Ökologisches Potenzial eines möglichen Nationalparks im Nordschwarzwald

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Marc Förschler et al., Potenzial eines Nationalparks im Nordschwarzwald, NuL 44 (9), 2012, 273-281

        Ökologisches Potenzial eines möglichen
        Nationalparks im ­Nordschwarzwald
        Chancen in Prozessschutz-, Entwicklungs- und Managementzonen aus
        ­naturschutzfachlicher Sicht

        Von Marc Förschler, Ulrich Bense, Peter Berthold, Christian Dietz, Dieter Doczkal,
        Ulrich Dorka, Charly Ebel, Wolfram Hessner, Hubert Höfer, Adam Hölzer, Christian
        Köppel, Arne Kolb, Hubert Laufer, Manfred Lieser, Jürgen Marx, Jörg-Uwe Meineke,
        Wolfgang Münch, Luise Murmann-Kristen, Erwin Rennwald, Ilse Römpp, Klaus Roth,
        Arno Schanowski, Elmar Schelkle, Franz-Josef Schiel, Wolfgang Schlund, Karl-Eugen
        Schroth, Volker Späth, Patrick Stader, Axel Steiner, Simone Stübner, Hendrik Turni,
        Thomas Waldenspuhl, Thomas Wolf, Jörg Ziegler und Peter Zimmermann

    Abstracts
    Die Diskussion über einen möglichen Nationalpark im Nord-             Ecological Potential of a National Park in the Northern Black
    schwarzwald ist derzeit in vollem Gange. Ziel der Nationalpark-       Forest – Opportunities in zones for process protection, develop-
    Initiative ist es, eine Fläche von mindestens 10 000 ha mittel- bis   ment and management from a nature conservation point of view
    langfristig für den Ablauf natürlicher Prozesse im Wald frei-         The discussion about a possible national park on the Northern
    zustellen. In einer 30-jährigen Anfangsphase besteht dabei in         Black Forest is currently in full swing. The National Park ini-
    Teilbereichen die Möglichkeit, bestimmte Waldentwicklungen            tiative aims to make available an area of at least 10,000 ha in
    durch gezielte Maßnahmen, wie der Förderung von Tannen,               the medium to long term for the cycle of natural processes in
    Buchen und Kiefern zugunsten der kommenden Waldgenera-                the forest. In an initial phase of 30 years it will be possible to
    tion, anzustoßen (Entwicklungs-Nationalpark).                         instigate certain forest developments in partial areas, e.g. the
       Aus naturschutzfachlicher Perspektive besteht die zentrale         promotion of firs, beeches or pines in favour of the upcoming
    Frage darin, welche positiven Wirkungen ein solches Groß-             generation.
    schutzgebiet für die Erhaltung seltener Arten und die Wieder-            The central question from a nature conservation perspective
    herstellung der lokalen Artenvielfalt hat. In der Summe gehen         is which are the positive effects of such a large protection area
    wir davon aus, dass ein Schutz der natürlichen Prozesse in            for the preservation of rare species and the re-establishment
    einem Gebiet dieser Größe viele gebiets- und systemtypische           of the local species diversity. Summing up, it is expected that
    Arten sowie ökologische Wechselwirkungen mittel- bis lang-            the protection of the natural processes in an area of this size
    fristig fördern wird. Diese Prozesse und Entwicklungen sollten        will promote many typical species and ecological interactions.
    in Zukunft durch ein fachlich fundiertes Monitoring (inklusive        These processes and developments should be accompanied by
    Forschung) durch Naturschutz, regionale Artenkenner und               a specialist monitoring (including research) of nature conser-
    Wissenschaftler begleitet werden.                                     vation, regional experts of species protection and scientists.

1 Einleitung                                     in allen Teilen der Welt zur Erhaltung         nicht mehr. Es bestehen aber noch relativ
Weltweit hält die Zerstörung von Ökosys-          bestimmter Biotoptypen und den darin           naturnahe, in ihrer Struktur weniger stark
temen und Lebensräumen trotz der Be-              lebenden Arten errichtet. Auch Deutsch-        anthropogen gestörte, alt- und totholzrei-
mühungen im Rahmen der Konvention zur             land besitzt insgesamt 14 Nationalparke.       che Waldflächen, die als Lebensgrundlage
biologischen Vielfalt (CBD) weiter an. Das        Ziel der Bundesregierung in der „Natio-        für eine ganze Reihe von inzwischen sehr
2002 von den CBD-Beitrittsstaaten verab-          nalen Strategie zur biologischen Vielfalt“     seltenen und vom Aussterben bedrohten
schiedete Ziel, bis 2010 die Verlustrate der      ist es, bis 2020 auf 2 % der Landesfläche      Tier-, Pilz- und Pflanzenarten von großer
Biodiversität signifikant zu reduzieren,          Wildnisgebiete einzurichten und auf 5 %        Bedeutung sind und dringend erhalten
wurde nicht erreicht (Global Biodiversity         der Landeswaldfläche Deutschlands wie-         werden müssen. In mehreren Wald-Nati-
Outlook 3, 2010). Der weltweite Arten-            der ungestörte, natürliche Waldentwick-        onalparks wird derzeit versucht, natürli-
rückgang ist mittlerweile 100- bis 1 000mal       lung zuzulassen (BMU 2007).                    che Dynamik auf größeren Flächen ehe-
höher als die natürliche Aussterberate                Deutschland besitzt dabei eine beson-      maliger Wirtschaftswälder wieder zuzu-
(BMU 2007). Ein Mittel, um dieser Ent-            ders hohe Verantwortung für die Wieder-        lassen. Einige Erfolg versprechende Bei-
wicklung zu begegnen, ist die Ausweisung          herstellung von standorttypischen Misch-       spiele zeigen dabei, dass die Umwandlung
von Großschutzgebieten wie Nationalpar-           wäldern der gemäßigten Breiten Mittel-         vom Wirtschaftswald in Wälder ohne di-
ken, in denen natürliche Prozesse wieder          europas. Echte Urwälder mit vom Men-           rekte menschliche Einflussnahme recht
zugelassen werden. Solche Großschutz-             schen unbeeinflusster Sukzession gibt es       schnell mit einer meßbaren Erhöhung der
gebiete werden seit über hundert Jahren           heute im dicht besiedelten Deutschland         Strukturvielfalt und damit auch der bio-

                                                                                                                                        273
Naturschutz und Landschaftsplanung 44 (9), 2012, 273-281, ISSN 0940-6808                                  Verlag Eugen Ulmer KG, Stuttgart

