KALASCHNIKOW - MON AMOUR - Begleitmaterial zur Vorstellung - Dschungel Wien
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Begleitmaterial zur Vorstellung KALASCHNIKOW – MON AMOUR © Rainer Berson Dschungel Wien Ko-kreatives Tanztheater | 60 Min. | 14 - 23 Jahre Begleitinformationen erstellt von: Sophie Freimüller Kartenreservierungen für pädagogische Institutionen: +43 1 522 07 20 18 | paedagogik@dschungelwien.at
KULTURVERMITTLUNG Vorbereitender Workshop Auf Anfrage kommen wir gerne vor Ihrem Theaterbesuch an Ihre Schule, stimmen die Klasse auf das Thema ein und bereiten Sie und Ihre Schüler*innen auf das Medium „zeitgenössisches Theater“ vor – mit Gesprächen und kreativen Übungen aus dem Tanz-, Performance- und Schauspielbereich. Dauer: 2 Schulstunden Kosten: € 130,00 pro Klasse Ort: Fest- oder Turnsaal an Ihrer Schule, ev. auch in einem größeren Klassenzimmer möglich. Publikumsgespräch Sehr gerne können Sie sich für ein kostenloses Publikumsgespräch direkt im Anschluss an die Vorstellung anmelden. Im Publikumsgespräch können die Kinder und Jugendlichen relevante Themen des Stückes bearbeiten, Fragen stellen und ihren ersten Eindrücken Ausdruck verleihen. Unterschiedliche Formate passend zu Inhalt und Zielgruppe – zum Teil mit interaktiven Elementen – bieten den geeigneten Rahmen für direkten Austausch und ermöglichen neue Zugänge zur darstellenden Kunst. Bitte geben Sie bei der Reservierung bekannt, ob Sie ein Publikumsgespräch wünschen. Nachbereitender Workshop Vor allem bei theatererfahrenen Klassen kann es sinnvoll sein, statt des vorbereitenden Workshops eine Nachbereitung zu buchen. Hier verarbeiten die Schüler*innen das gesehene Stück in Gesprächen und durch eigenes kreatives Schaffen. Dauer: 2 Schulstunden Kosten: € 130,00 pro Klasse Ort: Fest- oder Turnsaal an ihrer Schule, ev. auch in einem größeren Klassenzimmer möglich. Ansprechperson für weitere Informationen und Beratung: Judit Abegg | +43 1 522 07 20-24 j.abegg@dschungelwien.at II
Inhaltsverzeichnis 1. ZUR PRODUKTION ........................................................................... 1 1.1 Inhalt ..................................................................................................... 2 1.2 Konzept und Ideen ................................................................................. 3 1.3 Gesprächsfetzen aus Gesprächen mit den Tänzern ................................ 4 1.4 Das Team ............................................................................................... 7 2. HINTERGRUNDINFORMATION ......................................................... 9 2.1 Weiterführende Empfehlungen ........................................................... 12 2.2 Glossar und weiterführende Begriffe ................................................... 14 3. IDEEN FÜR DIE VOR- UND NACHBEREITUNG ................................. 18 III
1. ZUR PRODUKTION Kalaschnikow – Mon Amour Dschungel Wien Uraufführung Ko-kreatives Tanztheater | 60 Min. | Ab 14 Jahren Vorstellungstermine im Dschungel Wien: DO 23.09.2021 20:00 Premiere FR 24.09.2021 19:00 SA 25.09.2021 19:30 MO 27.09.2021 10:30 DI 28.09.2021 10:30 DI 09.11.2021 10:30 MI 10.11.2021 10:30 DO 11.11.2021 10.30 FR 12.11.2021 19:30 MO 28.03.2022 19:30 DI 29.03.2022 10:30 MI 30.03.2022 10:30 + 19:30 Team Konzept & Choreografie: Corinne Eckenstein Bühne: Hawy Rahman Kostüm: Kareem Aladhami Musik: Karrar Al Saedi Video: Osama Rasheed Projektleitung: Jennifer Vogtmann Regieassistenz: Sophie Freimüller Mit: Ali Reza Askari, Javid Hakim, Ahmad Hazara, Iliya Hosseini, Jasir Karimi, Morteza Mohammadi Ermöglicht durch Im Rahmen von 1
1.1 Inhalt Männerwelt(en) Warum tätowiert sich ein Jugendlicher eine Kalaschnikow auf seinen Unterarm? Ist es ein Ausdruck von Gewalttätigkeit? Von Männlichkeit? Oder ist er ein Kriegsverehrer? Hier beginnt die Geschichte. Die Kalaschnikow ist zu einem Symbol des Unabhängigkeitskampfes auf der ganzen Welt geworden. Es geht um das Gefühl von Freiheit und Selbstbestimmtheit. Für Jugendliche, die zwischen zwei Welten mit unterschiedlichen Werten und Kulturen aufwachsen, ist es nicht einfach, ihren Platz zu finden. Die Suche nach einer eigenen Identität ist von Familie, Religion, Konvention und Traditionen geprägt. In ihrem Wunsch nach Eigenständigkeit prallen sie auf eine Gesellschaft, die sich schwer damit tut, sie zu akzeptieren. Gemeinsam mit jungen afghanischen und irakischen Männern untersuchen wir, unter welchen Bedingungen Männlichkeit sozial konstruiert wird. Manche fordern eine dominante männliche Position ein und stützen sich dabei auf Kultur und Tradition. Für andere – gerade auch Menschen mit Fluchterfahrung – kann die aktuelle Lebenssituation einen Raum für neue Möglichkeiten und Freiheiten sowie das Ausloten vielschichtiger Männlichkeitsbilder bieten. Welche Träume, Ängste und Lebensentwürfe haben sie? Ein sehr persönliches Stück über Tabuthemen wie Politik, Sexualität, systematischer Diskriminierung und Trauma und die Zerrissenheit von jungen Männern, die selbst gegen patriarchalische Strukturen und Erwartungshaltungen kämpfen. 2
