Jahresrückblick Schwerpunkt: Wohnen - Der KMFV 2018
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Impressum Herausgeber: Katholischer Männerfürsorgeverein München e. V. Ludwig Mittermeier, Vorstand Redaktion: Ralf Horschmann, Claudia Eisele, Christian Jäger, Ulrich Kaltwasser, Christoph Kellner, Sabine Reiner- Pfeiler, Dr. Emily Trombik Fotos/Grafiken: Barbara Altweger, Claudia Eisele, Thomas Friedl, Heim Kuntscher Ar- chitekten und Stadtplaner BDA/ ate- lier le balto Landschaftsarchitekten, Ralf Horschmann, Ulrich Kaltwasser, Johannes Minkus, Michael Nagy, Wolfgang Noack, Florian Peljak Satz und Layout: dialog - büro für kommunikation Auflage: 1.200 München, Juni 2019 Gedruckt in Deutschland Sie wollen helfen? Spendenkonto bei der Bank für Sozialwirtschaft IBAN: DE29 7002 0500 0001 8200 00 BIC: BFSWDE33MUE Spendenkonto bei der Postbank München IBAN: DE04 7001 0080 0008 1808 09 BIC: PBNKDEFF700
Inhalt Vorworte ... des Vorstandes 4 des Vereinsrates 5 Schwerpunktthema Wohnen ist ein Menschenrecht 6 Wenn sich das Leben auf der Straße abspielt 9 Housing First – die Lösung für die Wohnungslosenhilfe? 10 Das große Ziel: Wohnraumerhalt 12 München: Wohnstadt mit Herz? 14 Wohnmöglichkeiten des KMFV: gestern und heute 16 Wohnen mit gesellschaftlichem Ertrag 17 Quartiersentwicklung Mittenheim Das Wechselspiel zwischen Haft und Wohnungslosigkeit 18 „Eine sichere Wohnsituation ist ein 20 hundertprozentiger sozialer Aufstieg“ Das Spannungsfeld zwischen individueller Hilfeplanung 21 und konzeptionellen Rahmenbedingungen Schlüssel und Tür 23 Hinter jeder Tür wird anders gewohnt 24 SOWON – Fluch und Segen 25 Perspektive Wohnen: Baustein für seelische Gesundheit 26 Das Leben ist ein „Rüttelsieb“ 27 Aufwachsen in einer Notunterkunft 28 Über das Ziel hinausgeschossen 30 „Sie müssen in drei Tagen aus der Wohnung raus!“ 31 Sozialtourismus … was für ein Wort! Ein Kommentar 33 Die letzten Dinge 34 Der KMFV in 2018 36 Der KMFV als Arbeitgeber Der KMFV als Ausbildungspartner – eine Investition in die Zukunft 39 Übersicht Betreuungsplätze 44 Struktur des KMFV 46 Herzlichen Dank 47 Einrichtungen des KMFV 48 Jahresrückblick 2018 3
Vorwort des Vorstandes KMFV die Weiterentwicklung seiner An- an unserer Weihnachtsfeier an Heilig- gebote in 2018 weiter vorangetrieben. abend im Hofbräuhaus sehr gefreut. So wurde die Trägerschaft des Clearing- Schließlich konnte mit der Katholischen hauses Plinganserstraße und die soziale Stiftungshochschule München eine Beratung im Beherbergungsbetrieb Rahmen- und Kooperationsvereinbarung Meglingerstraße übernommen sowie in den Bereichen Studium und Lehre die Präventive Kurzintervention Woh- abgeschlossen werden. nen ins Leben gerufen. Daneben hat der KMFV die Kampagne „München: Vor dem Hintergrund steigender He- Wohnstadt mit Herz“ des Münchner rausforderungen und Anforderungen Netzwerkes Wohnungslosenhilfe miti- bedanke ich mich ganz herzlich bei nitiiert, um soziale Vermieterinnen und unseren Mitarbeitenden für ihre her- Vermieter dafür zu sensibilisieren, auch vorragende fachliche Arbeit zum Wohle an Jene Wohnungen zu vermieten, die der von uns betreuten Menschen. Ohne es auf dem Wohnungsmarkt besonders ihr großes Engagement könnten die Liebe Leserinnen und Leser, schwer haben. zahlreichen Aufgaben und differenzier- ten Angebote für die Betreuten in den Wohnen ist ein Menschenrecht. Leider Nicht zuletzt hat der KMFV auch Einrichtungen und Diensten des KMFV gibt es in unserer Gesellschaft immer weiter darauf hingearbeitet, mit der in dieser Form nicht wahrgenommen mehr Menschen, die dieses Recht nicht Quartiersentwicklung Mittenheim in bzw. unterbreitet werden. in Anspruch nehmen können. Insgesamt Oberschleißheim – im Rahmen seiner fehlen in Deutschland 1,9 Millionen Möglichkeiten – einen Beitrag zur Schaf- Nun wünsche ich Ihnen eine interessan- bezahlbare Wohnungen, davon alleine fung von bezahlbarem Wohnraum in der te und informative Lektüre. 78.000 in München. Die Tendenz ist Metropolregion München zu leisten. weiter steigend. Dies führt dazu, dass Diese Anstrengungen sind, realistisch die Mieten immer höher werden und im- betrachtet, leider nur ein Tropfen auf Ihr mer mehr Menschen drohen ihre Woh- den heißen Stein. Um signifikante nung zu verlieren. Anschlusswohnraum Verbesserungen zu erzielen, bedarf es zu finden ist auf einem aufgeheizten eines politischen und gesellschaftlichen Wohnungsmarkt, wie etwa in München, Umdenkens. äußerst schwierig. Wohnungslosigkeit droht. Zudem war das Jahr gekennzeichnet Ludwig Mittermeier durch zwei Jubiläen. Das Haus an der Vorstand des KMFV Um den damit verbundenen Herausfor- Pistorinistraße wurde 60 Jahre alt und derungen, insbesondere für die Woh- die Münchner Zentralstelle für Straffäl- nungslosenhilfe in München, gerecht zu ligenhilfe (MZS) feierte ihren 25. Ge- werden und seinen Beitrag zur Entschär- burtstag, der auch mit dem Start eines fung der Situation beizutragen, hat der neuen Angebots zur Haftvermeidung verbunden war. Neben diesen Jubiläen haben wir uns über den Besuch von Kardinal Marx im Haus an der Pilgers- heimer Straße und seine Teilnahme 4 Vorworte
Vorwort des Vereinsrates loser Menschen in München in einer hen, und wie unsere Einrichtungen ihnen schwierigen Situation. Der aufgeheizte dabei helfen, diese Herausforderungen Wohnungsmarkt und das Fehlen von zu bewältigen. bezahlbarem Wohnraum stellen die Wohnungslosenhilfe vor immer größere In diesem Zusammenhang bedanke ich Herausforderungen. Einerseits drängt mich abschließend sehr herzlich bei eine ansteigende Anzahl wohnungsloser allen Mitarbeitenden und ehrenamtlichen Menschen in das Wohnungslosenhil- Helferinnen und Helfern des Vereins, fenetz, für die wir Unterkunftsplätze die sich mit viel Hingabe und großem schaffen und Betreuung sicherstellen Engagement um sozial benachteiligte müssen. Andererseits befindet sich eine Menschen in München kümmern. beträchtliche Anzahl der Menschen im Hilfesystem der Wohnungslosenhilfe, Nunmehr wünsche ich Ihnen viel Freude die alleine deswegen noch dort leben, bei der Durchsicht des Jahresrückblicks, weil es ihnen an Wohnraum mangelt. der sich dieses Jahr inhaltlich mit dem Liebe Leserinnen und Leser, Thema „Wohnen“ auseinandersetzt. Wenn es nicht gelingen sollte, endlich es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht einen Durchbruch bei der Schaffung in den Medien über die schwierige von günstigem Wohnraum zu erzielen, Ihr Wohnsituation in den Ballungszentren werden wir die steigende Zahl woh- und strukturstarken Regionen in der nungsloser Menschen nicht in den Griff Bundesrepublik Deutschland berichtet bekommen. So lange es für die private wird. Immer mehr Menschen können Wohnungswirtschaft lohnenswert ist, sich die hohen Mietpreise dort nicht sich ausschließlich auf die Projekte mit mehr oder nur noch schwer leisten. maximaler Renditeerwartung zu fokus- Prof. Dr. Peter Franz Lenninger sieren und Gentrifizierungsprozesse in Vereinsratsvorsitzender des KMFV Die Landeshauptstadt München den Ballungszentren weiter voranzutrei- repräsentiert, wie keine andere Metro- ben, wird sich nichts verändern, außer pole, diese Krise am Wohnungsmarkt. dass die Dramatik der Situation weiter Wohnungslosigkeit ist hier mittlerweile zunimmt. in der Mitte der Gesellschaft angekom- men. Aktuell sind ca. 9.000 Menschen Vor dem Hintergrund dieser Entwicklun- (davon 1.700 Kinder) in München akut gen setzt sich der Jahresrückblick 2018 wohnungslos. Eine Zahl so hoch wie die des KMFV mit dem Thema „Wohnen“ Einwohnerzahl der Gemeinde Pullach. auseinander. Neben grundsätzlichen Positionierungen liegt der Fokus dabei Hierdurch befindet sich die Sofortunter- auf den Herausforderungen, vor denen bringung obdachloser und wohnungs- die von uns betreuten Menschen ste- Jahresrückblick 2018 5
