährige Auskunft darüber geben, ob sie schon einmal verkehr wurde am häufigsten Andere Sprache/n 32,8 (25,8 – 40,6) 110 mit jemandem geschlafen haben. In der HBSC-Studie KI = Konfidenzintervall mit der Pille oder dem 2013/14 traf dies auf 19,6 % der Mädchen und 22,3 % der Jungen zu [31], 2017/18 lagen die Anteile bei 16,7 % (Mäd- Kondom verhütet. Großteil der befragten Frauen (92,6 %) bejaht diese Frage chen) und 19,7 % (Jungen) [13]. Rund ein Drittel der Frauen (Daten nicht gezeigt). Bei dem Vergleich sollte allerdings beachtet werden, gibt an, schon einmal die Neben der Einnahme der Pille wurden die Teilnehmerin- dass die Fragen zum Alter des ersten Geschlechtsverkehrs „Pille danach“ genommen nen auch nach der Notfallverhütung durch die „Pille in KiGGS Welle 2 retrospektiv erhoben wurden, sodass ein zu haben. danach“ gefragt. Knapp ein Drittel der Frauen (30,8 %) hat Erinnerungsbias nicht ausgeschlossen werden kann. Da Erfahrung mit der Einnahme der „Pille danach“. Stratifi- Daten zur Sexualität in der KiGGS-Studie bisher nur einmal zierte Auswertungen nach Alter, Bildung und Migrations- erhoben wurden, können keine Angaben über Trends status zeigen keine statistisch signifikanten Unterschiede. gemacht werden. Ergebnisse der neunten Welle der Dies gilt auch, wenn man die zu Hause gesprochene Spra- Jugendsexualitätsstudie aus dem Jahr 2019 zeigen, dass che als weiteres migrationsbezogenes Merkmal betrachtet der Anteil der Jugendlichen, die beim ersten Geschlechts- (Tabelle 3). verkehr jünger als 17 Jahre sind, seit einigen Jahren rück- läufig ist. Damit setzt sich der Trend fort, dass Jugendliche 4. Diskussion immer später sexuell aktiv werden [32]. Etwa 20 % der Befragten hatten bis zum Alter von 20 Jahren noch keinen Die Daten zum Sexual- und Verhütungsverhalten junger Geschlechtsverkehr – dieser Anteil ist höher als in der Erwachsener aus KiGGS Welle 2 zeigen, dass etwa die Jugendsexualitätsstudie mit 16 % [16], im Alter von 30 Jah- Hälfte der Befragten den ersten Geschlechtsverkehr vor ren sind es etwa 4 % der Frauen und knapp 9 % der Männer. Journal of Health Monitoring 2022 7(2) 14
Journal of Health Monitoring Sexual- und Verhütungsverhalten von jungen Erwachsenen in Deutschland – Ergebnisse aus KiGGS Welle 2 FOCUS Für eine sexuelle Zurückhaltung könnten das Fehlen der 1 % zehn bis 15 Sexualkontakte in den letzten zwölf Mona- richtigen Partnerin beziehungsweise des richtigen Partners ten an [34]. Mit der Jugendsexualitätsstudie sind diese oder kulturelle Gründe eine Rolle spielen [16]. Auswertungen nur eingeschränkt vergleichbar, da sich Die Mehrzahl der 18- bis 31-jährigen Befragten aus diese auf die Gesamtzahl der bisherigen Sexualpartnerin- KiGGS Welle 2 (knapp 69 % der Frauen und 58 % der Män- nen und -partner bezieht [16]. ner) hatte im Laufe von zwölf Monaten mit genau einer Dass Männer über eine höhere Anzahl an Sexualkon- Person gegengeschlechtliche Sexualkontakte. Dies weist takten berichten als Frauen, wurde auch in verschiedenen darauf hin, dass ein hoher Anteil der jungen Erwachsenen europäischen Sex-Surveys gefunden [35, 36]. Heterosexu- in einer festen Beziehung lebt. In der Studie gaben rund elle Männer berichten deutlich höhere Zahlen an Partne zwei Drittel der jungen Frauen und etwa die Hälfte der jun- rinnen