Psychosoziale Unterstützung für Mädchen mit Fluchterfahrung - Ressourcen- und Bedarfsanalyse in vier Erstaufnahmeeinrichtungen in Deutschland Juli ...

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Psychosoziale Unterstützung für Mädchen mit Fluchterfahrung - Ressourcen- und Bedarfsanalyse in vier Erstaufnahmeeinrichtungen in Deutschland Juli ...
Psychosoziale Unterstützung
für Mädchen mit Fluchterfahrung
Ressourcen- und Bedarfsanalyse in vier
Erstaufnahmeeinrichtungen in Deutschland

Juli 2019
Psychosoziale Unterstützung für Mädchen mit Fluchterfahrung - Ressourcen- und Bedarfsanalyse in vier Erstaufnahmeeinrichtungen in Deutschland Juli ...
Psychosoziale Unterstützung für Mädchen mit Fluchterfahrung - Ressourcen- und Bedarfsanalyse in vier Erstaufnahmeeinrichtungen in Deutschland Juli ...
„Drei Wünsche? Ich würde mir einmal wünschen, dass mein Traum
 sich erfüllt, Designerin zu werden. Dann würde ich mir wünschen,
 dass (…) ich ein eigenes Zimmer habe. Dort wären Entwürfe, die
 ich gezeichnet hätte. Und dass meine Mama meinem Bruder Autos
 kauft. Mein Bruder (…) spielt gern damit. Und dass mein Bruder
 glücklich ist – und meine Mama natürlich.“
                          Mädchen, zehn Jahre, aus Tschetschenien
Psychosoziale Unterstützung für Mädchen mit Fluchterfahrung - Ressourcen- und Bedarfsanalyse in vier Erstaufnahmeeinrichtungen in Deutschland Juli ...
Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Übersicht befragter Sprachgruppen nach Standort und Zielgruppe        15
Tabelle 2: Übersicht Fokusgruppen und Einzelinterviews nach Standort             15

Abbildung 1: Themenwolke Mädchen Einrichtung A                                   17
Abbildung 2: Ressourcen und Bedarfe Mädchen Einrichtung A                        18
Abbildung 3: Storyboard mit drei Fotos, Mädchen, Albanien, 13 Jahre              19
Abbildung 4: Themenwolke Eltern Einrichtung A                                    20
Abbildung 5: Ressourcen und Bedarfe Eltern Einrichtung A                         20
Abbildung 6: Themenwolke Mädchen Einrichtung B                                   23
Abbildung 7: Ressourcen und Bedarfe Mädchen Einrichtung B                        23
Abbildung 8: Storyboard mit drei Fotos, Mädchen, Afghanistan, 10 Jahre           24
Abbildung 9: Themenwolke Eltern Einrichtung B                                    25
Abbildung 10: Ressourcen und Bedarfe Eltern Einrichtung B                        25
Abbildung 11: Themenwolke Mädchen Einrichtung C                                  27
Abbildung 12: Ressourcen und Bedarfe Mädchen Einrichtung C                       28
Abbildung 13: Collage, Mädchen, Tschetschenien, 10 Jahre                         29
Abbildung 14: Themenwolke Eltern Einrichtung C                                   30
Abbildung 15: Ressourcen und Bedarfe Eltern Einrichtung C                        30
Abbildung 16: Themenwolke Mädchen Einrichtung D                                  32
Abbildung 17: Storyboard mit drei Fotos, Mädchen, Iran, 9 Jahre                  33
Abbildung 18: Themenwolke Eltern Einrichtung D                                   34
Abbildung 19: Ressourcen und Bedarfe Eltern Einrichtung D                        34
Abbildung 20: Themenwolke Albanisch sprechender Teilnehmer*innen                 37
Abbildung 21: Ressourcen und Bedarfe Albanisch sprechender Teilnehmer*innen      38
Abbildung 22: Themenwolke Arabisch sprechender Teilnehmer*innen                  39
Abbildung 23: Ressourcen und Bedarfe Arabisch sprechender Teilnehmender          39
Abbildung 24: Themenwolke Farsi / Dari sprechender Teilnehmer*innen              40
Abbildung 25: Ressourcen und Bedarfe Farsi / Dari sprechender Teilnehmer*innen   40
Abbildung 26: Themenwolke Russisch sprechender Teilnehmer*innen                  42
Abbildung 27: Ressourcen und Bedarfe Russisch sprechender Teilnehmer*innen       42
Abbildung 28: Themenwolke Türkisch sprechender Teilnehmer*innen                  43
Abbildung 29: Ressourcen und Bedarfe Türkisch sprechender Teilnehmer*innen       44
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MÄDCHEN.MACHEN.MUT.
Psychosoziale Unterstützung für Mädchen mit Fluchterfahrung

Inhalt

     Vorwort von Save the Children                                6

     Vorwort der Charité                                          7

1.   Einleitung                                                   8
     1.1 Rechtslage in Deutschland                                9

2.   Methodik                                                    12
     2.1 Datenerhebung                                           12
     2.2 Qualitative Inhaltsanalyse                              15
     2.3 Stichprobe und deskriptive Daten                        16

3.   Ergebnisse der standort- und zielgruppenbezogenen Analyse   17
     3.1 Einrichtung A (Nordrhein-Westfalen)                     17
     3.2 Einrichtung B (Brandenburg)                             22
     3.3 Einrichtung C (Brandenburg)                             27
     3.4 Einrichtung D (Nordrhein-Westfalen)                     32

4.   Ergebnisse der sprachgruppenbezogenen Analyse               37
     4.1 Interviews und Fokusgruppen auf Albanisch               37
     4.2 Interviews und Fokusgruppen auf Arabisch                38
     4.3 Interviews und Fokusgruppen auf Farsi / Dari            41
     4.4 Interviews und Fokusgruppen auf Russisch                41
     4.5 Interviews und Fokusgruppen auf Türkisch                43
     4.6 Zusammenfassung und Vergleich der Sprachgruppen         44

5.   Limitationen und Vorzüge der Untersuchung                   46

6.	Zusammenfassung der Analyseergebnisse                        47

7.   Relevanz von psychosozialer Versorgung                      51

8.   Handlungsempfehlungen                                       52

     Danksagung                                                  54

     Literaturverzeichnis                                        55
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Vorwort von Save the Children

    Liebe Leser*innen,                                          und wichtige Entwicklungsschritte machen. Eine För-
                                                                derung von Fähigkeiten und Ressourcen ist besonders
    Menschen auf der Flucht sind außergewöhnlichen Bela-        in dieser Phase für eine vulnerable und gesellschaftlich
    stungen und Gefahren ausgesetzt. Dies gilt ganz beson-      benachteiligte Randgruppe unerlässlich, um sie in ihrer
    ders für Frauen und Mädchen, die sowohl weltweit als        Selbstwirksamkeit zu stärken und Wege für den eige-
    auch in Deutschland über die Hälfte aller Geflüchteten      nen Einsatz zur Veränderung aufzuzeigen. Denn gerade
    ausmachen. Geschlechtsspezifische Verfolgungsgründe,        geflüchtete Mädchen verfügen über einzigartige Stär-
    patriarchische Machtstrukturen und die Einschränkung        ken, wichtige Erfahrungswerte und wertvolle Perspek-
    grundlegender Rechte wie Bildung und Arbeit gehen           tiven, die anerkannt und unterstützt werden sollten.
    für sie oftmals mit signifikanten Gefahren vor, wäh-
    rend und nach der Flucht einher. Als heranwachsende         Mit Blick auf viele nachteilige und belastende Faktoren
    Frauen bilden geflüchtete Mädchen eine sehr gefähr-         liegt der Fokus von Save the Children daher nicht nur
    dete Gruppe und können schnell zur Zielscheibe von          auf der Identifikation von Schwierigkeiten und Bedarfen,
    sexualisierter Gewalt, Ausbeutung und gesellschaftli-       sondern vor allem auch auf einer angemessenen psy-
    cher Benachteiligung werden.                                chosozialen Unterstützung und damit einhergehenden
                                                                Resilienz fördernden Maßnahmen. Es ist unsere Über-
    Die Wahrscheinlichkeit zur Schule zu gehen, ist für Kin-    zeugung, dass mental gestärkte und selbstbewusst her-
    der auf der Flucht fünfmal geringer als für andere Kin-     anwachsende Frauen mit Fluchterfahrung sowohl in
    der. Besonders alarmierend: Mädchen in von Konflik-         Deutschland als auch auf internationaler Ebene einen
    ten betroffenen Ländern nehmen noch seltener am             wichtigen Beitrag leisten können. Das Projekt Mädchen.
    Unterricht teil als Jungen. Allein diese Einschränkung      Machen.Mut. stellt daher ganz bewusst die Mädchen
    kann massive Auswirkungen auf die späteren Chancen          selbst in den Mittelpunkt – nicht zuletzt, da wir in der
    sowie auf die psychosoziale Entwicklung der Heran-          Aufmerksamkeit für eine wenig gesehene Zielgruppe
    wachsenden haben. Dabei weisen verschiedene Studien         bereits erste Veränderungsmöglichkeiten sehen.
    darauf hin, dass eine gezielte Förderung letztendlich
    zum Wohl der ganzen Gesellschaft beitragen kann; so         Eine Stärkung der Zielgruppe von innen heraus ist uns
    ist beispielsweise die Mädchenbildung direkt mit wirt-      ein großes Anliegen. Doch die entlastende Gestaltung
    schaftlichem Wachstum verbunden.                            von umgebungsbezogenen Faktoren mithilfe politischer
                                                                Entscheidungen, Gesetzgebung und Rechtsanwendung
    Derzeit ist die Lebenssituation von Mädchen und jungen      bedeutet noch viel mehr eine nachhaltige Weichenstel-
    Frauen in deutschen Erstaufnahmeeinrichtungen von           lung für die Zukunft der Heranwachsenden. Vor diesem
    zahlreichen Verlusten, Anpassungen und geschlechts-         Hintergrund soll die vorliegende Studie nicht zuletzt
    spezifischen Belastungen geprägt. In Ermangelung feh-       den Stimmen von Mädchen und jungen Frauen in deut-
    lender Schutzstrukturen und gemeinschaftlicher Rück-        schen Erstaufnahmeeinrichtungen Gehör verschaffen.
    zugsmöglichkeiten bleiben sie häufig in der Isolation
    von Privaträumen und haben so weniger Zugang zu
    Hilfsangeboten, Freizeitaktivitäten und freundschaft­
    lichen Bindungen. Weibliche Rollenbilder unterscheiden
    sich in verschiedenen Kulturen teilweise gravierend und
    stellen die Heranwachsenden vor große Herausforde-
    rungen in der eigenen Identitätsfindung und Selbst-
    wahrnehmung. Dabei ist besonders die Pubertät eine
    kritische Zeit, in der Mädchen sich nicht nur mit körper-      Susanna Krüger
    lichen Umstellungen, sondern auch mit ihrer Zukunft            Vorstandsvorsitzende
    als erwachsene Frauen auseinandersetzen müssen                 Save the Children Deutschland e. V.

