Inklusion als Herausforderung für die frühe Bildung - Akademie Schönbrunn
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
2 Inhalt Einführung 03 Inklusion als Herausforderung für die frühe Bildung Michael Kreisel, Tanja Endres Der Fachtag 10 Kleine Kinder – großer Anspruch! Inklusive (Alltags-)Qualität in Kinderkrippen Dr. Monika Wertfein 16 Inklusives Handeln in Kindertagesstätten – bisher nur ein Wunsch?! Manuela Fröhlich 20 Ohne Beziehung geht es nicht! Die Bedeutung professioneller Beziehungsgestaltung für die inklusive frühe Bildung Dr. Monika Wertfein Stephanie Jofer-Ernstberger 24 Welche Schritte muss die Kindertagesstätte hin zu einer inklusiven Tagesstätte gehen? – Die Arbeit mit dem Index of inclusion Franziska Rützel-Richthammer 28 Impressionen zum gemeinsamen Austausch – Ein Rundgang durch 12 Denkräume des Fachtages Michael Kreisel Prof. Dr. Ulrich Heimlich (Ludwig-Maximilians Universität) begann die Tagung mit Beschreibungen zu Anforderungen an eine Konzeption inklusiver Frühpädagogik Impressum | Verantwortlich für den Inhalt: Michael Kreisel | Redaktion: Michael Kreisel Auflage: 1000 Stück | Druck: Druckerei Ortmeier | Februar 2015 | Gestaltung: www.leporello-company.de
Einführung 3 Inklusion als Herausforderung für die frühe Bildung Michael Kreisel, Diplom Pädagoge, Leiter der Fachakademie Tanja Endres, Heilpädagogin, Dozentin der Fachakademie „An Bildungsorten treffen sich Kinder, die sich ben, unabhängig von ihren Lernbedürfnissen, in vielen Aspekten unterscheiden, z. B. im ihrem Geschlecht und ihren sozioökonomischen Hinblick auf Alter, Geschlecht, Stärken und Voraussetzungen. Interessen, Lern- und Entwicklungstempo, spezifischen Lern- und Unterstützungsbedarf Inklusion meint „Einschluss“ bzw. „Enthalten sowie ihren kulturellen oder sozioökonomischen sein in einer Menge“. Das Begriffsverständnis von Hintergrund.“ Inklusion erklärt sich am ehesten daraus, wenn (Der Bayerische Bildungs- und Erziehungsplan für Kinder man sich erinnert, dass in der sozialpolitischen in Tageseinrichtungen bis zur Einschulung 2012, S. XIX) Diskussion der 70er Jahre zunächst der Terminus „Exklusion“ im Focus stand. Man benutzte den Begriff Inklusion als Gegenstück zu soziologischen Gute Bildung, Erziehung und Betreuung für Kin- Tendenzen der Exklusion, d. h. zu Tendenzen des der orientiert sich heute an dem Leitbild Inklusion. Ausschlusses und der Marginalisierung benach- Dabei geht es um mehr, als dass Kinder mit Behin- teiligter gesellschaftlicher Gruppen. derung integriert oder „einfach nur mit dabei sind“. Kindertageseinrichtungen haben einen umfassen- In der Folge öffneten sich Regelkindergärten für den Auftrag hier alle Ebenen und Beteiligte einzu- Kinder mit Behinderung. Es wurden Formen beziehen. Man spricht von inklusiver Pädagogik, integrativer Pädagogik entwickelt (vgl. u.a. Herm der Aufhebung von institutioneller Separation 2012). Dem einzelnen Kind mit Förderbedarf und möchte Ideale des gemeinsamen Lebens und sollte Förderung und Unterstützung gegeben Lernens umsetzen. Nur – wie ist dies konkret um- werden. Im Grunde passte sich weniger das setzbar ? Das war 2014 das Thema des Fachtages. System (die Kindertagesstätte) an das Kind an, Über 180 Fachleute und Interessierte waren zur vielmehr erhielt das Kind Unterstützung zur Akademie Schönbrunn gekommen, um sich mit „Anpassung in das System“. dem Thema „Inklusion als Herausforderung für die frühe Bildung“ auseinanderzusetzen. „Es geht nun nicht mehr darum, ob Inklusion in Kindertageseinrichtungen sinnvoll ist, sondern Das Leitbild Inklusion vielmehr um die Frage, wie sich die Inklusion in Mit dem Begriff Inklusion wird in der frühen Kindertageseinrichtungen in einer möglichst Bildung heute ein Paradigmenwechsel verbunden. qualitätsorientierten Weise in die Praxis umset- zen lässt.“ Die Leitidee Inklusion meint die Verwirklichung (Heimlich 2013, S.8) des menschenrechtlichen Anspruchs auf gleiche Chancen der Teilhabe am Leben der Gesellschaft. Alle Menschen sollen u. a. die gleichen Möglich- keiten haben, an hochwertiger Bildung teilzuha-
4 Einführung Der mit dem Begriff Inklusion verbundene Pers- Die Vorstellungen von früher Bildung beginnen pektivwechsel meint demgegenüber, dass sich das sich zu wandeln. Differenzen und Verschieden- System den besonderen Bedürfnissen von Kindern heiten werden nicht mehr vorrangig als negativ anpasst. Eine inklusive Kindertagesstätte wäre bewertet, sondern man erkennt, dass sie für alle also von vornherein so gestaltet, dass kein Kind Beteiligten befruchtende Ergänzung sein können. „ausgeschlossen“ wird. Mädchen und Jungen mit verschiedensten Be- gabungen oder Behinderungen, unterschiedlichen Erste Impulse für das Leitbild Inklusion entstanden Religionen, Geschlechtern, sozialer Herkunft und durch die UN-Kinderechtskonvention. Das In- sozialökonomischen Hintergründen können krafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention gemeinsam so erzogen werden, dass jedes Kind verstärkte dann in Deutschland die öffentliche seine individuellen Stärken entfaltet. Eine inklusive und fachliche Diskussion zum Leitbild Inklusion Pädagogik wendet sich daher an alle Kinder und enorm. Mit der Unterzeichnung der UN-Behinder- versteht sich als eine „Pädagogik der Vielfalt“ tenrechtskonvention verpflichtete man sich ein (Prengel 2006). inklusives Bildungssystem aufzubauen. Es wird eine menschenrechtlich fundierte gleichberechtig- te gesellschaftliche Teilhabe aller Kinder an „Wenn die bisherige Integrationsentwicklung Bildung gefordert, unabhängig von individuellen in Kindertageseinrichtungen im Wesentlichen Unterschieden. die Integrationsfähigkeit der Kinder fokussiert hat, so steht der Entwicklungsprozess zur Der Fachtag beschäftigte sich mit der Umsetzbar- inklusiven Kindertageseinrichtung vor der Auf- keit und Praxis dieses Leitbildes. Zunächst be- gabe, alle Ebenen und alle Beteiligten in der grüßte Markus Tolksdorf als Geschäftsführer des Bildung, Betreuung und Erziehung von Kindern Franziskuswerks die Anwesenden. Er betonte die mit Behinderung im Sinne einer ökologischen Bedeutung des Themas und legte dar, dass für das Betrachtungsweise einzubeziehen“ Franziskuswerk die Behindertenrechtskonvention (Heimlich 2013a, S.7). der Vereinten Nationen Ausgangspunkt und inhaltlicher Bezugspunkt sei. Konzeptionen inklusiver Frühpädagogik Prof. Dr. Ulrich Heimlich (Ludwig-Maximilians Heterogenität als Ausgang von Inklusion Universität) begann die Tagung mit Beschrei- Voraussetzung für die Umsetzung von Inklusion bungen zu Anforderungen an eine Konzeption sind Bedingungen der Chancengleichheit in den inklusiver Frühpädagogik (vgl. auch Heimlich Bildungseinrichtungen. Pädagogisches Handeln 2013a, 2013b u. 2012). Er skizzierte den Weg der muss immer auf unterschiedliche Lebenslagen, Kindertagesstätten von der Integration hin zur Lebensstile und Lernausgangslagen von Kindern Inklusion. 2011 gab es in Bayern 2.057 integrative eingehen. In der Frühpädagogik wird momentan Kindertageseinrichtungen. Die internationale Zu- ein Inklusionsdiskurs geführt, innerhalb dessen die kunftsperspektive sei nun eindeutig die Entwick- Themen Diversität (Kinder durchlaufen unter- lung eines inklusiven Bildungssystems auf allen schiedliche Entwicklungsschritte) und Diskrimi- Ebenen. nierung (Familienkulturen, sozioökonomische Lebenslagen und Geschlecht werden für Benach- Prof. Dr. Heimlich stellte die inklusive Kindertages- teiligung und Herabwürdigung genützt) große einrichtung als ökologisches Entwicklungsmodell Beachtung erhalten. vor (Heimlich 2013a, S.7f). Die Heterogenität von Kindern „Verschieden, ohne einander untergeordnet zu sein“ (Prengel 2010, S.20) zeigt sich in unterschiedlichen Dimensionen.
