The Power of Dance - unipub UB Graz
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The Power of Dance Aktuelle und mögliche zukünftige Anwendungsbereiche von Tanz als Therapiemethode Masterarbeit zur Erlangung des akademischen Grades Master of Science an der Karl-Franzens-Universität Graz vorgelegt von Sandria STORNIG B.Sc. am Institut für Bewegungswissenschaften, Sport und Gesundheit Begutachterin: Van Poppel, Mireille Nicoline Maria, Univ.-Prof. PhD Graz, 2021
“Movement never lies. It is a barometer telling the state of the soul’s weather to all who can read it.” Martha Graham
Abstract Literature provides numerous studies on the positive effects of dance on the healthy human body, and although dance is already used in relation to various health issues, there are still few studies on its applications in a therapeutic context. This thesis aims to provide an overview of selected current and possible future areas of application for dance as a therapeutic method and promotes an understanding of the relevance of dance in our society. Furthermore, an insight into possible future areas of application is given and provides a base for further research projects in this field. The master’s thesis examines the question whether the positive effects of dance can be used for selected health-related issues in a therapeutic context. This question was answered by means of a literature search. Evidence suggests that dance can have positive effects for people suffering from de- pression, eating disorders, addiction, dementia and Parkinson's disease. Furthermore, the benefits of dance have been demonstrated in individuals with menstrual disorders or endometriosis, mothers-to-be, individuals with autism, individuals with chronic pain, as well as stroke and cancer patients. The results of this thesis show that dance has great potential to be used as a thera- peutic method for a variety of health-related issues. However, future research projects are needed to establish guidelines for the therapeutic use of dance.
Inhaltsverzeichnis Einleitung ............................................................................................................................. 1 1. Weshalb tanzen Menschen? .................................................................................... 3 2. Besonderheiten des Tanzes..................................................................................... 7 2.1. Musik und Rhythmus .................................................................................................. 7 2.2. Imitation und Synchronisation ..................................................................................... 9 2.3. Kunst und Ästhetik .....................................................................................................11 2.4. Improvisation und Flow ..............................................................................................12 3. Terminologie und Vergleich der Methoden ............................................................15 3.1. Tanz- und Bewegungstherapie ..................................................................................15 3.2. Allgemeine Tanzinterventionen und Tanztraining.......................................................17 4. Depression ...............................................................................................................19 4.1. Tanz bei Depression ..................................................................................................21 5. Essstörungen ...........................................................................................................24 5.1. Tanz bei Essstörungen ..............................................................................................25 6. Suchterkrankungen .................................................................................................27 6.1. Tanz bei Suchterkrankungen .....................................................................................29 7. Demenz .....................................................................................................................30 7.1. Tanz bei Demenz.......................................................................................................32 8. Parkinson .................................................................................................................34 8.1. Tanz bei Parkinson ....................................................................................................35 9. Neue Anwendungs- und Forschungsbereiche ......................................................37 9.1. Geburt .......................................................................................................................37 9.2. Chronische Schmerzen..............................................................................................38 9.3. Prämenstruelles Syndrom, Dysmenorrhoe und Endometriose ...................................40 9.4. Schlaganfall ...............................................................................................................42 9.5. Autismus-Spektrum-Störungen ..................................................................................43 9.6. Krebserkrankungen ...................................................................................................45 10. Diskussion ...............................................................................................................46 11. Fazit ..........................................................................................................................54 Literatur...............................................................................................................................56
