Fahrplan für mehr Wettbewerb - Handlungsempfehlungen zur Zukunft der Berliner Daseinsvorsorge

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Fahrplan für mehr Wettbewerb - Handlungsempfehlungen zur Zukunft der Berliner Daseinsvorsorge
Fahrplan für mehr Wettbewerb
Handlungsempfehlungen zur Zukunft der Berliner Daseinsvorsorge
Fahrplan für mehr Wettbewerb - Handlungsempfehlungen zur Zukunft der Berliner Daseinsvorsorge
Inhalt

I. Daseinsvorsorge – eine wichtige Aufgabe in der Sozialen Marktwirtschaft .................................. 3

II. 	Der Weg der Berliner Regierungskoalition zur Sicherung der Daseinsvorsorge:
      Staatlichen Einfluss durch Rekommunalisierung stärken...................................................................... 5
      1. 	Wie soll der staatliche Einfluss in den einzelnen Bereichen der Daseinsvorsorge
           konkret ausgedehnt werden?.................................................................................................................. 5
      2.	Welche Risiken birgt die Ausweitung des staatlichen Einflusses in der
           Daseinsvorsorge?......................................................................................................................................... 6

III.	Der ordnungspolitisch überzeugende Weg zur Sicherung der Daseinsvorsorge:
      Mehr Wettbewerb schaffen........................................................................................................................... 9
      1. Welche guten Gründe sprechen für mehr Wettbewerb?................................................................. 9
      2.	Wettbewerb fördern, Effizienz steigern, Privatisierungen einleiten –
          Warum jetzt handeln?.............................................................................................................................10
      3. Beispiele für die positiven Wirkungen von Wettbewerb...............................................................12
		 a. Beispiele aus Europa............................................................................................................................12
		 b. Beispiele auf Bundesebene................................................................................................................12
		 c. Beispiele aus Berlin..............................................................................................................................14

IV. Wie könnte der Fahrplan für mehr Wettbewerb in der Berliner Daseinsvorsorge aussehen?...15
    1. Überblick über die Öffentlichen Unternehmen in Berlin .............................................................15
    2. Vorschläge für Daseinsvorsorgebereiche mit Monopol-Strukturen...........................................17
		 a. Öffentlicher Personennahverkehr (ÖPNV).....................................................................................17
		 b. Wasser / Abwasser...............................................................................................................................20
		 c. Abfallentsorgung..................................................................................................................................23
    3. Vorschläge für bereits liberalisierte Daseinsvorsorgebereiche.....................................................25
		 a. Energie.....................................................................................................................................................25
		 b. Wohnungsbaugesellschaften ..........................................................................................................27
		 c. Gesundheitsversorgung......................................................................................................................29

V. Management Summary.................................................................................................................................31

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Fahrplan für mehr Wettbewerb - Handlungsempfehlungen zur Zukunft der Berliner Daseinsvorsorge
I. Daseinsvorsorge – eine wichtige Aufgabe in der Sozialen
Marktwirtschaft

Daseinsvorsorge ist kein neues Thema. Schon seit Jahrhunderten hat sich die jeweilige Regierung
mit der Frage beschäftigt, wie die notwendige Grundversorgung der Bevölkerung sichergestellt
werden kann. Wie ist also das Verkehrs- und Beförderungswesen, die Gas-, Wasser-, und
Elektrizitätsversorgung, die Müllabfuhr und die Abwasserbeseitigung zu organisieren, damit der
Allgemeinheit eine Infrastruktur zur Verfügung steht, die ein sinnvolles menschliches Dasein
ermöglicht? Diese Frage ist nicht nur auf Bundesebene oder in einzelnen deutschen Kommunen
hoch aktuell, auch in Berlin ist die Diskussion um die Rolle des Staates in der Daseinsvorsorge
voll entbrannt. Es vergeht kein Tag, an dem sich nicht ein Politiker dazu äußert, welche Aufgaben
das Land Berlin im Bereich der Versorgung der Bevölkerung künftig in eigener Verantwortung
wahrnehmen sollte oder welche sonstigen Leistungen von landeseigenen Unternehmen erbracht
werden sollten. Sogar die in staatlicher Hand befindlichen öffentlichen Unternehmen bringen sich
selbst in die Debatte ein und kündigen zum Teil die Ausweitung ihrer wirtschaftlichen Betätigungen
an. Die aktuelle parteiübergreifende Debatte ist nicht nur als ein politisches Strohfeuer zu
betrachten, sondern entwickelt sich vielmehr zu einem der zentralen Wahlkampfthemen der
Abgeordnetenhauswahl 2011.

Welche Rolle wird nun dem Staat in der Daseinsvorsorge zuteil? Grundsätzlich sollte sich
jegliches staatliche Handeln in der Bundesrepublik Deutschland an den Grundprinzipien der
Sozialen Marktwirtschaft orientieren. In der Sozialen Marktwirtschaft obliegt dem Staat
vorrangig die Gewährleistungsverantwortung für die Erfüllung öffentlicher Aufgaben. Der
Gewährleistungsstaat stellt nur einen Rahmen bereit, innerhalb dessen die Gesellschaft ihre
Angelegenheiten in möglichst gemeinwohlverträglicher Weise selbstverantwortlich erledigt. Der
Gewährleistungsstaat garantiert mithin nicht die Erfüllung der Aufgaben in bestimmter Weise,
steuert aber die Möglichkeit der Verfolgung und Erreichung gemeinwohlorientierter Ziele durch
Rahmensetzung und strukturierende Vorgaben. Erst wenn die Ziele nicht durch Wettbewerb erreicht
werden, greift der Staat korrigierend ein und erfüllt öffentliche Aufgaben in eigener Regie. Dies
ist unstreitig immer bei den hoheitlichen Aufgaben der inneren und äußeren Sicherheit der Fall.
Markt und Wettbewerb, der Vorrang von privater Initiative und privatem Eigentum vor staatlicher
Zuständigkeit und staatlichem Eigentum bilden daher in einer funktionierenden Marktwirtschaft
die obersten Handlungsmaxime. Nur so wird ein größtmöglicher Entfaltungsspielraum der
Menschen gesichert und die Bildung eines leistungsfähigen Mittelstandes ermöglicht, der den
Fortbestand einer freiheitlichen Wirtschaftsordnung sichert.

Zur Sicherstellung der Leistungen der Daseinsvorsorge genießen die Kommunen ein hohes
Maß an Gestaltungsfreiheit. Gleichwohl steht der Berliner Senat wie alle anderen politisch
Verantwortlichen in Deutschland vor der Aufgabe, die Rolle des Gewährleistungsstaates in der
gegenwärtigen wirtschaftlichen Situation richtig zu interpretieren. Dabei sind grundsätzlich zwei
Wege denkbar, die sich vom Ansatz her deutlich unterscheiden und von denen nur einer mit dem
Sinn und Zweck des Gewährleistungsstaates vereinbar ist.

Zum Einen kann die Rolle des Gewährleistungsstaates dahingehend ausgestaltet werden, dass sich
der Staat in allen Bereichen öffentlicher Aufgabenerfüllung zurückzieht und dem Wettbewerb die
Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung überlässt. Der Staat ist lediglich Schiedsrichter,
der mit Hilfe von klaren rechtlichen Vorgaben einen fairen und funktionierenden Wettbewerb
zwischen den Marktteilnehmern ermöglicht. Er tritt nur dann als Spieler in Erscheinung, wenn
es keinen funktionierenden Wettbewerb gibt und dieser auch nicht durch die Veränderung von
Rahmenbedingungen ermöglicht werden kann. Dieses Verständnis der eigentlichen Rolle des
Staates mit Gewährleistungsverantwortung entspricht marktwirtschaftlicher Überzeugung.

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Fahrplan für mehr Wettbewerb - Handlungsempfehlungen zur Zukunft der Berliner Daseinsvorsorge
Eine andere Interpretation des Gewährleistungsstaates ist die Rolle des teilnehmenden Staates,
d.h. der Staat erfüllt Aufgaben der Daseinsvorsorge selbst durch eigene Unternehmen und
Einrichtungen. Hierbei wird der Staat nicht nur in den Bereichen staatlicher Aufgabenerfüllung
tätig, in denen kein Wettbewerb besteht, sondern tritt als Mitspieler auch in anderen Bereichen
in Erscheinung. Er begibt sich damit bewusst in Konkurrenz zu den privaten Unternehmen und
nimmt am Wettbewerb teil.

