LEBEN GESTALTEN INKLUSIVES DESIGN - DAS KUBIA-MAGAZIN / 13 - grauwert

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LEBEN GESTALTEN INKLUSIVES DESIGN - DAS KUBIA-MAGAZIN / 13 - grauwert
DAS KUBIA-MAGAZIN / 13

LEBEN GESTALTEN
          INKLUSIVES DESIGN
LEBEN GESTALTEN INKLUSIVES DESIGN - DAS KUBIA-MAGAZIN / 13 - grauwert
DAS KUBIA-MAGAZIN / 13
INHALT

                                                   26
                                                   Partizipatives Design
                                                   Ein Porträt der Arbeit von Dementia Lab
                                                   Ann-Katrin Adams

                                                   29
                                                   Do it yourself
                                                   Alltagstaugliches Design für Menschen mit Demenz
                                                   Anneke Goertz

                                                   32
                                                   LIEBLINGSSTÜCK
                                                   »Sag’s mit Inklumoji«

                                                   33
                                                   Zum Spielen ist man nie zu alt
03                                                 Games und Alter
ENTRÉE                                             Denise Gühnemann

05                                                 35
FOYER                                              ATELIER
»Mein Normal passiert in eurem Normal!«            Praxistipps // Ausbildung // Ausschreibung //
Das Barcamp zu Inklusion und Barrierefreiheit in   Ausstellung // Neuerscheinungen
Kunst und Kultur
Janine Hüsch
                                                   39
                                                   GALERIE
11                                                 Erinnerungsräume partizipativ gestalten
Neues von kubia                                    Ein Porträt der Kulturgeragogin Evelyn Duerschlag
                                                   Kim de Groote
15
SALON                                              42
Kultur im Design für Alle                          Farbenfrohe Mode für besondere Menschen
Mehrwerte für unterschiedlichste Zielgruppen       Natalie Dedreux und Andrea Halder im Gespräch mit
Mathias Knigge                                     der Modedesignerin Isabella Springmühl

19                                                 46
»Ich sehe das Problem nicht«                       LOUNGE
Zu den Illustrationen von Édith Carron             Radiotipp: Angel Radio, der britische Sender von
in diesem Heft                                     Älteren für Ältere
                                                   Coworking-Tipp: TUECHTIG schafft Raum
20                                                 für Inklusion
Feldforschung in Omas Kleiderschrank
Vestimentäre Praktiken von Frauen über 60 Jahren   48
Esther Gajek                                       IMPRESSUM

kubia – Kompetenzzentrum für Kulturelle Bildung im Alter und Inklusion: www.ibk-kubia.de
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ENTRÉE

Liebe Leserinnen und Leser,

jetzt schlägt’s dreizehn! Wer hätte gedacht, dass Alter und Behinderung einmal zu Themen für
Design werden? Die dreizehnte Ausgabe unserer Kulturräume tritt den Beweis an. Hier dreht
sich alles um die inklusive und altersfreundliche Gestaltung von Produkten, kulturellen Dienst-
leistungen und virtuellen Angeboten. Statt spezieller und oftmals defizitorientierter Lösungen
für wenige Menschen hat inklusives Design klare Mehrwerte für ganz unterschiedliche Grup-
pen, so die Erfahrung von Mathias Knigge von der Agentur grauwert. Auch für den Kulturbe-
reich bietet das »Design für Alle« eine Vielzahl von praktikablen Möglichkeiten, die unabhängig
von Alter oder Behinderung einfach und komfortabel funktionieren, ohne zu stigmatisieren.
Das internationale DementiaLab beschreitet andere Wege: Es nimmt die individuellen Bedürf-
nisse von Menschen mit Demenz in den Fokus und sucht mit ihnen gemeinsam nach kreati-
ven Design-Lösungen. Wie diese in der Praxis ausschauen können, zeigt die Produktdesignerin
Anneke Goertz mit ihren Do-it-yourself-Tipps, die alten Menschen den Alltag leichter machen
sollen. Auch für die von uns porträtierte Kulturgeragogin Evelyn Duerschlag ist Partizipation
elementar. Gemeinsam mit Bewohnerinnen und Bewohnern von Alteneinrichtungen gestaltet
sie großflächige Wandbilder zu bewohnbaren Erinnerungen. Den Bereich des Game-Designs
assoziieren wir ebenfalls nicht unbedingt mit alten Menschen. Medienexpertin Denise Gühne-
mann berichtet uns von der generationenverbindenden Kraft digitaler Spiele und dem YouTube-
Kanal »Senioren zocken«.

Ein wichtiges Feld des Designs ist die Mode. Schließlich machen Kleider Leute – egal in wel-
chem Alter. Die Kulturwissenschaftlerin Esther Gajek und ihre jungen Studierenden haben sich
damit befasst, ob es ein altersspezifisches Kleidungsverhalten gibt. Nicht das kalendarische Alter,
sondern die Sozialisation und die aktuellen Lebensumstände bestimmen, wie wir uns kleiden,
so das Ergebnis. Farben- und lebensfroh ist die Mode der guatemaltekischen Designerin Isabella
Springmühl, mit der unsere Kolleginnen aus der Ohrenkuss-Redaktion gesprochen haben. Mit
leuchtenden Farben, traditionellen Stoffen und viel Herz kreiert die erste Modeschöpferin mit
Down-Syndrom einen unverwechselbaren Stil und tragbare Mode für Menschen mit und ohne
Behinderung.

Im Foyer berichten wir von unserem großartigen »InkluCamp« im vergangenen Mai im Dort-
munder U. Dort haben sich Fachleute unterschiedlichster Disziplinen über Barrierefreiheit in
Kunst und Kultur ausgetauscht. Die Illustratorin Édith Carron hat das Barcamp mit einem
Graphic Recording meisterlich dokumentiert – davon zeugen ihre Zeichnungen in unserem Heft.

Kreativität und Mut zur Gestaltung wünscht

Ihre Redaktion
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FOYER

MEIN NORMAL PASSIERT IN
EUREM NORMAL!
DAS BARCAMP ZU INKLUSION UND BARRIEREFREIHEIT IN KUNST UND KULTUR
Von Janine Hüsch

Das »InkluCamp« am 10. Mai 2017 im Dortmunder U bot ein Forum, um Inklusion im Kontext von
Kunst und Kultur aus verschiedenen Perspektiven zu diskutieren. Rund 85 Fachleute aus Kultur,
Wirtschaft, Design und Forschung nutzten die Gelegenheit, sich auszutauschen und von Erfahrungen,
Projektideen, konkreten Lösungsansätzen sowie Impulsen angrenzender Disziplinen für ihre künftige
Arbeit zu profitieren. Organisiert wurde das »InkluCamp« von kubia in Zusammenarbeit mit Uzwei_
Kulturelle Bildung im Dortmunder U.

     VERANSTALTUNG AUF AUGENHÖHE                            INKLUSION – MÜSSTEN WIR AUCH?

Keine langen Grußworte, dafür alle per Du: Zu          Bevor es in die Sessions ging, stimmte Juliane
Beginn des Tages empfing Moderatorin Annette           Gerland, Juniorprofessorin für Kulturelle Bildung
Ziegert die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des         und Inklusion an der Universität Siegen, auf die
spartenübergreifenden »InkluCamps« und verwies         thematische Ausrichtung des »InkluCamps« ein.
gleich auf die »Spielregeln« dieses besonderen For-    In ihrem Impulsvortrag mit dem provokanten
mats: Bei einem Barcamp steht das Tagungspro-          Titel »Inklusion – müssten wir auch? Sollten wir
gramm vor Beginn der Veranstaltung noch nicht          aber! Könnten wir schon! Machen wir doch …,
fest. Es macht keinen Unterschied zwischen Refe-       oder nicht?« reflektierte sie die Fragen, die alle,
rierenden und Teilnehmenden, sondern ermöglicht        die sich im Feld der Kunst und Kultur mit In-
allen Interessierten, eigene Impulse einzubringen.     klusion beschäftigen, umtreiben – ob persönlich-
Bereits im Vorfeld wurden zahlreiche Vorschläge        subjektiv oder institutionell. Gerland verwies auf
für sogenannte Sessions eingereicht, über welche die   rechtliche und gesetzliche Grundlagen für Inklu-
Teilnehmenden bei der gemeinsamen Sessionpla-          sion und machte klar, dass darüber hinaus die
nung abstimmen konnten. Auch spontane Beiträge         anstrengende, aber unausweichliche Bestimmung
waren willkommen. Am Ende gab es für das »In-          der Begrifflichkeiten »Kunst und Kultur« sowie
kluCamp« 16 Vorschläge. Die Formate reichten von       »Inklusion« elementar sei. Um Inklusion im Kon-
Projektvorstellungen, -ideen und -initiativen über     text von Kunst und Kultur zu betreiben, bedürfe
den Informationsaustausch bis hin zu Diskussions-      es einer Schärfung des Blicks auf bereits gelingen-
und Feedbackrunden sowie Kurzvorträgen. Das            de Umsetzungen. Inklusion lasse sich weniger als
Interesse des Plenums an den Vorschlägen war so        ruckartiger Einschnitt begreifen, der alles bisher
groß, dass alle Sessions in den »Stundenplan« über-    Dagewesene umwirft, sondern vielmehr als ei-
nommen werden konnten.                                 ne sukzessiv ablaufende Zunahme glückender
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           Die Qual der Wahl zwischen vielen Sessions