1.2 Konzept und Ideen „Zwischen Traum und Trauma.“, beschrieb Corinne Eckenstein, Choreographin und Regisseurin von „Kalschnikow – Mon Amour“, die Arbeit am Projekt einmal nach einer langen Tanzprobe und dem immer darauffolgenden gemeinsamen Essen voller Gesprächs- und Mitteilungsbedarf. Der Traum vom besseren Leben, vom Himmel Europas, das sich als gar nicht mal so himmlisch entpuppt, aber immer noch besser ist, als die Heimat und die Traumata von Diskriminierung, Flucht und Ausgrenzung, die die Beteiligten nach Wien mitgebracht haben und mit denen sie sich im Zuge der Proben noch intensiver als ohnehin schon befass(t)en. Das Projekt „Kalaschnikow – Mon Amour“ war ein langer Prozess aus Gesprächen, freien Tanz- Workshops und Flashmobs, bildnerischem Arbeiten und daraus resultierenden Ausstellungen, bis zu intensiven Proben für das Stück mit sechs jungen geflüchteten Männern, die wir über die freien Tanz-Workshops kennenlernen durften. Seit nun gut einem Jahr dreht sich alles um die Frage(n) nach Männlichkeit. Was ist Männlichkeit? Was ist toxische Männlichkeit? Gibt es einen Unterschied zwischen arabischen und österreichischen männlichen Rollenbildern? Wie ist das Verhältnis zwischen Männern* und Frauen*? Welche männlich gelesenen und welche weiblich gelesenen Anteile trage ich in mir? Was ist Feminismus? Mit dieser Auseinandersetzung wurde der Blick für spezifische Bedingungen, unter denen Männlichkeit, wie auch Weiblichkeit, sozial konstruiert wird, geschärft. Schnell kristallisierte sich heraus, dass viele der beteiligten Männer zwischen diversen Bildern, die ihnen Gesellschaft(en) von Männlichkeit vorschreiben, hin- und hergerissen sind. Hinzu kommt, dass der allgemeine Stereotyp, der in Österreich und Europa arabischen Männern zugeschrieben wird, zu noch größerer Zerrissenheit führt. Ein Beispiel: Werden die Männer provoziert und reagieren durch lautstarkes Abwehren, werden sie von der österreichischen Politik und den Medien in die Rolle des gewalttätigen, „nicht-normativen“ Anderen, des „bösen Ausländers“, gedrängt. Geben sie der Provokation aber kleinlaut bei, gelten sie in ihrer eigenen Kultur noch verstärkter, als im europäischen Männlichkeitsbild, als verweichlicht und unmännlich. Gerade bei Menschen mit Fluchterfahrung kann die neue Lebenssituation aber auch zum Raum neuer Freiheiten werden, durch die es möglich ist, diversere und vielschichtige Männlichkeitsbilder auszuloten. Es geht also um eine Suche in Ungewissheit bei gleichzeitiger Zukunftszuversicht, um ein ständiges Selbstreflektieren, Fremdreflektieren und die Reflexion und Hinterfragung gesellschaftlicher Teilhabe, um Selbstbild und Identität und um Tabuthemen wie Sexualität und Liebe zwischen Verunsicherung und Verhärtung. 3
1.3 Gesprächsfetzen aus Gesprächen mit den Tänzern Die Tänzer bleiben hier anonym. Dieses Gesprächsprotokoll soll einerseits ihre Lebensrealitäten spiegeln und andererseits zeigen, wie unterschiedlich jeder für sich ist, obwohl alle sechs eine sehr ähnliche Geschichte haben – sie sind alle im Iran aufgewachsene Afghanen, die zwischen 2013 und 2015 alleine oder mit nur einem kleinen Teil an Familie nach Österreich gekommen sind – und wie divers sie in ihren Meinungen sind, obwohl sie alle mit denselben Problemen zu kämpfen haben. Aus Gesprächen über Männlichkeit: „Man ist erst ein Mann, wenn man eine Frau heiratet. Ein Mann ohne Frau ist kein Mann. Vorher ist man ein Junge.“ „Männlichkeit ist etwas Großes. Wir müssen als Männer etwas machen und bauen. Wie die Pyramide in Ägypten. Es muss groß sein.“ „Männer sind so. Sie müssen sich messen. Es muss einer recht haben. Es muss einer gewinnen, wenn sie nicht der gleichen Meinung sind.“ Nach einer Diskussion über Feminismus: „Ich habe es erst hier gelernt. Ich habe mit Frauen über tiefe Themen diskutiert und immer wieder nachgefragt: Verstehst du, was ich sage? Und da hab ich gemerkt, wie schlau Frauen sind. Ich war überrascht. Erst jetzt weiß ich, ich kann mit Frauen ganz gleich reden, wie mit Männern. Ich schäme mich ein bisschen.“ Zum Thema Sexualität: A: „Sind Frauen Kunst?“ B: „Mir ist Kleidung und Schminke von Frauen sehr wichtig, weil das ist Kunst!“ A: „Viele Gedichte und Lieder und Kunstwerke sind über Frauen.“ C: „Kunst ist ein Gefühl.“ A: „Dann sind Frauen Kunst. Für mich.“ „Viele glauben, ich bin schwul, wenn ich tanze, weil ich tanze.“ „Mit Frauen aus der Türkei oder dem Iran hast du immer Probleme. Immer Drama. Mit österreichischen Frauen hatte ich noch nie ein Problem. Außer ich werde wütend natürlich. Meine letzte Freundin aus Österreich hatte was mit ihrem Nachbarn, dieses Arschloch. Sie sind jetzt zusammen, so dumm. Eine österreichische Freundin hat gesagt, ich bin ein Terrorist. Sie ist deppat. Aber ich will eh nicht heiraten. Ich bleibe für immer ein Junge, kein Mann.“ 4
Zum Thema Anpassung: „Im College, in das sie mich gegeben haben, waren ausschließlich andere Geflüchtete. Ich habe mit meinen Freunden Arabisch, nicht Farsi, sodass mich alle verstehen. Ein Lehrer ist gekommen und hat mich geschimpft: Hey! Sprich Deutsch! Integriere dich! Ich habe nur gesagt: Ich habe mich integriert! Hier gibt es niemanden, der Deutsch spricht. Wie soll ich mich integrieren, wenn ich nie unter Österreicher:innen bin und immer nur mit anderen Geflüchteten zusammengesteckt werde? Ich hasse dieses Wort: Integration.“ Über Traumata und Kindheitstraumen: „Auf der Welt gibt es Krieg. Und in mir drinnen ist auch Krieg. Ich kämpfe mit mir selbst.“ A: „Ich muss jede Arbeit nehmen, die ich kriege. Wann hört die Arbeit endlich auf, wann habe ich endlich Pause?“ B: „Mir ist nicht mehr jede Arbeit gut genug, aber ich muss schauen, wegen dem Geld.“ A: „Ich muss arbeiten für meine Mutter. Bei uns ist das so, weißt du? Sobald der ältere Bruder verheiratet ist, muss der kleinere arbeiten. Egal, wie klein du bist. […] Mit 11 oder 12 Jahren: Ich bin ins Restaurant gegangen, bevor es hell wurde und wieder rausgegangen, als es schon finster war. Ich habe nie die Sonne gesehen und ich war die ganze Zeit auf Drogen, die sie mir gegeben haben. Was ist das für eine Kindheit?“ Ein Gespräch über Gewalt: A: „B. hat sich geschlagen.