Ökologisches Potenzial eines möglichen Nationalparks im Nordschwarzwald
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Marc Förschler et al., Potenzial eines Nationalparks im Nordschwarzwald, NuL 44 (9), 2012, 273-281 Ökologisches Potenzial eines möglichen Nationalparks im Nordschwarzwald Chancen in Prozessschutz-, Entwicklungs- und Managementzonen aus naturschutzfachlicher Sicht Von Marc Förschler, Ulrich Bense, Peter Berthold, Christian Dietz, Dieter Doczkal, Ulrich Dorka, Charly Ebel, Wolfram Hessner, Hubert Höfer, Adam Hölzer, Christian Köppel, Arne Kolb, Hubert Laufer, Manfred Lieser, Jürgen Marx, Jörg-Uwe Meineke, Wolfgang Münch, Luise Murmann-Kristen, Erwin Rennwald, Ilse Römpp, Klaus Roth, Arno Schanowski, Elmar Schelkle, Franz-Josef Schiel, Wolfgang Schlund, Karl-Eugen Schroth, Volker Späth, Patrick Stader, Axel Steiner, Simone Stübner, Hendrik Turni, Thomas Waldenspuhl, Thomas Wolf, Jörg Ziegler und Peter Zimmermann Abstracts Die Diskussion über einen möglichen Nationalpark im Nord- Ecological Potential of a National Park in the Northern Black schwarzwald ist derzeit in vollem Gange. Ziel der Nationalpark- Forest – Opportunities in zones for process protection, develop- Initiative ist es, eine Fläche von mindestens 10 000 ha mittel- bis ment and management from a nature conservation point of view langfristig für den Ablauf natürlicher Prozesse im Wald frei- The discussion about a possible national park on the Northern zustellen. In einer 30-jährigen Anfangsphase besteht dabei in Black Forest is currently in full swing. The National Park ini- Teilbereichen die Möglichkeit, bestimmte Waldentwicklungen tiative aims to make available an area of at least 10,000 ha in durch gezielte Maßnahmen, wie der Förderung von Tannen, the medium to long term for the cycle of natural processes in Buchen und Kiefern zugunsten der kommenden Waldgenera- the forest. In an initial phase of 30 years it will be possible to tion, anzustoßen (Entwicklungs-Nationalpark). instigate certain forest developments in partial areas, e.g. the Aus naturschutzfachlicher Perspektive besteht die zentrale promotion of firs, beeches or pines in favour of the upcoming Frage darin, welche positiven Wirkungen ein solches Groß- generation. schutzgebiet für die Erhaltung seltener Arten und die Wieder- The central question from a nature conservation perspective herstellung der lokalen Artenvielfalt hat. In der Summe gehen is which are the positive effects of such a large protection area wir davon aus, dass ein Schutz der natürlichen Prozesse in for the preservation of rare species and the re-establishment einem Gebiet dieser Größe viele gebiets- und systemtypische of the local species diversity. Summing up, it is expected that Arten sowie ökologische Wechselwirkungen mittel- bis lang- the protection of the natural processes in an area of this size fristig fördern wird. Diese Prozesse und Entwicklungen sollten will promote many typical species and ecological interactions. in Zukunft durch ein fachlich fundiertes Monitoring (inklusive These processes and developments should be accompanied by Forschung) durch Naturschutz, regionale Artenkenner und a specialist monitoring (including research) of nature conser- Wissenschaftler begleitet werden. vation, regional experts of species protection and scientists. 1 Einleitung in allen Teilen der Welt zur Erhaltung nicht mehr. Es bestehen aber noch relativ Weltweit hält die Zerstörung von Ökosys- bestimmter Biotoptypen und den darin naturnahe, in ihrer Struktur weniger stark temen und Lebensräumen trotz der Be- lebenden Arten errichtet. Auch Deutsch- anthropogen gestörte, alt- und totholzrei- mühungen im Rahmen der Konvention zur land besitzt insgesamt 14 Nationalparke. che Waldflächen, die als Lebensgrundlage biologischen Vielfalt (CBD) weiter an. Das Ziel der Bundesregierung in der „Natio- für eine ganze Reihe von inzwischen sehr 2002 von den CBD-Beitrittsstaaten verab- nalen Strategie zur biologischen Vielfalt“ seltenen und vom Aussterben bedrohten schiedete Ziel, bis 2010 die Verlustrate der ist es, bis 2020 auf 2 % der Landesfläche Tier-, Pilz- und Pflanzenarten von großer Biodiversität signifikant zu reduzieren, Wildnisgebiete einzurichten und auf 5 % Bedeutung sind und dringend erhalten wurde nicht erreicht (Global Biodiversity der Landeswaldfläche Deutschlands wie- werden müssen. In mehreren Wald-Nati- Outlook 3, 2010). Der weltweite Arten- der ungestörte, natürliche Waldentwick- onalparks wird derzeit versucht, natürli- rückgang ist mittlerweile 100- bis 1 000mal lung zuzulassen (BMU 2007). che Dynamik auf größeren Flächen ehe- höher als die natürliche Aussterberate Deutschland besitzt dabei eine beson- maliger Wirtschaftswälder wieder zuzu- (BMU 2007). Ein Mittel, um dieser Ent- ders hohe Verantwortung für die Wieder- lassen. Einige Erfolg versprechende Bei- wicklung zu begegnen, ist die Ausweisung herstellung von standorttypischen Misch- spiele zeigen dabei, dass die Umwandlung von Großschutzgebieten wie Nationalpar- wäldern der gemäßigten Breiten Mittel- vom Wirtschaftswald in Wälder ohne di- ken, in denen natürliche Prozesse wieder europas. Echte Urwälder mit vom Men- rekte menschliche Einflussnahme recht zugelassen werden. Solche Großschutz- schen unbeeinflusster Sukzession gibt es schnell mit einer meßbaren Erhöhung der gebiete werden seit über hundert Jahren heute im dicht besiedelten Deutschland Strukturvielfalt und damit auch der bio- 273
Naturschutz und Landschaftsplanung 44 (9), 2012, 273-281, ISSN 0940-6808 Verlag Eugen Ulmer KG, Stuttgart Trotz der Dominanz der Fichte im mög- lichen Nationalpark bestehen bereits sehr günstige strukturelle Voraussetzungen für eine solche Entwicklung, da die Stürme „Vivian“ und „Wiebke“ (1991) und der Orkan „Lothar“ (1999) und die anschlie- ßenden Borkenkäfer-Kalamitäten große Teile des ehemals vorherrschenden Fich- ten-Altersklassenwaldes stark aufgebro- chen und neu strukturiert haben. Vieler- orts wächst bereits die nächste Waldgene- ration heran, die struktur- und baumar- tenreicher als der Ausgangsbestand ist. Außerdem wurden in den vergangenen 30 Jahren durch Änderung der forstlichen Praxis in vielen Waldgebieten Tannen und Buchen wieder gefördert. Dadurch ist auf der Gesamtfläche bereits jetzt ein Mosaik von Waldtypen entstanden und wir gehen aufgrund der unterschiedlichen standört- Abb. 1: Naturpark Schwarzwald Mitte/Nord und der derzeitige Suchraum für einen Nationalpark im lichen Begebenheiten davon aus, dass Nordschwarzwald mit den drei diskutierten Teilgebieten (1) Kniebis/Schliffkopf/Seekopf (9 145 ha), großflächig betrachtet kein einheitlicher (2) Hoher Ochsenkopf (2 030 ha) und (3) Kaltenronn/Wildseemoor (5 760 ha). Waldtyp entstehen wird. Vielmehr kann man eine Entwicklung zu einem abwech- logischen Vielfalt einhergeht (Müller & Suchraum für einen möglichen National- lungsreichen Waldbild erwarten, in dem Bütler 2010, Müller & Leibl 2011). park im Nordschwarzwald (Abb. 1) um- lichtdurchflutete, beerenreiche Wälder Als einzige Flächenbundesländer be- fasst