6
Psychosoziale Unterstützung für Mädchen mit Fluchterfahrung - Ressourcen- und Bedarfsanalyse in vier Erstaufnahmeeinrichtungen in Deutschland Juli ...
Vorwort der Charité

Aktuell sind rund 71 Millionen Menschen weltweit auf                           sen wir wenig über die Erfahrungen und die Lebens-
der Flucht. Nach Europa und in andere Industrielän-                            situation der gerade nach Deutschland geflüchteten
der gelangen davon lediglich 16 %.1 Etwa 50 % der Men-                         Menschen. Insbesondere wissen wir nicht genug über
schen auf der Flucht sind Frauen und Mädchen.2 Unter                           die Ressourcen, Wünsche und Vorstellungen von Mäd-
denen, die es nach Deutschland schaffen, lag der Anteil                        chen. Zudem kennen wir ihre realen Unterbringungs-
der Frauen und Mädchen                                                         kontexte zu wenig. Unkenntnis und Unwissen kön-
•   2015 bei 30,8 %,3                                                          nen Vorurteile und Pauschalisierung befördern. Die
                                                                               vorliegende Studie gibt Auskunft über die Lebens-
•   2016 bei 34,3 %,4                                                          welten von geflüchteten Mädchen in Erstaufnahme-
•   2017 bei 39,5 % und                                                        einrichtungen und lässt sie selbst zu Wort kommen.
•   2018 bereits bei 43,3 %.5
                                                                               Das Projekt Mädchen.Machen.Mut. wendet sich den
Damit steigt der Anteil an geflüchteten Frauen und                             besonderen psychosozialen Bedarfen und Ressour-
Mädchen, die in Deutschland einen Asylantrag stellen.                          cen von Mädchen in Erstaufnahmeeinrichtungen für
                                                                               geflüchtete Menschen in Deutschland zu und erarbei-
Vielfach durchleben Mädchen und Frauen im Ver-                                 tet aus den Ergebnissen Empfehlungen für Fachkräfte
gleich zu Männern und Jungen deutlich mehr schwer-                             sowie für Politik und Gesellschaft.
wiegende Situationen wie geschlechtsspezifische Trau-
matisierungen, sie tragen die Verantwortung für mit-
reisende Kinder und sind häufig durch ein traditionel-
les Rollenverständnis eingeschränkt. Die Erfahrun-
gen in Krisengebieten und auf der Flucht sowie deren
Folgen können bei den geflüchteten Frauen und Mäd-
chen neben einer Anpassungsstörung auch zu chroni-
schen psychiatrischen Störungsbildern wie Angststö-
rungen und Depressionen führen.6 Diese Belastun-                                    Prof. Dr. med. Meryam Schouler-Ocak
gen können die Mobilität, die Teilnahme an Bildung-                                 Professorin für Interkulturelle Psychiatrie und Psycho­
sangeboten sowie den Zugang zu medizinischer und                                    therapie; Leiterin des FB Interkulturelle Migrations-
psychosozialer Versorgung einschränken. Zudem sind                                  und Versorgungsforschung, Sozialpsychiatrie;
Frauen und Mädchen auch in den Unterkünften oft-                                    Leitende Oberärztin Psychiatrische Universitätsklinik
mals höheren Stressfaktoren ausgesetzt.Bisher wis-                                  der Charité im St. Hedwig-Krankenhaus

1   Vgl. UNHCR (2019)
2   Vgl. UNHCR (2019)
3   Vgl. BAMF (2015)
4   Vgl. BAMF (2016)
5   Vgl. BAMF (2019)
6 Vgl. Crumlish et al. (2010); Fazel et al. (2006); Hansson et al. (2012); Jesuthasan et al. (2018); Lindert et al. (2009); Richter et al. (2015);
   Winkler et al. (2018)

                                                                                                                                                      7
Psychosoziale Unterstützung für Mädchen mit Fluchterfahrung - Ressourcen- und Bedarfsanalyse in vier Erstaufnahmeeinrichtungen in Deutschland Juli ...
1. Einleitung

    Seit 2015 sind knapp eine halbe Million geflüchtete Kin-                        bar, ihre psychosozialen Ressourcen und dahingehen-
    der und Jugendliche nach Deutschland gekommen.7 Die                             den Bedarfe zu ergründen und entsprechende Förder-
    Erfahrungen, die Kinder in ihren Herkunftsländern und                           angebote zu entwickeln.
    auf der Flucht machen, bedeuten meist eine extreme
     physische und psychische Belastung. Und auch hier sind                         Das von Save the Children Deutschland e. V. umge-
    geflüchtete Kinder vielfältigen Risiken ausgesetzt. So                          setzte und von der Cummins Foundation geförderte
    gibt es in Deutschland keine einheitlichen Standards                            Projekt Mädchen.Machen.Mut. wendet sich den beson-
    zur Unterbringung und zum Schutz von geflüchteten                               deren psychosozialen Bedarfen und Ressourcen von
    Kindern. Viele von ihnen bleiben isoliert und müssen                            Mädchen in Erstaufnahmeeinrichtungen für geflüchtete
    beispielsweise lange auf einen Schul- oder Kitaplatz                            Menschen in Deutschland zu und hat zum Ziel, sie in
    warten. Sowohl in Unterkünften als auch in Bildungs-                            ihrer Selbstwirksamkeit und Resilienz zu stärken. Ver-
    einrichtungen fehlt es oft an geschultem Personal und                           schiedene psychosoziale Maßnahmen sollen Mädchen
    Strukturen, um Kinder mit belastenden Erfahrungen                               nachhaltig dabei unterstützen, ihre eigenen Fähigkei-
    zu unterstützen.                                                                ten zu entwickeln und auszuschöpfen, Lebensbelastun-
    Die Hälfte der seit 2015 nach Deutschland geflüchteten                          gen zu bewältigen und sich später aktiv in der Gesell-
    Kinder sind Mädchen.8 Mädchen und junge Frauen mit                              schaft betätigen zu können.13 Die angestrebten Inter-
    Fluchterfahrung sind besonders schutzbedürftig.9 Bela-                          ventionen wirken dabei präventiv und entwicklungs-
     stende Erfahrungen vor, während und nach der Flucht,                           fördernd auf das mentale Wohlbefinden von Mädchen
     sexualisierte Gewalt, traumatisierende Erlebnisse                              im Kontext ihrer sozialen Umgebung. Gearbeitet wird
     sowie geschlechtsspezifische familiäre, gesundheitli-                          hierbei meist in offenen, niedrigschwelligen Angeboten,
    che und entwicklungspsychologische Herausforderun-                              die eine Teilhabe an der Gemeinschaft ermöglichen und
    gen bilden besonders für junge weibliche Geflüchtete                            individuelle Resilienz bildende Prozesse fördern.
    ein Konglomerat an psychosozialen Risiken.10 Diese                              Das Projekt wird in Zusammenarbeit mit vier Erst-
    kumulieren in Unterkünften für geflüchtete Menschen,                            aufnahmeeinrichtungen in Brandenburg und Nordr-
    wo viele Menschen mit unterschiedlichsten kulturellen                           hein-Westfalen (NRW) unter Einbindung und Beteili-
    Hintergründen und Biografien häufig auf engem Raum                              gung der mit uns kooperierenden Mädchen, ihrer Fami-
    zusammenleben. Verschiedene Studien zeigen deutlich,                            lien sowie Betreiber*innen und Mitarbeiter*innen der
    dass belastende Erfahrungen in der Kindheit lebens-                             Unterkünfte im Zeitraum von Februar 2018 bis Januar
    lange gesundheitliche sowie soziale Folgen nach sich                            2020 umgesetzt.
    ziehen können.11
    Zugleich verfügen Mädchen und junge Frauen über                                 Es gliedert sich in die vier Bausteine:
    ­individuelle Ressourcen, die es zu unterstützen und zu                         •   Bedarfsanalyse
     stärken gilt. Kreativität, Selbstwirksamkeitserleben,
     soziale Einbindung, Selbstwertgefühl – psychosoziale                           •   Mikroprojekte zur psychosozialen Unterstützung
    Ressourcen sind wesentlich für die Verarbeitung bela-                           •    etzwerk bestehend aus Expert*innen und
                                                                                        N
     stender Erlebnisse sowie die Stärkung von psychischer                              relevanten Akteur*innen
    Resilienz und Wohlbefinden.12 Um Mädchen und junge                              •   Werkzeugkoffer zur psychosozialen Unterstützung
    Frauen mit Fluchterfahrung optimal bei ihrer weiteren
    Entwicklung zu unterstützen, ist es daher unabding-