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Fahrplan für mehr Wettbewerb - Handlungsempfehlungen zur Zukunft der Berliner Daseinsvorsorge
II. Der Weg der Berliner Regierungskoalition zur Sicherung
der Daseinsvorsorge: Staatlichen Einfluss durch Rekommu-
nalisierung stärken
Die Regierungskoalition in Berlin sieht in der Neugestaltung der Daseinsvorsorge eine Haupt­
aufgabe für die nächste Legislaturperiode. Vorausgesetzt, die Koalition wird auch in den
kommenden vier Jahren den Berliner Senat stellen, wird es nach den Ankündigungen der
Koalitionspartner zu einer Neudefinition der Rolle des Staates in der Daseinsvorsorge kommen.
Die Rolle des Gewährleistungsstaates soll in Zukunft deutlich extensiver interpretiert werden. Dies
bedeutet, dass nicht mehr vorrangig Privatisierungschancen oder Möglichkeiten der Liberalisierung
geprüft werden, sondern Rekommunalisierungsbestrebungen in verschiedenen Bereichen der
Daseinsvorsorge umgesetzt werden sollen. Die Regierungskoalition möchte das Land Berlin
künftig stärker als teilnehmenden Wettbewerber einsetzen, der sich bewusst in Konkurrenz zu
privaten Unternehmen begibt. Obwohl Rekommunalisierung kein Selbstzweck sein soll, verfolgt
die Koalition eine klare Linie der Stärkung oder auch angeblichen Rückgewinnung öffentlichen
Einflusses durch die Verstaatlichung von Aufgaben im Wettbewerb. Dabei verspricht sich die
Koalition die Einwirkung auf die Preisgestaltung im Markt und damit die Schaffung bezahlbarer
Preise für die Bevölkerung, die Gewährleistung der Versorgungssicherheit, aber auch die Erzielung
von Einnahmen für den Landeshaushalt durch die wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen
Unternehmen.

1. Wie soll der staatliche Einfluss in den einzelnen Bereichen der Daseinsvorsorge
konkret ausgedehnt werden?

... durch Rekommunalisierung der Wasserbetriebe

Im Bereich der Wasserver- und Abwasserentsorgung beabsichtigt die Koalition nicht nur die
Offenlegung der Privatisierungsverträge, sondern zieht die Rückgängigmachung der im Jahre 1999
vorgenommenen Teilprivatisierung durch den Rückkauf der Anteile der privaten Anteilseigner
RWE und Veolia ernsthaft in Erwägung.

... durch Verstärkung des Monopols im Öffentlichen Personennahverkehr

Auch im Öffentlichen Personennahverkehr besteht ein Monopol des Landes Berlin. Das landeseigene
Unternehmen BVG betreibt nahezu allein den Bus-, U-Bahn- und Straßenbahn-Verkehr in Berlin.
Nun wird in der Koalition wegen der Probleme des S-Bahn-Verkehrs in den letzten Jahren eine
Übernahme der S-Bahn Berlin GmbH favorisiert, die das bisherige Monopol des Landes Berlin
weiter verfestigen würde. Alternativ dazu wird eine Direktvergabe des Betriebs eines Teils des
S-Bahn-Netzes an eine Tochtergesellschaft der BVG diskutiert.

... durch Übernahme der Strom- und Fernwärmenetze

Die Energieversorgung Berlins wird ebenfalls in der Koalition als ein wichtiges Betätigungsfeld der
Öffentlichen Hand angesehen. Daher wird die Übernahme des Strom- und Fernwärmenetzes durch
das Land Berlin nach Auslaufen des Konzessionsvertrages geprüft.

... durch Schaffung eines kommunalen Energieversorgers

Die Koalition möchte sich aber nicht nur mit der Übernahme der Netze begnügen, sondern erwägt
auch die Gründung eines landeseigenen Unternehmens zum Vertrieb und zur Erzeugung von
Energie.

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Fahrplan für mehr Wettbewerb - Handlungsempfehlungen zur Zukunft der Berliner Daseinsvorsorge
... durch Integration der GASAG in einen kommunalen Verbund

Auch bei der Gasversorgung soll es nach den Vorstellungen der Koalition zu Veränderungen
kommen. So wird die Integration der GASAG – nach Erwerb von landeseigenen Anteilen – in einen
kommunalen Verbund in Erwägung gezogen.

... durch Ausbau des Wohnungsbestandes der Öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften

Nicht zuletzt gibt es auch Tendenzen in der Koalition, den Wohnungsbestand der Öffentlichen
Wohnungsbaugesellschaften durch Neubau von öffentlichen Wohnungen oder aber durch
den Kauf von Wohnungen weiter aufzubauen. So wird der Kauf von 20.000 Wohnungen der
landeseigenen Berliner Immobilien Holding (BIH) durch das Land Berlin geprüft, das einen
Stillstand der Vertragsverhandlungen der BIH mit privaten Investoren bedeuten wird.

2. Welche Risiken birgt die Ausweitung des staatlichen Einflusses in der
Daseinsvorsorge?

Die Regierungskoalition verbindet verschiedene Ziele mit der Neugestaltung der Berliner
Daseinsvorsorge. Dabei birgt der Weg der Verstärkung von Rekommunalisierungsbestrebungen
zahlreiche Risiken.

Haushaltskonsolidierung gefährdet durch Finanzierung der Rückkäufe

Die extrem angespannte Haushaltslage in Berlin lässt keine Finanzierungen für Rückkäufe
von privatisierten Unternehmen zu. Schon jetzt ist der Landeshaushalt von einem hohen
Schuldenstand von 63 Mrd. EUR gekennzeichnet. Der immense Schuldenstand hat im Vergleich zu
anderen Bundesländern außerordentlich hohe Zinszahlungen zur Folge (2010: ca. 2,4 Mrd. EUR).
Nach der aktuellen Finanzplanung 2009 bis 2013 wird die Schuldenlast auf fast 70 Mrd. EUR
anwachsen. Eine Entspannung der Situation ist nicht erkennbar. Bereits im Jahr 2009 hat Berlin
nach dem vorläufigen Jahresabschluss (Stand: 31. Januar 2010) neue Schulden von 2,8 Mrd. EUR
aufgenommen. Die finanzielle Schieflage des Berliner Landeshaushalts veranschaulicht auch die
folgende Grafik:

23000    22.582

                                                                    20.860                  21.970
22000
                                               Schuldentilgung
21000                             20.539
                                                                   21.840       Finanzierungs-
20000                                                                           defizite
                                                                                            19.232
19000             Finanzierungsdefizite

18000
        17.339

17000                             17.570

16000

15000
        2001      2002   2003    2004       2005    2006    2007    2008     2009   2010    2011
           bereinigte Ausgaben             bereinigte Einnahmen
                                                             Quelle: Senatsverwaltung für Finanzen

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Der finanziellen Schieflage des Berliner Landeshaushalts kann nur mit einer strikten Politik der
Konsolidierung und Senkung der Ausgaben begegnet werden. Zusätzliche Milliardenbelastungen
gefährden diesen Kurs. Auch die grundgesetzlich verankerte Schuldenbremse verbietet
entsprechende Finanzierungen. Wo also sollen die erforderlichen Milliarden Euro herkommen?
Der Senat könnte eine Finanzierung lediglich über Kredite sicherstellen. Doch dann dürfen nicht
nur die Zinszahlungen betrachtet werden, der Kredit muss auch getilgt werden. Eine Finanzierung
über Schulden birgt also ein hohes Risiko, dass die Preise sogar ansteigen werden, da Raten
bedient werden müssen.

Niedrigere Preise zu Lasten der Steuerzahler

Wenn aber die Koalition niedrigere Preise für die Bevölkerung gewährleisten möchte, kann dies
nur zu Lasten der Steuerzahler geschehen. Denn in nahezu allen Fällen bedeuten niedrige Preise
eine Abkehr vom marktüblichen Preis. Denn im Wettbewerb ist der Preis einer Leistung immer der
marktübliche, angemessene Preis. Will die Koalition in die Preisgestaltung eingreifen, muss sie es
mit Quersubventionierungen erreichen. Die Folge ist nicht nur, dass die Quersubventionierung vom
Steuerzahler getragen werden muss, sondern auch, dass die Anreize der öffentlichen Unternehmen
zur wirtschaftlichen Führung ihrer Geschäfte sinken. Denn nur marktgerechte Preise ermöglichen
Gewinne und damit eine Weiterentwicklung von Unternehmen.

