Kölner Impulse zur Wirtschaftspolitik
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Kölner Impulse zur Wirtschaftspolitik Nr. 3/2022 | 03. Mai 2022 In diesem Impuls… Nach der Ringvorlesung Aktuelles aus dem iwp ist vor der Ring- … argumentieren Matthias Kaldorf, Michael vorlesung. Trotz pandemiebedingter Er Krause, Lucas Radke und Florian Wicknig, dass „Migration aus wirtschaftspolitischer eine konsequente Berücksichtigung von Klimari- Perspektive“: Letzte Chance auf einen siken für die Preis- und Finanzstabilität Teil der freien Platz in unserem 3-tägigen Seminar zukünftigen Geldpolitik sein sollte. Einer Erweite- „Dialog junge Wissenschaft & Praxis“ in rung des Mandats der EZB in Richtung einer akti- Königswinter vom 1. bis 3. Juni. Für interes- ven Klimapolitik stehen die Autoren allerdings sierte Studierende (BA/MA/PhD) mit oder skeptisch gegenüber. ohne Credit Points. Die Ausgabe 1-2022 der Zeitschrift für Wirt- schaftspolitik ist erschienen. Im Wirt- schaftspolitischen Forum geht es um das aktuelle Thema „Digital Markets Act – Fai- rer Wettbewerb im Netz?“, mit Beiträgen von Monika Schnitzer (LMU München), Jürgen Kühling und Torben Stühmeier (Monopolkommission Bonn) und Thorsten Käseberg (Bundesministerium für Wirt- schaft und Klimaschutz). Kölner Impulse zur Wirtschaftspolitik | Nr. 3/2022 www.iwp.uni-koeln.de |1
Geldpolitik und Klimawandel Von Matthias Kaldorf, Michael Krause, Lucas Radke und Florian Wicknig* Der Klimawandel wird ohne Frage einen tiefgreifenden Einfluss sowohl auf die europäische als auch die globale Wirtschaft haben. Dieser Kölner Impuls für Wirtschaftspolitik geht der Frage nach, inwiefern sich daraus Handlungsdruck für Zentralbanken wie die EZB ergibt. Während unstrittig ist, dass Zentralbanken notwendige Schritte zu Sicherstellung von Preis- und Finanzstabilität im Rahmen ihres Mandats unterneh- men müssen, die sich aus dem Klimawandel ergeben, fordern einige Beobachter weitreichendere Maßnah- men, die ebenso den Übergang zu einer emissionsarmen Wirtschaft auf finanzieller Ebene stützen. Unser Impuls kommt diesbezüglich zu einem pessimistischen Schluss: selbst wenn man die Debatte um das Pri- märmandat einer Zentralbank ausblendet, zeigt die bisherige akademische Forschung, dass der Einsatz geldpolitischer Instrumente zwecks Beeinflussung des Klimawandels teils erhebliche unerwünschte Neben- wirkungen zur Folge haben kann und dabei verglichen mit fiskalischen Maßnahmen deutlich weniger wirk- sam ist. Spätestens seit Veröffentlichung der von der Eu- einzelne Finanzinstitutionen sowie den gesamten ropäischen Zentralbank (EZB) durchgeführten Finanzsektor untersucht werden. Eine Berück- Überprüfung und Erneuerung ihrer Strategie ist sichtigung der makroökonomischen Risiken des die Rolle des Klimawandels für die Durchführung Klimawandels sowie die Durchführung regelmä- von Geldpolitik in den Fokus der öffentlichen Dis- ßiger Climate Stress Tests – eine Reihe „reakti- kussion gerückt. Die EZB hat sich selbst einen am- ver“ Maßnahmen – wird in der Regel von Kom- bitionierten Zeitplan gesetzt. Sie will in den kom- mentatoren befürwortet. menden Jahren realwirtschaftliche und finanzi- elle Klimarisiken identifizieren, europäische Ban- Zweitens erwägt sie, die Intensität der CO2-Emis- ken gegenüber solchen Risiken widerstandfähig sionen der Emittenten von Unternehmensanlei- machen und ihre eigene Geldpolitik auf den Prüf- hen in ihren Anleihekäufen und in ihren Funktio- stand stellen. Die zentrale Motivation dafür stellt nen als Bankenaufsicht zu beachten (EZB, 2021b). die steigende makroökonomische Bedeutung des Im Gegensatz zu den „reaktiven“ Maßnahmen ist Klimawandels dar, dessen Auswirkungen zuneh- eine dezidiert grüne Geldpolitik – eine Reihe „ak- mend auf Finanzmärkten und in der Realwirt- tiver“ Maßnahmen - aus verschiedenen Gründen schaft sichtbar werden. * in die Kritik geraten. Vor allem wird kritisiert, dass die EZB ihr eng vorgeschriebenes Mandat zur Si- Dabei werden momentan insbesondere zwei kon- cherstellung von Preisstabilität in der Eurozone krete Politikmaßnahmen diskutiert. So strebt die eigenmächtig überschreitet und aufweicht, wenn EZB erstens an, die Auswirkungen des Klimawan- sie die Bekämpfung des Klimawandels als weite- dels auf Realwirtschaft und Finanzmärkte explizit res Politikziel definiert. Dies bedeute, dass die in der Geldpolitik zu berücksichtigen. Dazu führt EZB die sich in der Marktwirtschaft ergebende Al- sie dieses Jahr einen sogenannten Climate Stress lokation von Ressourcen und Investitionen auf Test durch, in denen Extremszenarien (wie Un- verschiedenen Produktionssektoren beeinflusst, wetterkatastrophen) in ihren Auswirkungen auf * Matthias Kaldorf, Lucas Radke und Florian Wicknig sind wissenschaftliche Mitarbeiter am Center for Macroeconomic Research (CMR) der Universität zu Köln. Michael Krause ist Professor am CMR und Direktor des Instituts für Wirtschaftspolitik an der Universität zu Köln. Kölner Impulse zur Wirtschaftspolitik | Nr. 3/2022 www.iwp.uni-koeln.de |2