als heterosexuelle Frauen [15]. Als Grund wird unter gen Männer an, derzeit eine feste Partnerschaft zu haben. anderem ein anderes Antwortverhalten angeführt. Männer Dies steht im Einklang mit Studien, in denen gezeigt wurde, haben aufgrund sozialer Erwartungen eher die Tendenz, dass bereits im Jugendalter Sexualität überwiegend in fes- sich als sexuell erfahren und aktiv darzustellen. Sie geben ten Beziehungen gelebt wird. Die Beziehungen sind häufig daher möglicherweise eine höhere Zahl an Partnerinnen eng, romantisch und durch die Ideale Liebe und Treue an. Auch Schätzfehler bei Männern mit vielen Sexualpart- geprägt [33]. Single-Sein ist meist als temporäre Phase zwi- nerinnen könnten eine Rolle spielen. Des Weiteren wird als schen zwei Beziehungen anzusehen, die oftmals sexuell Grund angeführt, dass Männer möglicherweise häufiger eher zurückhaltend verbracht wird. Bei einem seriell mono- Sex mit Frauen haben, die systematisch nicht an Surveys gamen Beziehungsmuster werden immer neue, feste und teilnehmen, also beispielsweise Sexarbeiterinnen [15]. treue Beziehungen eingegangen [14]. Gleichgeschlechtliche Sexualkontakte in den letzten Jeweils etwa 10 % der befragten jungen Frauen und zwölf Monaten hatten, so zeigen die Daten aus KiGGS Männer hatten in den letzten zwölf Monaten vor der Befra- Welle 2, 7,4 % der jungen Frauen und 2,8 % der jungen gung keine sexuellen Kontakte, etwa 10 % der Frauen und Männer. Sowohl gleich- als auch gegengeschlechtliche knapp 12 % der Männer hatten sexuelle Kontakte mit zwei Sexualkontakte wurden von 1,4 % der weiblichen und 0,4 % Personen. Etwa 20 % der Männer – und damit fast dop- der männlichen Befragten berichtet. Ergebnisse der pelt so viele wie Frauen (etwa 11 %) – gaben an, mit drei GeSiD-Studie von 2018 bis 2019 zeigen, dass 15 % der oder mehr Personen Sexualkontakte gehabt zu haben. Ein 18- bis 35-jährigen Frauen schon mindestens einmal ein ähnliches Bild zeigt eine Querschnittstudie mit 654 Stu- sexuelles Erlebnis mit einer anderen Frau hatten. Bei den dierenden der Technischen Universität Dresden von 2012, gleichaltrigen Männern sind es 7,4 % [15]. Auch hier ist zu in der unter anderem das sexuelle Risikoverhalten unter- beachten, dass sich diese Ergebnisse auf jemals gemachte sucht wurde: Von den sexuell aktiven Studierenden gaben Erfahrungen beziehen. Im Gegensatz dazu bezieht sich die 4 % keinen, 53 % einen, 14 % zwei, 10 % drei bis neun und KiGGS-Studie auf die letzten zwölf Monate. Journal of Health Monitoring 2022 7(2) 15
Journal of Health Monitoring Sexual- und Verhütungsverhalten von jungen Erwachsenen in Deutschland – Ergebnisse aus KiGGS Welle 2 FOCUS Bei der Interpretation der Daten muss berücksichtigt gab es insgesamt einen Anstieg von 37 % auf 46 %. In die- werden, dass gleichgeschlechtliche Sexualkontakte nicht ser Zeit ging der Anteil der Frauen, die die Pille nehmen, unbedingt mit einer homosexuellen Identität einhergehen von 53 % auf 47 % zurück. Vor allem bei den 18- bis 29-Jäh- müssen (Infobox Sexuelle Orientierung). Insgesamt defi- rigen zeigt sich ein starker Rückgang bei der Nutzung der nieren sich nach Daten der GeSiD-Studie 0,9 % der Frauen Pille, von 72 % auf 56 % [22]. Eine rückläufige Anwendung und 1,8 % der Männer als homosexuell und 1,8 % der Frauen der Pille