                                                                                                         Trotz der Dominanz der Fichte im mög-
                                                                                                     lichen Nationalpark bestehen bereits sehr
                                                                                                     günstige strukturelle Voraussetzungen für
                                                                                                     eine solche Entwicklung, da die Stürme
                                                                                                     „Vivian“ und „Wiebke“ (1991) und der
                                                                                                     Orkan „Lothar“ (1999) und die anschlie-
                                                                                                     ßenden Borkenkäfer-Kalamitäten große
                                                                                                     Teile des ehemals vorherrschenden Fich-
                                                                                                     ten-Altersklassenwaldes stark aufgebro-
                                                                                                     chen und neu strukturiert haben. Vieler-
                                                                                                     orts wächst bereits die nächste Waldgene-
                                                                                                     ration heran, die struktur- und baumar-
                                                                                                     tenreicher als der Ausgangsbestand ist.
                                                                                                     Außerdem wurden in den vergangenen
                                                                                                     30 Jahren durch Änderung der forstlichen
                                                                                                     Praxis in vielen Waldgebieten Tannen und
                                                                                                     Buchen wieder gefördert. Dadurch ist auf
                                                                                                     der Gesamtfläche bereits jetzt ein Mosaik
                                                                                                     von Waldtypen entstanden und wir gehen
                                                                                                     aufgrund der unterschiedlichen standört-
Abb. 1: Naturpark Schwarzwald Mitte/Nord und der derzeitige Suchraum für einen Nationalpark im       lichen Begebenheiten davon aus, dass
Nordschwarzwald mit den drei diskutierten Teilgebieten (1) Kniebis/Schliffkopf/Seekopf (9 145 ha),   großflächig betrachtet kein einheitlicher
(2) Hoher Ochsenkopf (2 030 ha) und (3) Kaltenronn/Wildseemoor (5 760 ha).                           Waldtyp entstehen wird. Vielmehr kann
                                                                                                     man eine Entwicklung zu einem abwech-
logischen Vielfalt einhergeht (Müller &            Suchraum für einen möglichen National-            lungsreichen Waldbild erwarten, in dem
Bütler 2010, Müller & Leibl 2011).                 park im Nordschwarzwald (Abb. 1) um-              lichtdurchflutete, beerenreiche Wälder
     Als einzige Flächenbundesländer be-           fasst überwiegend Wälder in einer Höhen-          der Alters- und Zerfallsphase, baumarten-
sitzen nur Baden-Württemberg, Rhein-               lage von 800 bis 1 100 m ü. NN auf Bunt-          reiche Verjüngungsphasen und dichte,
land-Pfalz und das Saarland keine großen           sandstein. Das Klima ist hier besonders           dunkle Jungwaldbereiche bis zur Optim-
Prozessschutzgebiete. Die baden-würt-              niederschlagsreich und kühl. Die poten-           alphase auf engem Raum aneinander
tembergische Landesregierung möchte vor            zielle natürliche Vegetation (pnV) in die-        grenzen.
diesem Hintergrund mit der Ausweisung              sem von sauren, nährstoffarmen Böden                  Diese Mosaikstruktur wird in einem
eines Nationalparks sowohl internationa-           (Podsole) geprägten Gebiet bilden Misch-          sich selbst überlassenen Wald vor allem
len Abkommen (CBD) als auch der „Nati-             wälder aus Weißtannen, Fichten (Picea             dadurch gefördert, dass Zufallsereignisse
onalen Strategie zum Erhalt der Artenviel-         abies) und Rotbuchen (Fagus sylvatica) in         wie Stürme, Schneebruch, Blitzschlag,
falt“ der Bundesregierung (BMU 2007)               den Hochlagen (vor allem Hainsimsen-              Insektenfraß oder Trockenheit immer wie-
nachkommen und Lebensräume schützen.               Fichten-Tannen-Buchenwald Luzulo-Abie-            der klein- und großflächig neue Habitate
In Baden-Württemberg zählt dazu das                tetum und Beerstrauch-Tannenwald Vac-             schaffen, die sich auf der Gesamtfläche
siedlungsarme und unzerschnittene Wald-            cinio-Abietetum) und Rotbuchen-Wälder             räumlich und über die Zeit wiederholen
gebiet des Nordschwarzwaldes mit einem             mit hohem Anteil an Weißtannen in den             (Scherzinger 2006, vgl. auch Abb. 2). Erst
der größten noch vorhandenen Vorkom-               Hanglagen (Hainsimsen-Buchenwald                  die damit verbundene Dynamik ermög-
men der Weißtanne (Abies alba) im Kern-            Luzulo-Fagetum) (LUBW 2012, Müller &              licht das Überleben vieler Populationen
gebiet der Artverbreitung.                         Oberdorfer 1978, Schloss 1978, Schülli            von Tier-, Pilz- und Pflanzenarten und
     Hauptziel eines Nationalparks ist, auf        1959, Wolf 1992). In den Übergangsbe-             gewährleistet eine generell hohe Arten-
ausreichend großer Fläche (mindestens              reichen zu den Mooren sind neben der              vielfalt und Artenqualität.
10 000 ha) eine vom Menschen weitge-               Waldkiefer (Pinus sylvestris) auch Berg-              Zur Initiierung der Entwicklung vom
hend ungestörte Entwicklung der Wälder             kiefern (Pinus rotundata var. pseudopumi-         Wirtschaftswald zum Naturwald durch
zuzulassen. Das Nationalparkgebiet wür-            lio) von Bedeutung (Müller & Oberdorfer           forstliche Maßnahmen wird im Nord-
de letztlich 1 – 2 % der gesamten Wald­            1978, Wolf 1992).                                 schwarzwald an die Einrichtung eines so
fläche des Schwarzwaldes und 3 – 4 %                   Bei den Erhebungen und Diskussionen           genannten Entwicklungs-Nationalparks
des Naturparks Schwarzwald Mitte/Nord              zu einem möglichen Nationalpark im                gedacht, der in künftige Wildnisgebiete
­umfassen und bliebe eingebettet in die            Nordschwarzwald hat sich herauskristal-           mit Kernzone und 30-jährige Entwick-
 ­weiterhin bestehende, waldreiche Kul­            lisiert, dass der Schwerpunkt eines Groß-         lungszone, die später ebenfalls Kernzone
  turlandschaft des Nordschwarzwaldes              schutzgebietes darauf gelegt werden soll-         wird, sowie dauerhaft gepflegte Flächen
  (Abb. 1).                                        te, die fichtendominierten Wirtschaftswäl-        (Managementzone) gegliedert ist. Der
                                                   der mittelfristig aus der Nutzung zu neh-         Suchraum für einen Nationalpark im
2 Nationalpark-Idee Nord-                         men, damit sie sich langfristig zu stand-         Nordschwarzwald umfasst drei Schwer-
   schwarzwald                                     ortstypischen, artenreicheren und stabilen        punktgebiete (Abb. 1), deren Baumarten-
Erstmals wurde 1992 die Errichtung eines           Bergmischwäldern mit den Leitbaumarten            zusammensetzung wie folgt geschätzt
Nationalparks im Schwarzwald diskutiert            Weißtanne, Fichte, Rotbuche und auf Son-          wird: Fichte: 65 – 70 %, Weißtanne: 15 –
(Späth 1992). Die Idee wurde dann von              derstandorten auch Waldkiefer entwickeln          20 %, Waldkiefer: 5 – 10 %, Rotbuche:
der baden-württembergischen Landesre-              können (Entwicklungs-Nationalpark, vgl.           1 – 5 %. Genauere Zahlen können erst nach
gierung 2011 wieder aufgegriffen. Der              unten).                                           Überprüfung der Baumartenzusammen-

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setzung der endgültigen Nationalpark-
Kulisse ermittelt werden.
   Durch die geplante Reduzierung der
Fichte um 5 – 10 % in den nächsten 30
Jahren und die Förderung von wichtigen
Samenbäumen und der auf einigen Flä-
chen bereits vorhandenen Verjüngung von
Tanne und Buche sowie von Waldkiefer,
Vogelbeere (Sorbus aucuparia), Birken
(Betula spp. und Bergahorn (Acer pseudo-
platanus) in den Entwicklungszonen kön-
nen zusätzliche Impulse für eine baumar-
tenreichere Entwicklung des künftigen
Bergmischwaldes gegeben werden. Zur
Erreichung einer optimalen Naturverjün-
gung wird dabei allerdings auf längere
Zeit zumindest auf Teilflächen eine Re-
duktion des Schalenwildbestandes zum
Schutz der jungen Tannen und Buchen vor
Verbiss notwendig sein.                      Abb. 2: Prozessschutz am Beispiel Bannwald „Wilder See“, in dem seit 100 Jahren jegliche forstliche
                                             Nutzung ruht.                                                              Quelle: GoogleEarth 2012
   Der Umgang mit Sonderbiotopen wie
                                             Auf dem Luftbild ist die durch zeitlich und räumlich aufeinanderfolgende Sturmereignisse und Borkenkäfer-Kalami­
Karseen, Mooren, Missen und Felsstand-
                                             täten ausgelöste reiche Strukturierung auf der Gesamtfläche gut erkennbar. Dabei sind in den letzten Jahrzehnten
orten muss im Managementplan eines           zahlreiche Grenzlinien entlang der jetzt unterschiedlich alten Waldbereiche entstanden, die die Diversität und vor
Nationalparks mit den jeweiligen Experten    ­allem Qualität der Tier- und Pilzarten im Vergleich zum umgebenden Wirtschaftswald erhöhen.
abgestimmt werden. Zudem ist in einem
Entwicklungs-Nationalpark durch Fest-        Wirtschaftswäldern meist nur minimal                        zept“ aufgelegt (ForstBW 2010), das aber
schreibung in den Managementplänen           vertreten (Schaber-Schoor 2009). Viele der                  die urwaldtypischen Totholz-Mengen
auch künftig geplant, sowohl den Erhalt      auf sehr spezifische Totholz-Strukturen                     flächig nicht anbieten kann.
von charakteristischen Kulturlandschaften    angewiesenen Organismen befinden sich                          Da manche Arten nur bestimmte, an
(z.B. Grinden, Bergwiesen) als auch in       daher auf den Roten Listen der gefährde-                    einem einzelnen Baum meist nur wenige
bestimmten Fällen den aktiven Schutz         ten und vom Aussterben bedrohten Arten.                     Jahre währende Stadien toten Holzes nut-
durch Habitatverbesserung in Teilgebieten        Vergleichende Untersuchungen über                       zen können, kann die vollständige Arten-
(z.B. für das Auerhuhn) zu gewährleisten.    Totholzschwellenwerte in europäischen                       ausstattung einer Region nur in Waldge-
                                             Wäldern ergaben erst ab einem Totholz-                      bieten existieren, die so großflächig sind,
3 Artpotenzial in der Kern- und             vorrat von 30 – 50 m³ ha–1 einen Effekt für                 dass alle im Entwicklungszyklus des Wal-
   Entwicklungszone                          Totholz bewohnende Artengemeinschaf-                        des auftretenden Strukturen und Habita-
                                             ten (Müller & Bütler 2010). Einige extre-                   te dauerhaft in räumlichem Bezug und
3.1 Grundlagen
                                             me Totholz-Spezialisten, wie die Zitronen-                  enger Verzahnung zueinander auftreten.
In einem vom Menschen weitgehend un-         gelbe Tramete (Antrodiella citrinella)                      Bestehende Naturschutzgebiete und Bann-
beeinflussten Wald unterliegt die gesam-     (Bässler & Müller 2010) oder auch der                       wälder sind in der Regel zu klein, um eine
te Pflanzenbiomasse einem natürlichen        Drachenkäfer (Pytho kolwensis) (Siitonen                    nachhaltige Sicherung lokaler Populatio-
Prozess, der über die Nutzung durch Pflan-   & Saaristo 2000) und andere xylobionte                      nen zu gewährleisten. Insbesondere der
zenfresser und die Zersetzung durch ver-     Käferarten (Müller et al. 2007) benötigen                   Aufbau von Lebensräumen für stabile und
schiedene Tiere, Pilze und Mikroorganis-     jedoch noch weitaus höhere Totholzvor-                      größere Populationen seltener Urwald-
men wieder zu organischem Material im        räte mit mehr als 100 m³ ha–1 (vgl. auch                    Reliktarten ist aufgrund der benötigten
Boden und damit zu Nährstoffen für er-       Schwellenwertangaben für Urwaldre-                          Fläche nur in Großschutzgebieten (Min-
neutes Pflanzenwachstum führt. Vor allem     liktarten in Schaber-Schoor 2008, 2009).                    destfläche 10 000 ha) möglich. Diese kön-
in der Altersphase der Bäume entstehen       Solche Mengen liegenden und stehenden                       nen dann wiederum bei hohem Populati-
dabei besondere Strukturen und Habitate      Totholzes sind nur in unbewirtschafteten                    onsdruck zu Quellgebieten für eine Neu-
wie große Mulmhöhlen, trockene, tote         Wäldern möglich.                                            ausbreitung werden.
Starkäste, stehend abgebrochene Bäume,           Die Bundeswaldinventur 2 (BWI2) hat                        Im Verbund mit großen Prozessschutz-
absterbende Wurzeln usw., die für eine       im Gegensatz dazu für die Jahre 2000/                       gebieten spielt dann allerdings das Alt-
Vielzahl (Tausende) von Insekten (vor        2001 in baden-württembergischen Forsten                     und Totholzkonzept auf der Gesamtfläche
allem Käfer und Fliegen), Pilze und Bak-     einen Wert von durchschnittlich 19,1 m³                     (ForstBW 2010) eine wesentliche Rolle
terien die Lebensgrundlage bilden. Davon     ha–1 ermittelt (www.bundeswaldinventur.                     aufgrund seiner Trittsteinfunktion bei der
profitieren wiederum zahlreiche Wirbel-      de). Insgesamt liegen die Totholzmengen                     Ausbreitung und Rückwanderung in ehe-
tierarten.                                   in unseren Wirtschaftwäldern damit deut-                    malige Vorkommensgebiete. Je nach Ar-
   Im Gegensatz dazu ist ein normaler        lich unter den Mengen, die für das Über-                    tengruppe können die Wiedervernetzung
Wirtschaftswald – wie jede Kulturland-       leben anspruchsvoller Arten notwendig                       von Restvorkommen seltener Arten und
schaft – auf die Produktionsphasen (Op-      wären (Bussler & Müller 2006, Schaber-                      eine Wiederbesiedelung des Nationalpark-
timalphase) ausgerichtet. Die Alters- und    Schoor 2009). Zur Erhaltung der Waldar-                     gebietes durch verschollene Arten unter-
Zusammenbruchphase und ihre Habitat-         ten wurden daher in neuerer Zeit Zusatz-                    schiedlich lange Zeiträume erfordern.
strukturen wie starkes Totholz sind in       programme wie das „Alt- und Totholzkon-                     Bei einigen Käferarten mit sehr geringen