    7 Vgl. BAMF (2015). S. 21; BAMF (2016). S. 22; BAMF (2017). S. 19
    8    Ebd.
    9    Vgl. Rabe (2015)
    10    Vgl. Schouler-Ocak, Kurmeyer (2017)
    11 Vgl. Metzler et al. (2017). S. 141–149; Felitti et al. (1998). S. 245–258
    12 Vgl. Hobfoll (2002)
    13   Ableitung aus der Definition für mentale Gesundheit der Weltgesundheitsorganisation: WHO (2014)

8
Psychosoziale Unterstützung für Mädchen mit Fluchterfahrung - Ressourcen- und Bedarfsanalyse in vier Erstaufnahmeeinrichtungen in Deutschland Juli ...
Die Mikroprojekte werden auf Basis der Bedarfs­             1.1	Rechtslage in Deutschland: Die Situation
analyse von Mitarbeiter*innen der Erstaufnahmeein-               geflüchteter Kinder in der Erstaufnahme
richtungen gemeinsam mit den Mädchen erarbeitet und
in den Unterkünften durchgeführt. Sie stellen konkrete      Erstaufnahmeeinrichtungen sind laut Gesetzgebung für
Maßnahmen vor Ort zur niedrigschwelligen mittel- bis        die vorübergehende Unterbringung geflüchteter Men-
langfristigen psychosozialen Unterstützung der Mäd-         schen vorgesehen und beherbergen in der Regel meh-
chen in den Unterkünften dar.                               rere Hundert Bewohner*innen. Bundesweit verbindli-
                                                            che Mindeststandards für die Unterbringung geflüchte-
Schließlich fließen die Ergebnisse der Bedarfsanalyse       ter Kinder existieren nicht, Unterbringungsbedingun-
und Mikroprojekte in die Erstellung eines Werkzeug-         gen und Versorgungsleistungen sind abhängig von einer
koffers zur psychosozialen Unterstützung. Er enthält        Vielzahl an Variablen. Dazu gehören neben den landes-
praktische Tipps, Methoden und Hintergrundwissen für        gesetzlichen Vorgaben, Infrastruktur und Ausstattung
die Mädchen selbst, ihre Eltern sowie Mitarbeiter*innen     der Räumlichkeiten viele andere Faktoren. Durch die
und Betreiber*innen von Unterkünften, um Mädchen            mangelnden verbindlichen Vorgaben sind die Verwirkli-
und junge Frauen besser als bislang ressourcenorien-        chung der Kinderrechte und die vorrangige Berücksich-
tiert fördern zu können.                                    tigung des Kindeswohls nicht dauerhaft und flächen-
Ein bundesweites aktives Netzwerk aus Expert*innen          deckend sichergestellt.
und erfahrenen Fachkräften aus den Bereichen psycho-        Für die Unterbringung geflüchteter Menschen sind in
soziale Unterstützung, Flucht, Kinder- und Jugendhilfe      Deutschland die Länder und Kommunen zuständig. Die
sowie Genderarbeit begleitet, unterfüttert und reflek-      Landesaufnahmegesetze (LAufnG) der einzelnen Bun-
tiert den Prozess und dient der Verbreitung des Toolkits.   desländer regeln die Aufnahme, vorläufige Unterbrin-
                                                            gung und soziale Unterstützung geflüchteter Menschen
Im ersten Schritt untersuchte Save the Children             in den Landkreisen und kreisfreien Städten, soweit das
Deutschland e. V. mithilfe des Kooperationspartners         jeweilige Land zur Aufnahme dieser Personen gesetz-
Charité – Universitätsmedizin Berlin an den vier Stand-     lich verpflichtet ist. Auf der Grundlage der LAufnG wird
orten die Situation geflüchteter Mädchen in Erstauf-        die Unterbringung in den Bundesländern unterschied-
nahmeeinrichtungen. Mädchen und junge Frauen,               lich gehandhabt.
Eltern und Mitarbeiter*innen der Einrichtungen konn-        Mit der Asylantragstellung geht in der Regel die Wohn-
ten mithilfe verschiedener Methoden ihre Perspektiven       verpflichtung in einer Landesaufnahmeeinrichtung ein-
auf psychosoziale Bedarfe ausdrücken. Die so entstan-       her. Die Verweildauer in Landesaufnahmeeinrichtun-
denen ganzheitlichen Eindrücke von den Lebensreali-         gen unterscheidet sich je nach Bundesland; in Bran-
täten der Mädchen wurden mithilfe eines qualitativen        denburg beträgt sie beispielsweise maximal sechs
Analyseverfahrens ausgewertet und sind Grundlage            Monate. Nach diesen sechs Monaten sollen geflüch-
des vorliegenden Berichts.                                  tete Menschen in Brandenburg auf die Landkreise und
Im Folgenden wird die von Save the Children Deutsch-        kreisfreien Städte verteilt werden, wo sie in Gemein-
land e. V. und der Charité – Universitätsmedizin Berlin     schaftsunterkünften, Wohnungsverbünden oder Über-
erarbeitete Analyse psychosozialer Bedarfe geflüch-         gangswohnformen untergebracht werden. Dies gilt
teter Mädchen in Erstaufnahmeeinrichtungen im Zuge          allerdings nicht für geflüchtete Menschen mit schlech-
des Projekts Mädchen.Machen.Mut. vorgestellt.               ter Bleibeperspektive; für sie findet die Frist von sechs
                                                            Monaten bis zur Umverteilung keine Anwendung.14
                                                            In NRW dagegen wurde ein dreistufiges System der
                                                            Landesaufnahme und -unterbringung geschaffen, das
                                                            geflüchtete Menschen dazu verpflichtet, die drei Unter-
                                                            bringungsformen Landeserstaufnahmeeinrichtung,
                                                            Erstaufnahmeeinrichtung und Zentrale Unterbrin-
                                                            gungseinrichtung zu durchlaufen. Aus der Zentralen

