JURYBERICHT KUNST UND BAU NEUBAU NATURHISTORISCHES MUSEUM BASEL UND STAATSARCHIV BASEL-STADT INTERNATIONALER IDEEN-WETTBEWERB AUF EINLADUNG IM ...

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JURYBERICHT
Kunst und Bau
Neubau Naturhistorisches
Museum Basel und
Staatsarchiv Basel-Stadt

Internationaler Ideen-
wettbewerb auf Einladung
im freihändigen Verfahren
Für die Sammlungen und Archive des Naturhistorischen Museums Basel und des Staatsarchivs Basel-Stadt
ist ein gemeinsamer Neubau geplant. Das prominente Gebäude, konzipiert vom Zürcher Architekturbüro
EM2N Architekten, gibt den Institutionen die Chance, Raumprogramm und betriebliche Abläufe zeitgemäss
zu optimieren, sich aber auch in der Stadt neu zu positionieren und ihr Publikum neu anzusprechen. Im Stadt-
teil St. Johann entsteht ein neuer öffentlicher Ort für Begegnung, Forschung und Bildung, der in Zukunft
durch die S-Bahn noch besser erschlossen werden wird.

Mit dem Wettbewerb «Kunst und Bau» suchte der Kanton Basel-Stadt als Bauherrschaft eine künstleri-
sche Idee, welche das geplante Gebäude im Sinne seiner Aufgabe und seiner Lage in der Stadt ergänzt und
erweitert. Die Ausschreibung stellte die Fassade zum Vogesenplatz hin zur Diskussion, hielt jedoch den
Perimeter auch für andere Ideen offen. Für die Weiterbearbeitung und Ausführung steht eine Summe von
CHF 180’000 zur Verfügung.

Acht Kunstschaffende oder Künstlerkollektive waren eingeladen, eine Projektidee zu präsentieren:
Andrea Büttner, London /Berlin; Julian Charrière, Berlin; Claudia Comte, Berlin; Renée Levi, Basel;
Erik Steinbrecher, Zürich /Berlin; Studer / van den Berg, Basel; SUPERFLEX, Kopenhagen.

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Bauherrschaft und Veranstalter
Kanton Basel-Stadt
vertreten durch das Bau- und Verkehrsdepartement
Städtebau und Architektur, Hochbauamt
Münsterplatz 11
4001 Basel

Organisation und Durchführung:
Stephanie Laufs, Projekt Managerin, Hochbauamt, S&A, BVD
Isabel Zürcher, Kunstwissenschaftlerin, im Auftrag des Hochbauamts
Annina Zimmermann, Kunstmanagerin MA, im Auftrag des Hochbauamts

Beurteilungsgremium
Beat Aeberhard (Vorsitz), Kantonsbaumeister Basel-Stadt, Leiter S&A, BVD
Esther Baur, Staatsarchivarin Basel-Stadt (*)
Thomas Fries, Leiter Abteilung Kultur, S&A, BVD(*)
Dr. Katrin Grögel, Co-Leiterin Abteilung Kultur, Präsidialdepartement BS (* Stv.)
Christian Mehlisch, Leiter Verwaltungsvermögen IBS, FD (*)
Claudia Müller, Künstlerin, Mitglied der Kunstkreditkommission
Daniel Niggli, EM2N I Mathias Müller I Daniel Niggli Architekten AG
Madeleine Schuppli, Kunsthistorikerin, Direktorin Aargauer Kunsthaus, Aarau
Basil Thüring, Co-Direktor Naturhistorisches Museum Basel (*)

Ersatzpreisrichter:
Markus Werner, Projekt Manager, Hochbauamt, S&A, BVD

Die Mitglieder der Baukommission des Neubauprojekts NMB und StABS sind mit (*) markiert.

Vorprüfung:
Andrea Amrein, Kunstunterhalt, Hochbauamt, S&A, BVD
Patrizia Guarnaccia, Leiterin Fachmandat Kunst und Bau, Hochbauamt, S&A, BVD
Christof Zollinger, Gesamtleiter, EM2N I Mathias Müller I Daniel Niggli Architekten AG

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Wettbewerbsstufe
Von den acht eingeladenen Kunstschaffenden reichten sieben formal korrekte und komplette
Projektvorschläge ein. Claudia Comte verzichtete frühzeitig auf ihre Teilnahme.