Einleitung “I believe that dance has the power to heal, mentally and physically”. Diese Worte stammen von Ted Shawn, dem ersten amerikanischen Mann, der im Tanz einen Welt- ruf erlangen konnte. 1910 erkrankte der damals 19-jährige an Diphtherie, wodurch er nach überstandener Erkrankung für einige Zeit mit Lähmungserscheinungen zu kämp- fen hatte. Sein Arzt empfahl ihm damals das Tanzen als eine Form von Physiotherapie und brachte somit den Stein ins Rollen. Die Auseinandersetzung mit dem Tanz half Shawn dabei, seine Beschwerden zu verbessern. Aber nicht nur das: Er fand sein Talent und eine Passion, welche die gesamte Tanzwelt in Zukunft beeinflussen sollte (Jacob’s Pillow Dance, 2021). Auch vor Ted Shawn’s Zeit, wurden Tanz und Musik schon als Tools für Heilung und Gesundheit eingesetzt. Die darstellenden Künste waren, aus einer geschichtlichen Perspektive betrachtet, nicht nur wichtig für erkrankte Menschen, sondern lieferten auch einen bedeutenden Beitrag für die Aufrechterhaltung von Gesundheit, das Wohl- befinden sowie für die Lösung sozialer Herausforderungen. Die Stärke der Verbindung zwischen darstellender Kunst und Gesundheit hat im Laufe der Moderne abgenom- men, jedoch gibt es vor allem in westlichen Gesellschaften wieder ein wachsendes Interesse daran, die darstellenden Künste als Alternative zu biomedizinischen Ge- sundheitspraktiken einzusetzen (Sheppart & Broughton, 2020). Die vorliegende Masterarbeit beschäftigt sich mit „The Power of Dance“ und aktuellen sowie eventuellen zukünftigen Anwendungsbereichen von Tanz als Therapiemethode. Ziel der Arbeit ist es, einen Überblick über ausgewählte aktuelle und mögliche zukünf- tige Einsatzbereiche von Tanz im Gesundheitsbereich zu schaffen. Des Weiteren ist auch die Bildung des Verständnisses für die Relevanz von Tanz in unserer Gesell- schaft ein übergeordnetes Ziel der Arbeit. Während anderen und populären Bewe- gungsformen wie beispielsweise Yoga immer mehr Aufmerksamkeit in Bezug auf the- rapeutische Anwendungen geschenkt wird, hört man über künstlerische Ansätze durch Tanz und Musik hingegen sehr wenig. Die Relevanz dieser Arbeit besteht darin, dass die Zusammenfassung der Erkenntnisse einen breiten Überblick über die Thematik schafft und eine Grundlage für zukünftige Forschungsprojekte bieten kann. Vor allem der Input im Bereich der eventuellen zukünftigen Anwendungsbereiche von Tanz, könnte mithilfe von weiteren Projekten in der Zukunft wichtige Forschungslücken fül- len. 1
Diese Masterarbeit beschäftigt sich aus diesem Grund mit der Frage, ob die positiven Auswirkungen von Tanz in einem therapeutischen Kontext bei ausgewählten gesund- heitsbezogenen Problemdarstellungen eingesetzt werden können. Zu Beginn der Re- cherche wurde die Hypothese aufgestellt, dass Tanz das Potential dazu hat, als The- rapiemethode in unterschiedlichsten gesundheitsrelevanten Problemdarstellungen eingesetzt zu werden. Die ersten Kapitel geben einen kurzen Einblick in verschiedenste Evolutionstheorien des Tanzes und stellen die Besonderheiten von Tanz, verglichen mit anderen Bewe- gungsformen und Sport, dar. Weshalb tanzen Menschen überhaupt? Was macht Tanz so besonders? Diese und weitere Fragestellungen werden in den Kapiteln eins und zwei thematisiert. „Tanz- und Bewegungstherapie“ und allgemeine Tanzinterventionen und Tanztraining basieren grundsätzlich auf zwei unterschiedlichen Ansätzen, über- schneiden sich jedoch in einigen Bereichen. Aus diesem Grund wird im Kapitel drei auch kurz die Differenzierung und Terminologie der beiden verwendeten Methoden behandelt. Der Hauptteil der Arbeit gibt Aufschluss über ausgewählte Anwendungsbe- reiche der klassischen Tanz- und Bewegungstherapie als Psychotherapie sowie auch über den Einsatz von Tanzinterventionen und Tanztraining ohne psychotherapeuti- schen Hintergrund. Den Bereichen der Tanzwissenschaft und Tanztherapie wurde in den letzten Jahren immer mehr Aufmerksamkeit geschenkt und aktuell werden Studien und Untersuchun- gen zu unterschiedlichsten gesundheitsbezogenen Problemdarstellungen durchge- führt. Da die Auflistung aller möglichen Anwendungsgebiete von Tanz den Rahmen dieser Masterarbeit sprengen würde, liegt der Fokus auf den ausgewählten Themen- bereichen Depression, Essstörungen, Suchterkrankungen, Demenz und Parkinson. Im Kapitel neun werden zusätzlich ein paar der neuesten und auch eventuelle zukünftige Anwendungs- und Forschungsbereiche von Tanz, wie beispielsweise Geburten, chro- nische Schmerzen und Schlaganfälle, kurz dargestellt. Am Ende der Arbeit werden die Ergebnisse der Analyse diskutiert und Schwächen und Lücken des aktuellen For- schungsstandes aufgezeigt. Die Arbeit wurde mittels Literaturrecherche verfasst und fokussiert sich unter anderem auf Studien der Sport- und Bewegungswissenschaften, Neuro- und Tanzwissenschaf- ten. 2
1. Weshalb tanzen Menschen? „Timing ist alles“. Egal ob beim Gehen, Laufen oder Sprechen, wir Menschen halten uns an Rhythmen, welche es uns ermöglichen, Bewegungen in einer bestimmten zeit- lichen Abfolge ausführen zu können. Auch unsere Vorfahren haben schon im Rhyth- mus mit ihren Händen gehämmert, um beispielsweise Nüsse effizient zu knacken oder um Knochen aufzubrechen. Damit wir uns flüssig und effizient bewegen können, ist ein rhythmisches Zusammenspiel aus mentalen und körperlichen Faktoren notwendig, um die rhythmische Koordination von beispielsweise Muskelgruppen erhalten zu kön- nen. Die Wichtigkeit dieser Fähigkeit wird uns Menschen oft erst bewusst, wenn sie durch kognitive Einschränkungen verloren geht oder wenn Menschen schon von Ge- burt an mit mentalen Einschränkungen leben, welche es ihnen erschweren, Bewegun- gen flüssig ausführen zu können. Wenn dieser interne Rhythmus-Mechanismus fehlt oder gestört ist, kann die Kompensation durch einen externen Rhythmus das Gangbild und andere Bewegungsmuster oft verbessern (Mithen, 2005). Menschliche Körper passen sich aber nicht nur an interne und externe Rhythmen an, sondern besitzen auch die Fähigkeit der non-verbalen Kommunikation. Mehr als 65% unserer Kommunikation passiert über Körpersprache. Auf diese Weise senden und empfangen wir oft unbewusst Signale, welche dazu führen können, dass wir Menschen nach ihren Körperhaltungen und -bewegungen, anstatt ihrer Worte beurteilen. Körper- licher Ausdruck kann auch vorgetäuscht werden: Das Erlernen von Körpersprache und deren Anwendung ist eine der Hauptaufgaben von Schauspielerinnen und Schauspie- lern. Doch auch Politiker*innen versuchen sich oft an der Anwendung von manipulati- ven Gesten und Körperhaltungen, um ihre Wähler*innen beeinflussen zu können (Mit- hen, 2005). Aus der Körpersprache und Gestik könnte sich der Tanz als Vektor für die Übermittlung sozialer Informationen entwickelt haben. Er könnte ursprünglich dazu ge- dient haben, eher affektive und emotionale Zustände als semantische Informationen zu übermitteln, und zwar auf eine Weise, die implizit verstanden werden kann (Fink et al., 2021). Rhythmus und Körpersprache sind also Teil unseres Alltags. Doch ab wann werden ausdrucksstarke und rhythmische Körperbewegungen als Tanz bezeichnet? Es ist schwierig, eine konkrete Definition für Tanz zu finden, da das Tanzen für Men- schen in ganz unterschiedlichen kulturellen Kontexten eine Vielzahl von Zwecken er- füllt. Weltweit ist der Tanz traditionell fester Bestandteil von religiösen Ritualen und 3
