LEBEN GESTALTEN INKLUSIVES DESIGN - DAS KUBIA-MAGAZIN / 13 - grauwert
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DAS KUBIA-MAGAZIN / 13 INHALT 26 Partizipatives Design Ein Porträt der Arbeit von Dementia Lab Ann-Katrin Adams 29 Do it yourself Alltagstaugliches Design für Menschen mit Demenz Anneke Goertz 32 LIEBLINGSSTÜCK »Sag’s mit Inklumoji« 33 Zum Spielen ist man nie zu alt 03 Games und Alter ENTRÉE Denise Gühnemann 05 35 FOYER ATELIER »Mein Normal passiert in eurem Normal!« Praxistipps // Ausbildung // Ausschreibung // Das Barcamp zu Inklusion und Barrierefreiheit in Ausstellung // Neuerscheinungen Kunst und Kultur Janine Hüsch 39 GALERIE 11 Erinnerungsräume partizipativ gestalten Neues von kubia Ein Porträt der Kulturgeragogin Evelyn Duerschlag Kim de Groote 15 SALON 42 Kultur im Design für Alle Farbenfrohe Mode für besondere Menschen Mehrwerte für unterschiedlichste Zielgruppen Natalie Dedreux und Andrea Halder im Gespräch mit Mathias Knigge der Modedesignerin Isabella Springmühl 19 46 »Ich sehe das Problem nicht« LOUNGE Zu den Illustrationen von Édith Carron Radiotipp: Angel Radio, der britische Sender von in diesem Heft Älteren für Ältere Coworking-Tipp: TUECHTIG schafft Raum 20 für Inklusion Feldforschung in Omas Kleiderschrank Vestimentäre Praktiken von Frauen über 60 Jahren 48 Esther Gajek IMPRESSUM kubia – Kompetenzzentrum für Kulturelle Bildung im Alter und Inklusion: www.ibk-kubia.de
E N T R É E // 03 ENTRÉE Liebe Leserinnen und Leser, jetzt schlägt’s dreizehn! Wer hätte gedacht, dass Alter und Behinderung einmal zu Themen für Design werden? Die dreizehnte Ausgabe unserer Kulturräume tritt den Beweis an. Hier dreht sich alles um die inklusive und altersfreundliche Gestaltung von Produkten, kulturellen Dienst- leistungen und virtuellen Angeboten. Statt spezieller und oftmals defizitorientierter Lösungen für wenige Menschen hat inklusives Design klare Mehrwerte für ganz unterschiedliche Grup- pen, so die Erfahrung von Mathias Knigge von der Agentur grauwert. Auch für den Kulturbe- reich bietet das »Design für Alle« eine Vielzahl von praktikablen Möglichkeiten, die unabhängig von Alter oder Behinderung einfach und komfortabel funktionieren, ohne zu stigmatisieren. Das internationale DementiaLab beschreitet andere Wege: Es nimmt die individuellen Bedürf- nisse von Menschen mit Demenz in den Fokus und sucht mit ihnen gemeinsam nach kreati- ven Design-Lösungen. Wie diese in der Praxis ausschauen können, zeigt die Produktdesignerin Anneke Goertz mit ihren Do-it-yourself-Tipps, die alten Menschen den Alltag leichter machen sollen. Auch für die von uns porträtierte Kulturgeragogin Evelyn Duerschlag ist Partizipation elementar. Gemeinsam mit Bewohnerinnen und Bewohnern von Alteneinrichtungen gestaltet sie großflächige Wandbilder zu bewohnbaren Erinnerungen. Den Bereich des Game-Designs assoziieren wir ebenfalls nicht unbedingt mit alten Menschen. Medienexpertin Denise Gühne- mann berichtet uns von der generationenverbindenden Kraft digitaler Spiele und dem YouTube- Kanal »Senioren zocken«. Ein wichtiges Feld des Designs ist die Mode. Schließlich machen Kleider Leute – egal in wel- chem Alter. Die Kulturwissenschaftlerin Esther Gajek und ihre jungen Studierenden haben sich damit befasst, ob es ein altersspezifisches Kleidungsverhalten gibt. Nicht das kalendarische Alter, sondern die Sozialisation und die aktuellen Lebensumstände bestimmen, wie wir uns kleiden, so das Ergebnis. Farben- und lebensfroh ist die Mode der guatemaltekischen Designerin Isabella Springmühl, mit der unsere Kolleginnen aus der Ohrenkuss-Redaktion gesprochen haben. Mit leuchtenden Farben, traditionellen Stoffen und viel Herz kreiert die erste Modeschöpferin mit Down-Syndrom einen unverwechselbaren Stil und tragbare Mode für Menschen mit und ohne Behinderung. Im Foyer berichten wir von unserem großartigen »InkluCamp« im vergangenen Mai im Dort- munder U. Dort haben sich Fachleute unterschiedlichster Disziplinen über Barrierefreiheit in Kunst und Kultur ausgetauscht. Die Illustratorin Édith Carron hat das Barcamp mit einem Graphic Recording meisterlich dokumentiert – davon zeugen ihre Zeichnungen in unserem Heft. Kreativität und Mut zur Gestaltung wünscht Ihre Redaktion
F O Y E R // 05 FOYER MEIN NORMAL PASSIERT IN EUREM NORMAL! DAS BARCAMP ZU INKLUSION UND BARRIEREFREIHEIT IN KUNST UND KULTUR Von Janine Hüsch Das »InkluCamp« am 10. Mai 2017 im Dortmunder U bot ein Forum, um Inklusion im Kontext von Kunst und Kultur aus verschiedenen Perspektiven zu diskutieren. Rund 85 Fachleute aus Kultur, Wirtschaft, Design und Forschung nutzten die Gelegenheit, sich auszutauschen und von Erfahrungen, Projektideen, konkreten Lösungsansätzen sowie Impulsen angrenzender Disziplinen für ihre künftige Arbeit zu profitieren. Organisiert wurde das »InkluCamp« von kubia in Zusammenarbeit mit Uzwei_ Kulturelle Bildung im Dortmunder U. VERANSTALTUNG AUF AUGENHÖHE INKLUSION – MÜSSTEN WIR AUCH? Keine langen Grußworte, dafür alle per Du: Zu Bevor es in die Sessions ging, stimmte Juliane Beginn des Tages empfing Moderatorin Annette Gerland, Juniorprofessorin für Kulturelle Bildung Ziegert die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des und Inklusion an der Universität Siegen, auf die spartenübergreifenden »InkluCamps« und verwies thematische Ausrichtung des »InkluCamps« ein. gleich auf die »Spielregeln« dieses besonderen For- In ihrem Impulsvortrag mit dem provokanten mats: Bei einem Barcamp steht das Tagungspro- Titel »Inklusion – müssten wir auch? Sollten wir gramm vor Beginn der Veranstaltung noch nicht aber! Könnten wir schon! Machen wir doch …, fest. Es macht keinen Unterschied zwischen Refe- oder nicht?