Finanzielle Verluste trägt das Land Berlin, also der Steuerzahler

Private Unternehmen tragen die Konsequenzen bei unternehmerischen Fehlentscheidungen
selbst und müssen für eventuelle Verluste selbst aufkommen. Dagegen werden in öffentlichen
Unternehmen verursachte Verluste vom Staat und damit vom Steuerzahler ausgeglichen.
Rekommunalisierungen erhöhen damit das finanzielle Risiko für den Landeshaushalt.

Geringere Steuereinnahmen zu erwarten

Das stärkere Engagement öffentlicher Unternehmen im Wettbewerb geht zu Lasten privater
Unternehmen, denen Marktanteile verloren gehen. Damit verliert das Land Berlin Steuereinnahmen,
denn geringere Gewinne privater Unternehmen bedeuten auch geringere Steuereinnahmen für
den Staat. Diese Verluste werden auch nicht durch die Gewinne der öffentlichen Unternehmen
aufgefangen, da wiederum hier die besondere Preisgestaltung eine Kompensation verhindert.
Zudem ist mehr als fraglich, ob öffentliche Unternehmen genauso wirtschaftlich geführt
werden wie private Unternehmen. Daher können auch aus diesem Grund keine kompensierenden
Einnahmen der öffentlichen Unternehmen erwartet werden.

Fehlende Anreizwirkungen der öffentlichen Unternehmen

Anreizwirkungen sind für öffentliche Unternehmen nur bedingt vorhanden. Gewinne sind an das
Land abzuführen und mögliche Verluste werden ebenfalls vom Land als Gewährträger aufgefangen.
Damit kommen die belebenden Wirkungen des Marktes kaum zur Entfaltung.

Noch mehr ungelöste Probleme in den öffentlichen Unternehmen

Schon jetzt gibt es zahlreiche Probleme in den öffentlichen Unternehmen. So haben die Berliner
Landesbeteiligungen in der Vergangenheit mehrfach für negative Schlagzeilen gesorgt. Zu
erwähnen sind unter anderem der Streik bei der BVG im Winter 2007/2008 sowie die riskanten
Cross-Border-Leasing-Geschäfte der BVG, die zu einem finanziellen Risiko für das Land Berlin in
Höhe von 200 Mio. US-Dollar geführt haben. Ein weiteres Beispiel ist der zwischen der Messe
Berlin und der Berliner Immobilienmanagement GmbH bestehende Wettbewerb um die Akquisition
von Messen. Es schadet dem Messestandort Berlin, wenn zwei landeseigene Unternehmen beim
Messegeschäft um die selben Kunden buhlen. Dem zuständigen Senat ist es bis heute nicht
gelungen, die Einhaltung des verabredeten Abstimmungsprozedere sicher zu stellen. Zudem gab
es 2010 erhebliche Mängel in der Vergabepraxis der HOWOGE. Schließlich ist die Zukunft von           7
Charité und Vivantes mit einem Investitionsstau von mehr als 1 Mrd. EUR bis zum Jahr 2015
immer noch ungeklärt. Durch die Übernahmen weiterer Aufgaben könnten sich die Probleme mit
den landeseigenen Unternehmen noch vervielfachen.

Schattenhaushalte werden aufgebläht

Schon jetzt gibt der Haushaltsplan oftmals nur ein unzutreffendes Bild der finanziellen
Wirklichkeit in den Berliner Landesbeteiligungen wieder. Die Wirtschaftspläne der kommunalen
Betriebe gehören zwar zum Haushaltsplan. Die finanzwirtschaftlichen Daten der ausgegliederten
Aufgabenbereiche sind allerdings in den Anlagen abgebildet und werden nicht im zentralen
Haushalt verbucht. Mit der Gründung oder Aufgabenerweiterung von landeseigenen Unternehmen
wird eine Aussage über die gesamte Finanzsituation von Berlin weiter erschwert, obwohl zugleich
das Land Berlin für Verluste der öffentlichen Unternehmen verantwortlich ist.

Effizienzverluste drohen

Werden Leistungen der Daseinsvorsorge nicht mittels Ausschreibung in den Wettbewerb gegeben,
sondern öffentliche Unternehmen direkt beauftragt, unterbleibt ein Preis- und Kostenvergleich
zwischen potenziellen Anbietern. Vergibt der Senat also ohne Ausschreibung z. B. ÖPNV-Aufträge
– wie 2008 mit der Vergabe der Nahverkehrsdienstleistungen an die BVG geschehen, dann
verzichtet er langfristig auf einen Preis- und Qualitätswettbewerb.

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III. Der ordnungspolitisch überzeugende Weg zur Sicherung
der Daseinsvorsorge: Mehr Wettbewerb schaffen

Der Wettbewerb ist ein tragendes ökonomisches Prinzip der freiheitlichen Gesellschaftsordnung.
Führt der „freie“ Wettbewerb zunächst nicht zu den gewünschten gesellschaftlichen Ergebnissen,
so können diese bevorzugt durch Steuerung des Wettbewerbs und nicht erst durch dessen gänzliche
Beseitigung erreicht werden. Es ist ein Irrtum zu glauben, die Stärkung staatlichen Einflusses
im Bereich der Daseinsvorsorge kann nur über eine Teilnahme am oder eine Ausschaltung von
Wettbewerb erfolgen. Dabei werden die wahren Gründe für die unbefriedigende Situation in
einigen Bereichen der Berliner Daseinsvorsorge verkannt und die positiven Effekte von Markt
und Wettbewerb für den Bürger und die Wirtschaft unterschätzt. Denn nicht der Staat treibt den
Wandel zu mehr Wohlstand voran, sondern die Innovationskraft der Unternehmen. Die Schaffung
von mehr Wettbewerb ist daher eine Investition in Innovation und Effizienz zum Wohle der
Unternehmer und Bürger.

1. Welche guten Gründe sprechen für mehr Wettbewerb?

Wettbewerb schafft faire Preise

Nur der Wettbewerb ermöglicht die Herausbildung eines angemessenen, marktgerechten
Preises. Quersubventionierungen sind ausgeschlossen, da sonst der wirtschaftliche Erfolg des
Unternehmens gefährdet wäre.

Wettbewerb gewährleistet auch Versorgungssicherheit

Auch die Aufgabenerfüllung in privater Trägerschaft gewährleistet die Versorgungssicherheit in
der Daseinsvorsorge. Denn im Wettbewerb ist der Auftragnehmer darauf bedacht, den Auftrag
anforderungsgemäß zu erfüllen, da er anderenfalls durch ein anderes Unternehmen ersetzt werden
würde. Versorgungssicherheit ist auch eine Frage der richtigen Vertragsgestaltung.

Wettbewerb entlastet den Landeshaushalt

Werden staatliche Aufgaben der Daseinsvorsorge in einem Vergabeverfahren ausgeschrieben,
mit dessen Hilfe sich der Anbieter mit dem wirtschaftlichsten Angebot durchsetzt, reduzieren
sich die notwendigen Zuwendungen des Staates. Zugleich trägt das private Unternehmen das
unternehmerische Risiko.

Wettbewerb zwingt zu Innovationen

Freier Wettbewerb bedingt, dass nur konkurrenzfähige Unternehmen langfristig am Markt
überleben. Sie haben effiziente Strukturen und die Fähigkeit, sich ständig zu erneuern und mit
Innovationen neuen Gegebenheiten anzupassen. Damit leisten Sie einen enormen Beitrag zum
wirtschaftlichen und technologischen Fortschritt. Dieser Prozess findet auch auf Märkten mit
natürlichen Monopolen statt, sofern es zu wiederkehrenden Ausschreibungen und damit zu einem
Wettbewerb um den Markt kommt. Spätestens im Moment der Ausschreibung setzt sich jenes
Unternehmen durch, das im Vorfeld Innovationen hervorgebracht hat, da ihm diese ein überlegenes
Angebot ermöglichen. Öffentliche Unternehmen, die sich nicht dem Wettbewerb stellen müssen,
sind einem derartigen Innovationsdruck dagegen nicht ausgesetzt, was ihre Innovationsfähigkeit
langfristig erlahmen lässt. Damit werden Potenziale zur besseren Verwendung knapper Ressourcen
verschenkt und der Fortschritt verlangsamt.

