Klappe.film.II - Kulturchannel
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Nr. 65 · März 06 · e 2,91 E DIE BRUCKE kärnten•kunst•kultur U R K U L T 02Z032603M · Verlagspostamt 9020 Klagenfurt · Erscheinungsort Klagenfurt klappe.film.II die bruecke zu alle kulturtermine im märz 06 film.kino.kultur www.bruecke.ktn.gv.at P. b. b. GZ
L Maria Lassnig Körperbilder Li eb e Le se ri n, li eb er Le se r Denk’ ich an Deutschland in der Nacht/Dann A bin ich um den Schlaf gebracht, hatte Heinrich Heine (heuer 150. Todestag) body awareness painting gedichtet. Nun, wenn wir an den Öster- reichischen (und auch deutschen) Film 16. Februar bis 28. Mai 2006 I denken, dann ging es uns lange ähnlich. Doch die Zeiten haben sich geändert und heute wird uns höchstens der Schlaf geraubt, weil die Kultur- oder Film- R sendungen so spät ausgestrahlt werden. Um die heimische Kunst der bewegenden und bewegten Bilder ist es derzeit gut bestellt, wie die vielen Auszeichnungen O und Nominierungen zeigen (Darwins Night- mare, Grbavica, We feed the World, u.a.) – und zur Hoch.Zeit dieses Mediums (Biennale, Berlinale, Diagonale bzw. Film- T preise wie César, Golden Globe, Oscar) ist der Schwerpunkt im März, der ansonsten den Frauen gehört (siehe links), darauf gerichtet. Apropos: Eine Neueinführung I wird uns künftig regelmäßig durch die Ausgaben begleiten - passend zum Landes- Schwerpunkt Literatur in diesem Jahr: D Kärntner Sagen neu erfunden und gegen- wärtig erzählt - remixed und reloaded sozusagen. Haben wir Jubiläen wie 100 Jahre sloweni- E scher Film, 200. Geburtstag H. C. Andersen und Adalbert Stifter, 100. Elias Canetti, Manès Sperber etc. kürzlich erst in der Brücke gefeiert, so werden wir dem Jahres- regenten gemäß Mozart weiter mit ungewöhn- lichen Beiträgen huldigen ( diesmal z. B. Uraufführung von Dieter Kaufmanns Requiem nach Josef Winklers Novelle). Natürlich Internationaler Frauentag betreiben wir nicht nur Nabelschau, sondern werfen auch Blicke über die Landeshauptmann und Kulturreferent laden Grenzen – sowohl geographisch, als auch am 8. März alle Frauen herzlich ein: inhaltlich und künstlerisch, womit sich Programm ab 17 Uhr, Empfang 20 Uhr. der Kreis von Geschichte und Geschichten wieder schließt. Eintritt frei im MMKK für Frauen in der Zeit vom 6. – 12. März! Viel Lese- und Schauvergnügen dabei wünscht Ihr bruecken.bauer Burggasse 8/Domgasse · A 9020 Klagenfurt T.+43(0)463.536.30542· F. +43(0)463.536.30514 Di bis So 10 bis 18 Uhr · Do 10 bis 20 Uhr Günther M. Trauhsnig E. office@ktn.gv.at · www.mmkk.at
Inhalt D i e B r ü c k e – k ä r n t e n . k u n s t . k u l t u r · N r. 6 5 , M ä r z 0 6 4 horizonte/aviso 5 tipp Am.Abstellgleis Performance Andrea Latritsch-Karlbauer und Arge Sozial Foto: Paravent 2003/Goldgruber da.schau.her 7 Tassilo Blittersdorff, Zeilenbild (1991) denk.mal 9 „Kino Schloss Velden“ am Wörthersee kärnten.art 10 Körperbilder.Body awareness painting Große Maria Lassnig Personale im MMKK 11 John Malkovich ist Gustav Klimt Aus dem Filmtagebuch von Horst Dieter Sihler atelier.besuch Matthias Boeckl wurde kärnten.art fündig auf der Suche 12 Zwischen Bild und Objekt nach konkreter Kunst Atelierbesuch bei Eric M. Kressnig in Österreich – Eric Kressnig ist mit vier Impressum schwerpunkt.literatur anderen spannenden Herausgeber, Medieninhaber und Copyright 14 Nassfeld, März 2006 Künstlern in der sowie Verantwortlicher Redakteur Ausstellung „Spring“ Landeskulturabteilung – Öffentlichkeitsarbeit Sagen.haftes von Bernd Liepold-Mosser präsent. Seite 12 und Kulturmarketing vorlese.prvo branje Mag. Günther M. Trauhsnig Foto: Helge Bauer 17 Jürgen Lagger, Die Geschichte vom Lastkran Tel. 050-536-30 5 38 e-mail: guenther.trauhsnig@ktn.gv.at w o r t . f ü r. w o r t Redaktionelle Mitarbeiter dieser Ausgabe: 18 Geschlossene Gesellschaft Matthias Boeckl, Annemarie Fleck, Geraldi- Über Jürgen Lagger: Öffnungen ne Klever, Gerda Krainer, Bernd Liepold- klang.figuren Mosser, Mona Decker-Mathes, H. C. Mayer, 20 Tod auf dem Marktplatz Michaela Monschein, Alfred Ogris, Andrea Pollach, Arnulf Rohsmann, H. D. Sihler, Ilse Rom-Film. Uraufführung von Kaufmanns vertonter Winkler Novelle Schneider, Mahnaz Tischeh, Günther M. sprung.brett Trauhsnig, Josef K. Uhl, Slobodan Zakula 23 Eine Sängerin, die genau weiß, was sie will sagen.haftes Redaktionsbüro Stationen: Stadttheater Klagenfurt, Volksoper Wien, Semperoper Dresden Mystery-Autor Bernd 9020 Klagenfurt, Burggasse 8, Liepold-Mosser hat Tel. 050-536-30 5 38 spuren.suche speziell für die Fax: 050-536-30 5 39 24 Von der Ökonomie, der Politik und der Ästhetik Brücke ein neues e-mail: guenther.trauhsnig@ktn.gv.at Kärntner Sagenbuch Genese und Form des Mediums Film – international und national Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben verfasst. Den Auftakt die Meinung der Autoren wieder. Die Redakti- 27 Stories for the exhausted macht die Karnische Region. on behält sich vor, Beiträge bei Bedarf zu Sofa surfen „über der Stadt“ von Tomte bis Lou Reed Seite 14 kürzen oder zu ändern. Zur Verfügung 28 Filmische Horizonte in der Diagonale gestelltes Text- oder Bildmaterial wird (wenn Starker Kärntenbezug beim Festival des österreichischen Films nicht anders vermerkt) nicht retourniert. Foto: Bockerer/Filmarchiv Austria Aboannahme 29 Über den verhaltenen Glamour des österreichischen Films Kulturabteilung des Landes Kärnten, Elisa- Interview mit dem Leiter des österreichischen Filminstituts beth Pratneker, innen.aussen Telefon 05-0536-30 5 82, 30 Die Bewegung der Kamera Fax 05-0536-30 5 00, Poetisch reduzierte Filmkunst: Andri e-mail:elisabeth.pratneker@ktn.gv.at Kulturtermine 32 Film als psychologisches Phänomen Jaqueline Krassnitzer Die Klagenfurterin Tanja Mairitsch als Regisseurin in Los Angeles e-mail: bruecke@ktn.gv.at Fax: 050-536-30 5 39 blick.punkt Grafik 34 Literatur-Kino Harald Pliessnig 35 Jahre Literaturzeitschrift Unke Satz und Lithos medium.film TextDesign GesmbH, kult.brille Wir sind national Tel. (0463) 26 13 72-10 36 Der Kärntner Fürstenstein und international Druck Zur Geschichte von Österreichs ältestem Rechtssymbol auf Spurensuche der E. Ploetz GmbH, Tel. (04352) 2423 Geschichte und Gene- 38 horizonte se gegangen, haben Verlagspostamt den Leiter des Film- 9020 Klagenfurt 39 buch.musik.tipps Einzelpreis d 2,91 instituts befragt lust.auf.kultur und zur Diagonale Abonnement geblinzelt. 10 Ausgaben d 25,44 40 Kärntner Kulturkalender Seite 24 inkl. KulturCard Kärnten, K U L T U R 43 Galerien / Ausstellungen Porto und Versand. Titel: Mystery 45 Kino www.bruecke.ktn.gv.at