14   Vgl. Land Brandenburg (2019)

                                                                                                                        9
Psychosoziale Unterstützung für Mädchen mit Fluchterfahrung - Ressourcen- und Bedarfsanalyse in vier Erstaufnahmeeinrichtungen in Deutschland Juli ...
Unterbringungseinrichtung werden geflüchtete Men-          in Einzelfällen zu einem Schulplatz verhilft.18
     schen entweder auf die Kommunen verteilt oder es           Auch in Brandenburg setzt die Schulpflicht erst mit
     erfolgt die Ausreise oder Abschiebung.15                   der Zuweisung in eine Kommune ein. Geflüchtete Kin-
     Der Zeitraum, den Menschen in Erstaufnahmeeinrich-         der werden, solange sie in einer Erstaufnahmeeinrich-
     tungen und Gemeinschaftsunterkünften verbringen, ist       tung leben, also nicht beschult. In den Erstaufnahmeein-
     in den LAufnG unterschiedlich reglementiert. Während       richtungen finden allerdings Sprachförderkurse statt,
     sich die maximale Aufenthaltsdauer in einer Gemein-        die Kinder auf den regulären Schulbesuch vorbereiten
     schaftsunterkunft in NRW auf zwei Jahre beläuft,16         sollen. Die mit einer Regelbeschulung gewährleistete
     findet sich im LAufnG des Landes Brandenburg für           Anbindung an gesellschaftliche Strukturen und die Mög-
     geflüchtete Menschen keine genauere Angabe hinsicht-       lichkeit der Kontaktaufnahme zu gleichaltrigen Kindern
     lich der maximalen Verweildauer.                           jenseits der Unterkunft bleibt jedoch aus. Gesetzlichen
     Für Unterbringung und Schutz geflüchteter Kinder und       Anspruch auf einen Kita-Platz haben geflüchtete Kin-
     ihrer Familien existieren keine bundesweit einheitlichen   der in Deutschland mit Vollendung des ersten Lebens-
     und verbindlichen Standards, wie es sie beispielsweise     jahrs wie alle anderen Kinder in Deutschland auch. Die-
     in der Kinder- und Jugendhilfe gibt.17                     ser wird jedoch in der Regel erst umgesetzt, wenn ein
     So existieren in Unterkünften für geflüchtete Men-         gewöhnlicher Aufenthalt besteht, also frühestens nach
     schen oft keine Rückzugsräume für Frauen und Kin-          dem Verlassen der Erstaufnahmeeinrichtung.
     der, es fehlt an geschlechtsgetrennten abschließbaren      Aber selbst wenn geflüchtete Kinder und ihre Eltern die
     Sanitäranlagen oder geschützten Spielräumen. Des           Erstaufnahmeeinrichtungen verlassen haben und den
     Weiteren sind Kinder nicht zur Genüge vor gewalt-          Kommunen zugewiesen wurden, ist der Anteil derjeni-
     tätigen Ausschreitungen in den Unterkünften zwi-           gen, die eine Kita besuchen, vergleichsweise niedrig.19
     schen Bewohner*innen oder mit dem Sicherheitsper-          Gründe für die geringen Quoten sind fehlende Kennt-
     sonal geschützt; besonders deutlich wird dies z. B. im     nisse und Erfahrungen von Eltern hinsichtlich staatlicher
     Zusammenhang mit der Durchsetzung von Abschie-             Betreuungs- und Erziehungssysteme. Hinzu kommt der
     bungen. Auch ist der flächendeckende Personaleinsatz       strukturelle Mangel an Kitaplätzen in vielen Regionen
     von Kinderschutzfachkräften zur Einschätzung von Kin-      Deutschlands.20 Sowohl der Kita- als auch der Schul-
     deswohlgefährdungen in Unterkünften für geflüchtete        besuch geflüchteter Kinder sind aber entscheidend, um
     Menschen nicht sichergestellt.                             nicht nur das Recht auf Bildung, sondern auch die Betei-
                                                                ligungsrechte von Kindern zu gewährleisten.
     Da Bildung Ländersache ist, hängt die Umsetzung des
     Rechts auf Bildung für geflüchtete Kinder in Deutsch-      Die gesundheitliche Versorgung von geflüchteten
     land davon ab, welchem Bundesland sie zugewiesen           Menschen ist in den §§ 4, 6 Asylbewerberleistungs-
     werden.                                                    gesetz (AsylblG) geregelt. Eine medizinische Versor-
     In Bezug auf die Schulbildung wird in den Schulgesetzen    gung ist bei akuten Erkrankungen und Schmerzzustän-
     der einzelnen Bundesländer zwischen Schulpflicht und       den mit ärztlicher und zahnärztlicher Versorgung zu
     Schulbesuchsrecht unterschieden. So greift in NRW die      gewährleisten, „einschließlich der Versorgung mit Arz-
     Schulpflicht für begleitete geflüchtete Kinder erst nach   nei- und Verbandmitteln, sowie sonstiger zur Genesung,
     der Zuweisung in eine Kommune (was, wie oben dar-          zur Besserung oder Linderung von Krankheiten oder
     gelegt, bis zu 24 Monate dauern kann). Das bedeutet,       Krankheitsfolgen erforderlichen Leistungen.“ Zudem
     dass die in einer Landesaufnahmeeinrichtung lebenden       sind die amtlich empfohlenen Schutzimpfungen inbe-
     Kinder lediglich ein Schulbesuchsrecht haben, das nur      griffen, ebenso wie alle Leistungen bei Schwangerschaft

     15 Vgl. Flüchtlingsrat NRW (2019)
     16   Vgl. Landesaufnahmegesetz (LAufG) NRW §4 (2)
     17   Vgl. Save the Children Deutschland (2018a). S. 24
     18   Vgl. Schulgesetz NRW §34 (6)
     19   Vgl. Save the Children Deutschland (2018b). S. 44
     20   Vgl. Bogumil, Hafner & Kastilan (2017). S. 60

10
© Save the Children

 und Geburt. Da sich § 4 lediglich auf die Akut- und Not-     den in ihrem Fall jedoch auch stark von der psychischen
 versorgung beschränkt, kommt § 6 AsylbLG als Auf-            Situation der Eltern, deren Unterstützung und Bewälti-
 fangklausel eine wichtige Bedeutung zu. Danach erhal-        gung von Belastungen beeinflusst.
 ten geflüchtete Kinder „sonstige Leistungen“, wenn
 diese zur „Sicherung der Gesundheit“ oder „Deckung           Beteiligungsrechte für geflüchtete Menschen werden
 besonderer Bedürfnisse“ notwendig sind. Hierbei han-         in den LAufnG generell nur begrenzt berücksichtigt. In
 delt es sich jedoch weitgehend um Ermessensnormen,           Brandenburg wird darauf aufmerksam gemacht, dass
 was in vielen Fällen eine Ablehnung von Psychothera-         die Bereitstellung von Unterkünften für geflüchtete
 pien zur Folge hat. In dieser Hinsicht stehen die Rege-      Menschen bedeutet, „den Bewohnerinnen die Teilhabe
 lungen des AsylblG im Widerspruch zu den Vorgaben            am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen“ und „sozi-
 der UN-Kinderrechtskonvention sowie zur EU-Aufnah-           ale Beratung und Betreuung (Migrationssozialarbeit)“
 merichtlinie. Die sogenannte EU-Aufnahmerichtlinie 14        zu gewährleisten. Außerdem wird auf die Sicherung
 sieht vor, dass asylsuchende Menschen mit besonderen         der Leistungen für Teilhabe nach dem AsylbLG hinge-
 Bedürfnissen – wie etwa psychischen Störungsbildern          wiesen, was zum größten Teil lediglich die Übernahme
– bei Bedarf psychologische Unterstützung erhalten.           von Schulkosten beinhaltet, sofern die Möglichkeit des
„Den Antragstellern mit besonderen Bedürfnissen bei           Schulbesuchs besteht. In NRW werden die Leistungen
 der Aufnahme soll die erforderliche medizinische oder        wenig bis nicht weiter ausdifferenziert beschrieben. In
 sonstige Hilfe, einschließlich erforderlichenfalls einer     der Praxis haben Kinder sehr eingeschränkten Einfluss
 geeigneten psychologischen Betreuung gewährleistet           auf ihre Beteiligung und Teilhabe.
 werden“ (siehe Artikel 19, Abs. 2). Minderjährige gel-       Das Recht auf Partizipation bedeutet den Einbezug von
 ten generell als besonders schutzbedürftige Personen,        Menschen und Kindern in alle sie betreffenden Ange-
 deren Wohl eine vorrangige Berücksichtigung erfährt.         legenheiten. Eine ganz grundlegende Verletzung des
 Es soll demnach ein Lebensstandard gewährleistet wer-        Rechts auf Partizipation stellt dabei die Essensversor-
 den, der „der körperlichen, geistigen, seelischen, sittli-   gung in Unterkünften für geflüchtete Menschen dar:
 chen und sozialen Entwicklung des Kindes“ entspricht         Bewohner*innen können nicht selbst kochen, sondern
 (siehe Artikel 23, Abs. 1). Im aktuellen Versorgungs-        müssen zu fest reglementierten Zeiten Kantinenessen
 bericht der Bundesweiten Arbeitsgemeinschaft der             zu sich nehmen.
 psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folterop-
 fer (BAfF) wird darauf hingewiesen, dass geflüchtete         Das Konglomerat dieser gesetzlichen Regelungen bil-
 Kinder generell ähnlichen Belastungsfaktoren ausge-          det den Hintergrund, vor dem diese Studie und ihre
 setzt sind wie Erwachsene. Die Bewältigung schwieri-         Ergebnisse zu lesen sind.
 ger Erfahrungen und der Umgang mit Ressourcen wer-