           inklusiver Momente, die gründlich reflektiert und     Herausforderungen im Berufsalltag einer autis-
           weiterentwickelt werden können. Inklusion im          tischen Mediengestalterin und Vorbilder aus der
           Kontext von Kunst und Kultur bedeute für den          Museumslandschaft für gelungene inklusive Kul-
           Kulturbetrieb aber insbesondere eins: Öffnung.        turvermittlung – beispielsweise mittels Schwellko-
           Öffnung für neue Adressatengruppen, Öffnung           pien, 3-D-Druck, digitaler Museumsguides, par-
           für bisher unerprobte Formate, Öffnung für an-        tizipativer Medienprojekte mit Inklusionsklassen
           dere Methoden.                                        oder multisensorischer Vermittlungsstationen.

                   VIELFÄLTIGE SESSIONTHEMEN                        INKLUSIVES VERANSTALTUNGSFORMAT

           Im Anschluss an den Impulsvortrag wählten die         Der Austausch auf Augenhöhe in kleinen Grup-
           Teilnehmenden nach eigenen Interessen vier Sessi-     pen war gewinnbringend: Es wurde wissbegierig,
           ons aus dem Stundenplan aus.                          kritisch und inspiriert diskutiert. Viele Sessions
           		Die Themen waren denkbar vielfältig: Möglich-       nutzten, im Gegensatz zu klassischen Tagungen
           keiten, aber auch Grenzen des Leitbilds »Design für   mit frontalen Vortragssituationen, das Format der
           Alle« im Kulturbetrieb; Arbeitsweisen und Finan-      offenen Gesprächsrunde. Menschen mit und ohne
           zierung inklusiver Theaterprojekte und -gruppen;      Behinderung waren sowohl Sessionleitung als auch
           Planungsschritte für inklusive Veranstaltungen;       Teilnehmende. So erwies sich das Barcamp als per
           Nachhaltigkeit inklusiver Projekte; barrierefreie     se inklusives Veranstaltungsformat, das Teilhabe
           Internetnutzung; Präsentation internationaler Vor-    ermöglicht und einen Rahmen schafft, wo jede
           bilder für Inklusion – sei es mit Blick auf gesell-   und jeder etwas beitragen kann. Alle Teilnehmen-
           schaftliche bzw. politische Voraussetzungen oder      den sind gleichberechtigte Expertinnen und Exper-
           speziell mit Blick auf Theater und Performances;      ten. Es findet eine bereichernde Öffnung für neue
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Stimmen statt. Gerade bei dem Thema Inklusion,
das teils mit Berührungsängsten und Unsicherhei-
ten verbunden ist, kann ein Barcamp Barrieren
beseitigen und dazu beitragen, dass Menschen auf-
einander zugehen, um gemeinsam Fortschritte zu
machen.

 KUNST EXKLUSIV ODER BEISPIELGEBEND?

Wie sieht es mit den inhaltlichen Erkenntnissen
des Barcamps aus? Inwieweit können Kunst und
Kultur in Sachen Inklusion bestehen? Der Kultur-
bereich könnte, wie es Juliane Gerland in ihrem
Eröffnungsvortrag erläuterte, auf den ersten Blick
zunächst auch exklusiv erscheinen. Denn kulturelle
Teilhabe kostet Geld, künstlerisches Talent bedarf
zwecks Entfaltung einer nachhaltigen Förderung,
Kunst wirkt oft komplex und anspruchsvoll und
eine Teilnahme oder Mitwirkung kann längere
                                                        Multisensorische Vermittlung:
Übung und Erfahrung voraussetzen. Doch in den           Ein Objekt zum Ertasten und Lesen
Sessions des Barcamps konnte in zahlreichen Bei-
spielen das Gegenteil bewiesen und das von Gerland      multisensorische Stationen im Museum. Sie bieten
benannte »inklusive Potenzial künstlerischer Medi-      Kunstvermittlung auf verschiedenen sinnlichen
en und Methoden« herausgestellt werden. Es zeigte       Ebenen. So eröffnen Tastmodelle (z. B. Repliken
sich, dass Kunst und Kultur gar beispielgebend sein     von Kunstwerken mittels 3-D-Druck), Audio-
können für eine kunst- und kulturunabhängige in-        guides, Videos mit Gebärdensprache oder riechbare
klusive Gesellschaftsentwicklung: Künstlerischen        Objekte allen Besucherinnen und Besuchern neue
Projekten und kreativen Prozessen sind Grenzüber-       Erfahrungshorizonte. Zudem wird auf diese Weise
schreitungen und Experimente oft immanent, was          ein wichtiger Aspekt der Inklusion umgesetzt: Die
sich wiederum als hilfreiche Qualität – auch für in-    Angebote ermöglichen Teilhabe und Selbstbestim-
klusive Prozesse – erweist.                             mung gleichermaßen.

 BARRIEREFREIHEIT ALS NUTZEN FÜR ALLE                         GRENZEN DES DESIGNS FÜR ALLE

Häufig wird konstatiert, dass Barrierefreiheit – in     Darüber hinaus ist aber auch festzuhalten, dass ein
welcher Form auch immer – etwas ist, das einen          solches »Design für Alle« zwar grundsätzlich ge-
Mehrwert für jedermann bietet. Dahinter steckt          dacht und umgesetzt werden sollte, jedoch ebenfalls
die Haltung, nicht defizitorientierte Lösungen für      zugelassen werden muss, Sonderwege zu finden.
wenige, sondern attraktive Angebote für alle zu         Es müssen auch alternative Zugänge geschaffen
entwickeln. Es kann folglich für den Kulturbereich      werden, die sich eben nicht an alle, sondern an fo-
hilfreich sein, sich nicht allein auf eine Zielgruppe   kussierte Zielgruppen richten, beispielsweise Au-
zu konzentrieren, sondern den allgemeinen Nutzen        dioguides in Leichter Sprache für Menschen mit
im Blick zu haben. Ein gutes Beispiel dafür sind        Lernschwierigkeiten.
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           		In ähnlicher Weise belegen die Erfahrungen,           noch zu fehlen. Die Angst zu diskriminieren und
           die in den vorgestellten Praxisprojekten gemacht        die Unsicherheit zu stigmatisieren lähmen oft die
           wurden, dass es in inklusiven Kulturprojekten           Entscheiderinnen und Entscheider, ihre Angebote
           meist keine Standardlösungen für Barrierefreiheit       für Menschen mit Behinderung zu öffnen.
           geben kann, sondern individuelle Lösungen gefun-        		Häufig sei aber auch das Problem, wie eine Teil-
           den werden müssen.                                      nehmerin einbringt, dass Menschen mit Behinde-
                                                                   rung oft selbst exklusiv denken und eine Barriere
                  KEINE CHECKLISTEN FÜR INKLUSION                  im Kopf haben. Sie dächten oft, dass sie nicht ge-
                                                                   meint sind. Sie müssten daher auch selbst eine ver-
           In den Diskussionen während des Barcamps wur-           änderte Haltung zu Inklusion entwickeln und klar
           de deutlich, dass eine Öffnung des Kulturbereichs       kommunizieren: »Mein Normal passiert in eurem
           hin zu Inklusion bzw. inklusiven Angeboten nicht        Normal!«
           denkbar ist, ohne diejenigen, die es betrifft, mit
           ihren Fähigkeiten einzubeziehen und mit ihnen                 INKLUSIVE WILLKOMMENSKULTUR
           als Wissensproduzentinnen und -produzenten zu-
           sammenzuarbeiten. Um attraktive, konkrete und           Umso wichtiger ist es, dass entsprechende Angebo-
           zum Teil individuelle Lösungen für Nutzerinnen          te und Möglichkeiten explizit als barrierefrei oder
           und Nutzer zu finden und Kosten zu sparen, soll-        inklusiv kommuniziert werden, damit sich Men-
           ten Behindertenbeauftragte bzw. Expertinnen und         schen mit Behinderung auch eingeladen fühlen. Zu
           Experten in eigener Sache von Anfang an in die          dem damit verbundenen Ziel, eine Willkommens-
           Planung barrierefreier Projekte eingebunden sein.       kultur in den Kulturbetrieben zu etablieren oder
           Checklisten etwa zur Barrierefreiheit allein genü-      zu verbessern, gehört dann auch, die rechtlichen
           gen da nicht. Es bedarf der Prozessbegleitung.          Grundlagen (z. B. die Bedeutung der Buchstaben
                                                                   im Schwerbehindertenausweis) zu kennen und das
                            BARRIEREN IM KOPF                      Personal (beispielsweise an den Kassen) entspre-
                                                                   chend zu schulen.
           Zugleich zeigte der Blick in andere Länder, dass        		Alles in allem machte das »InkluCamp« deut-
           in Deutschland nicht nur der definitorische Rah-        lich, dass barrierefreie Kunst und Kultur ein
           men von Behinderung viel weiter gedacht werden          virulentes Thema darstellt, das von einem in-
           muss, sondern die Haltung gegenüber Inklusion ei-       terdisziplinären Gedankenaustausch aller(!) an
           ner grundlegenden Veränderung bedarf. Inklusion         Inklusionsprozessen Beteiligten nur profitieren
           muss hierzulande noch »erlernt« werden, denn der        kann, um für die Möglichkeiten der Barrierefrei-
           selbstverständliche Umgang mit Inklusion scheint        heit weiterhin zu sensibilisieren. jh