wurde auch in den Wiederholungsbefragungen und 0,9 % der Männer als bisexuell [15]. Etwas höhere Anga- der Jugendsexualitätstudie 2015 [16] und 2021 [32] berich- ben finden sich in der Studie Jugendsexualität aus dem Jahr tet. Vor allem bei den sexuell aktiven Mädchen zwischen 2019. Eine andere als eine rein heterosexuelle Orientierung 14 und 17 Jahren ist diese zu beobachten. Als Grund wird wird eher von weiblichen als von männlichen Befragten eine eher kritische Einstellung zu hormonellen Verhütungs- berichtet: 2 % der 14- bis 25-jährigen Frauen geben an, methoden angeführt. Diese könnte mit allgemein gewan- homosexuell zu sein, 8 % identifizierten sich als bisexuell, delten Normvorstellungen wie zum Beispiel einem gestie- bei den Männern sind es jeweils 3 % [32]. Dass vor allem genen Gesundheitsbewusstsein in Zusammenhang stehen (junge) Frauen vergleichsweise häufig von mindestens einer [32]. Vor allem in den sozialen Medien wird das Anliegen, gleichgeschlechtlichen sexuellen Erfahrung berichten, gesünder und natürlicher zu leben, auch im Hinblick auf das könnte auf eine zumeist größere gesellschaftliche Offen- Verhütungsverhalten, thematisiert [38]. In KiGGS Welle 2 heit gegenüber gleichgeschlechtlicher Intimität und Sexu- gaben etwa 93 % der Frauen an, jemals die Pille genom- alität von Frauen zurückzuführen sein, die zu einem grö- men zu haben. Dagegen liegt der Anteil der Frauen, die ßeren Erlebens- und damit auch Antwortspielraum bei beim letzten Geschlechtsverkehr mit der Pille verhütet Befragungen beiträgt [37]. haben, bei 62 %. Dieses Ergebnis könnte ebenfalls auf einen Zur Verhütung beim letzten Geschlechtsverkehr nutz- Rückgang der Pillennutzung hindeuten. Hinsichtlich der ten die in KiGGS Welle 2 Befragten am häufigsten die Pille Verhütung beim letzten Geschlechtsverkehr spielt die Spi- und das Kondom (Pille: Frauen 62 %, Männer 57 %; Kon- rale in der vorliegenden Studie eine untergeordnete Rolle. dom: Frauen 44 %, Männer 64 %). Dass die Pille und das Dieser Befund wurde auch in der Studie „frauen leben 3“ Kondom die wichtigsten Verhütungsmittel in Deutschland gezeigt. Demnach nimmt die Nutzung der Spirale im sind, wurde auch in der Studie zum Verhütungsverhalten Lebensverlauf zu. Mit der Spirale verhüten vor allem Frauen Erwachsener der BZgA aus dem Jahr 2018 gezeigt: Die Nut- ab einem Alter von 40 Jahren [39]. zung der Pille als derzeitiges Verhütungsmittel nennen Etwa 42 % der befragten Männer verwenden beim 47 % der Frauen und 48 % der Männer. Beim Kondom sind Geschlechtsverkehr grundsätzlich Kondome, etwa ein Drit- es 37 % der Frauen und 56 % der Männer. Im Vergleich zu tel nutzt Kondome gelegentlich. Ein knappes Viertel der den Vorgängerstudien wird das Kondom dabei deutlich Männer gibt an, keine Kondome zu nutzen. Unter den häufiger als Verhütungsmittel genutzt. Von 2011 bis 2018 Männern ohne feste Partnerschaft berichten knapp 7 %, Journal of Health Monitoring 2022 7(2) 16