Wohnen ist ein Menschenrecht Die Jahreskampagne des Deutschen zehnt um rund 11,5 Prozent gewach- Circa 9000 Menschen waren Ende Caritasverbandes (DCV) lautete im sen. Seit Mai 2015 ist München eine 2018 akut wohnungslos, darunter Jahr 2018: „Jeder Mensch braucht 1,5 Millionen-Stadt. Im vergangenen befanden sich rund 1700 Kinder. ein Zuhause“. Der DCV hat hier ein Jahr stieg die Einwohnerzahl um rund Positionspapier vorgelegt sowie 16.000 Menschen auf 1,542 Millionen wohnungssuchend registriert. Dem anlässlich des Kampagnenstarts die an2. Experten schätzen, dass München gegenüber können pro Jahr etwa 3.000 Studie „Menschenrecht auf Wohnen“ 1 bis 2035 voraussichtlich 1,8 Millionen Wohnungen vergeben werden3. Ein vorgestellt: Gerade Menschen mit nied- Einwohner haben wird. Deutschlandweit Registrierungsbescheid ist, selbst bei rigen Einkommen und Migrantinnen und liegt das Münchner Mietniveau an der höchster Dringlichkeit, längst keine Ga- Migranten zählen zu den Benachteiligten Spitze. Daher sind immer mehr Haushal- rantie mehr, dass es in absehbarer Zeit auf dem Wohnungsmarkt. Vor allem in te auf die Versorgung mit gefördertem zu einer Wohnungsvermittlung kommt. den größeren Städten herrscht seit Jah- Wohnraum angewiesen. ren eine überproportionale Knappheit an bezahlbarem Wohnraum. 2017 wurden in München 26.000 Das Sofortunterbringungs- Anträge auf Sozialwohnungen gestellt. system in München ist an Demgegenüber können pro Jahr etwa seine Grenzen gekommen Die Metropolregion 3.000 Wohnungen vergeben werden. München boomt Seit 2015 ist die Zahl der Anträge auf Circa 9000 Menschen waren Ende 2018 Sozialwohnungen stetig angestiegen akut wohnungslos, darunter befanden Seit Jahren hält der starke Zuzug in die und lag 2017 bei knapp 26.000. Aktuell sich rund 1700 Kinder. Menschen ver- bayerische Landeshauptstadt an. Die sind ca. 17.400 Haushalte, davon rund bleiben in Einrichtungen der Wohnungs- Bevölkerung ist im vergangenen Jahr- 14.000 mit höchster Dringlichkeit, als losenhilfe, obwohl sie längst in der Lage 6 Arbeitsgebiete des KMFV
Es zeigt sich, dass das der Kostenübernahme für die Unterbrin- Die Stadt München Thema Wohnungsverlust und gung und Betreuung von EU-Bürgerin- reagiert auf die Situation Wohnungslosigkeit nicht mehr nur nen und Bürgern aus Nicht-EFA-Staa- ein Thema sozialer Randgruppen ist, ten5. Häufig fehlt dieser Zielgruppe der sondern, dass es in der Mitte der Zugang zu dringend benötigten Hilfen Die Einführung der Internetplattform Gesellschaft angekommen ist. und sie verbleiben im Sofortunterbrin- SOWON (Soziales Wohnen Online) im gungssystem oder in sonstigen prekä- Jahr 2016 hat die Sozialwohnungsver- wären, selbstständig zu wohnen. Umge- ren Wohnformen. gabe in München neu strukturiert und kehrt können Menschen, die Unterstüt- verbessert. Da sich die Wohnungs- zung in einer betreuten Einrichtung der Die Integration von anerkannten suchenden aktiv und direkt auf die Wohnungslosenhilfe bräuchten, nicht Geflüchteten wird durch die Wohnungen bewerben, werden diese aus dem Sofortunterbringungssystem extrem angespannte Situation auf schneller vergeben und Leerstände kön- vermittelt werden, da die Wartelisten dem Wohnungsmarkt zusätzlich nen vermieden werden. Am zu knappen sehr lang sind. Noch ist es möglich, alle erschwert. Angebot an Wohnraum kann jedoch anspruchsberechtigten Haushalte im auch die gezieltere Vergabe nichts Sofortunterbringungssystem der Stadt ändern. Darüber hinaus plant die Stadt München aufzufangen. Es zeigt sich Zusätzliche Verschärfung des München ein Online-Verfahren zur Re- jedoch, dass das Thema Wohnungsver- gistrierung auf geförderten Wohnraum Fachkräftemangels lust und Wohnungslosigkeit nicht mehr („Wohnungsantrag online“). Hier ist zu nur ein Thema sozialer Randgruppen erwarten, dass dadurch das Verfahren ist, sondern, dass es in der Mitte der Die Situation auf dem Münchner Woh- weiter beschleunigt wird. Gesellschaft angekommen ist. nungsmarkt trägt zur Verschärfung des Fachkräftemangels vor allem in den Im Rahmen des Programms „Woh- Bereichen Soziale Arbeit und Pflege bei, nen für Alle“ (WAL) wurden seit 2017 In Deutschland fehlen da sich geeignete Bewerberinnen und bislang 10 Objekte mit knapp 800 Bewerber das Wohnen in einer Stadt Wohneinheiten fertiggestellt und zügig mehrere Millionen bezahlbare wie München nicht mehr leisten können. belegt. Die Bewohner setzten sich Wohnungen zusammen aus 49 % allgemein Woh- nungssuchenden (auch: (drohend) woh- Allein in München fehlen 78.000 Woh- Die Situation auf dem Münchner nungslose Menschen und städtische nungen. Eine Studie der Hans-Böck- Wohnungsmarkt trägt zur Verschär- Dienstkräfte) und 51 % anerkannten ler-Stiftung vom April 20184 beziffert fung des Fachkräftemangels bei. Geflüchteten. Es wurden ein Betreu- das Defizit an bezahlbaren Wohnungen ungskonzept sowie eine sozial und in 77 deutschen Großstädten mit 1,9 Millionen. Diese Zahlen wurden auf der Grundlage des Mikrozensus 2014 errechnet, daher gehen die Experten davon aus, dass die Lücke aufgrund der seitdem weiter gestiegenen Mieten inzwischen noch größer ist. Vermutlich also auch in München! Flucht und Migration als neue Herausforderung der Wohnungslosenhilfe Die Integration von anerkannten Geflüchteten wird durch die extrem angespannte Situation auf dem Woh- nungsmarkt zusätzlich erschwert. Da sie sehr häufig nicht zeitnah in eigenen Wohnraum vermittelt werden können, werden sie übergangsweise von der Kommune untergebracht. Seit der Ge- setzesänderung bzgl. der Regelung von Leistungen für ausländische Bürgerin- nen und Bürger im SGB II und SGB XII besteht große Unsicherheit hinsichtlich Jahresrückblick 2018 7