Inklusion als Herausforderung für die frühe Bildung 5 Multi- Inklusive professionelles Kindertages- Team einrichtungen Inklusive Spiel- und Lernsituationen Kinder mit Externe Abb. Inklusions- individuellen Unterstützungs- entwicklung in Bedürfnissen systeme Kindertages- einrichtungen als Mehrebenenmodell (Heimlich 2013a, S. 25) Er erinnerte, dass Heilpädagogik (im Sinne eines „Unter Rückgriff auf internationale Studien ökologischen Verständnisses von Behinderung kann gezeigt werden, dass es eine große und Inklusion) in einem Kind-Umfeld-System Verunsicherung der Fachkräfte in Bezug auf stattfinde. Der Behinderungszustand des Kindes die Einschätzung von Kindern und deren sei immer im Zusammenhang eines Prozesses individuellen Bedürfnisse (…) gibt“ sozialer Ausgrenzung zu sehen. Die International (Heimlich 2013a, S.25). Classification of Functionality (ICF) fordere dazu auf, die Partizipationsstrukturen in Bildungsan- Gute Qualität in Kindertagesstätten ist geboten für Kinder zu verändern (ebenda, S. 9). inklusive Qualität – Fachkräfte müssen weitergebildet werden! Von großer Bedeutung sei die Qualität von Im Anschluss führte Prof. Dr. Ulrich Heimlich aus, Kindertageseinrichtungen, wobei interessant sei, dass Fachkräfte im Kontext inklusiver Frühpädago- dass die Qualität integrativer Kindertagesstätten gik nicht nur mit neuen und erweiterten Anforde- oftmals höher sei, als die von nicht-integrativen rungen an ihre Fachkompetenzen konfrontiert Einrichtungen. Die Ebenen der Kinder, deren sind, sondern auch vor der Herausforderung der Spiel- und Lernbedürfnisse, die Teamkooperation, Weiterentwicklung ihrer personalen und sozialen die Einrichtungskonzeption und auch die der Kompetenzen stehen. Momentan – aber auch externen Unterstützungssysteme sind für die für die Zukunft – sei es eine große Aufgabe die inklusive Qualität von Kindertageseinrichtungen „inklusive Frühpädagogik als Handlungskompe- zu beachten. Folglich sei auch die Weiterent- tenz vor Ort“ bei den Fachkräften zu fördern. Das wicklung der Organisationen und der regionalen Gelingen dieser Herausforderung würde auch Vernetzung wichtig. über das Gelingen der Umsetzung von Inklusion in den Kindertageseinrichtungen entscheiden. Eine inklusive Kindertageseinrichtung sei durch gute Rahmenbedingungen für individualisierte Jedes Kind so annehmen, wie es ist – und gemeinsame Spielangebote, gelungene Kind und Eltern willkommen heißen Teamkooperationen, vielfältige Professionalität, „Vor allem ist es wichtig, dass ein Klima herrscht, gemeinsame Wertesysteme sowie heil- und son- dass jedes Kind so angenommen wird, wie es ist“. derpädagogische Unterstützung für alle Kinder Alexandra Pfenning-Högger und Sabine Remmele gekennzeichnet. Alle Beteiligten sind aufgefordert hatten einen kurzen Film zum Thema „Wünsche gemeinsam am Leitbild Inklusion zu arbeiten. von Eltern an die inklusive Bildungseinrichtung“
6 Der Fachtag erstellt und innerhalb des Fachtages gezeigt. Kinder erleben es als einen Eingriff in ihre natür- Beide sind erfahrene Erzieherinnen und absolvie- liche Autonomie, wenn sie Dinge gegen ihren ren an der Fachakademie für Heilpädagogik eine Willen erlernen sollen, für die sie noch keine nebenberufliche Ausbildung zur Heilpädagogin. Bereitschaft zeigen oder wenn Lösungswege Sie berichteten von positiven Beispielen heilpäda- der Erwachsenen ihnen den Erfahrungsraum gogischer Einrichtungen, innerhalb dessen Kinder verhindern. mit Behinderung entsprechend ihrer Fähigkeiten gefördert werden und Inklusion gelebt wird. Die refinanzierten Gruppenkonstellationen in Kindergärten und Kinderkrippen würden leider Lernangebote auf die Bedürfnisse der nach wie vor sehr stark von einer „Betreubarkeit Kinder zuschneiden innerhalb der bestehenden Aufsichtspflicht“ Gertraud Martin, Leiterin des Geschäftsbereiches ausgehen. Würde man das Kind – nicht nur das Kinder und Jugend im Franziskuswerk Schön- Kind mit Behinderung – noch mehr mit seinen brunn, plädierte dafür, dass Lernangebote auf die Bedürfnissen und Chancen in den Vordergrund Bedürfnisse und Chancen der Kinder zugeschnit- oder auch Mittelpunkt stellen, müsste man zu ten werden sollten und nicht umgekehrt: Kinder dem Schluss kommen, dass die Gruppen zu groß hätten einen Eigenanteil an ihrer Bildung (Schäfer sind und eine Erzieherin für 11 Kinder zwischen 2014). Sie zeigen großes Interesse, sich selbst zu drei und sechs Jahren zu wenig sei. bilden, Dinge zu erforschen und einzuordnen. Neues wird in Erfahrenes eingeordnet und in Eine Annäherung an die individuellen Erforder- Relation dazu gebracht. nisse eines Kindes habe das Bayerische Kinder- bildungs- und Kinderbetreuungsgesetz schon So weise der Bayerische Bildungs- und Erzie- gemacht, aber eben nur eine Annäherung. Alles, hungsplan darauf hin, Kindern in Krippen und was mehr an Qualität und Zuwendungsintensität Kitas Erfahrungen der Selbsttätigkeit und Selbst- geschehe, sei jedoch Trägersache. In den letzten wirksamkeit zu ermöglichen. Dies geschehe in beiden Jahren lasse die Nachfrage nach homoge- den Kindertagesstätten: Die Umgebung: Räume, nen, heilpädagogischen Einrichtungen deutlich Materialien, Menschen stehen zur Verfügung, um nach. Die Nachfrage nach Kitaplätzen für Kinder das Kind auf seiner Erfahrungs- bzw. „Bildungs- mit Behinderungen steige demgegenüber an reise“ zu begleiten. Professionelle seien im besten und die Ausprägungen der Behinderungen bei Fall achtsam darauf bedacht, Impulse des Kindes angefragten Kindern würden stärker sowie aufzunehmen und darauf Antworten zu geben. vielfältiger. Die Individualität, die Stärken, die Fähigkeiten eines jeden Kindes sind bei der Weltaneignung Der Übergang Kindergarten / Schule muss des Kindes zu beachten. vor allem für Kinder mit Behinderung und deren Eltern deutlich verbessert werden „Die Kindheitsforschung der letzten beiden Frau Wünsch gab als Elternvertreterin einen Jahrzehnte hat das Bild eines aktiven, sich eindrücklichen Einblick in die Situation eines aus eigener Initiative und mit eigenen Mitteln Kindes mit Behinderung in seinem Lebensumfeld. bildenden Kindes entwickelt“ Eltern und Lehrer bzw. Professionelle haben im (Schäfer 2011, S.30). Grunde einen gemeinsamen Erziehungsauftrag. Sie erleben das Kind in unterschiedlichen Um- welten und tragen die Verantwortung um das Wohl des Kindes.