« reflektierte sie die Fragen, die alle, rierenden und Teilnehmenden, sondern ermöglicht die sich im Feld der Kunst und Kultur mit In- allen Interessierten, eigene Impulse einzubringen. klusion beschäftigen, umtreiben – ob persönlich- Bereits im Vorfeld wurden zahlreiche Vorschläge subjektiv oder institutionell. Gerland verwies auf für sogenannte Sessions eingereicht, über welche die rechtliche und gesetzliche Grundlagen für Inklu- Teilnehmenden bei der gemeinsamen Sessionpla- sion und machte klar, dass darüber hinaus die nung abstimmen konnten. Auch spontane Beiträge anstrengende, aber unausweichliche Bestimmung waren willkommen. Am Ende gab es für das »In- der Begrifflichkeiten »Kunst und Kultur« sowie kluCamp« 16 Vorschläge. Die Formate reichten von »Inklusion« elementar sei. Um Inklusion im Kon- Projektvorstellungen, -ideen und -initiativen über text von Kunst und Kultur zu betreiben, bedürfe den Informationsaustausch bis hin zu Diskussions- es einer Schärfung des Blicks auf bereits gelingen- und Feedbackrunden sowie Kurzvorträgen. Das de Umsetzungen. Inklusion lasse sich weniger als Interesse des Plenums an den Vorschlägen war so ruckartiger Einschnitt begreifen, der alles bisher groß, dass alle Sessions in den »Stundenplan« über- Dagewesene umwirft, sondern vielmehr als ei- nommen werden konnten. ne sukzessiv ablaufende Zunahme glückender
06 // F O Y E R Die Qual der Wahl zwischen vielen Sessions inklusiver Momente, die gründlich reflektiert und Herausforderungen im Berufsalltag einer autis- weiterentwickelt werden können. Inklusion im tischen Mediengestalterin und Vorbilder aus der Kontext von Kunst und Kultur bedeute für den Museumslandschaft für gelungene inklusive Kul- Kulturbetrieb aber insbesondere eins: Öffnung. turvermittlung – beispielsweise mittels Schwellko- Öffnung für neue Adressatengruppen, Öffnung pien, 3-D-Druck, digitaler Museumsguides, par- für bisher unerprobte Formate, Öffnung für an- tizipativer Medienprojekte mit Inklusionsklassen dere Methoden. oder multisensorischer Vermittlungsstationen. VIELFÄLTIGE SESSIONTHEMEN INKLUSIVES VERANSTALTUNGSFORMAT Im Anschluss an den Impulsvortrag wählten die Der Austausch auf Augenhöhe in kleinen Grup- Teilnehmenden nach eigenen Interessen vier Sessi- pen war gewinnbringend: Es wurde wissbegierig, ons aus dem Stundenplan aus. kritisch und inspiriert diskutiert. Viele Sessions Die Themen waren denkbar vielfältig: Möglich- nutzten, im Gegensatz zu klassischen Tagungen keiten, aber auch Grenzen des Leitbilds »Design für mit frontalen Vortragssituationen, das Format der Alle« im Kulturbetrieb; Arbeitsweisen und Finan- offenen Gesprächsrunde. Menschen mit und ohne zierung inklusiver Theaterprojekte und -gruppen; Behinderung waren sowohl Sessionleitung als auch Planungsschritte für inklusive Veranstaltungen; Teilnehmende. So erwies sich das Barcamp als per Nachhaltigkeit inklusiver Projekte; barrierefreie se inklusives Veranstaltungsformat, das Teilhabe Internetnutzung; Präsentation internationaler Vor- ermöglicht und einen Rahmen schafft, wo jede bilder für Inklusion – sei es mit Blick auf gesell- und jeder etwas beitragen kann. Alle Teilnehmen- schaftliche bzw. politische Voraussetzungen oder den sind gleichberechtigte Expertinnen und Exper- speziell mit Blick auf Theater und Performances; ten. Es findet eine bereichernde Öffnung für neue
F O Y E R // 07 Stimmen statt. Gerade bei dem Thema Inklusion, das teils mit Berührungsängsten und Unsicherhei- ten verbunden ist, kann ein Barcamp Barrieren beseitigen und dazu beitragen, dass Menschen auf- einander zugehen, um gemeinsam Fortschritte zu machen. KUNST EXKLUSIV ODER BEISPIELGEBEND? Wie sieht es mit den inhaltlichen Erkenntnissen des Barcamps aus? Inwieweit können Kunst und Kultur in Sachen Inklusion bestehen? Der Kultur- bereich könnte, wie es Juliane Gerland in ihrem Eröffnungsvortrag erläuterte, auf den ersten Blick zunächst auch exklusiv erscheinen. Denn kulturelle Teilhabe kostet Geld, künstlerisches Talent bedarf zwecks Entfaltung einer nachhaltigen Förderung, Kunst wirkt oft komplex und anspruchsvoll und eine Teilnahme oder Mitwirkung kann längere Multisensorische Vermittlung: Übung und Erfahrung voraussetzen. Doch in den Ein Objekt zum Ertasten und Lesen Sessions des Barcamps konnte in zahlreichen Bei- spielen das Gegenteil bewiesen und das von Gerland multisensorische Stationen im Museum. Sie bieten benannte »inklusive Potenzial künstlerischer Medi- Kunstvermittlung auf verschiedenen sinnlichen en und Methoden« herausgestellt werden. Es zeigte Ebenen. So eröffnen Tastmodelle (z. B. Repliken sich, dass Kunst und Kultur gar beispielgebend sein von Kunstwerken mittels 3-D-Druck), Audio- können für eine kunst- und kulturunabhängige in- guides, Videos mit Gebärdensprache oder riechbare klusive Gesellschaftsentwicklung: Künstlerischen Objekte allen Besucherinnen und Besuchern neue Projekten und kreativen Prozessen sind Grenzüber- Erfahrungshorizonte. Zudem wird auf diese Weise schreitungen und Experimente oft immanent, was ein wichtiger Aspekt der Inklusion umgesetzt: Die sich wiederum als hilfreiche Qualität – auch für in- Angebote ermöglichen Teilhabe und Selbstbestim- klusive Prozesse – erweist. mung gleichermaßen. BARRIEREFREIHEIT ALS NUTZEN FÜR ALLE GRENZEN DES DESIGNS FÜR ALLE Häufig wird konstatiert, dass Barrierefreiheit – in Darüber hinaus ist aber auch festzuhalten, dass ein welcher Form auch immer – etwas ist, das einen solches »Design für Alle« zwar grundsätzlich ge- Mehrwert für jedermann bietet. Dahinter steckt dacht und umgesetzt werden sollte, jedoch ebenfalls die Haltung, nicht defizitorientierte Lösungen für zugelassen werden muss, Sonderwege zu finden. wenige, sondern attraktive Angebote für alle zu Es müssen auch alternative Zugänge geschaffen entwickeln. Es kann folglich für den Kulturbereich werden, die sich eben nicht an alle, sondern an fo- hilfreich sein, sich nicht allein auf eine Zielgruppe kussierte Zielgruppen richten, beispielsweise Au- zu konzentrieren, sondern den allgemeinen Nutzen dioguides in Leichter Sprache für Menschen mit im Blick zu haben. Ein gutes Beispiel dafür sind Lernschwierigkeiten.