H O R I Z O N T E Zurück nach Dalarna!, OmU/Preview, Schweden 2004, Regie: Maria Blom frauen.filmtage Volkskino und Referat für Frauen und Gleichbehandlung des Landes kooperie- ren wieder anlässlich des internationalen Frauentages. Das Ergebnis: Auch heuer wieder gibt es von 7. bis zum 11. März eine ganze Woche Filme für Frauen und das (für weibliche Kinobesucherinnen) zum Nulltarif - Reservierungen unter 0463- 319880 (siehe auch Kinoprogramm Seite 46). Gleich zu Beginn der Frauenfilmtage bietet das Volkskino mit „Zurück nach Dalarna“ (Masjävlar) eine exklusive Pre- view. Ein fesselndes Provinz-Melodram über das Wiedersehen dreier egozentri- scher Schwestern. Eine Tragikomödie von wunderbarem Humor, der zu Herzen geht, knochentrocken und zärtlich zugleich. Mit dem Schwedischen Filmpreis ausgezeich- net, faszinierte sie dort mehr als eine Millionen Zuschauer. Bei einer weiteren Erstaufführung (EA) werden die Geschlechterrollen einmal anders be- leuchtet. „Stage Beauty“: in den 1660ern beschließt der englische König Charles II, dass Männer in weiblichen Rollen den echten Frauen auf der Bühne weichen sollten. Richard Eyre (Iris) inszenierte einen hinreißenden Blick auf Londons traditions- und ruhmreiche Theaterge- schichte. Etwas ernster und nachdenkli- cher ist „Der Tag, an dem ich zur Frau wurde“, ebenfalls EA. In dem Episodenfilm schildert die iranische Regisseurin Marziy- eh Meshkini drei Lebensabschnitte und somit drei Schicksale von drei Frauen. Fünf weitere Filme von/für Frauen runden das Programm ab. TH Der Tag, an dem ich zur Frau wurde, OmU, Iran 2000, Regie: Marziyeh Meshkini Wort.Bild.Keim Mit seinen Bildern überschreitet Gustav Januš die Grenzen vom Tag in die Nacht, von der Wirklichkeit zur Fiktion, vom Sein zum Nichts, von der Farbe zu ihrer Transzendierung. Auf die Wirklichkeit richtet der Künstler sein Augen- merk. Jenseits von Versuch und Irrtum geht er als Lyriker und Maler unbeirrt seinen Weg der Formen und Farbensprache, sodass der Titel seines neuesten Buches „Mein Wort keimt auf als Bild/Moja beseda klije navzgor kot slika“ (Wieser Verlag) treffende Erfüllung findet. Die Galerie Šikoronja in Rosegg zeigt ab 17. März (19 h) die neuesten Arbeiten von Gustav Januš. Einführende Worte: Siegmund Kastner. SK 4 Die Brücke 65 – März 06
ander schneidet, schneidet dem Herr- gott die Fersen ab). Die Sprachbau- steine kommen aus dem jüngsten Erfolg des Kärntner Autors Leichnam – seine Familie belauernd (Suhr- kamp). Die Regie und freie Zusam- menstellung aus diesem sarkasti- schen, teilweise ironisch-witzigen Text teilen sich Gerhard Fresacher und A. W. Grill. Für die Musik ist Alte.Lumpen Richard Klammer verantwortlich. Ein Konzert in der Landhausbuch- Premiere: 30. März, 20 h (Mehr darüber handlung? von der Jeunesse?? mit in einem ausführlichen Gespräch mit Franzobel??? Ja! Am 9. März 19.30 h den beteiligten Künstlern in der gibt er mit Bertl Mütter Highlights. April-Brücke!) GMT Advanced Caberet oder Oide Hoda’n zum Besten. Bertl Mütter (Posaune, Euphonium) bläst das Publikum mit burleskem, selbstironischem Spiel in die lustige, skurrile Welt Franzobels, des österreichischen Jungstars der Lyrik-Avantgarde und Bachmann- Preisträgers. Piccolo-Jeunesse für Kinder bringt wiederum am 25. März 2006, 17 h Mozart the Goodman der Vienna Clarinet Connection ins Klagenfurter Konzerthaus. ID tipp Am.Abstellgleis Mit einer Welturaufführung bringt Andrea Latritsch-Karlbauer in Kooperation mit der Arge Sozial am Hauptbahnhof Villach einen einmaligen Zug in’s Rollen: „Am Abstellgleis“ macht die Ausgrenzung von Menschen, die am Rande der Gesellschaft Bühnen.Clown leben, transparent. Ein alter ausrangierter Alf Poier ist der Clown unter den Zugwaggon als Symbol bietet den Teilneh- Philosophen und der Philosoph unter mern die Möglichkeit, in einer künstleri- den Clowns. Sein neues Programm schen Intervention ihre Lebensgeschichten Kill Eulenspiegel gibt uns Einsichten zu präsentieren. Diese Geschichten sind in seine irrwitzige Gedankenwelt. berührend, real und machen bewusst, dass Aber wer ist er wirklich? Tötet sich jeder von uns in eine scheinbar ausweglose der Clown selbst, um nicht (von den Situation kommen kann. Gleichzeitig weckt Medien) getötet zu werden? Kommt der Mythos des fahrenden Volkes, der Vaga- es zum Duell Poier gegen Poier? Oder bunden, des Tramps romantische Vorstel- Ein.Stück.Winkler ist das neue Programm vielleicht lungen von Freiheit, Unabhängigkeit und Zum großen Auftakt der Freien Büh- nichts weiter als einer der zahllosen unerfüllten Sehnsüchten in uns, so die ne Kärnten im Artecielo (siehe Feber- PR-Gags, mit denen der Song-Contest Multimedia-Künstlerin, von der Idee, Kon- Brücke) hat sich das Klagenfurter Triumphator einst ganz Europa zept und Regie stammen. Das Video hat Ensemble (ke) unter der Leitung von narrte? Egal - am 21. März steht er Reinhard Latritsch und den Raum Gerhard Gerhard Lehner viel vorgenommen: dank der Kulturinitiative Bleiburg im Fillei gestaltet. Die Performance wurde von Nicht weniger als eine Welturauf- Hotel Altes Brauhaus Breznik auf der Latritsch-Karlbauer gemeinsam mit den führung soll’s sein: genauer „ein Bühne. Und diese ist für ihn einer der Klienten der Arge Sozial, die auch als Stück von Josef Winkler“ (Bild). Soviel wichtigsten Plätze um sich gesell- Darsteller mitwirken, aus Gesprächen und steht fest. Am Titel wird noch gefeilt schaftlichen Zwängen und Normen Theaterimprovisationen entwickelt,. Ab 10. (Papst Benedikt XVI. Du sollst den entziehen zu können. Am 29. März März, 19 h, werden die Besucher der multi- Herrgott nicht bei den Füßen herun- folgt dort C.J. Chenier & The Red Hot medialen Inszenierung in der Bahnhofs- terziehen oder Wer das Brot unterein- Louisiana Band (USA)! AO halle abgeholt und in den Gepäckswagon gebracht. Einsteigen! GMT Die Brücke 65 – März 06 5