Inklusion als Herausforderung für die frühe Bildung 7 Familie und Eltern, sollten auf keinen Fall zum Resümee „Objekt“ von Professionellen werden, die versu- chen die Familie zu reglementieren. Auch wenn Eine Novellierung der Finanzierung durch ein Kind integrativ / inklusiv in einer vorschulischen das BayKiBig zur Stärkung des Leitbildes Einrichtung gefördert würde, beständen im Inklusion ist notwendig. schulischen Bereich weiterhin zu wenig Möglich- Es stellt sich Frage, weshalb das Leitbild Inklusion keiten der Inklusion, was sich im Einzelfall für die noch nicht flächendeckend umgesetzt ist. Hier Betroffenen als sehr herausfordernd gestalten sind auf mehreren Ebenen Erklärungen zu finden. würde. Vor allem richten sich Bildungs- und Erziehungs- pläne in Deutschland noch nicht nach dem Anregende Diskussionen in den Denk- Leitbild Inklusion aus. Das BayKiBiG führt sogar räumen oftmals zu einem vermehrten und schwierigen In 12 Denkräumen gaben Fachleute einen Input Verwaltungsaufwand bei der Aufnahme von zum Thema. Jeweils zwei Studierende moderier- „Integrationskindern“. Die Praxis der Refinanzie- ten und protokollierten die Diskussion der An- rung kann dann zu einer Barriere für Inklusion wesenden. So wurden die Denkräume Orte des werden, wenn sie Auswirkungen auf das Beschäf- gegenseitigen Austausches, des Innehaltens und tigungsverhältnis des pädagogischen Personals Reflektierens. Durch die gemeinsame Beschäfti- hat (z. B. wenn Buchungssituationen befristete gung zu Bildern einer inklusiven frühen Bildung Arbeitsverhältnisse zur Folge haben). Des Weite- konnte der Blick über den Tellerrand des Alltags- ren sind die Zuständigkeiten der Sozialleistungs- geschäfts gerichtet und gegenseitiger Austausch träger unklar, wodurch die Beantragung und sowie neue Anregungen ermöglicht werden. Refinanzierung von inklusiven Plätzen in Kinder- tagesstätten erschwert werden kann. Es kann zu Jedes Kind ist anders einer ungerechten Förderverteilung kommen. Ein Nach der Mittagspause gab Dr. Monika Wertfein möglicher Weg könnte sein, dass die Zuwendung (Staatsinstitut für Frühpädagogik) einen Einblick von Mitteln nicht nur auf den Einzelfall bezogen, in aktuelle wissenschaftliche Diskussionen zur sondern auch auf die Institution hin orientiert inklusiven (Alltags-)Qualität in Kinderkrippen. geschieht. Jedes Kind benötigt grundsätzlich Sicherheit, Zutrauen und Unterstützung, aber jedes Kind ist Inklusive Lernsituationen schaffen auch „anders“. Ein ganzheitlicher Bildungsbegriff ist Grundlage für die Unterstützung von Teilhabe und Inklusion. Obwohl Krippen vor „inklusiven Herausforderun- Kindertagesstätten sollten verstärkt inklusive gen“ stehen und erhöhter Betreuungsaufwand Lernsituationen in der Regelgruppe schaffen. entsteht, würde noch zu wenig mit strukturellen Gemeinsames Aufwachsen kann dann für alle Anpassungen reagiert. Dr. Wertfein sensibilisierte Beteiligten eine Chance darstellen. Professionelle für die „Ressource des pädagogischen Teams“, sind gefordert die Kommunikation unter Gleich- zeigte Stärken von Kinderkrippen auf und wies altrigen zu einem pädagogischen Thema zu am Beispiel der „Alltagssituation Mahlzeiten“ auf machen und evtl. ungünstigen Prozessen entge- Gelegenheiten für soziale Teilhabe und gemein- gen zu wirken. Kinder sollten für Benachteiligung same Bildung für alle Kinder hin. sensibilisiert und in ihrer Selbstbestimmung unterstützt werden. Inklusive Pädagogik bleibt jedoch immer beziehungsorientiert und es bedarf weiterhin der individuellen Zuwendung zum Kind, bzw. auch der Bereitstellung von Schonräumen des Nachreifens.