08 // F O Y E R In ähnlicher Weise belegen die Erfahrungen, noch zu fehlen. Die Angst zu diskriminieren und die in den vorgestellten Praxisprojekten gemacht die Unsicherheit zu stigmatisieren lähmen oft die wurden, dass es in inklusiven Kulturprojekten Entscheiderinnen und Entscheider, ihre Angebote meist keine Standardlösungen für Barrierefreiheit für Menschen mit Behinderung zu öffnen. geben kann, sondern individuelle Lösungen gefun- Häufig sei aber auch das Problem, wie eine Teil- den werden müssen. nehmerin einbringt, dass Menschen mit Behinde- rung oft selbst exklusiv denken und eine Barriere KEINE CHECKLISTEN FÜR INKLUSION im Kopf haben. Sie dächten oft, dass sie nicht ge- meint sind. Sie müssten daher auch selbst eine ver- In den Diskussionen während des Barcamps wur- änderte Haltung zu Inklusion entwickeln und klar de deutlich, dass eine Öffnung des Kulturbereichs kommunizieren: »Mein Normal passiert in eurem hin zu Inklusion bzw. inklusiven Angeboten nicht Normal!« denkbar ist, ohne diejenigen, die es betrifft, mit ihren Fähigkeiten einzubeziehen und mit ihnen INKLUSIVE WILLKOMMENSKULTUR als Wissensproduzentinnen und -produzenten zu- sammenzuarbeiten. Um attraktive, konkrete und Umso wichtiger ist es, dass entsprechende Angebo- zum Teil individuelle Lösungen für Nutzerinnen te und Möglichkeiten explizit als barrierefrei oder und Nutzer zu finden und Kosten zu sparen, soll- inklusiv kommuniziert werden, damit sich Men- ten Behindertenbeauftragte bzw. Expertinnen und schen mit Behinderung auch eingeladen fühlen. Zu Experten in eigener Sache von Anfang an in die dem damit verbundenen Ziel, eine Willkommens- Planung barrierefreier Projekte eingebunden sein. kultur in den Kulturbetrieben zu etablieren oder Checklisten etwa zur Barrierefreiheit allein genü- zu verbessern, gehört dann auch, die rechtlichen gen da nicht. Es bedarf der Prozessbegleitung. Grundlagen (z. B. die Bedeutung der Buchstaben im Schwerbehindertenausweis) zu kennen und das BARRIEREN IM KOPF Personal (beispielsweise an den Kassen) entspre- chend zu schulen. Zugleich zeigte der Blick in andere Länder, dass Alles in allem machte das »InkluCamp« deut- in Deutschland nicht nur der definitorische Rah- lich, dass barrierefreie Kunst und Kultur ein men von Behinderung viel weiter gedacht werden virulentes Thema darstellt, das von einem in- muss, sondern die Haltung gegenüber Inklusion ei- terdisziplinären Gedankenaustausch aller(!) an ner grundlegenden Veränderung bedarf. Inklusion Inklusionsprozessen Beteiligten nur profitieren muss hierzulande noch »erlernt« werden, denn der kann, um für die Möglichkeiten der Barrierefrei- selbstverständliche Umgang mit Inklusion scheint heit weiterhin zu sensibilisieren. jh »INKLUCAMP« IM BILD Die fotografische Dokumentation des »InkluCamps« erstellte Anna Spindelndreier. Sie arbeitet als freie Fotografin unter anderem für die Fotodatenbank »Gesellschaftsbilder«. Diese Datenbank wird von dem Verein Sozialhelden e. V. betrieben und richtet sich an Medienmacherinnen und -macher sowie an alle Interessierten, die für ihre Arbeit Bilder fernab von Klischees suchen und die Vielfalt der Gesellschaft abbilden möchten. WEITERE INFORMATIONEN: www.gesellschaftsbilder.de
F O Y E R // 11 NEUES VON KUBIA FÖRDERFONDS KULTUR & ALTER 2018 ALL IN. ÄSTHETIK UND METHODEN DER INKLUSIVEN Ergebnisse der Beiratssitzung KULTURARBEIT Mit dem Förderfonds Kultur & Alter unterstützt das Internationales Symposium // 8. Mai 2018 // Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes 10.00 bis 17.00 Uhr // Comedia Theater // Köln Nordrhein-Westfalen auch im kommenden Jahr Projek- Das internationale Symposium widmet sich den Gestal- te, die zeitgemäße und innovative Formen der Kultur- tungsvoraussetzungen und ästhetischen Möglichkeiten arbeit von und mit älteren Menschen und im Genera- qualitätvoller inklusiver Kulturarbeit in den Sparten tionendialog erproben. Für das Jahr 2018 stehen 100 000 Tanz, Theater und Musik. In Lecture Performances, Euro zur Verfügung, um die künstlerisch-kulturellen Gesprächsrunden und Probenbesuchen wird beleuch- Aktivitäten von älteren Menschen zu fördern. Der För- tet, welche neuen Methoden und Ausdrucksweisen derschwerpunkt lautet: »Kultur für Männer nach der in der künstlerischen Arbeit von mixed-abled Tanz-, Berufsphase«. Theater- und Musikensembles entstehen, wie Hilfsmit- Im Oktober 2017 tagte der Beirat des Förderfonds tel zu Stilmitteln werden und welche Rolle neue Tech- Kultur & Alter und gab für 11 der 60 eingereichten Pro- nologien dabei spielen. jekte eine Förderempfehlung für das Jahr 2018 ab. Die Das Symposium ist eine Kooperationsveranstaltung ausgewählten Projekte zeichnen sich durch eine beson- von kubia, Sommerblut Kulturfestival e.V. und der dere künstlerisch-kulturelle Qualität aus und entwickeln internationalen Performing Arts Company Un-Label. modellhafte und nachhaltige Formen und Formate der Das Programm erscheint im Februar 2018. Kulturarbeit mit Älteren. WEITERE INFORMATIONEN: Ausgewählt wurden unter anderem verschiedene www.ibk-kubia.de/symposium Theaterprojekte mit Älteren, Musikprojekte, in denen sich Alt und Jung über musikalische Vorlieben austau- BÜHNE FREI! schen und an DJ-Workshops teilnehmen, oder in denen Menschen mit Demenz zu avantgardistischer Musik Fachtag Theatergeragogik und Demenz kreativ werden, sowie eine Schreibwerkstatt, deren Er- 4. Dezember 2017 // 10.00 bis 17.00 Uhr gebnisse in einem Poetry Slam auf die Bühne gebracht Melanchthon-Akademie // Köln werden sollen. Theater erreicht Menschen mit allen Sinnen. Wenn kog- Fünf der empfohlenen Projekte entsprachen dem För- nitive Fähigkeiten nachlassen, können theatergeragogi- derschwerpunkt und haben sich zum Ziel gesetzt, die in sche Angebote für Menschen mit Demenz neue Wege des der Kulturarbeit unterrepräsentierte Gruppe der älteren Ausdrucks und der Kommunikation eröffnen und bislang Männer anzusprechen. unentdeckte Fähigkeiten ins Rampenlicht rücken. Der Die nächste Ausschreibung erfolgt im kommenden Fachtag lädt Theaterfachleute, Kulturgeragoginnen und Frühjahr für Projekte, die 2019 durchgeführt werden -geragogen sowie Tätige in Altenhilfe und Pflege ein, sich sollen. theoretisch und praktisch dem Themenfeld zu nähern. WEITERE INFORMATIONEN: Fachvorträge am Vormittag beleuchten die Thematik aus www.ibk-kubia.de/foerderfonds altersmedizinischer Sicht, geben einen Überblick über Methoden und Formate in der theatergeragogischen Pra- xis und stellen anhand der »Oper für Jung und Alt« die Chancen von kultureller Teilhabe mit Demenz vor. Am Nachmittag geht es in parallel stattfindenden Workshops um Menschen mit Demenz als Akteure auf der Bühne, um die Gelingensbedingungen von demenzfreundlichen (Musik-)Theaterbesuchen, um interaktives Theater im Pflegeheim sowie um Bewegung und nonverbale Kom- munikation. WEITERE INFORMATIONEN: www.ibk-kubia.de/fachtag-theatergeragogik