kulturellen Zusammenkünften. Dies zeigt sich in unterschiedlichen Kontexten wie den schamanischen Tänzen der Salpuri in Korea, dem Sonnentanz der amerikanischen Prärie-Indianer und sogar in den ekstatischen Tänzen der dionysischen Kulte im alten Griechenland. Frühere Definitionen von Tanz haben sich auf anthropologische und soziologische Perspektiven konzentriert. Die Tanzanthropologin Joann Kealiinoho- moku definiert Tanz als "eine Ausdrucksform, die in einer bestimmten Form und einem bestimmten Stil, durch den sich im Raum bewegenden menschlichen Körper ausge- führt wird". Des Weiteren spricht sie davon, dass "Tanz durch absichtlich ausgewählte und kontrollierte rhythmische Bewegungen entsteht. Das daraus resultierende Phäno- men wird sowohl von den ausführenden, als auch von den beobachtenden Personen einer bestimmten Gruppe als Tanz erkannt". Frühere wissenschaftliche Arbeiten ha- ben mehrere neuronale und biologische verhaltensbezogene Funktionen des Tanzes vorgeschlagen, darunter der Aufmerksamkeitsfokus und -fluss, grundlegende emotio- nale Erfahrungen, Kommunikation und sozialer Zusammenhalt (Basso et al., 2021). Basso et al. (2021) haben eine neue Definition für den Tanz entwickelt: Tanz umfasst ein unbegrenztes Spektrum von Bewegungsmustern, welche spontan oder absichtlich zum Zweck von Ritualen, Darbietungen oder sozialen Interaktionen ausgeführt wer- den und ein vielfältiges Netzwerk von Gehirnregionen ansprechen, die neuroverhal- tensbezogene Prozesse in sieben verschiedenen Bereichen unterstützen (sensorisch, motorisch, kognitiv, sozial, emotional, rhythmisch, kreativ). Hier steht die „Synchroni- zitätshypothese“ des Tanzes im Mittelpunkt. Wir Menschen tanzen, motiviert von intrin- sischer Belohnung, um sowohl die eigene innere, als auch die Gehirnsynchronität zwi- schen Individuen zu fördern (Basso et al., 2021). Charles Darwin, Radcliffe Brown und Evans Pritchards hingegen waren der Meinung, dass der Tanz ein Tool zur Partnerfindung ist, welches die Chancen auf reproduktiven Erfolg erhöht. Diese Annahme basiert jedoch auf der Schlussfolgerung, dass der tieri- sche Tanz, welcher bei manchen Tieren Teil des Paarungsprozesses ist, ähnlich dem menschlichen wäre. Die Spekulation führte unter anderem auch dazu, dass das Tan- zen in einigen Kulturen verboten wurde. In Japan und Afghanistan wurden diese Ver- bote sogar erst vor Kurzem aufgelöst. Die Vertreter dieser Theorie äußerten sich aber nicht dazu, dass auch Babys, Kleinkinder, Kinder und Jugendliche in der Vorpubertät häufig und spontan tanzen (Christensen et al., 2017). 4
Obwohl es unglaublich viele Interpretationen in Bezug auf Tanzqualität gibt (wie „gut“ oder „attraktiv“ Tänzer*innen wahrgenommen werden), besitzen alle Menschen die Fähigkeit zu tanzen. Diese Fähigkeit ist, wie bereits erwähnt, schon vor der Ge- schlechtsreife präsent und egal ob allein oder in der Gruppe, mit oder ohne Tanztrai- ning: Jeder Mensch kann Tanzen (Fink et al., 2021). Tänzerische Bewegungen können aber auch Informationen über die Partner*innen- qualitäten preisgeben. Die individuelle Art sich tänzerisch zu bewegen kann auf andere Personen anziehend wirken, jedoch sollte diese Erkenntnis nicht so interpretiert wer- den, dass Tanz als Funktion zur Partner*innenfindung gesehen werden kann. Die An- ziehung durch Tanzbewegungen ist unter anderem abhängig davon, welche Art von Tanz ausgeführt wird und auch das kulturelle Umfeld und individuelle Faktoren spielen eine große Rolle. Fink et al. (2012) kamen in einer Studie zum Ergebnis, dass Männer die Tanzbewegungen von Frauen während ihren fruchtbaren Tagen attraktiver wahr- genommen haben als die Bewegungen während der nicht-fruchtbaren Phase der tan- zenden Frauen (Fink et al., 2021). Doch was hat es mit dem Vergleich von menschlichem und tierischem Tanz nun auf sich? Dieser Vergleich wurde von Charles Darwin, Radcliffe Brown und Evans Pritchards hauptsächlich mit tierischen Paarungstänzen, wie beispielsweise jener von Vögeln ge- macht (Christensen et al., 2017). Die Vermutungen deuten darauf hin, dass das Tan- zen eine evolutionäre Funktion mit sich bringt. Der Vergleich zwischen menschlichem und tierischem Tanz ist verlockend, wenn man sich auf die Suche nach den Ursprün- gen des Tanzes macht. Analoge Merkmale sollten jedoch immer von homologen un- terschieden werden, wenn es um den Ursprung des Merkmals geht, da nur homologe Eigenschaften Informationen über gemeinsame Vorfahren oder Vererbung geben kön- nen. Hier lässt sich also sagen: Die Untersuchung des Ursprungs von tanz(-ähnlichem) Verhalten bei verschiedenen Spezies ist nicht eindeutig, insbesondere in Bezug auf die Terminologie (Fink et al., 2021). Die Fähigkeit, sich rhythmisch synchron zur Musik zu bewegen, wird bei anderen Arten nur sehr selten beobachtet. Die bekannteste Erklärung dafür ist die Hypothese des "stimmlichen Lernens und der rhythmischen Synchronisation". Sie besagt, dass das Bewegen im Takt der Musik auf den neuronalen Schaltkreisen für komplexes stimmli- ches Lernen beruht, eine Fähigkeit, die eine enge Verbindung zwischen den auditiven 5
und motorischen Schaltkreisen im Gehirn erfordert. Diese Hypothese besagt, dass nur Arten, die zur Stimmimitation fähig sind - wie Menschen, Papageien, Singvögel, Wale und Delfine - in der Lage sind, ihre Bewegungen mit Musik zu synchronisieren (Laland et al., 2016). Wie sieht es eigentlich mit unseren Genen aus, haben Menschen ein „Tanzgen“? Bachner-Melman et al. (2005) vermuteten, dass zwei polymorphe Gene zur künstleri- schen Kreativität beitragen: Der Arginin-Vasopressin-1a-Rezeptor (AVPR1a) und der Serotonin-Transporter (SLC6A4). Serotonin spielt eine Rolle bei menschlichen spiritu- ellen Erfahrungen (Borg et al.,2003). Aus diesem Grund argumentierten Bachner-Mel- man et al. (2005), dass SLC64A mit dem Tanzen in Verbindung stehen könnte, da Spiritualität und/oder veränderte Bewusstseinszustände häufig beim Tanzen zu be- obachten sind. Darüber hinaus könnte die Epistase der beiden Gene eine Rolle bei der Verstärkung der kommunikativen Funktion des Tanzes spielen, da solche Effekte bei der hypothalamischen Kontrolle des kommunikativen Verhaltens auftreten (Albers et al.,2002). Die Kombination der beiden polymorphen Gene ist bei Tänzerinnen und Tänzern überrepräsentiert und könnte daher in Verbindung mit dem kreativen Tanzen stehen. Zusammen sind die beiden Gene wahrscheinlich eher an den emotionalen Merkmalen des Tanzes als an der sensomotorischen Integration beteiligt (Bachner- Melman et al., 2005). Ein alternativer Ansatz zur Untersuchung der Genetik des Tanzes besteht in der Er- kenntnis, dass Tanz, Musik und Sprache in menschlichen Gehirnen auf sich über- schneidenden audio-motorischen Netzwerken beruhen. Daher könnten aus neueren Arbeiten über Musik und Sprache Rückschlüsse auf die Neurogenetik des menschli- chen Tanzes gezogen werden (Fink et al., 2021). Christensen et al. (2017) sind der Meinung, dass neuronale und behavioristische Ef- fekte mit der „Funktion“ von Tanz zusammenhängen. Laland et al. (2016) hingegen sprechen von der „Imitation and Sequencing“ Hypothese, bei welcher Tanz lediglich als zufälliges Nebenprodukt von Anpassungen zu sehen ist, welche die stimmliche oder motorische Imitation unterstützen. Eine weitere Hypothese ist die „Timing and Interaction“ Hypothese von Ravignani und Cook (2016), die darauf hinweist, dass Tanz auf weitgehend konservierten Timing-Mechanismen aufgebaut ist, die sowohl koope- rative, als auch antagonistische soziale Koordination ermöglichen (Laland et al., 2016). Tarr et al. (2016) vermuten, dass es sich bei der evolutionären Funktion des Tanzes 6