8 Einführung Inklusion fängt in unseren Köpfen an – Literatur gelebte Heilpädagogik als Kultur Albers, T. (2011): Mittendrin statt nur dabei – Inklusion Die Vision sollte weiterhin sein, dass Kindern mit in Krippe und Kindergarten. München: Reinhardt Behinderung ganz selbstverständlich die Kinder- Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Soziales / tageseinrichtungen in ihrem Sozialraum zugäng- Staatsinstitut für Frühpädagogik (2012): Der Bayerische lich ist. Sicherlich müssen Veränderungen im Bildungs- und Erziehungsplan für Kinder in Tageseinrich- Sinne der Umsetzung des Menschenrechts der tungen bis zur Einschulung. Weinheim / Basel: Cornelsen UN-Behindertenrechtskonvention auf mehreren Döbert, Hans/ Weishaupt, Horst (Hrsg.) 2013: Inklusive Ebenen stattfinden und werden auch Zeit benöti- Bildung professionell gestalten – Situationsanalyse und Handlungsempfehlungen. Münster: Waxmann gen. Während sich die traditionelle Heilpädagogik vorrangig an der Person und dem Ablauf von Herm, S. (2012): Gemeinsam spielen, lernen und wachsen. Berlin: Cornelsen Hilfeleistungen orientiert, gewinnen in der Heil- pädagogik die Ebenen Individuum / Lebenswelt Friederich, T. (2013): Inklusion als frühpädagogische Leitorientierung. In: Deutsches Jugendinstitut (2013). und Hilfesystem / Sozialraum an Bedeutung. Inklusion – Kinder mit Behinderung – Grundlagen für Neben der Überprüfung von pädagogischen die kompetenzorientierte Weiterbildung S. 18 – 23. Vorgehensweisen in der Praxis ist mit der Leitidee München: DJI Inklusion auch die Überprüfung der jeweiligen Heimlich, U. (2013a): Kinder mit Behinderung – Struktur und Kultur einer Einrichtung gefragt. Anforderungen an eine inklusive Frühpädagogik. Wiff-Expertise Nr. 33. München: DJI Alle Kinder willkommen heißen Heimlich, Ulrich (2013b): Ausbildung und Professionali- Behinderungen sind etwas, was Menschen prägt, sierung von Fachkräften für inklusive Bildung im Bereich aber nicht ausmacht! Eine inklusive Pädagogik der frühkindlichen Bildung, Betreuung und Erziehung. weist darauf hin, dass es bei Behinderungszustän- In: Döbert, Hans / Weishaupt, Horst (Hrsg.): Inklusive Bildung den notwendig ist, verändernd auf die Umwelt professionell gestalten – Situationsanalyse und Handlungs- empfehlungen. 2013, S. 11 – 32 Münster: Waxmann einzuwirken. Aber auch sozio-ökonomische, ge- schlechterbedingte, migrationsbedingte Hetero- Heimlich, Ulrich (2012): Gemeinsam von Anfang an. Inklusion für unsere Kinder mit und ohne Behinderung. genität oder die Situation frühgeborener Kinder München, Basel: Reinhardt, 2012 sind Ausgang für die Entwicklung inklusiver Prengel, A. (2010): Inklusion in der Frühpädagogik. (Alltags-)Qualitäten. So muss es z. B. im Aufnahme- Bildungstheoretische, empirische und pädagogische verfahren von Familien mit ihren Kindern einen Grundlagen München: Deutsches Jugendinstitut Paradigmenwechsel geben: Es darf nicht mehr Prengel, A. (2006): Pädagogik der Vielfalt: ´Verschiedenheit bedeuten: Was muss ein Kind können, um auf- und Gleichberechtigung in Interkultureller, Feministischer genommen zu werden? Sondern: Was muss die und Integrativer Pädagogik. Wiesbaden: Verlag für Einrichtung bieten, um alle Kinder aufzunehmen Sozialwissenschaften zu können? Schäfer, G. E. (2014): Was ist frühkindliche Bildung? Kindlicher Anfängergeist in einer Kultur des Lernens. Mehr dauerhafte Heilpädagogik in der Weiheim /München: Beltz Juventa frühen Bildung! Schäfer (2011): Bildung beginnt mit der Geburt. Die Anwesenden waren sich einig, dass es mehr Für eine Kultur des Lernens in Kindertageseinrichtungen. dauerhafte Heilpädagogik in der frühen Bildung Berlin: Cornelsen geben müsste, damit allen Kindern die Möglich- keit der Teilhabe gegeben ist. Auch sollte die Beratungskompetenz von Heilpädagog/innen stärker genutzt werden. Zu oft fühlen sich vor Ort Professionelle und alle Beteiligten im Umgang mit dem Leitbild Inklusion überfordert.
Inklusion als Herausforderung für die frühe Bildung 9 Jedes Kind willkommen heißen und seine Besonderheiten in den Mittelpunkt stellen – Pädagogische Prinzipien der inklusiven Frühpädagogik Inklusive Frühpädagogik möchte auf heterogene Lebenslagen reagieren. Albers (2011) nennt als pädagogische Prinzipien: • Pädagogik der Vielfalt (Wertschätzung von Heterogenität, individualisierende Perspektive) • Chancen der Vielfalt (Gemeinsames Aufwachsen als Chance, Unterschiede als Normalität) • Kindliche Kategorisierung (Professionelle als integrierende Kraft gegenüber Ausschluss- tendenzen unter Kindern) • Kommunikation unter Gleichaltrigen (Pädagogische Angebote so gestalten, dass ein Kreislauf negativen Selbstbildes, durch ungünstige Interaktionsprozesse unter Kindern, entgegen gewirkt wird) • Dekonstruktion (Kritische Auseinandersetzung mit sozialen Verhältnissen, Erwachsene als Modell für eine wertschätzende Haltung und für positive Umdeutungen) • Ermächtigung (Kinder für Benachteiligung sensibilisieren und die Macht für Selbstbestimmung geben) • Gemeinsames Denken (Pädagogische Settings, die soziales Lernen als auch kognitive Förderung berücksichtigen und Beteiligung von Kindern an Interaktionsprozessen schaffen) • Risiko und Resilienz (Fokussierung auf kindliche Ressourcen, Analyse von Schutz- faktoren die eine positive Entwicklung unterstützen) (Vgl. Albers 2011, S. 16 – 24).
10 Fachtagung 2014 Kleine Kinder – großer Anspruch! Inklusive (Alltags-)Qualität in Kinderkrippen Dr. Monika Wertfein, Staatsinstitut für Frühpädagogik, München „Bildungseinrichtungen stehen in der Verantwor- Teams immer wieder mit Teamveränderungen, tung, sozialer Ausgrenzung angemessen zu kurzfristigen Personalausfällen und ohnehin begegnen und allen Kindern faire, gleiche und knappen Personalressourcen. Es stellt sich die gemeinsame Lern- und Entwicklungschancen zu Frage: Wie können Fachkräfte in Kinderkrippen bieten.