Koblenz, Trier und die Bauern. Zur Rolle von Städten und Dörfern im Ständewesen, 15. bis 18. Jahrhundert1

Die Seite wird erstellt Daniela Neubauer
 
WEITER LESEN
1

Johannes Dillinger

Koblenz, Trier und die Bauern. Zur Rolle von Städten
und Dörfern im Ständewesen, 15. bis 18. Jahrhundert1
Der letzte Landtag des Kurfürstentums Trier tagte 1801 in Ehrenbreitstein.
Das 350 Jahre alte kurtrierische Ständewesen hörte auf zu existieren. Die
Stände des Kurfürstentums Trier hatten bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts
eine Besonderheit aufgewiesen, die sie modernen Demokratien ähnlich zu
machen scheint.

In aller Regel herrschten die Fürsten des 15 bis 18. Jahrhunderts gerade
eben nicht absolutistisch. Sie kooperierten mit den stärksten Gruppen in
der Gesellschaft, den Reichen und Einflussreichen. Die Organisation
dieser wichtigen Gruppen, auf deren Kooperation die Landesherrschaften
lange angewiesen waren, waren die Stände. Die Stände kamen zu den
Landtagen zusammen. Auf den Landtagen handelten sie mit der
landesfürstlichen Regierung die Steuern aus. Die Stände schafften es
dabei immer wieder, die Fürsten zu politischen Zugeständnissen zu
bewegen. Über ihre Steuerbewilligungsrechte schafften sie es häufig, eine
Art Mitregierung aufzubauen. In der Regel gab es drei Stände: Den
Klerus, den Adel und den Dritten Stand. Fast immer wurde dieser Dritte
Stand von Vertretern der wichtigsten Städte gebildet. Es ist wichtig, das
festzuhalten. Bis ins 19 Jahrhunderte lebte nur eine kleine Minderheit der
Einwohner West- und Mitteleuropas in Städten. Über 80 % der Einwohner
lebten in Dörfern. Das Kurfürstentum Trier war einer der wenigen Staaten,
in denen auch die Landbevölkerung im Dritten Stand vertreten war. In
Kurtrier entsandten lange Zeit nicht nur die Städte, sondern auch die
Dörfer Vertreter zu den Landtagen. Die Deputierten der Bauern saßen
Seite an Seite mit den Deputierten der großen Städte in den Landtagen
des Kurfürstentums Trier. Sollte man hier von Mitbestimmung sprechen?
War das Kurfürstentum Trier mit seiner politischen Repräsentation der
bäuerlichen Bevölkerungsmehrheit etwa eine heimliche Demokratie? Im
17. Jahrhundert wurde Trier wegen dieser Vertretung nicht nur der Städte

1
   Dieser Text beruht auf einem Vortrag, den ich am 25.06. im
Landesbibliothekszentrum / Rheinische Landesbibliothek gehalten habe.
Alle Nachweise der gedruckten und ungedruckten Quellen, die ich hier
auswerte, finden sich meinen Publikationen zu diesem Thema: Die
politische Repräsentation der Landbevölkerung. Neuengland und Europa
in der Frühen Neuzeit, Stuttgart 2008; Dillinger, Johannes: Demokratie im
Kurstaat? Deputierte von Bürgern und Bauern auf den Landtagen des
Kurfürstentums Trier, in: Kurtrierisches Jahrbuch, 46 (2006), S. 201-216;
Dillinger, Johannes: Die Vertretung der Bauern auf den Landtagen
Kurtriers, in: Mertes, Joachim (Hg.): „Was zu des Erzstifftischen
Vatterlandes Besten erforderlich und ersprießlich seyn mag...“
Parlamentsgeschichte im Gebiet des heutigen Rheinland-Pfalz, Mainz,
erscheint 2009.
2

sondern auch der Bauerndörfer auf den Landtagen mit der Schweiz
verglichen.

Mit der politischen Repräsentation der Bauern ist ein Stück rheinland-
pfälzischer Geschichte angesprochen, das fast vollständig in
Vergessenheit geraten ist. In der Schweiz, aber auch in Teilen
Norddeutschlands und Baden-Württembergs ist die Erinnerung an die
Macht des Dritten Standes ein wichtiger Teil der regionalen Identität. Es ist
sehr bedauerlich, dass in Rheinland-Pfalz die Bauern des Kurfürstentums
Trier und ihre außerordentlichen politischen Mitsprachebefugnissen aus
dem historischen Gedächtnis fast ganz verschwunden sind.

Sehen wir uns die Stände Kurtrier näher an! Welche Rolle spielte der
Dritte Stand? welche Rolle spielten Städte und Dörfer innerhalb des
Dritten Standes?

Die kurtrierischen Stände entwickelten sich aus zwei Vereinigungen von
Adel und Drittem Stand, die 1456 bzw. 1502 ins Leben gerufen wurden.
Zu dieser Zeit stritten zwei Prätendenten um das Amt des Erzbischofs.
Bevor die streitenden Bischofskandidaten das Land in einen Bürgerkrieg
stürzen konnten, fielen ihnen die Stände in den Arm. Der Kurfürst musste
der Vereinigung Privilegien zugestehen und die Zusage geben, sich in
Zukunft regelmäßig mit Deputierten von Adel und Kommunen zu treffen.
Die institutionelle verfestigten Vereinigungen wurden die kurtrierischen
Stände. Der Adel schied 1548 aus den Ständen Kurtriers wieder aus. Die
Vertreter von wichtigen kirchlichen Einrichtungen stießen jedoch zu den
Ständen. Die Landtage wurden danach nur noch vom Klerus und vom
Dritten Stand beschickt. Der Dritte Stand wurde von den Städten Trier,
Koblenz und einigen kleineren Städten gebildet, aber auch von „Dorffen
und Plegen (Pflegen = Vereinigungen von Dörfern).“ Zunächst hatten nur
die Städte Dörfer aus ihrem direkten Einflussbereich mit in die Vereinigung
gebracht. Die Dörfer waren jedoch einer Erwähnung wert. Der Kreis der
landtagsfähigen bäuerlichen Gemeinden weitete sich in der Folgezeit
drastisch aus.