                  »INKLUCAMP« IM BILD

                  Die fotografische Dokumentation des »InkluCamps« erstellte Anna Spindelndreier. Sie arbeitet
                  als freie Fotografin unter anderem für die Fotodatenbank »Gesellschaftsbilder«. Diese Datenbank
                  wird von dem Verein Sozialhelden e. V. betrieben und richtet sich an Medienmacherinnen und
                  -macher sowie an alle Interessierten, die für ihre Arbeit Bilder fernab von Klischees suchen und
                  die Vielfalt der Gesellschaft abbilden möchten.

                  WEITERE INFORMATIONEN:
                  www.gesellschaftsbilder.de
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NEUES VON KUBIA

FÖRDERFONDS KULTUR & ALTER 2018                            ALL IN. ÄSTHETIK UND METHODEN DER INKLUSIVEN
Ergebnisse der Beiratssitzung                              KULTURARBEIT
Mit dem Förderfonds Kultur & Alter unterstützt das         Internationales Symposium // 8. Mai 2018 //
Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes         10.00 bis 17.00 Uhr // Comedia Theater // Köln
Nordrhein-Westfalen auch im kommenden Jahr Projek-         Das internationale Symposium widmet sich den Gestal-
te, die zeitgemäße und innovative Formen der Kultur-       tungsvoraussetzungen und ästhetischen Möglichkeiten
arbeit von und mit älteren Menschen und im Genera-         qualitätvoller inklusiver Kulturarbeit in den Sparten
tionendialog erproben. Für das Jahr 2018 stehen 100 000    Tanz, Theater und Musik. In Lecture Performances,
Euro zur Verfügung, um die künstlerisch-kulturellen        Gesprächsrunden und Probenbesuchen wird beleuch-
Aktivitäten von älteren Menschen zu fördern. Der För-      tet, welche neuen Methoden und Ausdrucksweisen
derschwerpunkt lautet: »Kultur für Männer nach der         in der künstlerischen Arbeit von mixed-abled Tanz-,
Berufsphase«.                                              Theater- und Musikensembles entstehen, wie Hilfsmit-
    Im Oktober 2017 tagte der Beirat des Förderfonds       tel zu Stilmitteln werden und welche Rolle neue Tech-
Kultur & Alter und gab für 11 der 60 eingereichten Pro-    nologien dabei spielen.
jekte eine Förderempfehlung für das Jahr 2018 ab. Die          Das Symposium ist eine Kooperationsveranstaltung
ausgewählten Projekte zeichnen sich durch eine beson-      von kubia, Sommerblut Kulturfestival e.V. und der
dere künstlerisch-kulturelle Qualität aus und entwickeln   internationalen Performing Arts Company Un-Label.
modellhafte und nachhaltige Formen und Formate der             Das Programm erscheint im Februar 2018.
Kulturarbeit mit Älteren.                                  WEITERE INFORMATIONEN:
    Ausgewählt wurden unter anderem verschiedene           www.ibk-kubia.de/symposium
Theaterprojekte mit Älteren, Musikprojekte, in denen
sich Alt und Jung über musikalische Vorlieben austau-
                                                           BÜHNE FREI!
schen und an DJ-Workshops teilnehmen, oder in denen
Menschen mit Demenz zu avantgardistischer Musik            Fachtag Theatergeragogik und Demenz
kreativ werden, sowie eine Schreibwerkstatt, deren Er-     4. Dezember 2017 // 10.00 bis 17.00 Uhr
gebnisse in einem Poetry Slam auf die Bühne gebracht       Melanchthon-Akademie // Köln
werden sollen.                                             Theater erreicht Menschen mit allen Sinnen. Wenn kog-
    Fünf der empfohlenen Projekte entsprachen dem För-     nitive Fähigkeiten nachlassen, können theatergeragogi-
derschwerpunkt und haben sich zum Ziel gesetzt, die in     sche Angebote für Menschen mit Demenz neue Wege des
der Kulturarbeit unterrepräsentierte Gruppe der älteren    Ausdrucks und der Kommunikation eröffnen und bislang
Männer anzusprechen.                                       unentdeckte Fähigkeiten ins Rampenlicht rücken. Der
    Die nächste Ausschreibung erfolgt im kommenden         Fachtag lädt Theaterfachleute, Kulturgeragoginnen und
Frühjahr für Projekte, die 2019 durchgeführt werden        -geragogen sowie Tätige in Altenhilfe und Pflege ein, sich
sollen.                                                    theoretisch und praktisch dem Themenfeld zu nähern.
WEITERE INFORMATIONEN:
                                                           Fachvorträge am Vormittag beleuchten die Thematik aus
www.ibk-kubia.de/foerderfonds                              altersmedizinischer Sicht, geben einen Überblick über
                                                           Methoden und Formate in der theatergeragogischen Pra-
                                                           xis und stellen anhand der »Oper für Jung und Alt« die
                                                           Chancen von kultureller Teilhabe mit Demenz vor. Am
                                                           Nachmittag geht es in parallel stattfindenden Workshops
                                                           um Menschen mit Demenz als Akteure auf der Bühne,
                                                           um die Gelingensbedingungen von demenzfreundlichen
                                                           (Musik-)Theaterbesuchen, um interaktives Theater im
                                                           Pflegeheim sowie um Bewegung und nonverbale Kom-
                                                           munikation.
                                                           WEITERE INFORMATIONEN:
                                                           www.ibk-kubia.de/fachtag-theatergeragogik
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           ZERTIFIKATSKURS KULTURGERAGOGIK                             THEMENSCHWERPUNKT KULTURELLE BILDUNG UND
           Im April 2018 startet der nächste Zertifikatskurs »Kul-     ALTER(N) AUF KUBI-ONLINE
           turgeragogik« an der Fachhochschule Münster. In der         Immer häufiger setzt sich die kulturelle Erwachsenen-
           einjährigen berufsbegleitenden Weiterbildung lernen         bildung auch mit den Bildungsinteressen und -barrieren
           Künstlerinnen und Künstler, Kulturpädagoginnen und          älterer Menschen auseinander. Vieles gilt es dabei aber,
           -pädagogen sowie Tätige in der Altenhilfe und Pflege,       noch differenzierter didaktisch und methodisch, adres-
           wie qualitativ hochwertige Kulturarbeit mit Älteren an-     satengerecht und alterssensibel zu reflektieren.
           geleitet und in die Praxis umgesetzt werden kann. Die           Gemeinsam mit kubia möchte die »Wissensplattform
           Weiterbildung richtet sich an Fachkräfte der Sozialen       Kulturelle Bildung Online« zu einem intensivieren Fach-
           Arbeit und Pflege, an Kulturpädagoginnen und -pädago-       diskurs über »Kulturelle Bildung und Alter(n)« motivie-
           gen sowie an Künstlerinnen und Künstler. Voraussetzung      ren. Fachkräfte der Kulturellen Bildung, aus Kulturwis-
           ist der Abschluss eines (Fach-)Hochschulstudiums oder       senschaft und -praxis sind herzlich eingeladen, sich in
           eine einschlägige Berufsausbildung mit Berufserfahrung.     den Diskurs einzumischen.
               Der Zertifikatskurs ist ein gemeinsames Angebot von         Wir freuen uns, wenn Sie Ihre Expertise teilen möch-
           kubia und der Fachhochschule Münster. Bewerbungen           ten und einen Fachbeitrag mit Ihrem Theorie-, Praxis-
           sind ab sofort möglich!                                     und Forschungswissen über Kulturelle Bildung im Alter
           KONTAKT UND WEITERE INFORMATIONEN:                          zur Veröffentlichung zur Verfügung stellen möchten.
           Fachhochschule Münster, Fachbereich Sozialwesen             KONTAKT UND WEITERE INFORMATIONEN:
           Referat Weiterbildung                                       Wissensplattform Kulturelle Bildung Online
           Ramona Geßler                                               Hildegard Bockhorst
           Telefon: 0251 8365771                                       redaktion@kubi-online.de
           ramona.gessler@fh-muenster.de                               www.kubi-online.de
           www.kulturgeragogik.de
                                                                       KUBIA BEIM DEUTSCHEN SENIORENTAG 2018
           NEUER GLANZ FÜR UNSERE INTERNETSEITEN                       kubia ist seit diesem Jahr (nicht stimmberechtigtes)
           Mit responsivem Design für mobile Endgeräte, inklusi-       Mitglied der BAGSO, der Bundesarbeitsgemeinschaft
           ven Zugangsmöglichkeiten und starken Bildern präsen-        der Senioren-Organisationen. Die BAGSO veranstaltet
           tieren sich seit Beginn dieses Jahres die Internet-Seiten   alle drei Jahre den Deutschen Seniorentag. 2018 findet
           von kubia und Theatergold. Videos in Gebärdensprache        der 12. Deutsche Seniorentag vom 28. bis 30. Mai in
           und Texte in Leichter Sprache sorgen für mehr Barriere-     den Westfalenhallen Dortmund statt und trägt das
           freiheit. Die Navigation erfolgt nun benutzerfreundlich     Motto »Brücken bauen«. kubia wird mit einem Stand
           über ein sogenanntes Hamburger-Menü. Ein Kalen-             und verschiedenen Veranstaltungsangeboten zur Kul-
           dertool mit Suchfunktion auf Theatergold.de gibt eine       turellen Bildung im Alter vertreten sein, unter anderem
           Übersicht über die lebendige Seniorentheaterszene in        in Zusammenarbeit mit dem Bund Deutscher Ama-
           ganz Nordrhein-Westfalen.                                   teurtheater.
               Unsere neu sortierten Websites ermöglichen den          WEITERE INFORMATIONEN:
           Nutzerinnen und Nutzern bereits auf der Startseite den      www.ibk-kubia.de/seniorentag
           schnellen Weg zu zentralen Themen unserer Arbeit: bei-
           spielsweise zum neuen Themenfeld Inklusion oder zu
                                                                       MITGLIEDSCHAFT IM KULTURRAT NRW
           den kulturgeragogischen Fortbildungsmöglichkeiten.
           WEITERE INFORMATIONEN:
                                                                       Seit Herbst dieses Jahres ist kubia Mitglied im Kulturrat
           www.ibk-kubia.de                                            NRW e. V., einem landesweiten unabhängigen Zusam-
           www.theatergold.de                                          menschluss von über 80 Organisationen in den sieben
                                                                       Sektionen Musik, Tanz, Theater, Medien, Literatur,
                                                                       Bildende Kunst und spartenübergreifende Kultur / So-
                                                                       ziokultur. Der Kulturrat NRW sieht seine Aufgabe ins-
                                                                       besondere darin, der Kunst und Kultur im Bundesland
                                                                       Nordrhein-Westfalen mehr Geltung zu verschaffen und
                                                                       die Voraussetzungen für ihre Entwicklung zu fördern.
                                                                       WEITERE INFORMATIONEN:
                                                                       www.kulturrat-nrw.de
F O Y E R // 13