was ihr als nicht demokratisch gewählte Institu- chen Ergebnis, dass eine konsequente Berück- tion nicht zu stehe. Zusätzlich ist offen, wie wirk- sichtigung von Klimarisiken für die Preis- und Fi- sam die Instrumente der EZB in diesem Zusam- nanzstabilität Teil der zukünftigen Geldpolitik menhang überhaupt sind. sein sollte. Dies lässt sich direkt aus dem Primär- mandat „Preisstabilität“ der EZB ableiten.2 Dieser Kölner Impuls zur Wirtschaftspolitik soll zu Gleichzeitig ist eine Erweiterung des Mandats in einer systematischen Diskussion verschiedener Richtung einer aktiven grünen Geldpolitik Einflüsse des Klimawandels auf die Geldpolitik so- schwerlich zu rechtfertigen, insbesondere da die wie einer Bewertung der Effektivität geldpoliti- Effektivität der einer Zentralbank zur Verfügung scher Instrumente im Kontext des Klimawandels stehenden Instrumente eher gering ist. beitragen. In der nachfolgenden Analyse klam- mern wir dazu explizit andere umweltpolitische Der Einfluss von Klimawandel auf Geldpolitik Aspekte wie Grundwasserversorgung, Biodiversi- tät oder die Verschmutzung der Weltmeere aus. Die erste Frage, die beantwortet werden muss, Der Einfluss des Klimawandels auf Geldpolitik und um die Notwendigkeit einer Anpassung von Sei- auf die Effektivität geldpolitischer Instrumente ten der Zentralbank zu beurteilen, ist, wie Klima- wird kontrovers diskutiert. Um einen strukturier- risiken Geldpolitik überhaupt beeinflussen kön- ten Überblick über diese Diskussion zu geben, un- nen. Wir diskutieren anhand einer vereinfachten terteilen wir Klimaeinflüsse in zwei Kategorien: Darstellung von Geldpolitik, welche Aspekte des physische und transitorische Effekte. Im Zusam- Klimawandels nach aktuellem Stand der For- menhang mit dem Klimawandel wird unter „tran- schung für Zentralbanken relevant sind. Wir ori- sitorischen“ Effekten der Übergang von einer von entieren uns dabei an der Eurozone, in der die fossilen Energieträgern abhängigen Wirtschaft zu Preisstabilität als eine jährliche Inflationsrate von einer auf erneuerbaren Energieträgern basieren- zwei Prozent definiert ist, also eine stetige und den Wirtschaft verstanden.1 Dieser Übergang schwach positive Erhöhung des allgemeinen kann durch umweltpolitische Reaktionen und Preisniveaus. Zur Umsetzung dieses Ziels nutzt nachfrageseitige Änderungen hervorgerufen die EZB ihren Einfluss auf verschiedene kurzfris- werden. Beide Effekte haben einen unmittelba- tige Zinssätze und – seit der Finanzkrise 2008 – ren Einfluss auf die beiden wesentlichen Zielgrö- auch direkte Käufe von verschiedenen Anleihen ßen der EZB: Preisstabilität und Finanzstabilität. am Sekundärmarkt. Direkt sind diese kurzfristi- Zunächst diskutieren wir, auf welche Weise diese gen Zinssätze nur für Banken relevant. Da der Effekte das geldpolitische Instrumentarium be- Bankensektor aber als Hauptkreditgeber für Fir- einflussen und wie eine Reaktion der Geldpolitik men und Haushalte agiert, haben diese kurzfristi- im Rahmen bestehender Ziele aussehen könnte. gen Zinssätze einen großen Einfluss auf das ge- Anschließend beleuchten wir verschiedene Mög- samtwirtschaftliche Zinsniveau. lichkeiten, mit denen Zentralbanken den Anteil klimafreundlicher Investitionen steigern können. Gleichzeitig übernehmen Zentralbanken teil- Dabei berücksichtigen wir explizit deren Wirk- weise Überwachungs- und Regulierungsaufga- samkeit, potentielle unerwünschte Nebeneffekte ben im Finanzsektor, um dessen Widerstandfä- sowie die Rolle des Mandats der Zentralbank. higkeit gegenüber negativen Schocks aufrecht zu Dieser Impuls kommt im Kontext der beiden dis- erhalten. Wir legen im Folgenden den Fokus auf kutierten Politikmaßnahmen zu dem wesentli- 1 Siehe dazu auch den Monatsbericht der Deutschen Bundesbank Januar (2022). 2 Finanzstabilität ist kein festgeschriebenes Ziel der EZB, lässt sich jedoch direkt aus dem Ziel „Preisstabilität“ herleiten: sollten Banken in einer Rezes- sion nicht mehr Willens oder in der Lage sein, Kredite an die Realwirtschaft zu vergeben, ist es der Zentralbank nicht mehr möglich, mit ihrer Zinspolitik Preisstabilität zu gewährleisten. Kölner Impulse zur Wirtschaftspolitik | Nr. 3/2022 www.iwp.uni-koeln.de |3