überwiegend Wälder in einer Höhen- der Alters- und Zerfallsphase, baumarten- sitzen nur Baden-Württemberg, Rhein- lage von 800 bis 1 100 m ü. NN auf Bunt- reiche Verjüngungsphasen und dichte, land-Pfalz und das Saarland keine großen sandstein. Das Klima ist hier besonders dunkle Jungwaldbereiche bis zur Optim- Prozessschutzgebiete. Die baden-würt- niederschlagsreich und kühl. Die poten- alphase auf engem Raum aneinander tembergische Landesregierung möchte vor zielle natürliche Vegetation (pnV) in die- grenzen. diesem Hintergrund mit der Ausweisung sem von sauren, nährstoffarmen Böden Diese Mosaikstruktur wird in einem eines Nationalparks sowohl internationa- (Podsole) geprägten Gebiet bilden Misch- sich selbst überlassenen Wald vor allem len Abkommen (CBD) als auch der „Nati- wälder aus Weißtannen, Fichten (Picea dadurch gefördert, dass Zufallsereignisse onalen Strategie zum Erhalt der Artenviel- abies) und Rotbuchen (Fagus sylvatica) in wie Stürme, Schneebruch, Blitzschlag, falt“ der Bundesregierung (BMU 2007) den Hochlagen (vor allem Hainsimsen- Insektenfraß oder Trockenheit immer wie- nachkommen und Lebensräume schützen. Fichten-Tannen-Buchenwald Luzulo-Abie- der klein- und großflächig neue Habitate In Baden-Württemberg zählt dazu das tetum und Beerstrauch-Tannenwald Vac- schaffen, die sich auf der Gesamtfläche siedlungsarme und unzerschnittene Wald- cinio-Abietetum) und Rotbuchen-Wälder räumlich und über die Zeit wiederholen gebiet des Nordschwarzwaldes mit einem mit hohem Anteil an Weißtannen in den (Scherzinger 2006, vgl. auch Abb. 2). Erst der größten noch vorhandenen Vorkom- Hanglagen (Hainsimsen-Buchenwald die damit verbundene Dynamik ermög- men der Weißtanne (Abies alba) im Kern- Luzulo-Fagetum) (LUBW 2012, Müller & licht das Überleben vieler Populationen gebiet der Artverbreitung. Oberdorfer 1978, Schloss 1978, Schülli von Tier-, Pilz- und Pflanzenarten und Hauptziel eines Nationalparks ist, auf 1959, Wolf 1992). In den Übergangsbe- gewährleistet eine generell hohe Arten- ausreichend großer Fläche (mindestens reichen zu den Mooren sind neben der vielfalt und Artenqualität. 10 000 ha) eine vom Menschen weitge- Waldkiefer (Pinus sylvestris) auch Berg- Zur Initiierung der Entwicklung vom hend ungestörte Entwicklung der Wälder kiefern (Pinus rotundata var. pseudopumi- Wirtschaftswald zum Naturwald durch zuzulassen. Das Nationalparkgebiet wür- lio) von Bedeutung (Müller & Oberdorfer forstliche Maßnahmen wird im Nord- de letztlich 1 – 2 % der gesamten Wald 1978, Wolf 1992). schwarzwald an die Einrichtung eines so fläche des Schwarzwaldes und 3 – 4 % Bei den Erhebungen und Diskussionen genannten Entwicklungs-Nationalparks des Naturparks Schwarzwald Mitte/Nord zu einem möglichen Nationalpark im gedacht, der in künftige Wildnisgebiete umfassen und bliebe eingebettet in die Nordschwarzwald hat sich herauskristal- mit Kernzone und 30-jährige Entwick- weiterhin bestehende, waldreiche Kul lisiert, dass der Schwerpunkt eines Groß- lungszone, die später ebenfalls Kernzone turlandschaft des Nordschwarzwaldes schutzgebietes darauf gelegt werden soll- wird, sowie dauerhaft gepflegte Flächen (Abb. 1). te, die fichtendominierten Wirtschaftswäl- (Managementzone) gegliedert ist. Der der mittelfristig aus der Nutzung zu neh- Suchraum für einen Nationalpark im 2 Nationalpark-Idee Nord- men, damit sie sich langfristig zu stand- Nordschwarzwald umfasst drei Schwer- schwarzwald ortstypischen, artenreicheren und stabilen punktgebiete (Abb. 1), deren Baumarten- Erstmals wurde 1992 die Errichtung eines Bergmischwäldern mit den Leitbaumarten zusammensetzung wie folgt geschätzt Nationalparks im Schwarzwald diskutiert Weißtanne, Fichte, Rotbuche und auf Son- wird: Fichte: 65 – 70 %, Weißtanne: 15 – (Späth 1992). Die Idee wurde dann von derstandorten auch Waldkiefer entwickeln 20 %, Waldkiefer: 5 – 10 %, Rotbuche: der baden-württembergischen Landesre- können (Entwicklungs-Nationalpark, vgl. 1 – 5 %. Genauere Zahlen können erst nach gierung 2011 wieder aufgegriffen. Der unten). Überprüfung der Baumartenzusammen- 274 274
Marc Förschler et al., Potenzial eines Nationalparks im Nordschwarzwald, NuL 44 (9), 2012, 273-281 setzung der endgültigen Nationalpark- Kulisse ermittelt werden. Durch die geplante Reduzierung der Fichte um 5 – 10 % in den nächsten 30 Jahren und die Förderung von wichtigen Samenbäumen und der auf einigen Flä- chen bereits vorhandenen Verjüngung von Tanne und Buche sowie von Waldkiefer, Vogelbeere (Sorbus aucuparia), Birken (Betula spp. und Bergahorn (Acer pseudo- platanus) in den Entwicklungszonen kön- nen zusätzliche Impulse für eine baumar- tenreichere Entwicklung des künftigen Bergmischwaldes gegeben werden. Zur Erreichung einer optimalen Naturverjün- gung wird dabei allerdings auf längere Zeit zumindest auf Teilflächen eine Re- duktion des Schalenwildbestandes zum Schutz der jungen Tannen und Buchen vor Verbiss notwendig sein. Abb. 2: Prozessschutz am Beispiel Bannwald „Wilder See“, in dem seit 100 Jahren jegliche forstliche Nutzung ruht. Quelle: GoogleEarth 2012 Der Umgang mit Sonderbiotopen wie Auf dem Luftbild ist die durch zeitlich und räumlich aufeinanderfolgende Sturmereignisse und Borkenkäfer-Kalami Karseen, Mooren, Missen und Felsstand- täten ausgelöste reiche Strukturierung auf der Gesamtfläche gut erkennbar. Dabei sind in den letzten Jahrzehnten orten muss im Managementplan eines zahlreiche Grenzlinien entlang der jetzt unterschiedlich alten Waldbereiche entstanden, die die Diversität und vor Nationalparks mit den jeweiligen Experten allem Qualität der Tier- und Pilzarten im Vergleich zum umgebenden Wirtschaftswald erhöhen. abgestimmt werden. Zudem ist in einem Entwicklungs-Nationalpark durch Fest- Wirtschaftswäldern meist nur minimal zept“ aufgelegt (ForstBW 2010), das aber schreibung in den Managementplänen vertreten (Schaber-Schoor 2009). Viele der die urwaldtypischen Totholz-Mengen auch künftig geplant, sowohl den Erhalt auf sehr spezifische Totholz-Strukturen flächig nicht anbieten kann. von charakteristischen Kulturlandschaften angewiesenen Organismen befinden sich Da manche Arten nur bestimmte, an (z.B. Grinden, Bergwiesen) als auch in daher auf den Roten Listen der gefährde- einem einzelnen Baum meist nur wenige bestimmten Fällen den aktiven Schutz ten und vom Aussterben bedrohten Arten. Jahre währende Stadien toten Holzes nut- durch Habitatverbesserung in Teilgebieten Vergleichende Untersuchungen über zen können, kann die vollständige Arten- (z.B. für das Auerhuhn) zu gewährleisten. Totholzschwellenwerte in europäischen ausstattung einer Region nur in Waldge- Wäldern ergaben erst ab einem Totholz- bieten existieren, die so großflächig sind, 3 Artpotenzial in der Kern- und vorrat von 30 – 50 m³ ha–1 einen Effekt für dass alle im Entwicklungszyklus des Wal- Entwicklungszone Totholz bewohnende Artengemeinschaf- des auftretenden Strukturen und Habita- ten (Müller & Bütler 2010). Einige extre- te dauerhaft in räumlichem Bezug und 3.1 Grundlagen me Totholz-Spezialisten, wie die Zitronen- enger Verzahnung zueinander auftreten. In