um die soziale Bindung von tanzenden Menschen handelt, da sie einen Zusammen- hang zwischen synchronisierten Bewegungen und sozialer Bindung feststellen konn- ten. Die ersten Dokumentationen von Tanz liegen über 10 000 Jahre zurück und inkludie- ren unter anderem Höhlenzeichnungen in Bulgarien (Magura Cave) sowie auch Male- reien auf den Bhimbetka Felsen in Indien. Doch bis heute ist es, trotz dieser vielen Annahmen und Hypothesen, nicht möglich eine eindeutige Antwort auf die zentrale Frage zu finden, weshalb wir Menschen eigentlich tanzen (Basso et al., 2021). 2. Besonderheiten des Tanzes Tanzen führt zu einer Ausschüttung von Endorphinen und Opioiden, verbessert die Immunreaktivität sowie die Koordination und kardiovaskuläre Gesundheit. Außerdem werden das psychobiologische Lernen und sozio-emotionale Bewältigungsstrategien gefördert. Das Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl werden gestärkt und mithilfe von Tanz können sogar Aggressionen abgebaut werden. Das Tanzen erfordert außer- dem nicht viel Aufwand oder Ausrüstung und kann von Personen jeden Alters ausge- führt werden (Christensen et al., 2017). Doch was genau macht Tanzen noch so be- sonders? Was „kann“ Tanz, was andere Bewegungsformen nicht „können“? 2.1. Musik und Rhythmus Rhythmus ist ein natürlicher Bestandteil unserer menschlichen Physiologie. Wir sind neurologisch so aufgebaut, dass wir verschiedene Rhythmen erzeugen, verarbeiten und auf sie reagieren können. Dabei kann es sich um interne Rhythmen, wie unseren zirkadianen Rhythmus handeln, der durch externe Signale wie den Hell-Dunkel-Zyklus gesteuert wird, oder um externe Rhythmen, wie beispielsweise den Rhythmus auditi- ver Reize wie Musik (Morris et al., 2021). Eine Besonderheit, welche das Tanzen also mit sich bringt, ist die Bewegung im Rhyth- mus oder zu Musik. Diese kann sogar dann spontane Bewegungen auslösen, wenn Menschen versuchen, eigentlich still stehenzubleiben (Zelechowska et al., 2020). Mu- sik hat eine positive Wirkung auf Schmerzen, Schlafstörungen, Lernen, Gedächtnis, IQ, Depression, Angststörungen und Erkrankungen wie beispielsweise Schizophrenie und Autismus (Hosseini & Hosseini, 2018). Sie beeinflusst außerdem auch, „wie“ wir tanzen. Bernardi et al. (2017) haben spontane und improvisierte Bewegungen zu Mu- sik untersucht und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass sich die Emotionen der 7
Musik in den instinktiven Bewegungen der Menschen widerspiegeln. Wenn die Teil- nehmerinnen und Teilnehmer ihrer Studie zu fröhlicher Musik tanzten, machten sie größere Bewegungen verglichen mit trauriger Musik. Die emotionale Reaktion des Menschen auf Musik ist beeinflusst durch die zeitgleiche Ausführung von Körperbewe- gungen. Das Tanzen zu „groovy“ Musik führte aus diesem Grund auch zu einem stär- keren Gefühl von Lust und Freude, verglichen mit dem Hören der Musik ohne zeitglei- che Bewegung. Dieser Effekt war bei Menschen mit und ohne Tanzerfahrung zu sehen (Bernardi et al., 2017). Tanz bietet die Möglichkeit, verschiedenste Sinne miteinzube- ziehen und verbindet Bewegung zu Musik mit Selbstausdruck, weshalb der Tanz als Aktivität gesehen wird, die sich an verschiedenste Facetten der Persönlichkeit richtet (Schwender et al., 2018). Die Verwendung von Musik als „Cue“ für Bewegung ist ein großer Bestandteil von Tanz. Um Bewegung an einen auditiven Stimulus anzupassen, sind mehrere kognitive Vorgänge nötig, wie beispielsweise das Erkennen und Vorhersagen von Periodizität und Tempo. Für diesen Prozess werden während dem Musikhören der prämotorische Cortex, die Basalganglien, das Cerebellum (verantwortlich für Koordination und Timing von Bewegung) und weitere motorische Bereiche aktiviert. Die Aktivierung dieser Ge- hirnareale konnte außerdem auch bei Menschen beobachtet werden, welche sich die Musik nur per Imagination vorstellten (Schaefer et al., 2014). Musik stimuliert unser Belohnungszentrum im Gehirn - das sind Bereiche wie bei- spielsweise der orbitofrontale Cortex, welcher sich direkt über unseren Augenhöhlen befindet, sowie auch das Stratium, der oberste Teil der bereits erwähnten Basalgang- lien. Je mehr uns die Musik gefällt, umso mehr Aktivierung kann auch in diesen Ge- hirnbereichen beim Hören festgestellt werden (Scientific American, 2018). Zelechowska et al. haben sich im Jahr 2020 mit der Frage beschäftigt, ob es denn eigentlich einen Unterschied macht, auf welche Art und Weise wir die Musik aufneh- men und ob das Musikhören mit Kopfhörern zu mehr spontanen und instinktiven Be- wegungen führt, als das Abspielen von Musik über herkömmliche Lautsprecherboxen. Und das tat es - die Teilnehmerinnen und Teilnehmer seiner Studie bewegten sich beim Hören mit Kopfhörern mehr, verglichen mit spontanen Tanzbewegungen zur Mu- sik der Lautsprecherbox (Zelechowska et al., 2020). Es haben jedoch nicht nur die übermittelten Emotionen der Musik oder die Art des Anhörens eine Auswirkung auf Tanz und Bewegung. Auch zwischen Geschwindigkeit, 8