aviso Kurz.Krimis Schauplatz für den ersten in Österreich ausgeschriebenen Krimipreis ist der Tatort Internet. Weitere Rahmenvorgabe: max. 20.000 Zeichen. Initiatorinnen sind die Krimiau- torinnen Susanne Schubarsky und Fran Henz. Zu verlieren gibt’s nichts, zu ge- winnen: eine Woche in einem Kärntner 4-Sterne-Hotel, ein Notebook, eine Wo- che Schreiburlaub auf einer Berghütte. Und die 25 spannendsten Einsendungen werden zu einer Anthologie zusammen- gefasst, die im Herbst 2006 im Wieser- Verlag erscheint. Die Preisverleihung erfolgt im Rahmen der Buchwoche. Vorsitzende der Jury ist Sister in Crime Beatrix M. Kramlovsky. Mitmachen dür- fen alle Autoren deutscher Feder. Einsen- deschluss: 31. März. www.kaerntner- krimipreis.at Prix.Ars.Electronica Der internationale Wettbewerb für CyberArts, wird 2006 bereits zum 20. Mal ausgeschrieben. Neben den klassischen Kategorien Interaktive Kunst, Net Vision, Künstlerhaus.Retrospektive Computer Animation/Visual Effects und 1956 verunglückte Anton Marcolin in Klagenfurt mit seinem Motorroller. Er war Digital Musics sind die Digital Commu- 28 Jahre alt, Vater einer 2-jährigen Tochter, Absolvent der Akademie der Bilden- nities, und auch das Kunst- und Techno- den Künste Wien. Vier Jahre zuvor war er zu seiner Familie nach Eberstein und logiestipendium [the next idea] ausge- zu Anna, einer jungen Lehrerin, zurückgekehrt, der er beim Schifahren auf der schrieben. Prix Ars Electronica: Ende der Saualpe begegnet war (Foto). Erst jetzt wieder in Erinnerung gerufen, wird er Einreichfrist 17. März. Details und Anmel- trotz seinem nur kleinen Œuvre, von Kunstexperten als einer der wichtigsten dung nur online: http://prixars.aec.at Bildhauer Österreichs bezeichnet. Anlässlich seines 50. Todestages wurde von seiner Tochter Angelika Elliott ein Buch herausgegeben, das Tomas Hoke gestal- Zeichen.Kunst tete (Tipp Seite 39), der dazu auch eine Retrospektive im Künstlerhaus kuratiert Zum 3. Mal ist der AMI Award Lines on (Eröffnung 23. März, 19 h) – zugleich startet die Ausstellung [‘kindrid] von Julie Paper mit Unterstützung der Oberöster- Hayward und Gerold Tusch (siehe April-Brücke). GG reichischen Landesmuseen ausgeschrie- ben. Bei diesem mit 10.000 Euro dotier- ten Kunstwettbewerb gibt es keine Einschränkung in Hinblick auf Alter oder Pech haben, auf der falschen Seite Nationalität. Eingeladen sind alle Künst- auszusteigen, stehen Sie plötzlich vor ler, die sich intensiv mit allen Formen dem absoluten Nichts. Und in diesem der Zeichnung(en) auseinandersetzen. Moment werden Sie den Schmerz in Zeitraum der Einsendung an die Landes- den Liedern von Amanshauser & galerie Linz (Museumstrasse 14, 4010 Wenzl nachvollziehen können. Martin Linz) ist vom 7. März bis 7. April. Infos: Amanshauser (Autor, Reisejournalist) kultstein@kultstein.at und Franz Wenzl (Musiker, Labelbe- treiber) stellen die Früchte ihrer zwei- Ta n z w o r k . s h o p 5 0 + jährigen Zusammenarbeit vor: deut- TANZ.improvisation und TANZ.training sche Texte zu Elektronikmusik, wun- bzw. Ausdruckstanz für Frauen ab 50 derschöne Liebeslieder, liebevoll ar- bietet das Artemis Generationentheater rangiert. 1 Email und 9 Songs umfasst an. Referentin für beide Workshops ab die brandneue CD Auf der falschen 20. bzw. 22. März im Diözesanhaus Klagen- Seite von Ikebukuro. Tränen, Glück und furt ist die Tänzerin und Choreografin I k e b u k u r o . To k y o große Gefühle gibts gratis dazu von Alenka Hain. Anmeldungen nimmt eben- Waren Sie schon einmal in der japani- Musilmuseum und Verein Innenhof- dort die Katholische Frauenbewegung schen Hauptstadt Tokyo? Wenn Sie im kultur. Wann? 20. März im Cafe im entgegen: Tel.: 0463/ 5877–2431. dortigen U-Bahnhof Ikebukuro das Künstlerhaus in Klagenfurt. RS 6 Die Brücke 65 – März 06
horizonte E Foto: Timón Solinis L i t e r a . To u r m i s s . v e r. s t a n d e n Mit seinem Buch „Anprobieren eines Die Galerie Freihausgasse Villach da.schau.her Vaters“ (Geschichten und Erwägun- zeigt Verstanden – Missverstanden. gen. Diogenes, 2004) wird Erich Hackl Stellungnahmen von Künstlerinnen tassilo blittersdorff zeilenbild [1991], heuer im Rahmen der Reihe und Künstlern. part 2 ab 7. März, 19 h. grafit, kupfer, elektrolyt auf leinwand Literatour.at zum ersten Mal im Zeitgenössische Kunst wird in der 75 cm x 50 cm Musil-Haus zu Gast sein. Der in Wien Öffentlichkeit oft missverstanden. lebende Erzähler, Drehbuchautor und Interviews und Texte bildender was wie ein konstruktivistisches Übersetzer vor allem iberischer und Künstler geben den Rezipienten der gemälde aussieht, hat den pinsel nie iberoamerikanischer Literatur liest Arbeiten die Möglichkeit, das Werk in gesehen. es ist klar gegliedert in 10 am 30. März, 19.30 h. Schlichtes einem neuen Licht zu sehen. Die zeilen und eine helle restfläche, kolori- Protokoll, Reportage, Kurzroman oder Ausstellung bietet eine Chance zur stisch formuliert in beschränkter pa- Essay, die Ordnung der Enzyklopädie, Klärung von Missverständnissen lette von anthrazit und kupfer. der Chronologie oder des Alphabets: bzw. zur Erfassung der künstleri- der künstler hat die geometrische Hackl probiert für jedes Schicksal eine schen Positionen. Die Projektidee struktur entworfen und die umset- andere Erzählform an und aus und und Regie stammt von Christian zung ins bild durch eine galvanische adelt so die Pflicht des Erinnerns zur Gmeiner, als Kuratorin wirkt Renate methode vorgegeben. er selbst tritt als literarischen Kür, notierte Martin M. Obud. Im Bild: Meina Schellander. maler nicht auf. er hat, was durch Halter über den Autor in der GMT jahrhunderte den geniestatus des Frankfurter Allgemeinen Zeitung. malers begründet hatte, an eine tech- HS nische instanz abgetreten. das automatische malen mit schwach- strom, leitfähigem grafit und drahte- gehört.gesehen lektroden bildet einen prozess ab, der Dem Kulturverein akku schiefling ist vom künstler eingeleitet wird, und der es gelungen, den steirischen Kabaret- sich nach und nach verselbständigt. tisten Mike Supancic zu einem seiner schwankungen der stromstärke und seltenen Auftritte in Kärnten einzula- der konzentration der salzlösung den. Das Stimm- und Parodienwunder bewirken formen mit einem vermeint- präsentiert sein neues Programm am lich hohen grad von zufälligkeit. die 31. März. um 20 Uhr im Jugendgäste- hatte einst die händische informelle haus Cap Wörth. In Form einer zwei- malerei geprägt. nicht kalkuliertes stündigen Radioshow gerät unter bestimmt die detailform. Beschuss, wer in Medien- und Polit- entgegen aller musealen anforderun- welt Rang und Namen hat. Dabei gen bleibt der materiale zustand des verzichtet er auf triviales Politkabarett werkes nicht stabil. die fortschreitende und greift auf die Charaktereigen- oxidation ändert langsam die farb- schaften seiner Opfer zurück, um struktur; kristalle blühen aus. diese gnadenlos in ein neues Licht zu der wunsch nach endgültigkeit wird rücken. All das verpackt im Format vom werk selbst zurückgewiesen. bekannter Fernseh- und Rundfunk- veränderung ist hier nicht identisch sendungen, die „Radio Supancic“ mit verfall. die differenz müsste ein adaptiert. Gesellschaftskritik im subjekt festlegen, und das kommt hier großen Stil bleibt nicht aus. ID nicht vor. ar Die Brücke 65 – März 06 7