einem vom Menschen weitgehend un- gelbe Tramete (Antrodiella citrinella) Bestehende Naturschutzgebiete und Bann- beeinflussten Wald unterliegt die gesam- (Bässler & Müller 2010) oder auch der wälder sind in der Regel zu klein, um eine te Pflanzenbiomasse einem natürlichen Drachenkäfer (Pytho kolwensis) (Siitonen nachhaltige Sicherung lokaler Populatio- Prozess, der über die Nutzung durch Pflan- & Saaristo 2000) und andere xylobionte nen zu gewährleisten. Insbesondere der zenfresser und die Zersetzung durch ver- Käferarten (Müller et al. 2007) benötigen Aufbau von Lebensräumen für stabile und schiedene Tiere, Pilze und Mikroorganis- jedoch noch weitaus höhere Totholzvor- größere Populationen seltener Urwald- men wieder zu organischem Material im räte mit mehr als 100 m³ ha–1 (vgl. auch Reliktarten ist aufgrund der benötigten Boden und damit zu Nährstoffen für er- Schwellenwertangaben für Urwaldre- Fläche nur in Großschutzgebieten (Min- neutes Pflanzenwachstum führt. Vor allem liktarten in Schaber-Schoor 2008, 2009). destfläche 10 000 ha) möglich. Diese kön- in der Altersphase der Bäume entstehen Solche Mengen liegenden und stehenden nen dann wiederum bei hohem Populati- dabei besondere Strukturen und Habitate Totholzes sind nur in unbewirtschafteten onsdruck zu Quellgebieten für eine Neu- wie große Mulmhöhlen, trockene, tote Wäldern möglich. ausbreitung werden. Starkäste, stehend abgebrochene Bäume, Die Bundeswaldinventur 2 (BWI2) hat Im Verbund mit großen Prozessschutz- absterbende Wurzeln usw., die für eine im Gegensatz dazu für die Jahre 2000/ gebieten spielt dann allerdings das Alt- Vielzahl (Tausende) von Insekten (vor 2001 in baden-württembergischen Forsten und Totholzkonzept auf der Gesamtfläche allem Käfer und Fliegen), Pilze und Bak- einen Wert von durchschnittlich 19,1 m³ (ForstBW 2010) eine wesentliche Rolle terien die Lebensgrundlage bilden. Davon ha–1 ermittelt (www.bundeswaldinventur. aufgrund seiner Trittsteinfunktion bei der profitieren wiederum zahlreiche Wirbel- de). Insgesamt liegen die Totholzmengen Ausbreitung und Rückwanderung in ehe- tierarten. in unseren Wirtschaftwäldern damit deut- malige Vorkommensgebiete. Je nach Ar- Im Gegensatz dazu ist ein normaler lich unter den Mengen, die für das Über- tengruppe können die Wiedervernetzung Wirtschaftswald – wie jede Kulturland- leben anspruchsvoller Arten notwendig von Restvorkommen seltener Arten und schaft – auf die Produktionsphasen (Op- wären (Bussler & Müller 2006, Schaber- eine Wiederbesiedelung des Nationalpark- timalphase) ausgerichtet. Die Alters- und Schoor 2009). Zur Erhaltung der Waldar- gebietes durch verschollene Arten unter- Zusammenbruchphase und ihre Habitat- ten wurden daher in neuerer Zeit Zusatz- schiedlich lange Zeiträume erfordern. strukturen wie starkes Totholz sind in programme wie das „Alt- und Totholzkon- Bei einigen Käferarten mit sehr geringen 275
Naturschutz und Landschaftsplanung 44 (9), 2012, 273-281, ISSN 0940-6808 Verlag Eugen Ulmer KG, Stuttgart Ausbreitungsfähigkeiten kann dieses Jahr- Im Hinblick auf die Strukturvielfalt ist Aus naturschutzfachlicher Sicht sollten zehnte bis Jahrhunderte dauern, bei man- vor allem die Entwicklung von Uraltbäu- die Wälder der Kar- und Steilhänge sofort chen sehr mobilen Arten, oder wenn Re- men von großer ökologischer Bedeutung in die Kernzonen eines Nationalparks auf- liktvorkommen existieren, kann eine (Bussler 2006, Bütler 2005). Während im genommen werden, da sie noch eine gro- Wiederausbreitung auch sehr rasch ab Wirtschaftswald in der Region Nord- ße Naturnähe aufweisen. Die Aufnahme laufen. schwarzwald Baumindividuen durch- der Moore, Moorrandwälder und Missen Im Folgenden soll das Entwicklungs- schnittlich noch in einem Alter von 120 in Kern- oder Entwicklungszone eines Na- potenzial für einige Pflanzen-, Pilz- und bis 140 Jahren geerntet werden, können tionalparks sollte im Einklang mit der Tierarten in der Entwicklungs- und Kern- Bäume in Wäldern ohne Holznutzung Moorschutzstategie des Landes Baden- zone eines möglichen Nationalparks bei- deutlich älter und größer werden. Das Württtemberg erfolgen und für jedes Teil- spielhaft erläutert werden. Die Auswahl bekannte Höchstalter von Fichten in Ur- gebiet nach einer jeweiligen Einzelfallprü- der erwähnten Arten basiert auf den Ein- wäldern liegt bei 900 Jahren, das von fung im Managementplan festgelegt wer- schätzungen von Artexperten der Region, Waldkiefern und Weißtannen bei 600 den. Eingriffe in Hochmoorkomplexe erhebt dabei aber keinen Anspruch auf Jahren (Scherzinger 1996). Dieses hohe sollten im Allgemeinen auf ein Minimum Vollständigkeit, da nicht über alle Arten- Alter der Bäume ist nur durch besondere reduziert werden. Hochmoore sind eine gruppen gleich gute Informationen vor- (stochastische) Prozesse in Urwäldern der wenigen Vegetationskomplexe, die liegen. erklärbar. Die Jungbäume werden dabei sich ohne Eingriffe des Menschen entwi- zum Teil lange über das Wurzelsystem der ckelt haben und weiter entwickeln wer- 3.2 Entwicklung der Vegetation Mutterbäume mitversorgt, können länge- den, wenn die Umweltbedingungen es Wir gehen davon aus, dass sich der gesam- re Zeit in der Jugendphase verharren und zulassen (vgl. ergänzende Angaben in der te Wald bei einer freien Entwicklung je nach dem Auflichten der Kronenschicht ausführlicheren Online-Version dieses nach Standort (Höhenlage, Exposition, rund 100 Jahre länger wachsen als ver- Beitrags unter www.nul-online.de Service Boden- und Gesteinsbedingungen, Ver- gleichbare Individuen in Wirtschaftswäl- Download). moorungsgrad) über die nächsten Jahr- dern (Scherzinger 1996). Ob auch im zehnte und Jahrhunderte vom fichtendo- Nordschwarzwald Bäume ein solch hohes 3.3 Pilze minierten Nadelwald in einen strukturrei- Alter erreichen können, wird erst die Zeit Eine ganz besondere Rolle in ungestörten chen Mischwald mit den Hauptbaumarten zeigen. Bei Tannen und Buchen ist das Waldflächen spielen Pilze, da sie am Ab- Fichte, Weißtanne, Rotbuche und teilwei- aber durchaus denkbar. Tatsache ist, dass bau des Totholzes entscheidend beteiligt se auch Waldkiefer entwickeln wird und viele Kleinstlebensräume, auf die spezia- sind. Verschiedene Pilze zersetzen abge- es dabei zu einer Anreicherung der Vor- lisierte Waldarten angewiesen sind, erst storbenes Holz in unterschiedlicher Weise räte an liegendem und stehendem Alt- und bei sehr alten Bäumen in Verbindung mit (Zellulose, Lignin, Weiß- und Rotfäule), Totholz kommt. diversen Strukturmerkmalen wie Höhlen, schaffen so die Nahrungsgrundlage für Über die Zukunft der Fichte im Kronen- und Starktotholz und rauer Rin- Mikroorganismen, Würmer und Arthro- Schwarzwald wird sehr kontrovers disku- de entstehen können (Bussler 2006, Mül- poden und bereiten damit den Waldboden tiert. Während ihre starke Konkurrenzfä- ler & Leibl 2011). für neues Wachstum vor. Für die Vielfalt higkeit gegenüber anderen Baumarten Neben den Hauptbaumarten der typi- und Vitalität unserer Wälder sind außer- und ihre Verjüngungspotenz für einen schen Waldgesellschaften des Nord- dem