                                                                                                                                                           275
Naturschutz und Landschaftsplanung 44 (9), 2012, 273-281, ISSN 0940-6808                            Verlag Eugen Ulmer KG, Stuttgart

Ausbreitungsfähigkeiten kann dieses Jahr-          Im Hinblick auf die Strukturvielfalt ist      Aus naturschutzfachlicher Sicht sollten
zehnte bis Jahrhunderte dauern, bei man-       vor allem die Entwicklung von Uraltbäu-        die Wälder der Kar- und Steilhänge sofort
chen sehr mobilen Arten, oder wenn Re-         men von großer ökologischer Bedeutung          in die Kernzonen eines Nationalparks auf-
liktvorkommen existieren, kann eine            (Bussler 2006, Bütler 2005). Während im        genommen werden, da sie noch eine gro-
Wiederausbreitung auch sehr rasch ab­          Wirtschaftswald in der Region Nord-            ße Naturnähe aufweisen. Die Aufnahme
laufen.                                        schwarzwald Baumindividuen durch-              der Moore, Moorrandwälder und Missen
   Im Folgenden soll das Entwicklungs-         schnittlich noch in einem Alter von 120        in Kern- oder Entwicklungszone eines Na-
potenzial für einige Pflanzen-, Pilz- und      bis 140 Jahren geerntet werden, können         tionalparks sollte im Einklang mit der
Tierarten in der Entwicklungs- und Kern-       Bäume in Wäldern ohne Holznutzung              Moorschutzstategie des Landes Baden-
zone eines möglichen Nationalparks bei-        deutlich älter und größer werden. Das          Württtemberg erfolgen und für jedes Teil-
spielhaft erläutert werden. Die Auswahl        bekannte Höchstalter von Fichten in Ur-        gebiet nach einer jeweiligen Einzelfallprü-
der erwähnten Arten basiert auf den Ein-       wäldern liegt bei 900 Jahren, das von          fung im Managementplan festgelegt wer-
schätzungen von Artexperten der Region,        Waldkiefern und Weißtannen bei 600             den. Eingriffe in Hochmoorkomplexe
erhebt dabei aber keinen Anspruch auf          Jahren (Scherzinger 1996). Dieses hohe         sollten im Allgemeinen auf ein Minimum
Vollständigkeit, da nicht über alle Arten-     Alter der Bäume ist nur durch besondere        reduziert werden. Hochmoore sind eine
gruppen gleich gute Informationen vor-         (stochastische) Prozesse in Urwäldern          der wenigen Vegetationskomplexe, die
liegen.                                        erklärbar. Die Jungbäume werden dabei          sich ohne Eingriffe des Menschen entwi-
                                               zum Teil lange über das Wurzelsystem der       ckelt haben und weiter entwickeln wer-
3.2 Entwicklung der Vegetation                Mutterbäume mitversorgt, können länge-         den, wenn die Umweltbedingungen es
Wir gehen davon aus, dass sich der gesam-      re Zeit in der Jugendphase verharren und       zulassen (vgl. ergänzende Angaben in der
te Wald bei einer freien Entwicklung je        nach dem Auflichten der Kronenschicht          ausführlicheren Online-Version dieses
nach Standort (Höhenlage, Exposition,          rund 100 Jahre länger wachsen als ver-         Beitrags unter www.nul-online.de Service
Boden- und Gesteinsbedingungen, Ver-           gleichbare Individuen in Wirtschaftswäl-       Download).
moorungsgrad) über die nächsten Jahr-          dern (Scherzinger 1996). Ob auch im
zehnte und Jahrhunderte vom fichtendo-         Nordschwarzwald Bäume ein solch hohes          3.3 Pilze
minierten Nadelwald in einen strukturrei-      Alter erreichen können, wird erst die Zeit     Eine ganz besondere Rolle in ungestörten
chen Mischwald mit den Hauptbaumarten          zeigen. Bei Tannen und Buchen ist das          Waldflächen spielen Pilze, da sie am Ab-
Fichte, Weißtanne, Rotbuche und teilwei-       aber durchaus denkbar. Tatsache ist, dass      bau des Totholzes entscheidend beteiligt
se auch Waldkiefer entwickeln wird und         viele Kleinstlebensräume, auf die spezia-      sind. Verschiedene Pilze zersetzen abge-
es dabei zu einer Anreicherung der Vor-        lisierte Waldarten angewiesen sind, erst       storbenes Holz in unterschiedlicher Weise
räte an liegendem und stehendem Alt- und       bei sehr alten Bäumen in Verbindung mit        (Zellulose, Lignin, Weiß- und Rotfäule),
Totholz kommt.                                 diversen Strukturmerkmalen wie Höhlen,         schaffen so die Nahrungsgrundlage für
    Über die Zukunft der Fichte im             Kronen- und Starktotholz und rauer Rin-        Mikroorganismen, Würmer und Arthro-
Schwarzwald wird sehr kontrovers disku-        de entstehen können (Bussler 2006, Mül-        poden und bereiten damit den Waldboden
tiert. Während ihre starke Konkurrenzfä-       ler & Leibl 2011).                             für neues Wachstum vor. Für die Vielfalt
higkeit gegenüber anderen Baumarten                Neben den Hauptbaumarten der typi-         und Vitalität unserer Wälder sind außer-
und ihre Verjüngungspotenz für einen           schen Waldgesellschaften des Nord-             dem Mykorrhiza-Pilze durch ihre enge
langen Verbleib in den Wäldern des Nord-       schwarzwaldes (vgl. oben) hätten bei           Symbiose mit dem Wurzelsystem von Bäu-
schwarzwaldes sprechen, gibt es im Ge-         ungestörter Sukzession, wie sie sich in        men besonders wichtig. Da viele Pilzarten
gensatz dazu Hinweise, dass sie bei der        Fichtenbeständen nach Käferbefall und          sehr sensibel auf Düngung, Kalkung,
erwarteten Klimaerwärmung bis zum              auf Windwurfflächen abspielt, insbeson-        Waldwegebau, Bodenverdichtung oder
Ende des 21. Jahrhunderts stark unter          dere auch typische Pionierbaumarten und        Luftverschmutzung reagieren, ist ein Na-
Druck geraten wird (Müller-Kroehling et        Laubbäume von Sonderstandorten wie             tionalpark ohne diese Eingriffe für zahl-
al. 2010). Entsprechend geht Reif (schriftl.   Vogelbeere, Mehlbeere (Sorbus aria), die       reiche mittlerweile im Vorkommen rück-
Mitt. im Waldnaturschutz-Forum der FVA)        drei Birken-Arten des Gebietes – Moorbir-      läufige Pilzarten, wie Samtiger Pfifferling
davon aus, dass sich langfristig Weißtan-      ke (Betula pubescens), Karpatenbirke (Be-      (Cantharellus friesii), Echter Pfifferling
nen und Rotbuchen durchsetzen werden.          tula pubescens ssp. carpatica), Sandbirke      (Cantharellus cibarius) und Stahlblauer
Letztlich wird sich gerade auf den Prozess-    (Betula pendula) –, die Waldkiefer, der        Rötling (Entoloma nitidum), ein wichtiges
schutzflächen im Nationalpark herausstel-      Bergahorn und die zugehörigen Artenge-         Refugium.
len, welche Zukunft die Fichte im Schwarz-     meinschaften eine Chance zur freien Ent-          Daneben dürften von den hohen Tot-
wald haben wird. Entscheidenden Einfluss       wicklung. Im Unterwuchs wird sich in           holzanteilen sehr seltene oder bereits
auf die Waldentwicklung hat dabei auch         lichteren Bereichen je nach Vermoorungs-       verschollene Urwaldpilze profitieren, bei-
der Wildbestand, da dieser selektiv in die     grad eine reiche Beerstrauchgesellschaft       spielsweise der überwiegend in Natur-
Baumartenverteilung zugunsten der ge-          mit Heidelbeere (Vaccinium myrtillus),         waldreservaten vorkommende Zunder-
gen Verbiss unempfindlichen Fichte ein-        Rauschbeere (Vaccinium uliginosum), Prei-      schwamm (Fomes fomentarius), Lundells
greift. Daher wird eine angemessene Wild-      selbeere (Vaccinium vitis-idaea), Besenhei-    Feuerschwamm (Phellinus lundellii) und
bestandsregulierung längerfristig auch in      de (Calluna vulgaris) und Gräsern entwi-       Tannenstachelbart (Hericium flagellum).
den Kernzonen eine wichtige Rolle spie-        ckeln. In trockeneren Bereichen wird auf       Individuen von letzterem wurden im
len, auch deshalb, weil große Beutegreifer     Lichtungen auch Adlerfarn (Pteridium           Nordschwarzwald erst vor kurzem an al-
wie Luchs (Lynx lynx), Wolf (Canis lupus)      aquilinum) eine wichtige Rolle spielen und     ten, abgestorbenen Tannen im Bannwald-
und Braunbär (Ursus arctos) im Gesamt-         zum Teil ein großflächig dichtes Aufwach-      gebiet „Wilder See“ (Ebel & Römpp in
system zumindest mittelfristig fehlen wer-     sen von Jungfichten verhindern und damit       Schlund et al. 2011) und am Rande des
den.                                           heterogene Waldstrukturen schaffen.            Bannwalds „Wildseemoor“ (K. Dürr, In-