12 // F O Y E R ZERTIFIKATSKURS KULTURGERAGOGIK THEMENSCHWERPUNKT KULTURELLE BILDUNG UND Im April 2018 startet der nächste Zertifikatskurs »Kul- ALTER(N) AUF KUBI-ONLINE turgeragogik« an der Fachhochschule Münster. In der Immer häufiger setzt sich die kulturelle Erwachsenen- einjährigen berufsbegleitenden Weiterbildung lernen bildung auch mit den Bildungsinteressen und -barrieren Künstlerinnen und Künstler, Kulturpädagoginnen und älterer Menschen auseinander. Vieles gilt es dabei aber, -pädagogen sowie Tätige in der Altenhilfe und Pflege, noch differenzierter didaktisch und methodisch, adres- wie qualitativ hochwertige Kulturarbeit mit Älteren an- satengerecht und alterssensibel zu reflektieren. geleitet und in die Praxis umgesetzt werden kann. Die Gemeinsam mit kubia möchte die »Wissensplattform Weiterbildung richtet sich an Fachkräfte der Sozialen Kulturelle Bildung Online« zu einem intensivieren Fach- Arbeit und Pflege, an Kulturpädagoginnen und -pädago- diskurs über »Kulturelle Bildung und Alter(n)« motivie- gen sowie an Künstlerinnen und Künstler. Voraussetzung ren. Fachkräfte der Kulturellen Bildung, aus Kulturwis- ist der Abschluss eines (Fach-)Hochschulstudiums oder senschaft und -praxis sind herzlich eingeladen, sich in eine einschlägige Berufsausbildung mit Berufserfahrung. den Diskurs einzumischen. Der Zertifikatskurs ist ein gemeinsames Angebot von Wir freuen uns, wenn Sie Ihre Expertise teilen möch- kubia und der Fachhochschule Münster. Bewerbungen ten und einen Fachbeitrag mit Ihrem Theorie-, Praxis- sind ab sofort möglich! und Forschungswissen über Kulturelle Bildung im Alter KONTAKT UND WEITERE INFORMATIONEN: zur Veröffentlichung zur Verfügung stellen möchten. Fachhochschule Münster, Fachbereich Sozialwesen KONTAKT UND WEITERE INFORMATIONEN: Referat Weiterbildung Wissensplattform Kulturelle Bildung Online Ramona Geßler Hildegard Bockhorst Telefon: 0251 8365771 redaktion@kubi-online.de ramona.gessler@fh-muenster.de www.kubi-online.de www.kulturgeragogik.de KUBIA BEIM DEUTSCHEN SENIORENTAG 2018 NEUER GLANZ FÜR UNSERE INTERNETSEITEN kubia ist seit diesem Jahr (nicht stimmberechtigtes) Mit responsivem Design für mobile Endgeräte, inklusi- Mitglied der BAGSO, der Bundesarbeitsgemeinschaft ven Zugangsmöglichkeiten und starken Bildern präsen- der Senioren-Organisationen. Die BAGSO veranstaltet tieren sich seit Beginn dieses Jahres die Internet-Seiten alle drei Jahre den Deutschen Seniorentag. 2018 findet von kubia und Theatergold. Videos in Gebärdensprache der 12. Deutsche Seniorentag vom 28. bis 30. Mai in und Texte in Leichter Sprache sorgen für mehr Barriere- den Westfalenhallen Dortmund statt und trägt das freiheit. Die Navigation erfolgt nun benutzerfreundlich Motto »Brücken bauen«. kubia wird mit einem Stand über ein sogenanntes Hamburger-Menü. Ein Kalen- und verschiedenen Veranstaltungsangeboten zur Kul- dertool mit Suchfunktion auf Theatergold.de gibt eine turellen Bildung im Alter vertreten sein, unter anderem Übersicht über die lebendige Seniorentheaterszene in in Zusammenarbeit mit dem Bund Deutscher Ama- ganz Nordrhein-Westfalen. teurtheater. Unsere neu sortierten Websites ermöglichen den WEITERE INFORMATIONEN: Nutzerinnen und Nutzern bereits auf der Startseite den www.ibk-kubia.de/seniorentag schnellen Weg zu zentralen Themen unserer Arbeit: bei- spielsweise zum neuen Themenfeld Inklusion oder zu MITGLIEDSCHAFT IM KULTURRAT NRW den kulturgeragogischen Fortbildungsmöglichkeiten. WEITERE INFORMATIONEN: Seit Herbst dieses Jahres ist kubia Mitglied im Kulturrat www.ibk-kubia.de NRW e. V., einem landesweiten unabhängigen Zusam- www.theatergold.de menschluss von über 80 Organisationen in den sieben Sektionen Musik, Tanz, Theater, Medien, Literatur, Bildende Kunst und spartenübergreifende Kultur / So- ziokultur. Der Kulturrat NRW sieht seine Aufgabe ins- besondere darin, der Kunst und Kultur im Bundesland Nordrhein-Westfalen mehr Geltung zu verschaffen und die Voraussetzungen für ihre Entwicklung zu fördern. WEITERE INFORMATIONEN: www.kulturrat-nrw.de
F O Y E R // 13 INTERNATIONALE VERNETZUNG REIF FÜR DIE BÜHNE: RICHTIG GIFTIG! kubia ist seit 2016 Mitglied von AMATEO. Das Euro- Ein Theaterreigen um Leben und Tod uraufgeführt päische Netzwerk für Kulturteilhabe vertritt als europä- Die Leverkusener Seniorentheatergruppe »Silberdisteln«, ischer Verbund die Amateurkünste und unterstützt da- unter Leitung der Theaterpädagogin Jessica Höhn, hat mit ihre grenzübergreifende Vernetzung. AMATEO hat im Sommer 2016 den Stückewettbewerb NRW »Reif 31 Mitglieder in 13 europäischen Ländern. Seit August für die Bühne« mit ihrem Konzept »Allesfresser« für sich 2017 und bis Juli 2021 wird AMATEO nun von der Eu- entschieden. Mit dem Preis wurden die Entwicklung ropäischen Kommission unter dem Titel »Arts take part« eines Theaterstücks gemeinsam mit dem Autor und als kulturelles Netzwerk gefördert. Theatermacher Erpho Bell sowie die Inszenierung geför- WEITERE INFORMATIONEN: dert. Das Stück, das unter dem Titel »Richtig giftig! – www.amateo.info Ein Theaterreigen um Leben und Tod« im Oktober im Leverkusener KAW (Kulturausbesserungswerk) urauf- geführt wurde, thematisiert das Wechselspiel von Bezie- WILDWEST 2018 hungen und Begegnungen, die das Leben prägen. Aus Viertes Seniorentheatertreffen NRW im Consol Sicht einer älteren Generation, die noch voll im Leben Theater Gelsenkirchen steht und nicht mehr bereit ist, alles zu schlucken, ver- WILDwest geht in die vierte Runde: Vom 31. Mai bis dichtet sich in der Theaterproduktion ein bitterböser 3. Juni 2018 steht im Consol Theater Gelsenkirchen Reigen aus Zufällen und Missverständnissen. »›Rich- wieder die vielfältige Seniorentheaterszene in Nordrhein- tig giftig!‹ ist hervorragend arrangiertes Theater, das Westfalen im Rampenlicht. Austausch, Dialog und Dis- Lust auf mehr von dieser Regisseurin und ihrer Truppe kurs bilden den Schwerpunkt des Festivals, das erneut macht«, lobt der Kölner Stadt-Anzeiger in seiner Aus- in Kooperation mit Theatergold, dem Forum für Thea- gabe vom 18. Oktober 2017. Der Theatertext wird unter ter im Alter in NRW, stattfinden wird. Im Dialog mit dem Titel »Allesfresser« im Programm des Theaterverlags jugendlichen Partnergruppen soll WILDwest im kom- Hofmann-Paul veröffentlicht, in Auszügen auch in der menden Jahr zu einem Brennglas gesellschaftlicher Fra- Stückedatenbank von Theatergold. gestellungen werden. Gelegenheit zur Diskussion bieten KONTAKT UND WEITERE INFORMATIONEN: die Workshops, Gesprächsrunden und nicht zuletzt die Susanne Lenz Festivalparty. Die Jury wird Mitte März 2018 Einla- Telefon: 02191 79 42 95 dungen für vier Produktionen aussprechen, die mit un- lenz@theatergold.de gewöhnlichen Formen und Ästhetiken Perspektiven auf www.theatergold.de zeitgenössisch relevante Themen eröffnen. KONTAKT UND WEITERE INFORMATIONEN: Susanne Lenz Telefon: 02191 79 42 95 lenz@theatergold.de www.theatergold.de