Lautstärke, unterschiedlichsten Musikrichtungen, Bassstärke und Tanz gib es Zusam- menhänge. Ein Beispiel hierfür wäre die Illusion, dass eine Tanzgruppe, welche dyna- mische und synchronisierte Bewegungen zu Musik ausführt, die Musikgeschwindigkeit beschleunigen kann (London et al., 2016). 2.2. Imitation und Synchronisation Um ein Bewegungsmuster imitieren zu können, muss die Bewegung zuerst durch Be- obachten gelernt werden. Vor allem Tanz erfordert die Fähigkeit, Bewegungen und Geräusche von anderen Menschen, Tieren oder Geschehnissen imitieren zu können. Das Potential zur Imitation ist angeboren, die Kompetenz selbst eignet sich der Mensch erst über Erfahrungen an. Frühe Lebenserfahrungen, wie das Schaukeln ei- nes Babys, können dem Kind dabei helfen neuronale Netzwerke herzustellen und Ge- räusche, Bewegung und Rhythmus miteinander zu verbinden. Tätigkeiten wie das Spielen eines Instruments, können diese Netzwerke im späteren Leben verstärken. Vor allem jüngere Kinder besitzen eine starke Motivation, Handlungen ihrer Eltern und älteren Geschwister zu imitieren. Das dient nicht nur als soziale Funktion, um Bindun- gen zu stärken, sondern steht auch in einem Zusammenhang mit den so genannten „Spiegelneuronen“ (Laland et al., 2016). Diese Nervenzellen wurden 1992 von Gia- como Rizzolatti bei der Beobachtung von Makakenaffen entdeckt (Zardi et al., 2021). Spiegelneuronen stellen die neuronale Basis für Imitation und das Verstehen und Vor- hersagen von Handlungen anderer Menschen dar. Sie sind eine spezielle Art der sen- sorischen Motoneurone, welche sowohl bei der Ausführung eigener Handlungen, als auch beim Beobachten von Handlungen anderer aktiviert werden. Auch bei der visu- ellen Analyse von Handlungen, sowie beim visuomotorischen Lernen und Sequenzler- nen spielen Spiegelneurone eine wichtige Rolle (Zardi et al., 2021). Sie sind eine der größten Entdeckungen der letzten Jahre und haben regelrecht zu einem „Hype“ in den Neurowissenschaften geführt (Lamm & Majdandzic, 2015). Forschungsprojekte be- schäftigen sich momentan damit, ob Spiegelneuronen mitverantwortlich sind für die Empathiefähigkeit von Menschen (Lamm & Majdandzic, 2015) oder für die Fähigkeit, erfolgreiches mentales Training (Imagination) zur Leistungssteigerung ausführen zu können (Darmawan & Tisna, 2019). Vor allem im Tanz könnten die Spiegelneuronen wichtige Aufgaben haben. Tänzerin- nen und Tänzer lernen Bewegungen unter anderem durch Beobachtung und Imitation. Sie beobachten die Energie, den Rhythmus, die Richtung, die Form, Musikalität und 9
Impulse der zu lernenden Bewegung und versuchen diese dann so detailgetreu wie möglich zu imitieren (Rivière et al., 2018). Tanz erfordert eine Anpassung von Hand- lungen zur Musik und eine zeitliche Abstimmung von Bewegungen zum Rhythmus. Das kann auch ein interner Rhythmus wie beispielsweise der Herzschlag sein und er- fordert eine Übereinstimmung zwischen auditiven Inputs, welche von der Tänzerin o- der dem Tänzer gehört werden und den motorischen Outputs. Doch das ist noch nicht alles. Bei Paar- und Gruppentänzen kommt hierzu auch noch eine erforderliche Über- einstimmung zwischen visuellen Inputs und motorischen Outputs, da sich die Tän- zer*innen auch aneinander anpassen müssen. Für das Meistern dieser tänzerischen Herausforderungen könnten dieselben neuronalen Netzwerke verantwortlich sein wie die der Imitation (Laland et al. 2016). Die Synchronisation zwischen Menschen beeinflusst außerdem ihre anschließenden positiven sozialen Gefühle füreinander. Im Vergleich zu asynchronen oder Solo-Bedin- gungen berichten Teilnehmer*innen, die synchron klopfen, von verstärkten Gefühlen der Sympathie, zwischenmenschlichem Vertrauen, der Bereitschaft, dem klopfenden Gegenüber zu helfen, und dem verstärkten Gefühl, sich in ihrer Persönlichkeit ähnlich zu sein. Synchrones Schaukeln auf einem Stuhl, Gehen im Gleichschritt und die Aus- führung einfacher Körperbewegungen im Takt mit anderen und einem Metronom för- dern ebenfalls prosoziale Tendenzen. Es wird angenommen, dass diese Effekte auf eine Verschmelzung der Wahrnehmung von 'Selbst' und 'Anderen' zurückzuführen sind, was zu einer Bindung zwischen den Akteurinnen und Akteuren führt. Zusätzlich konnte auch eine erhöhte Schmerzschwelle bei Menschen festgestellt werden, welche sich synchron zueinander bewegten (Tarr et al., 2015; Tarr et al., 2016). Im Bereich der Tanztherapie wird die Imitation, also das Spiegeln von Bewegungen, als Therapiemethode eingesetzt und könnte beispielsweise für Betroffene von Autis- mus-Spektrum-Störungen von großer Bedeutung sein. Es gibt noch zu wenige Studien zur Thematik, um hier an dieser Stelle aussagekräftige Behauptungen machen zu kön- nen, aber die aktuelle Datenlage deutet darauf hin, dass es in diesem Bereich in der Zukunft spannende Erkenntnisse geben könnte (Koch et al., 2014). Das Kapitel 9.5. gibt einen kurzen Einblick in den aktuellen Forschungsstand der Thematik „Tanz und Autismus-Spektrum-Störungen“. 10
2.3. Kunst und Ästhetik Ist Tanz eigentlich Kunst oder Sport? Das Oxford Dictionary definiert Sport als „An activity involving physical exertion and skill in which an individual or team competes against another or others for entertainment”. Die Europäische Sportcharta hingegen erklärt Sport so: “Sport means all forms of physical activity which, through casual or organised participation, aim at expressing or improving physical fitness and mental well-being, forming social relationships or obtaining results in competition at all levels” (Guarino, 2015). Tanz wird von Kraus et al. (1999) wie folgt definiert: “An art performed by individuals or groups of beings, existing in time, space, force and flow, in which the human body is the instrument and movement is the medium”. Im Tanz muss es keine Gewinner*in- nen oder Verlierer*innen geben und Tänzer und Tänzerinnen zeichnen sich neben be- eindruckenden athletischen Fertigkeiten unter anderem auch noch durch kreative und ästhetische Intentionen aus (Guarino, 2015). Das bedeutet nicht, dass Sport keine ästhetischen Qualitäten mit sich bringt, diese Komponenten machen Sport aber noch nicht zu Kunst. 1957 wurde in Deutschland der „Tanzsport“ (Turniertanz) gegründet und auch die World Dance Sport Federation bewirbt Tanz als Sport. Doch weshalb hat sich hier überhaupt eine eigene Sportbewe- gung entwickelt, obwohl es davor sogar schon professionelle Strukturen im Bereich von Tanzwettbewerben gab? Picart (2002) begründete die Entwicklung damit, dass mit der Bezeichnung „Sport“ einige Vorteile einhergehen, wie beispielsweise ein finan- zieller Nutzen oder der „Superstar - Status“. Mittlerweile ist der Tanzsport sogar eine Disziplin der olympischen Spiele (Guarino, L., 2015). 2020 waren in Österreich 121 Sportvereine als „Tanzsportvereine“ oder als Tanzvereine im Bereich „Sonstiges“ re- gistriert (Sport Austria, 2021). Die Fraser Valley Academy of Dance (2017) unterscheidet Tanzsport und darstellende Kunst so: Tanz ist eine darstellende Kunst, wenn er zum Vergnügen eines Publikums präsentiert wird, ohne dass ein Wettbewerb oder eine Wertung stattfindet. Wenn der Tanz bei einem Wettbewerb mit oder ohne Publikum bewertet wird, handelt es sich nicht mehr um eine darstellende Kunst, sondern eine sportliche Tätigkeit. Im Laufe der Geschichte wurden die darstellenden Künste, vor allem Tanz und Musik, durchgehend als Tools für Heilung und Gesundheit eingesetzt. Beispiele dafür sind 11