horizonte E Lassnig.Power Die Villacher Ausstellung Woman Power von Maria Lassnig in der white8 zeigt Kupferstiche, die als Meisterwerke der Zeichenkunst zu werten sind. Sie entstammen einer Sonderedition von 1986, wobei die Künstlerin eigenhändig und höchst differenziert in der Farbgebung die Arbeiten koloriert hat. Die Blätter zeigen Körperbewusstseinsformen vorwiegend aus der New Yorker Zeit (1968-1979). In den in sich geschlosse- nen Kompositionen konzentriert sich die Künstlerin vor allem auf die Körperregionen von der Mitte ab- wärts. Der Kopf versinkt immer mehr im Rumpf. Die sich ständig verän- dernde Befindlichkeit der Künstlerin filtert die aus dem Außen- und Um- raum ankommenden Informationen. Vernissage: 24. März, 19 Uhr. DA N a t u r. D i a l o g In den Dialog mit der Natur tritt Gerda Obermoser-Kotric in ihren Un.Sinn Arbeiten auf Holz und Papier und Anna Blume oder Lyrik von Kurt Leinwand (Waqua-Technik). Die bildli- Schwitters durchwachsen mit/um- U n t e r. V e r s c h l u s s che Umsetzung basiert auf Symbol- rahmt von/transportiert durch Musik Was ein anderer sagen oder singen sprache und Emotionslauf in einem hat der philosophierende Bass Dietmar würde, versuche ich zu zeichnen: Alois dynamischen Reigen. In einem harmo- Pickl zusammengestellt. Unterstützt Köchl bereitet eine große Personale nischen Lichtfluidum ist ein Ineinan- wird er dabei von Christoph Hofer vor, die neue, bisher „unter der, Nebeneinander und Miteinander (Akkordeon), Emil Kriütof (Schlagzeug) Verschluss“ gehaltene Arbeiten möglich. Umwandlungen werden und Gilbert Sabitzer (Saxophon). Ein zeigen und mit finanzieller Hilfe von bildhaft festgehalten (mit Renate Abend für Menschen, die Ironie ver- Kunstfreunden auf die Beine gestellt Obud im Gespräch). Die Ausstellungs- tragen und Parodie schätzen. Denn wird. Einen kleinen Einblick gibt die palette der Schülerin der Professoren der Dadaist Kurt Schwitters (1887- Ausstellung neuer Zeichnungen im Kusdas und Canaval reicht von New 1948) war zugleich Schriftsteller, Atelier Berndt in Wolfsberg ab York (1994) über Belgien, Ungarn und Maler, Bildhauer, Avantgardist und 16. März, 19.30 h. Sehr klare Formen Italien bis (zurück aus Tirol) nach einer der Väter des Prinzips Collage. In auf meist großen Flächen und wun- Kärnten, wo sie wieder einmal in seinen Lautgedichten bestimmt die derbare Farben geben einen Eindruck Villach ausstellt - bis 25. März in der rhythmische Struktur den Verlauf - der neuen Arbeiten, darunter noch Köllpassage. Näheres dazu von am 3. März, 19.30 h, im Maria Saaler nie in Ausstellungen gezeigte Blätter Brigitte Holzer bei der Vernissage Haus der Begegnung. AA wie „Burundi“. AF am 10. März, 19 h! GT 8 Die Brücke 65 – März 06
Franz Baumgartner: Kino Velden, Entwurf für die Gestaltung der Bühnenwand (ca. 1924) denk.mal! „Kino Schloss Velden“ Wörthersee, Seecorso 10 Eine eigenständige Kinoarchitektur, wie sie beispielsweise in Berlin u. a. von den Archi- tekten Bruno Taut, Oskar Kaufmann, Hans Poelzig, Fritz Wilms oder Erich Mendelsohn entwickelt wurde, sucht man hierzulande vergebens. In Österreich mit seiner heraus- ragenden Schauspiel- und Operntradition Kunst.Dom wurden Kinos oft wie Theater konzipiert, Die Kunstinstallation im Dom zu für deren Fassaden- und Innenraumgestal- Klagenfurt von Aschermittwoch bis tung man auf die bewährten Vorbilder der Ostern wird wieder versuchen, Gründerzeit, insbesondere auf die Theater- menschliche Grunderfahrungen mit bauten der Firma Fellner und Helmer, Kunstformen unserer Zeit auszu- zurückgreifen konnte. drücken. Thematisch ist es diesmal In diesem Kontext ist auch das heute stark auf die Darstellung der christlichen veränderte, ehemalige Kino im seeseitig Heilsflüssigkeiten Wasser und Blut gelegenen, von Gewölben des 16. Jahrhun- konzentriert. Der Bühnenbildner derts bestimmten Erdgeschoss des ehema- Reinhard Taurer (Foto) konzipierte ligen Renaissanceschlosses Velden zu se- eine 3-teilige raumhohe Installation, hen: Architekt Franz Baumgartner gelang die in der Tradition der großen Fa- bei seinem Umbau in den 1920er Jahren stentücher des Landes steht. Dieses w e l t t h e a t e r. t a g eine eindrucksvolle Synthese von histori- Tuch ist jedoch aus gespannten Renommierte Theaterleute (u.a. scher Bausubstanz und zeitgenössischer, im Nylonfäden gewoben, an denen Cocteau, Miller, Olivier, Barrault, Stil der Wiener Werkstätte gehaltener Tropfen nach unten fließen. Es ist ein Weigel, Neruda, Albee, Havel) wurden Ornamentik. Der einfühlsame Umgang des dynamisches Objekt, das zugleich für den Welttheatertag am 27. März „Wörthersee-Architekten“ mit noch erhal- dem Tiroler Video-Künstler Pepi Öttl um Botschaften gebeten, in denen sie tenen historischen Bauteilen aus den Zei- als Fläche für seine Projektionen sich mit Bedeutung und Wirkung der ten der Erbauung um 1590 unter dem dient. Die Kunstintervention wird Bühnenkunst im gesellschaftlichen Freiherrn Bartlmä Khevenhüller und der auch 2006 von der Dommusik mit Kontext auseinandersetzen - heuer Neugestaltung der Jahre 1891/ 92 durch den Konzerten begleitet: z.B. der Berliner ist Víctor Hugo Rascón Banda dran. Architekten Wilhelm Heß wird hoffentlich Messe von Arvo Pärt, (1. März), oder Geboren 1948 in Chihuahua wurde beim derzeitigen Umbau und der Erweite- Marcel Dupré - Kreuzweg op. der Dramatiker zu einer mexikani- rung des Schlosses zu einem Luxushotel für Orgel (Klaus Kuchling) mit Paul schen Leitfigur. 1979 schrieb er sein durch die Architekten Jabornegg und Pállfy Claudél Texten (31. März 19.30) - erstes Theaterstück „Voces en el eine Fortsetzung finden. GK mehr über das Projekt in der umbral“ (Stimmen auf der Schwelle). nächsten Brücke! FB Darin zeichnet der vielfache Preisträ- ger das Leben einer Deutschen und einer Tarahumara-Frau zwischen Höhepunkt und Verfall der Berg- bauindustrie nach. Sein Gesamtwerk umfasst 50 Theaterstücke und zahl- reiche Drehbücher. Tipp am 25. März im Schloss Krastowitz: Jahreshaupt- versammlung des Amateurtheater- verbandes (www.theater-service- kaernten.com). AT Die Brücke 65 – März 06 9