die zwei wesentlichen Dimensionen der Zentral- ken als auch indirekt die Kosten für Unterneh- bankaktivität: die Sicherung der Preisstabilität men, und somit (zumindest vorrübergehend) In- und der Finanzstabilität. flationsdruck erzeugen. Dabei ist zu berücksichti- gen, dass die aktuelle Höhe von CO2-Steuern und Preisstabilität –Preisen noch weit unter dem notwendigen Ni- veau liegen, um Klimaproblematiken angemes- Jüngste Forschungsergebnisse bestätigen, dass sen zu adressieren (Tol, 2009). Sofern die um- der Klimawandel einen direkten Einfluss auf Preis- weltpolitischen Ansätze vieler Regierungen ernst stabilität ausübt, womit sich die Auseinanderset- zu nehmen sind, ist auf absehbare Zeit also mit zung der Zentralbanken mit diesem Thema unmit- Kostendruck zu rechnen. telbar begründen lässt. In der Diskussion dieser Einflüsse hilft es, zwischen angebots- und nach- Schließlich kann auch die Unsicherheit über zu- frageseitigen Effekten zu unterschieden. Unmit- künftige klimapolitische Anpassungsmaßnahmen telbar mit dem Klimawandel verbunden ist das Ri- Auswirkungen auf die Preisstabilität haben. So siko physischer Effekte, wie Überschwemmun- werden Investitionen aufgrund eines unsicheren gen, Dürren, Hitzewellen oder andere Extrem- Umfelds aufgeschoben oder Projektfinanzierun- wetterereignisse, die zu Unterbrechungen von gen nur gegen erhebliche Risikoprämien verfüg- Lieferketten oder gar zur Zerstörung von Produk- bar sein. Dies kann ebenfalls kostensteigernd wir- tionskapazitäten führen können. In solchen Fäl- ken, da hierdurch die Finanzierungskosten für Un- len kann kurzfristig der Druck auf die Preise der ternehmen steigen (Dietrich et al., 2022). Aus Güter betroffener Sektoren steigen, sei es durch Sicht der Unternehmen ist also zu erwarten, dass Angebotsausfälle und damit verbundenen Lie- die mit dem Klimawandel verbundenen Risiken ferengpässen, oder durch die Weiterleitung von Kostendruck erzeugen, insbesondere mittelfris- Kostensteigerungen an Haushalte und anderer tig in der Anpassungsphase zu einer auf nachhal- Unternehmen. Forschungsarbeiten von Parker tigen Energieträgern basierten Ökonomie. (2018) und Faccia et al. (2021) dokumentieren kurzfristige Anstiege in Nahrungsmittelpreisen Aus Sicht der Haushalte sind vor allem physische nach Überschwemmungen, Dürren oder Hitze- Risiken relevant. Naturkatastrophen setzen Haus- wellen. Auch mittelfristig können Extremwetter- halte einem Risiko aus, gegen welches diese sich lagen das Güterangebot negativ beeinträchtigen, zunehmend versichern wollen. Werden Naturka- beispielsweise als Folge dauerhaft geminderter tastrophen wahrscheinlicher, erhöht das entwe- Arbeitsproduktivität (Donadelli et al., 2017), was der Versicherungsprämien oder die Schäden, die damit einen preistreibenden Effekt haben kann. einzelne Haushalte tragen müssen. In beiden Fäl- Dieser mittelfristige Effekt von physischen Fakto- len hat dies einen negativen Effekt auf Konsum, ren auf Preise in Industrienationen wird allgemein was demnach einen schwach negativen Druck auf jedoch als eher gering eingeschätzt (Faccia et al., Inflation ausüben sollte. 2021). Finanzstabilität Neben solchen physischen Effekten spielen auch transitorische Effekte, wie die Einführung und Er- Da ein funktionierender Finanz- und Bankensek- höhung einer CO2-Steuer oder -Bepreisung3, ei- tor Voraussetzung für die Effektivität von Geldpo- nen Anstieg des allgemeinen Preisniveaus zur litik ist, muss ebenso der Einfluss des Klimawan- Folge haben. Eine CO2-Steuer würde sowohl di- dels auf Finanzstabilität betrachtet werden. Im rekt auf die Energiekosten von Haushalten wir- Allgemeinen wird ein Finanzsektor als stabil be- zeichnet, wenn er in der Lage ist, Veränderungen 3 Unter CO2-Bepreisung werden verschiedene Formen von Handel mit Emissionszertifikaten („cap-and-trade“) zusammengefasst. Ähnlich wie im Fall einer direkten CO2-Steuer steigen auch hier (in beabsichtigter Weise) die Produktionskosten von CO2-emittierenden Unternehmen. Kölner Impulse zur Wirtschaftspolitik | Nr. 3/2022 www.iwp.uni-koeln.de |4
im ökonomischen Umfeld, beispielsweise durch das heißt, dass viele Kreditnehmer zeitgleich In- Immobilienkrisen oder das Platzen von Blasen am solvenz anmelden. Ein derartiges Ereignis ähnelt Aktienmarkt, abzufedern. Wenn die Auswirkun- stark dem Platzen einer Kreditmarktblase: Ban- gen solcher „Schocks“ nicht ausgeglichen wer- ken verbuchen hohe Verluste, was automatisch den, sondern sogar durch den Finanzsektor ver- die Eigenkapitalausstattung des Bankensektors stärkt werden, können bereits kleine Veränderun- reduziert. Sind diese Verluste hinreichend hoch, gen, eine makroökonomische Reaktion auslösen werden Banken die Kreditvergabe an Unterneh- und zu einer Rezession führen. Dies war 2008 der men und Haushalte einschränken oder höhere Fall, als das Ende der US-Immobilienblase zu gro- Zinssätze verlangen. Dieser Aspekt würde die ßen Verlusten im Bankensektor führte, und infol- Haushalte über die oben erwähnten angestiege- gedessen die gesamtwirtschaftliche Kredit- nen Versicherungsprämien hinaus belasten. Aus vergabe massiv eingeschränkt wurde. In diesen gutem Grund wurden die Eigenkapitalanforde- Fällen spricht man davon, dass ein systemisches rungen nach der Finanzkrise durch Aufsichten Risiko vorlag, was es Zentralbanken erheblich er- und Regulierer verschärft. schwert, durch