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Marc Förschler et al., Potenzial eines Nationalparks im Nordschwarzwald, NuL 44 (9), 2012, 273-281

fozentrum Kaltenbronn, mündl. Mitt.)          et al. 2008). Dazu gehören neben Laufkä-       lend auf solchen Flächen ist neben der
entdeckt. Dass Pilze bei verbesserten Be-     fern (Carabidae), Pflanzenwespen (Sym-         Erhöhung der Diversität auch eine Zunah-
dingungen zurückkehren und wieder häu-        phyta), Fliegen (Diptera), Schwebfliegen       me der Biomasse der Ameisen, die eine
fig werden können, zeigt das Beispiel der     (Syrphidae), Netzflüglern (Neuropteroi-        bedeutende Nahrungsgrundlage unter
Zitronengelben Tramete aus dem Natio-         dea), Ameisen-, Bienen- und Wespenarten        anderem für Spechtvögel bilden. Zu nen-
nalpark Bayerischer Wald (Müller 2012).       (Aculeata) und Spinnen (Araneae) auch          nen wäre hier beispielsweise das unge-
                                              zahlreiche Schmetterlingsarten (Lepido-        wöhnlich häufige Vorkommen der Ross-
3.4 Insekten und andere                      ptera). Neben einer Reihe von seltenen         ameise (Camponotus herculeanus) am
     Gliedertiere (Arthropoden)               Nachtfalterarten der Moorrandwälder, die       Lotharpfad nahe dem Schliffkopf. Lichte
Die von Pilzen und Flechten geschaffenen      von Auflichtungen im Wald abhängen (s.         Waldbestände am Rande großer offener
Kleinsthabitate in und auf dem stehenden      unten), zählt dazu beispielsweise auch der     Moore und Bergheiden sind zudem wert-
und liegenden Totholz sind für zahlreiche     im Bestand stark zurückgegangene Trau-         volle Lebensräume für Eiszeitreliktarten
hochspezialisierte Arthropoden-Arten ein      ermantel (Nymphalis antiopa). Auch sel-        (vgl. Angaben zu den Arten in der Online-
unersetzlicher Lebensraum. Der Bann-          tene Heuschrecken (Saltatoria), wie die        Version).
wald „Wilder See“ steht hier beispielhaft     Laubholz-Sägeschrecke (Barbitistes serri-         Auch Spinnen (Araneae) können vom
für das Entwicklungspotenzial in einem        cauda), finden in den entstehenden lich-       Prozessschutz profitieren. Zwar handelt
Nationalpark Schwarzwald (Schlund et al.      ten und strukturreichen Waldflächen            es sich bei dieser besonders in Wäldern
2011). Hier wurden bisher Spinnen (Ara-       mehr Lebensraum.                               individuen- und artenreichen Gruppe um
neae), Weberknechte (Opiliones), Pseu-            Unter den Libellen (Odonata) benöti-       reine Räuber, die weder direkt von der
doskorpione (Pseudoscorpiones), diverse       gen die Quelljungfer-Arten (Cordulegaster      Vegetation noch vom Totholzangebot ab-
Asseln (Isopoda), Hundert- und Tausend-       boltonii, C. bidentata) für ihre Entwicklung   hängig sind. Trotzdem zeigte die Vielfalt
füßer (Myriapoda), Käfer (Coleoptera)         naturnahe Quellrinnsale. Eine natürliche       von Waldbodenspinnen in einer Untersu-
und Schmetterlinge (Lepidoptera) unter-       Waldstruktur mit kleinen Lichtflecken im       chung von Bann- und Wirtschaftswäldern
sucht und eine artenreiche Fauna mit          Bereich von Schnee- oder Sturmbruchflä-        (Loch 2002) deutliche Korrelationen mit
zahlreichen interessanten Arten nachge-       chen, wie sie sich in einem Nationalpark       dem Totholzvorrat. Wie in vielen anderen
wiesen.                                       finden würde, käme den Ansprüchen die-         Tiergruppen ist die Artenvielfalt von Spin-
    Bei den Käfern ist das Entwicklungspo-    ser Arten entgegen. Andere Libellenarten       nen, die stärker von Strukturen (Streu,
tenzial besonders groß (Bücking et al.        können die mit Wasser gefüllten Vertie-        niedrige Vegetation, Stämme) und Mikro-
1998), da rund ein Viertel der heimischen     fungen entwurzelter Bäume insbesondere         klima (Feuchtigkeit, Beschattung) als von
Käferarten direkt oder indirekt von totem     in moorigen Bereichen zur Fortpflanzung        der Artenzusammensetzung der Vegetati-
Holz lebt. Von solchen xylobionten Käfern     nutzen. Neben häufigen Arten, wie Blau-        on oder den Bodenverhältnissen abhängt,
gelang bisher der Nachweis von 167 Arten,     grüner Mosaikjungfer (Aeshna cyanea)           auch in Wirtschaftswäldern hoch. Fichten-
von denen 13 landesweit auf der Roten         oder Früher Adonislibelle (Pyrrhosoma          reinbestände sind aber individuen- und
Liste stehen. Der Vergleich von Fängen im     nymphula), entwickeln sich in den Hoch-        artenärmer als Buchen- und gemischte
Bannwald „Wilder See“ aus den Jahren          lagen des Nordschwarzwaldes in solchen         Bestände.
1995/1996 und 2011 (Bense 2012) zeigt,        Wurzelteller-Gewässern auch seltene und           Die Biotopvielfalt und vor allem die
dass die Artenvielfalt der Holzkäfer mit      hochgradig bedrohte Moor-Libellenarten,        klein- bis mittelskalige Dynamik in alten
dem erhöhten Totholzangebot anstieg und       wie die Kleine Moosjungfer (Leucorrhinia       Wäldern (z.B. Bannwäldern) ermöglicht
insbesondere Morschholzbewohner und           dubia), die Torf-Mosaikjungfer (Aeshna         auch bei Spinnen eine hohe Artenvielfalt
Besiedler von Holzpilzen von der Zunah-       juncea) sowie die Alpen-Smaragdlibelle         und bietet besonders stenöken Arten Le-
me der zersetzten Hölzer im Gebiet pro-       (Somatochlora alpestris) und die Arktische     bensraum. Spinnen reagieren auf Störun-
fitierten. In den Fichtenwäldern des Bay-     Smaragdlibelle (Somatochlora arctica).         gen schnell und gehören zu den Erstbe-
erischen Waldes hat sich die Öffnung des      Zudem können Rothirsch (Cervus elaphus)        siedlern von neu entstandenen Habitaten.
Kronendachs durch Borkenkäferschäden,         und Wildschwein (Sus scrofa) im Bereich        Sie können dadurch Dynamik nachzeich-
insbesondere durch den Buchdrucker (Ips       der Wurzelteller durch Suhlen und wüh-         nen. Ein Nationalpark böte insbesondere
typographus), positiv auf das Vorkommen       lende Tätigkeiten moorige Schlenken als        die große Chance, die Entwicklung der
von xylobionten Käferarten der Roten Lis-     Entwicklungsgewässer für Hochmoor-             Spinnenzönosen bis in die Zerfallsstadien
te ausgewirkt (Müller et al. 2008, 2010),     Mosaikjungfer (Aeshna subarctica) (Bönsel      zu beobachten (vgl. Angaben zu den Arten
die als typische Urwaldreliktarten gelten     1999) und Alpen-Smaragdlibelle erhalten        in der Online-Version).
(Müller et al. 2005). Zur Erhaltung der       und auch neu schaffen.
Vielfalt           totholzbesiedelnder            Auch die in terrestrischen Ökosystemen     3.5 Amphibien und Reptilien
­Käfergemeinschaften der Bergwälder ist       wichtigen Ameisen (Formicidae) werden          Morsches, liegendes Holz dient mehreren
 laut Müller et al. (2010) mindestens eine    durch das mosaikartige Auslichten von          Amphibienarten als hervorragendes Ver-
 Verdreifachung des derzeitigen Totholz-      Waldbeständen stark gefördert, da die          steck und nahrungsreicher Lebensraum
 vorrats sowohl in dichten als auch offenen   Ameisenbrut sonnenexponierte Standorte         – z.B. Fadenmolch (Triturus helveticus),
 Beständen auf über 30 – 60 m3 ha–1 not­      zur optimalen Entwicklung benötigt. So         Bergmolch (Triturus alpestris) und Feuer-
 wendig.                                      legen selbst die Waldameisen ihre großen       salamander (Salamandra salamandra) –,
    Neben den Käfern profitieren auch         Hügelnester in Lichtungen oder an Wald-        wenn Laichgewässer wie Bäche, Quellen
 zahlreiche andere Arthropodengruppen         säumen an. Windbruchflächen sind nach          und Karseen in der Umgebung vorhanden
 von einer erhöhten Lückigkeit der Wald-      etwa zehn Jahren besonders artenreich,         sind. Zudem können sich im Laufe der Zeit
 bestände durch Windwurfflächen, Bor-         da sich dann neben den Waldarten auch          die durch Stürme entstandenen, wasser-
 kenkäferlichtungen und umgestürzte Ein-      zahlreiche Offenlandarten aus der weite-       gefüllten Senken und Pfützen neben den
 zelbäume (Literaturangaben bei Müller        ren Umgebung angesiedelt haben. Auffal-        Wurzeltellern umgestürzter Bäume zu