                                                                                                                              11
2. Methodik

     2.1 Datenerhebung                                           erfahrungen und geschlechtsspezifischer Traumatisie-
                                                                 rungen ein bestmöglichstes Vertrauensverhältnis her-
     Die Daten für die Ressourcen- und Bedarfsanalyse wur-       zustellen, wurden ausschließlich Frauen als Projektmit-
     den in allen vier Einrichtungen jeweils auf verschiedenen   arbeiterinnen eingesetzt.
     Wegen erhoben, um ein möglichst umfassendes Bild der        Als Bindeglied zwischen Projektteam und Einrichtung für
     jeweiligen Situation zu gewinnen. Zum einen wurden          den Zeitraum der Datenerhebung wirkten zwei lokale
     in speziell entwickelten muttersprachlichen Leitfaden­      Mitarbeiterinnen von Save the Children. Diese Prozess-
     interviews und Fokusgruppen mit den Mädchen und jun-        begleiterinnen waren mit den Einrichtungsstrukturen
     gen Frauen sowie deren Eltern die individuellen Perspek-    vertraut und sorgten für eine erfolgreiche Vorberei-
     tiven der Bewohner*innen in den Mittelpunkt gerückt.        tung und Koordination des Projekts. Sie waren eben-
     Ergänzend zu den Interviews konnten die Mädchen             falls während der Durchführung der Erhebungen vor
     außerdem an Workshops unter Anwendung der Photo-            Ort und unterstützten einen reibungslosen Ablauf sowie
     voice-Methode teilnehmen. Dies stellte eine zusätzliche     die Kommunikation zwischen ortsansässigen Teams und
     Möglichkeit zum kreativen und nonverbalen Ausdruck          den angereisten Projektmitarbeiterinnen. Das Projekt
     der eigenen Ressourcen und Bedarfe dar. Darüber hin-        wurde von jeweils einer Prozessbegleiterin in Branden-
     aus wurden auch Mitarbeiter*innen der Einrichtungen         burg und NRW unterstützt.
     durch Anwendung von Leitfadeninterviews befragt. Ziel
     war auch hier, einen Einblick in die verschiedenen Per-        2.1.2 Leitfadeninterviews und Fokusgruppen
     spektiven der in den Einrichtungen tätigen Akteur*innen
     und ein besseres Verständnis der zusammenwirkenden          Vor Durchführung der Einzelinterviews und Fokusgrup-
     Kräfte an den jeweiligen Standorten zu erhalten.            pen wurden die Studienteilnehmer*innen von den Pro-
     Die Zustimmung der Ethikkommission der Charité              jektmitarbeiterinnen von Save the Children zu Inhalten,
     (EA2/167/18) und der Datenschutzbeauftragten der            Abläufen und Freiwilligkeit sowie Schutzmechanismen
     Charité – Universitätsmedizin Berlin sowie von Save         aufgeklärt. Die Einverständniserklärungen wurden bei
     the Children Deutschland e. V. lag für die Studie Mäd­      den minderjährigen Mädchen von entsprechenden Erzie-
     chen.Machen.Mut. vor. Zudem erfolgten alle Schritte         hungsberechtigten mitunterschrieben. Zwischen der
     der Studie in enger Zusammenarbeit mit der Kinder-          Aufklärung und der Durchführung der Interviews und
     schutzbeauftragten von Save the Children. Die Daten­        Fokusgruppen lagen mindesten 24 Stunden. Die Inter-
     erhebung fand im Zeitraum zwischen Oktober und              views erfolgten an bestimmten Stichtagen, die vorher
     Dezember 2018 in allen vier Einrichtungen statt. Dabei      zufällig festgelegt wurden.
     wurden 83 Beteiligte (43 Mädchen, 33 Elternteile und 17     Die wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen wurden zuvor
     Mitarbeiter*innen) über Interviews, Fokusgruppen und        zu Child Safeguarding21 und kindersensiblem Interview-
     kreative Workshops erreicht.                                setting geschult und während der Interviews engma-
                                                                 schig supervidiert.
                                                                 In individuell von muttersprachlichen wissenschaftli-
          2.1.1 O rganisation, Analyse und Zusammen­            chen Mitarbeiterinnen der Charité – Universitätsme-
                 arbeit mit den Einrichtungen                    dizin Berlin durchgeführten Interviews wurden Res-
     Federführend für die Umsetzung des Projekts und die         sourcen und Bedarfe von Mädchen zwischen zehn und
     Kooperation mit den Unterkünften ist Save the Child-        14 Jahren anhand eines Leitfadens erfragt. Fokusgrup-
     ren Deutschland e. V.                                       pendiskussionen fanden mit älteren Mädchen (15 bis 20
     Die muttersprachliche Erhebung, Aufbereitung und            Jahre) statt. Während die Einzelinterviews vom persön-
     Analyse der Interview-Daten wurde von einem multi-          lichen Face-to-Face-Setting profitierten, lag die Stärke
     kulturellen, psychosozial geschulten Team der Charité –     der Fokusgruppendiskussionen in der Möglichkeit, auch
     Universitätsmedizin Berlin durchgeführt. Um angesichts      Interaktionen sowie die Entwicklung von Themenfel-
     möglicherweise vorliegender sexualisierter Gewalt­          dern und Ideen in der Gruppe zu erfassen.22 Beide Set-

     21   Vgl. Save the Children Deutschland (2017)
     22   Vgl. Smithson (2007)

12
tings waren hilfreich zur Untersuchung der im Projekt-
kern enthaltenen Fragestellungen: Die Interview- und          •    önnen Sie sich noch an Ihre Ankunft hier
                                                                  K
Fokusgruppenfragen kreisten um die Themenfelder                   erinnern? Wie haben Sie sich gefühlt?
•     edürfnisse und Ressourcen im Alltag in
     B                                                        •    as hat sich in der Zwischenzeit geändert?
                                                                  W
     der Unterkunft                                               Wie geht es Ihnen jetzt?
•    Selbstwirksamkeit und persönliche Ressourcen             •    enn Sie die Möglichkeit hätten, etwas in
                                                                  W
•    Veränderungswünsche und                                      der Unterkunft zu verändern, was würden
                                                                  Sie machen?
•    Empfehlungen für gleichaltrige Mädchen.
                                                              •    nd was sollte sich aus Ihrer Sicht für
                                                                  U
Der Ressourcenbegriff adressiert hier psychische, sozi-           Ihre Tochter/Töchter in dieser Unterkunft
ale und materielle Bewältigungspotenziale in den Lebens-          ändern?
realitäten der Mädchen und jungen Frauen; Interview-          •    as brauchen Sie als Mutter/Vater, um
                                                                  W
fragen hierzu wurden entsprechend in kindgerechter                Ihre Tochter/Töchter zu unterstützen?
Sprache entwickelt. Die Fragen des Interview­leitfadens       •    önnten Sie berichten, ob sich in Ihrer
                                                                  K
für Mädchen von zehn bis 14 Jahren lauteten wie folgt:            Rolle als Mutter/Vater seit Ihrer Ankunft
                                                                  etwas verändert hat?
     •    annst du dich noch an deine Ankunft hier
         K                                                    •    enn Sie sich für die Zukunft drei Dinge
                                                                  W
         erinnern? Wie hast du dich gefühlt?                      wünschen könnten, was würden Sie sich für
     •    ab es etwas, das du gerne anders gehabt
         G                                                        sich und Ihre Tochter/Töchter wünschen?
         hättest?
     •    un bist du schon ein bisschen hier. Wie
         N
         geht es dir jetzt?                                Die Interviews und Diskussionen dauerten in der Regel
                                                           zwischen 20 und 60 Minuten. Die wissenschaftlichen
     •   Was gefällt dir hier am meisten?                 Mitarbeiterinnen der Charité – Universitätsmedizin­
     •   Was machst du, wenn es dir nicht gut geht?       Berlin waren Muttersprachlerinnen der jeweiligen Inter-
     •    enn du die Möglichkeit hättest, etwas in
         W                                                 viewsprache. Dadurch und aufgrund der psychosozialen
         der Unterkunft zu verändern, was würdest          professionellen Hintergründe aller Interviewerinnen war
         du machen?                                        es möglich, die Mädchen und Eltern auch bei belasten-
                                                           den Themen empathisch, kultursensibel und der Situa-
     •    enn es eine gute Fee gäbe, die dir drei
         W                                                 tion angemessen durch das Interview zu führen. Dies
         Wünsche erfüllen würde, was würdest du            war insbesondere wichtig, um im engen zeitlichen Rah-
         dir von ihr wünschen?                             men des Interviews mit einer bis dato unbekannten Per-
     •    ibt es etwas, das du gleichaltrigen
         G                                                 son ein vertrauensvolles und sicheres Gesprächsklima zu
         Mädchen sagen oder empfehlen möchtest?            generieren.23 Zusätzlich war das Projektteam gemein-
                                                           sam mit Save the Children im Rahmen einer Schulung
                                                           auf Aspekte der kinderspezifischen und traumasensib-
Ebenso fanden Einzelinterviews und Fokusgruppen-           len Interviewführung vorbereitet worden.
diskussionen mit den Eltern der Mädchen und jungen
Frauen statt. Auch hier standen die individuellen Per-     Mitarbeiter*innen der jeweiligen Standorte wurden
spektiven auf Ressourcen der Mädchen, aber auch der        von der Projektleiterin von Save the Children in Ein-
Eltern selbst mit ihren spezifischen Aufgaben und Rol-     zelinterviews befragt. Die Leitfäden zu diesen Inter-
len im Fokus. Analog zu den Interviews und Fokusgrup-      views gliederten sich in jeweils einen fachspezifischen
pen der Mädchen wurden hier Veränderungswünsche            und einen allgemeinen Teil. Auch hier lag der Fokus
und Bedarfe erfragt:                                       auf Ressourcen, Bedarfen und Problemen von Kin-