Alle sieben Projekteingaben auf Wettbewerbsstufe wurden mit CHF 5000.– entschädigt.

Die Eingaben wurden dem Beurteilungsgremium durch die Kunstschaffenden persönlich
oder durch eine Vertretung präsentiert.

Nach eingehender Diskussion in zwei Sitzungen schied das Beurteilungsgremium vier
Beiträge aus.

Da die drei bestbewerteten Projekte trotz der unterschiedlichen Potenziale entscheidende
Fragen offen liessen, beschloss das Beurteilungsgremium nach gründlicher Abwägung
gegenüber anderen Möglichkeiten, die Kunstschaffenden Erik Steinbrecher, Studer /van
den Berg und Renée Levi (Levi & Partner) zu einer separat entschädigten Weiterbearbei-
tung ihrer Projekte einzuladen.

Überarbeitungsstufe
In der Überarbeitungsstufe gingen drei formal korrekte Projektüberarbeitungen ein.
Das Beurteilungsgremium würdigte das hohe Niveau der Weiterentwicklungen.

In der abschliessenden Diskussion wurden die Beiträge von Levi & Partner sowie von
Studer /van den Berg ausgeschieden. Die ausgeschiedenen Überarbeitungen wurden mit
je CHF 2500.– honoriert.

Das Projekt «Trocken, Warm & Feucht» von Erik Steinbrecher wird durch das Beurteilungs-
gremium zur Ausführung empfohlen. Diese erfolgt vorbehaltlich der Kreditgenehmigung
für den Neubau Naturhistorisches Museum Basel und Staatsarchiv Basel-Stadt durch den
Grossen Rat des Kantons Basel-Stadt.

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Projekte und
Beurteilung

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Andrea Büttner
ohne Titel

Andrea Büttner nimmt Motive aus dem Staatsarchiv und dem Naturhistorischen Museum
zum Ausgangspunkt ihres künstlerischen Vorschlags. Bunte Hinterglasbilder, welche Bilder
und Dokumente aus dem Archiv aufrufen, reiht sie auf der Eingangsfassade bis unter das
Viadukt zu einem Fries. Inhaltlich dem Museum zugeordnet, sind vereinfacht dargestellte
Tiere aus Bronze. Basierend auf Modellen aus Holzleisten, wären diese auf dem Mauer-
werk oberhalb des Haupteingangs vorgesehen. Die Anspielung auf die Arche Noah lässt
den Museumsbau als ein Gehäuse für das lebendige, zukunftsorientierte Bewahren lesen.
Sowohl für die Bronzetiere wie auch für den Fries der Hinterglasbilder wäre eine Beleuch-
tung für die Nachtsituation zu entwickeln.

Büttners Figuration der Tiere ist von einer zeichenhaften Schlichtheit. Sie ankert in der
Werkentwicklung der Künstlerin und ist im Bezug zum Gebäude von sympathischer Glaub-
würdigkeit. Die Jury würdigt Andrea Büttners Absicht, für die genaue Motivauswahl in
beiden Teilen des Beitrags mit Archiv und Museum zusammenzuarbeiten. In Büttners Dia-
logbereitschaft liegt ein Potenzial, die Anlage insbesondere inhaltlich zu vertiefen. Aller-
dings wird die separate Repräsentation der Institutionen als wenig zielführend eingeschätzt.
Was im Neubau zusammenkommen und Synergien freisetzen wird, kann in der Kunst kaum
in zwei Welten definiert sein. Aus fachwissenschaftlicher Sicht ruft die Assoziation an die
Arche Noah Widerspruch hervor: Seit Langem bemüht sich das Naturhistorische Museum,
dem ‹Kurzschluss› zwischen religiös konnotierter Schöpfungs- und Naturgeschichte mit
einer breit gefächerten Perspektive an entwicklungsgeschichtlichen Modellen entgegen-
zutreten. Die an Volkskunst und an die Ausschmückung von Sakralbauten erinnernden
Hinterglasbilder entsprechen nicht der heutigen Repräsentation der beiden Institutionen.

Die Projekteingabe von Andrea Büttner scheidet in der ersten Sitzung des Beurteilungs-
gremiums aus.