ökologisch orientierte Hausverwaltung Im Netzwerk Wohnungslosenhilfe um den Zugang wohnungsloser Perso- implementiert. Ende 2018 wurde dem hat sich der KMFV mit fünf weiteren nen zu eigenem Wohnraum zu erleichtern Stadtrat eine Auswertung der Erfah- Münchner Trägern der Wohnungslosen- und nachhaltig zu sichern. rungen mit den ersten WAL-Objekten hilfe zusammengeschlossen. Ziel ist es, vorgelegt, aus der hervorgeht, dass alle Ressourcen zu bündeln und den Anlie- Der KMFV wird sich auch Standorte sehr erfolgreich gestartet gen wohnungsloser Frauen, Männern weiterhin sehr intensiv im Bereich sind. Kein einziger Haushalt musste und Familien in der Öffentlichkeit mehr der Schaffung und Akquise von aufgrund von Mietschulden wieder Gehör zu verschaffen. Im Rahmen der geeignetem Wohnraum engagieren. ausziehen. In der Vergangenheit wurden Kampagne „München: Wohnstadt mit einzelne zunächst geplante Standorte Herz“ werden Vermieter dazu aufgeru- Besonders hervorzuheben ist das Pro- aufgrund von Bürgerprotesten verhin- fen, ihre Wohnungen für wohnungslose gramm „Wohnen für Alle“ (WAL). Un- dert. Aktuell gibt es für das Programm Menschen zur Verfügung zu stellen. serer Erfahrung nach gelingt es mit Hilfe leider keine Investoren. von WAL sehr gut, wohnungslose Haus- Um angemessen auf den aktuellen halte zeitnah und dauerhaft in bedarfs- Da Bauland knapp ist, wird zunehmend Bedarf der wohnungslosen und gerechten Wohnraum zu vermitteln. Aus darauf geachtet, den vorhandenen von Wohnungslosigkeit bedrohten Sicht der Verbände wäre es dringend Wohnraum optimal zu nutzen. Aus Menschen zu reagieren, müssen notwendig, das Programm „Wohnen für diesem Grund hat die Stadt München mehrere Wege gleichzeitig Alle“ fortzuführen, um bedarfsgerechten der Zweckentfremdung den Kampf beschritten werden. Wohnraum zur Verfügung zu stellen und angesagt und die entsprechende Sat- die Einrichtungen der Wohnungslosen- zung verschärft. Die Bußgelder wurden Auch die Themen Prävention und hilfe sowie die Sofortunterbringung zu deutlich angehoben. Ein Sonderermitt- Nachsorge sind entscheidend: Jeder entlasten. lungsteam des Sozialreferats kontrol- Wohnungsverlust, der vermieden werden liert Portale wie Airbnb und überprüft kann, stellt – nicht nur volkswirtschaftlich Der KMFV wird sich auch weiterhin sehr Wohnungen vor Ort. Münchner Bür- – einen großen Erfolg dar. Seit Jahren intensiv im Bereich der Schaffung und gerinnen und Bürger haben online die ist der KMFV im Bereich der Aufsu- Akquise von geeignetem Wohnraum en- Möglichkeit, leer stehende Wohnungen chenden Sozialarbeit sehr aktiv. Durch gagieren. Wir nehmen die Verantwortung zu melden. Die Gruppe der städtischen die Anbindung an die Fachstellen zur für die uns anvertrauten Frauen, Männer Sonderermittler hat in knapp drei Jahren Vermeidung von Wohnungslosigkeit und und Kinder, aber auch unsere Rolle als Bußgelder in Höhe von mehr als einer die Einleitung geeigneter Maßnahmen großer Träger der Wohnungslosenhilfe Million Euro verhängt und Dutzende wie z. B. Vermittlung an die Schuldner- in der Gesellschaft ernst. Für bedarfsge- Gerichtsverfahren gewonnen6. und Insolvenzberatung konnten auch im rechten Wohnraum zu sorgen, heißt, den vergangenen Jahr zahlreiche Wohnungs- sozialen Frieden in München zu sichern. Dies sind exemplarisch nur einige der verluste vermieden werden. Gleichzeitig vielen Maßnahmen, die die Landes- wird auch das Angebot der Nachsorge Claudia Eisele hauptstadt München zur Schaffung von im eigenen Wohnraum sehr gut ange- bezahlbarem Wohnraum ergriffen hat. nommen. Da diese zeitlich befristet ist, Anmerkungen: wurde Anfang 2018 das Projekt „Präven- 1 abgerufen von https://www.zuhau- tive Kurzintervention Wohnen“ (KIW) ins se-fuer-jeden.de Das unternimmt der KMFV Leben gerufen, um langfristig erneute 2 Anlauf, Thomas: 16 000 Münchner Wohnungsverluste zu vermeiden und um mehr, in: Süddeutsche Zeitung (2019), Der KMFV plant selbst Wohnraum zu psychosoziale Unterstützung zu gewäh- Nr. 17, R5 schaffen. Im Rahmen der Quartiersent- ren. Auch dieses neue Angebot wird von 3 vgl. Sitzungsvorlage Nr. 14-20/V wicklung in Mittenheim soll bezahl- den Klienten stark nachgefragt. 09700, Sozialausschuss der Landes- barer Wohnraum für unterschiedliche hauptstadt München vom 18.10.2018 Zielgruppen entstehen: für Familien, 4 A. Holm, H. Lebuhn, S. Junker, K. Auszubildende, Studierende, Menschen Ausblick Neitzel: Wie viele und welche Wohnun- mit Handicap und Senioren. Auch an die gen fehlen in deutschen Großstädten? Möglichkeit, Wohnraum für Mitarbei- Um angemessen auf den aktuellen Die soziale Versorgungslücke nach tende zu schaffen, wird gedacht. Hier Bedarf der wohnungslosen sowie von Einkommen und Wohnungsgröße. In: sollen landwirtschaftliche Flächen im Wohnungslosigkeit bedrohten Menschen Hans Böckler Stiftung (Hrsg.): Working Eigentum des KMFV in Bauland umge- zu reagieren und die Situation der be- Paper Forschungsförderung, Nr. 063 wandelt werden. nachteiligten Menschen auf dem extrem April 2018 angespannten Münchner Wohnungs- 5 Staaten, die nicht das Europäische Parallel dazu ist der KMFV stets um die markt nachhaltig zu verbessern, müssen Fürsorgeabkommen (EFA) unterzeichnet Akquise und gegebenenfalls den Kauf mehrere Wege gleichzeitig beschritten haben. von Wohnungen, Häusern und Bauland werden, um punktuelle Verbesserungen 6 Hoben, Anna: Die mühsame Arbeit der bemüht. Zahlreiche Angebote wurden für die Zielgruppe zu erzielen. Alle Akteu- Wohndetektive. Zweckentfremdung, in: in den vergangenen Jahren geprüft und re müssen gemeinsam und Hand in Hand Süddeutsche Zeitung (2018), Nr. 269, bewertet. Maßnahmen erarbeiten und entwickeln, S. 37 8 Arbeitsgebiete des KMFV
Wenn sich das Leben auf der Straße abspielt Als ich zum ersten Mal Wien besuchte Es gab immer Menschen, die im Was die Obdach- und Wohnungs- und am Westbahnhof die Rolltreppe Freien nächtigten, aber es wurden losenhilfe leisten kann, ist Vertrauen herunterfuhr, bot sich mir ein Blick, den weniger. Die Hilfen zeigten Wirkung, der Menschen aufzubauen und zu ich aus München nicht kannte: ordent- die Obdachlosigkeit war in München erhalten, Angebote zu machen, das lich in Reihe lag Isomatte an Isomatte zwar noch vorhanden, aber weniger Hilfesystem nach den Bedarfen eine größere Gruppe „Sandler“. Gut sichtbar. der obdachlosen Menschen auszu- eingerichtet in der Bahnhofshalle! Das richten und weiterzuentwickeln kannte ich, damals seit kurzem tätig in Und dann ganz plötzlich oder auch sowie Wissen über Angebote zu der Obdachlosenhilfe, aus München schleichend, so genau kann es nicht vermitteln. nicht. Ich kannte die „alten Geschich- mehr nachvollzogen werden, da in ten“ über die große "Platte" im Stachus München keine regelmäßige statistische Der Kälteschutz wurde eingerichtet. Untergeschoss, aber das war schon Erfassung von obdachlosen Menschen Ab 2019 wird auch für die Sommermo- länger Vergangenheit. existiert und daher nur Schätzungen nate ein „Übernachtungsschutz“ zur über den Anstieg der letzten Jahre mög- Verfügung gestellt. Somit können alle Das kannte ich aus München nicht. lich sind, war Obdachlosigkeit wieder Obdachlosen, mit oder ohne Leistungs- sichtbar. So sichtbar wie viele Jahre anspruch, ein Obdach, wenn auch befris- Natürlich gab es den „hot spot“ Wit- davor nicht mehr. tet, erhalten. Dennoch heißt dies nicht, telsbacherbrücke und auch "Platten" dass es keine „Platten“ mehr geben mit zehn, im Sommer dann auch schon Und dann ganz plötzlich oder auch wird. Es wird immer Menschen geben, mal 25 Menschen, aber nicht (mehr) am