23   Vgl. Mey & Mruck (2010)

                                                                                                                     13
dern, Eltern, ebenso aber der Mitarbeiter*innen in der      Die Workshops wurden jeweils von einer Mitarbeite-
     jeweiligen Einrichtung, bei denen die Einzelinterviews je   rin von Save the Children Deutschland – einer psycho-
     nach Ausführlichkeit der Antworten zwischen 20 und          dynamisch ausgebildeten Kunsttherapeutin – durchge-
     40 Minuten dauerten.                                        führt. Unterstützend begleitet wurden die Workshops
                                                                 von der jeweiligen Prozessbegleiterin und verschiede-
                                                                 nen Sprachmittlerinnen. Alle Workshops waren einige
          •   Welche Rolle haben Sie in der Einrichtung?         Tage nach den muttersprachlichen Interviews für einen
          •    elche psychosozialen Unterstützungs­
              W                                                  Zeitraum von jeweils 10:00 bis 16:30 Uhr angesetzt.
              angebote gibt es in der Einrichtung?               Zu Beginn eines jeden Workshops wurden alle Anwe-
          •   S ind diese Angebote für alle zugänglich,         senden zunächst gebeten, sich innerhalb eines Stuhl-
               auch für Kinder?                                  kreises mithilfe von Bildkarten vorzustellen. Jede Teil-
                                                                 nehmerin gab dabei ihren Namen, ihr Alter und ihre
          •    ibt es spezifische Angebote für Mädchen
              G                                                  Herkunft an und erläuterte kurz, warum sie die von
              und junge Frauen?                                  ihr gewählte Karte ausgesucht hatte. Ziel dieser Akti-
          •   S ehen Sie Versorgungs- oder                      vität war ein erstes Kennenlernen aller Beteiligten
               Betreuungslücken?                                 sowie die Einleitung einer ersten gemeinsamen Refle-
          •   Ist das Essensangebot in der                      xion über die potenzielle Bedeutung von Bildern in
               Einrichtung nach Ihrer Meinung für                unserem Leben. Im Anschluss daran wurden die Mäd-
               alle Bewohner*innen geeignet?                     chen eingeladen, Collagen zum Thema „Das bin ich“ zu
                                                                 gestalten. Hierfür wurden ihnen verschiedene Materi-
          •   S ind Mitarbeiter*innen geschult,                 alien wie Kleber, buntes Papier, Filzstifte, Glitzerarti-
               psychosoziale Belastungen zu erkennen?            kel, verschiedene Zeitschriften und Aufkleber bereit-
                                                                 gestellt. Für die Aktivität waren einschließlich einer
                                                                 gemeinsamen Besprechung der entstandenen Kunst-
     Alle Interviews und Fokusgruppen wurden mithilfe von        werke jeweils 90 Minuten angesetzt. Zu Beginn der
     Audioaufnahmegeräten gesichert. Im Vorfeld der Ana-         hierauf folgenden zweistündigen Mittagspause erhiel-
     lyse wurden die Texte nach Standards der qualitativen       ten die Teilnehmerinnen Digitalkameras und konnten
     Sozialforschung transkribiert und von Mitarbeiterin-        im Sinne der Photovoice-Methode jeweils drei Fotos
     nen der Charité – Universitätsmedizin Berlin, die beide     zur Thematik „Was ich anderen Menschen über mein
     Sprachen fließend beherrschen, ins Deutsche übersetzt.      Leben zeigen und erzählen möchte“ schießen. Diese
     Alle Daten wurden anonym erhoben. Personenbezo-             Fotos wurden bei ihrer Rückkehr im Format 10x14 cm
     gene Daten wurden nicht erhoben, um eine Reidentifi-        ausgedruckt und die Mädchen wurden gebeten, sie auf
     kation unmöglich zu machen.                                 sogenannte „Storyboards“ zu montieren, die sie dann
                                                                 mit schriftlichen Untertiteln oder Zeichnungen wei-
          2.1.3 Photovoice                                       ter ausgestalten konnten. Die in verschiedenen Spra-
                                                                 chen angefertigten Sätze und Beschreibungen wurden
     Zusätzlich zur verbalen Datenerhebung wurden den für        nach Angaben der jeweiligen Sprachmittlerin vor Ort
     Interviews und Fokusgruppen infrage kommenden Mäd-          übersetzt. Einschließlich einer weiteren gemeinsamen
     chen und jungen Frauen kreative Workshops angebo-           Besprechung und Reflexion der entstandenen Werke
     ten, in denen nach der Photovoice-Methode gearbeitet        wurden hierfür am Nachmittag insgesamt 150 Minu-
     wurde. Photovoice ist eine community-basierte partizi-      ten eingeplant. Zu Beginn der fotografischen Aktivität
     pative Forschungsmethode. Sie ist hervorragend geeig-       wurden die Mädchen darauf hingewiesen, dass sie auf-
     net, um nonverbal und über Sprachbarrieren hinweg           grund der Anonymisierung der Bilder weder ihre eige-
     Perspektiven und Lebenswelten der (häufig aus mar-          nen Gesichter noch diejenigen anderer Menschen foto-
     ginalisierten Gruppen stammenden) Teilnehmer*innen          grafieren durften. Hinzu kamen individuelle Einschrän-
     zu rekonstruieren.24                                        kungen der jeweiligen Erstaufnahmeeinrichtungen.

     24   Vgl. Migliorini & Rania, 2017; Sutton-Brown (2014)

14
Albanisch             Arabisch          Farsi / Dari           Russisch            Türkisch

                     Kind         Eltern   Kind     Eltern    Kind       Eltern     Kind   Eltern       Kind   Eltern        ges.
 Einrichtung A         9           13       1           —     —           —         —        —           —          —        23
 Einrichtung B        —            —        3           2      3             8      —        —           —          —        16
 Einrichtung C        —            —        1           —     —           —          3       4           —          —         8
 Einrichtung D        —            —       —            —     —              2      —        —           1          4         7
            ges.       9           13       5           2      3          10         3       4           1          4        54

Tabelle 1: Übersicht befragter Sprachgruppen nach Standort und Zielgruppe

                                           Einzelinterviews                                          Fokusgruppen

                            Kinder                Eltern        Mitarbeiter*innen          Kinder                   Eltern
 Einrichtung A                7                    —                     5                       1                      2
 Einrichtung B                3                     2                    4                       1                      2
 Einrichtung C                5                     4                    4                   —                       —
 Einrichtung D                1                     6                    4                   —                       —
            ges.             16                     6                    17                      2                      4

Tabelle 2: Übersicht Fokusgruppen und Einzelinterviews nach Standort

Die so entstandenen Kunstwerke und verbalen Äuße-                    up, ausgehend von den Perspektiven der befragten
rungen wurden von der zuständigen Workshop-Lei-                      Personen untersucht, welche Ressourcen und Bedarfe
terin visuell und deskriptiv zusammengefasst und um                  bei jungen Mädchen und Frauen in Unterkünften für
eigene fachliche Beobachtungen und Analysen ergänzt.                 geflüchtete Menschen vorliegen. Die in Form von Inter-
Diese Workshop-Ergebnisse wurden im Anschluss                        viewtranskripten und der Ergebnisse aus den kreati-
ebenfalls auf Themencluster und inhaltliche Besonder-                ven Workshops vorliegenden Daten wurden mithilfe
heiten untersucht und in Ergänzung zu den Befragungs-                der qualitativen Inhaltsanalyse betrachtet. Bei einer
daten qualitativ inhaltsanalytisch bearbeitet.                       solchen Betrachtung können Textbestandteile kodiert
                                                                     und dann systematisch und regelgeleitet in ein sich
                                                                     stets weiterentwickelndes Kategorienschema einge-
2.2 Qualitative Inhaltsanalyse                                       ordnet werden. So können auch größere Datenmen-
                                                                     gen auf klare und überprüfbare Weise analysiert wer-
Als weitverbreitetes Instrument sozialwissenschaftli-                den.26 Mithilfe der so durchgeführten Aufbereitung der
cher Datenanalyse25 ist die qualitative Inhaltsanalyse               erhobenen Daten werden wiederkehrende Themenbe-
sehr gut geeignet, um mit offenen, explorativen Frage-               reiche deutlich und können im Anschluss auch quantita-
stellungen in komplexen Zusammenhängen zu arbei-                     tiv-deskriptiv in Bezug auf die Fragestellung ausgewer-
ten. Im Falle des vorliegenden Berichts wurde bottom-                tet werden. Hierzu werden im Falle der vorliegenden