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Wettbewerb birgt weniger Gefahren von Interessenkollisionen

In über 50% aller Landesbeteiligungen werden Aufsichtsratsmandate von Senatoren oder
Staatssekretären wahrgenommen, denen die fachliche Zuständigkeit für den jeweiligen
Landesbetrieb obliegt. In einigen Fällen ist sogar das fachlich zuständige Senatsmitglied im
Aufsichtsrat vertreten, das gleichzeitig die Rechts- oder Staatsaufsicht über das betreffende
Landesunternehmen ausübt. Nach § 6 des Berliner Senatorengesetzes dürfen Senatoren nur in
vom Senat ausdrücklich zugelassenen Ausnahmefällen überhaupt einem Organ oder Gremium
eines auf Erwerb gerichteten Unternehmens angehören. Dieser Rechtsgedanke der Vermeidung
von Interessenkollisionen aufgrund einer Verflechtung von Aufsichtsratsmandat und politischem
Mandat findet sich auch im Berliner Corporate Governance Kodex (BCGK) wieder. Dieser enthält
detaillierte Regelungen darüber, wann eine solche Interessenkollision anzunehmen ist und der
Amtsinhaber daher nicht einem (Aufsichts-)Organ eines landeseigenen Unternehmens angehören
darf. Die gegenläufige Praxis in den Berliner Landesbeteiligungen widerspricht dem Sinn und
Zweck des BCGK. Zudem besteht die Gefahr, dass die fachliche Kompetenz eines Bewerbers für
ein Aufsichtsgremium wegen politischer „Besetzungsabsprachen“ in den Hintergrund tritt, was
gegebenenfalls zu Lasten des Unternehmenserfolgs gehen könnte.

2. Wettbewerb fördern, Effizienz steigern, Privatisierungen einleiten – Warum
jetzt handeln?

Jetzt handeln, weil der Berliner Landeshaushalt dazu zwingt.

Die kritische Haushaltslage in Berlin zwingt zum Handeln. Berlin hat jährliche Einnahmen und
Ausgaben von jeweils ca. 20 Mrd. EUR. Zudem ist der Aktionsspielraum durch den gewaltigen
Schuldenstand von 63 Mrd. EUR äußerst klein und wird sich noch weiter verkleinern, da nach
der aktuellen Finanzplanung 2009 bis 2013 der Schuldenberg auf fast 70 Mrd. EUR anwachsen
wird. Die hohe Schuldenlast bedingt überdies sehr hohe Zinszahlungen (2010: ca. 2,4 Mrd. EUR).
Auch weil der Landeshaushalt wenig Spielraum lässt, ist eine kritische Überprüfung aller nicht
hoheitlichen Aufgaben, die bisher vom Land wahrgenommen werden, unentbehrlich und muss
über alternative Finanzierungsstrategien der öffentlichen Aufgaben nachgedacht werden.

Jetzt handeln, weil die Schuldenbremse greift und der Solidarpakt endet.

Eine weitere Herausforderung für Berlin ist die grundgesetzlich verankerte Schuldenbremse.
Berlin steht vor der schweren Aufgabe, trotz der schwierigen Haushaltslage seine künftige
Haushaltspolitik so auszurichten, dass es vom Jahr 2020 an in der Lage ist, den Vorgaben der neuen
Schuldenregeln des Grundgesetzes zu entsprechen und ohne Kreditaufnahmen auszukommen.
Berlin soll zwar Konsolidierungshilfen in Höhe von 80 Mio. EUR erhalten. Voraussetzung für die
Zahlung der Konsolidierungshilfen ist aber, dass die Länder bis zum Jahr 2020 ihr im Jahr 2010
gemessenes strukturelles Defizit in gleichmäßigen Schritten abbauen. Zudem muss Berlin 1,7
Mrd. EUR kompensieren, die durch den schrittweisen Verlust der Mittel aus dem Solidarpakt Ost
bis 2020 wegfallen. Privatisierungserlöse können einen erheblichen Beitrag zur Einhaltung des
Konsolidierungspfades leisten.

Jetzt handeln, weil die Staatsquote in Berlin überdurchschnittlich hoch ist.

Berlin hat im Vergleich zu anderen Bundesländern eine überdurchschnittlich hohe Staatsquote
von ca. 60%. Die durchschnittliche Staatsquote in Deutschland beträgt derzeit 48%. Auch aus
diesem Grund fordert die IHK Berlin seit jeher, dass der Senat in Bereichen, die nicht zu den
staatlichen Kernaufgaben zählen, notwendige Privatisierungsmaßnahmen einleitet. In vielen
Städten und Gemeinden setzt man bereits erfolgreich auf Kenntnisse und Fähigkeiten der privaten
Unternehmer. Berlin sollte dieser Entwicklung nicht hinterher schauen, sondern die Gestaltung
seiner Zukunft selbst aktiv in Angriff nehmen.

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Jetzt handeln, weil das Bundesverfassungsgericht unzureichende Konsolidierungsmaßnahmen
bestätigt hat.

Das Bundesverfassungsgericht hat die Haushaltsnotlagenklage mit einstimmigem Urteil vom 19.
Oktober 2006 abgewiesen. Die Richter sahen eine extreme Haushaltsnotlage als nicht gegeben an,
weil das Land Berlin noch nicht alle Potenziale für eigene Konsolidierungsanstrengungen genutzt
habe. Berlin wird im Urteil vorgehalten, noch längst nicht alle Möglichkeiten zur Steigerung seiner
Einnahmen – etwa durch Vermögensveräußerungen (Wohnungen) – und zur Reduzierung seiner
Ausgaben (öffentliche Sicherheit, Wissenschaft, Kultur, Soziales, Gesundheit) ausgeschöpft zu
haben. Damit hat auch das Bundesverfassungsgericht dem Berliner Senat bescheinigt, dass im
Rahmen der Haushaltssanierung auch an den Verkauf von Berliner Landesbeteiligungen gedacht
werden muss.

Jetzt handeln, weil die Probleme der öffentlichen Unternehmen weiter zunehmen.

Die öffentlichen Unternehmen Berlins haben in der Vergangenheit mehrfach für negative
Schlagzeilen (BVG-Streik im Winter 2007/2008, riskante Cross-Border-Leasing-Geschäfte der
BVG, Mängel in der Vergabepraxis der HOWOGE, etc.) gesorgt. Zu erwähnen sind auch die hohen
Schulden der öffentlichen Unternehmen. Zwar hat sich der Schuldenstand der Landesbeteiligungen
im Zeitraum von 2006 bis 2008 von 11,384 Mrd. EUR auf 10,389 Mrd. EUR verringert. Im Jahr
2009 sind die Schulden jedoch wieder um über 100 Mio. EUR auf 10,483 Mrd. EUR angestiegen.
Die akuten Probleme in den Landesunternehmen sind daher mehr als Anlass genug, um über
alternative Strategien der Sicherung der Daseinsvorsorge nachzudenken. Dabei sollte vorrangig
geprüft werden, ob Aufgaben der Daseinsvorsorge risikoärmer und effizienter durch private
Unternehmen erledigt werden können. Als Alternative kommt zumindest die Vergabe öffentlicher
Aufträge an private Unternehmen in Betracht.

Jetzt handeln, weil die Konjunktur an Fahrt gewinnt.

Überall in Deutschland ist eine positive Konjunkturentwicklung zu beobachten. Es wird mit
einem BIP-Wachstum von über 3% in 2010 gerechnet. Der Aufwärtstrend beim Abbau der
Arbeitslosigkeit ist ungebrochen. Auch in Berlin hat sich die Konjunktur erholt, wenngleich die
Stadt strukturbedingt nicht so stark von der Finanzmarktkrise betroffen war. Für 2010 ist in Berlin
ein Absinken des Arbeitslosenzahlen auf unter 230.000 (-3,0%) zu erwarten – der niedrigste Wert
seit 1995. Das positive Konjunkturklima lockt Investoren an. Daher werden sich mit weiteren
Veräußerungen der öffentlichen Beteiligungen gute Preise erzielen lassen, die zur Sanierung des
maroden Landeshaushalts genutzt werden können.

Jetzt handeln, weil die neue Legislaturperiode eine Chance für neue Wege bietet.