geldpolitische Maßnahmen die Realwirtschaft zu beeinflussen und diese Schocks Ebenso können transitorische Risiken dazu füh- abzufedern. ren, dass das Geschäftsmodell zahlreicher Kredit- nehmer, z.B. aus Öl-, Gas- und Kohleindustrie, Durch die oben angesprochenen physischen Risi- nicht länger profitabel ist.4 In diesem Szenario ken des Klimawandels werden Großschadenser- würden Kreditausfälle gehäuft auftreten – letzt- eignisse wahrscheinlicher, wodurch im Extremfall endlich mit vergleichbaren Effekten auf Finanz- die finanzielle Gesundheit von Versicherungsun- stabilität wie im Fall von physischen Risiken. Die ternehmen und Rückversicherern beeinträchtigt Literatur spricht in beiden Fällen von ''stranded wird. Dies kann wiederum zu Ansteckungseffek- assets'', also Vermögenswerten, die durch den ten im gesamten Finanzsektor führen, da es sich Klimawandel oder Klimapolitik an Wert verlieren bei diesen Akteuren, wegen ihrer Größe und Ver- oder sogar unbrauchbar werden. Auch hier könn- netzung im globalen Finanzsystem, um syste- ten derartige Risiken systemisch werden, sofern misch relevante Institutionen handelt. Außerdem Bewertungsverluste gebündelt ganze Industrie- ist es bei derartigen Ereignissen wahrscheinli- zweige treffen. cher, dass Kreditausfälle gebündelt auftreten, Tabelle 1 fasst die angesprochenen Effekte nochmals zusammen. Akteur/ Physisch Transitorisch Klimaeffekt Unternehmen - Zerstörung von Fabriken - weniger Neu-Investitionen: Unsicherheit über - geringere Arbeitsproduktivität (z.B. wegen Folgen des Klimawandels Hitzewellen) - CO2-Steuer: bestehende Investitionen verlie- - Unterbrechung von Lieferketten ren an Wert, Produktionskosten steigen Haushalte - Reale Einkommensverluste durch Extrem- - Reale Einkommensverluste, beispielsweise wetterereignisse durch Energiepreiserhöhungen Finanzmarkt - Bewertungsverluste oder Kreditausfälle - Bewertungsverluste oder Kreditausfälle durch durch Naturkatastrophen "stranded assets" - systemische Risiken durch Großschadener- - systemische Risiken, wenn Bewertungsver- eignisse luste industrieweit auftreten 4 Dies kann zum einen durch umweltpolitische Neubewertung geschehen (z.B. bei Wegfall von Subventionen oder Besteuerung). Andererseits können sich im Zuge eines erhöhten Bewusstseins für den Klimawandel Konsumgewohnheiten ändern (z.B. wenn lokale Produkte verstärkt nachgefragt wer- den). Kölner Impulse zur Wirtschaftspolitik | Nr. 3/2022 www.iwp.uni-koeln.de |5
Zusätzlich zu den negativen Effekten auf die Kapi- sein sollte. Im Falle eines Preisanstiegs durch vo- talausstattung von Banken lassen sich auch nega- rübergehend erhöhte Kosten wäre lediglich eine tive Effekte von Klimarisiken auf das Liquiditäts- temporäre Zinserhöhung in der Lage, dem Kos- management von Banken identifizieren. Banken tendruck entgegenzuwirken. nutzen regelmäßig besicherte Zentralbank- und Interbankkredite, um sich kurzfristige Liquidität Anders verhält es sich im Fall eines permanenten zu beschaffen. Als Sicherheiten (sogenanntes Kostenanstiegs, beispielsweise nach der Einfüh- Kollateral) werden in der Eurozone vielfach Anlei- rung einer CO2-Steuer. Wenn es sich um eine ein- hen des Privatsektors genutzt. Sollten diese An- malige, aber dauerhafte Maßnahme handeln leihen durch physische oder transitorische Risi- würde, könnte man, wie in der Vergangenheit ken an Wert verlieren, erschwert dies die kurzfris- nach einer, im Prinzip vergleichbaren, da einmali- tige Finanzierung des Bankensektors. gen Mehrwertsteuererhöhung auf eine starke Zinsreaktion weitgehend verzichten. Es handelte Anpassung der Geldpolitik im Rahmen der beste- sich lediglich um einen einmaligen Effekt auf das henden Ziele Preisniveau, nicht aber um dauerhafte Effekte auf die Inflationsrate. Im Gegensatz zu einer Anhe- Nachdem wir den Einfluss des Klimawandels auf bung der Mehrwertsteuer, die alle Produktions- Preis- und Finanzstabilität betrachtet haben, lei- sektoren gleichermaßen betrifft, beabsichtigt ten wir nun daraus mögliche Anpassungen – „re- eine CO2-Steuer jedoch eine Kostenerhöhung für aktive“ Politikmaßnahmen – im Rahmen der be- fossile Energieträger, zugunsten von erneuerba- stehenden geldpolitischen Strategie ab.5 Zu- ren Energien. Sollten derartige Anpassungen in nächst konzentrieren wir uns auf also auf Maß- der Energiewirtschaft wie beabsichtigt erfolgen, nahmen, die gewährleisten, dass eine Zentral- hat dies also nicht nur einen einmaligen und dau- bank weiterhin ihren Zielen von Preis- und Finanz- erhaften Effekt auf das Preisniveau. Entschei- stabilität gerecht wird. Im nächsten Abschnitt be- dend ist in diesem Zusammenhang, wie lange die- fassen wir uns mit den Argumenten für und ge- ser Kostendruck anhält. gen eine aktivere Rolle der Zentralbank in der Klimapolitik. Unter der optimistischen Annahme, dass die Ein- führung einer CO2-Steuer zu einem