INTERNATIONALE VERNETZUNG                                   REIF FÜR DIE BÜHNE: RICHTIG GIFTIG!
kubia ist seit 2016 Mitglied von AMATEO. Das Euro-          Ein Theaterreigen um Leben und Tod uraufgeführt
päische Netzwerk für Kulturteilhabe vertritt als europä-    Die Leverkusener Seniorentheatergruppe »Silberdisteln«,
ischer Verbund die Amateurkünste und unterstützt da-        unter Leitung der Theaterpädagogin Jessica Höhn, hat
mit ihre grenzübergreifende Vernetzung. AMATEO hat          im Sommer 2016 den Stückewettbewerb NRW »Reif
31 Mitglieder in 13 europäischen Ländern. Seit August       für die Bühne« mit ihrem Konzept »Allesfresser« für sich
2017 und bis Juli 2021 wird AMATEO nun von der Eu-          entschieden. Mit dem Preis wurden die Entwicklung
ropäischen Kommission unter dem Titel »Arts take part«      eines Theaterstücks gemeinsam mit dem Autor und
als kulturelles Netzwerk gefördert.                         Theatermacher Erpho Bell sowie die Inszenierung geför-
WEITERE INFORMATIONEN:                                      dert. Das Stück, das unter dem Titel »Richtig giftig! –
www.amateo.info                                             Ein Theaterreigen um Leben und Tod« im Oktober im
                                                            Leverkusener KAW (Kulturausbesserungswerk) urauf-
                                                            geführt wurde, thematisiert das Wechselspiel von Bezie-
WILDWEST 2018
                                                            hungen und Begegnungen, die das Leben prägen. Aus
Viertes Seniorentheatertreffen NRW im Consol                Sicht einer älteren Generation, die noch voll im Leben
Theater Gelsenkirchen                                       steht und nicht mehr bereit ist, alles zu schlucken, ver-
WILDwest geht in die vierte Runde: Vom 31. Mai bis          dichtet sich in der Theaterproduktion ein bitterböser
3. Juni 2018 steht im Consol Theater Gelsenkirchen          Reigen aus Zufällen und Missverständnissen. »›Rich-
wieder die vielfältige Seniorentheaterszene in Nordrhein-   tig giftig!‹ ist hervorragend arrangiertes Theater, das
Westfalen im Rampenlicht. Austausch, Dialog und Dis-        Lust auf mehr von dieser Regisseurin und ihrer Truppe
kurs bilden den Schwerpunkt des Festivals, das erneut       macht«, lobt der Kölner Stadt-Anzeiger in seiner Aus-
in Kooperation mit Theatergold, dem Forum für Thea-         gabe vom 18. Oktober 2017. Der Theatertext wird unter
ter im Alter in NRW, stattfinden wird. Im Dialog mit        dem Titel »Allesfresser« im Programm des Theaterverlags
jugendlichen Partnergruppen soll WILDwest im kom-           Hofmann-Paul veröffentlicht, in Auszügen auch in der
menden Jahr zu einem Brennglas gesellschaftlicher Fra-      Stückedatenbank von Theatergold.
gestellungen werden. Gelegenheit zur Diskussion bieten      KONTAKT UND WEITERE INFORMATIONEN:
die Workshops, Gesprächsrunden und nicht zuletzt die        Susanne Lenz
Festivalparty. Die Jury wird Mitte März 2018 Einla-         Telefon: 02191 79 42 95
dungen für vier Produktionen aussprechen, die mit un-       lenz@theatergold.de
gewöhnlichen Formen und Ästhetiken Perspektiven auf         www.theatergold.de
zeitgenössisch relevante Themen eröffnen.
KONTAKT UND WEITERE INFORMATIONEN:
Susanne Lenz
Telefon: 02191 79 42 95
lenz@theatergold.de
www.theatergold.de
14 // F O Y E R