schleichend, so genau kann es nicht die im Freien nächtigen. Verhindern kann Bahnhof und an U-Bahnhöfen. Der mehr nachvollzogen werden, war dies niemand. Was die Obdach- und Grund hierfür war zum einen die res- Obdachlosigkeit wieder sichtbar. Wohnungslosenhilfe leisten kann, ist triktive Politik der Landeshauptstadt Vertrauen der Menschen aufzubauen München, durch Satzungen und Verbote So sichtbar, dass Münchner Bürgerin- und zu erhalten, Angebote zu machen, Obdachlosigkeit möglichst „unsichtbar“ nen und Bürger, die nicht von Obdach- das Hilfesystem nach den Bedarfen der zu machen. Zum anderen die Eröffnung und Wohnungslosigkeit bedroht sind obdachlosen Menschen auszurichten von immer mehr Einrichtungen der Woh- oder waren, aufmerksam wurden. Dies und weiterzuentwickeln sowie Wissen nungslosenhilfe in München, die für die mündete zum einen in mehr Aufmerk- über Angebote zu vermitteln. Die Woh- Menschen kurz-, mittel- oder langfristig samkeit für das Thema Wohnen, mehr nungslosenhilfe muss darüber hinaus ein Obdach bzw. neues Zuhause bieten. Interesse an der Arbeit der Wohnungs- auf strukturelle Hürden durch Ämter und Dennoch gab es immer Menschen, die losenhilfe und mehr Informationsbedarf Behörden reagieren und dies themati- im Freien nächtigten, aber es wurden über Hilfsmöglichkeiten für obdachlose sieren, um die „Frustration am System“ weniger. Die Hilfen zeigten Wirkung, die Menschen. Zum anderen führte es zu zu verhindern, die durchaus verhindert, Obdachlosigkeit war in München zwar Forderungen, dass die Stadt handeln dass Menschen wieder Obdach anneh- noch vorhanden, aber weniger sichtbar. muss, da es ja nicht sein kann, dass es men und Vertrauen finden, weiterführen- Menschen gibt, die in München kein de Hilfen anzunehmen. Obdach haben. Stefanie Kabisch Jahresrückblick 2018 9
Housing First – die Lösung für die Wohnungslosenhilfe? Der Ansatz des Housing First wurde Housing First soll die Integration von Es wird darauf hingewiesen, dass mit in den USA als innovativer Ansatz Wohnungslosen durch Vermittlung dem Konzept „Housing First“ die Fälle zur Vermeidung von Obdachlosigkeit in dauerhaften Individualwohnraum von Notunterbringungen signifikant etabliert. Grundsätzlich geht es darum, schnellst möglich sicherstellen. reduziert wurden und sich auch die psy- obdachlosen Menschen eine bedarfs- chische und somatische Gesundheit der gerechte Wohnung zur Verfügung zu Housing First soll die Integration von betroffenen Klientel verbessert habe. stellen, auch wenn sie suchterkrankt Wohnungslosen durch Vermittlung Für viele Kommunen oder Leistungsträ- und/oder psychisch krank sind und kei- in dauerhaften Individualwohnraum ger erscheint dabei besonders attraktiv, ne Abstinenz üben können oder wollen. schnellst möglich sicherstellen. Das dass die Kosten reduziert wurden. Konzept versteht sich unter anderem Die Grundidee ist, dass zuallererst der auch als Kritik an den bisherigen vorge- Wozu brauchen wir dann noch die Wohnraum gesichert werden muss. Der schalteten Verfahren zur Wohnungsver- Wohnungslosenhilfe, wenn ein konkrete Unterstützungsbedarf zeige mittlung. Wohnformen wie „betreutes solches Konzept funktioniert? sich, so die Befürworter dieses Kon- Wohnen“, „Trainingswohnen“, „dezent- zepts, dann in der Wohnung. Dort könne rales stationäres Wohnen“ u.ä. würden Der differenzierte Blick auf die Situation der Bewohner die Selbstversorgung für den betroffenen Klienten einge- macht manches Problem deutlich: sichern und sich auch die Wohnumge- schränkte Rechte und eingeschränkte Zunächst ist festzustellen, dass nicht bung erschließen. Wohnsicherheit bedeuten, da es kein alle Personen augenscheinlich für ein eigener Wohnraum ist. Das System der solches Programm geeignet sind. In Deutschland wird dieses Modell ins- Wohnungsvermittlung leide unter den besondere von Prof. Busch-Geertsema Effekten einer Aufstiegsleiter zur norma- Wie definieren sich die Rahmen- (Gesellschaft für innovative Sozial- len Wohnung und sei doch letztlich nur bedingungen für Housing first? forschung und Sozialplanung [GISS] die Rutsche in die Ausgrenzung. Bremen) vertreten und forciert.1 10 Arbeitsgebiete des KMFV
Primär ist ein gutes Assessment zum Nur mit geeigneten Konzepten, die nahmen nachzudenken, um präventiv Erkennen des Hilfebedarfs notwendig. die Unterstützung des Verbleibs den Wohnungsverlust zu vermeiden. Die Unterstützungsangebote müssen in der Wohnung gewährleisten, ist Möglicherweise werden hier allerdings proaktiv und multiprofessionell sein. Die dauerhaftes Wohnen im eigenen hohe Hürden, schon aus Gründen des Integration in das Gesamthilfesystem Wohnraum möglich. Datenschutzes gelegt. Wer soll bewer- und eine relative Reintegration ist zu ten, ob eine Krise auch einen drohenden gewährleisten. Diese Voraussetzung für Weitere Erfahrungen, die Mitarbeitende Wohnungsverlust bedeutet. Die Erfah- ein gelingendes Housing First werden in der Wohnungslosenhilfe gemacht rungen der Kolleginnen und Kollegen auch von den Befürwortern konstatiert. haben, sollten in die Gesamtbetrachtung aus den ambulanten Diensten zeigen eingehen: viele vormals wohnungslose beide Seiten der Medaille. Die Vermitt- Bevor Housing First realisiert Menschen, die ihr Ziel der eignen Woh- lung in Wohnraum ist bei entsprechen- werden kann muss eine nung erreicht haben, leiden oft unter der Vorbereitung und Begleitung gut intensive Beziehungs- und Vereinsamung und Isolation in der Woh- abzusichern, anderseits erfahren die Motivationsarbeiten mit den nung. Nur mit geeigneten Konzepten, Fachdienste oft zu spät von drohenden wohnungslosen Menschen die die Unterstützung des Verbleibs in Wohnungsverlusten, in vielen Fällen stattfinden. der Wohnung gewährleisten, ist dauer- erst, wenn der Räumungstermin schon haftes Wohnen im eigenen Wohnraum bevorsteht. Konkrete Erfahrung aus den USA, wie für viele Klienten erst möglich, vor allem sie beispielsweise von Nora Sellner wenn diese langjährig wohnungslos berichtet werden, zeigen, dass – bevor waren. Zusammenfassung Housing First realisiert werden kann – intensive Beziehungs- und Motivati- Es bedarf entsprechender Klärung: Housing First bedarf der differenzierten onsarbeiten mit den wohnungslosen an wen wendet sich der Bewohner in Betrachtung. Andere Konzepte wie Menschen stattfinden muss, wobei der Wohnung in Not- oder Problemfäl- betreutes und unterstütztes Wohnen der Erfolg nicht in jedem Fall gesichert len, wie zum Bespiel bei haben durchaus ihre Berechtigung und ist.2 In diesem Zusammenhang spricht • ausfallenden Mietzahlungen, Erfolge. Das Grundproblem fehlender Sellner sogar von „Engagement and • psychischen Krisen, Wohnungen kann Housing First nicht Documents First - Housing Second“. Es • somatischen Notfällen, lösen. Wohnungslosen bleibt bei einem werde gerade der Beginn des Hilfe- • Problemen mit Behörden, angespannten Wohnungsmarkt oft nur prozesses, so der deutliche Hinweis, • und Problemen mit der Arbeitsstelle? die ordnungsrechtliche Unterbringung, ignoriert. Thomas