Die Dörfer, die Gemeinden ohne Stadtrecht, in Kurtrier und dem ganzen
Moselraum waren außerordentlich stark. Gemäß lokal unterschiedlichen,
zum Teil komplexen Regelungen mussten sie gehört werden, wenn ein
Ortsvorsteher, meist Zender, daneben auch Bürgermeister oder
Heimburge genannt, bestimmt werden sollte. Den Dörfern standen
Selbstverwaltungs- und Gerichtsrechte zu. Die Gemeinde fällte
Entscheidungen in Gemeindeversammlungen. Diese standen
grundsätzlich allen in der Kommune eingesessenen Männern mit eigenem
Hausstand offen. Neben den Landgemeinden standen die kurtrierischen
Städte. Der Begriff ‚Stadt’ wird hier im rein rechtlichen Sinn verwandt. Er
bezeichnet Siedlungen, denen bestimmte Rechte bezüglich Märkten und
der Selbstverwaltung durch einen Stadtrat verliehen worden waren.
Urbane Charakteristika in Wirtschaft und Kultur fehlten diesen Städten
größtenteils. Sie waren von der Landwirtschaft abhängig und von
Landwirten bewohnt wie die Dörfer. Die beiden einzigen Ausnahmen
3

waren Trier und Koblenz. 14 kurtrierische Städte waren auf nahezu jedem
Landtag vertreten: Trier, Pfalzel, Saarburg, Oberwesel, Wittlich und Zell
für das Obererzstift, d.h. das Kurfürstentum südlich der Elz, Koblenz,
Bernkastel, Boppard, Cochem, Limburg, Mayen, Montabaur und
Münstermaifeld für das Niedererzstift, d.h. das Kurfürstentum nördlich der
Elz. Trier und Koblenz als Hauptstädte des Kurfürstentums ragten aus
diesem Kreis privilegierter Orte nochmals heraus: Als so genannte
Direktorialstädte übernahmen sie die Führung des ganzen Dritten
Standes.

Der Stadtrat von Trier zusammen mit den Schöffen und der Oberen Bank
des Rates von Koblenz bildeten das weltliche Direktorium. Das
Direktorium führte die laufenden Geschäfte der Stände. Entsprechend der
Einteilung des Kurfürstentums wurden ein niedererzstiftisches und ein
obererzstiftisches Direktorium unterschieden. Für die zentralörtliche
Bedeutung von Trier und Koblenz spricht hierbei übrigens auch, dass die
geistlichen Direktorien, mit denen die weltlichen kooperierten, großenteils
von kirchlichen Einrichtungen beschickt wurden, die sich in oder nahe bei
den beiden Hauptstädten befanden. Zumindest in der zweiten Hälfte des
18. Jahrhunderts hatten sich die Kompetenzen des Direktoriums denen
der Landtage angenähert. In Ausnahmesituationen konnte das
Direktorium autonom Steuern bewilligen. Es ist bezeichnend, dass sich im
18. Jahrhundert für die übrigen zwölf der 14 Städten neben der
Bezeichnung „Nebenstädte“’ die Vokabel „Nebenstände“ einschlich: Die
eigentlichen ständischen Verhandlungspartner der Herrschaft waren Trier
und Koblenz.

Theoretisch genossen die Stände Kurtriers Selbstversammlungsrecht. Die
Ladung zum Landtag ging dabei von den Direktorien aus. In der Praxis
aber lud der Kurfürst im Einvernehmen mit dem Domkapitel die Stände
zum Landtag. Seit dem Ende des 16. Jahrhunderts wandte sich der
Kurfürst mit der Ankündigung eines Landtages an die Räte von Trier und
Koblenz. Die Direktorien luden dann die übrigen Landtagsteilnehmer ein.
1622 wurde ihnen pauschal von den Ständen selbst das Recht eingeräumt
festzulegen, wie viele Abgeordnete die übrigen Kommunen jeweils
deputieren sollten. Sogar die Reise zu Ständeversammlungen konnten die
Hauptorte für die Nebenstädte organisieren.

Der kurtrierische Dritte Stand blieb undifferenziert die Organisation der
Bauern und der Stadtbürger. Den Landgemeinden Kurtriers fehlte
buchstäblich die ‚Selbstständigkeit’, sie waren kein eigener Stand. Diese
Bindung an die Städte schwächte die Position der Landgemeinden in
Kurtrier nachhaltig.

Die Stände, der Zusammenschluss der Städte und Dörfer, waren nicht nur
einfach Teil des Repräsentationssystems. Sie führten vielmehr ein
Eigenleben außerhalb der Landtage. Die Stände besaßen theoretisch das
Selbstbesteuerungsrecht, praktisch organisierten sie das Steuerwesen.
Der Verfassungsjurist Moser stellte im 18. Jahrhundert lakonisch fest,
dass der Kurfürst ohne die Stände „nicht den duennesten Heller“
4

aufbringen könne. Steuerdeputierte sammelten die Steuergelder in den
Dörfern und führten sie einmal jährlich an einen Generaleinnehmer ab.
1564 waren je ein Generaleinnehmer aus Saarburg und Bernkastel für das
Obererzstift und je ein Generaleinnehmer aus Koblenz und Boppard für
das Niedererzstift verordnet worden. Sie verwalteten im Auftrag der
jeweiligen Direktorialstadt die dortige Landschaftskasse. Im 18.
Jahrhundert übte nicht mehr die Ständeversammlung, sondern nur noch
das Direktorium die Kontrolle über die Generaleinnehmer aus und
rechnete mit ihnen ab. Die Kassen der Landschaft standen im Rathaus
von Trier und in der Liebfrauenkirche in Koblenz. Es ist bezeichnend, dass
die Räte von Trier und Koblenz über die Landschaftskasse verfügen
durften, ohne die anderen Stände auch nur informieren zu müssen. Bei
der Vergabe dieses Amtes hatte die Macht der Stände jedoch einen
empfindlichen Einbruch erlitten: Im Niedererzstift wurden die Spezial- und
Generaleinnehmer von der Herrschaft frei eingesetzt und vereidigt, im
Obererzstift durften die Stände nur noch geeignete Kandidaten
vorschlagen.