Im Herbst 2011 beginnt eine neue Legislaturperiode des Berliner Senats. Deshalb ist jetzt die
Gelegenheit, über eine Neuordnung der Daseinsvorsorge in Berlin und damit der Berliner
Landesbeteiligungen nachzudenken und damit gleich den Beginn der Legislaturperiode für
wichtige Strukturveränderungen zu nutzen. Jetzt können die Weichen gestellt werden für mehr
Wettbewerb in diesem Bereich. Das Handlungspotenzial für die neue Landesregierung ist groß,
da demnächst einige Konzessionsverträge auslaufen. So endet der Konzessionsvertrag für das
Gasnetz bereits Ende 2013 und der für das Stromnetz Ende 2014. Die Möglichkeit, neue Akzente
bei der Ausgestaltung der neuen Konzessionsverträge zu setzen, ist daher jetzt gegeben.

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3. Beispiele für die positiven Wirkungen von Wettbewerb

Liberalisierungsbestrebungen auf dem Energiemarkt und im Telekommunikationsbereich haben
gezeigt, dass das Aufbrechen staatlicher Monopole und die Einführung eines marktwirtschaftlichen
Wettbewerbs zu niedrigeren Preisen und besserer Qualität der vormals staatlichen bzw.
monopolartig angebotenen Dienstleistungen und Güter führen kann. Nie war Telefonieren und
Fliegen so günstig wie heute. Die zahlreichen Unternehmen stellen innovative Produkte her
und schaffen eine hohe Anzahl neuer Arbeitsplätze. Es gibt zahlreiche Beispiele für erfolgreiche
Privatisierungen in Europa sowie in Deutschland auf Bundes- und Landesebene, die belegen, dass
der Weg des Wettbewerbes nicht nur ordnungspolitisch richtig ist, sondern sich auch in der Praxis
bewährt hat.

a. Beispiele aus Europa

Mit der europaweiten Liberalisierung der Telekommunikationsmärkte, der Post und Bahn sowie
der Energie-, Wärme- und Wasserversorgung sind in ganz Europa zahlreiche neue Unternehmen
und Arbeitsplätze entstanden.

Italien
Ein Beispiel für eine erfolgreiche Privatisierung ist die Fluggesellschaft Alitalia. Das Unternehmen
ist von einem Bündnis aus italienischen Banken und Unternehmen übernommen worden. Der
Umsatz kletterte im ersten Quartal 2010 von 515 Mio. EUR auf 639 Mio. EUR. Der operative
Verlust sank von 210 Mio. EUR auf 125 Mio. EUR. Im zweiten Quartal setzte sich dieser Trend fort.
Weitere Beispiele erfolgreicher Privatisierungen sind im Bereich Energie die ENEL SpA, im Bereich
Telekommunikation die Telecom Italia SpA und im Bereich Verkehr die Autostrade per l’Italia SpA.

Polen
Auch Polen folgt dem Privatisierungstrend und hat im Jahr 2010 umfangreiche Privatisierungsprojekte
mit einem klaren Schwerpunkt auf dem Energiesektor in Angriff genommen bzw. zu Ende geführt.
Daneben sollen auch Telekommunikationsunternehmen, Banken und Messegesellschaften
privatisiert werden.

Frankreich
Zwar ist der Bahn- und Flugverkehr in Frankreich noch in staatlicher Hand. Allerdings wurden auch
in Frankreich im Bereich der Energieversorgung (Gaz de France, EdF) und den Fernsprechnetzen
(France Telecom, SFR) bereits Privatisierungen vorgenommen. Weiter zu nennen sind Aérospatiale /
Matra, die Fluggesellschaft Air France und der Pharma- und Chemiekonzern Rhône-Poulenc.

b. Beispiele auf Bundesebene

Auch auf Bundesebene gibt es zahlreiche Beispiele, die den Erfolg von Privatisierungen ehemaliger
Staatsunternehmen belegen. Der dadurch entstandene Wettbewerb hat in vielen Fällen zu deutlich
höherer Leistungsqualität und stark gesunkenen Preisen geführt.

Deutsche Post – Postbank
Die Privatisierung der ehemaligen Deutschen Bundespost gilt als eine der größten Reformen
der deutschen Wirtschaftsgeschichte. Die Bundespost wurde zunächst organisatorisch in die
Postdienste, die Telekommunikationsdienste und die Postbankdienste getrennt. Einige Jahre
später wurden diese drei Bereiche in eigenständige Aktiengesellschaften umgewandelt.

Die Deutsche Post AG ist heute das größte Logistik- und Postunternehmen weltweit sowie –
gemessen an der Zahl der Mitarbeiter von über 500.000 – das größte Unternehmen Europas. Im
Geschäftsjahr 2009 erzielte der Konzern einen Gewinn von 231 Mio. EUR. Die Postbank Gruppe
verzeichnete im Geschäftsjahr einen Gewinn von 131 Mio. EUR und beschäftigt rund 209.000
Mitarbeiter.
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Dabei muss Liberalisierung weder zum Verlust der Versorgungsqualität noch zum Abbau
von Arbeitsplätzen führen. Neben der Deutschen Post AG sind zahlreiche weitere Post- und
Paketdienstleistungsunternehmern entstanden wie beispielsweise TNT Post Deutschland oder die
PIN Mail AG, mit der Berliner Behörden ihre Post versenden. Seit dem 1. Juli 2010 sind auch die
Universaldienstleistungen, welche durch Wettbewerber der Deutschen Post AG erbracht werden,
von der Umsatzsteuer befreit. Damit kann es hier zu einem echten und uneingeschränkten
Wettbewerb im Bereich der Universaldienstleistungen kommen.

Telekom
Als derzeit größter Aktionär der Telekom erhält der Bund jährlich beachtliche Dividenden.
Zudem entfallen dadurch für den Staat die Beamtenbesoldungen, weil diese faktisch nun von
dem Unternehmen getragen werden müssen. Die Deutsche Telekom AG gilt als Europas größtes
Unternehmen im Bereich der Telekommunikation. Im Geschäftsjahr 2009 erwirtschaftete die
Deutsche Telekom AG einen Umsatz von 64,6 Mrd. EUR. Das Unternehmen beschäftigt weltweit
258.000 Mitarbeiter. Daneben können sich zahlreiche weitere Telekommunikationsunternehmen
wie z. B. Vodafone, O2, E-Plus etc. erfolgreich auf dem deutschen Markt behaupten. Dies ist ein
weiteres Beispiel dafür, dass Privatisierungen keinesfalls zum Abbau von Arbeitsplätzen führen. In
kaum einem Sektor sind in den vergangenen Jahrzehnten so viele neue Arbeitplätze und innovative
Produkte entstanden wie im Telekommunikationsbereich – und das bei steigender Qualität zu
ständig sinkenden Preisen.

Lufthansa
Die Deutsche Lufthansa AG ist seit 1997 vollständig privatisiert. Das Unternehmen erhielt dadurch
deutlich mehr Freiraum und konnte expandieren. Die Lufthansa AG ist heute einer der größten
weltweit agierenden Konzerne in der Zivilluftfahrtbranche, beschäftigt derzeit ca. 118.000
Mitarbeiter und erzielte im Jahr 2009 einen Gewinn von 130 Mio. EUR. Die Lufthansa kann sich
trotz der starken Konkurrenz durch andere Fluggesellschaften nach wie vor hervorragend am
Markt behaupten. Trotz der Vorrangstellung der Lufthansa konnte sich mit Air Berlin ein weiteres
Unternehmen als ernste Konkurrenz im nationalen und europäischen Flugverkehr etablieren. Air
Berlin ist mittlerweile die zweitgrößte deutsche Fluggesellschaft.

Bahnverkehr – ÖPNV
Mit der Bahnreform wurden 1994 die Deutsche Bahn AG gegründet und die Schienenwege für
private Eisenbahnunternehmen geöffnet. Im Güterverkehr gibt es bereits zahlreiche Konkurrenz­
unternehmen. Im Personenschienenfernverkehr hat die Deutsche Bahn dagegen bislang wenig
Konkurrenz. Dennoch konnte sich überregional beispielsweise der zwischen Leipzig, Berlin und
Rostock fahrende InterConnex des französischen Unternehmens Veolia etablieren. Demnächst
will auch das Berliner Unternehmen Locomore der Deutschen Bahn im Fernverkehr Konkurrenz
machen. Ab Mitte nächsten Jahres soll der private Hamburg-Köln-Express dreimal täglich fahren.
Im Personenschienennahverkehr gibt es mittlerweile in zahlreichen Städten und Gemeinden im
gesamten Bundesgebiet erfolgreiche private Nahverkehrsunternehmen. Die Trennung von Netz
und Betrieb im Schienenverkehr und die Ausschreibung von Verkehrsleistungen haben dort
wesentlich zur Verbesserung der Kostendeckung beigetragen.