extrem zügi- Preisstabilität gen Ausbau kostengünstiger erneuerbarer Ener- gien führt, ließe sich der Anstieg von Energieprei- Für den Fall physischer Klimaeffekte lässt sich die sen als kurzfristig und vorübergehend interpretie- notwendige Anpassung der Geldpolitik noch ver- ren. Vor diesem Hintergrund wäre eine tempo- gleichsweise leicht zusammenfassen. Bei einer räre Zinserhöhung in der Lage, Preisstabilität zu Realisierung physischer Risiken (wie der Unter- gewährleisten. Allerdings ist es im Zusammen- brechung von Lieferketten nach einer Extrem- hang mit transitorischen Effekten plausibler, dass wetterlage) erscheint es plausibel, von einem es sich um einen mittelfristig anhaltenden Kos- kurzfristigen und vorübergehenden Effekt auszu- tendruck handelt, da ein sehr kurzfristiger Über- gehen. Eine grundlegende Anpassung der geld- gang in eine emissionsarme Wirtschaft technolo- politischen Strategie scheint vor diesem Hinter- gisch kaum möglich ist.6 Folgt man dieser Argu- grund nicht notwendig. Das Ziel der Preisstabili- mentation, so könnte ein einmaliger starker An- tät ist mit dem Hauptinstrument, dem Leitzins, re- stieg der CO2-Steuer als Sondereffekt in der Infla- lativ gut zu gewährleisten, falls dies erforderlich tionsrate betrachtet werden und in der Zinspoli- tik weitgehend unberücksichtigt bleiben. Diese 5 Es ist hierbei wichtig zu betonen, dass es sich um ein nach aktuellem Forschungsstand wahrscheinliches Szenario handelt, welches aber naturgemäß mit großer Unsicherheit behaftet ist – insbesondere, solange die Stärke der verschiedenen beschriebenen Effekte nicht verlässlich quantifiziert ist. 6 Unter einer kurzfristigen Anpassung ist in geldpolitischen Fragestellungen ein Zeitraum von zwei bis fünf Jahren gemeint. Kölner Impulse zur Wirtschaftspolitik | Nr. 3/2022 www.iwp.uni-koeln.de |6
Schlussfolgerung wäre jedoch problematisch, da „Volcker-Schock“ in den frühen 1980er Jahren in CO2-Steuern nicht als einmalige Maßnahme um- den USA, welcher nach einer vom damaligen gesetzt werden. Chairman der U.S. Federal Reserve Paul Volcker beschlossenen Leitzinserhöhung mit einer Nach derzeitiger Planung handelt es sich bei der schweren Rezession verbunden war. Wichtig ist Einführung einer CO2-Steuer vielmehr um eine also, dass die Strategie, den allgemeinen Verbrau- Maßnahme, die auf absehbare Zeit wiederholt cherpreisindex als Referenzgröße zu nutzen, auftreten wird, da zum Beispiel energieintensive transparent seitens der Zentralbank klar kommu- Sektoren jedes Jahr zunehmend belastet werden niziert und auch konsequent umgesetzt wird, um sollen. Es liegt also auf absehbare Zeit ein dauer- Glaubwürdigkeit zu behalten. hafter Effekt auf die Inflationsrate vor. Im Fall langfristiger, auf bestimmte Sektoren konzen- Finanzstabilität trierter Kostentrends sollte die EZB keine Anpa- sungen ihrer systematischen geldpolitischen Re- Finanzstabilität wird für Zentralbanken relevant, aktion – also ihrer geldpolitischen Strategie - vor- wenn die Implementierung der Geldpolitik beein- nehmen, da es sich um erwünschte relative Preis- trächtigt werden könnte, liegt aber grundsätzlich änderungen handelt. Ihr Mandat ist, die Kaufkraft im Verantwortungsbereich von Regulierern. Da des Geldes stabil zu halten, und nicht, die Preise die EZB teilweise eine Regulierungs- und Auf- bestimmter Sektoren zu steuern. Auch wenn sich sichtsfunktion einnimmt, besteht die Möglich- die Erhöhungen der Preise auf den Energiesektor keit, in Koordination mit Regulierern, sogenannte oder energie-intensive Produktion beschränken, makroprudenzielle Instrumente an verschiedene ist es prinzipiell anzustreben, die Inflationsrate Effekte des Klimawandels anzupassen. Unstrittig gemäß Verbraucherpreisindex weiterhin stabil ist dabei die Sinnhaftigkeit regelmäßiger soge- bei ihrem Ziel von zwei Prozent zu halten. nannter „stress tests“, die oben erwähnt wur- den. Dieses regulatorische Instrument wurde Eine kurzfristige Zinserhöhung ist bei einem dau- nach der Finanzkrise von 2008 entwickelt und soll erhaften Effekt auf die Inflationsrate somit zwar sowohl makroökonomische und finanzielle Risi- nötig, aber möglicherweise nicht ausreichend, um ken im Finanzsystem identifizieren als auch die Preisstabilität zu gewährleisten. Ein kostentrei- Widerstandfähigkeit (Resilienz) des Finanzsek- bender Effekt in bestimmten Sektoren, der jedes tors gegenüber großen Schocks bewerten. Die Jahr auftritt, kann auf das allgemeine Preisniveau EZB führte bereits 2021 einen Stresstest im Hin- wirken, wenn im Privatsektor Zweifel an der Ent- blick auf gesamtwirtschaftliche Folgen von extre- schlossenheit der Zentralbank aufkommen, diese men Klimaereignissen durch und wird sich dieses Strategie auch mittelfristig durchzusetzen. So ist Jahr verstärkt einzelnen systemisch relevanten es beispielsweise möglich, dass Unternehmen Banken widmen. und