Auf dem jährlichen Landrechnungstag überprüften Vertreter der 14 Städte,
häufig jedoch nur Vertreter von Koblenz und Trier, die Buchführung der
Generaleinnehmer. Ab dem späten 17. Jahrhundert verschmolzen
Landrechnungstag und Landtag. Der Sprecher und Rechtsbeistand der
weltlichen Stände, der Syndikus, war in aller Regel ein Koblenzer Jurist.

Wie sahen kurtrierische Landtage aus? Es muss differenziert werden
zwischen Volllandtagen und Ausschusslandtagen. Ausschusslandtage
fanden häufig, etwa alle zwei Jahre, im 18. Jahrhundert fast jährlich statt.
Zu diesen Ausschusslandtagen erschienen nur Deputierte der 14 Städte.
Die Landgemeinden waren nur auf Volllandtagen vertreten. Diese waren
erheblich seltener: So fanden etwa Volllandtage 1598, 1599 und 1603
statt, der nächste aber erst 1619. Falls eine Landgemeinde einmal
versuchte, sich ohne Ladung Gehör auf einer Ständetagung zu
verschaffen, wurde ihren Vertretern der Status von Abgeordneten versagt.
Ihnen wurde lediglich gestattet, ihr Anliegen in Form einer Petition
vorzutragen. Die letzten Volllandtage fanden 1652 und 1654 statt. Die
Vertretung des Dritten Standes reduzierte sich danach in Kurtrier auf eine
bloße Vertretung der Städte. Dies bedeutete eine drastische Veränderung
des Landtages. Waren vorher ungefähr 70 Kommunen und
Verwaltungsdistrikte landtagsfähig gewesen, waren nun nur noch 14
Stadtgemeinden. Ein Überblick über Kurtriers ‚Verfassung’ aus dem Jahr
1789 stellte schlicht fest, dass der weltliche Stand nur aus den 14 Städten
bestünde. In ähnlicher Weise dünnte sich übrigens auch die geistliche
Kammer aus: Ab den 1680er Jahren erschienen die Landdekanate dort
nicht mehr.

Welche Kommunen und Verwaltungseinheiten beschickten nun die
Volllandtage? Außer den 14 privilegierten Städten weitere Orte mit
Stadtrecht, so etwa die Städte Manderscheid und Kyllburg. Daneben
entsandten einzelne Dörfer Deputierte, aber auch Dorfverbände wie
Kirchspiele und Pflegen. Darüber hinaus waren einige Ämter, die
5

Zuständigkeitsbereiche der kurfürstlichen Amtleute, mit Abgeordneten
vertreten. Die Repräsentationseinheiten waren also uneinheitlich
konstruiert: Dörfer standen neben herrschaftlichen Verwaltungseinheiten.
Zudem decken die Repräsentationseinheiten zu keinem Zeitpunkt die
gesamte Fläche des Kurstaates ab. Mit modernen Wahlkreisen hatten sie
also nichts zu tun. Sie waren allerdings auch nicht durch ein positives
Privileg der Landstandschaft hervorgehoben. Die Einteilung der
Abgeordnete entsendenden Einheiten veränderte sich nämlich immer
wieder. Z.B. nahmen in der Mitte des 16. Jahrhunderts das Amt
Ehrenbreitstein und die Gemeinde Niederlahnstein getrennt voneinander
an Landtagen teil. Um die Jahrhundertwende und in den ersten
Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts erschien nur der Ort Niederlahnstein.
Danach verschwand der Ort, und das Amt allein firmierte unter den
Landtagsteilnehmern. Eine Liste der beim Landtag erscheinenden
Gemeinden lässt sich in keinen sinnvollen Zusammenhang mit den
Steuermatrikeln stellen. Der Blick auf die Verfassungswirklichkeit Kurtriers
zeigt ein schwer beschreibbares ‚Anti-System’. Um die stets vertretenen
14 Städte stand ein engerer Kreis von Kommunen, die in aller Regel
Gesandte zu den Volllandtagen entsandten. Daneben gab es einen
größeren und stark wandelbaren Kreis seltener oder gar nur sporadisch
vertretener Gemeinden.

Auf den Landtagen erschienen offenbar schlicht diejenige Kommune,
derjenige Kommunenverband und dasjenige Amt, das von den
Direktorialstädten, Koblenz und Trier, eingeladen wurde. Die
Direktorialstädte verhielten sich dabei nicht konsequent. Zudem machten
sie Fehler. 1589 fehlten vier bäuerliche Gemeinden beim Landtag. Der
Stadtschreiber der Direktorialstadt Trier gab treuherzig zu Protokoll, dass
er vermutlich vergessen habe, sie einzuladen. Bei einer weiteren sei er
sich sogar ganz sicher, sie vergessen zu haben. Das Versäumnis lag
freilich oft bei den dörflichen Kommunen: Offiziell zum Landtag
eingeladene Gemeinden konnte diese Ladung schlicht ignorieren. In
diesem bewussten Verzicht auf Repräsentation sollte man nicht
politisches Desinteresse erkennen. Vielmehr zeigte sich hier eine
pragmatische Einstellung: War der Landtagsbesuch für die Wahrung der
Interessen der jeweiligen Gemeinde unattraktiv, verzichtete sie darauf,
einen Abgeordneten zu entsenden. Sanktionen irgendeiner Art drohten
diesen Kommunen nicht.