                                                                                                                                  277
Naturschutz und Landschaftsplanung 44 (9), 2012, 273-281, ISSN 0940-6808                                                       Verlag Eugen Ulmer KG, Stuttgart

                                                                                                                         Simonis 2010).
                                                                                                                             Unter den Spechten reagiert neben
                                                                                                                         dem Grauspecht (Picus canus), der im
                                                                                                                         Suchraum nur im Bannwald „Wilder See“
                                                                                                                         regelmäßig beobachtet wird, vor allem der
                                                                                                                         seltene Wendehals (Jynx torquilla) positiv
                                                                                                                         auf ein erhöhtes Totholzangebot. Der
                                                                                                                         Wendehals ist eine Vogelart, deren Primär-
                                                                                                                         habitat in zusammenbrechenden Wäldern
                                                                                                                         zu suchen ist (Späth 1992). Seit dem Or-
                                                                                                                         kan Lothar wird er vermehrt zur Brutzeit
                                                                                                                         auf nicht völlig aufgearbeiteten Sturmflä-
                                                                                                                         chen des Nordschwarzwalds mit über-
                                                                                                                         durchschnittlichen hohen Totholzmengen
                                                                                                                         (vgl. Werte in Schaber-Schoor 2009) und
                                                                                                                         einem damit verbundenen größeren Vor-
                                                                                                                         kommen an Ameisen (s. oben) beobachtet
                                                                                                                         (Förschler 2008). Auch im Bayerischen
                                                                                                                         Wald ist der Wendehals wieder in ähnliche
Abb. 3: Ornithologisches Entwicklungspotenzial in einem möglichen Nationalpark Nordschwarzwald                           Totholzbereiche eingewandert (Müller &
bei Vogelarten der Roten Liste (RL) Baden-Württembergs.                                                                  Simonis 2010).
Schwarz: RL-Brutvogelarten mit aktuellen Populationen; mittelgrau: RL-Brutvogelarten mit bisher vereinzelten Vor-            Neben selteneren Spechtarten werden
kommen; hellgrau: potenzielle RL-Brutvogelarten (verändert nach Scherzinger & Schumacher 2004). Vor allem Populationen
                                                                                                                         in einem Nationalpark aber auch der häu-
verschiedener Arten der Alters- und Zerfallsphase fehlen derzeit im Repertoire des Nordschwarzwaldes.
                                                                                                                         fige Buntspecht (Dendrocopus major) und
                                                                                                                         der Schwarzspecht (Dryocopos martius)
wichtigen Laichgewässern entwickeln.                         (die Art galt bis zur Wiederentdeckung                      vom hohen Totholzanteil profitieren
    Unter den Reptilien dürften Bergei-                      durch L. Steinwand u.a. im Jahre 1982 als                   (Scherzinger 2006). Eine hohe Spechtdich-
dechsen (Lacerta vivipara), Blindschlei-                     ausgestorben) wurde dieser Specht erst                      te führt wiederum zu einem weit höheren
chen (Anguis fragilis), Ringelnattern (Na-                   im Zuge von Kalamitäten durch den Buch-                     Höhlenangebot, von dem dann weitere
trix natrix) und Kreuzottern (Vipera berus)                  drucker, verursacht durch die gewaltigen                    Vogelarten – Raufußkauz (Aegolius fune-
von dem sehr lichten, strukturreichen                        Sturmschäden 1991 und 1999, wieder                          reus), Sperlingskauz (Glaucidium passeri-
Wald in der Zusammenbruchsphase pro-                         vermehrt im Nordschwarzwald festge-                         num), Meisen (Parus spp.), Kleiber (Sitta
fitieren. Für die Kreuzotter könnte sich                     stellt. Der erste Brutnachweis gelang 1995                  europaea), Gartenrotschwanz (Phoenicu-
hier, neben ihrem Vorkommen an den                           im Bannwald „Hoher Ochsenkopf“ (Dorka                       rus phoenicurus) –, aber auch viele Fleder-
Rändern der beweideten Grindenflächen                        1996a, b). Bis 2004 nahm der Bestand in                     mausarten (Chiroptera) profitieren (s.u.).
(Sekundärhabitat), ein sich natürlicher-                     den bestehenden Bannwäldern und Na-                         Es ist bekannt, dass die Erhöhung der
weise immer wieder einstellendes Habitat                     turschutzgebieten kontinuierlich zu                         Höhlenbaumdichte auf mindestens fünf
in lichten, totholzreichen und damit nah-                    (Straub et al. 2005), ging aber in den letz-                pro Hektar deutlich höhere Artenzahlen
rungsreichen Wäldern (Primärhabitat)                         ten Jahren durch das Fehlen frisch abge-                    ermöglicht (Müller & Simonis 2010).
ergeben.                                                     storbener Altfichtenbestände wieder zu-                         Auch für das Auerhuhn (Tetrao urogal-
                                                             rück. Wenn man den Dreizehenspecht als                      lus) ergeben sich aus unserer Sicht Chan-
3.6 Vögel                                                   Brutvogel des Schwarzwaldes (und damit                      cen in einem Nationalpark. Das Auerhuhn
Eine Artengruppe, die von der Einrichtung                    in Baden-Württemberg) erhalten will, sind                   ist auf die späten Stadien der Waldsukzes-
eines Nationalparks im Nordschwarzwald                       Großschutzgebiete im Nadelwald unab-                        sion (späte Optimal- bis Zusammenbruch-
profitieren könnte, sind die Vögel (Abb. 3;                  dingbar, die überhaupt erst die von der                     phase) angewiesen (Lieser & Roth in Höl-
vgl. auch Späth 1992). Bei einer verglei-                    Art benötigte Totholzmenge auf großer                       zinger & Boschert 2001) und profitiert vom
chenden Untersuchung fand Hohlfeld                           Fläche (> 1 km2) zur Verfügung stellen                      Prozessschutz auf großer Fläche, da der
(1997) deutlich mehr Brutvogelarten (5                       (vgl. Bütler et al. 2004, Bütler 2005).                     Wald dadurch mittel- bis langfristig älter,
bzw. 8 Arten) und um 14 – 16 % höhere                           Im Schwarzwald wurde ein nötiger                         lückiger und insgesamt struktur- und nah-
Siedlungsdichten in zwei Bannwäldern                         Totholschwellenwert von 70 m³ ha–1 er-                      rungsreicher wird (Klaus 2008). Das gilt
(Hoher Ochsenkopf, Wilder See) der                           mittelt (Kratzer et al. 2011). Ein National-                insbesondere für das Hochgebirge und die
Suchraum-Kulisse als in benachbarten                         park im Nordschwarzwald würde dem                           Hochlagen der Mittelgebirge im natürli-
Wirtschaftswäldern.                                          Dreizehenspecht, der sehr flexibel auf                      chen Verbreitungsgebiet von Nadelbau-
    Neben Singvogelarten, die auf ein gro-                   absterbende Fichtenbestände (Borkenkä-                      marten (Klaus 2008). Im bayerisch-tsche-
ßes Höhlenangebot und lichte, nahrungs-                      fernester) reagiert, eine langfristige Über-                chischen Grenzgebiet des Bayerischen
reiche Wälder angewiesen sind, können                        lebenschance bieten. Rund zehn Jahre                        Waldes und des Böhmerwaldes zeigen
mittel- bis langfristig insbesondere Spech-                  nach der ersten Nutzung durch den Specht                    neue Ergebnisse eines Monitorings, dass
te zu Gewinnern dieses Prozesses werden                      während des akuten Buchdruckerbefalls,                      in den totholzreichen, durch Borkenkäfer-
(Scherzinger 2006). Der Dreizehenspecht                      werden die abgestorbenen Bäume im Fäul-                     fraß entstandenen Freiflächen die Nach-
(Picoides tridactylus) ist eine Charakterart                 nisstadium für die Art erneut nutzbar, da                   weisdichte außerordentlich hoch ist, so-
totholzreicher Fichten-Altwälder, wie sie                    dann die Larven von Zangenböcken (Ce-                       lange nur kleine Horste von über zimmer-
in einem künftigen Nationalpark entste-                      rambycidae) und Holzrüsslern (Curculio-                     hohen Fichten vorhanden sind (Müller &
hen würden. Nach langer Abwesenheit                          nidae) zur Verfügung stehen (Müller &                       Simonis 2010). Der dortige Bestand hat sich