Mykorrhiza-Pilze durch ihre enge langen Verbleib in den Wäldern des Nord- schwarzwaldes (vgl. oben) hätten bei Symbiose mit dem Wurzelsystem von Bäu- schwarzwaldes sprechen, gibt es im Ge- ungestörter Sukzession, wie sie sich in men besonders wichtig. Da viele Pilzarten gensatz dazu Hinweise, dass sie bei der Fichtenbeständen nach Käferbefall und sehr sensibel auf Düngung, Kalkung, erwarteten Klimaerwärmung bis zum auf Windwurfflächen abspielt, insbeson- Waldwegebau, Bodenverdichtung oder Ende des 21. Jahrhunderts stark unter dere auch typische Pionierbaumarten und Luftverschmutzung reagieren, ist ein Na- Druck geraten wird (Müller-Kroehling et Laubbäume von Sonderstandorten wie tionalpark ohne diese Eingriffe für zahl- al. 2010). Entsprechend geht Reif (schriftl. Vogelbeere, Mehlbeere (Sorbus aria), die reiche mittlerweile im Vorkommen rück- Mitt. im Waldnaturschutz-Forum der FVA) drei Birken-Arten des Gebietes – Moorbir- läufige Pilzarten, wie Samtiger Pfifferling davon aus, dass sich langfristig Weißtan- ke (Betula pubescens), Karpatenbirke (Be- (Cantharellus friesii), Echter Pfifferling nen und Rotbuchen durchsetzen werden. tula pubescens ssp. carpatica), Sandbirke (Cantharellus cibarius) und Stahlblauer Letztlich wird sich gerade auf den Prozess- (Betula pendula) –, die Waldkiefer, der Rötling (Entoloma nitidum), ein wichtiges schutzflächen im Nationalpark herausstel- Bergahorn und die zugehörigen Artenge- Refugium. len, welche Zukunft die Fichte im Schwarz- meinschaften eine Chance zur freien Ent- Daneben dürften von den hohen Tot- wald haben wird. Entscheidenden Einfluss wicklung. Im Unterwuchs wird sich in holzanteilen sehr seltene oder bereits auf die Waldentwicklung hat dabei auch lichteren Bereichen je nach Vermoorungs- verschollene Urwaldpilze profitieren, bei- der Wildbestand, da dieser selektiv in die grad eine reiche Beerstrauchgesellschaft spielsweise der überwiegend in Natur- Baumartenverteilung zugunsten der ge- mit Heidelbeere (Vaccinium myrtillus), waldreservaten vorkommende Zunder- gen Verbiss unempfindlichen Fichte ein- Rauschbeere (Vaccinium uliginosum), Prei- schwamm (Fomes fomentarius), Lundells greift. Daher wird eine angemessene Wild- selbeere (Vaccinium vitis-idaea), Besenhei- Feuerschwamm (Phellinus lundellii) und bestandsregulierung längerfristig auch in de (Calluna vulgaris) und Gräsern entwi- Tannenstachelbart (Hericium flagellum). den Kernzonen eine wichtige Rolle spie- ckeln. In trockeneren Bereichen wird auf Individuen von letzterem wurden im len, auch deshalb, weil große Beutegreifer Lichtungen auch Adlerfarn (Pteridium Nordschwarzwald erst vor kurzem an al- wie Luchs (Lynx lynx), Wolf (Canis lupus) aquilinum) eine wichtige Rolle spielen und ten, abgestorbenen Tannen im Bannwald- und Braunbär (Ursus arctos) im Gesamt- zum Teil ein großflächig dichtes Aufwach- gebiet „Wilder See“ (Ebel & Römpp in system zumindest mittelfristig fehlen wer- sen von Jungfichten verhindern und damit Schlund et al. 2011) und am Rande des den. heterogene Waldstrukturen schaffen. Bannwalds „Wildseemoor“ (K. Dürr, In- 276
Marc Förschler et al., Potenzial eines Nationalparks im Nordschwarzwald, NuL 44 (9), 2012, 273-281 fozentrum Kaltenbronn, mündl. Mitt.) et al. 2008). Dazu gehören neben Laufkä- lend auf solchen Flächen ist neben der entdeckt. Dass Pilze bei verbesserten Be- fern (Carabidae), Pflanzenwespen (Sym- Erhöhung der Diversität auch eine Zunah- dingungen zurückkehren und wieder häu- phyta), Fliegen (Diptera), Schwebfliegen me der Biomasse der Ameisen, die eine fig werden können, zeigt das Beispiel der (Syrphidae), Netzflüglern (Neuropteroi- bedeutende Nahrungsgrundlage unter Zitronengelben Tramete aus dem Natio- dea), Ameisen-, Bienen- und Wespenarten anderem für Spechtvögel bilden. Zu nen- nalpark Bayerischer Wald (Müller 2012). (Aculeata) und Spinnen (Araneae) auch nen wäre hier beispielsweise das unge- zahlreiche Schmetterlingsarten (Lepido- wöhnlich häufige Vorkommen der Ross- 3.4 Insekten und andere ptera). Neben einer Reihe von seltenen ameise (Camponotus herculeanus) am Gliedertiere (Arthropoden) Nachtfalterarten der Moorrandwälder, die Lotharpfad nahe dem Schliffkopf. Lichte Die von Pilzen und Flechten geschaffenen von Auflichtungen im Wald abhängen (s. Waldbestände am Rande großer offener Kleinsthabitate in und auf dem stehenden unten), zählt dazu beispielsweise auch der Moore und Bergheiden sind zudem wert- und liegenden Totholz sind für zahlreiche im Bestand stark zurückgegangene Trau- volle Lebensräume für Eiszeitreliktarten hochspezialisierte Arthropoden-Arten ein ermantel (Nymphalis antiopa). Auch sel- (vgl. Angaben zu den Arten in der Online- unersetzlicher Lebensraum. Der Bann- tene Heuschrecken (Saltatoria), wie die Version). wald „Wilder See“ steht hier beispielhaft Laubholz-Sägeschrecke (Barbitistes serri- Auch Spinnen (Araneae) können vom für das Entwicklungspotenzial in einem cauda), finden in den entstehenden lich- Prozessschutz profitieren. Zwar handelt Nationalpark Schwarzwald (Schlund et al. ten und strukturreichen Waldflächen es sich bei dieser besonders in Wäldern 2011). Hier wurden bisher Spinnen (Ara- mehr Lebensraum. individuen- und artenreichen Gruppe um neae), Weberknechte (Opiliones), Pseu- Unter den Libellen (Odonata) benöti- reine Räuber, die weder direkt von der doskorpione (Pseudoscorpiones), diverse gen die Quelljungfer-Arten (Cordulegaster Vegetation noch vom Totholzangebot ab- Asseln (Isopoda), Hundert- und Tausend- boltonii, C. bidentata) für ihre Entwicklung hängig sind. Trotzdem zeigte die Vielfalt füßer (Myriapoda), Käfer (Coleoptera) naturnahe Quellrinnsale. Eine natürliche von Waldbodenspinnen in einer Untersu- und Schmetterlinge (Lepidoptera) unter- Waldstruktur mit kleinen Lichtflecken im chung von Bann- und Wirtschaftswäldern sucht und eine artenreiche Fauna mit Bereich von Schnee- oder Sturmbruchflä- (Loch 2002) deutliche Korrelationen mit zahlreichen interessanten Arten nachge- chen, wie sie sich in einem Nationalpark dem Totholzvorrat. Wie in vielen anderen wiesen. finden würde, käme den Ansprüchen die- Tiergruppen ist die Artenvielfalt von Spin- Bei den Käfern ist das Entwicklungspo- ser Arten entgegen. Andere Libellenarten nen, die stärker von Strukturen (Streu, tenzial besonders groß (Bücking et al. können die mit Wasser gefüllten Vertie- niedrige Vegetation, Stämme) und Mikro- 1998), da rund ein Viertel der heimischen fungen entwurzelter Bäume insbesondere klima (Feuchtigkeit, Beschattung) als von Käferarten direkt oder indirekt von totem in moorigen Bereichen zur Fortpflanzung der Artenzusammensetzung der Vegetati- Holz lebt. Von solchen xylobionten Käfern nutzen. Neben häufigen Arten, wie Blau- on oder den Bodenverhältnissen abhängt, gelang bisher der Nachweis von 167 Arten, grüner Mosaikjungfer (Aeshna cyanea) auch in Wirtschaftswäldern hoch. Fichten- von denen 13 landesweit auf der Roten oder Früher Adonislibelle (Pyrrhosoma reinbestände sind aber individuen- und Liste stehen. Der Vergleich von Fängen im nymphula), entwickeln sich in den Hoch- artenärmer als Buchen- und gemischte Bannwald „Wilder See“ aus den Jahren lagen des Nordschwarzwaldes in solchen Bestände. 