14 // F O Y E R KULTURKOMPETENZ+ SCHREIBEN ÜBER GELEBTES LEBEN PRAXISWISSEN FÜR KULTURELLE BILDUNG BIOGRAFISCHES SCHREIBEN MIT ALTEN MENSCHEN IM ALTER UND INKLUSION 20. März 2018 // 10.00 bis 17.00 Uhr HALBJAHR 01/ 2018 Melanchthon-Akademie // Köln Leitung: Sabine Sautter Biografische Texte alter Menschen erzählen, was sie WEBINARE geprägt hat, was ihnen wichtig war und ist. Der Work- shop gibt eine praktische Einführung in das biografische KUNSTBEGEGNUNGEN IM MUSEUM FÜR MENSCHEN Schreiben. Texte, Bilder und Erinnerungsstücke werden MIT DEMENZ UND IHRE ANGEHÖRIGEN zu einem Lebensbuch für den alten Menschen selbst und 21. Februar 2018 // 14.00 bis 15.00 Uhr seine Familie, auch als Gedächtnisstütze im Falle einer Online // Leitung: Arthur Schall und Demenz. Dr. Valentina Tesky Im Projekt »Artemis« führten Forschende im Bereich Al- SENIORENCHORLEITUNG: tersmedizin der Goethe-Universität in Kooperation mit METHODENWORKSHOP MIT CHOR dem Städel Museum in Frankfurt a. M. ein Kunstver- 14. April 2018 // 10.00 bis 17.00 Uhr mittlungsangebot für Menschen mit Demenz und ihre Kunst- und Musikschule // Brühl Angehörigen durch. Das Webinar stellt den Aufbau der Leitung: Dr. Kai Koch Kunstführungen und anschließenden Atelierbesuche vor Einen Chor älterer Stimmen methodisch gut zu leiten, und zeigt die positiven Effekte eines solchen Angebots. kann in diesem Workshop live mit dem Seniorenchor der Kunst- und Musikschule Brühl erprobt werden. Vormit- BARRIEREFREIE DOKUMENTE GESTALTEN tags stehen die Besonderheiten der Leitung eines Senio- 20. Juni 2018 // 14.00 bis 15.00 Uhr renchors im Vordergrund. Die in praktischen Übungen Online // Leitung: Domingos de Oliveira erarbeiteten Probesequenzen werden am Nachmittag mit Viele Faktoren können die Lesbarkeit von digitalen und dem Chor eingesetzt und gemeinsam reflektiert. analogen Dokumenten für Menschen mit Behinderung oder altersbedingten Einschränkungen erschweren. Die- DRITTE RÄUME ÖFFNEN ses Webinar vermittelt, wie Texte gestaltet sein sollten, THEATER MIT MENSCHEN MIT DEMENZ damit sie für möglichst viele Menschen zugänglich sind. 23. April 2018 // 10.00 bis 17.00 Uhr Auch die barrierearme Veröffentlichung von Fotos und Begegnungszentrum Meerwiese // Münster Links im Internet wird Thema sein. Leitung: Erpho Bell und Wolfgang Marten Theater mit Menschen mit Demenz kann für alle Betei- ligten neue, kreative Räume öffnen, wenn sich die Spiel- WORKSHOPS szenen an den Potenzialen und Interessen der Spielenden ausrichten. In dem Workshop werden die Rahmenbedin- TANZBEGEGNUNGEN VON ALT UND JUNG GESTALTEN gungen für das gemeinsame Spiel, mögliche szenische 27. Februar 2018 // 10.00 bis 17.00 Uhr Formen sowie deren konzeptionelle Weiterentwicklung Ballettzentrum Westfalen // Dortmund vorgestellt und erprobt. Leitung: Anna-Lu Masch IMPROVISATIONSTHEATER MIT ÄLTEREN Tanz- und Bewegungsarbeit, die sich auf die Stärken der Tanzenden konzentriert, rückt die wertfreie Selbst- 12. Juni 2018 // 10.00 bis 17.00 Uhr wahrnehmung sowie die eigene Kreativität in den Mit- Kommunikationszentrum die börse // Wuppertal telpunkt. Der Workshop zeigt in praktischen Übungen, Leitung: Sarah Mehlfeld wie auf dieser Basis eine fruchtbare Zusammenarbeit von Gerade die Lebenserfahrung älterer Spielerinnen und Schülerinnen und Schülern mit Älteren entstehen kann. Spieler ist eine wertvolle Quelle der Inspiration. Je mehr ein Mensch erlebt hat, desto facettenreicher kann er Sze- STARKE STIMMEN – RADIOARBEIT FÜR MENSCHEN MIT narien und Figuren auf der Bühne entwerfen. Der Work- UND OHNE DEMENZ shop zeigt, wie mit Mitteln des Improvisationstheaters 6. März 2018 // 10.00 bis 17.00 Uhr der Ensemblezusammenhalt und das Selbstvertrauen auf VHS im Bildungszentrum // Gelsenkirchen der Bühne gestärkt werden können, und wie die Impro- Leitung: Heike Magnitz visation die Theaterarbeit mit Älteren unterstützen kann. Eine eigene Radiosendung oder ein Hörspiel gestalten, Interviews führen, Texte entwerfen, Moderationen spre- ANMELDUNG UND WEITERE INFORMATIONEN: chen u. v. m. Während des Workshops können die Teil- www.ibk-kubia.de/qualifizierung nehmenden ausprobieren, wie Radiomachen ganz nieder- schwellig in der Arbeit mit Älteren und mit Menschen mit Demenz funktionieren kann.
S A L O N // 15 SALON KULTUR IM DESIGN FÜR ALLE MEHRWERTE FÜR UNTERSCHIEDLICHSTE ZIELGRUPPEN Von Mathias Knigge Produkte, Gebäude und Dienstleistungen sind für Menschen mit Behinderung oder mit altersbedingten Veränderungen zum Teil nur schwer oder gar nicht nutzbar. Dabei ist es sinnvoll – vor dem Hintergrund von Inklusion und demografischem Wandel –, anstelle spezieller und oftmals defizitorientierter Lösungen für wenige Menschen klare Mehrwerte für möglichst große Gruppen zu schaffen. Mathias Knigge, Inhaber der Agentur grauwert – Büro für Inklusion und demografiefeste Lösungen und Vorstandsmitglied von Design für Alle – Deutschland e. V. (EDAD) ist überzeugt: Das Konzept »Design für Alle« bietet hier den richtigen Ansatz, um Angebote zu entwickeln, die unabhängig von Alter oder Behinderung einfach und komfortabel funktionieren, ohne zu stigmatisieren. Unsere Gesellschaft verändert sich. Hersteller und Gebrauchsfreundlichkeit: Lösungen so gestalten, Handel, aber auch Dienstleister, Tourismus und dass sie einfach und sicher nutzbar sind. Damit ein der Kulturbetrieb stehen in Zukunft zunehmend Produkt von einem möglichst großen Nutzerkreis Kundinnen und Kunden höheren Alters oder mit niedrigschwellig und komfortabel eingesetzt wer- Behinderung gegenüber und müssen auf deren den kann, dürfen keine unverhältnismäßig gro- spezifischen Bedürfnisse eingehen. Als attraktive ßen körperlichen Anstrengungen und komplexen Angebote gelten daher eher jene, die nicht nur gut Bewegungen notwendig werden. Kraft, Moto- aussehen, sondern auch durch leichte Nutzbarkeit rik, Sinneswahrnehmung, Denkvermögen, Erfah- überzeugen – ohne als »Seniorenprodukt« oder rung sowie der kulturelle Hintergrund möglichst Hilfsmittel wahrgenommen zu werden. vieler Nutzerinnen und Nutzer müssen bei der Produktentwicklung berücksichtigt werden. Um BARRIEREFREI MIT ATTRAKTIVEN Informationen gut wahrnehmen zu können, soll- MEHRWERTEN te ein Produkt immer mehrere Sinne ansprechen (»Zwei-Sinne-Prinzip«). Durch einfache, leicht ver- In einer Studie für das Bundeswirtschaftsminis- ständliche Bedienungsabläufe und eine hohe terium (BMWi) hat grauwert mit Partnern (u. a. Fehlertoleranz werden Anwendungsprobleme ver- Kompetenznetzwerk EDAD) das Potenzial gut mieden. gestalteter Lösungen im »Design für Alle« aufge- Anpassbarkeit: Lösungen so entwickeln, dass zeigt. Diese illustriert anschaulich mit zahlreichen unterschiedliche Nutzerinnen und Nutzer sie an Beispielen, welche Kriterien berücksichtigt wer- ihre individuellen Bedürfnisse anpassen können. den sollten, damit barrierefreie Lösungen nicht Individuelle Einstelloptionen ermöglichen mehre- defizitorientiert auf eine Zielgruppe beschränkt, ren Menschen den Umgang mit einem Produkt. sondern allen Nutzerinnen und Nutzern offen Die veränderbare Höhe von Stühlen oder die An- stehen (Neumann et al. 2014): passung von Schriftgrößen auf dem Bildschirm können den Nutzerkomfort maßgeblich steigern.