“ – Mit diesen Worten wird die inklusive dennoch allen Kindern und Familien gerecht Aufgabe jeder Kindertageseinrichtung im Bayeri- werden, ohne die eigenen Kompetenz- und schen Bildungs- und Erziehungsplan (2012, S. 33) Belastungsgrenzen zu überschreiten? formuliert. Schließlich pflegen und leben viele Einrichtungen bereits seit vielen Jahren auf ver- Grundlegend für eine qualitativ hochwertige Kin- schiedenen Ebenen inklusive Werte, wie z. B. den dertagesbetreuung ist die Berücksichtigung der Respekt vor Vielfalt, einer Kultur des Miteinan- physischen und psychischen Grundbedürfnisse. ders, Partizipation und Zutrauen (Booth 2010). Dies gilt für die Gestaltung der Bildung, Erziehung Auch nicht explizit integrative Einrichtungen und Betreuung der Kinder, der Zusammenarbeit realisieren bereits eine Pädagogik der Vielfalt, mit den Eltern und der Arbeitsbedingungen der indem sie sehr unterschiedliche Kinder gemeinsam Fachkräfte. Im Folgenden soll vor dem Hinter- betreuen, erziehen und bilden: Jungen und grund aktueller Forschungsbefunde und Praxis- Mädchen, Kinder unterschiedlicher Alters- und erfahrungen aufgezeigt werden, was dies konkret Entwicklungsstufen, Kinder mit unterschiedlichen bedeutet und welche Qualitätsstandards für Begabungen, mutigere und ängstlichere Kinder, Kinderkrippen und altersgemischte Einrichtungen, sprachlich gewandte und eher zurückhaltende die Kinder in den ersten drei Lebensjahren auf- Kinder usw. nehmen, davon abgeleitet werden können. Inklusion ist also keine neue Aufgabe, die den Den kindlichen Grundbedürfnissen pädagogischen Fachkräften neuerdings gestellt gerecht werden wird. Dies mag so wirken, weil sich im Feld der Kinder kommen hilfsbedürftig zur Welt und sind Kindertageseinrichtungen, insbesondere im auf die körperliche und psychische Versorgung Krippenbereich in den letzten Monaten viel ver- durch Erwachsene angewiesen. Aus der Bindungs- ändert hat. Der Ausbau der Kindertagesbetreuung forschung wissen wir: um ein Urvertrauen in sich für Kinder in den ersten drei Lebensjahren ist und ihre Bezugspersonen aufzubauen, braucht weiterhin in vollem Gange. Seit August 2013 jedes Kind von Geburt an regelmäßig und ver- haben Eltern von Kindern ab 12 Monaten einen lässlich die Erfahrung, dass seine Bedürfnisse ernst Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz. Für genommen und adäquat befriedigt werden. Alle die pädagogischen Teams bedeutet dies, dass sie Kinder brauchen für eine gelingende Entwicklung sich zunehmend auf die Aufnahme einjähriger und ihr Wohlbefinden zum einen die Erfüllung der Kinder einstellen müssen. Die Ansprüche an die körperlichen Grundbedürfnisse (Hunger, Durst, Qualität der Kindertagesbetreuung und die Hygiene, Schutz). Zum anderen spielt die Befriedi- Qualifizierung der Fachkräfte steigt stetig, der gung der seelischen Grundbedürfnisse eine Erwartungsdruck nimmt zu. Gleichzeitig kämpfen zentrale Rolle: der Wunsch nach verlässlichen liebe-
Kleine Kinder – großer Anspruch! Inklusive (Alltags-)Qualität in Kinderkrippen 11 vollen Beziehungen und sozialer Zugehörigkeit (z. B. zur Gleichaltrigengruppe), nach Kompetenz und Selbstwirksamkeitserleben (z. B. durch authen- tische Erfahrungen) sowie nach Autonomie und entwicklungsangemessenen Erfahrungen (z. B. durch ein höchstmögliches Maß an Partizipation) (Ryan & Deci 2000; Brazelton & Greenspan 2002). Diese angeborenen psychischen Grundbedürfnisse gelten grundsätzlich für alle Kinder und beein- flussen nicht nur das subjektive Wohlbefinden, son- dern auch die Lernmotivation (Deci & Ryan 2000; LaGuardia et al. 2000). Bleiben diese Bedürfnisse unerfüllt, führt dies kurzfristig zu Äußerungen von Unzufriedenheit und Frustration. Aufgabe der pädagogischen Fachkraft ist es dann, ein Kind bei der Regulation seiner Gefühle zu unterstützen. Der individuelle Unterstützungsbedarf hängt vom Alter und Entwicklungsstand des Kindes ab. Um den Kindern und ihren Bedürfnissen gerecht werden zu können, müssen entwicklungsbedingte Veränderungen während der ersten drei Lebens- jahre berücksichtigt werden: gerade zwischen dem ersten und vierten Lebensjahr nehmen die Junge Kinder – hohe Qualitätsansprüche Selbstregulationsstrategien, z. B. soziale Rück- Kinder in den ersten drei Lebensjahren sind versicherung durch Blickkontakt zu, während anspruchsvoll: sie wünschen sich eine Rundum- das Bedürfnis nach körperlicher Zuwendung ab- betreuung und die volle Aufmerksamkeit ihrer nimmt (Friedlmeier 1999; Friedlmeier & Tromms- Bezugspersonen. Dies gelingt am besten in der dorff 2001). Eins-zu-Eins-Betreuung und in kleinen sowie altershomogenen Gruppen. So zeigt sich nicht Um auch im Gruppenkontext einer Kindertages- nur in der deutschlandweiten NUBBEK-Studie, einrichtung häufigen Frustrationen vorzubeugen dass es den Fachkräften in der Tagespflege und in kommt es darauf an, dass die pädagogischen reinen Kinderkrippengruppen besser gelingt, den Fachkräfte den Ausdruck negativer Emotionen Bedürfnissen der Zweijährigen gerecht zu werden, bereits frühzeitig erkennen und nicht erst auf das als dies in größeren altersgemischten Kindergarten- Weinen eines Kindes reagieren. Vielmehr geht es gruppen der Fall ist (Tietze, Becker-Stoll, Bensel darum, stille Traurigkeit ohne Exploration oder et. al. 2013; Ahnert, Eckstein-Madry & Supper 2012). zielloses Herumwandern eines Kindes als frühe Darüber hinaus wird deutlich, dass der grund- Anzeichen von Überforderung richtig zu interpre- legende und sensible Bereich der „Betreuung und tieren und angemessen zu beantworten (Fürstal- Pflege“ in Zukunft mehr Beachtung und einer ler, Funder & Datler 2011). Hierzu ist es notwen- Qualitätsverbesserung im Sinne des inklusiven dig sich auf die Perspektive des Kindes einzulassen Anspruchs bedarf (vgl. Becker-Stoll, Niesel & Wert- und mit dem Kind in einen responsiven Dialog zu fein 2014). treten (Gutknecht 2012). Gerade im Gruppenkon- text einer Kinderkrippe sind diese Abstimmungs- Offenbar steht die Bedeutung der täglichen Ab- prozesse eine besondere Herausforderung, die ein läufe und Alltagssituationen bei vielen Fachkräften feines Gespür für das Befinden eines einzelnen nicht im Vordergrund ihrer pädagogischen Über- Kindes, aber gleichzeitig auch Empathie für legungen. Sind zudem die Ressourcen knapp das dynamische Gruppengeschehen umfassen bemessen, gerät der Bereich der Gesundheit, (Ahnert, Pinquart & Lamb 2006). Beide Aspekte Ernährung und Pflege schnell ins Hintertreffen, sind für Kinder mit und ohne Behinderung während andere „prominentere“ Bereiche, wie die gleichermaßen wichtig und sollten durch eine sprachliche, musikalische oder naturwissenschaft- inklusiv ausgerichtete Pädagogik gewährleistet liche Bildung grundsätzlich als wichtiger betrach- werden. tet und behandelt werden (Wertfein, Müller &
12 Fachtagung 2014 Kofler 2012). Dabei nimmt die alltägliche Lebens- der Vielfalt in den ersten Lebensjahren sind praxis einen großen Teil des Kitaalltags ein; allein (Abbott & Langston 2007; Sommer, Pramling die Mahlzeiten umfassen 10 bis 15 Wochenstun- Samuelsson & Hundeide 2013): den (Kultti 2014). • eine hohe Kindorientierung und der lebendige Dialog mit Kindern, in dem die aktuellen Für Kinder sind das gemeinsame Essen, das kindlichen Interessen und Fragen ernst genom- Wickeln, das Umziehen mit zentralen Entwick- men und aufgegriffen werden, um gemeinsam lungsaufgaben und inklusiven Alltagserfahrungen zu forschen und weiterzufragen, verknüpft. Gerade das situative Lernen in Alltags- • eine Orientierung an den kindlichen Stärken situationen, z. B. den Mahlzeiten, ist für Kinder und eine entspannte Lernatmosphäre, die mit und ohne Behinderung gleichermaßen jedem Kind Zeit lässt, um in seinem Tempo möglich und wichtig. Denn jedes Kind kennt be- individuelle Erfahrungen zu machen und stimmte Alltagsabläufe bereits aus seiner Familie Erfolge