“ B (mit einem ganz blauen Auge): „Sag das nicht Mann! Ich schäme mich! Außerdem hast du dich auch geschlagen.“ A: „Ich wollte dir helfen.“ B: „Ja, es waren 10 gegen 2 und wir habe trotzdem irgendwie gewonnen.“ Sophie: „Aber wer waren die? Was ist denn passiert?“ B: „Tschetschenen.“ A: „Sag das nicht, sonst ist es gleich rassistisch.“ B: „Ok, aber sie haben tschetschenisch gesprochen, das ist was ich gehört habe, deswegen sage ich Tschetschenen. Aber ich weiß es natürlich nicht.“ Sophie: „Ja und was haben die jetzt gemacht? Haben sie mit dem Schlagen angefangen?“ B: „Ääääh… naja schon irgendwie. Sie haben mich dumm angeschaut und ich habe gesagt: ‚Was schaust du so dumm?!‘ und dann ging es los!“ Sophie: „Das ist alles? Deswegen hast du jetzt ein blaues Auge?“ B: „Ich muss mich doch verteidigen? Blicke können auch diskriminieren! Ich muss mir nicht alles gefallen lassen. Ich habe zugeschlagen.“ Sophie: „Also ich versteh das schon, find es aber falsch. Weißt du, wie oft ich Männer schlagen müsste, wenn es nur um Blicke geht? Mindestens einmal am Tag! Aber glaubst du, tu ich das?“ B: „Hm.“ 5
Aus einer Voicemail über die Lage in Afghanistan: „[…] Sobald sie Leute suchen, die nach Afghanistan gehen, um zu kämpfen, werde ich gehen. Ich schlafe nicht mehr. Ich möchte mit den Taliban machen, was sie mit den Frauen und Kindern machen. Ich habe so schreckliche Videos gesehen. Weißt du, ich frage mich, was mache ich hier in Österreich? Was ist das? Warum bin ich hier? Was ist das für ein Leben, wenn es meinen Leuten so schlecht gehen muss. Ich gehe nach Afghanistan und töte die Taliban. Nicht um zu töten, sondern weil ich geboren bin zum Helfen. Ich helfe damit den Menschen und den Tieren in Afghanistan. Meine Mutter hat geweint, wie ich es ihr erzählt habe. Ich habe gesagt, wein nicht, sei stolz, dass du einen Sohn hast, der hilft. […]“ © Rainer Berson 6
1.4 Das Team Corinne Eckenstein (Regie und Choreografie): Corinne Eckenstein, geboren in Basel, Schweiz. Künstlerische Leitung und Direktion des DSCHUNGEL WIEN. Regisseurin, Choreografin, Visionärin. Sie absolvierte ihre Ausbildung als Schauspielerin und Tänzerin in New York und San Francisco. Ihre Theaterlaufbahn begann sie am jungen theater basel, wohin sie später als Regisseurin zurückkehrte. Seit 1990 lebt Eckenstein in Wien, wo sie u.a. mit Meret Barz, Sebastian Prantl, Milli Bitterli, Eva Brenner, den Wiener Festwochen, ImpulsTanz, dem Theater der Jugend, Kosmos Theater, TanzQuartier und Schauspielhaus Wien arbeitete. 1995 begründete sie gemeinsam mit der Autorin und Regisseurin Lilly Axster, die queerfeministische Gruppe: TheaterFOXFIRE, deren Produktionen (insgesamt 44) in den vergangenen Jahren große Erfolge bei Publikum und Presse verzeichneten. 2000 eröffnete sie das „theater kosmos frauenraum“ mit „Königinnen“ und war bis 2003 als Hausregisseurin tätig. Gemeinsam mit ihrer Compagnie TheaterFOXFIRE war sie von Beginn an wichtige Impulsgeberin des 2004 neu gegründeten DSCHUNGEL WIEN Theaterhaus für junges Publikum. Daneben ist sie kontinuierlich auch international tätig, u.a. in Zürich, Basel, Hannover und Berlin. Ihr besonderer Schwerpunkt liegt in der Förderung von Tanz für junges Publikum. 2016 übernahm sie die künstlerische Leitung und Direktion des DSCHUNGEL WIEN. Mit ihrem Fokus auf Kunstvermittlung, Diversität und Nachhaltigkeit, spricht sie zentrale Erfordernisse eines urbanen Kinder- und Jugendtheaters im 21. Jahrhundert an. Ihre besondere Stärke liegt darin, immer wieder neue Formen und Visionen zu entwickeln. Hawy Rahman (Bühnenbild und Workshops inklusive Pop Up Ausstellungen): Hawy Abdel Rahman ist Bildhauer und Perfomer. Er wurde 1972 in Bagdad (Irak) geboren, hat aber mittlerweile die österreichische Staatsbürgerschaft. Er studierte in Bagdad am College of Fine Arts Bildhauerei und später an der Universität für Angewandte Kunst in Wien und hat ein Diplom in Bildhauerei und Druckgrafik. Er arbeitet viel mit Jugendlichen unter anderem im Jugend College in der Holzwerkstatt oder macht mit ihnen Ausstellungsprojekte in seinem Atelier. Jennifer Vogtmann (Projektleitung): Jennifer Vogtmann wurde 1982 in Sindelfingen (Deutschland) geboren. Sie ist Sozialpädagogin und Theater-, Film- und Medienwissenschaftlerin mit Ausbildung zur Kulturmanagerin. Zuletzt war sie in der Jugendarbeit bei theaterpädagogischen Inszenierungen und medienpädagogischen Projekten tätig. Sophie Freimüller (Regieassistenz): Sophie Freimüller wurde 1996 in einem nicht einmal 100- Seelen-Nicht-Dorf in Oberösterreich geboren und schloss 2019 ihr Bachelorstudium für Theater-, Film- und Medienwissenschaft an der Universität Wien ab. 2020 sammelte sie bei „The Return of Ishtar“ erste Erfahrungen im Bereich Theaterregie und ist dem Dschungel seitdem erhalten geblieben, meistens als Regieassistentin für Corinne Eckenstein. Sie schleicht sich aber gerne auch in diverse andere spannende Projekte ein und stellt dann zum Beispiel plötzlich als Frau in Ausstellungen zum Thema Männlichkeit aus. Wie macht sie das nur? Ali Reza Askari (Tanz): Ali ist 17 Jahre jung und hat schon viel erlebt. Er wurde im Iran geboren und hat später in Afghanistan gelebt, bevor seine Familie wieder in den Iran flüchtete. Ali ist seit 2015 in Österreich. Er wollte immer Boxer werden. Das sieht man auch in seinem Tanzstil. 7