278
Marc Förschler et al., Potenzial eines Nationalparks im Nordschwarzwald, NuL 44 (9), 2012, 273-281

offensichtlich erholt und wird derzeit wie-
der auf 550-570 Individuen geschätzt (J.
Müller, mdl. Mitt.).
    Ähnliche Beobachtungen ergeben sich
auch in den lichten Hochlagenwäldern des
Grindenschwarzwalds mit reichlich ste-
hendem und liegendem Totholz und
Zwergsträucher-Unterwuchs (Abb. 4).
Hier ist im letzten Jahrzehnt in Folge der
massiven Auflichtungen des Hochwaldes
durch den Sturm Lothar oberhalb 900 m
ü. NN eine Stabilisierung und gebietswei-
se sogar eine Zunahme der Bestände des
Auerhuhns zu beobachten (Ornithologi-
sche Arbeitsgemeinschaft Freudenstadt).
Wir gehen davon aus, dass aufgrund des
bereits vorhandenen Strukturreichtums
in den Prozessschutzflächen eines Natio-
nalparks und dank künftiger Zufallsereig-
nisse (Stürme, Schneebruch, Auflichtun-
gen durch Baumalterung und Borkenkä-
ferfraß) zumindest in den Hochlagen des
Nordschwarzwaldes oberhalb 800 m, die         Abb. 4: Natürlich enstandenes Habitat des Auerhuhns (Tetrao urogallus) auf Prozessschutzflächen
den größten Teil des Suchraumes ein-          im Bannwald „Wilder See“ (seit 100 Jahren aus der Nutzung).
nimmt, auch in Zukunft immer wieder           Nach der Auflichtung des Fichtenhochwaldes durch Stürme und Borkenkäferfraß (Zusammenbruchsphase) entwickeln
                                              sich halboffene Strukturen mit starkem Heidelbeer-Unterwuchs, die vom Auerhuhn als Nahrungshabitate (Beeren­
neue geeignete Lebensräume für die Art        nahrung) genutzt werden und aufgrund der klimatisch günstigen Bedingungen und dem hohen Deckungsgrad auch
entstehen werden (vgl. auch Scherzinger       für die Aufzucht der Jungen optimal geeignet sind. Auch für weitere Vogelarten halboffener, lichter Wälder wie Garten­
2006).                                        rotschwanz (Phoenicurus phoenicurus) und Wendehals (Jynx torquilla) bilden solche Strukturen günstige Primärlebens­
                                              räume.
    Um das im bewirtschafteten Wald des
Schwarzwaldes seit Anfang des letzten
Jahrhunderts stark zurückgehende Auer-        hingegen käme die Errichtung eines Na-                       bende Bäume geförderte Strukturvielfalt
huhn (LUBW 2007, Suchant & Braunisch          tionalparks im Nordschwarzwald mögli-                        (großes Höhlenangebot, lichte und dichte
2008) aber zusätzlich in seinem Bestand       cherweise zu spät, da die Art kurz vor dem                   Waldflächen) und das vielfältigere Nah-
zu stabilisieren, könnten zeitgleich insbe-   Aussterben steht (LUBW 2007). Langfris-                      rungsangebot in einem möglichen Natio-
sondere in den tieferen Lagen der Entwick-    tig werden allerdings in einem National-                     nalpark. Unter den Kleinsäugern profitie-
lungszone über 30 Jahre für das Auer­huhn     park Habitatstrukturen wie strukturreiche                    ren insbesondere die seltene Alpenspitz-
förderliche Maßnahmen wie Entfichtung         Verjüngungsflächen mit hohem Weich-                          maus (Sorex alpinus), der Gartenschläfer
von aufwachsenden Sturmflächen, Auf-          holzanteil entstehen, die dem Haselhuhn                      (Eliomys quercinus), aber auch die Hasel-
lichtung und Pflege von Balzplätzen und       entgegenkommen würden, denn laut                             maus (Muscardinus avellanarius) von der
die Förderung von wichtigen Nahrungs-         Klaus (2008) profitiert es vom Schutz na-                    mosaikartigen Habitatvielfalt in naturbe-
bäumen wie Wald- und Bergkiefern ge-          türlicher Entwicklungsvorgänge in beson-                     lassenen Wäldern. Höhere Tannen- und
mäß „Aktionsplan Auerhuhn“ der „Ar-           derem Maße. Prozesschutz ist für dieses                      Buchenanteile begünstigen zudem die
beitsgruppe Raufußhühner Baden-Würt-          Waldhuhn daher die ideale Naturschutz-                       Lebensbedingungen zahlreicher gefähr-
temberg“ (Suchant & Braunisch 2008)           strategie (Klaus 2008). Entsprechend be-                     deter und seltener Fledermausarten, wie
umgesetzt werden. Denkbar wäre dabei,         siedelt es im Bayerischen Wald vor allem                     Fransenfledermaus (Myotis nattereri),
die Ziele des „Aktionsplans Auerhuhn“         der natürlichen Dynamik überlassene,                         Wasserfledermaus (Myotis daubentonii),
direkt im Managementplan eines künfti-        große Sturmflächen (J. Müller, mdl.                          Braunes Langohr (Plecotus auritus), Rau-
gen Nationalparks zu verankern.               Mitt.).                                                      hautfledermaus (Pipistrellus nathusii),
    Da eine funktionsfähige Population des       Neben der Erhaltung und positiven                         Großes Mausohr (Myotis myotis), Bech-
Auerhuhnes jedoch noch wesentlich grö-        Populationsentwicklung noch vorhande-                        steinfledermaus (Myotis bechsteinii), Klei-
ßere Flächen benötigt (Klaus 2008), wird      ner seltener Vogelarten besitzt das Natio-                   ne Bartfledermaus (Myotis mystacinus),
für die langfristige Stabilisierung der Ge-   nalparkgebiet auch das Potenzial für eine                    Nordfledermaus (Eptesicus nilssonii) und
samtpopulation des Schwarzwaldes von          Wiederbesiedlung durch länger ver-                           Kleiner Abendsegler (Nyctalus leisleri).
noch viel entscheidendere Bedeutung           schwundene ehemalige Brutvögel des                              Insbesondere für die vier erst-genann-
sein, ob es gelingt, die Auerhuhn-Habita-     Nordschwarzwaldes aus dem Alpenraum                          ten Arten ist zudem eine große Anzahl von
te eines Nationalparks durch eine konse-      wie beispielsweise Weißrückenspecht                          Baumhöhlen in ihrem Lebensraum unab-
quente Umsetzung des Aktionsplans in          (Dendrocopos leucotos) und Steinadler                        dingbar und Grundvoraussetzung für gro-
angrenzenden Wirtschaftswäldern mit           (Aquila chrysaetos) (vgl. Angaben zu den                     ße und langfristig stabile Populationen.
den bereits stark fragmentierten Restvor-     Arten in der Online-Version).                                Durch verbesserte Habitatbedingungen ist
kommen von Nord-, Mittel- und Süd-                                                                         zudem auch mit der Wiederbesiedelung
schwarzwald zu vernetzen (Segelbacher et      3.7 Säugetiere                                              durch die Mopsfledermaus (Barbastella
al. 2008, Suchant & Braunisch 2008).          Auch zahlreiche gefährdete Säugetierar-                      barbastellus) zu rechnen, die derzeit nur
    Für das Haselhuhn (Bonasa bonasia)        ten nutzen Totholz oder die durch abster-                    noch vereinzelt im Nordschwarzwald