zu erleben, ohne dass Fehler negativ und kann durch das Erleben des Kitaalltags sein bewertet, bestraft oder vorschnell korrigiert Wissen, seine Grundfähigkeiten und seine Fertig- werden, keiten erweitern (Sarimski 2012). Sogenannte • eine individuelle Ansprache und Anregung Alltagsroutinen stellen damit wertvolle Bildungs- durch sprachliche Begleitung von Alltags- gelegenheiten dar. handeln, aktives Zuhören und zahlreiche sowie vielfältige positive Interaktionen der Fachkraft Merkmale inklusiver Kindertages- mit einzelnen Kindern, die auf diese Weise einrichtungen beim Erlernen von Sprachgebrauch und Jede Kindertageseinrichtung, jedes pädagogische Sprachverstehen unterstützt werden. Team möchte den Kindern die beste Bildung, Erziehung und Betreuung anbieten. Doch: Was Um sich als inklusive Einrichtung stetig weiter zu genau macht den qualitativen Unterschied und entwickeln, ist eine fortlaufende Reflexion der wie kann eine Kinderkrippe ihrem inklusiven pädagogischen Praxis erforderlich. Dies gilt für Qualitätsanspruch im Sinne aller Kinder gerecht jede einzelne Fachkraft, aber auch für das päda- werden? gogische Team und die Einrichtungsleitung. Um Barrieren für das gemeinsame Lernen und die Eine inklusive Einrichtung hat die individuellen Partizipation aller Kinder im Kitaalltag ausfindig zu Bedürfnisse der Kinder im Blick und gestaltet die machen, empfiehlt sich die Orientierung am Index Lernumgebung sowie den Tagesablauf so, für Inklusion (Booth, Ainscow & Kingston 2012). • dass sich alle Kinder an vertrauten Strukturen Hierbei handelt es sich um eine Arbeitshilfe, um orientieren können (z. B. durch Rituale, klar multiprofessionelle Teams ganz konkret bei der definierte Funktionsbereiche) und praktischen Umsetzung inklusiver Grundsätze zu • dass alle Kinder nach ihren Kompetenzen unterstützen. So können die Teams mit Hilfe eines möglichst viel Partizipation und Autonomie Fragebogens eine Bestandsaufnahme vornehmen, erfahren können (z. B. durch Mitwirkung und zum anderen ihre nächsten Schritte auf dem Weg Mitentscheidung in Tagesroutinen). zu einer inklusiven Einrichtung planen. Durch die regelmäßige Anwendung des Index für Inklusion Eine klare Tagesstruktur, vorhersehbare Abläufe bleibt die Einrichtung im stetigen Reflexions- und und übersichtliche Kleingruppen in überschau- Weiterentwicklungsprozess. baren Räumen unterstützen die Kinder darin, Sicherheit und Orientierung im Kita-Alltag zu Von der Eingewöhnung zur Partnerschaft gewinnen. Das aktive Mitwirken trägt zur Ent- mit Eltern wicklung von Selbstvertrauen und Selbständigkeit Damit ein Kind den Übergang in die Kinderkrippe aller Kinder bei. Weitere entscheidende Voraus- und das regelmäßige Erleben der Trennung von setzungen für das Gelingen früher Bildungs- den primären Bezugspersonen ohne seelische prozesse und wichtige Ziele für eine Pädagogik Überforderung bewältigen kann, kommt es darauf an, diesen Übergang durch eine eltern- begleitete, bezugspersonenorientierte und abschiedsbewusste Eingewöhnung vorzubereiten (Laewen 1989; Laewen, Andres & Hédervári 2000).
Kleine Kinder – großer Anspruch! Inklusive (Alltags-)Qualität in Kinderkrippen 13 Nur so kann es gelingen, eine familiäre Betreuung Auf diese Weise erfahren die Eltern regelmäßig durch weitere, allmählich vertraut werdende durch die Fachkraft von den Interessen, Erfahrun- Bezugspersonen zu erweitern und eine »Fremd- gen und Fortschritten ihres Kindes im Kontext Betreuung« durch Unbekannte zu vermeiden. der Kindergruppe. Durch den regelmäßigen Aus- tausch lernt die Fachkraft wiederum die Eigenhei- Eine elternbegleitete Eingewöhnung beginnt mit ten und Vorlieben jedes Kindes im Familienleben dem Elterngespräch, in dem die Eltern über den immer besser kennen und verstehen. Außerdem Verlauf, die Dauer und die Bedeutung der Ein- kann sie sich ein Bild davon machen, wie die gewöhnung für den Übergang in die Kinderkrippe tägliche Rückkehr in die Familie gelingt und wie und die Entwicklung ihres Kindes informiert die Anregungen durch die Kinderkrippe in der werden. Sie setzt sich fort durch die dreitägige Familie wirken. Eine enge Kooperation mit den Anfangsphase in Begleitung der Eltern und eine Eltern und vielfältige Mitwirkungsmöglichkeiten enge Kooperation mit der Bezugspädagogin. für Eltern haben sich als wesentliche Bedingungen Die rechtzeitige Aufklärung und professionelle für das Gelingen inklusiver Bildungs- und Ent- Einführung der Eltern ist entscheidend dafür, dass scheidungsprozesse erwiesen (Stahmer et al. 2003, die Eingewöhnung an den Bedürfnissen des Stahmer & Carter 2005; Swick & Hooks 2005). einzelnen Kindes orientiert stattfinden kann, auch wenn die Reaktionen des Kindes im Verlauf der Eingewöhnungsphase anders ausfallen, als sich dies die Eltern (z. B. aufgrund von Zeitdruck) wünschen. Zudem ist es wichtig, die Eltern so in die Eingewöhnung einzubeziehen, dass ggf. ihre Schuldgefühle und Trennungsängste verringert werden und dass sie verstehen, was geschieht, wie sie sich richtig verhalten sollen und welche Bedeutung sie als sichere Basis während der Eingewöhnung für ihr Kind haben (Hédervári- Heller 2010). Die allmähliche und individuelle Eingewöhnung trägt zur Stressreduktion bei, so dass Kinder die Trennungen, die mit dem Übergang in die Kinder- krippe verbunden sind, als weniger belastend empfinden (Ziegenhain, Rauh & Müller 1998). Doch erst wenn das Kind Interesse an den Men- schen und Dingen in der Einrichtung entwickelt, zu explorieren beginnt und mit anderen Kindern interagiert und wenn es sich in schwierigen Situa- tionen von der Fachkraft beruhigen lässt, hat es ausreichend emotionalen Halt erlangt, um den Krippenalltag als angenehm und anregend zu erleben (Fürstaller, Funder & Datler 2011). Nicht Voraussetzungen für inklusive Qualität nur im Rahmen der Eingewöhnung ist es die Auf- in Kinderkrippen gabe der Fachkraft, an die elterlichen Vorerfah- Neben den Kindern und Eltern, haben auch die rungen und Befindlichkeiten anzuknüpfen und Fachkräfte einen inklusiven Anspruch an ihre verständnisvoll auf die Eltern zuzugehen. Alle pädagogische Arbeit mit Kindern in den ersten Eltern sind als Experten für ihre Kinder zu betrach- drei Lebensjahren. Schließlich stellt eine Kinder- ten, da sie ihr Kind mit seinen individuellen Bedürf- tageseinrichtung nicht nur einen familienergän- nissen und Kompetenzen am besten kennen zenden Bildungsort, sondern auch den Arbeits- und einschätzen können. Es kommt darauf an, platz des pädagogischen Teams dar. In dieser die Eltern ernst zu nehmen, mit ihnen in einen Hinsicht geht es um die Frage: Was brauchen die fortlaufenden respekt- und vertrauensvollen Fachkräfte, um jedem Kind individuell gerecht Austausch zu treten und sie auf Augenhöhe zu werden zu können, ohne ständig an ihre eigenen unterstützen. Grenzen zu stoßen und letztendlich zu resignieren?