Haushalte bei Preis- und Lohnverhandlungen nicht (ausschließlich) den Kern-Verbraucherpreis- In diesem Zusammenhang können erhöhte Kapi- index als Referenzgröße betrachten, sondern den talanforderungen für Vermögensgegenstände, allgemeinen Verbraucherpreisindex inklusive der die hohen physischen oder transitorischen Risi- Energiepreise. Dies könnte dazu führen, dass der ken ausgesetzt sind, die Resilienz des Bankensek- durch CO2-Besteuerung erzeugte Kostendruck tors gegenüber systemischen Risiken erhöhen. auch auf andere Sektoren übergreift, wodurch Voraussetzung für so eine Maßnahme ist jedoch, sich hohe Inflationsraten und hohe Inflations-Er- dass in diesem Zusammenhang ein Marktversa- wartungen verfestigen könnten. In diesem Fall gen vorliegt, d.h., bestimmte Risiken werden am wäre eine deutlich stärkere Zinsanhebung der Markt nicht korrekt gepreist. Sollte dies der Fall Geldpolitik erforderlich, möglicherweise mit der sein, können höhere Aufschläge auf „stranded as- Folge eines wirtschaftlichen Abschwungs. Ein his- sets“ hilfreich sein. Banken könnten dann solche torisches Beispiel dazu ist der sogenannte Kölner Impulse zur Wirtschaftspolitik | Nr. 3/2022 www.iwp.uni-koeln.de |7
Vermögensgegenstände, beispielsweise die An- für Forschung und Entwicklung als auch für den leihen von fossilen Energieproduzenten, nur noch zukünftigen Ausbau einschlägiger Produktionska- eingeschränkt als Sicherheit bei der EZB nutzen, pazitäten benötigt. Gegen eine aktive grüne Zent- um Liquidität zu erhalten. Auch an dieser Stelle ist ralbankpolitik sprechen mindestens drei Erwä- es jedoch fraglich, inwieweit hier ein Marktversa- gungen. Zunächst sind die Effekte grüner Zentral- gen vorliegt: Ratingagenturen berücksichtigen bankpolitik auf die Finanzierungskosten nachhal- nach eigenen Aussagen bereits jetzt die Risiken tiger Unternehmen quantitativ nicht besonders hoher CO2-Steuern und des Klimawandels auf die groß. Zweitens birgt eine aktive grüne Geldpolitik Profitabilität einiger Unternehmen. das Risiko das Erreichen des Primärmandats, der Preisstabilität, zu gefährden. Drittens ist in vielen Sollten sich systemische Risiken identifizieren las- Fällen zumindest zweifelhaft, ob ein derartiger sen – ggf. in Verbindung mit Offenlegungspflich- Eingriff in die marktwirtschaftliche Aufteilung ten derartiger Risiken und Climate Stress Tests – von Ressourcen auf verschiedene Produktions- sind in Anlehnung an die finanzpolitischen Maß- sektoren mit dem Mandat der Zentralbank ver- nahmen infolge der Finanzkrise von 2008 auch einbar ist. die Einführung von „bad banks“ denkbar, speziell für „schmutzige“ Vermögenswerte. In diesem Effektivität und Zielkonflikt „unkonventioneller“ Fall würden die erwarteten Bewertungsverluste grüner Geldpolitik dieser Vermögensgegenstände bereits jetzt bi- lanziert und aus den Bilanzen des Bankensektors Es gibt nur wenige Beispiele für aktive Zentral- entfernt. Dadurch verlieren „stranded assets“ bankpolitik, um Klimafolgen zu begegnen. Ein ihre systemische Relevanz, da Wertverluste kei- Beispiel stellt die chinesische Zentralbank, die Pe- nen Einfluss mehr auf das für die Kreditvergabe ople’s Bank of China, dar, welche 2018 eine Vor- relevante Eigenkapital des Bankensektors haben. zugsbehandlung grüner Anleihen in ihrem Kolla- teralsystem einführte. In der Tat reduzierten sich „Aktive“ Geldpolitik zur Reduktion des Klima- im Anschluss daran die Finanzierungskosten für wandels Emittenten grüner Anleihen (Macaire und Naef, 2022). Unsere bisherige Analyse hat sich im Wesentli- chen auf „reaktive“ Politiken beschränkt, da sich Die Literatur zu möglichen Instrumenten zur Um- diese klar aus dem Primärmandat der Preisstabili- setzung grüner Geldpolitik hat sich in den letzten tät ableiten lassen. Die Zentralbank verhält sich Jahren schnell entwickelt. Ähnlich der grundle- passiv, d.h. der Emissionspfad wird durch Um- genden Idee hinter der Politik der People’s Bank weltpolitik vorgegeben. Sollten Zentralbanken, of China diskutieren Brunnermeier und Landau wie vielfach diskutiert, „aktiv“ gegen Klimarisiken (2020), das Kollateralsystem von Zentralbanken vorgehen, könnten sie potentiell aufgrund ihres zur Förderung emissionsarmer Produktion zu Einflusses auf Finanzmärkte und Vermögens- nutzen. Die Zentralbank würde in einem solchen preise eine Rolle bei der Allokation von Ressour- Szenario gezielt Schuldtitel solcher Firmen bevor- cen und Investitionen zu emissionsärmeren Un- zugen, die als „grün“ eingestuft werden, also ge- ternehmen und Industrien einnehmen. Beispiels- ringere CO2-Emissionen aufweisen. Da Banken weise beziffern die Vereinten Nationen den Be- mit solchen Anleihen leichter Kredite bei der darf an Finanzierung für Anpassungen an physi- Zentralbank erhalten können, sind Banken bereit, sche Risiken des Klimawandels in Industrielän- einen Liquiditätszuschlag auf Anleihen dieser Fir- dern auf 70 Milliarden US-Dollar jährlich – ab 2030 men zu zahlen. Mit anderen Worten, diese Firmen wird ein Wert von 140-300 Milliarden prognosti- können sich günstiger verschulden. Die Zentral- ziert (Vereinte Nationen, 2020). Gleichzeitig sind bank fördert dadurch den Aufbau emissionsar- viele „nachhaltige“ Technologien noch in der Ent- mer Produktionskapazitäten. wicklungsphase, d.h., es werden sowohl Mittel Kölner Impulse zur Wirtschaftspolitik | Nr. 3/2022 www.iwp.uni-koeln.de |8