16 // S A L O N Tastobjekte in 3-D-Druck unterstützen den barrierefreien Zugang in Museen. Bei individuellen Einschränkungen machen die verschiedene Methoden wie Befragungen, Beob- Einstellmöglichkeiten eine Nutzung zum Teil erst achtungen, Produkttests, Simulationen oder die möglich. Für die Verwendung individueller Hilfs- Verwendung von Normen und Checklisten kön- mittel (Brille, Hörgerät etc.) sollten entsprechende nen die Wünsche der Kundinnen und Kunden Schnittstellen vorgesehen werden. ermittelt werden. Verbraucher-, Senioren- und Nutzerorientierung: Nutzerinnen und Nutzer Behindertenverbände bieten dazu weitere Infor- und deren Perspektiven frühzeitig im Entwicklungs- mationen an. prozess berücksichtigen. Wer die Bedürfnisse po- Ästhetische Qualität: Nur attraktive Produkte tenzieller Nutzerinnen und Nutzer kennt und sie können alle erreichen. Wesentliche Grundlage für rechtzeitig in die Produktentwicklung einbezieht, eine Kaufentscheidung ist es, Aufmerksamkeit und erspart sich kostspielige Planungsfehler. Davon Begehrlichkeiten, zum Beispiel durch Emotionen, profitieren nicht nur die Kundinnen und Kunden zu wecken. Maßgeblich dafür ist eine ansprechen- (positives Nutzungserlebnis), sondern auch das de äußere Gestaltung der Produkte, die sich in die Unternehmen (z. B. durch schlankere Prozesse, Lebenswelt der Nutzerinnen und Nutzer positiv weniger Serviceanfragen und zusätzliche innova- einfügt. tive Ideen). Eventuelle Unterstützungsfunktionen zur bes- Der Fokus sollte nicht nur auf die Endnutze- seren Bedienbarkeit sollen nicht als stigmatisieren- rinnen und -nutzer gerichtet sein. Auch andere de Sonderlösung, sondern als attraktiver Mehrwert Personen werden das Produkt einsetzen, zum Bei- dargestellt und auch so wahrgenommen werden. spiel Verkaufs-, Reinigungs- oder Kundendienst- Marktorientierung: Produkte breit positionie- personal sowie Angehörige oder Gäste der End- ren, um das gesamte Marktpotenzial optimal aus- verbraucherin oder des Endverbrauchers. Durch zuschöpfen. Die Anforderungen von »Design für
S A L O N // 17 Alle« dürfen weder für die Kundschaft noch für das Museen durchgeführt. Teilnehmende aus den Unternehmen zum Preistreiber werden. Es sind Bereichen Leitung und Personal, Bau und Tech- letztlich die Mehrwerte der Produkte, die am nik, Vermittlung und Kommunikation sowie Markt überzeugen und die Zahlungsbereitschaft dem kuratorischen Bereich konnten so eine neue erhöhen. Preis, Kommunikation und Vertrieb des Blickweise auf die vielfältigen Bedürfnisse von Produkts müssen auf die jeweiligen Zielgruppen Besucherinnen und Besuchern entwickeln und abgestimmt sein. Dafür sollten die Gestaltungs- eruieren, wo konkreter Handlungsbedarf besteht. spielräume bei Produktentwicklungen genutzt Die Workshops helfen zu differenzieren, welche werden, damit sich vielfältige Nutzergruppen an- Schritte schnell erfolgversprechend umgesetzt und gesprochen fühlen. positiv zu kommunizieren sind. Kultureinrichtun- gen können dadurch ihre begrenzten finanziellen INKLUSION IM KULTURBEREICH Mittel sinnvoll und gezielt einsetzen. Praxistipps und Beispiele aus der interdisziplinären Arbeit er- Alternative Inhalte in Kino und Theater: Kultu- möglichen es den Teilnehmenden, bereits im Rah- relle Veranstaltungen werden bei Sprachbarrieren, men der Workshops Lösungsansätze abzustimmen. Hör- oder Seheinschränkungen durch alternative Vermittlungskonzept für die Kunsthalle Ham- Inhalte zugänglich. Dazu zählen Hörunterstüt- burg: Für die Ausstellung »Art and Alphabet« in zung oder Szenenbeschreibung (Audiodeskription) der Hamburger Kunsthalle hat grauwert ein Ver- genauso wie Untertitel oder Sprachversionen (wie mittlungskonzept entwickelt, um einer möglichst Originalsprache). Mit einem speziellen WLAN- breiten Gruppe von Besucherinnen und Besuchern Streamer können Spielstätten den Live-Ton verzö- den Zugang zur Ausstellung zu eröffnen. Durch gerungsfrei auf Smartphones (oder Leihgeräte) der eigens konzipierte und gestaltete Stationen werden Zuschauerinnen und Zuschauer übertragen. Die die Kunstwerke für verschiedene Sinne (Sehen, Nutzung der barrierefreien App erfolgt im Thea- Hören, Tasten, Riechen) erfahrbar. Das Konzept ter oder Kinosaal individuell und für andere nicht legt einen besonderen Schwerpunkt auf die Ver- wahrnehmbar. mittlung an Blinde und Sehbehinderte, lädt mit Demografiekonzept für die Kunsthalle Emden: seinen Angeboten aber ausdrücklich alle Besuche- Die Kunsthalle Emden entwickelte mit der Agen- rinnen und Besucher ein, die Ausstellung in ihrer tur grauwert ein Demografiekonzept, mit dem Ziel, sinnlichen Vielfalt kennenzulernen. Von den Ver- Barrieren zu entfernen und attraktiven Komfort mittlungsstationen, den deskriptiven Bildbeschrei- bei der Kunstbetrachtung zu schaffen. Ein ebener bungen und der akustischen Führung durch die Zugang, leserliche Beschriftungen, aber auch er- Ausstellung profitieren Besucherinnen und Besu- höhte Sitzgelegenheiten gehören dazu. Neben den cher mit unterschiedlichsten Bedürfnissen. konkreten Maßnahmen unterstützte grauwert das Online-Portal »Culture Inclusive«: Ein weiteres Museum bei der langfristigen Umsetzung dieser Beispiel dafür, wie Kulturangebote zugänglicher Anpassungen mit einem Planungshandbuch. gemacht werden können, veranschaulicht das Kul- Workshops zu barrierefreier Kultur in Hamburg: turportal »Culture Inclusive«. Auf dem von der Die Hamburger Kulturbehörde hat sich zum Ziel Firma Sennheiser initiierten und kostenfrei nutz- gesetzt, langfristig barrierefreie Kulturangebote baren Online-Portal werden unter www.culture- in der Stadt zu etablieren. Dazu gab sie die Ent- inclusive.com inklusive Kulturangebote und bar- wicklung einer Workshop-Reihe zu diesem The- rierefreie Veranstaltungsorte in ganz Deutschland ma für Museen und Theater in Auftrag. Inzwi- vorgestellt und können durch einen Filter sowie schen wurden sechs Workshops in Theatern und auf einer interaktiven Karte virtuell vorbesichtigt
18 // S A L O N werden: Kinos mit Audiodeskription, Theater mit DER AUTOR: Gebärdendolmetscherin oder -dolmetscher, Oper Mathias Knigge ist Ingenieur (Technische Universität Berlin) und Produktdesigner (Universität der Künste mit ebenem Zugang oder Ballett mit Hörunter- Berlin). Er hat sich auf die Entwicklung generationen- stützung. Auf dem integrierten Blog kann rund übergreifender und inklusiver Lösungen spezialisiert. um inklusive Kultur diskutiert werden. 2004 gründete er grauwert – Büro für Inklusion und Es erklärt sich von selbst, dass das Portal als demografiefeste Lösungen in Hamburg. Knigge berät Unternehmen, unterstützt bei der Produktentwicklung, barrierefreies Angebot im »Design für Alle« an- führt Produkttests und Analysen durch und vermittelt gelegt ist. Es ist also für jede Nutzerin und jeden sein Wissen durch Trainings, Workshops sowie Nutzer – mit oder ohne Behinderung – zugänglich Publikationen und Vorträge. Er ist Vorstandsmitglied von (BITV-konform und responsive für Computer, Design für Alle – Deutschland e. V. (EDAD). Tablet und Smartphone) und bietet Informatio- LITERATUR: nen, die für alle Kunstinteressierten relevant sind. Mathias Knigge (2013): Produktentwicklung für Alt und Jung. In: Axel Börsch-Supan: Verbrauchervielfalt: DESIGN ALS SCHLÜSSEL FÜR Chancen des demographischen Wandels für Konsum und Finanzen. Frankfurt a. M., S. 216–227. VERÄNDERUNG Mathias Knigge (2016): Design für Alle – Attraktiv und hilfreich. In: Angewandte Gerontologie 2016 [www. Es ist ein Kernbestandteil des Designs, mit Vielfalt econtent.hogrefe.com/doi/pdf/10.1024/2297-5160/ umzugehen