Ahmad Hazara (Tanz): Ahmad ist 24 Jahre alt und in Karaj im Iran geboren. Schon als Kind liebte Ahmad Musik und Tanzen. „Musik und Tanz begleitet mich durch jeden Tag. Wenn ich tanze, bin ich voller positiver Energie.“ Iliya Hosseini (Tanz): Iliya ist 29 Jahre alt. Durch ‚Tanz die Toleranz‘ ist Iliya zum Tanzen gekommen. Er interessiert sich außerdem für Zeichnen und Malen. Jasir Karimi (Tanz): Jasir ist Anfang 20 und ist in Teheran geboren. Nach der Matura im Iran ist Jasir 2015 nach Österreich gekommen. „Tanzen ist wie ein Gespräch mit mir selbst und mit der Existenz.“ Javid Hakim (Tanz): Javid ist 29 Jahre alt und hat im Divercity Lab eine Schauspielausbildung gemacht. Im Iran war Javid unter anderem tätig im Bereich Martial Art Choreography für Filmproduktionen und hat Drehbuch, Regie und Fotografie gelernt. „Es geht nicht darum schön zu tanzen, sondern um das Gefühl und die Gedanken dahinter. Wenn wir so tanzen, kommt die Schönheit von selbst.“ Morteza Mohammadi (Tanz): Morteza ist 25 Jahre alt und im Iran geboren. Er hat 2016 bei ‚Tanz die Toleranz‘ zu tanzen begonnen. „Ich kann das sagen, Tanzen bedeutet für mich die Freiheit für die Seele und die Freude im Moment. Manchmal finde ich die tiefen Punkte in mir und will diese auch anderen Menschen zeigen. Vielleicht werden sie so auch die Dinge, die in ihnen begraben sind, finden. Ich bin selbst eine suchende Person und glaube bis zum Ende vom Leben wird das weitergehen.“ Karrar Alsaedi (Musik): Karrar Al Saedi, geboren 1998 in Bagdad, hat in Bagdad Musik studiert und studiert seit 2018 an der MDW in Wien. Er arbeitet in den Bereichen Sound Filmdesign, Theatermusik, Performance Art und Komposition. Kareem Aladhami (Kostüm): Kareem ist 24 Jahre alt und wurde im Irak in Bagdad geboren. Schon als Kind hatte er immer Interesse an Mode und hat mit 10 Jahren angefangen in Modegeschäften als Verkäufer zu arbeiten. Er lebt seit Ende 2015 in Österreich und besucht seit 2018 die Kunst- und Modedesignschule in der Herbststraße. Seitdem taucht er in die Welt der Mode ein und verkauft auch schon erfolgreich seine Designs. Osama Rasheed (Video): Osama Rasheed, geboren 1986 in Bagdad, hat in mehreren internationalen Film- und Kunstprojekten als Regisseur und Kameramann gearbeitet. Seine Projekte wurden in Kunsthäusern und auf Festivals, wie auf dem Toronto International Film Festival, im MOMA New York und im Haus der Kulturen der Welt Berlin, gezeigt. 8
2. HINTERGRUNDINFORMATION Da es sich bei den Projektbeteiligten mit Fluchthintergrund letztendlich ausschließlich um Iraker und Afghanen handelt, folgt hier ein sehr kurzer geschichtlicher und gesellschaftspolitischer Abriss der beiden Länder. Irak Der Irak steht auf Platz 4 der Weltrangliste der Länder mit den meisten Bodenschätzen, was es traurigerweise auch zum Schauplatz vieler Kriege werden ließ. Irak war ursprünglich ein Königreich, dessen König allerdings 1958 bei einem Militärputsch gestürzt wurde. Die Republik wurde ausgerufen. Sie sollte allerdings nicht allzu lange anhalten. 1979 bis 2003 wurde die Bevölkerung von Diktator Saddam Hussein regiert. Unter seinem Regime führte der Irak Kriege gegen die Nachbarstaaten Iran und Kuwait und beging ein Massaker an der schiitischen und kurdischen Bevölkerung. 2003 wurde die Regierung von einer von den USA angeführten multinationalen Invasionstruppe gestürzt und Saddam Hussein später für seine Taten zum Tode verurteilt. Als Grund für den Einmarsch wurde eine angeblich vom Irak ausgehende Terrorgefahr und Verbindungen zu Al-Quaida angeführt. Beides lässt sich nicht belegen und es stellt sich die Frage, ob nicht ökonomische Gründe, wie Bodenschätze und Bereicherung durch Kriegsführung und Waffenindustrie im Vordergrund des Einmarschs standen. Die USA, Großbritannien und die „Koalition der Willigen“ verabsäumte es, wie schon öfter vorgekommen, stabile Strukturen für die Nachkriegszeit aufzubauen und die USA führte das Land während seiner Besetzung 2003-2011 in bürgerkriegsähnliche Zustände. Wie viele tausende zivile Opfer diese unter der irakischen Bevölkerung forderten ist unbekannt. Während der Irakkrise 2014 eroberten Islamisten des ISIS Teile des Iraks an der syrischen Grenze. Das Land gilt trotz Rückeroberung weiterhin als sehr instabil. „Der Irak ist schon lange nur noch ein Land, in dem Kriege anderer auf die Kosten der irakischen Zivilbevölkerung ausgetragen werden. Schade um unser schönes Land.“, fassten es unser Bühnenbildner und Coach Hawy Rahman und unser Kostümbildner Kareem Aladhami einmal während einer Probe zusammen. Afghanistan Nach einem kommunistischen Staatsstreich und Unruhen marschierte 1979 die Sowjetunion in Afghanistan ein und etablierte eine neue kommunistische Regierung. Es begann ein Krieg zwischen der sowjetisch gestützten Regierung und von den USA unterstützten und finanzierten Widerstandsgruppen (Mudschaheddin), unter anderem den Taliban, die also von den USA maßgeblich mitgeformt und gefördert wurden. Schließlich besiegten die Mudschaheddin die Regierung und es kam zum Konflikt unter ihnen. 1996 kamen die radikal- islamistischen Taliban-Milizen an die Macht und führten die Scharia ein. Nach den 9/11- Anschlägen 2001 wurde das Regime der Taliban, das Mitglieder der Terrormiliz Al-Quaida beherbergte, von den USA gestürzt. Die USA besetzten das Land 20 Jahre lang mit den Zielen der Terrorismusbekämpfung und der internationalen Stabilisierungsmission, welche beide unerreicht bleiben sollten. Schon während der demokratischen, islamischen Republik, die ausgerufen wurde, kam es immer wieder zu Unruhen im Land, die Kindersterblichkeitsrate war eine der höchsten der Welt und eine Durchsetzung westlicher Wertesysteme gelang nur schleppend. 9