kärnten.art E Maria Lassnig 1919 geboren in Kappel am Krappfeld, lebt und arbeitet in Wien und Kärnten. 1939 Matura, Ausbildung zur Volksschullehre- rin 1941–44 Studium an der Akademie der bildenden Künste Wien bei Wilhelm Dachauer, Ferdinand Andri und Herbert Boeckl 1945 Rückkehr nach Klagenfurt; erstes Atelier am Heiligengeistplatz; Treffpunkt von Dich- tern u. Malern, u.a. von Michael Guttenbrun- ner, Arnold Clementschitsch und dem surreali- stischen Dichter Max Hölzer Foto: LPD/Bodner 1948 Erste »Körperbewusstseins-Zeichnung« 1951 Umzug nach Wien, erstes Paris-Stipendi- um: Bekanntschaft mit Gisèle und Paul Celan, trifft André Breton und Benjamin Péret 1952 Zweiter Paris-Aufenthalt, Mitglied des Art Clubs, Wien 1954 Rückkehr nach Wien an die Akademie der bildenden Künste in die Klasse Gütersloh, LHStv. Strutz mit Giselbert Hoke, dem im Herbst eine Ausstellung im MMKK gewidmet sein wird Bekanntschaft mit der Wiener Gruppe (Oswald Wiener, Gerhard Rühm, H.C. Artmann, Friedrich Achleitner) 1960 erste Einzelausstellung in der Galerie St. Stephan, Wien 1961–68 Atelier in Paris K ö r p e r b i l d e r. B o d y 1968–80 Atelier in New York 1970–72 Besuch eines Zeichentrickkurses an der School of Visual Arts in New York awareness painting 1978 DAAD-Stipendium in Berlin 1980 repräsentiert Österreich auf der Bienna- Große Maria Lassnig Personale im MMKK le von Venedig zusammen mit Valie Export 1980–97 Lehrstuhl an der Hochschule für Das Museum Moderner Kunst Kärnten nal positioniert. In ihren Werken re- angewandte Kunst, als erste Professorin für Malerei an einer Akademie im deutschsprachi- (MMKK) bringt derzeit die Ausstellung flektiert sie das konventionelle und gen Raum der international bekannten Kärntne- avantgardistische Bildrepertoire, hin- 1981 in ihrer Meisterklasse wird das erste rin Maria Lassnig unter dem Titel „Kör- terfragt traditionelle Repräsentations- Zeichentrickfilmstudio gegründet 1982 Teilnahme an der documenta 7, Kassel perbilder. Body awareness painting”. muster und Bildgattungen. Die Kör- 1988 Großer Österreichischer Staatspreis, Damit sind in Klagenfurt erstmalig die per-Bild-Erfahrung erklärt sie sowohl Wien 1997 Teilnahme an der documenta X, Kassel Werke von der inzwischen zu Welt- zum Thema ihrer Kunst als auch zum 1998 Oskar Kokoschka-Preis, Wien rang gekommenen und gefeierten Thema ihrer künstlerischen Praxis. In 2002 Ehrenring der Universität für angewandte Kunst, Wien Künstlerin dem Publikum in so kom- ihren signifikanten Sinnbildern setzt 2003 Maria Lassnig vertritt Österreich auf pakter und komprimierter Form zu- sich Maria Lassnig vor allem mit der der ersten Biennale in Peking, China 2004 Max Beckmann Preis der Stadt Frankfurt gänglich, wie Kulturreferent LHStv. Frage nach der Körperrepräsentation, a. M. Martin Strutz bei der feierlichen Eröff- also dem ganzheitlichen Körperbild in 2005 Verleihung des Österreichischen Ehren- nung betonte. Die gut besuchte Aus- der Malerei auseinander. Der Körper zeichens für Wissenschaft und Kunst, Aufnahme in die Österreichische Kurie für Kunst stellungseröffnung wurde dem Motto wird als Objekt oder Bild erfahrbar, die „Kärnten lebt Kultur“ auf allen Ebenen Grenzen zwischen Bild und Körper gerecht, unterstrich Strutz, der sich werden permanent verschoben. Die sehr erfreut darüber zeigte, dem hei- großformatige Einzelausstellung läuft mischen Kunstpublikum eine solch bis 28. Mai im MMKK in der Burggasse. einmalige Ausstellung bieten zu kön- Der Katalog dazu kommt aus dem nen. Nach Jahren sei es endlich gelun- Snoeck Verlag und kostet 24 Euro. gen, diese international anerkannte Seit 4. Februar läuft im Grazer Künstlerin hier zeigen zu können, was Kunsthaus die Ausstellung Zwei oder für das gesamte kulturelle Geschehen Drei oder Etwas von einer der wichtigs– in Kärnten von Bedeutung sei. ten lebenden österreichischen Male- In der in Kooperation mit der Samm- rinnen, Maria Lassnig (1919) und der lung Essl, Klosterneuburg zusammen- kalifornischen Bildhauerin Liz Larner gestellten Schau liegt der Schwer- (1960). Ab Mitte März wird Lassnigs punkt der Auswahl auf den Werken gesamtes filmisches Schaffen anläss- aus dem Zeitraum von der Mitte der lich der Diagonale (siehe auch Seite 60er Jahre bis 2003. Der Fokus liegt 28) ebenfalls in Graz gezeigt. Strutz: auf der Malerei der 80er Jahre. Neben Ich sehe das nicht als Konkurrenz, son- den Bildern stellen die Präsentation dern als fruchtbare Ergänzung mit ihrer Filme und die bisher kaum ge- anderen Bildern. Wir in Kärnten, das zeigten Skulpturen einen weiteren war mein ausdrücklicher Wunsch, Schwerpunkt der Ausstellung dar. Die wollen im Vorfeld der großen Ausstel- ausgestellten Werke repräsentieren lung ‚Kunst nach 1945’ die heimischen zeitlich den Rahmen, in dem sich Ma- Künstler mit Maria Lassnig an der ria Lassnig als Künstlerin internatio- Spitze präsentieren. SN Während die Fußball-WM in Deutschland und die Heim-EM 2008 noch auf uns wartet, formiert sich bereits „die Abwehr“ (2000, Öl auf Leinwand) im MMKK 10 Die Brücke 65 – März 06
WELT KINO WELTEN Aus dem Film-Tagebuch von Horst Dieter Sihler E Der US-Star vor einem Jugenstil Bild des Österreichers. Und Nikolai Kinski als Egon Schiele sowie mit dem chilenischen Regisseur Raùl Ruiz. Fotos: FILMladen John Malkovich ist Gustav Klimt Raúl Ruiz, ein Chilene, der in Paris (F 1968) nach Calderons „Das Leben ein Unbestritten großartig ist nur John lebt, drehte einen Film über Gustav Traum“, „Genealogien eines Verbre- Malkovich in der Titelrolle. Er spielt Klimt (ab 24. März im Filmstudio Vil- chens“ (F 1996) oder nach Proust „Le ohne alle Manierismen und trägt da- lach). Das kommt gerade recht, denkt Temps Retrouvè“ (Die wiedergefun- mit den Film und dessen Ungereimt- man, jetzt, wo Österreich geraubte dene Zeit, F 1999). Würde mir dieser heiten. Klimt-Werke zurückgeben muss und Mann Klimt näher bringen können? Am gleichen Tag sehe ich auf arte viele plötzlich Klimt-Fans sind, die Das Dekor, das Design, die Kostüme das koreanische Meisterwerk „Im vorher nicht mal wussten, wer das ist. sind eine Augenweide für Jugendstil- Rausch der Farben und der Sinne“ Auch im Film werden einige Klimt- Fans. Bizarre Details gibts aber ge- (Goldene Palme, Cannes 2003), in Bilder geklaut, aber das war um 1900 nug: Die k.u.k. Skelett-Collage zu Be- dem ein Künstler, etwa zur selben und der Dieb war Klimt selber, der ginn (Schädel vom Russen, Arme aus Zeit wie Klimt, in der untergehenden seine im Staatsauftrag gemalten Bil- Wien, Beine vom Serben). Der Zeitlu- koreanischen Monarchie um kreative der aus der Sezession zurückholte. pen-Slapstick, wenn Klimt Adolf Loos Erfüllung ringt. Auch hier geht es um Kurz vorher hatte er damit in Paris, eine Torte ins Gesicht drückt. Das die Schönheit des Dekorativen, der bei der Weltausstellung, noch Furore Kunst-Palaver im Café Central, wo Vertiefung des Ornamentalen, aber gemacht und in Wien wurden sie als Klimt und Schiele gemeinsam eine Kunstbilder und Filmbilder sind hier dekadent skandalisiert. Aber