25   Vgl. Mayring (2010)
26   Vgl. Hsieh & Shannon (2005)

                                                                                                                                    15
Untersuchung Häufigkeiten der genannten Bedarfe           jungen Frauen wurden sowohl in Einzelinterviews als
     und Ressourcenfaktoren bestimmt und miteinander           auch im Fokusgruppensetting befragt (siehe Tab. 2).
     verglichen. Dies erlaubt eine Aussage über besonders      Die Zielgruppe der kreativen Workshops waren Mäd-
     relevante und dringende Bedarfe und daraus abgelei-       chen im Alter von zehn bis 14 Jahren, wobei die Alters-
     tete Handlungsempfehlungen.                               spanne aufgrund individueller Anfragen bei der Durch-
                                                               führung teilweise auf acht bis 14 Jahre erweitert wurde.
     Die Grundlage für den vorliegenden Bericht bildet eine    Ein Workshop wurde von insgesamt 14 Mädchen
     qualitative Inhaltsanalyse mit der Analysesoftware        besucht, während die anderen drei lediglich zwei bis
     MAXQDA 2018.                                              vier Teilnehmerinnen hatten. Insgesamt wurden die vier
                                                               kreativen Workshops von 22 Mädchen besucht.
                                                               Die Zusammensetzung der endgültigen Stichprobe war
     2.3 Stichprobe und deskriptive Daten                      bis zum jeweiligen Erhebungstag unklar. Dies ist auf die
                                                               zum Teil hohe und nicht immer vorhersehbare Fluk-
     Im Rahmen der Mädchen.Machen.Mut.-Bedarfsanalyse          tuation an den Standorten aufgrund von Transfer in
     konnten durch muttersprachliche Interviewerinnen und      andere Einrichtungen zurückzuführen. Ebenso ist auch
     Sprachmittlerinnen fünf Sprachgruppen abgedeckt wer-      die geringe Verbindlichkeit der – selbstverständlich
     den: Albanisch, Arabisch, Farsi/Dari, Russisch und Tür-   freiwilligen – Teilnahmezusagen ein möglicher Grund,
     kisch. An allen Standorten wurden die dort jeweils am     obwohl während der Informationsveranstaltungen zu
     häufigsten vorkommenden Sprachgruppen durch die           den Erhebungen mit großem Engagement für die Teil-
     Interviews und Fokusgruppen abgedeckt (siehe Tab. 1).     nahme geworben wurde.
                                                               Mitarbeiter*innen der Standorte wurden nach Mög-
     Zielgruppe der Einzelinterviews waren Mädchen zwi-        lichkeit aus unterschiedlichen fachlichen Bereichen und
     schen zehn und 14 Jahren, Fokusgruppeninterviews fan-     Ebenen für die Befragung herangezogen. So konnten
     den überwiegend mit Mädchen zwischen 15 und 20 Jah-       von der Psychologin oder Ersthelferin über den Sozi-
     ren statt. Aufgrund teilweise geringer Teilnehmerinnen-   aldienst bis zur Leitungsebene ganz unterschiedliche
     zahlen wurden auch einzelne Interviews mit Mädchen        strukturelle und professionelle Perspektiven berück-
     ab 15 Jahren durchgeführt. Die Eltern der Mädchen und     sichtigt werden.

16
                                                                                                     © Bastian Strauch / Save the Children
3. Ergebnisse der standort- und zielgruppenbezogenen Analyse

3.1 Einrichtung A (Nordrhein-Westfalen)                 Im Folgenden werden im Hinblick auf Häufigkeit und
                                                        besondere Dringlichkeit nur Themen aufgeführt, die
In der ersten Einrichtung konnten insgesamt 28 Perso-   an mindestens vier Stellen in den Gesprächen genannt
nen für die Erhebung gewonnen werden – zehn Mäd-        wurden (siehe Abb. 2).
chen, 13 Elternteile und fünf Mitarbeiter*innen. Die
Interviews fanden im Oktober 2018 statt, der kreative   Am häufigsten wurden der Wunsch nach Schulbesuch
Workshop eine Woche nach der Befragung. Ein Groß-       genannt und die Unzufriedenheit damit, dass dieser
teil der befragten Mädchen und deren Eltern stammte     aufgrund des derzeitigen Aufenthaltsstatus nicht mög-
aus Albanien und dem Kosovo, außerdem wurde ein         lich ist. Auch wurden Lernen und Schule als wichtige
Mädchen aus Somalia auf Arabisch befragt.               Ressourcen erwähnt. Dies geschah insbesondere in
                                                        Verbindung mit einem starken Wunsch nach Kenntnis-
   3.1.1 Mädchen                                        sen der deutschen Sprache – mehrfach wurde auch ein
                                                        positives Verhältnis zu Deutschland und deutscher Kul-
Interviews und Fokusgruppendiskussionen                 tur beschrieben. Ebenso benannten Mädchen den Auf-
Die befragten Mädchen in Unterkunft A äußerten sich     enthalt in der Natur – z. B. bei Ausflügen, Spaziergän-
besonders häufig zu den Themen Bildung, Wohnsitua-      gen und Sport an der frischen Luft – als wichtige Frei-
tion, Gesundheit, soziale und individuelle Ressourcen   zeitaktivität und Coping-Strategie bei negativen Gefüh-
und zum Aufenthalt in Deutschland (für einen Über-      len, auch gemeinsam mit gleichaltrigen Freund*innen
blick siehe Abb. 1).                                    aus der Unterkunft. Als problematisch wurde sehr häu-
                                                        fig die Hygiene in der Einrichtung benannt. Die allge-

      Abbildung 1: Themenwolke Mädchen Einrichtung A

          Probleme      Ressourcen      Wünsche

                                                                                                                  17
Hygiene Unterkunft
     Probleme

                  Familientrennung
                  Medizinische Versorgung
                  Schulbesuch nicht möglich

                  Psychosoziale Versorgung
                  Natur
     Ressourcen

                  Sport
                  Wohlfühlen in Deutschland
                  Freund*innen / Gleichaltrige
                  Selbsthilfestrategien

                  Schule
                  Eigene Wohnung
     Wünsche

                  Gesicherter Aufenthalt
                  Deutsch lernen
                  Gesundheit Familie
                  Privatsphäre
                  Häufigkeit der Nennung            0      2      4         6         8        10       12        14        16

                  Abbildung 2: Ressourcen und Bedarfe Mädchen Einrichtung A

                     Probleme          Ressourcen       Wünsche

     meine Sauberkeit in den gemeinsam genutzten Sanitär-             allerdings gab es Kritik an der medizinischen Versor-
     anlagen wurde trotz regelmäßiger professioneller Rei-            gung. In den Augen der Mädchen sind in der Vergan-
     nigung als unzureichend beschrieben. Ekel und Angst              genheit kranke Personen nicht ernstgenommen wor-
     vor Erkrankungen wurden häufig erwähnt. Außerdem                 den, so seien zum Beispiel Krankenwagen zu spät geru-
     wünschten sich die Mädchen, insbesondere aufgrund                fen oder Symptome als nicht ausreichend schwerwie-
     der einsetzenden Pubertät und der damit einhergehen-             gend eingestuft worden. Aufgrund von Sprachbarrie-
     den Veränderungen im Umgang mit dem eigenen Kör-                 ren sei eine Verständigung nicht möglich gewesen. In
     per, mehr Rückzugsmöglichkeiten in den Sanitäranla-              den Interviews wurde deutlich, dass die Mädchen sich
     gen (Zitat: „Einmal haben die auf den Fliesen, da wo die         häufig Sorgen um ihre kranken Angehörigen machen.
     Dusche ist, den Abfall der Tage (benutzte Binden) ein-
     fach hingeworfen. Da kommen auch kleine Jungs (…),               Kreativer Workshop mit Photovoice-Methode
     das ist peinlich. [flüstert:] Ich habe auch die Tage bekom-      Am Workshop nahmen insgesamt 14 Mädchen teil. Bei
     men.“ (Mädchen, Albanien, 12 Jahre). Auch berichtete             der Auswertung der Ergebnisse fiel auf, dass vor allem
     ein Mädchen, dass die Toiletten sich auf einem anderen           Schönheit und Ästhetik eine wichtige Rolle für die teil-
     Stockwerk befinden und sie nachts Angst habe, diese              nehmenden Mädchen spielen. Negatives oder Hässli-
     alleine aufzusuchen. In Zusammenhang damit wurde                 ches wurden kaum dargestellt, stattdessen insbeson-
     ebenfalls häufig der Wunsch nach mehr Rückzugsmög-               dere bei den Collagen zur eigenen Identität viel mit
     lichkeiten für die Familien in der Einrichtung und per-          Glitzer und ästhetisch anmutenden Elementen im Sinne
     spektivisch nach einer eigenen Wohnung geäußert.                 der westeuropäischen Schönheitsideale gearbeitet. Mit
     Die psychosoziale Versorgung in Einrichtung A wurde              Blick auf die identitätsbezogenen Entwicklungsaufga-
     als überwiegend positiv und hilfreich beschrieben,               ben der Pubertät kann dies als Hinweis darauf gedeutet

18
werden, dass sich die Mädchen mit der eigenen Rolle
und dem Platz in der neuen deutschen Umgebung aus-
einandersetzen.
In der fotografischen Darstellung der Umgebung spielte
laut den Beschreibungen der Mädchen das Sichern von
Erinnerungen mehrfach eine Rolle. Dies könnte einen
Hinweis auf die Auseinandersetzung mit drohender
Abreise und Rückführung ins Herkunftsland, zumindest
aber dem Transfer an einen anderen Ort, enthalten
(Albanien gilt zur Zeit als sogenannter „sicherer Her-
kunftsstaat“ und geflüchtete Menschen von dort haben
daher eine schlechte Bleibeperspektive). Vergänglich-
keit und Instabilität sowie die Auseinandersetzung mit
einem sich ständig verändernden sozialen Umfeld sind                  Abbildung 3: Storyboard mit drei Fotos,
ebenfalls mögliche Deutungsarten.                                      Mädchen, Albanien, 13 Jahre, 50 × 70cm