1995/1996 und 2011 (Bense 2012) zeigt, Wurzelteller-Gewässern auch seltene und Die Biotopvielfalt und vor allem die dass die Artenvielfalt der Holzkäfer mit hochgradig bedrohte Moor-Libellenarten, klein- bis mittelskalige Dynamik in alten dem erhöhten Totholzangebot anstieg und wie die Kleine Moosjungfer (Leucorrhinia Wäldern (z.B. Bannwäldern) ermöglicht insbesondere Morschholzbewohner und dubia), die Torf-Mosaikjungfer (Aeshna auch bei Spinnen eine hohe Artenvielfalt Besiedler von Holzpilzen von der Zunah- juncea) sowie die Alpen-Smaragdlibelle und bietet besonders stenöken Arten Le- me der zersetzten Hölzer im Gebiet pro- (Somatochlora alpestris) und die Arktische bensraum. Spinnen reagieren auf Störun- fitierten. In den Fichtenwäldern des Bay- Smaragdlibelle (Somatochlora arctica). gen schnell und gehören zu den Erstbe- erischen Waldes hat sich die Öffnung des Zudem können Rothirsch (Cervus elaphus) siedlern von neu entstandenen Habitaten. Kronendachs durch Borkenkäferschäden, und Wildschwein (Sus scrofa) im Bereich Sie können dadurch Dynamik nachzeich- insbesondere durch den Buchdrucker (Ips der Wurzelteller durch Suhlen und wüh- nen. Ein Nationalpark böte insbesondere typographus), positiv auf das Vorkommen lende Tätigkeiten moorige Schlenken als die große Chance, die Entwicklung der von xylobionten Käferarten der Roten Lis- Entwicklungsgewässer für Hochmoor- Spinnenzönosen bis in die Zerfallsstadien te ausgewirkt (Müller et al. 2008, 2010), Mosaikjungfer (Aeshna subarctica) (Bönsel zu beobachten (vgl. Angaben zu den Arten die als typische Urwaldreliktarten gelten 1999) und Alpen-Smaragdlibelle erhalten in der Online-Version). (Müller et al. 2005). Zur Erhaltung der und auch neu schaffen. Vielfalt totholzbesiedelnder Auch die in terrestrischen Ökosystemen 3.5 Amphibien und Reptilien Käfergemeinschaften der Bergwälder ist wichtigen Ameisen (Formicidae) werden Morsches, liegendes Holz dient mehreren laut Müller et al. (2010) mindestens eine durch das mosaikartige Auslichten von Amphibienarten als hervorragendes Ver- Verdreifachung des derzeitigen Totholz- Waldbeständen stark gefördert, da die steck und nahrungsreicher Lebensraum vorrats sowohl in dichten als auch offenen Ameisenbrut sonnenexponierte Standorte – z.B. Fadenmolch (Triturus helveticus), Beständen auf über 30 – 60 m3 ha–1 not zur optimalen Entwicklung benötigt. So Bergmolch (Triturus alpestris) und Feuer- wendig. legen selbst die Waldameisen ihre großen salamander (Salamandra salamandra) –, Neben den Käfern profitieren auch Hügelnester in Lichtungen oder an Wald- wenn Laichgewässer wie Bäche, Quellen zahlreiche andere Arthropodengruppen säumen an. Windbruchflächen sind nach und Karseen in der Umgebung vorhanden von einer erhöhten Lückigkeit der Wald- etwa zehn Jahren besonders artenreich, sind. Zudem können sich im Laufe der Zeit bestände durch Windwurfflächen, Bor- da sich dann neben den Waldarten auch die durch Stürme entstandenen, wasser- kenkäferlichtungen und umgestürzte Ein- zahlreiche Offenlandarten aus der weite- gefüllten Senken und Pfützen neben den zelbäume (Literaturangaben bei Müller ren Umgebung angesiedelt haben. Auffal- Wurzeltellern umgestürzter Bäume zu 277
Naturschutz und Landschaftsplanung 44 (9), 2012, 273-281, ISSN 0940-6808 Verlag Eugen Ulmer KG, Stuttgart Simonis 2010). Unter den Spechten reagiert neben dem Grauspecht (Picus canus), der im Suchraum nur im Bannwald „Wilder See“ regelmäßig beobachtet wird, vor allem der seltene Wendehals (Jynx torquilla) positiv auf ein erhöhtes Totholzangebot. Der Wendehals ist eine Vogelart, deren Primär- habitat in zusammenbrechenden Wäldern zu suchen ist (Späth 1992). Seit dem Or- kan Lothar wird er vermehrt zur Brutzeit auf nicht völlig aufgearbeiteten Sturmflä- chen des Nordschwarzwalds mit über- durchschnittlichen hohen Totholzmengen (vgl. Werte in Schaber-Schoor 2009) und einem damit verbundenen größeren Vor- kommen an Ameisen (s. oben) beobachtet (Förschler 2008). Auch im Bayerischen Wald ist der Wendehals wieder in ähnliche Abb. 3: Ornithologisches Entwicklungspotenzial in einem möglichen Nationalpark Nordschwarzwald Totholzbereiche eingewandert (Müller & bei Vogelarten der Roten Liste (RL) Baden-Württembergs. Simonis 2010). Schwarz: RL-Brutvogelarten mit aktuellen Populationen; mittelgrau: RL-Brutvogelarten mit bisher vereinzelten Vor- Neben selteneren Spechtarten werden kommen; hellgrau: potenzielle RL-Brutvogelarten (verändert nach Scherzinger & Schumacher 2004). Vor allem Populationen in einem Nationalpark aber auch der häu- verschiedener Arten der Alters- und Zerfallsphase fehlen derzeit im Repertoire des Nordschwarzwaldes. fige Buntspecht (Dendrocopus major) und der Schwarzspecht (Dryocopos martius) wichtigen Laichgewässern entwickeln. (die Art galt bis zur Wiederentdeckung vom hohen Totholzanteil profitieren Unter den Reptilien dürften Bergei- durch L. Steinwand u.a. im Jahre 1982 als (Scherzinger 2006). Eine hohe Spechtdich- dechsen (Lacerta vivipara), Blindschlei- ausgestorben) wurde dieser Specht erst te führt wiederum zu einem weit höheren chen (Anguis fragilis), Ringelnattern (Na- im Zuge von Kalamitäten durch den Buch- Höhlenangebot, von dem dann weitere trix natrix) und Kreuzottern (Vipera berus) drucker, verursacht durch die gewaltigen Vogelarten – Raufußkauz (Aegolius fune- von dem sehr lichten, strukturreichen Sturmschäden 1991 und 1999, wieder reus), Sperlingskauz (Glaucidium passeri- Wald in der Zusammenbruchsphase pro- vermehrt im Nordschwarzwald festge- num), Meisen (Parus spp.), Kleiber (Sitta fitieren. Für die Kreuzotter könnte sich stellt. Der erste Brutnachweis gelang 1995 europaea), Gartenrotschwanz (Phoenicu- hier, neben ihrem Vorkommen an den im Bannwald „Hoher Ochsenkopf“ (Dorka rus phoenicurus) –, aber auch viele Fleder- Rändern der beweideten Grindenflächen 1996a, b). Bis 2004 nahm der Bestand in mausarten (Chiroptera) profitieren (s.u.). (Sekundärhabitat), ein sich natürlicher- den bestehenden Bannwäldern und Na- Es ist bekannt, dass die Erhöhung der weise immer wieder einstellendes Habitat turschutzgebieten kontinuierlich zu Höhlenbaumdichte auf mindestens fünf in lichten, totholzreichen und damit nah- (Straub et al. 2005), ging aber in den letz- pro Hektar deutlich höhere Artenzahlen rungsreichen Wäldern (Primärhabitat) ten Jahren durch das Fehlen frisch abge- ermöglicht (Müller & Simonis 2010). ergeben. storbener Altfichtenbestände wieder zu- Auch für das Auerhuhn (Tetrao urogal- rück. Wenn man den Dreizehenspecht als lus) ergeben sich aus unserer Sicht Chan- 3.6 Vögel Brutvogel des Schwarzwaldes (und damit cen in einem Nationalpark. Das Auerhuhn Eine Artengruppe, die von der Einrichtung in Baden-Württemberg) erhalten will, sind ist auf die späten Stadien der Waldsukzes- eines Nationalparks im Nordschwarzwald Großschutzgebiete im Nadelwald unab- sion (späte Optimal- bis Zusammenbruch- profitieren könnte, sind die Vögel (Abb. 3; dingbar, die überhaupt erst