das Zeichnung skizzieren. Wenn Georges deckungsgleich. Ein unfairer Ver- kennt man ja. Das hat sich in hundert Melies, der erste Kino-Magier, Klimt gleich? Doch die Fernseh-Dramatur- Jahren kaum verändert. in Paris einen Film vorführt und der – gie in Ruiz´ Klimt-Film ist dem rebel- Ich war aus anderem Grund neugie- ein Frauenheld, der überall seine Bäl- lischen Gestus von Klimt, der aus der rig auf diesen Klimt-Film, weil ich ger verstreut – sich danach auf die schwülen Makart-Zeit kam, geradezu Raúl Ruiz noch von seiner chileni- Suche nach seiner Muse begibt und gegenläufig. Ein zweiter Klimt-Film schen Zeit her kannte. Noch unter Al- zuhause unterm Mikroskop fasziniert wäre notwendig. Noch notwendiger lende drehte er „L´Expropiacion“ (Die seine Syphilis-Bazillen studiert. Im aber einer über Schiele, der die orna- Enteignung, Chile 1972), eine Art revo- Grunde leidet aber der Film unter sei- mentalen Schönheiten Klimts auf die lutionärer Experimentalfilm, sehr un- ner simplen TV-Film-Dramaturgie brutale, expressive Nacktheit des zeitgemäß damals mit seiner Kritik und Ästhetik. Der fast 30 Jahre jünge- Menschen reduzierte. Aber ich sehe an der Unidad Popular, ein intellektu- re Schiele besucht Klimt auf dem To- hierzulande kaum jemand, der die elles Vexierspiel und barocker Stil- tenbett und dann wird alles brav in nötige Distanz dazu aufbringt. Viel- Wirrwarr, der auch alle seine späteren Rückblenden erzählt. Am Ende sehnt leicht sollte man einen Koreaner, ei- Filme kennzeichnen sollte, wie „Erin- man sich fast nach ein bisschen Hol- nen Japaner oder Chinesen damit be- nerungen an die Erscheinungen“ lywood-Pomp und Augenschmaus. auftragen ... Die Brücke 65 – März 06 11
Eric M. Kressnig, geb. 1973 in Klagenfurt; 1996 – 2001 Studium der Malerei und Grafik an der Akademie der bildenden Künste, Wien, Diplom mit Auszeichnung, Meisterklassen- preis; 2001 Förderungsstipendium der Sussmann Stiftung; 2002 Preisträger BA/CA-Kunstpreis. Reihe von Gruppen- und Einzelausstellungen in Wien und Kärnten. Weitere Kressnig-Projekte 2006 (Kärnten): Stadtgalerie Klagenfurt – Ankäufe (Sommeraus- stellung); Kunstsymposium Bleiburg im Oktober. Zwischen Bild und Objekt Atelierbesuch bei Eric M. Kressnig T Oft schon ist sie totgesagt worden, Kunstszene nichts Außergewöhnli- dären „Vaters der Neuen Malerei“, R ebenso oft ist sie wiederauferstan- ches. Schon seit den Zeiten von Anton eine Meisterschule für Grafik leitet. A den – die konkrete Kunst. Jung und Kolig & Co. war die Konfrontation mit Kressnig lernte dort auch entspre- wild – das gilt in Österreich in der Re- der Großstadtkultur, die Teilnahme an chend profund Drucktechniken, bevor . gel als Erfolgsformel für aufstreben- ihren Kunstforen die einzige Möglich- es ihn unwiderstehlich zur Malerei N de Malertalente. Eric M. Kressnig keit für Kärntner Künstler, sich am in- zog. Aber es ist eine besondere, eine zeigt jedoch, dass es auch anders ternationalen Diskurs zu beteiligen. ungewöhnliche Malerei, die er prakti- E geht, subtiler, klarer, systematischer. Immer noch führt der Weg in der Re- ziert. Betritt man sein Atelier in der T Und auf hohem künstlerischen Ni- gel über die Wiener Akademie. Eric Vorgartenstraße in Wien-Leopold- N veau. Kressnig absolvierte hier seine Studi- stadt, so stolpert man als Erstes über Eric M. Kressnig ist ein Kärntner, der en bei Gunther Damisch, der als Nach- ein riesiges „Kofferobjekt“, das aus R in Wien lebt. Das ist gerade in der folger von Max Melcher, des legen- vielfältig klappbaren Holzplatten Ä K 12 Die Brücke 65 – März 06
Fotos: Goldgruber Galerie 3 SPRING. Caroline, Gernot Fischer-Kondratovitch, Ferdinand Götz, Eric M. Kressnig, Katarina Schmidl; 5 Künstler präsentieren Arbeiten zum Thema SPRING – wortwörtlich genommen „Spring!” oder in der Übersetzung „Frühling”. 5 Räume, 5 Positionen zeitgenössischer Kunst. Ausstellung von 9. März (19 h) bis 14. April. Ungewöhnlich und untypisch schaut es im Atelier des Künstlers aus – aber wiederum charakteristisch für seine Arbeiten besteht, in deren hohlen Innenraum sind die Seitenkanten der Keilrahmen ternationale „Fraktion“ der zeitgenös- färbige Kunststoffscheiben eingebaut nicht einmal grundiert, um so die sischen Klassiker, die penibel das Ver- sind und so einen bewohnbaren raue Natürlichkeit des Leinens noch hältnis von Farbe und Form in stark Innenraum suggerieren. Einige klare besser zur Geltung kommen zu las- materialorientierter Ausrichtung un- Scheiben außen sind in schwarzer sen. Was zeigen die Bilder? Auf den er- tersuchen. Also Bildträger, Farbmate- Farbe mit abstrakten Motiven verse- sten Blick nicht viel, geometrische, rie und Farbkörper in das Repertoire hen. Also raumhaltige Malerei, denkt hellblaue, weiße und matt schim- ihrer künstlerischen Mittel mit einbe- sich der noch nichts ahnende Besu- mernde Farbflächen, rasterartige ziehen. Frank Stella ist ein derartiger cher, eine Art Installationskunst, die Strukturen, die einander im rechten Klassiker, der jedoch für Kressnigs Ge- malerische Werte vielleicht nur über Winkel zu durchdringen scheinen. schmack ein wenig zu expressiv, ein das Beschreiten dreidimensionaler Doch der zweite Blick verrät mehr. wenig zu plastisch-theatralisch da- Objekte erschließt. Weit gefehlt. Das Schließlich sind die Bilder ja explizit herkommt. Näher ist ihm die Arbeit Kofferobjekt war nur ein Auftakt, ein „dreidimensional“, und so ist der Be- von François Morellet, der in feineren erster Versuch, ein Herantasten an die trachter auch verführt, sie von allen Strukturen arbeitet und seine ab- Grenzen konkreter Raum-Malerei. Der Seiten zu betrachten, nicht nur in der strakt-geometrischen Farb-Körperun- Rest des Ateliers – ein Wiener Klassi- einen zentralen starren Bildachse, wie tersuchungen meist auf die traditio- ker, wenn man so will, in einem der das bei „klassischer“ Malerei üblich nelle Bildfläche bezieht. Und genau schönen, großen, alten Gemeindebau- ist. Sobald man das tut, erkennt man, dieser Bereich ist es, der Kressnig in- ten der 1920er Jahre gelegen, mitten dass es hier um mehr geht als nur um teressiert – das Zwischenreich zwi- in einem ebenso klassischen ehemali- abstrakte formale Experimente. Denn schen Bild und Objekt, jener Bereich, gen Wiener Arbeiterbezirk (heute ist Kressnig wählt die Zusammenset- wo es auf Licht, Farbe und Materie an- es ein Zuwandererbezirk) – bietet zung seiner Farben auf subtile Weise kommt. Und um das zu zeigen, müs- dreidimensionale Überraschungen unterschiedlich. Es gibt Oberflächen, sen die Formen naturgemäß