                                                                                                                                                             279
Naturschutz und Landschaftsplanung 44 (9), 2012, 273-281, ISSN 0940-6808                          Verlag Eugen Ulmer KG, Stuttgart

nachgewiesen wird. Auch der Baummar-          gestorbene Weißzüngel-Orchidee (Pseu-          vögelchen (Coenonympha tullia) eine
der (Martes martes) und die in tieferen       dorchis albida) waren auf trockeneren          Chance auf Wiederansiedlung (Ebert &
Lagen wieder einwandernde Wildkatze           Standorten einst weiter verbreitet und         Rennwald 1991). Im Rahmen des Manage-
(Felis sylvestris) würden von alt- und tot-   teilweise sogar recht zahlreich zu finden      ments der Grinden müssen auch die Vor-
holzreichen Strukturen begünstigt. Neben      (z.B. Spenner 1827).                           kommen einiger hochgardig bedrohter
den seltenen profitieren von den entste-                                                     Libellenarten berücksichtigt werden, die
henden Strukturen insbesondere auch           4.3 Fauna der Grinden                         neben den Karseen und Mooren insbeson-
häufige Arten (Langschwanzmäuse und           Zu den Charakterarten der bergkiefer- und      dere die Grinden mit ihrer Vielzahl an
Wühlmäuse), die dann wiederum, wenn           fichtendurchsetzten Grinden gehören un-        Kleingewässern besiedeln. Hier kommt
sie in größeren Dichten vorkommen, Nah-       ter den Vögeln der in Baden-Württemberg        insbesondere der Alpen-Smaragdlibelle
rungsgrundlage für viele andere Arten         vom Aussterben bedrohte Zitronenzeisig         eine große Bedeutung als Charakterart
darstellen.                                   (Carduelis citrinella) (Förschler & Dorka      unter den Moorlibellen zu (Schiel et al.
                                              2010), der Wiesenpieper Anthus pratensis       2004)
4 Arterhaltung in der                        (Förschler 2004), die Ringdrossel (Turdus
   ­Managementzone                            torquatus), aber auch das Auerhuhn, wel-       4.4 Einbettung der naturschutz­
                                              ches vor allem im Winter die Ränder der             fachlich wertvollen Grinden in
4.1 Erhaltungsgebot für Grinden                                                                  das Gesamtkonzept
                                              Bergkiefer-Gebüsche zum Nahrungser-
Neben den Waldflächen existieren im Na-       werb aufsucht.                                 Zur Stützung der besonderen Artenzusam-
tionalparkgebiet auch einige Sonderbio-           Weitere Charakterarten, die in ein Pfle-   mensetzung der auch touristisch sehr at-
tope, wie die charakteristischen Grinden      gekonzept der Grindenflächen einbezogen        traktiven Grindengebiete wäre eine denk-
(Feuchtheiden) der höchsten Bergrücken,       werden sollten, sind die Kreuzotter, die       bare Variante für ein künftiges Pflegekon-
die durch jahrhundertelange Beweidung         Alpine Gebirgsschrecke (Miramella alpi-        zept in der Managementzone eines Nati-
und Streunutzung entstanden sind und          na) und der Warzenbeißer (Decticus ver-        onalparks die Vernetzung der vorhande-
zum Teil mit charakteristischen Beständen     rucivorus). In den Übergangsbereichen          nen Grindenflächen. Dies könnte durch
an Bergkiefern bewachsen sind. Von der        zwischen den dauerhaft gepflegten Hei-         die Reaktivierung ehemaliger Grinden
Gesamtfläche eines möglichen National-        den der Managementzone und den Moor-           und die Freistellung überwachsener Berg-
parks nehmen diese Lebensräume derzeit        rand- und Missenwäldern der Kernzone           kiefer-Bestände mit anschließender Be-
rund 200 ha ein. Da diese Flächen aber        finden zudem der Sumpf-Grashüpfer              weidung durch Schafe, Hinterwälder
eine besondere Artenzusammensetzung           (Chorthippus montanus), der Weißrandige        Rinder und/oder Heckrinder (Rückzüch-
aufweisen und mehrere stark bedrohte          Grashüpfer (Chorthippus albomarginatus)        tung des Auerochsen) im Umfang von
Arten beherbergen, muss für sie auch im       und bei gleichzeitigem Vorkommen von           weiteren 100 – 200 ha umgesetzt werden.
Nationalpark das Erhaltungsgebot gelten.      Pfeifengras-Beständen die Kurzflügelige        Besonders interessant wäre in dieser Hin-
Ziel wird dabei sein, neben der Prozess-      Beißschrecke (Metrioptera brachyptera)         sicht auch die Wiederaufnahme der Wald-
schutzfläche im Wald diese extensiv ge-       geeignete Habitate. Von einer engen Ver-       weidewirtschaft auf kleiner Fläche. Diese
nutzten Kulturlandschaften langfristig zu     zahnung der Management- und Prozess-           ehemals häufige Nutzungsform ist durch
erhalten und durch optimiertes Weidema-       schutzflächen könnten auch einige mitt-        die Trennung von Wald und Weide im
nagement (Schlund & Brandt 2008, Wag-         lerweile seltene Schmetterlingsarten mit       Schwarzwald nahezu vollständig ver-
ner et al. 2001) positiv zu entwickeln        sehr kleinen Reliktvorkommen profitie-         schwunden. Historisch gesehen waren die
(„klassische“ Naturschutzstrategie). Da       ren, die auf lichte und moorige Waldstruk-     ausgedehnten Waldweiden und Grinden
die Grinden historisch stark vom Men-         turen mit hohem Zwergstrauchanteil an-         durch ihre mosaikartige Struktur wertvol-
schen geprägt wurden, sind spezielle Pfle-    gewiesen sind – beispielsweise die Nacht-      le Lebensräume für eine ganze Reihe sel-
ge- und Entwicklungsmaßnahmen in der          falterarten Moorwiesen-Halmeulchen             tener Tier- und Pflanzenarten (Reichholf
Managementzone nötig, die durch die           (Oligia fasciuncula marmorata), Wei-           2006). Insgesamt könnte ein „Grinden-
Mittel, die dem Nationalpark zur Verfü-       denglucke (Phyllodesma ilicifolia), Moor-      Band zwischen Kniebis und Hornisgrinde“
gung gestellt werden würden, langfristig      wiesen-Erdeule (Diarsia dahlii), Moor-         rund 300 – 400 ha, also etwa 3 – 4 % des
gewährleistet wären und die im Manage-        Bunteule (Coranarta cordigera), Moor-          Nationalparks, umfassen und damit das
mentplan eines künftigen Nationalparks        Stängeleule (Amphipoea lucens), Haworths       kulturhistorische Erbe dieses Landschaft-
festgelegt werden müssen.                     Mooreule (Celaena haworthii), Moosbee-         styps bewahren.
                                              renspanner (Carsia sororiata), Großer
4.2 Flora der Grinden                        Speerspanner (Rheumaptera hastata),            5 Fazit
Botanisch gesehen sind neben der Erhal-       Kleiner Speerspanner (Rheumaptera sub-         Unsere umfangreichen Recherchen haben
tung der durch Pfeifengras (Molinia cae-      hastata), Winkelzahn-Gebirgs-Blattspan-        ergeben, dass die Errichtung eines Natio-
rulea), Rasenbinse (Trichophorum cespi-       ner (Entephria infidaria), Rauschbeeren-       nalparks im Nordschwarzwald in der Sum-
tosum), Besenheide und Rauschbeere            spanner (Ari­chan­na melanaria) und            me eine Chance für die Fauna und Flora
geprägten Pflanzengesellschaften der          Bartflechten-Rindenspanner (Alcis jubata)      des Nordschwarzwaldes bietet. Die zu
Grinden (Murmann 1979, Wolf 1992) auch        (vgl. Ebert 1994-2003).                        erwartende klein- und großräumige na-
die Förderung von Restbeständen einiger           Bei der Umsetzung von Pflegemaßnah-        türliche Dynamik in einem Nationalpark
seltener Blütenpflanzen wie Gelber Enzi-      men im Bereich der Grindenhabitate hät-        fördert die Vielfalt der Arten und insbe-
an (Gentiana lutea), Arnika (Arnica mon-      ten zudem auch mittlerweile ausgestor-         sondere die Qualität der Lebensräume
tana), Schweizer Löwenzahn (Leon­todon        bene charakteristische Tagfalterarten wie      seltener und gefährdeter Arten (Müller &
helveticus) und Geflecktes Knabenkraut        der auf größere Vorkommen der Rausch-          Simonis 2010). Nach Einschätzungen von
(Dactylorhiza maculata) von Interesse.        beere angewiesene Hochmoor-Gelbling            Experten und Auswertung der Literatur
Gelber Enzian, Arnika und die lange aus-      (Colias palaeno) und das Große Wiesen-         hat sich gezeigt, dass über alle taxonomi-