Wie viele Deputierte die jeweilige Landgemeinde entsandte, war ihr vor
1622 völlig freigestellt. In der Regel hatten Kommunen einen oder zwei
Abgeordnete, in seltenen Fällen drei. Trier und Koblenz dagegen
entsandten im 17. und 18. Jahrhundert je zwischen vier und acht
Vertretern.

Abgeordnete legitimierten sich auf dem Landtag, indem sie die
Vollmachten vorlegten, die ihnen von der durch sie vertretenen Gemeinde
ausgestellt worden waren. Obwohl sie im Wortlaut voneinander abwichen,
folgte ihr Aufbau stets demselben Schema. Die Vollmachten stellten fest,
dass der Kurfürst zu einem bestimmten Termin zum Landtag geladen
6

habe. Die Aussteller der Vollmacht bestimmten einen oder mehrere
Repräsentanten ihrer Kommune, die sie zum Landtag entsandten. Sie
trugen diesen Delegierten auf, zusammen mit den Vertretern der anderen
Stände über die Forderungen der Landesherrschaft zu beraten und einen
Beschluss zu fassen. Die entsendende Kommune verpflichtete sich,
diesen Landtagsbeschluss zu befolgen. Dem Abgeordneten wurde
garantiert, dass ihm keine Nachteile aus seiner Tätigkeit erwachsen
würden und man ihn nicht haftbar machen wolle. Als Urkunden wurden die
Vollmachten gesiegelt. Die ältesten erhaltenen Vollmachten aus dem Jahr
1551 folgten diesem Schema ebenso wie die jüngsten aus dem Jahr
1801.

Die Vollmachten sollten keinerlei Instruktionen oder Einschränkungen
enthalten. Alle kurtrierischen Mandate waren also grundsätzlich frei. Damit
konnte der Landtag ohne Beschränkung für die Kommunen bindende
Entscheidungen fällen. Aber die Möglichkeiten der Gemeinden, ihre
Repräsentanten zu kontrollieren, wurden noch weiter eingeschränkt. Ab
1601 lässt sich ein Amtseid von Landtagsabgeordneten nachweisen. Die
Eidesformel entwickelte sich aus der formelhaften Begrüßung der
Deputierten durch den Bürgermeister von Trier als dem Vorsitzenden der
weltlichen Kammer. Der Eid blieb bis zum Ende des Kurstaates stets
gleich: Die Deputierten schworen, ihre Entscheidungen zum Besten des
Landes zu fällen. Dass sie Partikularinteressen der Kommunen
wahrnehmen dürften, wurde damit zwar nicht explizit verneint, die
Vertretung von kommunalen Anliegen jedoch implizit dem
Landesinteresse untergeordnet. Die Deputierten verpflichteten sich weiter
zu absolutem Stillschweigen über alle Verhandlungsgegenstände und den
Verhandlungsgang des Landtages. In den Kommunen durften sie nur die
Ergebnisse der Gespräche ohne jeden Kommentar präsentieren. Mit
dieser Geheimhaltungspflicht sicherte sich der Landtag nach zwei Seiten
ab. Zum einen selbstverständlich gegenüber dem Kurfürsten.
Repressalien gegen bestimmte Abgeordnete, die sich kritisch oder
widersetzlich den Ansprüchen der Herrschaft gegenüber zeigten, waren
nicht möglich, wenn die Besprechungen innerhalb der weltlichen Kammer
geheim blieben. Zum anderen wurde durch die Geheimhaltung den
Kommunen jede Chance, ihre Abgeordneten zu kontrollieren, genommen.
Die Deputierten waren den Ständen verbunden, nicht ihren Gemeinden.

Dazu passt, dass kurtrierische Abgeordnetenämter Ehrenämter waren.
Landtagsteilnehmer hatten keinen Anspruch auf eine Entlohnung durch
die sie entsendenden Kommunen. Die Deputierten erhielten jedoch
Tagegelder und eine Reisekostenerstattung. Diese wurden ihnen von der
Ständekasse ausgezahlt. Die Stände trugen damit solidarisch als Kollektiv
die finanzielle Belastung durch das Abgeordnetenwesen. In unmittelbarer
finanzieller Abhängigkeit von der repräsentierten Gemeinde stand der
jeweilige Deputierte damit nicht. Gemäß einer Gebührenordnung von 1655
erhielten Abgeordnete von Trier und Koblenz eineinhalb Reichstaler
täglich, wenn der Landtag in der jeweils eigenen Stadt abgehalten wurde,
ansonsten zwei Reichstaler. Dazu kamen Spesen für die Reise und
Botenlöhne. Am Ende des 18. Jahrhundert wurde moniert, die
7

Abgeordneten erhielten „geringe und zu ihrer Subsistenz kaum
hinreichige“ Diäten. Dennoch kam von Trier und Koblenz zu dieser Zeit
der Vorschlag, Landtage möglichst selten einzuberufen, da diese der
Landschaftskasse wegen der Diäten noch immer zu teuer kämen. Die
politischen Absichten der Hauptstädte hinter diesem Vorstoß waren
offensichtlich, da sie zugleich empfahlen, den beiden großen Städten noch
mehr Spielraum zu geben.

Dieses Kostenargument wurde noch stärker gemacht. Ab dem Ende des
16. Jahrhunderts forderte der Vorsitzende des Dritten Standes, der
Bürgermeister von Trier, die Abgeordneten der Landgemeinden
ausdrücklich auf, den Landtag möglichst schnell zu verlassen. Bereits am
ersten Tag der Verhandlungen, unmittelbar nach der Überprüfung der
Vollmachten, wurden die Deputierten der Bauern aufgefordert, wieder
abzureisen. Ansonsten kämen ihre Tagegelder die Stände zu teuer. Von
Anwesenheitspflicht war keine Rede.