Als die US-Amerikanischen Truppen dann 2021 mehr oder weniger plötzlich abzogen, brauchten die Taliban keine 2 Monate, um das gesamte Land zurückzuerobern und auch die Hauptstadt Kabul für sich zu beschlagnahmen. Die Miliz sitzt jetzt auf einem von US- Amerikanischen Steuerzahler:innen finanzierten Waffenlager, bestehend aus besten Kriegswaffen. Obwohl Expert:innen und afghanische Journalist:innen vor der bevorstehenden humanitären Krise gewarnt haben, hat der globale Westen nicht gehandelt und damit unzählige Zivilist:innen, Aktivist:innen und für den Westen arbeitende Menschen im Stich gelassen und in Lebensgefahr gebracht. In Österreich wird zynisch weiterhin über rechtlich ohnehin nicht durchführbare Abschiebungen nach Afghanistan diskutiert, anstatt darüber, wie der ausgelieferten Bevölkerung dort geholfen werden und wie die Menschen auf sicherem Wege außer Landes gebracht werden könnten. Da Afghanistan ein größtenteils schwer zugänglicher, gebirgiger Binnenstaat ist, ist eine Flucht kompliziert. Die meisten trotzdem geflüchteten Afghan:innen, überwiegend verfolgte Hazaras, leben in den Nachbarländern Pakistan und Iran. In beiden Ländern gelten sie als Bürger:innen letzter Klasse. Für sie herrschen besondere Gesetze, die sie unfrei machen: Sie haben keinerlei Papiere, können deshalb nicht reisen; höhere Bildung wird ihnen oft verwehrt, Vermischungen der Ethnien sind verboten und sie werden bereits im schulischen Kindesalter strukturell diskriminiert. Mediale und Politische Darstellungen Die Politik und die Medien markieren geflüchtete Menschen immer als das Fremde, das Unnormale, das Andere und grenzen sie so vom Rest der Bevölkerung ab. Nimmt mensch die österreichischen Medien, besonders die Boulevardangebote, unter die Lupe, wird schnell klar, welches politisch angestrebte Bild sie von geflüchteten Männern an die gebürtigen Österreicher:innen vermitteln (sollen): Geflüchtete Männer seien gewalttätig und gefährlich, insbesondere arabische Männer! Sie seien faul und nur auf unsere Sozialhilfen aus und viele von ihnen seien außerdem Terroristen. Sie seien eine Gefahr für das traditionelle, gutbürgerliche Wertesystems Österreichs. Aber welche Werte sollen das sein, die da in Gefahr sind? Die österreichische Frauenministerin Susanne Raab (ÖVP) beispielsweise macht öffentlich, dass sie durch die Migrationswelle befürchte, arabische Männer brächten ein patriarchales Familienbild in unser Land. Wir sagen: Tausende Jahre zu spät liebe arabische Männer! Im patriarchale (Familien-)Strukturen erhalten, sind wir Österreicher:innen nämlich selbst ganz gut. Ironie beiseite, ist die eben beschriebene mediale Reproduktion von problematischen und rassistischen Männerbildern an einem aktuellen Beispiel gut ersichtlich: Der Mord an der 13- jährigen Leonie, der sich im Juni in Wien ereignete. Der 15. Femizid innerhalb Österreichs 2021. Die mutmaßlichen Täter wurden just von den Medien als Ausländer, als Afghanen enttarnt. Bei keinem anderen Femizid stand die Nationalität des oder der Täter medial so präsent im Mittelpunkt. Sind die (mutmaßlichen) Täter nämlich gebürtige Österreicher, wird das nie erwähnt und in 13 dieser mittlerweile 17 Femizide (Stand August 2021) handelt(e) es sich bei den Verdächtigen eben um österreichische Staatsbürger. Die Medien überschlugen sich mit Beiträgen zu diesem Kindsmord und es begann eine rassistische und rechtlich völlig haltlose Debatte darüber, wie gefährlich afghanische Männer nicht seien und warum nicht mehr von ihnen abgeschoben würden. Gefährlich bei so einer lautstarken landesweiten Diskussion ist mehr die Reproduktion eines höchstproblematischen Rollenbildes, welche natürlich auch von der Politik aufgenommen wurde. 10
Die Frage eines Journalisten, ob es nicht ein Fehler seines Resorts sei, dass so viele afghanische Jugendliche kriminell werden, – (oder eher kriminell sozialisiert und völlig traumatisiert zu uns kommen) – weil ihnen jegliche Möglichkeit an Beschäftigung und Zugang zu Integration fehle, ignorierte der Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) und reagierte stattdessen mit Abschiebungswünschen und -fantasien, die offenkundig auch im Kontext der aktuellen lebensgefährlichen Zustände Afghanistans bei ihm und Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) nicht aussetzen. Es stimmt, dass afghanische Flüchtlinge auffällig oft straffällig werden und es soll nicht bestritten werden, dass dafür eine Lösung gefunden werden muss. Gute Ansätze, in der die Betroffenen ihre Zeit des Wartens sinnvoll nutzen könnten, gibt es viele, umgesetzt werden so gut wie keine. Worüber aber niemand spricht, sind beispielsweise die Statistiken, die der afghanischen Community Erfolge zuschreiben: wie gut sich afghanische Flüchtlinge im Arbeitsmarkt integrieren, wie häufig sie im Vergleich zu anderen marginalisierten Gruppen erfolgreich Lehren abschließen und wie sie so schon lange wichtiger – (nämlich steuerzahlender) – und nicht mehr wegzudenkender Teil der österreichischen Gesellschaft geworden sind. Für die an diesem Projekt beteiligten afghanischen Tänzer, die aufgrund ihrer Herkunft schon öfter diskriminiert und von Menschen haltlos als Terroristen beschimpft wurden, bedeutete die Debatte Stress, Angst vor vermehrt rassistischen Auseinandersetzungen und weitere innere Zerrissenheit. Sind sie doch so bemüht dem Rollenbild, dass ihnen auferlegt wird mit aller Kraft entgegenzuwirken, auch wenn es manchmal unglaublich schwer, unfair, identitätszerrüttend und daher ungesund ist, Rassismus kleinlaut beizugeben, all seinen Stolz und die guten Gegenargumente runterzuschlucken, nur um auf gar keinen Fall (negativ und gewaltbereit) aufzufallen. 11
2.1 Weiterführende Empfehlungen Vorab möchten wir auf die im Zuge des Projekts entstandene Ausstellung zu Männerwelten verweisen, die nächstes Mal parallel zu den Vorführungen im Dschungel Wien 22.09.21- 02.10.21 zu sehen ist. Am 25.09.21 findet um 18:00 Uhr eine Vernissage statt. 12