           KULTURKOMPETENZ+                                            SCHREIBEN ÜBER GELEBTES LEBEN
           PRAXISWISSEN FÜR KULTURELLE BILDUNG                         BIOGRAFISCHES SCHREIBEN MIT ALTEN MENSCHEN
           IM ALTER UND INKLUSION                                      20. März 2018 // 10.00 bis 17.00 Uhr
           HALBJAHR 01/ 2018                                           Melanchthon-Akademie // Köln
                                                                       Leitung: Sabine Sautter
                                                                       Biografische Texte alter Menschen erzählen, was sie
           WEBINARE                                                    geprägt hat, was ihnen wichtig war und ist. Der Work-
                                                                       shop gibt eine praktische Einführung in das biografische
           KUNSTBEGEGNUNGEN IM MUSEUM FÜR MENSCHEN
                                                                       Schreiben. Texte, Bilder und Erinnerungsstücke werden
           MIT DEMENZ UND IHRE ANGEHÖRIGEN
                                                                       zu einem Lebensbuch für den alten Menschen selbst und
           21. Februar 2018 // 14.00 bis 15.00 Uhr                     seine Familie, auch als Gedächtnisstütze im Falle einer
           Online // Leitung: Arthur Schall und                        Demenz.
           Dr. Valentina Tesky
           Im Projekt »Artemis« führten Forschende im Bereich Al-      SENIORENCHORLEITUNG:
           tersmedizin der Goethe-Universität in Kooperation mit       METHODENWORKSHOP MIT CHOR
           dem Städel Museum in Frankfurt a. M. ein Kunstver-          14. April 2018 // 10.00 bis 17.00 Uhr
           mittlungsangebot für Menschen mit Demenz und ihre           Kunst- und Musikschule // Brühl
           Angehörigen durch. Das Webinar stellt den Aufbau der        Leitung: Dr. Kai Koch
           Kunstführungen und anschließenden Atelierbesuche vor        Einen Chor älterer Stimmen methodisch gut zu leiten,
           und zeigt die positiven Effekte eines solchen Angebots.     kann in diesem Workshop live mit dem Seniorenchor der
                                                                       Kunst- und Musikschule Brühl erprobt werden. Vormit-
           BARRIEREFREIE DOKUMENTE GESTALTEN
                                                                       tags stehen die Besonderheiten der Leitung eines Senio-
           20. Juni 2018 // 14.00 bis 15.00 Uhr                        renchors im Vordergrund. Die in praktischen Übungen
           Online // Leitung: Domingos de Oliveira                     erarbeiteten Probesequenzen werden am Nachmittag mit
           Viele Faktoren können die Lesbarkeit von digitalen und      dem Chor eingesetzt und gemeinsam reflektiert.
           analogen Dokumenten für Menschen mit Behinderung
           oder altersbedingten Einschränkungen erschweren. Die-       DRITTE RÄUME ÖFFNEN
           ses Webinar vermittelt, wie Texte gestaltet sein sollten,   THEATER MIT MENSCHEN MIT DEMENZ
           damit sie für möglichst viele Menschen zugänglich sind.     23. April 2018 // 10.00 bis 17.00 Uhr
           Auch die barrierearme Veröffentlichung von Fotos und        Begegnungszentrum Meerwiese // Münster
           Links im Internet wird Thema sein.                          Leitung: Erpho Bell und Wolfgang Marten
                                                                       Theater mit Menschen mit Demenz kann für alle Betei-
                                                                       ligten neue, kreative Räume öffnen, wenn sich die Spiel-
           WORKSHOPS                                                   szenen an den Potenzialen und Interessen der Spielenden
                                                                       ausrichten. In dem Workshop werden die Rahmenbedin-
           TANZBEGEGNUNGEN VON ALT UND JUNG GESTALTEN                  gungen für das gemeinsame Spiel, mögliche szenische
           27. Februar 2018 // 10.00 bis 17.00 Uhr                     Formen sowie deren konzeptionelle Weiterentwicklung
           Ballettzentrum Westfalen // Dortmund                        vorgestellt und erprobt.
           Leitung: Anna-Lu Masch
                                                                       IMPROVISATIONSTHEATER MIT ÄLTEREN
           Tanz- und Bewegungsarbeit, die sich auf die Stärken
           der Tanzenden konzentriert, rückt die wertfreie Selbst-     12. Juni 2018 // 10.00 bis 17.00 Uhr
           wahrnehmung sowie die eigene Kreativität in den Mit-        Kommunikationszentrum die börse // Wuppertal
           telpunkt. Der Workshop zeigt in praktischen Übungen,        Leitung: Sarah Mehlfeld
           wie auf dieser Basis eine fruchtbare Zusammenarbeit von     Gerade die Lebenserfahrung älterer Spielerinnen und
           Schülerinnen und Schülern mit Älteren entstehen kann.       Spieler ist eine wertvolle Quelle der Inspiration. Je mehr
                                                                       ein Mensch erlebt hat, desto facettenreicher kann er Sze-
           STARKE STIMMEN – RADIOARBEIT FÜR MENSCHEN MIT               narien und Figuren auf der Bühne entwerfen. Der Work-
           UND OHNE DEMENZ                                             shop zeigt, wie mit Mitteln des Improvisationstheaters
           6. März 2018 // 10.00 bis 17.00 Uhr                         der Ensemblezusammenhalt und das Selbstvertrauen auf
           VHS im Bildungszentrum // Gelsenkirchen                     der Bühne gestärkt werden können, und wie die Impro-
           Leitung: Heike Magnitz                                      visation die Theaterarbeit mit Älteren unterstützen kann.
           Eine eigene Radiosendung oder ein Hörspiel gestalten,
           Interviews führen, Texte entwerfen, Moderationen spre-
                                                                       ANMELDUNG UND WEITERE INFORMATIONEN:
           chen u. v. m. Während des Workshops können die Teil-
                                                                       www.ibk-kubia.de/qualifizierung
           nehmenden ausprobieren, wie Radiomachen ganz nieder-
           schwellig in der Arbeit mit Älteren und mit Menschen mit
           Demenz funktionieren kann.
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SALON

KULTUR IM DESIGN FÜR ALLE
MEHRWERTE FÜR UNTERSCHIEDLICHSTE ZIELGRUPPEN
Von Mathias Knigge

Produkte, Gebäude und Dienstleistungen sind für Menschen mit Behinderung oder mit altersbedingten
Veränderungen zum Teil nur schwer oder gar nicht nutzbar. Dabei ist es sinnvoll – vor dem Hintergrund
von Inklusion und demografischem Wandel –, anstelle spezieller und oftmals defizitorientierter Lösungen
für wenige Menschen klare Mehrwerte für möglichst große Gruppen zu schaffen. Mathias Knigge, Inhaber
der Agentur grauwert – Büro für Inklusion und demografiefeste Lösungen und Vorstandsmitglied von
Design für Alle – Deutschland e. V. (EDAD) ist überzeugt: Das Konzept »Design für Alle« bietet hier den
richtigen Ansatz, um Angebote zu entwickeln, die unabhängig von Alter oder Behinderung einfach und
komfortabel funktionieren, ohne zu stigmatisieren.

Unsere Gesellschaft verändert sich. Hersteller und     		Gebrauchsfreundlichkeit: Lösungen so gestalten,
Handel, aber auch Dienstleister, Tourismus und         dass sie einfach und sicher nutzbar sind. Damit ein
der Kulturbetrieb stehen in Zukunft zunehmend          Produkt von einem möglichst großen Nutzerkreis
Kundinnen und Kunden höheren Alters oder mit           niedrigschwellig und komfortabel eingesetzt wer-
Behinderung gegenüber und müssen auf deren             den kann, dürfen keine unverhältnismäßig gro-
spezifischen Bedürfnisse eingehen. Als attraktive      ßen körperlichen Anstrengungen und komplexen
Angebote gelten daher eher jene, die nicht nur gut     Bewegungen notwendig werden. Kraft, Moto-
aussehen, sondern auch durch leichte Nutzbarkeit       rik, Sinneswahrnehmung, Denkvermögen, Erfah-
überzeugen – ohne als »Seniorenprodukt« oder           rung sowie der kulturelle Hintergrund möglichst
Hilfsmittel wahrgenommen zu werden.                    vieler Nutzerinnen und Nutzer müssen bei der
                                                       Produktentwicklung berücksichtigt werden. Um
      BARRIEREFREI MIT ATTRAKTIVEN                     Informationen gut wahrnehmen zu können, soll-
             MEHRWERTEN                                te ein Produkt immer mehrere Sinne ansprechen
                                                       (»Zwei-Sinne-Prinzip«). Durch einfache, leicht ver-
In einer Studie für das Bundeswirtschaftsminis-        ständliche Bedienungsabläufe und eine hohe
terium (BMWi) hat grauwert mit Partnern (u. a.         Fehlertoleranz werden Anwendungsprobleme ver-
Kompetenznetzwerk EDAD) das Potenzial gut              mieden.
gestalteter Lösungen im »Design für Alle« aufge-       		  Anpassbarkeit: Lösungen so entwickeln, dass
zeigt. Diese illustriert anschaulich mit zahlreichen   unterschiedliche Nutzerinnen und Nutzer sie an
Beispielen, welche Kriterien berücksichtigt wer-       ihre individuellen Bedürfnisse anpassen können.
den sollten, damit barrierefreie Lösungen nicht        Individuelle Einstelloptionen ermöglichen mehre-
defizitorientiert auf eine Zielgruppe beschränkt,      ren Menschen den Umgang mit einem Produkt.
sondern allen Nutzerinnen und Nutzern offen            Die veränderbare Höhe von Stühlen oder die An-
stehen (Neumann et al. 2014):                          passung von Schriftgrößen auf dem Bildschirm
                                                       können den Nutzerkomfort maßgeblich steigern.
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           Tastobjekte in 3-D-Druck unterstützen den barrierefreien Zugang in Museen.