Von den abreisenden Abgeordneten wurde erwartet, dass sie auf der
Ständeversammlung verbleibende Abgeordnete damit betrauten, ihre
Interessen zu vertreten. Diese Mandatweitergabe wurde „Constitution“
genannt. Die Vollmachten von Landtagsabgeordneten enthielten häufig
eine Klausel, die eine solche Delegation des Mandates in die Verfügung
des Abgeordneten stellte. Im 16. Jahrhundert erfolgten Constitutionen
noch ad personam: Die den Landtag verlassenden Deputierten benannten
einen konkreten Abgeordneten als ihren bevollmächtigten Stellvertreter.
1599 etwa bevollmächtigten die abreisenden Vertreter von Leutesdorf,
Hönningen und Arenfels den Koblenzer Deputierten Kaspar Trarbach. Es
konnte aber auch statt einer konkreten Person eine andere Gemeinde
constituiert werden. Diese Form der Constitution setzte sich durch: Die
Vollmacht einer Gemeinde, deren Vertreter sich vom Landtag vorzeitig
verabschiedeten, wurde einer anderen Kommune übertragen, so dass
deren ganze Landtagsdelegation ein weiteres Mandat erhielt. Die
Übertragung der Vollmachten erfolgte rasch nachdem die Sitzung der
weltlichen Kammer eröffnet worden war und ohne weitere Formalien zügig
vor den versammelten Ständen. 1603 „constituiert[en] die von der
Bergpflege; Niederlahnstein, Kunenstein, Engers, Leutesdorf,
Hammerstein und der auß der Pellenz die zu diesem tage von der statt
Koblenz depuirten“. 1621 vermerkte das Landtagsprotokoll knapp und fast
ungeduldig: „Die Bergpflege supportirt ihren gewalt der Statt Koblenz [...]
Balduinstein und Hausen similiter Limburg constituerunt, Baldeneck
constituit Zell, Pellenz will morgen constituiren.“ Dass mit der Constitution
eine weitere Stimme bei Abstimmungen übertragen wurde, geht aus den
Quellen nicht hervor. Die Subdelegation ist also weniger als Beauftragung
eines Sachwalters zu verstehen, sondern eher als Anschluss an einen
Schutzherrn.

Wer waren nun die Abgeordneten? Hier stoßen wir auf ein
Quellenproblem: Die Landtagsprotokolle verzeichnen nicht bei allen
Deputierten, welche sonstigen politischen Ämter diese inne hatten.
Selbstverständlich hatte der Großteil der Abgeordneten von Koblenz auch
8

einen Sitz im Stadtrat. Die erhaltenen Quellen lassen immerhin die
Aussage zu, dass es sich bei den Abgeordneten der Landgemeinden
häufig um Amtsträger der Kommunen oder der Landschaft handelte. Als
Abgeordnete fungierten die dörflichen Ortsvorsteher. Seltener erschienen
Gerichtsboten als Abgeordnete. Daneben wurden gelegentlich lokale
Steuereinnehmer deputiert. Der Großteil der Abgeordneten gehörte jedoch
zu den Schöffen der Dorfgerichte. Es war nicht verpflichtend, dass ein
Abgeordneter in der Kommune lebte, die ihn entsandte. Tatsächlich
entwickelten einige Dörfer reges Interesse daran, von vornherein
Personen aus den Räten der 14 Städte als ihre Abgeordneten zu
gewinnen. Einige Abgeordnete hatten Mandate von bis zu drei Kommunen
gleichzeitig. Begehrt als Deputierte waren Personen, die bereits mehrere
Landtage besucht hatten, also Erfahrung und Sachkenntnisse besaßen.
Der Trierer Stadtschreiber Wilhelm von Bitburg erhielt für die sechs
Landtage zwischen 1598 und 1601 nicht weniger als elf Mandate. Neben
Trier vertrat er drei Landgemeinden. Einige Personen, in der Regel die
Schreiber der größeren Städte, erwarben sich den Ruf, einflussreiche
‚Landtagsfachleute’ zu sein. Ihre Dienste als Deputierte wurden von den
Landgemeinden nachgefragt. Der dörfliche Führungskreis von Schultheiß,
Ortsvorsteher und Schöffen entsandte also entweder Personen aus ihrer
Mitte, Amtsträger, die administrative Kenntnisse besaßen, oder politisch
versierte Experten von außen. Erfahrung mit Recht und Verwaltung,
Sachkenntnisse über Politik waren das entscheidende Kriterium bei der
Auswahl von Abgeordneten. Man könnte im bescheidenen Rahmen von
einer Expertokratie, einer Herrschaft der Fachleute im Dritten Stand
Kurtriers sprechen.

Die besten Experten für Politik und Verwaltung auf dem Land waren
freilich nicht Amtsträger der Kommunen, sondern die Beamten der
kurfürstlichen Herrschaft. Bäuerliche Gemeinden entsandten immer
wieder die Beamten der Herrschaft, um auf dem Landtag mit der
Herrschaft über Steuern zu verhandeln. Dies erschien auch einigen
Zeitgenossen widersinnig. Die Städte wehrten sich gegen diese Praxis
und verdrängten die Beamten aus den Landtagen. Ihre Vollmachten
wurden nicht anerkannt. Das Verschwinden der Beamten des Kurfürsten
als Abgeordnete der Landgemeinden um die Mitte des 17. Jahrhunderts
fiel zusammen mit dem Verschwinden der Abgeordneten der
Landgemeinden überhaupt. Ohne ihre eigenen Fachleute waren die
Dörfer auf die Kompetenz der Städte angewiesen. Es schien nun möglich
und letztlich sogar geboten, ganz auf die Teilnahme der Landkommunen
zu verzichten. Erleichtert wurde diese Verdrängung der Dörfer durch zwei
weitere Faktoren. Kurfürst Philipp Christoph von Sötern hatte mit seinen
Versuchen, die Macht der Landesherrschaft nach quasi absolutistischem
Vorbild auszubauen, einen schweren Konflikt zwischen Ständen und
Herrschaft provoziert.