ANLAUFSTELLEN Hemayat: http://www.hemayat.org/ Betreuungszentrum für Folter- und Kriegsüberlebende Queer Base: https://queerbase.at/?lang=de Unterstützung für Geflüchtete der LGBTIQ*- Communitiy SOS Mitmensch: https://www.sosmitmensch.at/ Hilfe zur Durchsetzung von Menschenrechten, Chancengleichheit und Gleichberechtigung EMPFEHLENSWERTE WEBSITE DES VICD VICD: https://www.vidc.org/ Vienna Institute for International Dialogue and Cooperation Das VIDC ist die älteste entwicklungspolitische Organisation der Zivilgesellschaft in Österreich. Seit seiner Gründung 1962 fühlt sich das Institut einem internationalen „Dialog auf Augenhöhe“ verpflichtet. In unseren drei Bereichen Global Dialogue, kulturen in bewegung und fairplay wollen wir eine kritische Öffentlichkeit auf soziale, politische, kulturelle und wirtschaftliche Entwicklungen aufmerksam machen. Afghanistan Gender Studies: https://www.vidc.org/fileadmin/user_upload/vidc_afghanistan_gender_study_2nd_r evised_edition.pdf Handbuch Vermittlung Intellektueller Genderkompetenz: https://www.vidc.org/fileadmin/user_upload/handbuch_vermittlung_interkultureller _genderkompetenz.pdf Gender Tandem Workshop für Männer: Gendersensibilisierung afghanischer Männer https://www.vidc.org/themen/gender/gender-tandem-workshops LITERATUR Liebe, Sex und Allah Das unterdrückte erotische Erbe der Muslime von Ali Ghandour In seinem Buch spricht der muslimische Gelehrte Tabuthemen an und bricht mit Rollenbildern auf. 13
2.2 Glossar und weiterführende Begriffe Abschiebung: Abschiebung oder nach EU-Recht auch Rückführung wird die Vollstreckung der unfreiwilligen Ausreise einer Person ohne Staatsangehörigkeit bezeichnet. Abschiebungen sollten sich an den Asylgesetzen und der Genfer Flüchtlingskonvention orientieren. Bis es zu einem Abschiebungsbeschluss kommt vergeht meistens viel Zeit (oft Jahre), in welcher die betroffenen Personen bereits in den Ländern leben, aus denen sie dann abgeschoben werden, und eine neue Lebensbasis aufgebaut haben, aus der sie gerissen werden. Leider kommt es in Österreich nicht selten vor, dass Abschiebungen im Zusammenhang mit Machtmissbrauch in scheinbaren Nacht- und Nebelaktionen und für die Betroffenen völlig überrumpelnd durchgeführt werden. Es sei beispielhaft an die aufsehenerregende Abschiebung der Schülerin Tina (12) und deren Schwester Lea (5), die bereits in Österreich geboren wurde, mitsamt deren und weiteren Familien nach Georgien erinnert. Diese wurde in der Nacht auf 28. Jänner 2021 in Wien vollzogen. Arabisch: Zum großen Teil wird in den Ländern der arabischen Welt arabisch gesprochen. In Ländern der Region, die eine andere Amtssprache haben, wie etwa im Iran, in Afghanistan und in Teilen Syriens, wird Arabisch noch vor Englisch in der Schule unterrichtet. Mit der Sprache einher geht eine eigene Schrift, die von rechts nach links geschrieben und gelesen wird. Ariana: Ariana bezeichnet eine historische Region zwischen Persien und Indien, die sich vor allem über Afghanistan, aber auch über den östlichen Iran erstreckt, also grenzüberschreitend ist. Die Arier:innen (Bewohner:innen Arianas) verbindet Geschichte und deshalb teilweise ähnliche Kultur, Bräuche, Sitten und Traditionen. Asyl: Als Asyl wird der (temporäre) Schutz und die Zuflucht, sowie der Zufluchtsort und freie Obdach von Verfolgten bezeichnet. Gründe für Verfolgung sind immer diskriminierend ansonsten aber divers. Sie können zum Beispiel auf Religion, Politik, unterschiedlichen Überzeugungen, Ethnie, Geschlecht, Sexualität und/oder Wirtschaft beruhen. Dari und Farsi: Dari ist eine im Iran und Afghanistan gesprochene Amtssprache, die sich eigentlich kaum von Farsi/Persisch unterscheidet. Die Schrift ist ident zur arabischen. Was in der westlichen Welt kaum besprochen wird, ist die These, dass Dari von der iranischen Regierung neben Persisch eingeführt worden sei, um eine weitere Spaltung der im Iran lebenden Bevölkerung herbeizuführen. Durch die vom globalen Westen gut gemeinte, aber schlecht recherchierte Einführung der Option, westliche Medien neben Farsi auch auf Dari zu konsumieren (z.B. BBC Dari), wird diese Teilung der Bevölkerung reproduziert und die iranische Regierung (unwissentlich) unterstützt. Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) richtet sich nach der Europäischen Menschenrechtskonvention und deren Einhaltung innerhalb der Mitgliedstaaten des Europarats. Er wurde 1959 in Straßburg vom Europarat ins Leben gerufen. Einzelne Personen, als auch Personengruppen und Staaten können sich mit Beschwerden an den EGMR richten. Zuletzt verhinderte der EGMR zum Beispiel die vom österreichischen Innenminister Karl Nehmanner Ende Juli 2021 geplanten Abschiebungen nach Afghanistan, während sich das Land in einer humanitären Krise befand (und nach wie vor befindet). 14