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Marc Förschler et al., Potenzial eines Nationalparks im Nordschwarzwald, NuL 44 (9), 2012, 273-281

schen Gruppen betrachtet im sehr lichten      hältnisse ist dabei nicht zu befürchten,               ruhestein.de; Dr. Hubert Höfer, hubert.hoefer@smnk.
Wald und im dichten Wald größer ist als       dass wegen des Nationalparks aktuell vor-              de; Dr. Adam Hölzer, hoelzer@naturkundeka-bw.de;
                                                                                                     Dr. Manfred Lieser, mfdlieser@t-online.de; Dr. Chris-
im mittel-lichten Wald (Müller 2012). In      kommende Arten verschwinden würden,                    tian Köppel, christian_koeppel@web.de; Arne Kolb,
der heutigen Forstwirtschaft dominieren       da einerseits das Nationalparkgebiet im                arne.kolb@ortenaukreis.de; Jürgen Marx, Juergen.
relativ junge und mittel-lichte Bestände.     Verhältnis zur restlichen Waldfläche des               Marx@lubw.bwl.de; Dr. Jörg-Uwe Meineke, joerg.
Sie kann daher einigen Arten nicht den        Schwarzwaldes, in der ja dank naturnaher               meineke@rpf.bwl.de; Hans-Werner Maternowski,
nötigen Lebensraum liefern, weil in be-       Waldwirtschaft auch Artenschutz prakti-                HW.Maternowski@t-online.de; Dr. Wolfgang Münch,
                                                                                                     biogis@web.de; Dr. Luise Murmann-Kristen, luise.
wirtschafteten Wäldern aufgrund ihrer         ziert wird, außerordentlich klein ist und              murmann-kristen@rpk.bwl.de; Erwin Rennwald,
Produktionsausrichtung die sehr lichten       andererseits zu erwarten ist, dass sich im             rennwald@onlinehome.de; Ilse Römpp, ilseroempp@
und sehr dunklen Extreme in der Regel         Nationalparkgebiet durch Zufallsereignis-              gmx.de; Klaus Roth, heide@roth-fds.de; Arno Scha-
fehlen. Sehr seltene Arten brauchen aber      se ein Mosaik aus jungen und alten, dich-              nowski, arno.schanowski@ilnbuehl.de; Franz-Josef
                                                                                                     Schiel, jupp@inula.de; ­Elmar Schelkle, elmar.schelk-
diese Extremlebensräume. Mehrere Über-        ten und lichten Flächen bildet, das die
                                                                                                     le@mlr.bwl.de; Dr. Wolfgang Schlund, wolfgang.
sichtsarbeiten belegen inzwischen über-       unterschiedlichen Lebensraumansprüche                  schlund@naturschutz­zentrum-ruhestein.de; Dr.
zeugend, dass, trotz aller Anstrengungen      der relevanten Arten abdeckt.                          Karl-Eugen Schroth, k.e.schroth@cw-net.de; Patrick
in naturnah bewirtschafteten Wäldern,             Ein Nationalpark im Nordschwarzwald                Stader, patrick.stader@naturschutzzentrum-ruhe-
unbewirtschaftete Waldflächen in Europa       wäre eine wichtige Ergänzung im Instru-                stein.de; Axel Steiner, a-steiner@web.de; Dr. Simone
                                                                                                     Stübner, Simone.Stuebner@Forst.bwl.de; Dr. Volker
und in Deutschland insgesamt deutlich         mentensatz von Naturschutz und Forst-
                                                                                                     Späth, volker.spaeth@ilnbuehl.de; Dr. Hendrik Tur-
artenreicher sind als Wirtschaftswälder       wirtschaft in Baden-Württemberg. Die                   ni,                                  h.turni@
(Vergleichsstudie für 120 Gebiete: Paillet    naturnahe Waldwirtschaft, die fast im                  t-online.de; Dr. Thomas Waldenspuhl, thomas.wal-
et al. 2010; siehe auch Müller & Leibl        ganzen Schwarzwald betrieben wird, wür-                denspuhl@forst.bwl.de; Thomas Wolf, Wolf.Th@
2011) und damit für die Umsetzung der         de auf kleiner Fläche um ein sich weitge-              t-online.de; Jörg.Ziegler, j.ziegler@landkreis-freu-
                                                                                                     denstadt.de; Peter Zimmermann, Peter.Zimmer-
Biodiversitäts-Strategie der Bundesregie-     hend ungesteuert entwickelndes Gebiet
                                                                                                     mann@rpk.bwl.de.
rung unverzichtbar sind. Im Bayerischen       ergänzt, indem es in den Kernzonen keine
Wald hat sich zudem gezeigt, dass erst der    Zielkonflikte mehr gibt und wo sich die
Nationalpark die Erhaltung und Wieder-        Natur entsprechend der standörtlichen
ausbreitung von vom Aussterben bedroh-        Rahmenbedingungen unabhängig entwi-
ter Arten wie der Zitronengelben Tramete      ckeln kann. Ein Nationalpark sollte dabei
und verschiedenen Urwaldkäferarten            nicht als segregatives Instrument betrach-
möglich gemacht hat (Müller 2012).            tet werden, sondern als wichtige und sinn-
    Wir gehen davon aus, dass auch in         volle Ergänzung zur naturnahen Wald-
­einem Nationalpark Schwarzwald eine          wirtschaft der Umgebung. Zusammen
Vielzahl seltener und vielleicht sogar ver-   könnten beide Ansätze der langfristigen
schwundener Arten aus den verschiedens-       Erhaltung der kompletten Artengemein-
ten Tiergruppen von der freien Dynamik        schaft des Schwarzwaldes dienen.
profitieren würden. In den bereits beste-
henden Naturschutzgebieten und Bann-          Dank
wäldern des Gebietes, in denen seit län-      Für kritische Kommentare und wichtige
gerer Zeit keine oder eine geringe Nutzung    Ergänzungen gilt unser Dank Dr. Ralf
stattfindet, ist diese Entwicklung bereits    Hand (Berlin), Jörg Klüber (Oppenau),
in kleinem Maßstab zu beobachten (Ben-        Andreas Müller (Freudenstadt), Jochen
se 2012, Bücking et al. 1998, Hohlfeld        Müller (Gaggenau), Prof. Dr. Albert Reif
1997).                                        (Freiburg), Manfred Senk (Kaltenbronn),
    Zur Entwicklung kompletter standort-      Dr. Pascal von Sengbusch (Freiburg) und
typischer Artengemeinschaften und zum         zwei anonymen Gutachtern. Zudem be-
Aufbau sich selbst tragender Populationen     danken wir uns bei Sönke Birk (Miesbach)
seltener Tier- und Pflanzenarten sind Na-     für Kartenmaterial und Grafiken zum
turschutzgebiete und Bannwälder aller-        Suchraum.
dings zu klein. Nur durch ein großflächi-
ges Schutzgebiet, wie es ein Nationalpark     Literatur
bieten würde, kann dieses erreicht wer-       Das umfangreiche Literturverzeichnis ist
den. Die bisher durch Arten der Verjün-       aus Platzgründen in der etwas ausführli-
gungs- und Optimalphase geprägte Arten-       cheren Online-Version dieses Beitrags zu
vielfalt des Nordschwarzwaldes könnte         finden unter www.nul-online.de Service
dadurch mittel- bis langfristig deutlich      Download.
erhöht werden, da insbesondere Tier-,         Anschrift der Verfasser(innen): Dr. Marc Förschler,
                                              Naturschutzzentrum Ruhestein, Schwarzwaldhoch-
Pflanzen- und Pilzarten der mosaikartig
                                              straße 2, 77889 Seebach (Postadresse gilt für alle
auftretenden dichteren Alters- und der        Autoren), E-Mail: marc.foerschler@naturschutzzen-
lichten Zusammenbruchsphase mit viel          trum-ruhestein.de; Ulrich Bense, Bense.Uli@t-online.
Totholz, auf das rund 20 – 50 % der hei-      de; Prof. Peter Berthold, berthold@orn.mpg.de; Dr.
mischen Arten angewiesen sind (Schaber-       Christian Dietz, ChristianDietzHorb@web.de; Dieter
                                              Doczkal, dieter.doczkal@googlemail.com; Ulrich
Schoor 2008), vollständig fehlen oder sehr
                                              Dorka, ulrich.dorka@gmx.de; Charly Ebel, charly.
selten und nur lokal verbreitet sind.         ebel@naturschutzzentrum-ruhestein.de; Wolfram
    Schon allein aufgrund der Größenver-      Hessner, wolfram.hessner@naturschutzzentrum-

                                                                                                                                                   281
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