14 Fachtagung 2014 Wir wissen, dass bis zu 50 % der beobachtbaren eine Etikettierung voraus, die dem Prinzip Inklusi- pädagogischen Qualität von den jeweils verfüg- on an sich widerspricht. Die Flexibilisierung der baren strukturellen Rahmenbedingungen abhängt Ressourcenvergabe und die zunehmende Durch- (Tietze 1998; Cryer et al. 1999). Demzufolge kann lässigkeit der Hilfeformen kann für alle Kinder ein inklusiver Anspruch nur erfüllt werden, wenn einen Qualitätsgewinn erwirken: so lassen sich ausreichend gute Rahmenbedingungen einem „die Barrieren für Spiel, Lernen und Partizipation Mindeststandard, z. B. ausreichend Personal und für alle Kinder abbauen, nicht nur für jene mit Beziehungskontinuität, genügen. Dies würde Beeinträchtigungen oder diejenigen, die als Kinder bedeuten, dass die personellen Ressourcen an die ,mit sonderpädagogischem Förderbedarf‘ einge- individuellen Bedürfnisse der Kinder altersgerecht stuft wurden“ (Booth, Ainscow & Kingston 2012, und flexibel an situative Anforderungen angepasst S. 14). werden könnten, z. B. indem in betreuungsinten- siven Phasen Springkräfte eingesetzt werden, die Für alle Fachkräfte, die Kinder in den ersten drei den Kindern vertraut und ins Kitateam eingebun- Lebensjahren betreuen und unterstützen, be- den sind. deutet dies, dass sie die besonderen Herausforde- rungen, die mit dem Anspruch auf Inklusion Denn der Anspruch auf Beziehungskontinuität hat verbunden sind, nicht allein bewältigen können auch einen personalrelevanten Aspekt: die Fach- und müssen. Inklusion braucht einerseits das Mit- kräfte brauchen verlässliche Teampartner, d.h. einander mit allen Eltern und viel Transparenz im ein zeitlich stabiles Team, das sich zu einem be- Hinblick auf die pädagogische Arbeit. Wichtiger lastbaren Beziehungsnetzwerk entwickeln kann Bestandteil einer inklusiven Praxis ist darüber (Wertfein 2013; Becker-Stoll, Niesel & Wertfein hinaus die enge Zusammenarbeit in interdiszipli- 2014). Die Zusammenarbeit und gegenseitige nären Teams mit sonder-, heilpädagogischen und Entlastung im Team sind entscheidende Voraus- therapeutischen Fachkräften. Um der Ausgren- setzungen für die Prozessqualität in Kindertages- zung von Kindern mit Entwicklungsauffälligkeiten einrichtungen. Es zeigt sich, dass Fachkräfte, die bzw. mit sonderpädagogischem Bedarf entgegen- sich im pädagogischen Team unterstützt und wert- zuwirken, sollten spezifische Interventionen geschätzt fühlen, emotional belastbarer sind und nach Möglichkeit im Kontext der Krippengruppe positiver mit den Kindern interagieren (Wertfein, erfolgen (Sarimski 2012). Sind zusätzlich außer- Spies-Kofler & Becker-Stoll 2009; Wertfein, Müller halb der Kinderkrippe stattfindende Therapien & Danay 2013). Schließlich kann ein starkes notwendig, hat sich ein regelmäßiger Austausch persönliches und fachliches Miteinander im Team mit dem pädagogischen Team und den Eltern als maßgeblich dazu beitragen, die bestehenden förderlich erwiesen. Auf diese Weise können in Ressourcen optimal einzusetzen und eine Über- der Therapie, in der Tageseinrichtung und im lastung der Fachkräfte zu vermeiden. Elternhaus gemeinsame pädagogische Ziele verfolgt und Erfahrungen sowie Entwicklungs- Obwohl Inklusion auf dem »Diversity«-Ansatz fortschritte in den jeweiligen Settings beobachtet basiert, der keine Unterteilung in Gruppen vor- und untereinander ausgetauscht werden (Wert- nimmt, ist eine Kategorisierung im gegenwärtigen fein 2013). deutschen Bildungssystem unvermeidlich, um der Individualität jeden Kindes auch strukturell ge- recht werden zu können. Zusätzliche heil- und sonderpädagogische sowie medizinische Ressour- cen stehen Kindertageseinrichtungen in der Regel nur dann zur Verfügung, wenn ein besonderer Förderbedarf festgestellt wurde. Auf diese Weise geht jeder integrativen Maßnahme zwangsläufig
Kleine Kinder – großer Anspruch! Inklusive (Alltags-)Qualität in Kinderkrippen 15 Literatur Abbott, L. & Langston, A. (2007): Ein britisches Modell der Kultti, A. (2014): Mealtimes in Swedish preschools: Unterstützung aktiven Lernens kleiner Kinder und seine pedagogical opportunities for toddlers learning a new Umsetzung. Frühförderung interdisziplinär, 26 (2), 66 – 77 language. Early Years, 34 (1), 18 – 31 Ahnert, L., Eckstein-Madry, T. & Supper, B. (2012): La Guardia, J. G., Ryan, R. M., Couchman, C. E. & Deci, E. L. Child Care Research: Öffentliche Kleinkindbetreuung im (2000): Within-Person Variation in Security of Attachment: A Blickpunkt moderner Bindungsforschung. In: Wolf, M. A., Self-Determination Theory Perspective on Attachment, Need Heidegger M., Fleischer E. & Dietrich-Daum E. (Hrsg.). Fulfillment, and Well-Being. Journal of Personality and Social Child Care. Kulturen, Konzepte und Politiken der Fremdbe- Psychology, 79 (3), 367 – 384 treuung von Kindern aus geschlechterkritischer Perspektive Laewen, H., Andres, B. & Hédervári, É. (2000): Die ersten (S. 82 – 97). Weinheim: Juventa Tage in der Krippe. Ein Modell für die Gestaltung der Ahnert, L., Pinquart, M. & Lamb, M. L. (2006): Security of Eingewöhnungssituation (3. erweiterte Auflage). Neuwied/ chilren‘s relationships with nonparental care providers: A Berlin: Luchterhand Verlag meta-analysis. Child Development, 74 (3), 664 – 679 Laewen, H.-J. (1989): Nicht-Lineare Effekte einer Beteiligung Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, von Eltern am Eingewöhnungsprozess von Krippenkindern. Familie und Frauen & Staatsinstitut für Frühpädagogik Psychologie in Erziehung und Unterricht, 36, 102 – 108 (Hrsg.). (2012): Der Bayerische Bildungs- und Erziehungsplan Ryan, R. & Deci, E. (2000): Self Determination Theory and the für Kinder in Tageseinrichtungen bis zur Einschulung (5., facilitation of Intrinsic Motivation, Social Development, and erweiterte Auflage). Berlin: Cornelsen Verlag Well-Being. American Psychologist, 55 (1), 68 – 78 Becker-Stoll, F., Niesel, R. & Wertfein, M. (2014): Handbuch Sarimski, K. (2012): Behinderte Kinder in inklusiven Kinderkrippe. So gelingt Qualität in der Kindertagesbetreu- Kindertagesstätten. Stuttgart: Kohlhammer ung. Freiburg i. Breisgau: Herder Sommer, D., Pramling Samuelsson, I. & Hundeide, K. (2013): Booth, T. (2010): Wie sollen wir zusammen leben? Inklusion Early childhood care and education: a child perspective als wertebezogener Rahmen für die pädagogische Praxis paradigm. European Early Childhood Education Research (Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW), Hrsg.) Journal, 21 (4), 459 – 475 Booth, T., Ainscow, M. & Kingston, D. (2012): Index für Stahmer, A., Carter C., Baker, M. & Miwa, K. (2003): Parent