Specht kann in die- die jedoch qualifiziert sein sollte. Der sem Zusammenhang auch nachweisen, Im Vorhinein sollten solche Themen mit Verbleib in weiterführenden Hilfesys- dass Ansätze der Ambulanten Hilfe in den Klientinnen und Klienten bespro- temen muss auch solange gesichert Deutschland schon lange Fuß gefasst chen und Ansprechpartner definiert sein, bis eine adäquate Wohnung zur haben und Erfolge zeigten, bevor der werden. Die Kooperationen zwischen Verfügung steht, um erneute Obdachlo- Ansatz des Housing First entstand.3 Vermietern, Beratungsstellen, Woh- sigkeit durch Entlassung auf die Straße nungslosenhilfe, Psychiatrie, Arztpraxen zu vermeiden. Es fehlt der passende Wohnraum und somatischen Krankenhäusern ist für die Umsetzung eines solchen angezeigt. In Krisenfällen (z. B. kurz- Dr. Gerd Reifferscheid Konzepts in den Ballungsräumen. zeitiger Gefängnisaufenthalt) oder bei stationären Therapien sollte auch die Ein wesentliches Problem wird in der Sicherstellung der Rückkehroption in die Gesamtdebatte von den Befürwortern Wohnung besprochen und geplant sein. Anmerkungen: dieses Ansatzes nur marginal thema- 1 vgl. hierzu: Busch-Geertsema, V.: tisiert: Es fehlt der passende Wohn- Ein letzter Hinweis sei erlaubt. Zwei- Housing First- innovativer Ansatz, raum für die Umsetzung eines solchen drittel aller wohnungsloser Menschen, gängige Praxis oder schöne Illusion in Konzepts in den Ballungsräumen. die in den Einrichtungen der Wohnungs- Wohnungslos,1. Quartal 2017, S.17ff und Wohnungslose konkurrieren mit der Mit- losenhilfe leben, hatten vor der Woh- 2.-3. Quartal 2017, S. 75ff; Berlin telschicht um Wohnungen. Dies betrifft nungslosigkeit psychische Probleme, 2 Sellner, N. in: Wohnungslos,1. Quartal nicht nur die Münchner Situation. die u.a. auch zum Verlust der Wohnung 2018, S. 6ff; Berlin führten. Dieses Ergebnis der SEE- 3 Specht, T. in: Wohnungslos, 1. Quartal WOLF-Studie sollte bei der Gesamt- 2018, S. 1ff; Berlin diskussion nicht ignoriert werden.4 Es 4 vgl. Bäuml et al: Die SEEWOLF-Studie, scheint dringend geboten über Maß- S. 104ff; Freiburg 2017 Jahresrückblick 2018 11
Das große Ziel: Wohnraumerhalt Die Wohnungsmarktlage in München Aufsuchende Haushalte und die Vermittlung bedarfs- ist seit Jahren extrem angespannt. SozialArbeit (ASA) gerechter Hilfen einen Prozess zur Sta- Neben den bereits bewährten verschie- bilisierung der sozialen Verhältnisse in denen Unterstützungsangeboten der ihrer Gesamtheit herbeizuführen. Ziel ist Wohnungslosenhilfe ist es deshalb ein Das Angebot der Aufsuchenden es das Mietverhältnis nach Möglichkeit weiteres großes Ziel, den Wohnraum für SozialArbeit (ASA) ist ein wesentlicher dauerhaft zu erhalten, z. B. durch die akut von Wohnungslosigkeit bedrohte Baustein des von der Landeshauptstadt Unterstützung bei Behördenangelegen- Haushalte zu erhalten und Menschen, München seit 2009 realisierten Gesamt- heiten, die Einrichtung eines Pfändungs- die es aus der Wohnungslosigkeit zu- konzeptes „Maßnahmen zum Erhalt von schutz-Kontos oder die Anbindung an rück in eine Wohnung geschafft haben, Mietverhältnissen“. die Schuldner- und Insolvenzberatung. Unterstützung für den dauerhaften Erhalt des Wohnraums zu bieten. Zielgruppe sind Haushalte, die aufgrund Des Weiteren werden Haushalte bei von Kündigungen, Mahnungen oder nicht zu vermeidenden Wohnungsräu- Hierfür werden durch die Landeshaupt- Räumungsklagen von Wohnungslosig- mungen begleitet. stadt München verschiedene Angebote keit bedroht sind. Die Mitarbeitenden im präventiven Bereich und im Bereich der ASA versuchen nach Beauftragung der Nachsorge finanziert oder wurden durch die städtische Fachstelle zur Präventive Nachsorge sogar durch diese initiiert. Daneben gibt Vermeidung von Wohnungslosigkeit der ASA es für Personen mit Sucht- und/oder psy- (FaSt) durch aktives Zugehen in Form chischen Problemen weitere Nachsor- von angekündigten und unangekündig- geangebote, die über den überörtlichen ten Hausbesuchen, den Kontakt zu den Konnte das Mietverhältnis erhalten Kostenträger finanziert werden. betroffenen Haushalten herzustellen. werden, kann Nachsorge angebo- Hierdurch sollen diese schnellstmöglich ten werden, um dieses nachhaltig zu Der KMFV bündelt die Angebote zur an die FaSt im jeweiligen Sozialbür- sichern sowie die sozialen Verhältnisse Vermeidung von Wohnungslosigkeit gerhaus angebunden werden, damit der Haushalte zu verbessern und zu bzw. zum Erhalt von Wohnraum im dort geprüft werden kann ob und stabilisieren. Hier kann der Haushalt bis Stadtgebiet München hauptsächlich welche Maßnahmen zur Erhaltung des zu einem Jahr noch weiter begleitet und im Ambulanten Fachdienst Wohnen Wohnraums möglich und erforderlich unterstützt werden. München (AFWM). Hierzu gehören die sind. Weitere Aufgabe der ASA ist es, Aufsuchende SozialArbeit, die Präven- über die Kontaktherstellung zur FaSt tive Nachsorge sowie das Unterstützte hinaus, durch die persönliche Beratung, und Betreute Wohnen. die Unterstützung und Begleitung der 12 Arbeitsgebiete des KMFV
Unterstütztes Wohnen/ haben, eine Wohnung zu erhalten und – Lebenssituationen bereits bekannt sind. nach Abschluss eines Erprobungsjahres Das Aufkommen ungünstiger Verhal- Betreutes Wohnen mit sozialpädagogischer Unterstützung tensmuster (z. B. Briefe nicht zu öffnen, – den Mietvertrag im Anschluss zu Schwierigkeiten zu verleugnen) sollen Die Lebenssituation von Menschen, die übernehmen. hierdurch vermieden werden. über längere Zeit wohnungslos oder Neben den Angeboten des AFWM be- vielleicht auch inhaftiert waren oder Der Bereich Betreutes Wohnen richtet stehen in München in weiteren Einrich- akut ihre Wohnung verloren haben, ist sich an Menschen, bei denen eine tungen des KMFV in geringem Umfang häufig gekennzeichnet durch besondere Sucht- oder psychische Erkrankung im verschiedene Angebote des Unterstütz- soziale Schwierigkeiten (z. B. gesund- Vordergrund steht. Die sozialpädagogi- ten oder Betreuten Wohnens für einen heitliche Beeinträchtigungen, insbe- sche Betreuung ist zeitlich intensiver. jeweils speziellen Personenkreis. Die sondere Suchtproblematik, Arbeitslo- In den Bereichen Unterstütztes und Angebote außerhalb Münchens (z. B. in sigkeit, fehlende soziale Bindungen). Betreutes Wohnen finden regelmäßige Oberschleißheim oder Freising) sind an Erfahrungen, einen eigenen Haushalt zu Kontakte (Hausbesuche und Termine im die Dienste des KMFV vor Ort ange- führen, liegen häufig länger zurück oder Büro) mit dem Sozialdienst statt, gege- bunden. das Leben in der eigenen Wohnung ist benenfalls ergänzt durch Tätigkeiten von zuletzt missglückt. Hauswirtschaft und Haustechnik. Ziel ist Sabine Reiner-Pfeiler hier der dauerhafte Erhalt des eigenen In den Bereichen Unterstütztes und Wohnraums, die Anbindung im Wohn- Betreutes Wohnen gibt es zum einen umfeld und die Erschließung von Hilfen das Angebot von Wohngemeinschafts- vor Ort und somit idealerweise eine plätzen. Diese bieten eine gute Möglich- Ablösung aus der Wohnungslosenhilfe. keit