Giovanardi et al. (2022) greifen diesen Vorschlag zierungskosten von Unternehmen. Auf den ers- auf und diskutieren diese Politik in einem gesamt- ten Blick mag es schlüssig erscheinen, wenn die wirtschaftlichen Modell des Euroraums. Die Auto- Geldpolitik im Sinne günstiger Finanzierung für In- ren dokumentieren einerseits einen negativen Ef- vestitionen in erneuerbare Energieträger mit ih- fekt einer Vorzugsbehandlung grüner Schuldtitel ren Instrumenten aktiv Einfluss auf Zinsen nimmt. auf die gesamtwirtschaftliche Menge an Emissio- Wenn ein größerer Anteil nachhaltiger Invest- nen, also ein aus umweltpolitischer Sicht wün- ments beispielsweise den preistreibenden Effek- schenswertes Ergebnis. Andererseits greift eine ten einer CO2-Steuer entgegenwirkt, könnte eine solche Politik massiv in Finanzmärkte ein: einer- derartige Politik sogar inflationssenkend wirken. seits erhöht es die Anreize emissionsarmer Fir- Bei einem solchen Argument wird übersehen, men sich hoch zu verschulden. Dies steigert Kre- dass sich die Finanzierung an den langfristigen ditrisiken und kann somit negative Auswirkungen Realzinsen orientieren, nicht an kurzfristigen Än- auf Finanzstabilität haben. Eine solche Politik derungen der Nominalzinsen, die zu Stabilisie- steht somit in direktem Zielkonflikt mit dem Pri- rungszwecken erfolgen. Langfristig gilt der soge- märmandat der Zentralbank. nannte Fisher-Effekt, demzufolge die nominalen Zinsen im Mittel den realwirtschaftlich bestimm- In Anlehnung an die ausgedehnten Anleihekäufe ten Realzinsen zuzüglich der erwarteten Inflati- vieler Zentralbanken seit 2008, diskutieren Ferrari onsrate entsprechen. Der Einfluss niedriger No- und Nispi Landi (2022) und Abiry et al. (2021) die minalzinsen auf reale Finanzierungsbedingungen Möglichkeit grüner Anleihekäufe. Der grundle- von Unternehmen wird daher als vorübergehend gende Mechanismus ist dabei ähnlich dem bei ei- und eher gering angesehen. ner Vorzugsbehandlung grüner Anleihen als Si- cherheiten für Zentralbankkredite. Indem die Während eine derartige Zinspolitik aller Voraus- Zentralbank die Nachfrage nach derartigen Anlei- sicht nach also nicht besonders effektiv aus um- hen erhöht, hat dies einen positiven Effekt auf de- weltpolitischer Sicht sein kann, führt sie zu einem ren Preis. Die Ergebnisse beider Studien bezüglich möglichen Zielkonflikt mit der Preisstabilität. der Wirksamkeit von grünen Anleihekäufen auf Würde die Zentralbank die nominalen Zinsen zu grüne Investitionen in der Realwirtschaft fallen je- niedrig halten und Inflation zulassen, dürfte dies doch pessimistisch aus. Ähnlich zu den Ergebnis- zwar kurzfristig die Realzinsen senken, aber mit- sen von Giovanardi et al. (2022) fällt auch hier der tel- und langfristig Inflation erhöhen. Dies macht Effekt einer günstigeren Verschuldung auf die In- Zinserhöhungen in der Zukunft erforderlich, was vestitionstätigkeit grüner Firmen deutlich gerin- dann wiederum die Finanzierungsbedingungen ger aus als der Effekt einer CO2-Steuer. Abiry et für Unternehmen erschwert. Sollten Erhöhungen al. (2021) betonen ferner, dass von öffentlicher über längere Zeit ausbleiben, schadet derartiges Seite zwar eine Änderung der Finanzierungskos- Verhalten der Glaubwürdigkeit einer Zentralbank, ten zum Vorteil emissionsarmer Firmen forciert da es Inflationserwartungen erhöht, inflationäre werden kann, Privatinvestoren jedoch im Sinne Tendenzen verstärkt und gegebenenfalls sehr eines diversifizierten Portfolios möglicherweise starke Zinserhöhungen verlangt, um das Ziel der nur bedingt Investitionsschwerpunkte ändern Preisstabilität wieder zu erreichen. werden. Das Zentralbankmandat Effektivität und Zielkonflikt einer aktiven grünen Zinspolitik Ein weiterer Kritikpunkt an Maßnahmen liegt in der Natur der EZB als technokratische Institution, Die Zentralbank hat durch ihre Instrumente einen die zwar demokratisch legitimiert und dem EU- unmittelbaren Effekt auf kurzfristige Zinsen und Parlament rechenschaftspflichtig ist, aber im Rah- damit ggf. einen indirekten Einfluss auf die Finan- men ihres Mandates Unabhängigkeit genießt. Brunnermeier und Landau (2020) diskutieren Kölner Impulse zur Wirtschaftspolitik | Nr. 3/2022 www.iwp.uni-koeln.de |9