Energie
Auch die Liberalisierung des Energiemarktes war sinnvoll. Der Wettbewerb auf den Energiemärkten
funktioniert im Grundsatz. Eine Erfolgsgeschichte hat die Privatisierung von VIAG und VEBA
geschrieben. Im Jahr 1988 verkaufte der Bund seine letzten Aktien an der VIAG. Beide Unternehmen
wurden in den Deutschen Aktienindex (DAX) aufgenommen. Im Juni 2000 entstand aus der Fusion
dieser beiden großen Industrieunternehmen der E.ON-Konzern, heute eines der weltweit größten
Strom- und Gasunternehmen. Der jährliche Umsatz liegt bei ca. 82 Mrd. EUR, weltweit werden
rund 88.000 Mitarbeiter beschäftigt.

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c. Beispiele aus Berlin

Berlin hat in der Vergangenheit ebenfalls einige landeseigene Betriebe erfolgreich privatisiert.
Besonders im Bereich der Energieversorgung ist Berlin dem bundesweiten Liberalisierungstrend
bereits gefolgt.

Landesbank Berlin
Als Erfolgsgeschichte ist auch der Verkauf der Landesbank Berlin zu bezeichnen. Nach der
Bankenkrise stark existenzgefährdet, konnten die Anteile des Landes Berlin an der LBB im Jahr
2007 für 4,62 Mrd. EUR an den Deutschen Sparkassen- und Giroverband (DSGV) veräußert werden.
Daneben hat sich der DSGV zur Übernahme einer Stillen Einlage des Landes Berlin in Höhe von
723 Mio. EUR verpflichtet. Trotz der anhaltenden schwierigen wirtschaftlichen Lage konnte die
Landesbank Berlin Holding im vergangenen Geschäftsjahr einen Gewinn von 339 Mio. EUR und
damit erneut einen deutlichen Gewinnzuwachs erzielen. Die Privatisierung minimierte gleichzeitig
das Risiko für den Berliner Landeshaushalt, das für viele Banken im Rahmen der Finanzmarktkrise
zur Existenzbedrohung wurde.

Bewag
In den 90er Jahren wurde die Bewag vollständig privatisiert. Laut Presseberichten betrug der
Erlös 1,7 Mrd. EUR. Dies war die bis dahin größte Privatisierungsmaßnahme in der Berliner
Geschichte. Ordnungspolitische Gründe standen beim damaligen Verkauf nicht im Vordergrund.
Es ging vorrangig darum, einen möglichst hohen Erlös zu erzielen. Diese Privatisierungsmaßnahme
kann als Erfolg bezeichnet werden. Die Stromversorgung funktioniert reibungslos in Berlin.
Versorgungsengpässe gab es bislang nicht.

GASAG
Die GASAG wurde in den 90er Jahren in mehreren Schritten privatisiert. Der Gesamterlös betrug
1,41 Mrd. EUR. Die negativen Folgen eines öffentlichen Monopols wurden besonders am Beispiel
der GASAG deutlich: Die GASAG war ein höchst ineffizientes Unternehmen, das von seinen
Kunden im bundesweiten Vergleich Höchstpreise verlangte. Erst mit der Privatisierung und der
Liberalisierung der Energiemärkte senkte die GASAG ihre Preise.

Berliner Wasserbetriebe
Die Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe war ein richtiger und wichtiger Schritt. Es
zeigt sich, dass auch die Zusammenarbeit der öffentlichen Hand mit privaten Unternehmen
funktionieren kann. Die Qualität des Berliner Wassers sowie die Versorgungssicherheit sprechen für
sich. Oftmals wird die Teilprivatisierung als Ursache für die hohen Berliner Wasserpreise angeführt
und damit die Privatisierung als gescheitert betrachtet. Ursächlich für den hohen Wasserpreis
sind aber im Wesentlichen das in Berlin immer noch zu zahlende Grundwasserentnahmeentgelt
sowie die mit den Investoren vertraglich vereinbarten Renditezusagen, von denen auch das Land
als Mehrheitseigentümer profitiert. Berlin hätte es also allein in der Hand, durch den Verzicht auf
das Grundwasserentnahmeentgelt und Gewinnausschüttungen eine Preissenkung zu bewirken.

Königliche Porzellan-Manufaktur Berlin KPM
Überaus erfolgreich war die Veräußerung der Königlichen Porzellan-Manufaktur Berlin. Der
Bankier Jörg Wollmann erwarb 2006 das historische Berliner Unternehmen, nachdem es aufgrund
jahrelanger Verluste und Zuschüsse aus dem Berliner Landeshaushalt in Millionenhöhe bereits
als unverkäuflich galt. Seit dem Verkauf arbeitet die KPM ohne staatliche Hilfe und konnte –
insbesondere durch den Export und Positionierung der Marke im obersten Luxussegment – ihren
Umsatz stetig steigern. Der Inhaber Jörg Woltmann wurde 2007 zum Unternehmer des Jahres
gekürt.

                                                                                                      14
IV. Wie könnte der Fahrplan für mehr Wettbewerb in der
Berliner Daseinsvorsorge aussehen?

Da Wettbewerb zu mehr Wachstum und damit zu mehr Wohlstand für Bürger und Wirtschaft
führt, hat die Berliner Wirtschaft eine Vielzahl von Vorschlägen entwickelt, wie Wettbewerb
und Effizienz in den wesentlichen Bereichen der Daseinsvorsorge gesteigert werden können.
Bevor die wichtigsten Felder der Berliner Daseinsvorsorge aufgezeigt und die Einzelvorschläge
näher vorgestellt werden, ist ein Blick auf die derzeitige Ausgestaltung der Landesbeteiligungen
empfehlenswert.

1. Überblick über die Öffentlichen Unternehmen in Berlin

Viele der landeseigenen Unternehmen nehmen keine Aufgaben der staatlichen Kernverantwortung
wahr und stellen daher ein erhebliches Privatisierungspotenzial dar. Insgesamt war das
Land Berlin am 31. Dezember 2009 an 48 Unternehmen privaten Rechts und neun Anstalten
öffentlichen Rechts unmittelbar beteiligt, davon an 37 Gesellschaften mehrheitlich. Dabei ist
das Aufgabenspektrum der Öffentlichen Unternehmen sehr vielfältig. So hat Berlin beispielsweise
Beratungsfirmen in Feldern wie Energieberatung und -planung, die in öffentlicher Hand sind.
Insgesamt sechs städtische Wohnungsbaugesellschaften verwalten und verwerten Wohnungen.
Darüber hinaus existieren landeseigene Dienstleistungsgesellschaften, die beispielsweise IT-
Dienstleistungen (IT-Dienstleistungszentrum Berlin AöR), Messedienstleistungen (Messe Berlin
GmbH), Gebäudeverwaltung (BIM Berliner Immobilien Holding GmbH) oder gar den Betrieb
von Häfen (BEHALA Berliner Hafen- und Lagerhausgesellschaft mbH) und die Verwaltung
von Großmärkten (Berliner Großmarkt GmbH) anbieten. Die Rechtfertigung dafür, dass diese
wirtschaftlichen Aktivitäten zwingend von der öffentlichen Hand erledigt werden, fehlt, obwohl
es zahlreiche private Anbieter für die genannten Leistungen gibt.