als Zwischenschritt zwischen statio- närer oder auch ambulanter Einrichtung Nach Beendigung der zeitlich befris- und eigener Wohnung. Hier kann das teten Nachsorgemaßnahmen, besteht eigenständige Leben mit „doppeltem für die Klienten zur Absicherung das Boden“ erprobt werden. Regelmäßi- unbefristete Angebot, bei punktuellen ge Besuche des Sozialdienstes und Schwierigkeiten oder in Krisensitua- Termine im Büro bieten Unterstützung tionen Unterstützung durch die soge- im Umgang mit Behörden, bei Anträgen, nannte Präventive Kurzintervention bei Schwierigkeiten mit Mitbewohnern Wohnen zu erhalten. Dies gibt ehemals und bei der Gestaltung des alltäglichen wohnungslosen Menschen die Sicher- Lebens. Außerdem sollen hier die weite- heit, eine zuverlässige Anlaufstelle zu ren Schritte Richtung eigene Wohnung haben, in der sie und ihre individuellen eingeleitet werden (z. B. durch Stellung eines Sozialwohnungsantrages, gezielte Wohnungssuche, Einleitung von Schul- denregulierung, weitere Sicherstellung des Lebensunterhaltes). Ergänzende Hilfe durch die Haustechnik und die Hauswirtschaftskraft geben Unterstüt- zung bei Themen wie „Umgang mit der Mietsache“, „Reinigung & Pflege“, „Was kann und muss ich als Mieter selbst erledigen, bzw. was muss der Hausver- waltung gemeldet werden“. An Menschen, die aus einer Einrichtung, einer Wohngemeinschaft oder auch aus einem Clearinghaus wieder in eine eigene Wohnung ziehen, richtet sich das Angebot „Nachsorge in eigenem Wohnraum“ - je nach Bedarf in unter- schiedlicher Intensität und Dauer. In der Maßnahme „Probewohnen“ übernimmt zunächst der KMFV den Mietvertrag und ermöglicht so Klienten, für die sich bisher kaum Möglichkei- ten auf dem Wohnungsmarkt ergeben Jahresrückblick 2018 13
München: Wohnstadt mit Herz? Weltweit wird München mit dem Slogan haben. Dazu gehören Geringverdiener, Professorin für Städtebau und Regio- „Weltstadt mit Herz“ in Verbindung Alleinerziehende, Menschen mit Migra- nalplanung an der TU München, Sophie gebracht. Angesichts der Zahl von rund tionshintergrund, Rentner, kinderreiche Wolfrum, veranstaltet. Diskutiert wurde, 9.000 Menschen, darunter 1.700 Kin- Familien und Menschen, die mit gesund- was politisch und gesellschaftlich not- dern, die in München wohnungslos sind, heitlichen Problemen kämpfen oder sich wendig ist, damit München eine „Wohn- scheint dieses Aussage für viele Münch- in einer persönlichen Krise befinden. stadt mit Herz“ werden kann. nerinnen und Münchner nicht mehr zutreffend zu sein. Bedingt durch den Herzstück der Kampagne ist eine Die „Oper für Obdach“ bringt die extremen Zuzug in die Metropolregion Postkartenaktion mit prominenten Situation wohnungsloser Menschen München und den damit verbundenen, Unterstützern in die Öffentlichkeit massiven Wohnraummangel – in Verbin- dung mit extrem hohen Mieten – wird Im Rahmen der Kampagne wurden Zum Ende des Jahres rückte das Netz- die Lage auch für die gesellschaftliche zahlreiche Aktionen durchgeführt. werk schließlich im Rahmen der Kampag- Mitte, für Berufsgruppen, die für das Herzstück der Kampagne war eine Post- ne mit einer großen öffentlichkeitswirksa- Funktionieren der Gesellschaft essen- kartenaktion mit prominenten Unterstüt- men Aktion die Situation wohnungsloser tiell sind, immer dramatischer. Auch die zern, wie zum Beispiel Luise Kinseher, Menschen ins Zentrum der Aufmerksam- Zahl der geförderten Wohnungen, die Willy Astor, Claus von Wagner, Dieter keit. Auf einer Bühne im Zwischenge- die Stadt München vergeben kann, wird Hanitzsch, Gerhard Polt, Heinrich schoss des Münchner Hauptbahnhofes immer geringer. Wohnungslosigkeit ist in Bedford-Strohm und Uli Hoeneß. Die interpretierte Bariton Christoph von München in der Mitte der Gesellschaft Münchner Innenstadtwirte und die Weitzel im freitäglichen Berufsverkehr angekommen. Stadtsparkasse München haben bei der authentisch Schuberts Winterreise als Verteilung der Postkarten geholfen. Zu- „Oper für Obdach“. Abgerundet wurde Wohnungslosigkeit ist in München dem wurde die Kampagne mit Plakatak- die Veranstaltung mit der eindringlichen in der Mitte der Gesellschaft tionen, U-Bahn-Werbung und Werbung Darstellung der Lebensgeschichten angekommen. auf immoscout24 breitflächig beworben wohnungsloser Menschen durch Tinka sowie im Rahmen der Demonstration Kleffner und Silvia Angel. Um auf diese Situation aufmerksam zu #ausspekuliert vorgestellt. machen hat das Münchner Netzwerk Da sich die Situation auf dem Münch- Wohnungslosenhilfe, zu dem auch der Ein Fachforum diskutiert, wie ner Wohnungsmarkt absehbar nicht KMFV gehört, Anfang 2018 die Kam- München eine Wohnstadt mit Herz entspannen wird, wird das Netzwerk pagne „München: Wohnstadt mit Herz“ werden kann auch 2019 weiterhin mit seiner Kampa- ins Leben gerufen. Ziel der Kampag- gne präsent bleiben und auf politischer ne ist es an alle, die Wohnungen zu Neben der Postkartenaktion hat das sowie stadtgesellschaftlicher Ebene für vergeben haben, zu appellieren, an die Netzwerk im Sommer ein Fachforum die Notwendigkeit eines Bewusstseins- Menschen zu vermieten, die es auf dem mit dem ehemaligen Oberbürgermeis- wandels werben. Wohnungsmarkt besonders schwer ter Christian Ude und der emeritierten Ralf Horschmann 14 Arbeitsgebiete des KMFV
MÜNCHEN: WOHNSTADT MIT HERZ Jahresrückblick 2018 15
Wohnmöglichkeiten des KMFV: gestern und heute einem Ein-Zimmer-Appartement) an den erstraße angesiedelt, die insbesondere Sozialen Beratungsdienst in der Pilgers- akut wohnungslosen Haushalten, die heimer Straße übergeben. Zusätzlich erstmals von Wohnungslosigkeit betrof- wurden weitere Wohnungen unbefristet fen sind und bei denen eine Perspektive angemietet. Die Nachbetreuung erfolgte Richtung neuer Wohnung erarbeitet weiterhin über den Sozialdienst im Haus werden soll, einen Ausblick bieten. Ein an der Pilgersheimer Straße. weiterer wichtiger Schwerpunkt der Ambulanten Fachdienste ist die aufsu- Ausgangssituation Mitte der 70er Weitere Außenwohngruppen konnten im chende Sozialarbeit, die von Kündigung Jahre: Ein Bewohner im Haus an der Lauf der Jahre beispielsweise auch dem und Zwangsräumung bedrohten Bürgern Pilgersheimer Straße wendet sich an Adolf Mathes Haus, der Münchner Zen- helfen soll, ihren Wohnraum doch noch den dortigen Sozialdienst. Er gibt an, tralstelle für Straffälligenhilfe (MZS) und zu erhalten. dass er durch seine Alkoholabhängigkeit dem Haus an der Gabelsbergerstraße alles verloren habe – Arbeit, Familie, zugeordnet werden. Mit einer Anschub- Den vielfältigen Bedarfen Rechnung Wohnung. Er ist hochmotiviert, seine finanzierung für die sozialpädagogische tragend, hat der KMFV, neben den Situation zu verbessern und absolviert Nachbetreuung durch die Landeshaupt- Angeboten in Langzeiteinrichtungen und eine halbjährige Alkoholtherapie. Gegen stadt München, das Arbeitsamt und den einer Standardverbesserung in Einrich- Ende der Therapie meldet er sich wieder Lions Club, wurde 2001 im Haus an der tungen, wie beispielsweise dem Haus beim Sozialdienst