stark re- nur noch im überschaubaren Format. die mehr Licht reflektieren und sol- duziert werden, um nicht vom wah- Aber die Dreidimensionalität der Ma- che, die weniger Licht spiegeln. Und so ren Thema abzulenken: dem Verhält- lerei bleibt eines der wichtigsten The- zeigt sich bei „Schrägblick“ auf die nis von Farbe und Materie, Licht und men der Kunst von Eric Kressnig. Man Bilder, dass dem feinen Unterschied Form. – Kressnig hat noch viel vor und trifft auf auffallend „dicke“ Bilder – der Farbtöne zwischen den einzelnen er wird zweifellos auch noch viel er- Leinen und Mollino, das über mehrere Bildelementen, den man bei frontaler reichen. Nach einer Ausstellung in der Zentimenter tiefe Keilrahmen ge- Betrachtung wahrnimmt, ein ebenso Villacher Galerie „white8“, in der er spannt ist. Und auf ein weiteres „ge- feiner Unterschied der Lichtreflexion ein großes Stück Wandmalerei reali- bautes“ Objekt, das wie ein Paravent entspricht, den man erst in der seitli- siert hatte, stehen für heuer noch am Boden steht. Auf einem schlanken, chen Betrachtung erkennt. Es würde Wandzeichnungen in der Wiener „Edi- quaderförmigen Sockel aus Pappel- zu weit führen, alle Rezepturen darzu- tion Splitter“ und bei „Nexus Art Con- sperrholz erhebt sich ein „Screen“, der stellen, die Kressnig in langwierigem sulting“ auf dem Programm. Kressnig aus flachen Aluprofilen wie gewoben Experimentieren entwickelt hat, um arbeitet aber auch in „klassischen“ erscheint. In den rechteckigen Zwi- derart subtile Unterschiede – die in grafischen Metiers, etwa wird er dem- schenfeldern hat Kressnig matt der fotografischen Reproduktion der nächst sequentielle Holzschnitte aus- getönte Plexiglasscheiben eingesetzt. Bilder kaum zur Geltung kommen – stellen. Auch sie sind modular aufge- Das fremdartige Stück ist gleichzeitig erzielen zu können. Wichtig ist, dass baut, scheinen einzelne geometrische Bild und Objekt, färbiges Muster und sie ein Thema sind, und wichtig ist, Motive endlos zu wiederholen, was sie plastisches Erlebnis. Und das soll es dass diese Art von konzentrierter, prä- aber in Wahrheit nicht tun – jedes De- wohl auch sein, in diesen Arbeiten, es ziser und dennoch nicht langweiliger tail unterscheidet sich vom anderen. geht um das Darstellen und Auskos– Elementar-Malerei heute wieder für Der Grundstein ist gelegt, die ten gestalterischer Grundelemente. – einen jungen Künstler ein Thema sein ersten Ausstellungen erfolgreich be- Doch nun zur aktuellen Arbeit von kann. Kressnig stellt sich damit von stritten, Arbeitsstipendien folgen. Eric Kressnig, der Malerei. Wie schon Anfang an in eine bestimmte Kunst- Kressnig wird die Sache der konkre- beschrieben, fallen seine Bilder zuerst diskussion, die weit über Österreich ten Kunst in Österreich spannend durch ihre Plastizität auf, teilweise hinausgeht. Es geht dabei um jene in- bereichern. Matthias Boeckl Die Brücke 65 – März 06 13
T K N U P . R E W H C S Fotograf: Helge Bauer 14 Die Brücke 65 – März 06
schwer.punkt E sagen.haft: Mit diesem Text beginnt eine Serie von neuen „Geschichten aus Kärnten“ passend zum Literaturschwerpunkt des Landes 2006. Die „Kärntner Sagen Remixed and Reloaded“ hat der ausgezeichnete Klagenfurter Autor Bernd Liepold-Mosser speziell für DIE BRUECKE verfasst. Sie sind jeweils einer Region gewidmet. Den Auftakt macht die Karnische Region. Für die passenden Stimmungsfotos dazu aus den verschiedenen Landesteilen sorgt Helge Bauer als Fotoreporter der Brücke. In den nächsten Ausgaben findet nicht nur eine Fortsetzung der „sagenhaften“ Geschichten statt, sondern es wird auch das Literaturprojekt näher vorgestellt. Nassfeld, März 2006 von Bernd Liepold-Mosser Der Parkplatz war ein einziges Feld aus Schlamm. Zwischen schuhe über die Finger und ließ den Motor an. aufgewühlten Erdwülsten und den Profilabdrücken von Die Armada aus blechernen, nach Motoröl und Diesel Autoreifen standen Lachen geschmolzenen Schnees im stinkenden Raupen setzte sich in Bewegung und schwärm- Farbton von Milchkaffee. Zwei an geteerten Holzmasten te über die Pisten aus, die sich als graue Bänder über die befestigte Flutlichtstrahler warfen ihren diffusen Licht- Hänge zogen. Die Kakophonie der Alarmpiepser wurde all- schein über das Areal, auf dem nur mehr vereinzelte Fahr- mähliche leiser, und bald waren die Fahrzeuge nicht mehr zeuge abgestellt waren. als langsam aufwärtsstrebende Lichtpunkte, die in den dif- Christof Bogner überquerte den Platz. Er war zehn Minu- fusen Nebel eintauchten. ten zu spät, und in seinem Kopf hämmerten noch immer die Erinnerungen an den Streit mit Monika, der ihn davon Die Heizung blies auf Volltouren, und Christof brannten abgehalten hatte, rechtzeitig loszufahren. Die feuchte Luft die Augen. Aus dem batteriebetriebenen Kofferradio kroch unter die Haut, und er zog den Reißverschluss seines schepperte ein Song der Bee Gees, der Christof an Monika Parkas bis unter das Kinn zu. Der gebrochene Schistock ei- denken ließ. Er rekonstruierte die Auseinandersetzung nes Kindes steckte in einem Schneehaufen, der wie der und hatte plötzlich keine Schwierigkeiten mehr, Monikas übrige Matsch rund um den Parkplatz schmutzig grau ein- Vorhaltungen zu verstehen. gefärbt war. Er passierte eine Bretterbude, an der es nach Sein Fahrzeug walzte sich an der Schneise von blau- verschüttetem Glühwein, Gewürznelken und Erbrochenem schimmernder Tannen am Boden der Senke vorbei, und roch. Christof legte einen niederen Gang ein, um die sogenannte Die anderen Männer vom Trupp waren schon auf dem Sattelabfahrt aufwärts zu kriechen. Weg zu der Phalanx aus Pistengeräten, die neben der Lift- Der Flackerschein der eingeschalteten Warnleuchten station abgestellt waren. Nur Bruno, ein fast zwei Meter pulsierte über verwaiste Lifthütten und Holzzäune. Die Bü- langer Hüne, dessen dürre Beine in halbhohen Stiefel aus gel des Schlepplifts hingen wie fremdartige Vogelscheu- Dachshaar steckten, wartete, bis Christof bei ihm ange- chen in der Luft. Von der ausgeleierten Federung seines kommen war. mit einer karierten Wolldecke überschlagenen Schalensit- „Scheißwetter“, brummte Bruno zur Begrüßung und sog zes auf- und abgeschaukelt musste sich Christof gegen den an seiner Zigarette. Gedanken wehren, ein Versager zu sein. Er hatte seinen 30. „Der Schnee schmilzt uns unterm Arsch weg“, erwiderte Geburtstag hinter sich gebracht, ohne etwas Nennenswer- Christof ohne den geringsten Anflug eines Lächelns. tes erreicht zu haben. Sein Medizin-Studium dümpelte seit Aus einer Hütte oberhalb der Straße hörte man Stim- Jahren dahin, und