Es ist bezeichnend für die tatsächliche Machtverteilung in Kurtrier, dass
sich Kurfürst Philipp Christophs Auseinandersetzung mit dem weltlichen
Stand als Kampf gegen die Hauptstädte beschreiben lässt. Trier und
Koblenz setzte der Landesherr unter militärischen Druck. Den Koblenzer
9

Rat stellte er unter Aufsicht des landesherrlichen Schultheißen und drohte
der Stadt umfangreiche Einquartierungen an. Der Kurfürst sprach den
Direktorialstädten dezidiert ihre Leitungsfunktion in den Ständen ab. Die
Einberufung von Ständeversammlungen sollte in Zukunft ohne ihre Mithilfe
erfolgen. Die Stände vermuteten hierin richtig einen Anschlag auf ihr
Selbstverwaltungsrecht. Philipp Christoph ging offenbar davon aus, durch
einen ‚Enthauptungsschlag’ die Opposition des weltlichen Standes
überwinden zu können. 1630 setzte der Kaiser Kurmainz und Kurbayern
als Schlichter im Streit zwischen den erzstiftischen Ständen und ihrem
Landesherrn ein. Vor den kritischen Schlichtungskommissaren stellten
Trier und Koblenz ihr Verhältnis zu den anderen weltlichen Ständen als
geordnet und unproblematisch dar. Den Räten der beiden Hauptstädte
stünde die führende Rolle unbestritten und „per naturam“ zu. Juristisch
begründet wurde diese Führungsposition mit der essentiellen Feststellung,
der weltliche Stand sei eine universitas, die als solche eine klare Führung
durch „officiales“ habe und brauche. Andernfalls drohten „lautere
confusiones“. Angezweifelt würde die Stellung von Trier und Koblenz nur
von Kurfürst Philipp Christoph, der damit aber die ständische Verfassung
insgesamt in Frage stelle. Auch wenn das Eigeninteresse von Trier und
Koblenz hier offensichtlich war: Die Selbstverständlichkeit, mit der sie die
Aufgaben- und damit die Machtverteilung innerhalb der Stände
schilderten, spricht dafür, dass die Partizipationschancen der
Landbevölkerung im Erzstift bis zu diesem Zeitpunkt tatsächlich kein
Thema waren. Trier und Koblenz betrachteten sich als Führungsmächte
des Dritten Standes und wurden auch von den übrigen Kommunen
Kurtriers und von der Landesherrschaft als solche verstanden. Die
Einigung zwischen Kurfürst und Ständen im Jahr 1650, der Binger
Rezess, brachte keine Überraschungen: Es wurde pauschal akzeptiert,
dass die Dörfer zu den Ständen gehörten. Die Führungsrolle der Städte,
insbesondere der Hauptstädte, wurde aber bestätigt. Die übrigen
Kommunen der Trierer Landstände wurden mehr denn je zu ihrer Klientel.
Ihre aktive Partizipation an der ständischen Repräsentation musste,
zumindest was die Landgemeinden anging, verzichtbar erscheinen. Hinzu
kamen die Zerstörungen des Dreißigjährigen Krieges. Diese trafen
unterschiedliche Gemeinden unterschiedlich stark. Generell lässt sich
aber festhalten, dass die großen Städte und die Herrschaft unter dem
klugen Kurfürsten Karl Kaspar von der Leyen sich rascher als die Dörfer
erholten. Nur vier Jahre nach dem Binger Rezess verschwanden die
Dorfdeputierten endgültig von den Landtagen. Ein klarer Rechtsbruch,
aber völlig im Einklang mit der politischen und ökonomischen Realität des
Dritten Standes Kurtriers.

In der Folgezeit erhoben Nebenstädte nur selten Kritik an den
Eigenmächtigkeiten des Direktoriums. So beklagte sich etwa Wittlich
1654, dass das Direktorium mehr Steuern erhob, als beim Landtag
vereinbart worden waren. Zudem sollten die Direktorialstädte auch
außerhalb von Krisenphasen eigenmächtig neue Steuern bewilligt haben.
Ihren Landtagsabgeordneten trugen die Wittlicher Ratsherren auf,
nachzuforschen, wie mit den Steuermitteln seitens des Direktoriums
umgegangen werde, denn sie „verspihren […], das Geld vile weeg habe.“
10

Aber niemand stellte die Führungsposition von Trier und Koblenz ernsthaft
in Frage. Den Landgemeinden gegenüber entwickelten die
Direktorialstädte nun geradezu den Charakter einer Obrigkeit, einer
zweiten Regierung. 1735 wurden die Direktorialstädte von Zender und
„Gemeindsleuten“ Welschbilligs, einer formal über Stadtrecht
verfügenden, jedoch nicht zu den 14 Städten gezählten ländlichen
Kommune, als „Eurer Wohl- und hoch Edel geborne Unterthänig fußfällig
angeeflehet großgünstigst“ Steuerforderungen zu reduzieren.

Der Kontakt zwischen Trier und Koblenz wurde mit einigem Aufwand
unterhalten, im 18. Jahrhundert kommunizierten die Räte „per Estafette“
miteinander. Dennoch war ihre Kooperation durchaus nicht immer
harmonisch. Dem Versuch Triers, sich als der unbestreitbare Wortführer
des Dritten Standes zu etablieren, begegnete Koblenz gelegentlich durch
eine demonstrative Verweigerungshaltung. Der Konflikt zwischen Koblenz
und Trier war einer der Gründe für das endgültige Versagen der Stände in
ihrer letzten Krise: den Jahren nach der Französischen Revolution.