                                                                                                   15
Kredit- und                                                                                      Ver- und                   Gesundheit und                                           Landesentwicklung und                                         Wissenschaft und
                                  Verkehr                        Dienstleistungen                                                                        Wohnungswirtschaft                                        Kultur und Freizeit
Versicherungswirtschaft                                                                          Entsorgungswirtschaft      Soziales                                                 Grundstücksverwaltung                                         Ausbildung

BF Rückversicherung               BEHALA GmbH                    Amt für Statistik               Berliner                   Berliner Werkstatt für       DEGEWO AG                   BCIA GmbH                     BBB Infrastrukt. Verw.          Dt. Film-u. Fernsehakad.
Gewährträger:                                                    Berlin-Brandenburg              Stadtreinigungsbetriebe    Behinderte GmbH                                                                        GmbH                            GmbH
Berlin Brandenburg                                      100%     Gewährträger: Berlin            Gewährträger: Berlin                             70%                        100%                         100%                        100%                           100%

Investitionsbank Berlin           Berliner Verkehrsbetr.         Berlin Tourismus                Berliner Wasserbetriebe    Vivantes GmbH                GESOBAU AG                  BIH Berl.Immob.Holding        BBB Infrastrukt.                Fachinf.-zentrum Chemie
Gewährträger: Berlin              Gewährträger: Berlin           Marketing GmbH                  Gewährträger: Berlin                                                                GmbH                          GmbH & Co. KG                   GmbH
                                                                                         15%                                                   100%                        100%                      100%      Kommanditist Berlin 100%                           40%

                                  Flghfn.Bln-Schönef.            Berliner Energieagentur         Berlinwasser Holding AG    Charité*                     GEWOBAG AG                  BIM GmbH                      Berliner Bäder-Betriebe         Fachinf.zentr. Karlsruhe
                                  GmbH                           GmbH                            50                         Universitätsmedizin Berlin                                                             Gewährträger: Berlin            GmbH
                                                          37%                        25%                           10%                                               96,695%                           100%                                                        2,17%

                                  VBB GmbH                       Berliner Großmarkt GmbH         MEAB GmbH                                               HOWOGE GmbH                 Betriebsgesellschaft          Friedrichstadtpalast GmbH       FWU Institut für
                                                                                                                                                                                     Stadtgüter mbH                                                Film GmbH
                                                     33,34%                            100%                        50%                                                    100%                         100%                          100%                         6,25%

                                                                 BGZ GmbH                        SBB Sonderabfall GmbH                                   STADT U. LAND GmbH          Liegenschaftsfonds GmbH       Grün Berlin GmbH                Helmholz-Zentrum-Berlin
                                                                                                                                                                                                                                                  GmbH ***
                                                                                         60%                       25%                                                     100%                         100%                          100%                          10%

                                                                 Deutsche Klassenlotterie                                                                WBM GmbH                    Liegenschaftsfonds KG         Hebbel-Theater GmbH             HIS Hochschul-Inf.-
                                                                 Gewährträger: Berlin                                                                                                Kommanditist Berlin                                           System GmbH
                                                                                                                                                                             100%                         100%                          100%                         4,17%

                                                                 ekz.bibliothekservice                                                                                               Liegenschaftsfonds            KuJ Wuhlheide GmbH              IWF Wissen und Medien
                                                                 GmbH                                                                                                                Projekt KG                                                    GmbH
                                                                                        4,69%                                                                                       Kommanditist Berlin 100%                             100%                          10%

                                                                 INPRO GmbH                                                                                                          Olympiastadion Berlin         Kulturprojekte Berlin           Wissenschaftszentrum
                                                                                                                                                                                     GmbH                          GmbH                            GmbH
                                                                                    14,29%                                                                                                                100%                          100%                          25%

                                                                 IT-Dienstleistungszentrum                                                                                           WISTA-Management              Kunsthalle BR Deutschl.
                                                                 Berlin                                                                                                              GmbH                          GmbH
                                                                 Gewährträger: Berlin                                                                                                                  97,86%                            2,44%

                                                                 Messe Berlin GmbH                                                                                                                                 Rundfunk-Orchester
                                                                                                                                                                                                                   GmbH
                                                                                    99,70%                                                                                                                                                20%

                                                                                                                                                                                                                   Zoologischer Garten
                                                                                                                                                                                                                   Berlin AG
                                                                                                                                                                                                                                          0,03%

(Quelle: Senatsverwaltung für Finanzen)                                                                                                                                                                                                                                          16
2. Vorschläge für Daseinsvorsorgebereiche mit Monopol-Strukturen

In der öffentlichen Daseinsvorsorge in Berlin gibt es Bereiche, in denen nach wie vor Monopole
der öffentlichen Hand vorherrschen. Dies sind in Berlin der öffentliche Personennahverkehr, die
Wasserver- und Abwasserentsorgung sowie die Hausmüllentsorgung.

a. Öffentlicher Personennahverkehr (ÖPNV)

Berlin verfügt über ein hervorragendes öffentliches Nahverkehrsnetz aus S-Bahn, U-Bahn,
Straßenbahn und Bus mit einer Streckenlänge von 1.772 km. Hinzu kommen die Züge des
Regionalverkehrs, die das Berliner Stadtgebiet durchqueren und es mit andern Städten verbinden,
sowie die Binnenschifffahrt. Der öffentliche Personennahverkehr ist ein unverzichtbarer Bestandteil
im Berliner Verkehrsnetz. Auch aus Sicht der Wirtschaft ist ein funktionstüchtiges, zuverlässiges
und bezahlbares Nahverkehrsnetz ein wesentlicher Standortfaktor.

(1) Daten und Fakten

Der öffentliche Personennahverkehr wird in Berlin im Wesentlichen von zwei Unternehmen
betrieben. Die Berliner S-Bahn Berlin GmbH, eine Tochtergesellschaft der Deutschen Bahn AG,
betreibt derzeit das gesamte S-Bahn-Streckennetz. Die Berliner Verkehrsbetriebe Anstalt des
öffentlichen Rechts (BVG) betreibt den Bus-, U-Bahn- und Straßenbahn-Verkehr in Berlin.
Lediglich 8% der Buslinien werden von der BVG an private Unternehmen vergeben.

Unternehmen                  Berliner Verkehrsbetriebe
Rechtsform                   Anstalt des öffentlichen Rechts
Eigentümer                   100% Land Berlin
Vertragslaufzeit             Verkehrsvertrag von 2008 bis 2020
Mitarbeiter 2009             10.597
Umsatz 2009                  0,6 Mrd. EUR

Unternehmen                  S-Bahn Berlin
Rechtsform                   Gesellschaft mit beschränkter Haftung
Eigentümer                   Deutsche Bahn AG
Vertragslaufzeit             Verkehrsvertrag bis 2017
Mitarbeiter 2009             2.765
Umsatz 2009                  0,5 Mrd. EUR

(2) Warum besteht Handlungsbedarf?

Die Wirtschaftsregion Berlin-Brandenburg benötigt einen attraktiven und leistungsfähigen,
aber auch einen bezahlbaren öffentlichen Personennahverkehr. Eine wettbewerbsorientierte
Umstrukturierung des Nahverkehrs in Berlin ist daher aus Sicht der Berliner Wirtschaft
dringend notwendig, um dauerhaft einen finanzierbaren ÖPNV gewährleisten zu können. Durch
Ausschreibungen und Wettbewerb wird eine signifikante Kostenreduzierung möglich sein.
Quersubventionierungen aus anderen öffentlichen Bereichen müssen jedoch unterbleiben, da dies
sonst zu Wettbewerbsverzerrungen führt.

Verkehrsverträge laufen 2017 bzw. 2020 aus

Der Verkehrsvertrag der Berliner S-Bahn läuft noch bis 2017. Der mit der BVG abgeschlossene
Verkehrsvertrag läuft erst 2020 aus, Weichenstellungen müssen aber schon jetzt vorgenommen
werden. Denn um privaten Investoren eine reelle Chance zu geben, sich am Wettbewerb um
die öffentlichen Nahverkehrsnetze in Berlin zu beteiligen, muss die Ausschreibung der Netze
insbesondere wegen der langen Bestell- und Lieferfrist von Schienenfahrzeugen bereits frühzeitig      17
vorbereitet werden. Es ist daher nicht zu früh, wenn man von den positiven Wirkungen des
Wettbewerbs profitieren will.

Ausfälle zwingen zum Handeln

Berlin befindet sich derzeit in einer starken Abhängigkeit von nur zwei großen Verkehrsunternehmen.
Dies wurde besonders deutlich während des BVG-Streiks im Winter 2007/2008 und der S-Bahn-
Krise im Winter 2009/2010. Die S-Bahn Berlin GmbH ist bis heute noch nicht in der Lage, die
vom Land bestellte Verkehrsleistung zu erbringen. Der BVG ist es nur teilweise gelungen, die
ausgefallenen Verkehrsleistungen der S-Bahn zu kompensieren. Spätestens ein gleichzeitiger
Leistungsausfall beider Verkehrsunternehmen könnte zum Total-Zusammenbruch des ÖPNV in
Berlin führen. Gerade deshalb sollte zumindest mittelfristig im Interesse eines zuverlässigen und
stabilen ÖPNV die Möglichkeit für mehr Wettbewerb geschaffen werden.