und Komplexität in einfache Lösun- a000036, letzter Zugriff: 20.10.2016]. Mathias Knigge / Jörn Erkau (2014): Cinema and Theatre: gen zu überführen, die für sämtliche Lebenslagen Accessible Entertainment, with Benefits for All. In: geeignet sind. Studien belegen: Es ist kein bedeu- UD 2014, Proceedings of the International Conference tender Mehraufwand, die Dimension der Diver- on Universal Design, S. 421–422. sität bei der Produktentwicklung mitzudenken, Peter Neumann / Mathias Knigge / Klaus Iffländer / Simon Kesting (2014): Entwicklung handlungs- doch der dadurch erzeugte Mehrwert ist im Ergeb- leitender Kriterien für KMU zur Berücksichtigung nis hoch – etwa zufriedene Kundinnen und Kun- des Konzepts »Design für Alle« in der Unternehmens- den, mehr potenzielle Nutzerinnen und Nutzer, praxis. Studie im Auftrag des Bundesministeriums für weniger Rückläufe, Fehlbedienungen und Ähnli- Wirtschaft und Energie. Hamburg / Münster. ches –, sodass sich das zusätzliche Engagement als WEITERE INFORMATIONEN: eine Investition in die Zukunft lohnt. www.grauwert.info KOMPETENZNETZWERK »DESIGN FÜR ALLE – DEUTSCHLAND« Das deutschlandweite Kompetenznetzwerk Design für Alle – Deutschland e. V. (EDAD) berät, informiert, forscht und vernetzt, damit Produkte, Dienstleistungen und eine gebaute Umwelt besonders leicht und komfortabel für alle Menschen nutzbar sind. Die Mitglieder von EDAD kommen sowohl aus der Forschung als auch aus der Praxis. EDAD ist die deutsche Mitglieds- organisation des Design for All Europe e. V. (EIDD) mit Partnern in 23 europäischen Staaten. WEITERE INFORMATIONEN: Design für Alle – Deutschland e. V. (EDAD) – www.design-fuer-alle.de Design for All Europe (EIDD) – www.dfaeurope.eu
ICH SEHE DAS PROBLEM NICHT ZU DEN ILLUSTRATIONEN VON ÉDITH CARRON IN DIESEM HEFT Seit sieben Jahren lebt die französische Illustratorin Édith Carron in Berlin. Ihre witzigen, spontanen und bunten Zeichnungen und Animationen macht sie für renommierte internationale Printmedien wie den »New Yorker«, die »New York Times«, die »Süddeutsche«, »Le Monde« oder »Die Zeit«. Dazu ausgebildet wurde sie an der École Estienne in Paris, an der École supérieure des arts décoratifs in Straßburg und der Weißensee Kunsthochschule in Berlin. Das kubia-»InkluCamp« zur barrierefreien Kunst und Kultur im Mai dieses Jahres im Dortmunder U dokumentierte sie live mit einem Graphic Recording. Mit bunten Stiften und in stilisierten Illustrationen hielt sie Zwischentöne, Visionen und Hal- tungen der Teilnehmenden des Barcamp fest. Ausgewählte Zeichnungen schmücken die vorliegende Ausgabe. af WEITERE INFORMATIONEN: www.edithcarron.net
20 // S A L O N FELDFORSCHUNG IN OMAS KLEIDERSCHRANK VESTIMENTÄRE PRAKTIKEN VON FRAUEN ÜBER 60 JAHREN Von Esther Gajek Die Frage nach einem altersspezifischen Kleidungsverhalten stand am Beginn eines Seminars von Esther Gajek am Lehrstuhl für Vergleichende Kulturwissenschaft an der Universität Regensburg. Die Studierenden befragten ihre älteren weiblichen Verwandten dazu, warum sie welche Kleidung kaufen und tragen. Die 23 Interviewpartnerinnen bildeten eine große Bandbreite ab in Bezug auf ihr Alter und den gesundheitlichen Zustand, ihre regionale Herkunft, ihren ehemaligen Beruf und damit auch die finanzielle Situation sowie das aktuelle Lebensumfeld.* Das Seminar begann mit einer Bestandsaufnahme: ihre Auswahl aber mit eng anliegenden Leggings Die Studierenden baten ihre Verwandten darum, unter dem Rock, die sie wegen der niedrigen Tem- in ihrer (zufällig ausgewählten) Alltagsgardero- peraturen angezogen hatte. Frau Kern (74), eine be zu erscheinen, möglichst auch Accessoires und ehemalige Verkäuferin in der Kleidungsbranche, Unterwäsche mitzubringen. Alle erhaltenen Stücke widersprach üblichen Vorstellungen, indem sie wurden vor Ort einzeln vermessen, fotografiert und grundsätzlich in Läden für junge Frauen einkauft genau beschrieben. Um ein eventuell vorhandenes und sich durchgängig schwarz anzieht. Auch ihre Spezifikum des Alters herauszuarbeiten, verglichen Auswahlkriterien (Aktualität vor Qualität) und die Studierenden sodann den Kleidungsbestand der besonders ihr Kaufverhalten, das von den Studie- älteren Verwandten mit demjenigen, den sie selbst renden als »Frustshoppen« bezeichnet wurde, hat- an diesem Tag trugen. In einem zweiten Schritt te das Forschungsteam nicht bei dieser Altersgrup- führten die Studierenden mit den Verwandten ein pe erwartet: »Wenn ich oft recht bedrückt bin und Gespräch über die Kleidungsstücke und erfragten ich komme dann in die Stadt. Das ist für mich, biografische Zusammenhänge. wie soll ich das sagen, früher hab’ ich immer mir das Neue an den Schlafzimmerschrank gehängt GESUNDHEITSSCHUHE UND LEDERJACKE voller Freude und es angeschaut. […] Es baut ei- nen auch auf.« (Frau Kern) Schon kurze Blicke auf die Fotos der Interviewpart- Hatten schon gewisse Kombinationen von nerinnen und die genauen Beschreibungen ihrer Kleidungsstücken, aber auch das Kaufverhal- Kleidungsstücke zeigten ein Spannungsfeld, das ten Anlass gegeben, die im Seminar vorhande- am Beispiel zweier Frauen mit sehr unterschied- nen Meinungen infrage zu stellen, so erst recht lichem Kleidungsstil umrissen werden kann: Frau der Blick auf die einzelnen Kleidungsstücke bei- Reich**(84), gelernte Schneiderin, nach der Heirat der Altersgruppen: Isoliert fotografiert konnten als Hausfrau tätig, entsprach mit violetter Strick- zum Beispiel bestimmte Unterhemden, einzelne jacke, knielangem Wollrock, Perlenkette, Dauer- T-Shirts, aber auch Jeans oder Lederjacken nicht welle und Gesundheitsschuhen einerseits einem mehr ohne Weiteres einer bestimmten Altersgrup- gängigen Stereotyp der Großmutter, erweiterte pe zugeschrieben werden. Schnell wurde deutlich,
S A L O N // 21 In seiner Reihe »Spring-Autumn« thematisiert der asiatische Fotograf qozop die Rolle der Kleidung in unserer Gesellschaft durch die spielerische Gegenüberstellung von zwei Generationen. dass – betrachtet man die Textilien isoliert – keine KONTINUITÄT IM KLEIDUNGSSTIL Rede von einem typischen Kleidungsstil von Frau- en über 60 Jahren sein kann. Spezifische Merkma- Mit dem Eintritt in den Ruhestand hatten die Be- le, die mit einem vermeintlichen Stil von Frauen fragten ihre Kleidungsgewohnheiten nicht grund- 50 plus bzw. dessen Stereotypisierung in Verbin- legend verändert. Der Großteil ihrer Garderobe dung gebracht werden, überwogen weder bei den entsprach, so ein signifikantes Ergebnis, einem Farben und Mustern (Beige, Pastelltöne, große Kleidungsstil, den die Frauen über Jahrzehnte Muster) noch bei den Formen und Details (weite, entwickelt hatten. Augenfällig war jedoch, dass figurumspielende Schnitte, Hosen mit Gummi- die ehemalige Berufstätigkeit bzw. das damit ver- bund, untaillierte Blusen und Kleider, flache, weit bundene Außer-Haus-Sein ausschlaggebend dafür geschnittene Schuhe). Diese waren – wenn über- zu sein schien, sich insgesamt aufwendiger anzu- haupt – eher bei Frauen ab 80 anzutreffen und kei- ziehen und diesen Stil auch noch im Ruhestand neswegs typisch für alle Frauen ab 60 Jahren. Erst beizubehalten (vgl. Twigg 2013: 65; 72). »Ich war die Kombination aus Schnitt, Farben, Mustern, immer beruflich tätig. Ich musste immer chic Details und Accessoires ergab eine gewisse Ho- sein und das hab’ ich dann so beibehalten. Ich mogenität, die jedoch nur als Tendenz konstatiert würde nie morgens aus dem Badezimmer gehen werden konnte und viele Ausnahmen einschloss. und nicht richtig angezogen sein oder richtig fer- tig sein«, beschrieb es Frau Wolf (87), ehemalige Finanzbuchhalterin.