der Einsatz von Musik als Therapie in alten islamischen Zivilisationen, schamanische Tanzheilung in Sibirien, sowie auch die Verwendung von Musik zur „Beruhigung der Organe“, angewandt von dem antiken griechischem Gelehrten Pythagoras (Sheppart & Broughton, 2020). Ästhetische Erfahrungen und ihre Auswirkungen auf den Körper und Geist sind viel mehr als die Summe einzelner Gehirnregionen oder -aktivitäten. Es werden komplexe und ausgeklügelte neuronale Substrate und Netzwerke kreiert, um einen erhöhten Konnektivitätszustand zu erreichen. Die Vermischung unserer sensorischen und kog- nitiven Funktionen diktiert die Wahrnehmung. Wir nehmen die Welt über unsere Sinne auf und geben dem Aufgenommenen Bedeutung durch unsere Kognition. Dieses Zu- sammenspiel führt dazu, dass ästhetische Erfahrungen für jede und jeden von uns einzigartig sein können. Die neuroästhetische Forschung beschäftigt sich genau mit diesen Prozessen sowie auch mit der Aktivierung unseres Belohnungssystems oder dem „Default Mode Network“ (Ruhestandsnetzwerk) bei der Betrachtung oder Erschaf- fung von Kunst. Das Belohnungssystem setzt „Feel-Good“ Gehirnchemikalien frei, wie beispielsweise Dopamin, Serotonin und Oxytocin, welche positive Gefühle wie Lust und Freude triggern. Die Aktivierung der Belohnungsareale passiert wie bereits er- wähnt nicht nur bei dem Erschaffen von Kunst, sondern auch bei dem Betrachten von Kunst und anderen Formen der Beteiligung an ästhetischen Erfahrungen. Der Wert von Kunst wird immer offensichtlicher und auch Institutionen von Militär, Medizin und Regierung werden langsam darauf aufmerksam. Die Anwendung von Kunst in Ge- sundheits- und Bildungssettings macht uns gesünder, glücklicher und verbessert un- sere Lebensqualität. Trotz allem fehlt es länderübergreifend an der Förderung und Un- terstützung von Kunstpädagogik und -therapie (Magsamen, 2019). Künste wurden im- mer schon als Heilmittel eingesetzt, von den heiligen Gesängen der gregorianischen Mönche und den Tanzritualen der amerikanischen Ureinwohner bis heute. Künstler*in- nen verstehen auch intuitiv, wie wichtig ihre Arbeit für unser Wohlbefinden ist (Magsa- men, 2019). 2.4. Improvisation und Flow Wir Menschen planen unsere Handlungen, müssen diesen Plan jedoch ständig verän- dern, um ihn an die Anforderungen verschiedenster Situationen anzupassen. Gleich- zeitig reagieren wir sofort und blitzschnell auf ungeplante Ereignisse, wenn wir mit un- serer Umgebung interagieren. Improvisation ist also Teil unseres Alltags. Der Begriff 12
„Improvisation“ wird in der Kunst als Bezeichnung für eine spontane Darbietung ohne Vorwegnahme oder Planung unter Berücksichtigung des Publikums verwendet. Ob- wohl es möglich ist, allein zu improvisieren, ist Improvisation in unserem Alltag fast immer eine Handlung, die eine Interaktion entweder zwischen einem Menschen und der nicht-menschlichen Umgebung (z. B. Musik) oder anderen Personen erfordert (Iss- artel et al., 2017). Bei der Beobachtung von improvisierenden zeitgenössischen Profitänzer*innen und nicht-Tänzer*innen kristallisierte sich die einzigartige Fähigkeit erfahrener Tänzer*in- nen heraus, bestimmte Bewegungen auszuführen, die auch nicht-Tänzer*innen aus- führen könnten, welche aber nur Profis tatsächlich machen. Alle der nicht-Tänzer*in- nen wären körperlich in der Lage gewesen, dieses breite Spektrum an Aktionen aus- zuführen, aber nur die Profis schafften es, dieses im Rahmen der Improvisation zu erkunden. Diese Eigenschaft ist von zentraler Bedeutung für unser Verständnis von Tanzexpertise und im weiteren Sinne auch für unser Verständnis von Bewegungskom- petenz im Allgemeinen. Erfahrenen zeitgenössischen Tänzer*innen war es in dieser Untersuchung möglich, eine einzigartige motorische Leistung innerhalb des gleichen Spektrums an Möglichkeiten zu erbringen, das hier auch Anfänger*innen zur Verfü- gung stand. Insgesamt könnte eine bessere soziale Koordinationsfähigkeit in Verbin- dung mit höherer Handlungsfähigkeit und Kreativität die sozialen Aktivitäten des tägli- chen Lebens verbessern, indem sie den Zusammenhalt und die Kommunikation för- dern. Diese Erkenntnis könnte auch zu einem besseren Anpassungsverhalten am Ar- beitsplatz oder bei körperlichen Gruppenaktivitäten jeglicher Art führen (Issartel et al., 2017). Die Improvisation spielt eine entscheidende Rolle im Prozess des künstlerischen Aus- drucks und durch die Interaktion mit verschiedenen Stimuli im Moment der Kreation entstehen neue künstlerische Ausdrucksformen über das eigene tänzerische Reper- toire hinaus (Nakano & Okada, 2012). Alle Arten der Improvisation zeichnen sich durch ein reflexives Bewusstsein und eine unmittelbare Reaktion auf den Moment aus und fördern körperliche Achtsamkeit. Improvisation ist kreativ, stützt sich auf die primäre Bedingung des Flusses und ist sowohl eine Artikulation des Geistes, als auch des Kör- pers. Improvisieren bedeutet also nicht, dass der „Geist“ zum Schweigen gebracht wird, damit der Körper "sprechen" kann. Vielmehr schwenkt die Improvisation sowohl den Geist, als auch den Körper in ein neues Verständnis von Beziehungsgeflechten. 13
Bei der reflexiven, relationalen Gestaltung von Geist und Körper kann Imagination hel- fen, indem sie die verschiedenen Aktivitäten des Bewusstseins vereint und übersetzt (Douse, 2015). Eine weitere Besonderheit des Tanzes ist das Flowgefühl. Flow ist ein kognitiver Zu- stand, der zwei Prozesse umfasst: Konzentration und Genuss. Er ist gekennzeichnet durch völliges Aufgehen in dem, was man tut. Flow wird mit intrinsischer Motivation oder autotelischer Aktivität in Verbindung gebracht, die sich auf die Freude an der Tä- tigkeit selbst und nicht auf äußere Faktoren bezieht (Mehta, 2018). Die meisten Forschungsarbeiten zum Thema "Flow" befassen sich mit populären Sportarten und bestimmten sportlichen Erfahrungen, wobei auch einige Diskussionen über berufliche und freizeitbezogene Situationen geführt werden. Was in der Flow- Literatur fehlt, sind kulturelle Flow-Erfahrungen und ihre Verbindung zu Spiritualität, Kreativität und Leistung. Diese Forschung fehlt insbesondere bei sexuellen und ethni- schen Minderheiten (Smith et al., 2020). Auch Studien zu Flow-Erfahrungen speziell von Tänzer*innen fehlen und wurden von Untersuchungen der Sport- und Perfor- mancepsychologie nicht miteinbezogen, was zu einer großen Lücke in der Literatur zu Tanzpsychologie führte. Tanz hat seine eigenen, einzigartigen Verstärker und Hem- mer des Flows und kann diesbezüglich nicht immer mit den Erkenntnissen anderer Sport- und Bewegungsformen verglichen werden (Hefferon & Ollis, 2007). Luznik et al. (2020) haben das Flowgefühl von Tänzer*innnen in einem Gruppensetting untersucht. Mühelose Aufmerksamkeit und Freude waren die vorherrschenden The- men, die aus den Berichten der Tänzerinnen und Tänzer hervorgingen, als sie den Flow beschrieben. Wenn der Flow in der Zusammenarbeit erlebt wurde, wurde er als "Eins werden mit der Gruppe" beschrieben. Die Tänzerinnen und Tänzer assoziierten den Flow häufig mit einem äußerst kreativen Zustand, in dem sie zu überraschenden, sehr "organischen und natürlichen" Bewegungslösungen neigten (Luznik et al., 2020). Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Literatur zum Thema Flow und künstle- rische Kreativität noch relativ gering ist. Weitere Studien wären wichtig, um die wich- tigsten Hypothesen zu testen und Unstimmigkeiten in der Literatur zu beseitigen, ins- besondere in Bezug auf die Beziehungen zwischen dem Zustand des Flows und der kreativen Leistung, da dies der Faktor sein könnte, der den tänzerischen Flow zu etwas Besonderem macht (Harmat et al., 2021). 14