Eine Abschiebung nach Afghanistan war und ist somit menschenrechtswidrig, weil das Leben der abgeschobenen Person bewusst gefährdet wird. Die Beschlüsse des EGMR sind für Europarats-Mitgliedsstaaten bindend. Feminismus: Eine leider immer noch lange nicht überflüssige Bewegung für die Gleichberechtigung, Sichtbarmachung, Befreiung und Anerkennung von Frauen und gegen geschlechterbedingte Binarität, Zuschreibungen, Konnotationen und Rollenzwänge. Feminismus muss im Zuge der Gleichberechtigung immer auch im Zusammenhang mit Ethnizität, Sexualität, Herkunft und Klasse gedacht werden. Flucht: Menschliche Flucht ist eine Art von Migrationsbewegung. Flucht beschreibt das aufgrund von unzumutbaren Umständen, wie existentiellen Gefahren und Bedrohungen, notgedrungene Verlassen eines Ortes und folglich oft unerlaubtes Eindringen in andere Länder. Genfer Flüchtlingskonvention: Die Genfer Flüchtlingskonvention wurde im Juli 1951 verabschiedet. Sie wurde als internationales Abkommen über die Rechte und den Schutz Geflüchteter weltweit ins Leben gerufen, um eine Wiederholung der Zurückweisung von unzähligen zur Flucht gezwungenen Menschen an der Schweizer Grenze während des Zweiten Weltkriegs zu vermeiden. Besonders seit der sogenannten Flüchtlingskrise 2015 wird die Genfer Konvention oft in Frage gestellt und leider halten sich kaum mehr Länder an sie. Auch die Europäische Union verletzt den völkerrechtlichen Vertrag und weist Schutzsuchende an ihren Grenzen zurück oder teilt die Obhut der geflüchteten Personen nicht gerecht unter den Ländern auf, sodass zum Beispiel überfüllte, unhygienische und menschenrechtswidrige Flüchtlingslager, wie Moria (Griechenland) in südlichen Ländern Europas entstehen. Weiters zahlt die EU enorme Summen von Geld an Drittstaaten, wie die Türkei oder Weißrussland, damit diese keine Flüchtlinge von dort aus über die Grenzen lassen und macht sich damit von demokratisch und menschenrechtlich mehr als fragwürdigen Regierungsoberhäuptern, wie Erdoğan und Lukaschenka, erpressbar. 15
Hazara: Die Hazaras sind stark diskriminierte und verfolgte Ethnie in Afghanistan. Als Vorwand dafür gilt die ursprünglich schiitisch-islamische Religionsausrichtung der Hazaras im mehrheitlich sunnitisch-islamischen Afghanistan. 1998 wurden etwa in Mazar-e Sharif innerhalb weniger Tage über 8000 Hazaras ermordet. Morde an Hazaras finden bis zum heutigen Tag kein Ende. Geflüchtete Hazaras sprechen oft von Genozid. In den westlichen Medien wird diese menschenrechtliche Tragödie nicht behandelt. Kalaschnikow: Kalaschnikows sind automatische Schusswaffen aus einer sowjetisch- russischen Sturm- und Maschinengewehrreihe. Sie gelten als besonders billige, aber effektive Waffe und sind deswegen in ökonomisch ärmeren Ländern eine beliebte Kriegsmaschine. Paschtunen: Paschtunen sind ein iranisches Volk in Süd- und Zentralasien. Der Großteil der Paschtunen lebt in Pakistan, direkt gefolgt von Afghanistan, wo sie um die 42% der Bevölkerung ausmachen. Viele Paschtunen leben nach wie vor traditionell in streng religiösen Stämmen zusammen. Persien: Das Persische Reich war ein über Jahrhunderte herrschendes antikes Großreich, dass von vielen im heutigen Iran angesiedelt wird. Tatsächlich erstreckte es sich aber lange Zeit über weit größere Teile Asiens, Afrikas und Europas, zu Hochzeiten sogar vom Balkan bis nach Nordwestindien und Ägypten. Radikalismus: Radikalität ist eine politische, religiöse, kurzum gesellschaftliche Einstellung, die zum Ziel hat, die gesamte gesellschaftliche Ordnung komplett aufzulösen, zu ersetzen und/oder umzukrempeln, koste es, was es wolle. Sayyid/Sayed/Sadat: Sayyed ist der im Namen einer Person angeführte Titel der direkten Nachkommen des islamischen Propheten Mohammeds. Zum Beweis des Titelanspruchs wird angeblich Stammbaum über die Abstammung geführt. Es kursieren aber auch Gerüchte darüber, dass einflussreiche Leute ihren Titel in unruhigen Zeiten immer wieder käuflich oder durch Beziehungen und Machtspielchen erworben haben. Scharia: Die Scharia kommt als Wort nur ein einziges Mal im Koran vor und wird dort als langer Wüstenpfad beschrieben. Sie wird allerdings von extremistischen Islamisten als göttliche Gegebenheit ausgelegt. Die Scharia steht dabei für eine göttliche Norm, an deren strenge und menschenunwürdige Konventionen sich alle zu halten haben und deren Regelbrüche harte Strafen, wie beispielsweise Folter durch Verstümmelung und Hinrichtung durch Steinigung, nach sich ziehen. Staatenlosigkeit: Gemäß des Staatenlosenübereinkommens der Vereinten Nationen ist ein:e Staatenlose:r „eine Person, die kein Staat auf Grund seiner Gesetzgebung als seinen Angehörigen betrachtet.“. Sie hat also keine Staatsbürgerschaft, wird von keinem Staat geschützt, hat kein Recht zu wählen, zu reisen, zu arbeiten oder auf Versicherung (z.B. Krankenversicherung), Sozialleistungen und so weiter. Zur Staatenlosigkeit kann etwa Ausschluss, Verbannung und Staatsauflösung führen. Laut der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 hat jeder Mensch das Recht auf Staatszugehörigkeit. 16
Subsidiärer Schutz: Subsidiärer Schutz gilt für Personen, deren Asylantrag abgewiesen wurde, aber deren Leben im Herkunftsland bedroht wird und die aufgrund der Drohung von zum Beispiel Folter und Todesstrafe nicht in dieses zurückgeschickt werden können. Subsidiär Geschützte haben ein Recht auf Aufenthalt, Arbeit und gegebenenfalls einen Fremdenpass. Taliban: Die Taliban sind eine radikal islamistische Terrorgruppe, die sich unter strengem und menschenrechtswidrigem Reglement für die Scharia ausspricht. Betroffen sind vor allem Frauen, queere Personen und andere Minderheiten, sowie Aktivist:innen und Systemkritiker:innen. Terrorismus: Terrorismus ist das Ausüben und Verbreiten von Terror ohne Rücksicht auf Verluste, – also von Anschlägen, Entführungen, Drohungen, Mord, Folter, um nur einige Beispiel zu nennen – um religiöse, politische oder ideologische Ideen umzusetzen. Trauma: Trauma bedeutet wortwörtlich übersetzt Erschütterung. Psychische Traumata werden durch lebensbedrohliche Ereignisse (es kann das eigene, als auch das Leben anderer nahestehender Personen gemeint sein), wie Gewalt, Krieg, Katastrophen und Unfälle ausgelöst und bleiben, wenn auch häufig unter- und unbewusst, lange wirksam. 17