                                                                                                           Entwurf
                                                                                                           Naturhistorisches
                                                                                                           Museum Basel
                                                                                                           und Staatsarchiv
                                                                                                           Basel-Stadt
                                                                                                           Andrea Büttner

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Julian Charrière
ohne Titel

Der Neubau könnte sich in einen Körper verwandeln, dessen Fassade im untersten Ge-
schoss auf Schätze, Preziosen, jedenfalls auf wertvollen Inhalt verweist. Julian Charrière
nimmt die Einladung zum Anlass für Tiefbohrungen in die Sammlungen beider Institutionen.
Sein Vorschlag nutzt die Fassade als Membran, in der Bildquellen auf den Stadtraum
treffen beziehungsweise der Aussenraum sich in den Beständen zu spiegeln verspricht.

Charrières Medium ist die Heliographie. Den Künstler interessiert an dieser ersten Foto-
technik eine eigentliche ‹Fossilisierung› des Bildes, die er in verschiedenen Massstäben
und durch Kontrastmittel variationsreich von dunklem Grau bis zu leuchtendem Gold er-
scheinen lässt: Pläne, Luftaufnahmen, Architekturen, Pflanzen, Tiere bis hin zu mikrosko-
pischen Strukturen ‹erscheinen› im wörtlichen Sinn hinter der Glasfassade. Sie deuten
die Fensterzone zur Vitrine um, fordern den nahsichtigen Blick heraus und stiften im
Zusammenhang ein schillerndes Band.

Die Jury anerkennt die grosse Sorgfalt und Charrières Präzisionsanspruch in der so ambiti-
onierten Dimension von 7s44 Metalltafeln von je 2 x 1 Metern. Eindeutig auf Dauer angelegt,
mutet die Kunstintervention kostbar und gleichzeitig etwas antiquiert an. Materiell setzt sie
sich entschieden vom markanten Relief der Backsteinfassade ab. Die schiere Menge der
Bilder droht jedoch deren Status als überlieferte, preziose Unikate zu entwerten. Was Char-
rières Arbeit im Innersten an Feinheit und Raffinesse auszeichnet, riskiert auf der grossen
Fläche eine Einebnung und Homogenität: Mikro- und Makrostrukturen stehen ungebrochen
nebeneinander und die Zusammenstellung der Bilder lässt eine inhaltliche Stringenz noch
vermissen. Obwohl der Entwurf die Präzisierung und Weiterarbeit an genau dieser Stelle
vorsieht und für die projektbedingte, punktuelle ‹Intransparenz› der Fassade eine Lösung
gefunden werden könnte, gewinnt Charrières Vorhaben nicht das Vertrauen der Jury.

Die Projekteingabe von Julian Charrière scheidet in der ersten Sitzung des Beurteilungs-
gremiums aus.

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SUPERFLEX
«A Cockroach Tour»

Angesichts der Fülle an Exponaten und Archivalien verzichtet SUPERFLEX darauf, der baulichen Hülle eine
weitere Materialisierung hinzuzufügen. Wichtiger erscheint dem Künstlerkollektiv, das Innere der Institutionen
zu erforschen. So greift es zurück auf die Figur der Kakerlake, welche – viel älter als die Menschheit – ver-
schiedene Erdphasen bereits überlebt und somit ein grosses Wissen angesammelt habe. Durch die Augen der
Kakerlake sollen die Bestände neu erlebt werden. Besucherinnen und Besucher sind aufgefordert, sich ein
entsprechendes Kostüm überzuziehen und einer geführten Tour durch den Neubau zu folgen. Als Herzstück
der künstlerischen Arbeit wird das ortspezifisch entworfene Skript in Aussicht gestellt, das in performativen
Führungen durch Schauspieler zur Aufführung kommt.

Interaktiv, performativ, spielerisch, edukativ, kommunikativ und humorvoll stellt sich die «Cockroach Tour» dar.
Der Perspektivwechsel lässt Institutionen und Objekte anders erfahren und befragt die Institutionen an ihrem
zeitgeschichtlichen Ort. Die Aufmerksamkeit gilt ebenso dem Museum und Archiv wie der Kultur und Haltung
unserer Rezeption. Dass Inhalte vermitteln werden, ohne materiell etwas hinzuzufügen, gefällt: Anstelle des
dauerhaften, sichtbaren Akzents investiert SUPERFLEX in die Wahrnehmung, möglicherweise auch in die Be-
gegnung zwischen den beiden Institutionen an der neuen Adresse. Der Witz und die Frische der Arbeit haben
etwas Befreiendes. Könnte ein solches Kunstprojekt das neue Zusammenspiel von Archiv und Museum
begleiten, allenfalls sogar beschleunigen?