ÖPNV ist Zuschussgeschäft

Der öffentliche Personennahverkehr ist in weiten Teilen ein Zuschussgeschäft. Insbesondere bei der
S-Bahn sind die öffentlichen Zuschüsse in den vergangenen Jahren wieder leicht gestiegen. Bei der
BVG sind sie leicht gesunken (siehe Tabelle unten). Auf der BVG lastet aber hoher Schuldenberg in
Höhe von rund 750 Mio. EUR. Dieser Schuldenberg steigt aufgrund der erforderlichen Neuaufnahme
von Krediten ständig an und dürfte in einigen Jahren die Milliardengrenze überschritten haben.
Daher muss dringend über alternative Finanzierungsstrategien nachgedacht werden.

               2001           2003            2004           2005           2006     2007
BVG            420,3          420,3           420,3          420,3          364,5    307,3
S-Bahn         221,4          190,6           193,8          217,5          220,5    225,1
Zuschüsse für den ÖPNV in Mio. EUR (Quelle: Senatsverwaltung für Stadtentwicklung)

(3) Was ist zu tun?

Der Wettbewerb auf der Schiene ist in der Region Berlin-Brandenburg schon weiter
vorangekommen. Im Jahr 2008 gingen in Berlin und Brandenburg insgesamt 16 Regionalexpress-
und Regionalbahnstrecken in den Wettbewerb. Dabei konnte ein Kosteneinsparungsvolumen
in Höhe von 45% erzielt werden. Mit einer weiteren und bis dahin größten Ausschreibung von
Bahnstrecken in Deutschland wurden 2009 der DB Regio AG und der Ostdeutschen Eisenbahn
GmbH (ODEG) weitere Zuschläge erteilt. Allein Brandenburg spart damit über 40 Mio. EUR
pro Jahr. Für die Fahrgäste bedeutet dies dennoch kein Qualitätsverlust, sondern mehr
Qualität durch moderne Fahrzeuge, mehr Sitzplätze und mehr Personal in den Zügen. Auch
der Busverkehr wurde in Teilen Brandenburgs bereits im Genehmigungswettbewerb vergeben.

Der Berliner öffentliche Personennahverkehr wäre für eine Privatisierung durch Vergabe von
sinnvollen Teillosen bestens geeignet. Erfahrungen aus Vergaben von Verkehrsleistungen in
ganz Deutschland belegen, dass die Kosten für die Besteller im Durchschnitt um 30% sinken,
wenn die Leistungen in einem fairen Verfahren mit mehreren Bewerbern ausgeschrieben
werden.

Mehr Wettbewerb durch schrittweise Liberalisierung des Nahverkehrs

Um den ÖPNV in Berlin zu liberalisieren, sollten die hierfür geeigneten Fahrtdienste des
bundesweit größten kommunalen Verkehrsunternehmens (BVG) schrittweise ausgeschrieben
werden. Auch die S-Bahn Berlin GmbH verfügt derzeit über eine Monopolstellung. Künftig muss
es auch anderen Unternehmen als der S-Bahn Berlin GmbH möglich sein, Verkehrsleistungen
im Berliner S-Bahn-Netz zu erbringen. Grundlage für Ausschreibungen könnte der rechtlich
verbindliche Nahverkehrsplan sein, der klare Vorgaben – beispielweise für ein Busliniennetz –         18
enthält. Dabei müssen Ausschreibungen für bestimmte Linien oder Gebiete so erfolgen, dass
auch mittelständische private Unternehmen eine reale Chance haben, diese Verkehrsleistungen
zu erbringen. Dies ist dann möglich, wenn der Nahverkehrsplan mehrere Teilräume für Berlin
definiert, die dann wiederum in Teilnetze untergliedert werden. Diese Teilnetze können dann
ausgeschrieben werden. Mehr Wettbewerb durch mehrere Anbieter hat zur Folge, dass auf
Veränderungen am Markt schneller reagiert werden kann. Bei Ausfällen, wie beispielsweise
während des BVG-Streiks im Winter 2007/2008, kann dann auf andere Anbieter ausgewichen
werden.

Mehr Wettbewerb durch Ausschreibung des S-Bahn-Betriebes in mehrere Teilstücke

Der S-Bahn-Betrieb in Berlin muss dem Wettbewerb ausgesetzt und deshalb ausgeschrieben
werden. Dabei ist zu prüfen, ob die Ausschreibung des Gesamtnetzbetriebes oder des Betriebes
einzelner Netzteile sinnvoll ist. Für die Ausschreibung des Betriebes einzelner Teilnetze spricht
unter anderem, dass die Fahrzeugbeschaffung zeitlich gestaffelt erfolgen kann. Wichtig ist
in diesem Zusammenhang auch, dass die Betreiber jeweils über unabhängige Strukturen zur
Wartung und Instandhaltung der Züge verfügen. Keinesfalls darf es eine kommunale S-Bahn,
beispielsweise unter der Regie der BVG, geben.

                                                                                                    19
b. Wasser / Abwasser

Der Bereich der Wasserversorgung und Abwasserentsorgung stellt einen Kernbereich der
öffentlichen Daseinsvorsorge dar. Bezahlbares Wasser in guter Qualität ist für die Bevölkerung in
Berlin eine unabdingbare Voraussetzung, aber auch für den Wirtschaftsstandort ein entscheidender
Wettbewerbsfaktor. Die Besonderheit in diesem Bereich der Daseinsvorsorge ist darin zu sehen,
dass ein natürliches Monopol am Wasser besteht. Eine wettbewerbliche Vielfalt ist daher kaum
realisierbar. Trotzdem sind wettbewerbsfördernde Maßnahmen denkbar und auch umsetzbar.

(1) Daten und Fakten

Die flächendeckende Wasserver- und Abwasserentsorgung wird in Berlin durch die Berliner
Wasserbetriebe (BWB) sichergestellt. Um Mittel für den Landeshaushalt zu erzielen, hat der Senat
1999 die Berliner Wasserbetriebe teilprivatisiert. Den 49,9%-Anteil ließ sich das Land damals
mit 1,7 Mrd. EUR von den privaten Investoren bezahlen. Im Gegenzug erhielten diese u.a. eine
Renditezusage unabhängig vom Betriebsergebnis, d.h. wird ein entsprechendes Betriebsergebnis
nicht erwirtschaftet, so müssen Mittel aus dem Landeshaushalt aufgewendet werden. Letztlich
kommt dies einer Kreditaufnahme gleich. Die Belastungen tragen die Kunden der BWB.

Unternehmen                   Berliner Wasserbetriebe
Rechtsform                    Anstalt des öffentlichen Rechts
Nominalkapital                1.315 Mio. EUR
                              50,10% Land Berlin
Eigentümer                    24,95% RWE
                              24,95% Veolia
Vertragslaufzeit              1999 – 2028
Mitarbeiter 2009              4.712
Umsatz 2009                   1,2 Mrd. EUR

(2) Warum besteht Handlungsbedarf?

Seit Anfang der 90er Jahre ist das Berliner Wasser immer teurer geworden. Hat 1990 ein Kubikmeter
Trinkwasser noch 0,69 EUR gekostet, so kostet er im Jahr 2010 mit 2,09 EUR inzwischen das
3-fache.

Bundesweit Spitzenplatz beim Wasserpreis

Damit nimmt Berlin seit Jahren einen „Spitzenplatz“ im Vergleich zu anderen deutschen Großstädten
ein, wie der nachfolgende Preisvergleich zeigt. Auch die Abwasserpreise sind überdurchschnittlich
hoch.

Preisvergleich Wasserpreise

                          Berlin          München          Hamburg         Potsdam       Leipzig
                          BWB             Stadtwerke       HHW             Wasserbetriebe Wasserwerke
Durchschnittspreise       2,09**          1,47             1,50            2,08          1,96
Mittelwert in €/m³ *
Durchschnittspreise       +0,03 €/m³      +0,05 €/m³                       +0,04 €/m³    +0,13€/m3
                                                           0,0 €/m³
Differenz zu 2009         (+0,9%)         (+3,7%)                          (+2,4%)       (+7,4 %)
Preisstand 01.01.2010 (Quelle: VEA-Wasser- und Abwasser Preisvergleich 2010)

                                                                                                        20
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