Journal of Health Monitoring Sexual- und Verhütungsverhalten von jungen Erwachsenen in Deutschland – Ergebnisse aus KiGGS Welle 2 FOCUS dass sie grundsätzlich keine Kondome verwenden. Dieser einer vertrauten Partnerin/einem vertrauten Partner hatten Wert ist niedriger als der in der GeSiD-Studie berichtete oder bei denen Verhütung ausführlich im Elternhaus the- Wert, wonach 22 % der 18- bis 79-jährigen Männer, die matisiert wurde, die „Pille danach“ verwendet haben (ein- aktuell Single sind, im vergangenen Jahr beim Geschlechts- malige Anwendung 15 %, mehrfache Anwendung 6 %) [16]. verkehr nie ein Kondom verwendet haben [40]. Bei diesem Daran schließen die Ergebnisse der Jugendsexualitätsstu- Vergleich sollten jedoch die unterschiedlichen Erhebungs- die 2019 an, die zeigen, dass das Wissen über die „Pille zeitpunkte, Fragestellungen und betrachteten Altersgrup- danach“ bei den befragten Mädchen und jungen Frauen pen beachtet werden. fast flächendeckend vorhanden ist [32]. Die Verschreibungs- Auch die Verwendung von Notfallverhütung konnte mit pflicht der „Pille danach“ wurde im März 2015 aufgehoben, den Daten von KiGGS Welle 2 untersucht werden. Dem- um den Zugang zu dieser Notfallmaßnahme zu erleichtern. nach haben 30,8 % der 18- bis 31-jährigen Frauen jemals Seitdem ist ein deutlicher Anstieg der Nutzung zu verzeich- die „Pille danach“ eingenommen. Dieses Ergebnis ist ver- nen. Nach Daten der Bundesvereinigung Deutscher Apo- gleichbar mit den Daten der Studie zur Jugendsexualität thekerverbände sind die Absatzzahlen in der Selbstmedi- 2019, in der 27 % der 14- bis 25-Jährigen angaben, die „Pille kation seit 2015 stark angestiegen, bei den ärztlichen danach“ schon einmal verwendet zu haben, darunter 9 % Verordnungen der „Pille danach“ gab es dagegen einen mehrfach. Unter den 18- bis 25-Jährigen sind es 29 % (20 % deutlichen Rückgang. Seit dem Jahr 2015, in dem 662.000 geben eine einmalige, 9 % eine mehrfache Anwendung Packungen abgegeben wurden, stieg die Zahl kontinuier- an) [32]. Die vorliegenden Ergebnisse zeigen keine signi- lich an, bis auf insgesamt 877.000 Packungen im Jahr 2019. fikanten Unterschiede nach Alter, Bildung oder Migrati- Im Jahr 2020 gab es einen Rückgang auf 848.000 Packun- onsstatus. Als weiteres migrationsbezogenes Merkmal gen [41]. Die vorliegenden Daten weisen auf eine Nutzung wurde die zu Hause gesprochene Sprache in die Auswer- in allen gesellschaftlichen Gruppen hin und betonen die tungen einbezogen, um mögliche sprachliche Barrieren Notwendigkeit, niedrigschwellige Zugangsmöglichkeiten zu Informationsmaterialien abzubilden. Auch für diese zu gewährleisten. Variable zeigen sich keine signifikanten Unterschiede. Die Als Einschränkung zu den vorliegenden Analysen muss Anteile der Teilnehmenden mit migrationsbezogenen bei der Interpretation berücksichtigt werden, dass es sich Merkmalen sind jedoch im Verhältnis zu den Vergleichs- um retrospektiv erhobene Selbstangaben handelt. Es kann gruppen relativ klein. nicht ausgeschlossen werden, dass die Ergebnisse durch Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass die Inanspruch- ein sozial erwünschtes Antwortverhalten verzerrt sein kön- nahme von Notfallverhütung unabhängig von soziodemo- nen oder ein Erinnerungsbias vorliegt, dass sich also Teil- grafischen Faktoren ist. Die Studie Jugendsexualität 2015 nehmende nicht mehr korrekt an Begebenheiten erinnern weist in die gleiche Richtung, indem gezeigt wurde, dass oder Ereignissen im Nachhinein mehr oder weniger Bedeu- auch Befragte, die ihren ersten Geschlechtsverkehr mit tung als ursprünglich beimessen. Journal of Health Monitoring 2022 7(2) 17