diese Mandatsfrage anhand der einflussreichen deckte Ziele zu verfolgen und dadurch die Unab- Arbeit des Finanzwissenschaftlers Richard Mus- hängigkeit der EZB gefährden. An dieser Stelle sei grave (1939). Darin werden drei wesentliche angemerkt, dass Zentralbankmandate im politi- Funktionen von Wirtschaftspolitik unterschieden: schen Prozess entstehen und es natürlich denk- Allokation von Ressourcen auf Produktionssekto- bar wäre, das Mandat der EZB entsprechend zu ren, Umverteilung von Einkommen und (makro- erweitern. Ein derart starker Eingriff in den insti- ökonomische) Stabilisierung der Volkswirtschaft. tutionellen Rahmen der EU ist aufgrund der gerin- Musgrave argumentiert, dass nicht-gewählte, gen Effektivität einer aktiven grünen Geldpolitik „technokratische“ Institutionen keine Allokati- vermutlich nicht politisch umsetzbar. onsfunktionen übernehmen sollen, sondern le- diglich gesamtwirtschaftlicher Stabilität ver- Literaturhinweise pflichtet sein sollen. Gezielte Subventionen be- stimmter Unternehmen und Industrien bleibt so- Abiry R., Ferdinandusse M.,Ludwig A., and Ner- mit demokratisch gewählten Regierungen vorbe- lich C. (2021). Climate Change Mitigation: How Ef- halten, denen zudem ein zielgenaueres und effek- fective is Green Quantitative Easing? tiveres Instrumentarium zur Verfügung steht. Im Falle der EZB muss also berücksichtigt werden, Brunnermeier, M. & Landau, J. (2020). Central dass ihr Mandat eng auf Preisstabilität be- Banks and Climate Change. Link. schränkt ist. Sekundär sollen Ziele verfolgt wer- den, die im Einklang mit der Agenda der Europäi- Deutsche Bundesbank Monatsbericht Januar schen Union stehen, solange die Erfüllung des Pri- (2022). Klimawandel und Klimapolitik: Analyse- märmandats nicht nachteilig beeinflusst ist. Be- bedarf und -optionen aus Notenbanksicht. Link. fürworter einer aktiv grünen Geldpolitik argu- Dietrich, A., Müller, G., & Schoenle, R. (2022). The mentieren typischerweise anhand von politi- Expectations Channel of Climate Change: Impli- schen Friktionen, die beispielsweise eine opti- cation for Monetary Policy. male Steuer auf C02-Emissionen undurchführbar machen. Stattdessen wäre demnach eine „tech- Donadelli, M., Jüppner, M., Riedel, M., & Schlag, nokratische“ Zentralbank besser geeignet, Politi- C. (2017). Temperature Shocks and Welfare ken durchzusetzen, die kurzfristig zwar der Wirt- Costs. Journal of Economic Dynamics and Control, schaft schaden, aber langfristig stark positive Ef- 82, 331-355. fekte haben. EZB (2021a). Climate Change and Monetary Policy Aus diesem potentiell vielschichtigen Sekundär- in the Euro Area. mandat in Verbindung mit politökonomischen Friktionen eine aktive grüne Geldpolitik abzulei- EZB (2021b). Detailed roadmap of climate change- ten, ist jedoch problematisch. Auf diese Weise lie- related actions. Link. ßen sich ebenso eine aktive Sozialpolitik zur Re- duktion von Ungleichheit („Helikoptergeld“ für Faccia, D., Parker, M., & Stracca, L. (2021). Feeling einkommensschwache Haushalte) oder eine ak- the Heat: Extreme Temperatures and Price Stabil- tive Gesundheitspolitik (Anleihekaufprogramme ity (No. 2626). European Central Bank. von Impfstoffproduzenten) herleiten - die Liste ließe sich beliebig erweitern. Es ist aus unserer Ferrari, A., & Nispi Landi, V. (2022). Whatever It Sicht nicht überzeugend, dass insbesondere Um- Takes to Save the Planet? Central Banks and Un- weltpolitik unter diesen Sekundärzielen hervor- conventional Green Policy (No. 2500). ECB Work- gehoben werden sollte. In diesem Sinne könnte ing Paper. die Aufnahme klimapolitischer Ziele folglich dazu einladen, andere mit dem Sekundärmandat abge- Kölner Impulse zur Wirtschaftspolitik | Nr. 3/2022 www.iwp.uni-koeln.de |10
Giovanardi, F., Kaldorf, M., Radke, L., & Wicknig, F. (2022). The Preferential Treatment of Green Bonds (No. 098). ECONtribute Discussion Paper. Macaire, C., & Naef, A. (2022). Greening Mone- tary Policy: Evidence from the People’s Bank of China. Climate Policy, 1-12. Musgrave, R (1939), "Voluntary Exchange Theory of Public Economy". Quarterly Journal of Eco- nomics 53(2): 213-237. Parker, M. (2018). The Impact of Disasters on In- flation. Economics of Disasters and Climate Change, 2(1), 21-48. Tol, R. S. (2009). The Economic Effects of Cli- mate Change. Journal of Economic Perspectives, 23(2), 29-51. IMPRESSUM Autorenkontakt: Herausgeber: Redaktion und V.i.S.d.P.: Abbildung S.1: Prof. Michael Krause, Ph.D. Institut für Wirtschaftspolitik Prof. Dr. Steffen J. Roth https://pixabay.com/de/pho- Institut für Wirtschaftspolitik an der Universität zu Köln Tel. 0221 / 470-5348 tos/geld-pflanzen-wachs- Pohligstr. 1 Pohligstr. 1 steffen.roth@wiso.uni-koeln.de tum-m%c3%bcnzen-6692564/ 50969 Köln 50969 Köln Tel. 0221 / 470-2624 Tel. 0221 / 470-5347 michael.krause@wiso.uni-koeln.de Fax 0221 / 470-5350 iwp@wiso.uni-koeln.de Kölner Impulse zur Wirtschaftspolitik | Nr. 3/2022 www.iwp.uni-koeln.de |11
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