Die Teilnehmerinnen setzten sich schließlich in ihrer     Insgesamt war der Themenbereich physische/psychi-
Gestaltung der Storyboards und den Erläuterungen          sche Gesundheit für die Eltern von großer Bedeutung.
dazu häufig mit Herkunfts- und Aufnahmeland ausein-       Eigene körperliche Erkrankungen sowie psychosoziale
ander, so z. B. durch die Darstellung von Flaggen und     Belastungen aufgrund der Fluchtumstände und/oder
deutschen Symbolen. Dies könnte ebenfalls als Hinweis     der Lebensumstände in Deutschland standen stark im
auf Identitätsfindung und das Bemühen um Ankom-           Fokus der Interviews. In Verbindung mit häufig dro-
men in der neuen Kultur gewertet werden. Vielfach         hender Abschiebung oder unklarem Aufenthaltssta-
betonten die Mädchen ihren Wunsch nach korrektem          tus beschäftigten sich die Befragten mit ihrer Rolle als
Beherrschen der deutschen Sprache.                        Eltern und dem Wunsch nach einer besseren Zukunft
                                                          für die Kinder. Hier wurde auch häufig der Wunsch
   3.1.2 Eltern                                           nach Schulbildung für die Kinder genannt.
Die Eltern der Mädchen in Einrichtung A beschäf-          In Bezug auf das Leben in der Einrichtung wurde Kri-
tigten sich besonders häufig mit gesundheitlichen         tik am Verhalten einiger Mitarbeiter*innen geübt; zum
Themen (medizinische Versorgung, Krankheiten,             einen in Verbindung mit der erwähnten mangelhaften
Stresssymptome), Familiensorgen, dem Wunsch nach          Vermittlung zur medizinischen Versorgung, zum ande-
Bildung für die Kinder sowie dem Thema Aufenthalt         ren aber auch im persönlichen Umgang, der als schroff
und einer möglicherweise drohenden Abschiebung (für       und diskriminierend beschrieben wurde. Psychischer
einen Überblick siehe Abb. 4).                            Druck durch das Androhen von polizeilichen und auf-
                                                          enthaltsrechtlichen Sanktionen, unter anderem durch
Am häufigsten wurde die medizinische Versorgung am        Dolmetscher*innen und leitende Mitarbeiter*innen,
Standort als ausbaufähig beschrieben. Viele der befrag-   wurde erwähnt. Weiterhin wurde auch das Leben in
ten Eltern schilderten lange Wartezeiten und für sie      der Unterkunft als sehr beengt (mehrere Familien in
unverständliche Prozesse bei der Terminvergabe. Auch      einem Raum) und von strikten Regeln, insbesondere
fühlten sie sich häufig mit ihren Beschwerden oder den    bezüglich des Aufenthalts außerhalb der Einrichtung
Beschwerden ihrer Kinder nicht ernstgenommen und          und der Essensausgabezeiten, beschrieben. Ebenso wie
falsch behandelt (was möglicherweise mit der nicht        die Mädchen äußerten auch die Eltern Ausbaubedarf
immer zu gewährleistenden Sprachmittlung zusam-           beim Thema Hygiene in der Unterkunft (Zustand der
menhängt). Problematisch seien darüber hinaus die         Duschen und Toiletten), auch hier wurden Ängste vor
fehlende finanzielle Unterstützung bei Medikamenten       Krankheiten geschildert. Nicht zuletzt äußerten einige
und ein allgemeiner Mangel an finanziellen Ressour-       der Eltern auch einen starken Wunsch nach Arbeit und
cen (siehe Abb. 5).                                       finanzieller Selbstbestimmung, zumindest aber einer
                                                          sinnvollen Tätigkeit.

                                                                                                                     19
Abbildung 4: Themenwolke Eltern Einrichtung A

                Medizinische Versorgung
                Krankheit
                Sorge um Familie / Kinder
                Drohende Abschiebung
                Umgang der MA negativ
                Stress
     Probleme

                Hygiene Unterkunft
                Finanzieller Mangel
                Strikte Regeln
                Beengter Raum
                Schulbesuch nicht möglich
                Essensversorgung
                Diskriminierung

                Schule
     Wünsche

                Gutes Leben
                Arbeit
                Häufigkeit der Nennung             0       2     4         6   8   10   12   14

                Abbildung 5: Ressourcen und Bedarfe Eltern Einrichtung A

                   Probleme           Ressourcen       Wünsche

20
3.1.3 Mitarbeiter*innen                                benannt. Zuletzt wurde auch die zu geringe Selbstbe-
Die Beschäftigten in Einrichtung A hatten an diversen     stimmung der erwachsenen Bewohner*innen (zum Bei-
Stellen der Leitfadeninterviews die Möglichkeit, offene   spiel in Bezug auf die Essenszeiten) thematisiert.
Bedarfe der relevanten Gruppen zu formulieren, aber
auch positive Erfahrungen und bereits gut funktionie-     Positive Erfahrungen: Als wichtige Ressource wurde
rende Prozesse zu benennen.                               die gute Anbindung der Unterkunft an die lokale Infra-
                                                          struktur benannt. Außerdem wurden vielfältige Ange-
Mädchenspezifische Bedarfe: Häufig wurde benannt,         bote wie Exkursionen, Sportangebote, eine Koch-
dass speziell auf Mädchen zugeschnittene Angebote         gruppe sowie ein Frauen- und ein Männercafé als
ausbaufähig seien, die vorhandenen jedoch bereits gut     erfolgreiche Modelle geschildert.
genutzt würden. Insbesondere für ältere Mädchen gäbe
es noch Lücken. Als Thema wurde beispielsweise die         3.1.4 Zusammenfassung
interkulturelle Auseinandersetzung mit Geschlechter- Alle Perspektiven der befragten Gruppen zusammenge-
rollen genannt. Auch die mangelnde Privatsphäre der nommen ergeben folgende besonders dringliche Bedarfs-
heranwachsenden jungen Frauen in den Räumlichkeiten     bereiche und Ressourcenquellen in Einrichtung A:
der Unterkunft wurde als problematisch gesehen. Dar-
über hinaus thematisierten auch die Mitarbeiter*innen • wichtiger Bedarf eines Ausbaus von Schul­
das Fehlen von Schulbildung, besonders für Mädchen         unterricht oder schulähnlichen Angeboten sowie
und junge Frauen, als Problem, auch durch die kultu-       von Sprachförderung
rell bedingte versorgende Rolle und damit Doppelbe- • Bedarf nach Rückzugsräumen und Maßnahmen/
lastung der Töchter in vielen Familien. An psychosozi-     Vorkehrungen zum Schutz der Privatsphäre,
alen Bedarfen wurde der Ausbau von psychotherapeu-         insbesondere heranwachsender Mädchen
tischen Angeboten und Gesprächsgruppen angeregt.       • Bedarf nach Verbesserung der hygienischen
                                                           Zustände in der Unterkunft
Schutz vor Gewalt und Ausbeutung: Als schwie-
rig wurde die häufige Verletzung der Aufsichtspflicht • Verbesserung der medizinischen Versorgung
durch die Eltern benannt. Außerdem sorge die beengte       und der bereits vorhandenen Koordination mit
Wohnsituation für unmittelbare Konfrontation mit           externen  Akteur*innen
belastenden Situationen wie gewalttätigen Auseinan- • Ausbau der psychosozialen, insbesondere
dersetzungen zwischen Bewohner*innen in der Unter-         psychologischen, Versorgung von Eltern und
kunft. Auch ein ungeregelter Tagesablauf, fehlender        Kindern als wichtige Ressource
Zugang zu Schulbildung sowie mangelnde Spielmög- • Entlastung der Eltern durch stärkende psycho­
lichkeiten und kindgerechte Räume waren hier Themen.       soziale Angebote und Kinderbetreuung

Elternspezifische Bedarfe: Die Befragten äußer- •             ufrechterhaltung und Ausbau der Ressourcen-
                                                             A
ten vielfach, dass die Eltern meist selbst stark bela-       quellen Sport und Bewegung sowie Natur
stet durch die Fluchterfahrungen seien und daher             (naturpädagogische Angebote, Erlebnis­pädagogik)
mehr Unterstützung in der pädagogischen Versor- •            E rmöglichung der Auseinandersetzung mit
gung ihrer Kinder benötigten. Auch die fehlenden Per-         entwicklungsspezifischen Themen wie Identitäts-
spektiven wurden hier als lähmender Faktor benannt.          findung, Ästhetik und Zugehörigkeit in Form von
Aus diesen psychischen Belastungen ergäben sich häu-         Gruppenangeboten (für Gleichaltrige)
fig Probleme bei der Kinderbetreuung und kindgerech- •       stärkere Anbindung an kulturelle und Freizeit­
ten Aktivitäten mit der Familie, was einen dringenden        angebote der nahegelegenen städtischen
Bedarf nach besserer psychosozialer Versorgung für           Umgebung
die Eltern erkennen lässt. Auch die Tatsache der feh-
lenden Mittel zur besseren, kulturell gewohnten Essens-
versorgung der Kinder wurde als elterlicher Bedarf

                                                                                                                   21
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