           Bei individuellen Einschränkungen machen die                verschiedene Methoden wie Befragungen, Beob-
           Einstellmöglichkeiten eine Nutzung zum Teil erst            achtungen, Produkttests, Simulationen oder die
           möglich. Für die Verwendung individueller Hilfs-            Verwendung von Normen und Checklisten kön-
           mittel (Brille, Hörgerät etc.) sollten entsprechende        nen die Wünsche der Kundinnen und Kunden
           Schnittstellen vorgesehen werden.                           ermittelt werden. Verbraucher-, Senioren- und
           		  Nutzerorientierung: Nutzerinnen und Nutzer              Behindertenverbände bieten dazu weitere Infor-
           und deren Perspektiven frühzeitig im Entwicklungs-          mationen an.
           prozess berücksichtigen. Wer die Bedürfnisse po-            		  Ästhetische Qualität: Nur attraktive Produkte
           tenzieller Nutzerinnen und Nutzer kennt und sie             können alle erreichen. Wesentliche Grundlage für
           rechtzeitig in die Produktentwicklung einbezieht,           eine Kaufentscheidung ist es, Aufmerksamkeit und
           erspart sich kostspielige Planungsfehler. Davon             Begehrlichkeiten, zum Beispiel durch Emotionen,
           profitieren nicht nur die Kundinnen und Kunden              zu wecken. Maßgeblich dafür ist eine ansprechen-
           (positives Nutzungserlebnis), sondern auch das              de äußere Gestaltung der Produkte, die sich in die
           Unternehmen (z. B. durch schlankere Prozesse,               Lebenswelt der Nutzerinnen und Nutzer positiv
           weniger Serviceanfragen und zusätzliche innova-             einfügt.
           tive Ideen).                                                		Eventuelle Unterstützungsfunktionen zur bes-
           		Der Fokus sollte nicht nur auf die Endnutze-              seren Bedienbarkeit sollen nicht als stigmatisieren-
           rinnen und -nutzer gerichtet sein. Auch andere              de Sonderlösung, sondern als attraktiver Mehrwert
           Personen werden das Produkt einsetzen, zum Bei-             dargestellt und auch so wahrgenommen werden.
           spiel Verkaufs-, Reinigungs- oder Kundendienst-             		  Marktorientierung: Produkte breit positionie-
           personal sowie Angehörige oder Gäste der End-               ren, um das gesamte Marktpotenzial optimal aus-
           verbraucherin oder des Endverbrauchers. Durch               zuschöpfen. Die Anforderungen von »Design für
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Alle« dürfen weder für die Kundschaft noch für das   Museen durchgeführt. Teilnehmende aus den
Unternehmen zum Preistreiber werden. Es sind         Bereichen Leitung und Personal, Bau und Tech-
letztlich die Mehrwerte der Produkte, die am         nik, Vermittlung und Kommunikation sowie
Markt überzeugen und die Zahlungsbereitschaft        dem kuratorischen Bereich konnten so eine neue
erhöhen. Preis, Kommunikation und Vertrieb des       Blickweise auf die vielfältigen Bedürfnisse von
Produkts müssen auf die jeweiligen Zielgruppen       Besucherinnen und Besuchern entwickeln und
abgestimmt sein. Dafür sollten die Gestaltungs-      eruieren, wo konkreter Handlungsbedarf besteht.
spielräume bei Produktentwicklungen genutzt          		Die Workshops helfen zu differenzieren, welche
werden, damit sich vielfältige Nutzergruppen an-     Schritte schnell erfolgversprechend umgesetzt und
gesprochen fühlen.                                   positiv zu kommunizieren sind. Kultureinrichtun-
                                                     gen können dadurch ihre begrenzten finanziellen
       INKLUSION IM KULTURBEREICH                    Mittel sinnvoll und gezielt einsetzen. Praxistipps
                                                     und Beispiele aus der interdisziplinären Arbeit er-
Alternative Inhalte in Kino und Theater: Kultu-      möglichen es den Teilnehmenden, bereits im Rah-
relle Veranstaltungen werden bei Sprachbarrieren,    men der Workshops Lösungsansätze abzustimmen.
Hör- oder Seheinschränkungen durch alternative       		  Vermittlungskonzept für die Kunsthalle Ham-
Inhalte zugänglich. Dazu zählen Hörunterstüt-        burg: Für die Ausstellung »Art and Alphabet« in
zung oder Szenenbeschreibung (Audiodeskription)      der Hamburger Kunsthalle hat grauwert ein Ver-
genauso wie Untertitel oder Sprachversionen (wie     mittlungskonzept entwickelt, um einer möglichst
Originalsprache). Mit einem speziellen WLAN-         breiten Gruppe von Besucherinnen und Besuchern
Streamer können Spielstätten den Live-Ton verzö-     den Zugang zur Ausstellung zu eröffnen. Durch
gerungsfrei auf Smartphones (oder Leihgeräte) der    eigens konzipierte und gestaltete Stationen werden
Zuschauerinnen und Zuschauer übertragen. Die         die Kunstwerke für verschiedene Sinne (Sehen,
Nutzung der barrierefreien App erfolgt im Thea-      Hören, Tasten, Riechen) erfahrbar. Das Konzept
ter oder Kinosaal individuell und für andere nicht   legt einen besonderen Schwerpunkt auf die Ver-
wahrnehmbar.                                         mittlung an Blinde und Sehbehinderte, lädt mit
		  Demografiekonzept für die Kunsthalle Emden:      seinen Angeboten aber ausdrücklich alle Besuche-
Die Kunsthalle Emden entwickelte mit der Agen-       rinnen und Besucher ein, die Ausstellung in ihrer
tur grauwert ein Demografiekonzept, mit dem Ziel,    sinnlichen Vielfalt kennenzulernen. Von den Ver-
Barrieren zu entfernen und attraktiven Komfort       mittlungsstationen, den deskriptiven Bildbeschrei-
bei der Kunstbetrachtung zu schaffen. Ein ebener     bungen und der akustischen Führung durch die
Zugang, leserliche Beschriftungen, aber auch er-     Ausstellung profitieren Besucherinnen und Besu-
höhte Sitzgelegenheiten gehören dazu. Neben den      cher mit unterschiedlichsten Bedürfnissen.
konkreten Maßnahmen unterstützte grauwert das        		  Online-Portal »Culture Inclusive«: Ein weiteres
Museum bei der langfristigen Umsetzung dieser        Beispiel dafür, wie Kulturangebote zugänglicher
Anpassungen mit einem Planungshandbuch.              gemacht werden können, veranschaulicht das Kul-
		  Workshops zu barrierefreier Kultur in Hamburg:   turportal »Culture Inclusive«. Auf dem von der
Die Hamburger Kulturbehörde hat sich zum Ziel        Firma Sennheiser initiierten und kostenfrei nutz-
gesetzt, langfristig barrierefreie Kulturangebote    baren Online-Portal werden unter www.culture-
in der Stadt zu etablieren. Dazu gab sie die Ent-    inclusive.com inklusive Kulturangebote und bar-
wicklung einer Workshop-Reihe zu diesem The-         rierefreie Veranstaltungsorte in ganz Deutschland
ma für Museen und Theater in Auftrag. Inzwi-         vorgestellt und können durch einen Filter sowie
schen wurden sechs Workshops in Theatern und         auf einer interaktiven Karte virtuell vorbesichtigt
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           werden: Kinos mit Audiodeskription, Theater mit        DER AUTOR:

           Gebärdendolmetscherin oder -dolmetscher, Oper          Mathias Knigge ist Ingenieur (Technische Universität
                                                                  Berlin) und Produktdesigner (Universität der Künste
           mit ebenem Zugang oder Ballett mit Hörunter-
                                                                  Berlin). Er hat sich auf die Entwicklung generationen-
           stützung. Auf dem integrierten Blog kann rund          übergreifender und inklusiver Lösungen spezialisiert.
           um inklusive Kultur diskutiert werden.                 2004 gründete er grauwert – Büro für Inklusion und
           		Es erklärt sich von selbst, dass das Portal als      demografiefeste Lösungen in Hamburg. Knigge berät
                                                                  Unternehmen, unterstützt bei der Produktentwicklung,
           barrierefreies Angebot im »Design für Alle« an-
                                                                  führt Produkttests und Analysen durch und vermittelt
           gelegt ist. Es ist also für jede Nutzerin und jeden    sein Wissen durch Trainings, Workshops sowie
           Nutzer – mit oder ohne Behinderung – zugänglich        Publikationen und Vorträge. Er ist Vorstandsmitglied von
           (BITV-konform und responsive für Computer,             Design für Alle – Deutschland e. V. (EDAD).
           Tablet und Smartphone) und bietet Informatio-
                                                                  LITERATUR:
           nen, die für alle Kunstinteressierten relevant sind.   Mathias Knigge (2013): Produktentwicklung für Alt und
                                                                     Jung. In: Axel Börsch-Supan: Verbrauchervielfalt:
                       DESIGN ALS SCHLÜSSEL FÜR                      Chancen des demographischen Wandels für Konsum
                                                                     und Finanzen. Frankfurt a. M., S. 216–227.
                            VERÄNDERUNG
                                                                  Mathias Knigge (2016): Design für Alle – Attraktiv und
                                                                     hilfreich. In: Angewandte Gerontologie 2016 [www.
           Es ist ein Kernbestandteil des Designs, mit Vielfalt      econtent.hogrefe.com/doi/pdf/10.1024/2297-5160/
           umzugehen und Komplexität in einfache Lösun-              a000036, letzter Zugriff: 20.10.2016].
                                                                  Mathias Knigge / Jörn Erkau (2014): Cinema and Theatre:
           gen zu überführen, die für sämtliche Lebenslagen
                                                                     Accessible Entertainment, with Benefits for All. In:
           geeignet sind. Studien belegen: Es ist kein bedeu-        UD 2014, Proceedings of the International Conference
           tender Mehraufwand, die Dimension der Diver-              on Universal Design, S. 421–422.
           sität bei der Produktentwicklung mitzudenken,          Peter Neumann / Mathias Knigge / Klaus Iffländer /
                                                                     Simon Kesting (2014): Entwicklung handlungs-
           doch der dadurch erzeugte Mehrwert ist im Ergeb-
                                                                     leitender Kriterien für KMU zur Berücksichtigung
           nis hoch – etwa zufriedene Kundinnen und Kun-             des Konzepts »Design für Alle« in der Unternehmens-
           den, mehr potenzielle Nutzerinnen und Nutzer,             praxis. Studie im Auftrag des Bundesministeriums für
           weniger Rückläufe, Fehlbedienungen und Ähnli-             Wirtschaft und Energie. Hamburg / Münster.
           ches –, sodass sich das zusätzliche Engagement als
                                                                  WEITERE INFORMATIONEN:
           eine Investition in die Zukunft lohnt.                 www.grauwert.info

                  KOMPETENZNETZWERK »DESIGN FÜR ALLE – DEUTSCHLAND«

                  Das deutschlandweite Kompetenznetzwerk Design für Alle – Deutschland e. V. (EDAD) berät,
                  informiert, forscht und vernetzt, damit Produkte, Dienstleistungen und eine gebaute Umwelt
                  besonders leicht und komfortabel für alle Menschen nutzbar sind. Die Mitglieder von EDAD
                  kommen sowohl aus der Forschung als auch aus der Praxis. EDAD ist die deutsche Mitglieds-
                  organisation des Design for All Europe e. V. (EIDD) mit Partnern in 23 europäischen Staaten.

                  WEITERE INFORMATIONEN:
                  Design für Alle – Deutschland e. V. (EDAD) – www.design-fuer-alle.de
                  Design for All Europe (EIDD) – www.dfaeurope.eu
ICH SEHE DAS PROBLEM NICHT
ZU DEN ILLUSTRATIONEN VON ÉDITH CARRON IN DIESEM HEFT

Seit sieben Jahren lebt die französische Illustratorin Édith Carron in Berlin. Ihre witzigen, spontanen und bunten
Zeichnungen und Animationen macht sie für renommierte internationale Printmedien wie den »New Yorker«,
die »New York Times«, die »Süddeutsche«, »Le Monde« oder »Die Zeit«. Dazu ausgebildet wurde sie an der École
Estienne in Paris, an der École supérieure des arts décoratifs in Straßburg
und der Weißensee Kunsthochschule in Berlin. Das kubia-»InkluCamp« zur
barrierefreien Kunst und Kultur im Mai dieses Jahres im Dortmunder U
dokumentierte sie live mit einem Graphic Recording. Mit bunten Stiften
und in stilisierten Illustrationen hielt sie Zwischentöne, Visionen und Hal-
tungen der Teilnehmenden des Barcamp fest. Ausgewählte Zeichnungen
schmücken die vorliegende Ausgabe. af

WEITERE INFORMATIONEN:
www.edithcarron.net
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           FELDFORSCHUNG IN
           OMAS KLEIDERSCHRANK
           VESTIMENTÄRE PRAKTIKEN VON FRAUEN ÜBER 60 JAHREN
           Von Esther Gajek

           Die Frage nach einem altersspezifischen Kleidungsverhalten stand am Beginn eines Seminars von
           Esther Gajek am Lehrstuhl für Vergleichende Kulturwissenschaft an der Universität Regensburg. Die
           Studierenden befragten ihre älteren weiblichen Verwandten dazu, warum sie welche Kleidung kaufen
           und tragen. Die 23 Interviewpartnerinnen bildeten eine große Bandbreite ab in Bezug auf ihr Alter
           und den gesundheitlichen Zustand, ihre regionale Herkunft, ihren ehemaligen Beruf und damit auch
           die finanzielle Situation sowie das aktuelle Lebensumfeld.*

           Das Seminar begann mit einer Bestandsaufnahme:        ihre Auswahl aber mit eng anliegenden Leggings
           Die Studierenden baten ihre Verwandten darum,         unter dem Rock, die sie wegen der niedrigen Tem-
           in ihrer (zufällig ausgewählten) Alltagsgardero-      peraturen angezogen hatte. Frau Kern (74), eine
           be zu erscheinen, möglichst auch Accessoires und      ehemalige Verkäuferin in der Kleidungsbranche,
           Unterwäsche mitzubringen. Alle erhaltenen Stücke      widersprach üblichen Vorstellungen, indem sie
           wurden vor Ort einzeln vermessen, fotografiert und    grundsätzlich in Läden für junge Frauen einkauft
           genau beschrieben. Um ein eventuell vorhandenes       und sich durchgängig schwarz anzieht. Auch ihre
           Spezifikum des Alters herauszuarbeiten, verglichen    Auswahlkriterien (Aktualität vor Qualität) und
           die Studierenden sodann den Kleidungsbestand der      besonders ihr Kaufverhalten, das von den Studie-
           älteren Verwandten mit demjenigen, den sie selbst     renden als »Frustshoppen« bezeichnet wurde, hat-
           an diesem Tag trugen. In einem zweiten Schritt        te das Forschungsteam nicht bei dieser Altersgrup-
           führten die Studierenden mit den Verwandten ein       pe erwartet: »Wenn ich oft recht bedrückt bin und
           Gespräch über die Kleidungsstücke und erfragten       ich komme dann in die Stadt. Das ist für mich,
           biografische Zusammenhänge.                           wie soll ich das sagen, früher hab’ ich immer mir
                                                                 das Neue an den Schlafzimmerschrank gehängt
             GESUNDHEITSSCHUHE UND LEDERJACKE                    voller Freude und es angeschaut. […] Es baut ei-
                                                                 nen auch auf.« (Frau Kern)
           Schon kurze Blicke auf die Fotos der Interviewpart-   		Hatten schon gewisse Kombinationen von
           nerinnen und die genauen Beschreibungen ihrer         Kleidungsstücken, aber auch das Kaufverhal-
           Kleidungsstücke zeigten ein Spannungsfeld, das        ten Anlass gegeben, die im Seminar vorhande-
           am Beispiel zweier Frauen mit sehr unterschied-       nen Meinungen infrage zu stellen, so erst recht
           lichem Kleidungsstil umrissen werden kann: Frau       der Blick auf die einzelnen Kleidungsstücke bei-
           Reich**(84), gelernte Schneiderin, nach der Heirat    der Altersgruppen: Isoliert fotografiert konnten
           als Hausfrau tätig, entsprach mit violetter Strick-   zum Beispiel bestimmte Unterhemden, einzelne
           jacke, knielangem Wollrock, Perlenkette, Dauer-       T-Shirts, aber auch Jeans oder Lederjacken nicht
           welle und Gesundheitsschuhen einerseits einem         mehr ohne Weiteres einer bestimmten Altersgrup-
           gängigen Stereotyp der Großmutter, erweiterte         pe zugeschrieben werden. Schnell wurde deutlich,
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In seiner Reihe »Spring-Autumn« thematisiert der asiatische Fotograf qozop die Rolle der Kleidung in unserer Gesellschaft
durch die spielerische Gegenüberstellung von zwei Generationen.