Wirtschaftliche Schwierigkeiten und Zunftunruhen belasteten das
Verhältnis der Städte zum letzten Kurfürsten, Clemens Wenzeslaus von
Sachsen, schon während der 1780er Jahre. Durch den Bau der neuen
Residenz in Koblenz hatte sich das Verhältnis zwischen Obererzstift und
Niedererzstift, zwischen Trier und Koblenz, rapide verschlechtert. Das
Obererzstift sah sich übervorteilt. Man hatte nicht nur die endgültige
Verschiebung des Herrschaftsmittelpunktes nach Koblenz mit allen
negativen ökonomischen und wirtschaftlichen Folgen hinnehmen müssen,
man hatte dafür durch Steuern für den Palastbau auch noch selbst
gezahlt. 1789 reichte das Trierer Direktorium ein Beschwerdeschreiben
bei der Landesregierung ein, in dem verlangt wurde, den Ständen,
insbesondere dem Obererzstift, ihre hergebrachten Rechte zu garantieren.

Der Plan setzte sich nicht durch. Das Kurfürstentum hatte drängendere
Probleme. Kurfürst Clemens Wenzeslaus gewährte Adeligen, die aus
dem revolutionären Frankreich geflohen waren, Asyl. Diese Adeligen
rüsteten offen für einen Feldzug gegen Frankreich. Die Stände
befürchteten völlig zu Recht, dass die offene Unterstützung dieser
aggressiven Emigranten durch den Kurfürsten, Frankreich zu einem
militärischen Erstschlag provozieren könnte. Die Stände versuchten in den
1790ern Einfluss auf die Außenpolitik zu gewinnen. Als Clemens
Wenzeslaus sich solche Einreden verbat, drohten die Stände nicht nur mit
einer Klage beim obersten Reichsgericht. Sie kündigten darüber hinaus
mit einem beispiellosen Schritt in die Öffentlichkeit an: Die Stände wollten
die Anordnungen des Kurfürsten und ihre Reaktionen darauf
veröffentlichen und so demonstrieren, dass sie keine Schuld am
drohenden Krieg mit Frankreich traf. Mehr noch: Die Landstände warnten
den Kurfürsten davor, dass sie selbstständig Kontakt mit der Assemblée
Nationale aufnehmen würden. Keine dieser Drohungen machten die
Stände wahr. Die anhaltenden Spannungen zwischen Trier und Koblenz
verschlechterten die Verhandlungsposition der Landstände massiv. Die
Koblenzer im Direktorium hatten sich zunächst ganz passiv verhalten,
11

später blockierten sie eine Veröffentlichung der Proteste der Stände
gegen die kurfürstliche Frankreichpolitik. Daran waren auch die harten
Maßnahmen des Kurfürsten schuld: Er drohte seinerseits offen mit
Strafverfahren und ließ den Syndikus des weltlichen Stands, Peter Ernst
von Lassaulx, verhaften.

In dieser angespannten Lage wurden hektisch Verfassungsreformen
diskutiert. Auf den ersten Blick scheinen der drohende Krieg und die
drohende Revolution weitgehende Neuerungen denkbar gemacht zu
haben. Auf den zweiten Blick erkennt man sehr alte Konflikte und
Interessen in neuer Aufmachung.

1789 verlangten die Trierer Zünfte ein Ende der geheimen
Landtagsberatungen, da die „Landständ nur das Volck, und die
unterthanen repäsentiren und folgsam letzteren […] von allem dem, was
die repräsentanten vornehmen und Beschliessen nicht geheimgehalten
werden dörfte, Besonders, wo die unterthanen […] alles zalen müssen.“

1791 machte sich das Trierer Direktorium Forderungen aus dem
Obererzstift zu eigen, nach denen das Freie Mandat der Deputierten
abgeschafft werden sollte. Sehen wir hier Ansätze zur
Rechenschaftspflicht von Abgeordneten? Die Argumente der Revolution
wurden von Trier eingesetzt, um einem ganz anderen politischen Zweck
zu dienen. Auf der Agenda Kurtriers stand weit oben der Streit zwischen
Trier und Koblenz. Die größere Kontrolle über die
Landtagsverhandlungen, die das Trierer Direktorium befürwortete, sollte
dem Regionalinteresse des Obererzstiftes dienen. Man hoffte so, sich
dem Zugriff einer befürchteten informellen Koalition zwischen der
Herrschaft und dem Niedererzstift entziehen zu können. Dies wird aus den
weiteren Forderungen der Gravamina und des Memorandums deutlich:
Die Landtage sollten jährlich stattfinden, und zwar jährlich alternierend in
den beiden Hauptstädten. Mehr noch: Trier entwickelte den Plan die
Landtage sollten künftig nicht mehr in zwei Kammern, nämlich einem
geistlichen und einem weltlichen, sondern in vier Kammern tagen: Die alte
Teilung der geistlichen und weltlichen Stände in die des Oberstifts und des
Niedererzstifts, sprich in den Trierer und den Koblenzer Einflussraum,
sollte damit konsequent weitergeführt werden zur Schaffung von zwei
kurtrierischen Landtagen. Es ging hier um regionale Einflusssphären, nicht
um Volkssouveränität.