3. Terminologie und Vergleich der Methoden Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit den Auswirkungen von Tanz auf den menschlichen Körper. Um einen klaren Überblick der Studienergebnisse schaffen zu können ist es wichtig, die erwähnten Bewegungsmethoden voneinander zu unterschei- den. „Tanz- und Bewegungstherapie“ und allgemeine Tanzinterventionen basieren auf unterschiedlichen Ansätzen, welche in diesem Kapitel kurz erklärt und miteinander verglichen werden. 3.1. Tanz- und Bewegungstherapie In den 1940er Jahren entstand die Tanz- und Bewegungstherapie. Die Therapieme- thode ist ein ganzheitlicher und psychotherapeutischer Heilungsansatz, der auf der empirisch gestützten Behauptung basiert, dass Geist, Körper und Seele untrennbar und miteinander verbunden sind (American Dance Therapy Association, 2020). Die American Dance Therapy Association (ADTA, 2020) definiert Tanz- und Bewegungstherapie als “The psychotherapeutic use of movement to promote emo- tional, social, cognitive and physical integration of the individual”. Die European Asso- ciation for Dance Movement Therapy (EADMT, 2021) beschreibt Tanztherapie so: “The therapeutic use of movement to further the emotional, cognitive, physical, spiritual and social integration of the individual. Dance as body movement, creative expression and communication, is the core component of Dance Movement Therapy. Based on the fact that the mind, the body, the emotional state and relationships are interrelated, body movement simultaneously provides the means of assessment and the mode of intervention for dance movement therapy.” Tanz- und Bewegungstherapie zielt darauf ab, das Selbstwertgefühl der Patientinnen und Patienten zu verbessern, unterstützt sie bei der Entwicklung von Kommunikations- und Beziehungskompetenzen und bietet die Möglichkeit, das Bewegungsvokabular zu erweitern, sowie auch neue Möglichkeiten der Problembewältigung kennenzulernen. Angeboten wird diese Art der Therapie in unterschiedlichsten Settings wie beispiels- weisen in Pflegeheimen, Schulen, Krankenhäusern, Rehabilitationszentren, Suchthil- feeinrichtungen, Beratungs- und Krisenzentren, Haftanstalten und alternativen Ge- sundheitszentren. Zur Zielgruppe der Tanz- und Bewegungstherapie gehören Men- schen jeden Alters, Paare, Familien sowie auch Betroffene von Entwicklungsstörungen und physischen oder psychischen Krankheiten und Beeinträchtigungen (American Dance Therapy Association, 2020). 15
Die Tanztherapie gehört zu dem breiten Spektrum der Kunsttherapien. Sie entstand nach dem zweiten Weltkrieg in den Abteilungen psychiatrischer Anstalten. Zu dieser Zeit entwickelte sich ein gegenseitiges Interesse und ein Dialog zwischen modernem Tanz und Psychoanalyse, der neue Ideen über die Beziehung zwischen Körper und Geist hervorbrachte. Seitdem hat die Tanztherapie ihren eigenen professionellen Weg eingeschlagen, indem sie einzigartige theoretische Ansätze mit evidenzbasierten the- rapeutischen Praktiken und bewegungsbasierten Beurteilungsinstrumenten verbindet. Jüngste wissenschaftliche Fortschritte bereichern den theoretischen Kontext der The- rapiemethode und unterstützen die Gültigkeit der tanz- und bewegungstherapeuti- schen Beziehung, die multimodale, kreative Prozesse aktiviert, um Veränderung und Wachstum zu fördern (European Dance Movement Therapy Association, 2021). Die Tanz-Bewegungstherapie, die im englischsprachigen Raum als „Dance Movement Therapy“ (DMT) bezeichnet wird, bietet Menschen aller Altersgruppen und Fähigkeiten einen Raum, in dem sie erforschen können, was sie antreibt und hilft ihnen dabei, Selbstbewusstsein und auch Sensibilität für andere zu entwickeln sowie einen Weg zu finden, sich in ihrer eigenen Haut wohlerzufühlen. Die Therapie kann in einer Gruppe oder in Einzelsitzungen erlebt werden. Anerkennung und Erforschung der Beziehung, die sich zwischen den Teilnehmerinnen und Teilnehmern, Therapeutinnen und Thera- peuten und den anderen Gruppenmitgliedern entwickelt, ist der Schlüssel zum thera- peutischen Prozess. Ziel der Therapie ist es unter anderem, dass der Therapeut oder die Therapeutin die Teilnehmer*innen dabei unterstützt, Verhaltensmustern einen Sinn zu geben, ein gewisses Verständnis für die Reaktionen zu erlangen, welche durch Ängste und Befürchtungen ausgelöst werden, das soziale Selbstvertrauen zu stärken und Klarheit darüber zu gewinnen, was die Patientinnen und Patienten im Leben wol- len und brauchen (European Dance Movement Therapy Association, 2021). Tanz- und Bewegungstherapeutinnen und -therapeuten sind in der Lage, kreativ mit dem Material zu arbeiten, das zu einer Sitzung mitgebracht wird, sei es durch explora- tives oder beschreibendes Spiel, durch das Erzählen einer Geschichte, durch die Frage, warum unangenehme Situationen immer wieder auftreten oder warum es so schwierig ist, Beziehungen aufzubauen und aufrechtzuerhalten. All diese Themen wer- den angehört, und es wird ein Raum angeboten, um sie durch einfache Bewegungsü- bungen und spielerische Interaktion zu erkunden. Manchmal ist die Bewegungserfah- rung minimal und kann sich darauf konzentrieren, wo man ein Gefühl erlebt, wenn man 16