dass – betrachtet man die Textilien isoliert – keine                  KONTINUITÄT IM KLEIDUNGSSTIL
Rede von einem typischen Kleidungsstil von Frau-
en über 60 Jahren sein kann. Spezifische Merkma-               Mit dem Eintritt in den Ruhestand hatten die Be-
le, die mit einem vermeintlichen Stil von Frauen               fragten ihre Kleidungsgewohnheiten nicht grund-
50 plus bzw. dessen Stereotypisierung in Verbin-               legend verändert. Der Großteil ihrer Garderobe
dung gebracht werden, überwogen weder bei den                  entsprach, so ein signifikantes Ergebnis, einem
Farben und Mustern (Beige, Pastelltöne, große                  Kleidungsstil, den die Frauen über Jahrzehnte
Muster) noch bei den Formen und Details (weite,                entwickelt hatten. Augenfällig war jedoch, dass
figurumspielende Schnitte, Hosen mit Gummi-                    die ehemalige Berufstätigkeit bzw. das damit ver-
bund, untaillierte Blusen und Kleider, flache, weit            bundene Außer-Haus-Sein ausschlaggebend dafür
geschnittene Schuhe). Diese waren – wenn über-                 zu sein schien, sich insgesamt aufwendiger anzu-
haupt – eher bei Frauen ab 80 anzutreffen und kei-             ziehen und diesen Stil auch noch im Ruhestand
neswegs typisch für alle Frauen ab 60 Jahren. Erst             beizubehalten (vgl. Twigg 2013: 65; 72). »Ich war
die Kombination aus Schnitt, Farben, Mustern,                  immer beruflich tätig. Ich musste immer chic
Details und Accessoires ergab eine gewisse Ho-                 sein und das hab’ ich dann so beibehalten. Ich
mogenität, die jedoch nur als Tendenz konstatiert              würde nie morgens aus dem Badezimmer gehen
werden konnte und viele Ausnahmen einschloss.                  und nicht richtig angezogen sein oder richtig fer-
                                                               tig sein«, beschrieb es Frau Wolf (87), ehemalige
                                                               Finanzbuchhalterin.
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           Die teilnehmenden Jugendlichen und Älteren des Fotoprojekts wurden einmal in ihrer Alltagskleidung sowie einmal nach
           dem Kleidertausch fotografiert.

           Die ehemalige Lehrerin Frau Kroll (78) ist ein gu-          Kleidungsverhalten von Frau Fischer (82). Die
           tes Beispiel für einen Kleidungsstil, der von den           gelernte Schneiderin legt bis heute in jeder Le-
           Eltern vorgelebt wurde, sich noch heute konkre-             benssituation großen Wert auf ihr Aussehen. Für
           tisiert und dann auch selbst an Kinder und En-              bevorstehende Krankenhausaufenthalte bügelt sie
           kelkinder weitergegeben wurde und wird. Es sei              sogar ihre Unterhosen. Wie auch bei Frau Kroll ist
           bei den Eltern üblich gewesen, »dass man auch da            die Kleidung von Frau Fischer stark auf ein Ge-
           sehr gepflegt war, also nicht nur das Haus und die          genüber bezogen: auf die Kirchengemeinde, auf
           Wohnung gepflegt hatte, sondern auch sich selbst.           Ärzte und Pflegende im Krankenhaus.
           Die Kleidung dient Frau Kroll einerseits zur Beto-
           nung des Typs, der Darstellung des Ichs und der                 VERBERGEN DES SICHTBAREN ALTERS
           eigenen Werte (»Ordnung, Sauberkeit, Gepflegt-
           heit«), ist aber auch auf das jeweilige Gegenüber           Bei einer genaueren Durchsicht der fotografierten
           ausgerichtet und hat damit eine kommunikative               Kleidungsstücke fiel auf, dass besonders die Ober-
           Funktion: »Man möchte zum Beispiel ausdrü-                  teile ganze Körperzonen verhüllten (vgl. Twigg
           cken, ich schätze euch wert; ich mache mich schön           2013: 60f.) oder dem Blick entzogen, und das
           für euch, wenn ihr mich eingeladen habt, und das            nicht nur wegen der winterlichen Jahreszeit, in der
           sollt ihr auch sehen.« (Frau Kroll)                         die Gespräche stattfanden. Dies galt vor allem für
           		Weniger familiäre Dispositionen wie bei Frau              das Dekolleté. Darauf angesprochen, führte eine
           Kroll als vielmehr eigene Interessen prägen das             70-Jährige körperliche Veränderungen als Grund
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für dessen Verbergen an (vgl. ebd.: 59–61): »Wenn         MODIFIKATIONEN DURCH DEN KÖRPER
wirklich halt Frauen vorher ein bisschen ausge-
schnitten rumliefen, in dem Alter nicht mehr.          Körperliche Einschränkungen, wie Beinschwel-
Weil ja erstens der Busen nicht mehr so. […] Der       lungen oder Gehbeschwerden, Inkontinenz oder
kann ja schon Falten haben. […] Hochgeschlos-          das Bedürfnis nach Wärme, gingen mit Modifika-
sen muss es nicht sein, aber ja ausgeschnitten halt    tionen an Kleidungsstücken einher: Komfortbün-
ohne, ohne dass man da den Schlitz sieht.« (Frau       de ersetzten enger anliegende Strümpfe und Schu-
Loos, 70, ehemalige Arbeiterin in der Landwirt-        he mit niedrigen Absätzen solche mit hohen. Diese
schaft)                                                gesundheitlichen Aspekte, die nun in Kleiderkauf
		»In dem Alter nicht mehr« verdeutlicht das, was      und -auswahl hineinspielten, galten in der Mehr-
der Soziologe Klaus R. Schroeter als Unterschied       zahl für die Interviewpartnerinnen, die über 80
zwischen alten und jungen Körpern beschreibt:          Jahre alt waren. Teile ihrer Kleidung waren stark
»So, wie die korporalen Kompetenzen in Kindheit        durch Funktionalität geprägt. Weil zum Teil mul-
und Jugend auf das ›Noch-nicht‹ verwiesen, auf das     tiple körperliche Einschränkungen das Anziehen
›Noch-nicht-Können‹, das ›Noch-nicht-Dazugehö-         anstrengend werden ließen, wirkte sich dies auch
ren‹, so mahnen die korporalen Kompetenzen im          auf die Kleiderauswahl aus. Dass sich hier ein Al-
Alter den verbliebenen Abstand zur ideell gesetz-      tersspezifikum konkretisiert, läge nahe, muss aber
ten Grenze des ›Nicht-mehr‹(-Könnens, -Dazuge-         infrage gestellt werden; viel eher handelt es sich
hörens usw.) an. Der Körper bringt einem im Alter      bei der Kleiderauswahl um eine Reaktion auf ein-
die Grenzen immer näher.« (Schroeter 2007: 136f.)      geschränkte Bewegungsmöglichkeiten, die in je-
		Vor allem in der Gruppe der über 80-Jährigen         dem Alter auftreten können.
herrschte Konsens darüber, dass es sich im Alter
generell nicht schicke, Haut zu zeigen bzw. sich                HOSEN FÜR MEHR KOMFORT
jugendlich anzuziehen. Die Tabus wurden immer
dann besonders deutlich, wenn die Interviewpart-       Als Inbegriff bequemer Kleidung galt den be-
nerinnen von Gleichaltrigen erzählten, die den         fragten Frauen die Hose. Entgegen gewissen Er-
unausgesprochenen Normen zu widersprechen              wartungen wurde diese von allen Interviewpart-
scheinen: Hosen, die zu viel Bein zeigten, Nie-        nerinnen getragen: bei einem Teil der Gruppe
ten oder zu kurze Jacken galten als »deplatziert«.     (besonders jenen unter 70) in Kontinuität zu ih-
Etwas jüngere Interviewpartnerinnen wiederum           rem bisherigen Leben, bei anderen als Kleidungs-
gestatten sich und anderen, »ruhig Haut zeigen         stück, das sie erst im Ruhestand entdeckt hatten.
[zu dürfen], vor allem im Sommer«, aber unter der      »[Ich] habe mich auch in den letzten Jahren auf
Prämisse, dass »die Haut gepflegt ist.« (Frau Kroll)   Hosen spezialisiert«, sagte eine 70-Jährige, die so-
		Aus den oben zitierten Passagen der Interview-       gar von einer regelrechten »Hosensucht« sprach
partnerinnen geht hervor, dass Alter immer eine        (Frau Loos). Auch eine andere Befragte entdeck-
soziale Interpretation ist. Der vermeintliche wie      te dieses Kleidungsstück erst spät: »Ich fand das
auch der tatsächliche Blick der anderen entschei-      erst nicht so schön für eine Frau. Weil ich schöne
den darüber, was als tragbar gilt und was nicht.       Beine habe, konnte ich die zeigen. Aber sie sind
Deutete sich bei einigen jüngeren Befragten ein        bequem. Und deshalb trage ich jetzt auch Hosen.«
Wandel vom Zeigen zum Verstecken an, so galt           (Frau Kroll)
für die über 80-Jährigen, dass sie oft mit dem Ver-
hüllen des Körpers aufgewachsen waren.
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