Journal of Health Monitoring Sexual- und Verhütungsverhalten von jungen Erwachsenen in Deutschland – Ergebnisse aus KiGGS Welle 2 FOCUS Insgesamt bieten die Daten zum Sexual- und Verhü- auf die sexuelle Gesundheit eine Rolle spielen, zum tungsverhalten aus KiGGS Welle 2 neben den etablierten Beispiel im Hinblick auf Folgen für partnerschaftliche Bezie- Monitoringdaten der BZgA, den Daten zum Sexual- und hungen und sexuelle Kontakte. Mediale Narrative zu sexu- Verhütungsverhalten der HBSC-Studie sowie den Daten alitätsbezogenen Veränderungen durch die COVID-19- der GeSiD-Studie eine weitere Datengrundlage, deren Pandemie konnten herausgearbeitet werden, allerdings Fokus auf dem jungen Erwachsenenalter liegt. Die vorlie- fehlen bisher empirische Daten [44]. genden Auswertungen bestätigen und ergänzen Ergeb- Korrespondenzadresse nisse der genannten Studien, etwa durch die Berechnun- Dr. Birte Hintzpeter gen kumulierter Inzidenzen zum ersten Geschlechtsverkehr Robert Koch-Institut oder die Auswertungen zu soziodemografischen Einfluss- Abteilung für Epidemiologie und Gesundheitsmonitoring faktoren zur Anwendung der „Pille danach“. Hier konnte General-Pape-Str. 62–66 12101 Berlin gezeigt werden, dass die Anwendung in allen gesellschaft- E-Mail: HintzpeterB@rki.de lichen Gruppen stattfindet, die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Bildungs- oder Bevölkerungsgruppe scheint Zitierweise keinen Einfluss zu haben. Dies lässt vermuten, dass die Hintzpeter B, Krause L, Vogelgesang F, Prütz F (2022) Sexual- und Verhütungsverhalten von jungen Erwachsenen Informationen zur Aufklärung die jungen Erwachsenen in Deutschland – Ergebnisse aus KiGGS Welle 2. erreichen. J Health Monit 7(2): 7–22. Die Daten zum Sexual- und Verhütungsverhalten aus DOI 10.25646/9872 KiGGS Welle 2 weisen darüber hinaus Potenzial für weiter- gehende Analysen auf, da umfangreiche Co-Variablen im Die englische Version des Artikels ist verfügbar unter: Kohortenansatz vorhanden sind. So sind Zusammen- www.rki.de/journalhealthmonitoring-en hangsanalysen mit verschiedenen demografischen Merk- malen möglich, wie exemplarisch in einem Beitrag zur Inan- Datenschutz und Ethik spruchnahme von niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten KiGGS Welle 2 unterliegt der strikten Einhaltung der daten- für Frauenheilkunde [42] dargestellt. Im Hinblick auf Längs- schutzrechtlichen Bestimmungen der EU-Datenschutz- schnittauswertungen können die Indikatoren der sexuellen grundverordnung (DSGVO) und des Bundesdatenschutz- und reproduktiven Gesundheit im jungen Erwachsenenal- gesetzes (BDSG). Die Ethikkommission der Medizinischen ter auch als Outcome-Variablen einbezogen werden, zum Hochschule Hannover hat die Studie unter ethischen Beispiel in Zusammenhang mit psychischen Auffälligkeiten Gesichtspunkten geprüft und ihr zugestimmt (Nr. 2275- in Kindheit oder Jugend [43]. Für zukünftige Erhebungen 2014). Die Teilnahme an der Studie war freiwillig. Die Teil- und Auswertungen wird auch der Einfluss der COVID-19-Pan- nehmenden beziehungsweise ihre Sorgeberechtigten wur- demie – einschließlich der Eindämmungsmaßnahmen – den über die Ziele und Inhalte der Studie sowie über den Journal of Health Monitoring 2022 7(2) 18
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