Die Rhetorik der Revolution griffen die Stände auf. In ihrem Kampf gegen
die Emigrantenpolitik Kurfürst Clemens Wenzeslaus’ argumentierten die
Landstände, dass sie ein Recht auf Opposition hätten. Sie repräsentierten
nämlich das Volk. Die Direktorialstädten verkündeten, es sei immer die
Aufgabe der Landtage gewesen, alle Angelegenheiten zu diskutieren,
„welche den underthan druken“. Angesichts der Dominanz der
Steuerverwaltung und der Herrschaft der elitären Ratsgremien der
Direktorialstädte über die Ständeversammlung konnte hiervon in
Wirklichkeit keine Rede sein. Auf dem Landtag von 1792 forderte Trier die
Abgeordneten des Obererzstiftes ausdrücklich auf, „als Repräsentanten
12

des Volkes“ gegen die Emigranten zu protestieren. Die Herrschaft wischte
dieses Argument mit der schlichten Feststellung vom Tisch, dass den
Direktorialstädten Trier und Koblenz „keine Repräsentantschaft der
Untertanen“ zustehe.

Ein wirklich revolutionärer Vorschlag griff die alte politische
Repräsentation der Landgemeinden auf. Im Jahr 1790 bat die Stadt St.
Wendel darum, wieder in den Kreis der privilegierten Städte
aufgenommen zu werden und damit wieder Sitz und Stimme beim
Landtag zu erhalten. Der weltliche Syndikus Peter Ernst von Lassaulx
verfasste daraufhin ein Memorandum, in dem er versuchte, aus der
widersprüchlichen Praxis der Vergangenheit Sinn im revolutionären
Kontext zu machen. Es ging ihm dabei freilich weniger um historisch
korrekte Angaben als darum, ein neues politisches Programm zu
rechtfertigen. Lassaulx behauptete, grundsätzlich sei in Kurtrier „ein jedes
Amt, ja ein jedes Kirchspiel“ landtagsberechtigt. Selbst wenn dieses Recht
über Jahrhunderte nicht ausgeübt bzw. delegiert worden sei, bestünde es
weiter. Alle Kommunen sollten mit Deputierten beim Landtag vertreten
seien. Zur Teilnahme am Landtag berechtige die Steuerpflicht. Lassaulx
akzeptierte hier wie selbstverständlich Kommunen und alte
Verwaltungsdistrikte, die z. T. bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts ja
tatsächlich Standschaft genossen hatten, als Repräsentationseinheiten. Er
verstand die Repräsentation der in diesen Bezirken zusammengefassten
Landgemeinden jedoch als Repräsentation des ganzen als souverän
gedachten Volkes. Diese Sicht war in der Tradition der kurtrierischen
Landstände gerade eben nicht angelegt gewesen: Lassaulx entwickelte
vielmehr ein neues, revolutionäres Argument. Die Landgemeinden sollten
einen Ausschuss wählen, der ebenso viele Mitglieder wie die
Deputationen der 14 Städte zählen und dieselben Rechte genießen sollte,
quasi eine Bauernkammer neben einer Städtekammer innerhalb des
Dritten Standes. Von dieser Reform versprach sich der Syndikus eine
Stärkung des Landtages gegenüber dem Kurfürsten. Die Erweiterung der
Zahl der Landtagsteilnehmer würde neue personelle Ressourcen
erschließen. Dadurch könnte der Landtag größere Kompetenz in
Sachfragen gewinnen.

Das Trierer Direktorium, das mit dem Fall St. Wendels unmittelbar befasst
war, lehnte den Vorstoß dieser Stadt ebenso wie Lassaulx’
Reformvorschlag rundheraus ab. Die Erfahrung des 16. Jahrhunderts
habe gezeigt, dass die Dörfer und ländlichen Repräsentationsbezirke
schlicht nicht in der Lage seien, kompetente Abgeordnete zu entsenden.
Sie seien bloß eine Belastung des politischen Systems. Lassaulx, der
vergessene Revolutionär von Koblenz, scheiterte nicht an der Herrschaft,
sondern an den Ständen. Er scheiterte auch an den Bauern, die an
seinem Vorschlag offenbar gänzlich desinteressiert waren. Dieses
Scheitern von Lassaulx bedeutet keinesfalls, dass er und sein mutiger
Plan in Vergessenheit geraten dürfen. Es ist hoch an der Zeit, sich an
einen Vorkämpfer politischer Freiheit zu erinnern, der lange vor Hambach
und vor der Mainzer Republik versuchte, aus der Geschichte des Rhein-
und Mosellandes Argumente für eine eigene Revolution zu destillieren.
13

Das Kurfürstentum Trier war sicherlich keine Demokratie und auch keine
Republik. Die Stände sind zusammen mit dem Kurfürstentum
untergegangen; es gibt keine kontinuierliche Entwicklung bis hin zur
parlamentarischen Demokratie der Gegenwart. Die politische
Repräsentation der Landbevölkerung Kurtriers kann nicht im Kontext des
Grundgesetzes verstanden werden; sie muss im Kontext ihrer eigenen
Zeit gesehen werden. Und in diesem Kontext ist sie spektakulär. Durch die
Mitbestimmungsbefugnisse, die bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts
bestanden, waren die Bauern Kurtriers deutlich stärker ihre
Standesgenossen in den meisten anderen Territorien des Reiches. Die
Bauern der meisten europäischen Staaten genossen keine politischen
Rechte, die auch nur annähernd so groß waren. Dass die
Landbevölkerung des Kurfürstentums ihre politischen Privilegien kaum
nutzte und daher schließlich verlor, erklärt sich nicht aus dem Einfluss der
Kurfürsten. Die Dörfer stießen innerhalb des Dritten Standes auf ihren
eigentlichen Widerpart: die übermächtigen Städte. Deren Überlegenheit in
wirtschaftlicher Kraft, politischer Macht und Sachkompetenz wurde
akzeptiert. Ohne Widerstand, ja offenbar bereitwillig, begab sich die
Landbevölkerung unter die Vormundschaft der Städte. Und damit verloren
sie ihr altes Recht auf Mitsprache.
Sie können auch lesen