Inklusion (Tageseinrichtungen für Kinder). Spiel, Lernen und Perspectives on their Toddlers’ Development: Comparison of Partizipation in der inklusiven Kindertageseinrichtung Regular and Inclusion Childcare. Early Child Development and entwickeln (Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft, Care, Vol. 173(5), 477 – 488 Hrsg., 5. Auflage). Frankfurt am Main Stahmer, A./ Carter, C. (2005): An empirical examination of Brazelton, T. & Greenspan, S. I. (2002): Die sieben Grundbe- toddler development in inclusive childcare. Early Child dürfnisse von Kindern. Was jedes Kind braucht, um gesund Development and Care Vol. 175, No. 4, 321 – 333 aufzuwachsen, gut zu lernen und glücklich zu sein (2. Aufl.). Swick, K. J. & Hooks, L. (2005): Parental Experiences and Weinheim: Beltz Beliefs Regarding Inclusive Placements of their Special Needs Cryer, D., Tietze, W., Buchinal, M., Leal, T. & Palacios, J. Children. Early Childhood Education Journal, 32 (6), (1999): Predicting process quality in preschool programs: A 397 – 402 cross-country comparison. Early Childhood Research Tietze, W. (Hrsg.). (1998): Wie gut sind unsere Kindergärten? Quarterly, 14 (3), 339 – 361 Eine Untersuchung zur pädagogischen Qualität in deutschen Deci, E. & Ryan, R. M. (2000): The „What“ and „Why“ of Kindergärten. Berlin: Luchterhand Verlag goal pursuits: Human needs and the self-determination of Tietze, W., Becker-Stoll, F., Bensel, J., Eckhardt, A. G., behavior. Psychological Inquiry, 11 (4), 227–268 Haug-Schnabel, G., Kalicki, B. et al. (Hrsg.). (2013): Nationale Friedlmeier, W. & Trommsdorff, G. (2001:. Entwicklung der Untersuchung zur Bildung, Betreuung und Erziehung in der Emotionsregulation bei 2- und 3jährigen Mädchen. frühen Kindheit (NUBBEK). Weimar, Berlin: verlag das netz. Zeitschrift für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Wertfein, M. (2013): Inklusive Qualität in Kinderkrippen. Psychologie, 33 (4), 204 – 214 Sonderpädagogische Förderung heute, 58 (4), 345 – 357. Friedlmeier, W. (1999): Emotionsregulation in der Kindheit. In Wertfein, M., Müller, K. & Danay, E. (2013). Die Bedeutung W. Friedlmeier & M. Holodynski (Hrsg.), Emotionale des Teams für die Interaktionsqualität in Kinderkrippen. Frühe Entwicklung: Funktion, Regulation und soziokultureller Bildung, 2 (1), 20 – 27 Kontext von Emotionen (S. 197–218). Heidelberg: Spektrum Akademischer Verlag Wertfein, M., Müller, K. & Kofler, A. (2012): Kleine Kinder - großer Anspruch! 2010. Zweite IFP-Krippenstudie in Fürstaller, M., Funder A. & Datler, W. (2011): Wenn Tränen Tageseinrichtungen für Kinder unter drei Jahren (IFP-Projekt- versiegen, doch Kummer bleibt. Frühe Kindheit. Die ersten bericht). Verfügbar unter http://www.ifp.bayern.de/ sechs Jahre (01), 20 – 26 Wertfein, M., Spies-Kofler, A. & Becker-Stoll, F. (2009): Gutknecht, D. (2012:. Bildung in der Kinderkrippe. Wege zur Quality curriculum for under-threes: the impact of structural Professionellen Responsivität. Stuttgart: Kohlhammer standards. Early Years, 29 (1), 19 – 31 Hédervári-Heller, É. (2010): Eingewöhnung. In W. Weegmann Ziegenhain, U., Rauh, H. & Müller, B. (1998): Emotionale & C. Kammerlander (Hrsg.), Die Jüngsten in der Kita. Ein Anpassung von Kleinkindern an die Krippenbetreuung. In L. Handbuch zur Krippenpädagogik (S. 237 – 250). Stuttgart: Ahnert (Hrsg.), Tagesbetreuung für Kinder unter drei Jahren. Kohlhammer Theorien und Tatsachen (S. 82 – 98). Bern: Verlag Hans Huber.
16 Fachtagung 2014 Inklusives Handeln in Kindertagesstätten – bisher nur ein Wunsch?! Manuela Fröhlich, Heilpädagogin, Dozentin der Fachakademie Im Rahmen der Inklusionsbestrebungen der besitzen einen erhöhten Förderbedarf. Somit letzten Jahre tragen die Kindertagesstätten eine gelten für diese Gruppen ein höherer Personal- große Herausforderung und ein hohes Maß an schlüssel und eine geringere Kinderzahl als Verantwortung. Die Auseinandersetzung mit be- in Regelgruppen mit ca. 25 Kindern und zwei stehenden inklusiven Handlungsmöglichkeiten in Pädagoginnen/en. Hinzu kommt die zusätzliche Kindertagesstätten setzt eine genauere Betrach- Betreuung der Integrationskinder durch einen tung der Gegebenheiten und Begrifflichkeiten Fachdienst, der pro Kind über 50 Stunden im Jahr voraus. zu dessen Förderung und für die Zusammenarbeit mit Erziehern und Eltern verfügt. Seit Jahren bestehen Kindertagesstätten die integrativ arbeiten. Hierfür gibt es allgemein Der Schwerpunkt der pädagogischen Arbeit und rechtliche Grundlagen, die in der Sozialgesetz- die gesetzlichen Grundlagen für die gemeinsame gebung und im Kinder- und Jugendhilfegesetz Betreuung und Förderung von behinderten und festgeschrieben sind. Die konkrete Ausgestaltung nicht behinderten Kindern beziehen sich somit der Leistungen erfolgt in Landesgesetzen und noch immer auf den Integrationsgedanken, der Rechtsverordnungen, die von Bundesland zu sich aber wesentlich von inklusiven Strukturen Bundesland variieren. unterscheidet. Der Begriff der Inklusion unterscheidet sich vom Die Integrationsplätze in Oberbayern werden Begriff der Integration insofern, dass es bei der durch den Bezirk Oberbayern finanziert. Es Integration darum geht, Unterschiede wahrzu- handelt sich um eine Maßnahme des Bezirks zur nehmen und Getrenntes wieder einzugliedern. Eingliederungshilfe nach §§ 53, 54 SGB XII.Um Inklusion will hingegen den individuellen Bedürf- allen Kindern eine gleichberechtigte Teilhabe am nissen aller Menschen Rechnung tragen. gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen, sieht das BayKiBiG (Bayerisches Kinderbildungs- und In der Praxis zeigt sich der Unterschied dadurch, -betreuungsgesetz) im Artikel 11 die gemeinsame dass in Kindertagesstätten Integrationsplätze Betreuung von Kindern ohne Behinderung und durch den Bezirk dann finanziert werden, wenn Kindern mit einer Behinderung vor. Dies gilt auch das Kind ein entsprechendes Gutachten oder für Kinder, die von einer Behinderung bedroht Attest durch einen Arzt nachweisen kann. Das sind. heißt, es muss erst eingestuft, begutachtet und als förderfähig erkannt werden. Demgegenüber Viele der Integrationseinrichtungen bieten Inte- bedeutet Inklusion in Kindertagesstätten, dass alle grationsgruppen an, in denen 15 bis 18 Kinder Kinder die Förderung erhalten, die sie individuell von drei Pädagoginnen/en betreut werden. benötigen, unabhängig von attestierten Beein- Fünf der Kinder belegen Integrationsplätze und trächtigungen. Die zur Verfügung gestellten Ressourcen könnten dann der gesamten Gruppe zur Verfügung stehen. Ein Fachdienst hätte dadurch die Möglichkeit, die Gesamtgruppe viel
Sie können auch lesen