die von der phase) angewiesen (Lieser & Roth in Höl- vgl. auch Späth 1992). Bei einer verglei- Art benötigte Totholzmenge auf großer zinger & Boschert 2001) und profitiert vom chenden Untersuchung fand Hohlfeld Fläche (> 1 km2) zur Verfügung stellen Prozessschutz auf großer Fläche, da der (1997) deutlich mehr Brutvogelarten (5 (vgl. Bütler et al. 2004, Bütler 2005). Wald dadurch mittel- bis langfristig älter, bzw. 8 Arten) und um 14 – 16 % höhere Im Schwarzwald wurde ein nötiger lückiger und insgesamt struktur- und nah- Siedlungsdichten in zwei Bannwäldern Totholschwellenwert von 70 m³ ha–1 er- rungsreicher wird (Klaus 2008). Das gilt (Hoher Ochsenkopf, Wilder See) der mittelt (Kratzer et al. 2011). Ein National- insbesondere für das Hochgebirge und die Suchraum-Kulisse als in benachbarten park im Nordschwarzwald würde dem Hochlagen der Mittelgebirge im natürli- Wirtschaftswäldern. Dreizehenspecht, der sehr flexibel auf chen Verbreitungsgebiet von Nadelbau- Neben Singvogelarten, die auf ein gro- absterbende Fichtenbestände (Borkenkä- marten (Klaus 2008). Im bayerisch-tsche- ßes Höhlenangebot und lichte, nahrungs- fernester) reagiert, eine langfristige Über- chischen Grenzgebiet des Bayerischen reiche Wälder angewiesen sind, können lebenschance bieten. Rund zehn Jahre Waldes und des Böhmerwaldes zeigen mittel- bis langfristig insbesondere Spech- nach der ersten Nutzung durch den Specht neue Ergebnisse eines Monitorings, dass te zu Gewinnern dieses Prozesses werden während des akuten Buchdruckerbefalls, in den totholzreichen, durch Borkenkäfer- (Scherzinger 2006). Der Dreizehenspecht werden die abgestorbenen Bäume im Fäul- fraß entstandenen Freiflächen die Nach- (Picoides tridactylus) ist eine Charakterart nisstadium für die Art erneut nutzbar, da weisdichte außerordentlich hoch ist, so- totholzreicher Fichten-Altwälder, wie sie dann die Larven von Zangenböcken (Ce- lange nur kleine Horste von über zimmer- in einem künftigen Nationalpark entste- rambycidae) und Holzrüsslern (Curculio- hohen Fichten vorhanden sind (Müller & hen würden. Nach langer Abwesenheit nidae) zur Verfügung stehen (Müller & Simonis 2010). Der dortige Bestand hat sich 278
Marc Förschler et al., Potenzial eines Nationalparks im Nordschwarzwald, NuL 44 (9), 2012, 273-281 offensichtlich erholt und wird derzeit wie- der auf 550-570 Individuen geschätzt (J. Müller, mdl. Mitt.). Ähnliche Beobachtungen ergeben sich auch in den lichten Hochlagenwäldern des Grindenschwarzwalds mit reichlich ste- hendem und liegendem Totholz und Zwergsträucher-Unterwuchs (Abb. 4). Hier ist im letzten Jahrzehnt in Folge der massiven Auflichtungen des Hochwaldes durch den Sturm Lothar oberhalb 900 m ü. NN eine Stabilisierung und gebietswei- se sogar eine Zunahme der Bestände des Auerhuhns zu beobachten (Ornithologi- sche Arbeitsgemeinschaft Freudenstadt). Wir gehen davon aus, dass aufgrund des bereits vorhandenen Strukturreichtums in den Prozessschutzflächen eines Natio- nalparks und dank künftiger Zufallsereig- nisse (Stürme, Schneebruch, Auflichtun- gen durch Baumalterung und Borkenkä- ferfraß) zumindest in den Hochlagen des Nordschwarzwaldes oberhalb 800 m, die Abb. 4: Natürlich enstandenes Habitat des Auerhuhns (Tetrao urogallus) auf Prozessschutzflächen den größten Teil des Suchraumes ein- im Bannwald „Wilder See“ (seit 100 Jahren aus der Nutzung). nimmt, auch in Zukunft immer wieder Nach der Auflichtung des Fichtenhochwaldes durch Stürme und Borkenkäferfraß (Zusammenbruchsphase) entwickeln sich halboffene Strukturen mit starkem Heidelbeer-Unterwuchs, die vom Auerhuhn als Nahrungshabitate (Beeren neue geeignete Lebensräume für die Art nahrung) genutzt werden und aufgrund der klimatisch günstigen Bedingungen und dem hohen Deckungsgrad auch entstehen werden (vgl. auch Scherzinger für die Aufzucht der Jungen optimal geeignet sind. Auch für weitere Vogelarten halboffener, lichter Wälder wie Garten 2006). rotschwanz (Phoenicurus phoenicurus) und Wendehals (Jynx torquilla) bilden solche Strukturen günstige Primärlebens räume. Um das im bewirtschafteten Wald des Schwarzwaldes seit Anfang des letzten Jahrhunderts stark zurückgehende Auer- hingegen käme die Errichtung eines Na- bende Bäume geförderte Strukturvielfalt huhn (LUBW 2007, Suchant & Braunisch tionalparks im Nordschwarzwald mögli- (großes Höhlenangebot, lichte und dichte 2008) aber zusätzlich in seinem Bestand cherweise zu spät, da die Art kurz vor dem Waldflächen) und das vielfältigere Nah- zu stabilisieren, könnten zeitgleich insbe- Aussterben steht (LUBW 2007). Langfris- rungsangebot in einem möglichen Natio- sondere in den tieferen Lagen der Entwick- tig werden allerdings in einem National- nalpark. Unter den Kleinsäugern profitie- lungszone über 30 Jahre für das Auerhuhn park Habitatstrukturen wie strukturreiche ren insbesondere die seltene Alpenspitz- förderliche Maßnahmen wie Entfichtung Verjüngungsflächen mit hohem Weich- maus (Sorex alpinus), der Gartenschläfer von aufwachsenden Sturmflächen, Auf- holzanteil entstehen, die dem Haselhuhn (Eliomys quercinus), aber auch die Hasel- lichtung und Pflege von Balzplätzen und entgegenkommen würden, denn laut maus (Muscardinus avellanarius) von der die Förderung von wichtigen Nahrungs- Klaus (2008) profitiert es vom Schutz na- mosaikartigen Habitatvielfalt in naturbe- bäumen wie Wald- und Bergkiefern ge- türlicher Entwicklungsvorgänge in beson- lassenen Wäldern. Höhere Tannen- und mäß „Aktionsplan Auerhuhn“ der „Ar- derem Maße. Prozesschutz ist für dieses Buchenanteile begünstigen zudem die beitsgruppe Raufußhühner Baden-Würt- Waldhuhn daher die ideale Naturschutz- Lebensbedingungen zahlreicher gefähr- temberg“ (Suchant & Braunisch 2008) strategie (Klaus 2008). Entsprechend be- deter und seltener Fledermausarten, wie umgesetzt werden. Denkbar wäre dabei, siedelt es im Bayerischen Wald vor allem Fransenfledermaus (Myotis nattereri), die Ziele des „Aktionsplans Auerhuhn“ der natürlichen Dynamik überlassene, Wasserfledermaus (Myotis daubentonii), direkt im Managementplan eines künfti- große Sturmflächen (J. Müller, mdl. Braunes Langohr (Plecotus auritus), Rau- gen Nationalparks zu verankern. Mitt.). hautfledermaus (Pipistrellus nathusii), Da eine funktionsfähige Population des Neben der Erhaltung und positiven Großes Mausohr (Myotis myotis), Bech- Auerhuhnes jedoch noch wesentlich grö- Populationsentwicklung noch vorhande- steinfledermaus (Myotis bechsteinii), Klei- ßere Flächen benötigt (Klaus 2008), wird ner seltener Vogelarten besitzt das Natio- ne Bartfledermaus (Myotis mystacinus), für die langfristige Stabilisierung der Ge- nalparkgebiet auch das Potenzial für eine Nordfledermaus (Eptesicus nilssonii) und samtpopulation des Schwarzwaldes von Wiederbesiedlung durch länger ver- Kleiner Abendsegler (Nyctalus leisleri). noch viel entscheidendere Bedeutung schwundene ehemalige Brutvögel des Insbesondere für die vier erst-genann- sein, ob es gelingt, die Auerhuhn-Habita- Nordschwarzwaldes aus dem Alpenraum ten Arten ist zudem eine große Anzahl von te eines Nationalparks durch eine konse- wie beispielsweise Weißrückenspecht Baumhöhlen in ihrem Lebensraum unab- quente Umsetzung des Aktionsplans in (Dendrocopos leucotos) und Steinadler dingbar und Grundvoraussetzung für gro- angrenzenden Wirtschaftswäldern mit (Aquila chrysaetos) (vgl. Angaben zu den ße und langfristig stabile Populationen. den bereits stark fragmentierten Restvor- Arten in der Online-Version). Durch verbesserte Habitatbedingungen ist kommen von Nord-, Mittel- und Süd- zudem auch mit der Wiederbesiedelung schwarzwald zu vernetzen (Segelbacher et 3.7 Säugetiere durch die Mopsfledermaus (Barbastella al. 2008, Suchant & Braunisch 2008). Auch zahlreiche gefährdete Säugetierar- barbastellus) zu rechnen, die derzeit nur Für das Haselhuhn (Bonasa bonasia) ten nutzen Totholz oder die durch abster- noch vereinzelt im Nordschwarzwald 279