3. IDEEN FÜR DIE VOR- UND NACHBEREITUNG Mindmap Männlichkeit Heimat Freiheit Hoffnung Tradition Lebensentwurf Familie Zukunft Selbstwertgefühl Religion, Islam Vertrauen Kommunikation Stolz Träume Dazugehörigkeit Utopie Aufbruch Sprache ↔ Fantasie Scheitern Fremdsprache Sicherheit Verantwortung Deutsch, Arabisch, Loslösen Farsi, Englisch - von Strukturen Veränderung - von Erwartungen Hüllen Männlichkeit - von Rollenbildern einhüllen - von Vorurteilen (Hüllen) fallen lassen Rassismus Krieg Liebe Auch Ausgrenzung untereinander und Sehnsucht Unterdrückung gegenüber anderen Hingabe Flucht (migrantischen Gefühle Verlust Jugendlichen) Intimität Realität Angst Gesellschaft Beziehung Gewalt Diskriminierung Freundschaft Zensur und Repression Vorurteile Sexualität in Schubladen stecken und Homosexualität gesteckt werden Konfrontation - miteinander - mit der eigenen Realität 18
Erstellen Sie mit den Jugendlichen eine Mindmap, ähnlich zu dieser hier beispielhaft eingefügten, die im Zuge der Workshops mit den geflüchteten Jugendlichen erarbeitet wurde. Im Mittelpunkt sollte der Begriff „Männlichkeit“ stehen. Finden Sie mit den Schüler:innen weitere Zweige, aus denen das Männlichkeitsbild resultiert, die sich wiederum unterteilen lassen. Möglichkeiten sind zum Beispiel „Tradition“, „Medien“, „Feminismus“ und „Herkunft“ oder auch die Überbegriffe, die in der Beispiel-Mindmap eingezeichnet sind. Auch diese Zweige lassen sich wieder in einzelne Stichworte unterteilen. Schreiben Sie den Begriff nach Möglichkeit an die Tafel, das Whiteboard oder ein Plakat und lassen die Schüler:innen eigenständig Begriffe hinzufügen. Gerät die Übung ins Stocken, weil ihren Schüler:innen zum Beispiel spontan nichts einfällt oder sie nicht ins Sprechen kommen, stellen Sie Fragen aus dem unten angeführten Fragenkatalog als Hilfestellung. Diskutieren Sie anschließend in der Gruppe, was Sie gemeinschaftlich geschrieben haben. Schaffen Sie während der Diskussion unbedingt einen wertfreien Raum und kümmern Sie sich um einen wertschätzenden Umgang miteinander. Gibt es Unklarheiten? Unterscheiden sich die Männlichkeitsbilder mancher Schüler:innen und woran könnte das liegen? Woher kommen diese Vorstellungen über das Mann-Sein überhaupt und wie lassen sie sich (gemeinsam) aufbrechen? Stellen Sie am Ende die Frage, ob sich die Jugendlichen Veränderungen in diesem Rollenbild wünschen und welche Veränderungen das wären. Die Mindmap ist mit jeglichen anderen gesellschaftlich konstruierten Rollenbildern austauschbar. Beispiele: „Weiblichkeit“, „Jugendliche“, „Geflüchtete“. 19
Darstellung in Zeitungsartikeln Lesen Sie mit ihren Schüler:innen die unter den beiden Links abrufbaren Zeitungsartikel oder andere vergleichbare aktuelle Artikel. Opfer von Doppelmord sind Verwandte von Schlagerstar https://www.heute.at/s/opfer-von-doppelmord-sind-verwandte-von-schlagerstar- 100141276 Friedrich Schneeberger: Leonie (13) von mindestens zwei Tätern missbraucht https://www.krone.at/2452246 Vergleichen Sie mit ihnen die Darstellung von Tätern und Opfern in den verschiedenen Artikeln. Wie werden die Täter jeweils dargestellt? Was erfährt mensch in den Berichten über sie? Wie werden die Opfer dargestellt? Was erfährt mensch über die Opfer? Wo werden folglich mediale Unterschiede gemacht? Was macht dieser unterschiedliche Umgang mit den Rollenbildern, die wir über Personengruppen haben? Was könnte und sollte anders/besser gemacht werden? Greifen Sie gegebenenfalls auf den Beitrag in Kapitel 2. „HINTERGRUNDINFORMATIONEN UND WEITERFÜHRENDE EMPFEHLUNGEN“ zum Thema Mediale Darstellungen zurück. Die Übung lässt sich auch ideal zum Erlernen der Erkennung und Unterscheidung von Qualitäts- und Boulevardjournalismus wiederholen, wenn Sie als Lehrende:r den beiden Zeitungsartikeln den Bericht unter folgendem Link entgegenstellen, der sich mit genau demselben Fall beschäftigt, wie einer der beiden ersten Beiträge. Soraya Pechtl, Martin Staudinger: Mordfall Leonie. Die Tötung eines Teenagers in Wien-Donaustadt sorgt für Entsetzen: Was wir bislang über den Fall wissen https://www.falter.at/zeitung/20210630/mordfall-leonie- 13?fbclid=IwAR0JyNDuX1w7onZGuSGKwIGobYkYYxZ0LPV99fYq_HMY5jquHWamoQ MDtec 20
Fragenkatalog Dieser Fragenkatalog, kann zur Vor- und/oder Nachbereitung des Stücks aufgegriffen werden. Das sind die Fragen, die teilweise wir an das Stück gestellt haben und/oder die das Stück dem Publikum stellt: Frage nach der männlichen Eigendefinition und der Versöhnung mit Männlichkeit: Wie kann ich (m)einem auferlegten (arabischen/persischen/afghanischen) Männerbild entkommen? Was aber denken arabische/persische (oder andere) Männer selbst über sich? Was prägt sie, womit kämpfen sie? In welche Rollenbilder werden sie gedrängt? Was ist überhaupt männlich? Was ist weiblich? Was ist arabisch/persisch (oder andere) gelesene Männlichkeit? Was ist das westliche Bild eines arabisch/persischen (oder anderen) Mannes? Was ist arabisch/persisch (oder andere) gelesene Weiblichkeit? Was ist das westliche Bild einer arabischen/persischen (oder anderen) Frau? Was ist das arabische/persische (oder andere) Bilder von westlichen Männern bzw. von westlichen Frauen? Wie kann man(n) diese Bilder reflektieren, neuerfinden und/oder löschen? Wie erreichen wir Freiheit? Gibt es überhaupt Freiheit als Möglichkeit zu erreichen? Wer lebt wirklich in Freiheit? Wie versteht jeder Freiheit? Was macht frei? Konfrontation mit der eigenen Realität: What is beyond my skin? Was liegt unter meiner Haut? Wer bin ich? Wer will ich sein? Wer soll ich sein? In welche Schublade werde ich gesteckt? Welche Sexualität will ich leben? 21
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