                                                                                       Das für die zweite Sitzung des Beurteilungsgre-
                                                                                       miums nachgereichte Skript macht das witzige
                                                                                       Gefälle zwischen naturwissenschaftlichem Know-
                                                                                       how und der fiktiven Perspektive von Kakerlaken
                                                                                       lesbar. Fragen bleiben allerdings offen in Bezug
                                                                                       auf die Wiederholung der Idee. SUPERFLEX hat
                                                                                       die Cockroaches unter anderem im Londoner
                                                                                       Science Museum auftreten lassen; Basel wäre
                                                                                       ein neuer, adaptierter ‹Zwischenhalt›. Auch der
                                                                                       Zeithorizont ist ungeklärt: Kann eine Führung mit
                                                                                       gleich bleibender Textvorlage auf Dauer attrak-
                                                                                       tiv bleiben und in welchem Verhältnis steht sie
                                                                                       zu den hauseigenen Vermittlungsangeboten?
                                                                                       Eine «Cockroach Tour» könnte auch nach der
                                                                                       Eröffnung des Neubaus ‹eingekauft› und saiso-
                                                                                       nal gespielt werden. Zur Markierung der neuen
                                                                                       Nachbarschaft des Naturhistorischen Museums
                                                                                       und Staatsarchivs jedenfalls drängt sich die
                                                                                       Intervention nicht auf.

                                                                                        Die Projekteingabe «A Cockroach Tour» von
                                                                                        SUPERFLEX scheidet nach der zweiten Sitzung
                                                                                        des Beurteilungsgremiums aus.

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Levi & Partner:
«Nummern und Nummuliten»

                                                                               Renée Levi und Marcel Schmids
                                                                               Wandbild «Nummern und Num-
                                                                               muliten» möchte allgemein und
                                                                               leicht verständlich Passanten
                                                                               und Besucher adressieren. Das
                                                                               gewünschte Ineinandergreifen
                                                                               von Architektur und Kunst findet
                                                                               im Material eine Antwort, das sich
                                                                               als integraler Teil der Fassade
                                                                               bildhaft nach aussen wendet. Ihre
                                                                               Motive wählen sie in Bezug zu den
                                                                               beiden Institutionen. Die Ziffern
                                                                               1, 4 und 7 – wenn auch formal
                                                                               motiviert – stehen für das primäre
                                                                               Ordnungssystem eines Archivs,
                                                                               wobei sich die 4 anbietet, dem
                                                                               Archivfenster an der Ostfassade
                                                                               ein neues, eigenwilliges Profil
zu geben. Der Nummulit ‹repräsentiert› als urgeschichtliches Exponat das Museum. Visuell im Vordergrund
steht jedoch nicht die institutionelle Herleitung, sondern eine vertraute, nachvollziehbare und eigendynamische
Figuration. Für die Nummuliten sind für Levi & Partner zwei Umsetzungen denkbar: Sie könnten aus individuell
gefertigten, verfugten Keramikplatten bestehen oder aber aus weissen Fliesen, denen die Binnenstruktur der
Urschnecke in Levis Handschrift eingeschrieben würde. Die Ziffer 1 gibt sich – auf dem Fuss oder über Kopf –
in Backstein oder Sichtbeton als integralen Teil der Fassade zu erkennen. Leuchtend bunte «Tolggen» aus Glas
sind scheinbar lose über die 30 Meter lange Front und zudem die Seitenfassade gestreut.

Das Wandbild von Levi & Partner ‹beisst› sich wie eine unübersehbare Markierung in die Wand. Direktheit
und Präsenz sind seine Stärke – und genau da macht es sich auch anfechtbar. Will es ganz zum Bau gehören,
von dem es sich in seiner Materialität und mit den Farbakzenten kühn absetzt? Oder adressiert es, in autono-
mer Lautstärke und mit Graffitis kokettierend, vor allem das Quartier? Das treffsichere Aufgreifen einer urba-
nen, dem Platz zugewandten Sprache erscheint dem dynamischen Quartier angemessen. Die handwerkliche
Beschaffenheit dürfte im Wechsel von Backstein, Beton, Glas und Keramik schillern. Auch diesem Entwurf
allerdings wird die knappe Zuweisung von Zeichen zu den beiden Institutionen nicht gutgeschrieben: Ist der
Nummulit das geeignete Signal für das Naturhistorische Museum? Kann die Ziffer die komplexe Aufgabe
des Archivs repräsentieren? – Mit diesen Fragen empfiehlt die Jury in ihrer zweiten Sitzung den Entwurf zur
Weiterbearbeitung. Differenziert werden soll dabei u.a. das Verhältnis zwischen dem künstlerischen Bild
und der vorgegebenen Struktur der Gesamtfassade.