Naturschutz und Landschaftsplanung 44 (9), 2012, 273-281, ISSN 0940-6808 Verlag Eugen Ulmer KG, Stuttgart nachgewiesen wird. Auch der Baummar- gestorbene Weißzüngel-Orchidee (Pseu- vögelchen (Coenonympha tullia) eine der (Martes martes) und die in tieferen dorchis albida) waren auf trockeneren Chance auf Wiederansiedlung (Ebert & Lagen wieder einwandernde Wildkatze Standorten einst weiter verbreitet und Rennwald 1991). Im Rahmen des Manage- (Felis sylvestris) würden von alt- und tot- teilweise sogar recht zahlreich zu finden ments der Grinden müssen auch die Vor- holzreichen Strukturen begünstigt. Neben (z.B. Spenner 1827). kommen einiger hochgardig bedrohter den seltenen profitieren von den entste- Libellenarten berücksichtigt werden, die henden Strukturen insbesondere auch 4.3 Fauna der Grinden neben den Karseen und Mooren insbeson- häufige Arten (Langschwanzmäuse und Zu den Charakterarten der bergkiefer- und dere die Grinden mit ihrer Vielzahl an Wühlmäuse), die dann wiederum, wenn fichtendurchsetzten Grinden gehören un- Kleingewässern besiedeln. Hier kommt sie in größeren Dichten vorkommen, Nah- ter den Vögeln der in Baden-Württemberg insbesondere der Alpen-Smaragdlibelle rungsgrundlage für viele andere Arten vom Aussterben bedrohte Zitronenzeisig eine große Bedeutung als Charakterart darstellen. (Carduelis citrinella) (Förschler & Dorka unter den Moorlibellen zu (Schiel et al. 2010), der Wiesenpieper Anthus pratensis 2004) 4 Arterhaltung in der (Förschler 2004), die Ringdrossel (Turdus Managementzone torquatus), aber auch das Auerhuhn, wel- 4.4 Einbettung der naturschutz ches vor allem im Winter die Ränder der fachlich wertvollen Grinden in 4.1 Erhaltungsgebot für Grinden das Gesamtkonzept Bergkiefer-Gebüsche zum Nahrungser- Neben den Waldflächen existieren im Na- werb aufsucht. Zur Stützung der besonderen Artenzusam- tionalparkgebiet auch einige Sonderbio- Weitere Charakterarten, die in ein Pfle- mensetzung der auch touristisch sehr at- tope, wie die charakteristischen Grinden gekonzept der Grindenflächen einbezogen traktiven Grindengebiete wäre eine denk- (Feuchtheiden) der höchsten Bergrücken, werden sollten, sind die Kreuzotter, die bare Variante für ein künftiges Pflegekon- die durch jahrhundertelange Beweidung Alpine Gebirgsschrecke (Miramella alpi- zept in der Managementzone eines Nati- und Streunutzung entstanden sind und na) und der Warzenbeißer (Decticus ver- onalparks die Vernetzung der vorhande- zum Teil mit charakteristischen Beständen rucivorus). In den Übergangsbereichen nen Grindenflächen. Dies könnte durch an Bergkiefern bewachsen sind. Von der zwischen den dauerhaft gepflegten Hei- die Reaktivierung ehemaliger Grinden Gesamtfläche eines möglichen National- den der Managementzone und den Moor- und die Freistellung überwachsener Berg- parks nehmen diese Lebensräume derzeit rand- und Missenwäldern der Kernzone kiefer-Bestände mit anschließender Be- rund 200 ha ein. Da diese Flächen aber finden zudem der Sumpf-Grashüpfer weidung durch Schafe, Hinterwälder eine besondere Artenzusammensetzung (Chorthippus montanus), der Weißrandige Rinder und/oder Heckrinder (Rückzüch- aufweisen und mehrere stark bedrohte Grashüpfer (Chorthippus albomarginatus) tung des Auerochsen) im Umfang von Arten beherbergen, muss für sie auch im und bei gleichzeitigem Vorkommen von weiteren 100 – 200 ha umgesetzt werden. Nationalpark das Erhaltungsgebot gelten. Pfeifengras-Beständen die Kurzflügelige Besonders interessant wäre in dieser Hin- Ziel wird dabei sein, neben der Prozess- Beißschrecke (Metrioptera brachyptera) sicht auch die Wiederaufnahme der Wald- schutzfläche im Wald diese extensiv ge- geeignete Habitate. Von einer engen Ver- weidewirtschaft auf kleiner Fläche. Diese nutzten Kulturlandschaften langfristig zu zahnung der Management- und Prozess- ehemals häufige Nutzungsform ist durch erhalten und durch optimiertes Weidema- schutzflächen könnten auch einige mitt- die Trennung von Wald und Weide im nagement (Schlund & Brandt 2008, Wag- lerweile seltene Schmetterlingsarten mit Schwarzwald nahezu vollständig ver- ner et al. 2001) positiv zu entwickeln sehr kleinen Reliktvorkommen profitie- schwunden. Historisch gesehen waren die („klassische“ Naturschutzstrategie). Da ren, die auf lichte und moorige Waldstruk- ausgedehnten Waldweiden und Grinden die Grinden historisch stark vom Men- turen mit hohem Zwergstrauchanteil an- durch ihre mosaikartige Struktur wertvol- schen geprägt wurden, sind spezielle Pfle- gewiesen sind – beispielsweise die Nacht- le Lebensräume für eine ganze Reihe sel- ge- und Entwicklungsmaßnahmen in der falterarten Moorwiesen-Halmeulchen tener Tier- und Pflanzenarten (Reichholf Managementzone nötig, die durch die (Oligia fasciuncula marmorata), Wei- 2006). Insgesamt könnte ein „Grinden- Mittel, die dem Nationalpark zur Verfü- denglucke (Phyllodesma ilicifolia), Moor- Band zwischen Kniebis und Hornisgrinde“ gung gestellt werden würden, langfristig wiesen-Erdeule (Diarsia dahlii), Moor- rund 300 – 400 ha, also etwa 3 – 4 % des gewährleistet wären und die im Manage- Bunteule (Coranarta cordigera), Moor- Nationalparks, umfassen und damit das mentplan eines künftigen Nationalparks Stängeleule (Amphipoea lucens), Haworths kulturhistorische Erbe dieses Landschaft- festgelegt werden müssen. Mooreule (Celaena haworthii), Moosbee- styps bewahren. renspanner (Carsia sororiata), Großer 4.2 Flora der Grinden Speerspanner (Rheumaptera hastata), 5 Fazit Botanisch gesehen sind neben der Erhal- Kleiner Speerspanner (Rheumaptera sub- Unsere umfangreichen Recherchen haben tung der durch Pfeifengras (Molinia cae- hastata), Winkelzahn-Gebirgs-Blattspan- ergeben, dass die Errichtung eines Natio- rulea), Rasenbinse (Trichophorum cespi- ner (Entephria infidaria), Rauschbeeren- nalparks im Nordschwarzwald in der Sum- tosum), Besenheide und Rauschbeere spanner (Arichanna melanaria) und me eine Chance für die Fauna und Flora geprägten Pflanzengesellschaften der Bartflechten-Rindenspanner (Alcis jubata) des Nordschwarzwaldes bietet. Die zu Grinden (Murmann 1979, Wolf 1992) auch (vgl. Ebert 1994-2003). erwartende klein- und großräumige na- die Förderung von Restbeständen einiger Bei der Umsetzung von Pflegemaßnah- türliche Dynamik in einem Nationalpark seltener Blütenpflanzen wie Gelber Enzi- men im Bereich der Grindenhabitate hät- fördert die Vielfalt der Arten und insbe- an (Gentiana lutea), Arnika (Arnica mon- ten zudem auch mittlerweile ausgestor- sondere die Qualität der Lebensräume tana), Schweizer Löwenzahn (Leontodon bene charakteristische Tagfalterarten wie seltener und gefährdeter Arten (Müller & helveticus) und Geflecktes Knabenkraut der auf größere Vorkommen der Rausch- Simonis 2010). Nach Einschätzungen von (Dactylorhiza maculata) von Interesse. beere angewiesene Hochmoor-Gelbling Experten und Auswertung der Literatur Gelber Enzian, Arnika und die lange aus- (Colias palaeno) und das Große Wiesen- hat sich gezeigt, dass über alle taxonomi- 280