und bittet um Un- Kyreinstraße das Modellprojekt „Wohn- an der Pistorinistraße und dem Haus an terstützung bei der Wohnungssuche. training“ angegliedert. der Kyreinstraße, mit der Schaffung von Mangels Alternativen kann dem Klienten Einzelzimmern mit Nasszellen, weitere nur ein Bett im 18-Mann-Schlafsaal in Insbesondere über die städtischen Angebote für längerfristiges Wohnen der Pilgersheimer Straße angeboten Wohnbaugesellschaften GWG und GE- geschaffen. werden. WOFAG konnten so im Lauf der Jahre insgesamt acht weitere Wohnungen Mit dem Ankauf des Nachbargebäudes Dieses Erlebnis war, unter anderem, für durch den KMFV angemietet werden. des Adolf-Mathes-Hauses können auch die damals handelnden Mitarbeitenden Den Bewohnern des Hauses an der dort zusätzliche Wohnmöglichkeiten und und die Geschäftsführung des KMFV Kyreinstraße, die von häufigen Absagen eine längerfristige Perspektive für die Anlass, nach strukturellen Verbesse- bei der Wohnungssuche zunehmend Betreuten angeboten werden. rungen zu suchen. Ein erster Schritt frustriert waren, konnte so eine glaub- war die Anmietung von Zwischennut- hafte Perspektive zum eigenständigen Da auf dem überhitzten Wohnungsmarkt zungswohnungen. Dabei handelte es Wohnen aufgezeigt werden. Dies nah- in München inzwischen auch Klienten, sich um Wohnungen in Häusern, die für men Klienten immer wieder zum Anlass, die sich in den Einrichtungen der Woh- den Abriss oder eine Generalsanierung an sich zu arbeiten und sich dauerhaft nungslosenhilfe stabilisiert haben, kaum teilweise leer standen und die bis zum zu stabilisieren. eine Chance auf eine Sozialwohnung Baubeginn für eine längere Zwischen- oder gar eine frei finanzierte Wohnung nutzung in Frage kamen. Mit Gründung der Ambulanten Fach- haben, versucht der KMFV weitere dienste Wohnen München, Freising Wohnmöglichkeiten und Angebote zu Als Mieter kamen Klienten in Frage, die und Unterschleißheim ab dem Jahr schaffen. sich nach Einschätzung der Sozialpäda- 2008 wurde der zunehmenden Ambu- gogen als ausreichend stabil für selb- lantisierung in der Wohnungslosenhilfe Dank eines großzügigen Zuschusses ständiges Wohnen erwiesen haben und Rechnung getragen. Dabei wurde das durch das Erzbischöfliche Ordinariat, die für eine Sozialwohnung vorgemerkt Projekt „Wohntraining“, das Haus an das u.a. auch zum Erwerb des Ge- waren. Die obligatorische Nachbetreu- der Steinstraße und die Wohnungen, die bäudes in der Hans-Sachs-Straße ung übernahmen die Sozialpädagogen darüber hinaus bis zu diesem Zeitpunkt beitrug, war es dem KMFV möglich, des Hauses an der Pilgersheimer Straße vom Sozialen Beratungsdienst, neben zum Jahreswechsel ein Appartement in zusätzlich zu ihrer üblichen Tätigkeit. der originären Tätigkeit betreut wurden, Untergiesing zu kaufen, das im Rahmen dem Ambulanten Fachdienst Wohnen des Betreuten Einzelwohnens im Haus Nachdem sich das Modell als erfolgreich München zugeordnet. an der Kyreinstraße einem dortigen erwiesen hatte, wurde im Jahr 1982 das Bewohner zu Gute kommen wird. Haus an der Steinstraße mit 28 Einzel- Dort sind auch die beiden Clearinghäu- zimmern, (verteilt auf 9 Wohnungen und ser an der Leipart- und an der Plingans- Manfred Baierlacher 16 Arbeitsgebiete des KMFV
Wohnen mit gesellschaftlichem Ertrag Quartiersentwicklung Mittenheim Wohneinheiten eine Miete angestrebt, welche sehr deutlich unter dem üblichen Marktpreis liegt. Es soll sich ein Quartier entwickeln, in dem Wohnungslosigkeit erst gar nicht entsteht. Mit dieser Mischung von Generationen und Wohnformen soll auf Dauer ein lebendiges Quartier gesichert werden. Gesellschaftlich ertragreich ist es auch, ein Quartier zu entwickeln, welches sowohl durch seine Architektur als auch durch ein professionelles Quartiersma- nagement Nachbarschaft, Eigeninitiative und soziales Engagement fördert. In der Wohnraum in und um München ist Studierende, Menschen mit Handi- Nachbarschaft zum Hans-Scherer-Haus knapp, sehr knapp. Noch knapper ist cap, Mitarbeitende des KMFV sowie und zum Haus St. Benno des KMFV das Angebot an bezahlbarem Wohn- regional ansässiger Betriebe zu Hause soll sich ein Quartier entwickeln, in dem raum. Vermutlich kennt jeder jemanden, und zugehörig fühlen. Ganz bewusst Wohnungslosigkeit erst gar nicht ent- der eine Wohnung in München sucht. setzt das Projekt dabei auf einen steht. Wohnen in Mittenheim soll eben Die Verknappung des Angebotes hat Wohnungstypenmix, welcher neben der nicht zum Luxusgut werden, sondern – dazu geführt, dass der Wohnungsmarkt klassischen 3-Zimmer-Wohnung auch in Tradition der beiden bereits bestehen- verrücktspielt. Die Immobilienpreise Clusterwohnformen für Auszubildende den Einrichtungen – das Miteinander der schießen weiterhin in die Höhe. Kaltmie- oder auch Senioren-WGs abbildet. Im Menschen in ihrem Sozialraum bewusst ten, die zu den teuersten im Bundes- Mietwohnungsbau, welcher ganz ein- und dauerhaft im Blick behalten. gebiet gehören, sind keine Ausnahme, deutig ein Schwerpunkt des Quartiers sondern die Regel. Grund und Boden sein wird, ist bei 50 % der rund 400 Stephan Heinle und Kathrin Bohnert werden zum Spekulationsobjekt, mit dem sich satte Gewinne erzielen lassen. Wohnen für alle ist ein zentrales Anliegen des Vereins Mit der „Quartiersentwicklung Mit- tenheim“ möchte der KMFV bewusst diesen Trend, welcher ausgrenzend und unsozial ist, nicht mitgehen. Wohnen für alle ist ein zentrales Anliegen des Ver- eins und somit auch oberste Prämisse für die Quartiersentwicklung. Entgegen dem oben genannten „Markttrend“ setzt das Projekt nicht auf eine maxi- male wirtschaftliche Rendite sondern auf einen maximalen gesellschaftlichen Ertrag. Was heißt das konkret? Es geht darum, bezahlbaren Wohnraum für vielfältige Zielgruppen zu schaffen. Im neuen Quartier sollen sich sowohl Familien, Senioren, Auszubildende, Jahresrückblick 2018 17
Das Wechselspiel zwischen Haft und Wohnungslosigkeit Haft und Wohnungslosigkeit stehen in wird. Bei einer Haftstrafe von über verfügen bereits über keine eigene komplexen und vielfältigen Wechselbe- sechs Monaten geht die Wohnung fast Wohnung mehr und wissen nicht, wo ziehungen zueinander. immer verloren. In einer Stadt mit einem sie nach der Haft wohnen bzw. schlafen so angespannten Wohnungsmarkt wie sollen. Gerade bei längeren Haftzeiten Zum einen erhöht eine prekäre Wohn- München, droht den Klienten meist eine kommt es zudem zu Beziehungsbrü- situation – wenn ein Klient in einer für längere Zeit anhaltende Wohnungs- chen, die z. B. eine Rückkehr in die Notunterkunft oder auf der Straße lebt – losigkeit. Familienwohnung unmöglich machen. das Risiko, auch bei kleineren Strafta- Im Rahmen der Beratung ist somit das ten in Untersuchungshaft genommen Um Inhaftierungen, wann immer Thema Wohnperspektive nach der Haft zu werden. Häufig wird dann davon möglich, zu vermeiden, unterstützt die zentral. Dabei geht es immer darum, ausgegangen, dass ohne einen festen Münchner Zentralstelle für Straffälligen- individuell abzuklären, über welche Res- Wohnsitz