22 // S A L O N Die teilnehmenden Jugendlichen und Älteren des Fotoprojekts wurden einmal in ihrer Alltagskleidung sowie einmal nach dem Kleidertausch fotografiert. Die ehemalige Lehrerin Frau Kroll (78) ist ein gu- Kleidungsverhalten von Frau Fischer (82). Die tes Beispiel für einen Kleidungsstil, der von den gelernte Schneiderin legt bis heute in jeder Le- Eltern vorgelebt wurde, sich noch heute konkre- benssituation großen Wert auf ihr Aussehen. Für tisiert und dann auch selbst an Kinder und En- bevorstehende Krankenhausaufenthalte bügelt sie kelkinder weitergegeben wurde und wird. Es sei sogar ihre Unterhosen. Wie auch bei Frau Kroll ist bei den Eltern üblich gewesen, »dass man auch da die Kleidung von Frau Fischer stark auf ein Ge- sehr gepflegt war, also nicht nur das Haus und die genüber bezogen: auf die Kirchengemeinde, auf Wohnung gepflegt hatte, sondern auch sich selbst. Ärzte und Pflegende im Krankenhaus. Die Kleidung dient Frau Kroll einerseits zur Beto- nung des Typs, der Darstellung des Ichs und der VERBERGEN DES SICHTBAREN ALTERS eigenen Werte (»Ordnung, Sauberkeit, Gepflegt- heit«), ist aber auch auf das jeweilige Gegenüber Bei einer genaueren Durchsicht der fotografierten ausgerichtet und hat damit eine kommunikative Kleidungsstücke fiel auf, dass besonders die Ober- Funktion: »Man möchte zum Beispiel ausdrü- teile ganze Körperzonen verhüllten (vgl. Twigg cken, ich schätze euch wert; ich mache mich schön 2013: 60f.) oder dem Blick entzogen, und das für euch, wenn ihr mich eingeladen habt, und das nicht nur wegen der winterlichen Jahreszeit, in der sollt ihr auch sehen.« (Frau Kroll) die Gespräche stattfanden. Dies galt vor allem für Weniger familiäre Dispositionen wie bei Frau das Dekolleté. Darauf angesprochen, führte eine Kroll als vielmehr eigene Interessen prägen das 70-Jährige körperliche Veränderungen als Grund
S A L O N // 23 für dessen Verbergen an (vgl. ebd.: 59–61): »Wenn MODIFIKATIONEN DURCH DEN KÖRPER wirklich halt Frauen vorher ein bisschen ausge- schnitten rumliefen, in dem Alter nicht mehr. Körperliche Einschränkungen, wie Beinschwel- Weil ja erstens der Busen nicht mehr so. […] Der lungen oder Gehbeschwerden, Inkontinenz oder kann ja schon Falten haben. […] Hochgeschlos- das Bedürfnis nach Wärme, gingen mit Modifika- sen muss es nicht sein, aber ja ausgeschnitten halt tionen an Kleidungsstücken einher: Komfortbün- ohne, ohne dass man da den Schlitz sieht.« (Frau de ersetzten enger anliegende Strümpfe und Schu- Loos, 70, ehemalige Arbeiterin in der Landwirt- he mit niedrigen Absätzen solche mit hohen. Diese schaft) gesundheitlichen Aspekte, die nun in Kleiderkauf »In dem Alter nicht mehr« verdeutlicht das, was und -auswahl hineinspielten, galten in der Mehr- der Soziologe Klaus R. Schroeter als Unterschied zahl für die Interviewpartnerinnen, die über 80 zwischen alten und jungen Körpern beschreibt: Jahre alt waren. Teile ihrer Kleidung waren stark »So, wie die korporalen Kompetenzen in Kindheit durch Funktionalität geprägt. Weil zum Teil mul- und Jugend auf das ›Noch-nicht‹ verwiesen, auf das tiple körperliche Einschränkungen das Anziehen ›Noch-nicht-Können‹, das ›Noch-nicht-Dazugehö- anstrengend werden ließen, wirkte sich dies auch ren‹, so mahnen die korporalen Kompetenzen im auf die Kleiderauswahl aus. Dass sich hier ein Al- Alter den verbliebenen Abstand zur ideell gesetz- tersspezifikum konkretisiert, läge nahe, muss aber ten Grenze des ›Nicht-mehr‹(-Könnens, -Dazuge- infrage gestellt werden; viel eher handelt es sich hörens usw.) an. Der Körper bringt einem im Alter bei der Kleiderauswahl um eine Reaktion auf ein- die Grenzen immer näher.« (Schroeter 2007: 136f.) geschränkte Bewegungsmöglichkeiten, die in je- Vor allem in der Gruppe der über 80-Jährigen dem Alter auftreten können. herrschte Konsens darüber, dass es sich im Alter generell nicht schicke, Haut zu zeigen bzw. sich HOSEN FÜR MEHR KOMFORT jugendlich anzuziehen. Die Tabus wurden immer dann besonders deutlich, wenn die Interviewpart- Als Inbegriff bequemer Kleidung galt den be- nerinnen von Gleichaltrigen erzählten, die den fragten Frauen die Hose. Entgegen gewissen Er- unausgesprochenen Normen zu widersprechen wartungen wurde diese von allen Interviewpart- scheinen: Hosen, die zu viel Bein zeigten, Nie- nerinnen getragen: bei einem Teil der Gruppe ten oder zu kurze Jacken galten als »deplatziert«. (besonders jenen unter 70) in Kontinuität zu ih- Etwas jüngere Interviewpartnerinnen wiederum rem bisherigen Leben, bei anderen als Kleidungs- gestatten sich und anderen, »ruhig Haut zeigen stück, das sie erst im Ruhestand entdeckt hatten. [zu dürfen], vor allem im Sommer«, aber unter der »[Ich] habe mich auch in den letzten Jahren auf Prämisse, dass »die Haut gepflegt ist.« (Frau Kroll) Hosen spezialisiert«, sagte eine 70-Jährige, die so- Aus den oben zitierten Passagen der Interview- gar von einer regelrechten »Hosensucht« sprach partnerinnen geht hervor, dass Alter immer eine (Frau Loos). Auch eine andere Befragte entdeck- soziale Interpretation ist. Der vermeintliche wie te dieses Kleidungsstück erst spät: »Ich fand das auch der tatsächliche Blick der anderen entschei- erst nicht so schön für eine Frau. Weil ich schöne den darüber, was als tragbar gilt und was nicht. Beine habe, konnte ich die zeigen. Aber sie sind Deutete sich bei einigen jüngeren Befragten ein bequem. Und deshalb trage ich jetzt auch Hosen.« Wandel vom Zeigen zum Verstecken an, so galt (Frau Kroll) für die über 80-Jährigen, dass sie oft mit dem Ver- hüllen des Körpers aufgewachsen waren.
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