Marc Förschler et al., Potenzial eines Nationalparks im Nordschwarzwald, NuL 44 (9), 2012, 273-281 schen Gruppen betrachtet im sehr lichten hältnisse ist dabei nicht zu befürchten, ruhestein.de; Dr. Hubert Höfer, hubert.hoefer@smnk. Wald und im dichten Wald größer ist als dass wegen des Nationalparks aktuell vor- de; Dr. Adam Hölzer, hoelzer@naturkundeka-bw.de; Dr. Manfred Lieser, mfdlieser@t-online.de; Dr. Chris- im mittel-lichten Wald (Müller 2012). In kommende Arten verschwinden würden, tian Köppel, christian_koeppel@web.de; Arne Kolb, der heutigen Forstwirtschaft dominieren da einerseits das Nationalparkgebiet im arne.kolb@ortenaukreis.de; Jürgen Marx, Juergen. relativ junge und mittel-lichte Bestände. Verhältnis zur restlichen Waldfläche des Marx@lubw.bwl.de; Dr. Jörg-Uwe Meineke, joerg. Sie kann daher einigen Arten nicht den Schwarzwaldes, in der ja dank naturnaher meineke@rpf.bwl.de; Hans-Werner Maternowski, nötigen Lebensraum liefern, weil in be- Waldwirtschaft auch Artenschutz prakti- HW.Maternowski@t-online.de; Dr. Wolfgang Münch, biogis@web.de; Dr. Luise Murmann-Kristen, luise. wirtschafteten Wäldern aufgrund ihrer ziert wird, außerordentlich klein ist und murmann-kristen@rpk.bwl.de; Erwin Rennwald, Produktionsausrichtung die sehr lichten andererseits zu erwarten ist, dass sich im rennwald@onlinehome.de; Ilse Römpp, ilseroempp@ und sehr dunklen Extreme in der Regel Nationalparkgebiet durch Zufallsereignis- gmx.de; Klaus Roth, heide@roth-fds.de; Arno Scha- fehlen. Sehr seltene Arten brauchen aber se ein Mosaik aus jungen und alten, dich- nowski, arno.schanowski@ilnbuehl.de; Franz-Josef Schiel, jupp@inula.de; Elmar Schelkle, elmar.schelk- diese Extremlebensräume. Mehrere Über- ten und lichten Flächen bildet, das die le@mlr.bwl.de; Dr. Wolfgang Schlund, wolfgang. sichtsarbeiten belegen inzwischen über- unterschiedlichen Lebensraumansprüche schlund@naturschutzzentrum-ruhestein.de; Dr. zeugend, dass, trotz aller Anstrengungen der relevanten Arten abdeckt. Karl-Eugen Schroth, k.e.schroth@cw-net.de; Patrick in naturnah bewirtschafteten Wäldern, Ein Nationalpark im Nordschwarzwald Stader, patrick.stader@naturschutzzentrum-ruhe- unbewirtschaftete Waldflächen in Europa wäre eine wichtige Ergänzung im Instru- stein.de; Axel Steiner, a-steiner@web.de; Dr. Simone Stübner, Simone.Stuebner@Forst.bwl.de; Dr. Volker und in Deutschland insgesamt deutlich mentensatz von Naturschutz und Forst- Späth, volker.spaeth@ilnbuehl.de; Dr. Hendrik Tur- artenreicher sind als Wirtschaftswälder wirtschaft in Baden-Württemberg. Die ni, h.turni@ (Vergleichsstudie für 120 Gebiete: Paillet naturnahe Waldwirtschaft, die fast im t-online.de; Dr. Thomas Waldenspuhl, thomas.wal- et al. 2010; siehe auch Müller & Leibl ganzen Schwarzwald betrieben wird, wür- denspuhl@forst.bwl.de; Thomas Wolf, Wolf.Th@ 2011) und damit für die Umsetzung der de auf kleiner Fläche um ein sich weitge- t-online.de; Jörg.Ziegler, j.ziegler@landkreis-freu- denstadt.de; Peter Zimmermann, Peter.Zimmer- Biodiversitäts-Strategie der Bundesregie- hend ungesteuert entwickelndes Gebiet mann@rpk.bwl.de. rung unverzichtbar sind. Im Bayerischen ergänzt, indem es in den Kernzonen keine Wald hat sich zudem gezeigt, dass erst der Zielkonflikte mehr gibt und wo sich die Nationalpark die Erhaltung und Wieder- Natur entsprechend der standörtlichen ausbreitung von vom Aussterben bedroh- Rahmenbedingungen unabhängig entwi- ter Arten wie der Zitronengelben Tramete ckeln kann. Ein Nationalpark sollte dabei und verschiedenen Urwaldkäferarten nicht als segregatives Instrument betrach- möglich gemacht hat (Müller 2012). tet werden, sondern als wichtige und sinn- Wir gehen davon aus, dass auch in volle Ergänzung zur naturnahen Wald- einem Nationalpark Schwarzwald eine wirtschaft der Umgebung. Zusammen Vielzahl seltener und vielleicht sogar ver- könnten beide Ansätze der langfristigen schwundener Arten aus den verschiedens- Erhaltung der kompletten Artengemein- ten Tiergruppen von der freien Dynamik schaft des Schwarzwaldes dienen. profitieren würden. In den bereits beste- henden Naturschutzgebieten und Bann- Dank wäldern des Gebietes, in denen seit län- Für kritische Kommentare und wichtige gerer Zeit keine oder eine geringe Nutzung Ergänzungen gilt unser Dank Dr. Ralf stattfindet, ist diese Entwicklung bereits Hand (Berlin), Jörg Klüber (Oppenau), in kleinem Maßstab zu beobachten (Ben- Andreas Müller (Freudenstadt), Jochen se 2012, Bücking et al. 1998, Hohlfeld Müller (Gaggenau), Prof. Dr. Albert Reif 1997). (Freiburg), Manfred Senk (Kaltenbronn), Zur Entwicklung kompletter standort- Dr. Pascal von Sengbusch (Freiburg) und typischer Artengemeinschaften und zum zwei anonymen Gutachtern. Zudem be- Aufbau sich selbst tragender Populationen danken wir uns bei Sönke Birk (Miesbach) seltener Tier- und Pflanzenarten sind Na- für Kartenmaterial und Grafiken zum turschutzgebiete und Bannwälder aller- Suchraum. dings zu klein. Nur durch ein großflächi- ges Schutzgebiet, wie es ein Nationalpark Literatur bieten würde, kann dieses erreicht wer- Das umfangreiche Literturverzeichnis ist den. Die bisher durch Arten der Verjün- aus Platzgründen in der etwas ausführli- gungs- und Optimalphase geprägte Arten- cheren Online-Version dieses Beitrags zu vielfalt des Nordschwarzwaldes könnte finden unter www.nul-online.de Service dadurch mittel- bis langfristig deutlich Download. erhöht werden, da insbesondere Tier-, Anschrift der Verfasser(innen): Dr. Marc Förschler, Naturschutzzentrum Ruhestein, Schwarzwaldhoch- Pflanzen- und Pilzarten der mosaikartig straße 2, 77889 Seebach (Postadresse gilt für alle auftretenden dichteren Alters- und der Autoren), E-Mail: marc.foerschler@naturschutzzen- lichten Zusammenbruchsphase mit viel trum-ruhestein.de; Ulrich Bense, Bense.Uli@t-online. Totholz, auf das rund 20 – 50 % der hei- de; Prof. Peter Berthold, berthold@orn.mpg.de; Dr. mischen Arten angewiesen sind (Schaber- Christian Dietz, ChristianDietzHorb@web.de; Dieter Doczkal, dieter.doczkal@googlemail.com; Ulrich Schoor 2008), vollständig fehlen oder sehr Dorka, ulrich.dorka@gmx.de; Charly Ebel, charly. selten und nur lokal verbreitet sind. ebel@naturschutzzentrum-ruhestein.de; Wolfram Schon allein aufgrund der Größenver- Hessner, wolfram.hessner@naturschutzzentrum- 281
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