die Fluchtgefahr zu groß ist, hilfe ihre Klienten bei alternativen Sank- sourcen der Klient verfügt und welche um die Person bis zur Verhandlung in tionsformen. Neben der Vermittlung in Angebote für ihn in Frage kommen. Freiheit zu belassen. gemeinnützige Arbeit können die Mit- arbeitenden seit September 2018 auch Klienten können schon vor der Inhaftierung bedeutet oft den Verlust auf das Instrument der Geldverwaltung bevorstehenden Entlassung auf der Wohnung. zurückgreifen, um bei Klienten, die zu die Wohnungsvergabeplattform einer Geldstrafe verurteilt wurden, eine SOWON zugreifen, um sich auf Zum anderen bedeutet eine Inhaftierung Umwandlung in eine Ersatzfreiheitsstra- Wohnungen zu bewerben. oft den Verlust der Wohnung. Zwar gibt fe zu erwirken und somit eine Inhaftie- es grundsätzlich die Möglichkeit der rung zu vermeiden. Ein wichtiges Instrument ist in den Mietkostenübernahme während der meisten Fällen der Sozialwohnungsan- Haft durch das Amt für soziale Siche- Um Inhaftierungen, wann immer trag. Durch eine enge Kooperation mit rung, jedoch besteht auf diese Leistung möglich, zu vermeiden, unterstützt dem Amt für Wohnen und Migration kein gesetzlicher Anspruch. Wird die die Münchner Zentralstelle für der Landeshauptstadt München und Kostenübernahme überhaupt bewilligt, Straffälligenhilfe ihre Klienten bei dem bayerischen Staatsministerium geschieht dies in der Regel bis maximal alternativen Sanktionsformen. der Justiz konnte erreicht werden, dass sechs Monate. Die Praxis zeigt zudem, alle Klienten in Bayern, die über einen dass es immer wieder Leistungssach- Viele der inhaftierten Klienten, die sich gültigen Sozialwohnungsbescheid der bearbeiter gibt, die keine besonderen in den Justizvollzugsanstalten München, Landeshauptstadt verfügen und deren sozialen Gründe zum Wohnungserhalt Bernau und Landsberg am Lech an die Entlassung in den nächsten Monaten anerkennen und somit die Miete auch Mitarbeitenden der Münchner Zent- bevorsteht, in ihrer Justizvollzugsanstalt für wenige Monate nicht übernommen ralstelle für Straffälligenhilfe wenden, auf die Wohnungsvergabeplattform 18 Arbeitsgebiete des KMFV
Trotz der verbesserten Rahmenbedin- Struktur einer betreuten Einrichtung der Haft erfolgreich eine Therapie ab- gungen zeigt sich aber in der Realität, anzupassen. Sie möchten endlich „frei solviert und brauchen zur Stabilisierung dass fast alle Klienten erst lange Zeit sein“ und keine fremden Regeln (wie z. B. ein soziales Umfeld in dem Straffälligkeit nach der Entlassung eine Taschengeld- oder Besuchsregelungen) nicht den Alltag bestimmt. Sozialwohnung erhalten. mehr befolgen. Die Herausforderungen des Lebens in Freiheit werden jedoch Insbesondere bei Gewalt- und SOWON zugreifen können, um sich häufig unterschätzt und so ist eine Sexualstraftätern ist es oft schwierig, schon während der Haft auf Wohnun- flexible soziale Betreuung gerade in der eine Einrichtung zu finden. gen zu bewerben. Außerdem wurde ersten Zeit nach der Entlassung meist den besonderen Herausforderungen im sinnvoll. Zuletzt ist bei einer Aufnahme in eine Vollzug Rechnung getragen und die Be- betreute Einrichtung der nahtlose Einzug arbeitungszeit für Anträge aus der Haft Hinzu kommt, dass viele Klienten sehr wichtig. Aufgrund des hohen deutlich verkürzt. Trotz der verbesser- aufgrund ihrer Straftaten oder einer Bedarfs an Wohnplätzen haben die ten Rahmenbedingungen zeigt sich aber vorliegenden Suchterkrankung in den Einrichtungen jedoch in der Regel lange in der Realität, dass fast alle Klienten Einrichtungen der Wohnungslosenhil- Wartelisten. Ein direkter Einzug zum erst lange Zeit nach der Entlassung eine fe nicht oder nur in geringem Umfang Zeitpunkt der Entlassung ist daher leider Sozialwohnung erhalten. aufgenommen werden. Insbesondere selten. Die dann notwendige Unterbrin- bei Gewalt- und Sexualstraftätern ist es gung im Notunterbringungssystem setzt Durch die Zusage eines Wohn- oft schwierig, eine Einrichtung zu finden. die durch die Arbeit in Haft erreichte platzes in einer betreuten Einrich- Dies ist aus verschiedenen Gründen Stabilisierung aufs Spiel und erschwert tung verringert sich die Fluchtgefahr besonders problematisch. Zum einen die weitere Wiedereingliederung der und die für das Gericht wichtige brauchen oft gerade diese Klienten eine Klienten. In einer solchen Stresssituati- Sozialprognose verbessert sich. besondere soziale Unterstützung, da sie on greifen die Klienten häufig wieder auf nach der langen Haftstrafe nur noch über ihre alten Handlungs- und ggf. Sucht- Um eine an die Haft anschließende Ob- wenige Ressourcen verfügen. Sie hatten muster zurück und so gelingt es häufig dachlosigkeit zu vermeiden, arbeiten die meist vor der Haft ein geregeltes Leben nicht, die Wartezeit auf einen Wohnplatz Mitarbeitenden der Münchner Zentral- und sind mit den Anforderungen, die zu überbrücken. Aus diesem Grund ist stelle für Straffälligenhilfe ebenfalls eng die Obdachlosigkeit oder Unterbringung es besonders wichtig, dass Einrichtun- mit den verschiedenen Einrichtungen in einer Notunterkunft mit sich bringt, gen Überbrückungsplätze anbieten, um der Wohnungslosenhilfe zusammen. Einige Einrichtungen führen dabei Vor- stellungsgespräche bereits während der Untersuchungshaft. Dies ist besonders wertvoll, da durch die Vorlage einer Platzzusage die Fortführung der Unter- suchungshaft oder eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe vermieden werden können. Denn durch die Zusage eines Wohnplatzes in einer betreuten Einrich- tung verringert sich die Fluchtgefahr und die für das Gericht wichtige Sozialprog- nose verbessert sich. Neben diesem positiven Nebeneffekt geben die betreuenden Einrichtungen den aus der Haft entlassenen Bewoh- nern einen wichtigen Schutzraum nach der Haft und Halt in der neu gewonne- nen Freiheit mit all ihren Anforderungen überfordert. Dies kann, neben den Pro- haftentlassene Klienten zeitnah aufneh- und Zwängen. blemen für die betroffene Person, auch men zu können. eine erneute Gefahr für die Gesellschaft Eine flexible soziale Betreuung ist darstellen, wenn der Klient aufgrund der Ein direkter Einzug zum Zeitpunkt gerade in der ersten Zeit nach der Überforderung zum Beispiel wieder zur der Entlassung ist leider selten. Entlassung meist sinnvoll. Flasche greift und die in der Therapie erlernten Hemmschwellen fallen. Zum Aus diesen genannten Gründen er- Jedoch zeigt die Praxis, dass es oft anderen ist es für diese Klienten von scheint es uns wichtig, auch immer die schwierig ist, eine passende Einrichtung Vorteil, in einer „normalen“ Umgebung straffälligen Klienten und ihre besonde- zu finden. Gerade nach langer Haft zu leben und nicht in einer Einrichtung ren Bedürfnisse im Blick zu haben. und langem Freiheitsentzug sind viele mit vielen anderen Sexual- oder Ge- Klienten nicht bereit, sich der starren waltstraftätern. Viele Klienten haben in Nicole Lehnert und Dr. Emily Trombik Jahresrückblick 2018 19
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