Überarbeitung
Die revidierte Eingabe verzichtet auf den architektonischen Eingriff ins Archivfenster, zieht das Bild über Eck
auch entlang der Nordfassade und belässt es bei der Wahl der Ziffern bei einer aufrecht oder auf dem Kopf
stehenden Eins, die im Wechsel zwischen Backstein und Sichtbeton ein ‹Negativ-› beziehungsweise ‹Positiv-
Bild› derselben Formel assoziieren lassen. Die engere Bezugnahme und innigere Anlehnung an die Ästhetik
des Baukörpers rauben nach Einschätzung der Jury dem Bild einen Teil seiner ursprünglichen Dynamik.
Unter dem Druck nicht zuletzt der finanziellen Machbarkeit, die angesichts der komplexen Konstruktion auch
im revidierten Entwurf noch bezweifelt wurde, scheinen die einzelnen Elemente aufgereiht und der Gesamt-
eindruck etwas flach geworden.

Die überarbeitete Projekteingabe «Nummern und Nummuliten» von Levi & Partner scheidet in der
dritten Sitzung des Beurteilungsgremiums aus.

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Studer/ van den Berg:
«Data Pool»

Studer / van den Berg erleben die räumliche Situation auf dem Platz als übergestaltet. Ihre Projekteingabe
folgte deshalb zuerst dem Wunsch nach einer beruhigenden Wirkung. Inhaltlich nahmen sie sich der aktuellen
Frage nach der Digitalisierung von Sammlungen und Archivgut an. In Auseinandersetzung mit dem digitalen
Mehrwert von Archiv und Museum simuliert «Data Pool» ein Boot mit Angel, das nur per Mobilgerät über einen
Augmented Reality-Browser gesehen werden kann. Auf diese virtuelle Vision vorbereitet wird man durch die
Bemalung der Wand – einem Blau, das Passanten sozusagen unter Wasser gehen lässt. Im sich ausbreitenden
‹Wasser› rufen die Künstler einen ebenso tiefen wie weitgehend unsichtbaren Datenpool auf. Zwischen Mauer
und Viadukt sind überdimensionierte Gepäckstücke platziert, eine Leiter verspricht den Zugang oder den Aus-
stieg aus dem Wasser. Das Bildrätsel erfährt durch den digitalen Teil eine ‹Auflösung›.

Der Umgang mit dem Raum unter der Brücke hat in der Simulation von Studer / van den Berg etwas Souverä-
nes. Es gefällt, dass «Data Pool» mehr als nur eine Realität der Wahrnehmung einbezieht und einen Weg sucht,
die digitalen Dimensionen des Sammelns und Zeigens zum Thema zu machen. In Bezug auf die Gepäck-Skulp-
tur (Materialität, Massstäblichkeit etc.) bleibt die künstlerische Untersuchung und Präzision noch beschränkt.
Wenn «Data Pool» in 15 Jahren an den heutigen Moment der digitalen Kultur erinnern soll, scheint die Arbeit
doch in einer nostalgischen Ästhetik zu verharren. Die zeitliche Signatur, die das Künstlerduo in der digitalen
Vernetzung und damit zusammenhängend in einem neuen Umgang mit Informationen ortet, findet in der Ästhetik
kaum ein Echo. Die Jury lädt das Künstlerduo nach der zweiten Sitzung zu einer Präzisierung ein.

Überarbeitung
In der überarbeiteten Version hat ein überdimensionierter Oktopus den Platz der Gepäck-
stücke eingenommen. Er lagert auf dem Wandabschluss unter dem Luzernerring-Viadukt.
Mit seinen Tentakeln hält er auf über drei Metern Höhe einen Monitor. Darauf zeigt sich, als
digitale, lokale Simulation, das archaische Transportmittel eines Boots mit Angel. In Echt-
zeit gerechnet und flexibel dem Standpunkt des Betrachters angepasst, kann dasselbe Boot
über einen prominent an der Seitenwand platzierten QR-Code auch auf einem Tablet oder

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Smartphone empfangen werden. Zur Debatte steht nicht weniger als die Balance zwischen
physischer Präsenz und virtueller Information, wie sie seit Beginn unserer digitalen Epoche
ausgehandelt wird.