die Beziehung zu Monika war in einem men, die den banalen Refrain eines volkstümlichen Schla- Gefängnis aus lähmenden Konflikten, trostlosen Alltagsri- gers mitgröhlten. tualen und fehlender Zukunftsperspektive eingekerkert. Er „Wir müssen ins ‚Loch’“, sagte Bruno, schnippte den Zi- ließ seinen Blick zu den bizarren Schatten der ihn umge- garettenstummel in den Schnee und setzte sich mit behä- benden Gipfel hinauf gleiten, und wurde das Gefühl nicht bigen Schritten in Bewegung. los, vom Leben irgendwie beschissen worden zu sein. Christof verscheuchte sein Unbehagen, das ihn regelmäßig In diesem Moment entdeckte Christof den dunklen überkam, wenn er dazu abkommandiert war, die Pisten auf Schatten einer Gestalt, die eine Rinne zum Trogkofel auf- der anderen Seite des Rudniggrabens zu präparieren. wärts stieg. Christof kniff die Augen zusammen, um sicher Er folgte Bruno zu seinem Fahrzeug, kletterte zur Fahrer- zu gehen, dass es sich nicht um eine Täuschung handelte. kabine hinauf, zog sich seine ausgebeulten Arbeitshand- Aber da war tatsächlich jemand in den Bergen unterwegs. Die Brücke 65 – März 06 15
schwer.punkt E Christof griff zum Walkie-Talkie, um Bruno anzufunken, er- Am nächsten Tag wachte Christof mit einem schweren hielt aber keine Antwort. Wahrscheinlich hatte Bruno wie- Kopf auf. Monika war bereits zur Arbeit gegangen. Er der einmal vergessen, das Funkgerät einzuschalten. schüttete eine Tasse mit lauwarmem Kaffee hinunter, be- Christof stieg auf die Bremse, würgte den sechszylindri- vor er sich auf den Weg zur Talstation machte. gen Motor ab und schwang sich aus dem Cockpit. Die sche- Scharen von Menschen strömten aus den Bussen mit slo- menhafte Gestalt war hundertfünfzig, vielleicht zweihun- wenischen, deutschen und ungarischen Kennzeichen, und dert Meter von ihm entfernt und stieg mit kräftigen Schrit- vor den Kassenschaltern hatten sich lange Schlangen ge- ten den Steilhang hinauf. Christof überlegte nicht lange bildet. Es roch nach Sonnencreme, Benzin und Schweiß. und begann, der Gestalt zu folgen. Der Schnee war weich Christof drängte sich an den Menschen vorbei und betrat und matschig, dass er bis zu den Knien einsank. Aber sollte den Personalraum. er sich davon abhalten lassen, einen Menschen vor dem si- „Ein Fundstück der letzten Nacht“, murmelte Christof cheren Tod zu retten? und legte den Schipass auf einen Schreibtisch, an dem ein Der Hang führte steil bergauf, und es dauerte keine zehn Student mit Aknenarben im Gesicht auf einen Computer- Minuten, bis die Luft in seinen Lungen brannte und sich bildschirm starrte und gleichzeitig in die Tastatur häm- ein heißer Schmerz in seinen Oberschenkeln ausbreitete. merte. Christof wandte sich zum Gehen, als Horst Marin, Doch wie sehr er sich auch abmühte, der Abstand zu der der stellvertretende Leiter der Bergrettung, den Raum be- Gestalt blieb gleich, ja er schien sich sogar noch zu ver- trat. größern. Sie hatte mittlerweile schon die ersten Felswände „Du hattest heute Nacht mehr Glück als Verstand“, sagte erreicht und verschwand in einer Mulde. Horst und klopfte Christof auf die Schulter. Sein glattra- Die Dunkelheit war auf beklemmende Weise fahl, und siertes Gesicht war braungebrannt, und auf seinen wulsti- Christof beschlich ein unangenehmes Gefühl. Der zwi- gen Lippen lag eine dicke Schicht mit rosafarbener Schutz- schen den Wolken hindurchschimmernde Mond erinnerte creme. an eine Lache verschütterter Milch, und es sah aus, als hät- „Unsere Männer sind seit Stunden damit beschäftigt, te jemand einen gigantischen Kübel mit nasskalter deinen Ratrac aus dem Schnee zu schaufeln“, sagte Horst. Waschlauge in den Graben gekippt. „Warum warst du eigentlich nicht im Fahrzeug, als die La- Christof folgte den aufwärts führenden Fußspuren. Mehr wine abgegangen ist?“. als einmal rutschte er ab und stürzte in den Schnee. Doch „Ich hatte so etwas wie einen Schutzengel“, antwortete er rappelte sich jedes Mal wieder auf, um seine Verfolgung Christof. fortzusetzen. Bald hatte auch er die letzten von Wind und Horsts Blick fiel auf den Schipass. Er trat näher und be- Wetter zerzausten Föhren hinter sich gelassen. Als er direkt trachtet ihn mit zusammengekniffenen Augen. Die Buch- neben der Fußspur einen abgerissenen Schipass entdeckte, staben waren trotz der Plastikhülle verlaufen, aber das steckte er ihn mit einer automatischen Geste in die Tasche Foto war noch einigermaßen gut zu erkennen. Es zeigte ei- seines Parkas, ohne weitere Aufmerksamkeit darauf zu ver- nen dunkelhaarigen Mann, der Christof entfernt an Eros wenden. Ramazotti erinnerte. Er war wie besessen davon, die Gestalt einzuholen und „Unglaublich“, stieß Horst verwundert aus. „Das ist doch mobilisierte seine letzten Kräfte. Plötzlich brach ein ohren- dieser Italiener, der vor drei Jahren von einer Lawine ver- betäubendes Krachen und Grollen in die Stille und hallte schüttet worden ist. Seltsam, dass wir seine Leiche bis heu- von den umliegenden Felswänden wider. Christof riss sich te noch nicht gefunden haben.“ herum und wurde Zeuge, wie sich ein zwanzig, dreißig, Christof gierte es nach frischer Luft, und er stürmte aus vielleicht sogar vierzig Meter breites Schneebrett löste und dem Raum. Der Streit mit Monika, die schemenhafte Ge- an ihm vorbei in den Graben hinunter donnerte, wo es sein stalt in den Bergen, der verlorene Schipass ... er wusste Pistenfahrzeug unter sich begrub. Christof war wie benom- nicht, was er davon halten sollte. Er blickte über den von men von diesem überwältigenden Schauspiel der Natur, Menschen wimmelnden Vorplatz der Liftstation, und ver- und in seinem Magen breitete sich ein flaues Gefühl aus. spürte das tiefe Bedürfnis, noch einmal ganz von vorne an- Angesichts der Jahrmillionen, in denen die ihn umgeben- zufangen. den Felswände, Zinnen und Grate entstanden waren, war Die Piste aus Kunstschnee streckte sich wie eine mon- sein lächerliches Leben nicht mehr als ein Wimpernschlag. ströse Zunge über den schmutzig brauen Berghang ins Tal. Gleichzeitig wurde er von einem Schwindel erfasst, mit Christof spürte, wie ein milder Frühlingswind über seine dem ihm zu Bewusstsein kam, gerade um ein Haar mit Schläfen strich. dem Leben davongekommen zu sein. Als er sich endlich Die verwaschene Wolkendecke hatte inzwischen aufge- wieder umdrehte, um die Verfolgung der mysteriösen Ge- rissen und ließ zum ersten Mal seit Wochen einen Zipfel stalt aufzunehmen, war diese nirgends mehr zu sehen. blauen Himmels erkennen. 16 Die Brücke 65 – März 06
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