über Schwierigkeiten oder Sorgen spricht. Der Einsatz von Atem und Entspannung durch Achtsamkeit ist oft ein Weg, um mit dem fühlenden und verkörperten Selbst in Kontakt zu kommen, und von diesem Punkt des Bewusstseins aus kann sich die Arbeit der Integration entfalten (European Dance Movement Therapy Association, 2021). Die Therapieeinheiten bieten einen sicheren Raum, um den verbalen und nonverbalen Ausdruck der Belastungen und Schwierigkeiten zu erkunden. Viele Menschen kom- men zur Tanz- und Bewegungstherapie, weil sie ihr Potenzial besser ausschöpfen wollen, oder um Depressionen, Ängste, Verhaltensstörungen, emotionale Lernverzö- gerungen, Süchte und andere psychische Gesundheitssymptome sowie unklare kör- perliche Symptome zu behandeln. Die Therapieform wird zunehmend auch in der Ar- beit mit Kriegsveteranen, mit Menschen, die sexuellen Missbrauch in der Kindheit und Gewalt in der Familie erlebt haben sowie in den Bereichen Autismus, psychische Ge- sundheit von Jugendlichen, Demenz und Essstörungen eingesetzt. Es ist ein Zeichen für den einzigartigen Nutzen von Tanz- und Bewegungstherapie, dass einige der am schwierigsten zu erreichenden Menschen auf diese Form der Therapie ansprechen (European Dance Movement Therapy Association, 2021). Die in dieser Arbeit verwendeten Studien zur Tanz- und Bewegungstherapie befassen sich hauptsächlich mit Untersuchungen, welche von ausgebildeten Tanztherapeutin- nen und Tanztherapeuten durchgeführt wurden. In Österreich dauert die Tanztherapie-Ausbildung 4,5 Jahre und wird als berufsbeglei- tender Lehrgang angeboten (Berufsverband für Tanz- und Ausdruckstherapie Öster- reich, 2021). 3.2. Allgemeine Tanzinterventionen und Tanztraining Bewegungsmangel ist eines der größten globalen Gesundheitsprobleme, da er mit nachteiligen Auswirkungen auf das Altern, die Gewichtskontrolle, die körperliche und psychische Funktion, die Langlebigkeit und die Lebensqualität verbunden ist (Yan Fong et al., 2018). Die sozialen Determinanten der Gesundheit (SDOH) machen bis zu 75 % des „Outco- mes“ in Bezug auf Gesundheit, Funktionsfähigkeit und Lebensqualität aus. Der Zu- gang zu Ressourcen und Möglichkeiten zur körperlichen Betätigung ist eine der wich- tigsten SDOH. Körperliche Aktivität wird mit einem geringeren Risiko für unter anderem Herzerkrankungen, Schlaganfall, Typ-2-Diabetes, Dickdarmkrebs und Brustkrebs 17
verbunden. Bewegungsmangel in der Kindheit kann zu schlechteren schulischen Leis- tungen, schlechten kognitiven Fähigkeiten (z. B. Konzentration, Kreativität) und nega- tiven Einstellungen (z. B. Motivation, Selbstwertgefühl) führen (Schroeder et al., 2017). Tanzen ist eine Form der körperlichen Aktivität, die sich über die gesamte Lebens- spanne hinweg positiv auf die Gesundheit auswirkt, und zwar auch dann, wenn sie von Laien ausgeübt wird. Die Teilnahme an strukturiertem Tanz ist im Hinblick auf die Ver- besserung einer Reihe von Gesundheitsergebnissen ebenso wirksam und gelegent- lich sogar wirksamer als andere Arten von strukturierter Bewegung. Ärzte können Tan- zen als sichere und wirksame Bewegungsalternative empfehlen (Yan et al., 2018). Die Überprüfung von Tanzstudien mit qualitativen Methoden deutet darauf hin, dass Kinder und Jugendliche in Bezug auf Körperwahrnehmung, Selbstvertrauen, Selbst- wertgefühl, Selbstausdruck und Wahrnehmung vom Tanzen profitieren können. Er- wachsene hingegen von Selbstausdruck, Selbstwirksamkeit, Selbst- und Körperbe- wusstsein, Selbstentwicklung und Selbstvertrauen. Studien mit quantitativen Metho- den berichten insbesondere über Verbesserungen bei der Körperwahrnehmung in bei- den Populationen (Schwender et al., 2018). Regelmäßiges Tanzen kann außerdem das gesunde Altern verlängern, die körperliche Funktionen von alten Menschen erhalten oder sogar verbessern und damit die Le- bensqualität steigern (Liu et al., 2021). Tanzen kann das Wohlbefinden in vielseitiger Hinsicht positiv beeinflussen. Vor allem positive Auswirkungen auf emotionale, körper- liche, soziale und spirituelle Faktoren wurden festgestellt. Darüber hinaus werden die positiven Auswirkungen auch mit Bewältigungsstrategien in Verbindung gebracht (Murcia et al., 2009). Die in dieser Arbeit vorgestellten allgemeinen Tanzinterventionen werden von Leite- rinnen und Leitern mit unterschiedlichsten Berufen und „Backgrounds“ (Tänzer*innen, Tanzpädagogen und -pädagoginnen, Bewegungswissenschaftler*innen…) durchge- führt und basieren auf Konzepten, welche sich (im Gegensatz zur Tanztherapie) nicht auf die psychotherapeutischen Aspekte der Bewegung fokussieren. Im Gegensatz zur psychotherapeutischen Tanz- und Bewegungstherapie beschäfti- gen sich diese Tanzinterventionen hauptsächlich mit dem Lernen und Wiederholen von bestimmten Tanzschritten und -bewegungen (Dunphy et al., 2018). Die Tanz- und 18
Bewegungstherapie hingegen basiert auf Ausdruckserfahrungen sowie auf improvi- sierten Bewegungen (European Dance Movement Therapy Association, 2021). Im folgenden Teil werden nun die ausgewählten aktuellen Anwendungsbereiche von Tanz als Therapiemethode (Depression, Essstörungen, Suchterkrankungen, Demenz und Parkinson) dargestellt. 4. Depression Laut der Weltgesundheitsorganisation (2018) sind weltweit über 350 Millionen Men- schen von der Erkrankung Depression betroffen. Die Erkrankung resultiert aus einem komplexen Zusammenspiel sozialer, psychologischer und biologischer Faktoren. Men- schen, die einschneidende Lebensereignisse (Arbeitslosigkeit, Trauerfall, psychische Traumata) erleben, haben ein höheres Risiko an Depressionen zu erkranken, welche wiederum zu mehr Stress und Funktionsstörungen führen und die Lebenssituation der Betroffenen verschlechtern können (WHO, 2020). Des Weiteren bestehen zwischen Depressionen und körperlicher Gesundheit Wechselbeziehungen. Herz-Kreislauf-Er- krankungen können beispielsweise zu Depressionen führen oder auch umgekehrt. Je nach Anzahl und Ausprägungsgrad der Symptome kann eine depressive Episode in leicht, mittelschwer oder schwer eingeteilt werden (National Institute of Mental Health, 2018). Man unterscheidet außerdem zwischen verschiedenen Typen der Erkrankung, wie der rezidivierenden depressiven Störung, postpartalen Depression, psychotische Depres- sion und saisonal abhängige Depression. Wie bereits erwähnt gibt es viele mögliche Ursachen für Depressionen, darunter eine fehlerhafte Stimmungsregulation durch das Gehirn, genetische Anfälligkeit, belastende Lebensereignisse und Medikamente. Es wird angenommen, dass mehrere dieser Faktoren zusammenwirken, um Depressio- nen hervorzurufen. Milliarden von chemischen Reaktionen bilden das dynamische System, das für die Stimmung, Wahrnehmung und Lebenserfahrung von Menschen verantwortlich ist. Bei diesem Komplexitätsgrad ist klar, dass zwei Menschen ähnliche Symptome einer Depression haben können, aber dieselbe Behandlung trotzdem un- terschiedlich wirken kann (Harvard Medical School, 2019). Es gibt keine „One-Size-Fits-All“-Behandlung für Depressionen. Je früher die Therapie der Erkrankung begonnen wird, umso wirksamer ist sie. In der Regel werden Depres- sionen mit Medikamenten, Psychotherapie oder einer Kombination aus beidem 19
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