Der intelligente, geheimnisvolle, lernfähige Oktopus lagert als «Datenkrake» auf dem
Mauervorsprung, weckt Sympathien und löst Fragen aus. Auch wenn er sich in der Aufsicht
der Simulation als ‹Vierbeiner› entpuppt, ist ihm etwas Unberechenbares, Unheimliches
eigen. Wer hätte gedacht, dass sich dieses Meerwesen auch als Steigbügel in die digitale
Welt anbietet? Darin erkennt die Jury eine ironische Pointe, ohne dass die Kunst unnötig mit
den Ansprüchen von Museum oder Staatsarchiv kokettiert.

Einige Grundfragen bleiben unbeantwortet, darunter die «Halbwertszeit» eines so natura-
listischen wie zeichenhaften Bilds. Das Auftauchen der Krake leistet blitzartig eine Auf-
wertung und Umdeutung des etwas düsteren städtischen Orts. Als temporäre Installation
und kurzfristiger Denkanstoss hat das Bild eine bestechende Präsenz.

Grundsätzlich wird dem Tier das Potenzial einer gewissen Popularität zugetraut – aber
was signalisiert die Krake auf Dauer? Im Schatten des Viadukts kommt auch eine gewisse
Tristezza auf. Es gibt das Versprechen auf etwas Unsichtbares, das sich aber über die
Jahre gleich bleiben würde.

Die Wechselwirkung zwischen Anwesenheit und digitaler Simulation scheint letztlich in
einem Kreislauf gefangen, der den verheissungsvollen Assoziationsraum auf Dauer wieder
unterbindet.

Die überarbeitete Projekteingabe «Data Pool» von Studer van den Berg scheidet in der
dritten Sitzung des Beurteilungsgremiums aus.

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Erik Steinbrecher:
«Trocken, Warm & Feucht»

Der Künstler macht sich die dem Bauprojekt auferlegte Forderung nach einer Kompensation für den Verlust an
unversiegeltem Boden zueigen. In einem ersten Schritt plant er, auf dem als regional bedeutender Natur- und
Lebensraum eingestuften Bauplatz Materialien zu sammeln und zu dokumentieren. Die Sicherung der Boden-
narbe soll filmisch, zeichnerisch, malerisch und in Objekten festgehalten werden und unter anderem in ein
Künstlerbuch münden, das in einer Vitrine im Foyer ausgestellt würde. An der Westfassade, vor dem Fenster
zwischen Geleisefeld und Foyer, käme ein Hochregal mit Objekten und Materialproben zu stehen. Vor dem
Haupteingang wären Plakatträger denkbar: Motive aus der Recherche mischen sich in die Werbeplattform
der beiden Institutionen.

Der Fokus auf die Brache und die Idee, sie im neuen Gebäude weiter leben zu lassen, hat etwas Einleuchtendes.
Steinbrecher zeigt das, was ihm auffällt, um es in einen anderen Zustand zu überführen – das verspricht Anre-
gungen für eine spezifische Form des visuellen Denkens. Ebenso lässt die Verwendung der rhetorischen Mittel,
wie sie aus Museum und Archiv bekannt sind, in Steinbrechers Projekt die subtile, für beide Institutionen re-
                                                                               levante Frage erkennen:
                                                                               Wie und wann setzt ein Doku-
                                                                               mentationsvorgang, die Kate-
                                                                               gorisierung und Bewertung
                                                                               ein? Und: Welchen Einfluss
                                                                               darauf nimmt das Dokument
                                                                               oder Exponat selbst? Das
                                                                               Verhältnis zwischen künstle-
                                                                               rischer Kontrolle und einem
                                                                               Sich-Selbst-Überlassen der
                                                                               Sammlungen ist mehrdeutig
                                                                               bzw. nicht festgelegt. Die be-
                                                                               absichtigte Beiläufigkeit der
                                                                               Intervention sowie das offenbar
                                                                               dehnbare Rollenverständnis
                                                                               des Künstlers lässt gleich-
                                                                               zeitig eine Verbindlichkeit ver-
                                                                               missen. Die Jury verspricht
                                                                               sich Klärung von einer Weiter-
                                                                               bearbeitung.

Überarbeitung
Die Überarbeitung setzt auf Vereinfachung und schlägt entlang der Rückfassade und par-
allel zum Gleisfeld der SBB einen lang gezogenen Ruderalgarten vor. Die 2 x 50 Meter
umfassende Einfriedung des Terrains knüpft an die Thematik der ‹gestalteten Wildnis› an,
des Sammelns und Zeigens, der Grenze zwischen Natur und Kultur, die den Künstler seit
Langem beschäftigt. Das eingezäunte Terrain oszilliert zwischen einer kultivierten Setzung
und der Inschutznahme eines sich selbst überlassenen, natürlichen Verlaufs. Der Boden
wird dem Bauplatz entnommen und garantiert so das Überleben einer urbanen Artenviel-
falt an der Peripherie des dicht bebauten Quartiers. Dieser semi-künstlichen Natürlichkeit
pflanzt Steinbrecher eigens produzierte ‹Steine› ein, welche Reptilien oder Insekten als
Behausung dienen können. Die Entstehung und Entwicklung des Ruderalgartens wird lau-
fend dokumentiert und in einem Künstlerbuch festgehalten.

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Die Jury begrüsst in der überarbeiteten Version die grosszügige, konzentrierte Geste des
Gartens. Steinbrechers Ruderalgarten kann als Schulterschluss, aber auch als Kommentar
gelesen werden zum kompensatorischen, oft aufwändigen Aufforsten urbaner Räume. Sein
Nachbau von Steinen fragt nach der Glaubhaftigkeit natürlicher Prozesse und Oberflächen.
Im losen Bezug zu den beiden Institutionen erweitert und ergänzt Steinbrecher die Mass-
nahmen des Naturschutzes, welche der Bau mit den Nistplätzen für Vögel bereits in die
Fassade integriert. Im Zusammentragen von Humus, Steinen, Pflanzen und Tieren aus der
Baugrube ist eine Haltung zu erkennen, die ‹Sammeln› nicht mit ‹Bewerten› gleich-
setzen will. Mit dem nomadischen, provisorischen, auch in den allfälligen Kooperationen
noch unscharf konturierten Vorgehen fordert Steinbrecher beide Institutionen heraus.
Mit charmanter Fahrlässigkeit opponiert «Trocken, Warm & Feucht» im Zyklus der Jahres-
zeiten gegen das auf Dauer errichtete Gebäude.

Das Projekt muss sich auch kritische Fragen gefallen lassen: Wird nicht der wiederholte
Verweis auf die prozessuale Arbeit jeden denkbaren Ausgang zum theoretischen Gewinn
erheben? Investiert die Kunst an dieser Stelle in den Lerneffekt ihres Urhebers oder in
die Neugierde ihrer Betrachter? Die Architektur, mit ihren bereits integrierten Nistkästen
selbst Trägerin von naturschützerischen Massnahmen, bleibt materiell unangetastet.
Überzeugend bleibt aber die Vorstellung eines Gartens als ‹Panorama›, das sich vom Foyer
aus dem Blick irritierend, ja sperrig in den Weg stellt – und die beiläufige Selbstverständ-
lichkeit der künstlerischen Intervention, die auch in Bezug auf die Vermittlung Spiel- und
Handlungsräume erschliessen kann.

Mit Auflagen bezüglich der skulpturalen Ausarbeitung des Zauns sowie der Zusammenarbeit
empfiehlt die Jury einstimmig Erik Steinbrechers Projekt «Trocken, Warm & Feucht» zur
Ausführung, vorbehaltlich der Kreditgenehmigung für den Neubau durch den Grossen Rat
des Kantons Basel-Stadt.

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Das Beurteilungsgremium hat den vorliegenden Bericht am 08. Juni 2018 genehmigt.

Beat Aeberhard

Esther Baur

Thomas Fries

Katrin Grögel

Christian Mehlisch

Claudia Müller

Daniel Niggli

Madeleine Schuppli

Basil Thüring

Markus Werner

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Impressum
© 2018
Bau- und Verkehrsdepartement des Kantons Basel-Stadt
Städtebau & Architektur, Hochbauamt

Text und Redaktion
Isabel Zürcher
Stephanie Laufs

Gestaltung
Susanne Krieg Grafik-Design, Basel

Bezug
www.hochbauamt@bs.ch

Basel, im Juni 2018
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