Konzerne. Staudämme. Menschenrechte - Tätigkeiten eines österreichischen Unternehmens im Ausland und damit verbundene extraterritoriale ...

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Konzerne. Staudämme. Menschenrechte - Tätigkeiten eines österreichischen Unternehmens im Ausland und damit verbundene extraterritoriale ...
Konzerne.
Staudämme.
Menschenrechte.
Tätigkeiten eines österreichischen Unternehmens
im Ausland und damit verbundene extraterritoriale
Staatenpflichten Österreichs
Titelbild: Xingu Fluss, Brasilien (15. Juni, 2012)
300 Indigene, Kleinbäuer_innen, Fischer_innen und lokale Bewohner_innen
besetzen den Belo Monte Damm und graben einen Schacht frei, um den
natürlichen Lauf des Xingu wieder herzustellen.
(Foto: Atossa Soltani/ Amazon Watch / Spectral Q)

März 2015

Herausgeberin:
FIAN Österreich
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FIAN ist eine internationale Menschenrechtsorganisation.
Wir treten für eine Form der Globalisierung ein, in der alle Men-
schenrechte respektiert werden. Wir kämpfen dafür, dass alle
Menschen frei von Hunger leben und sich selbst ernähren kön-
nen. FIAN wurde 1986 gegründet und arbeitet unabhängig von
politischen Gruppen, Parteien und Regierungen. FIAN Öster-
reich besteht seit 1989 und ist Teil von FIAN International.

Autorin: Sophie Veßel (mit Unterstützung von Kerstin Feurstein)
absolvierte das Diplomstudium Internationale Entwicklung
und das European Master’s Programme in Human Rights and
Democratisation. Sie ist Mitglied des Vorstands von FIAN
Österreich und in der Entwicklungspolitik tätig.

Grafik/Layout: Sebastian Köck www.sebastiankoeck.at

Mit freundlicher Unterstützung der Österreichischen Entwicklungs-
zusammenarbeit. Für den Inhalt sind allein die Herausgeber verant-
wortlich. Der Inhalt kann in keiner Weise als Standpunkt der Öster-
reichischen Entwicklungszusammenarbeit angesehen werden.

2
Inhalt
1.   Einleitung                                       4

2.   Tätigkeiten eines österreichischen Unter-		      5
     nehmens im Ausland und das Menschenrecht
     auf Nahrung - am Beispiel Andritz in Brasilien
     und Laos

3.   Menschenrechtliche Pflichten von Staaten         9
     jenseits der Grenzen

4.   Unternehmensverantwortung und                    12
     Menschenrechte

5.   Österreichs extraterritoriale Staatenpflichten   14
     - am Beispiel Andritz in Brasilien und Laos

6.   Schlussfolgerungen                               17

                                                           3
1) Einleitung
                                                               Staatengemeinschaft sollte sich Österreich außerdem
                                                               für internationale Rahmenbedingungen einsetzen,
                                                               die eine angemessene Regulierung von Unternehmen
                                                               ermöglichen. Ziel dieser Studie ist es daher aufzuzei-
                                                               gen, welche extraterritorialen Pflichten („extraterri-
                                                               torial obligations“ = ETOs) der österreichische Staat
                                                               hinsichtlich der Akti-
                                                               vitäten österreichischer    Im Menschenrechtssystem
                                                               Unternehmen im Aus-           sind primär die Staaten
  In vielen Fällen von
                                                                                              dafür verantwortlich,
Menschenrechtsverlet-                                          land hat und wo Hand-
                                                                                            Menschen vor Menschen-
zungen nehmen private                                          lungsbedarf besteht, um
                                                                                             rechtsverstößen durch
 Unternehmen eine un-                                          diesen Pflichten nachzu-    Unternehmen zu schützen.
  rühmliche Rolle ein.             Als internationale Men-     kommen.
                                schenrechtsorganisation
    für das Recht auf Nahrung unterstützt FIAN in seiner           Beispielhaft geschieht dies im Rahmen der vorlie-
    täglichen Arbeit weltweit Menschen, deren Recht auf        genden Studie anhand der Involvierung des Unterneh-
    Nahrung verletzt wird. In vielen Fällen von Menschen-      mens Andritz in zwei Staudammprojekte sowie deren
    rechtsverletzungen nehmen private Unternehmen eine         Auswirkungen auf das Recht auf Nahrung und andere
    unrühmliche Rolle ein. Sie setzen zum Beispiel private     Menschenrechte. Die sich daraus erschließenden Em-
    Sicherheitskräfte ein, um Protest gewaltsam zu unter-      pfehlungen zeigen allerdings die Lücken auf, die eine
    drücken, oder verschmutzen Böden und Flüsse, die           grundlegend mangelhafte Regulierung österreichi-
    der lokalen Bevölkerung als Lebensgrundlage dienen.        scher Unternehmenstätigkeiten im Ausland betrifft.
    Diese Unternehmen haben ihren Sitz oft außerhalb des       Die vorliegende Studie geht nicht auf Forderungen
    Landes, in dem sie tätig sind, oder sind als transna-      an österreichische Unternehmen ein, sondern konzen-
    tionale Konzerne (TNCs) organisiert. Auch österrei-        triert sich auf staatliche menschenrechtliche Pflichten.
    chische Unternehmen sind im Ausland aktiv - ganz           Für an Unternehmen adressierte Forderungen ver-
    nach dem Motto der österreichischen Wirtschaftskam-        weisen wir auf die Arbeit der Dreikönigsaktion, dem
    mer „Austria ist überall“. In vielen Fällen steht dieses   Hilfswerk der Katholischen Jungschar, des Netzwerks
    Engagement im Einklang mit den Menschenrechten,            Soziale Verantwortung und von ECA Watch Öster-
    jedoch sind auch Verstöße gegen Menschenrechte             reich/ Finance & Trade Watch1.
    zu verzeichnen, wie in der vorliegenden Studie am
    Beispiel Andritz dargelegt wird. Auch andere österrei-
    chische Unternehmen oder TNCs mit österreichischer
    Involvierung sind an Projekten beteiligt, die negative
    Auswirkungen auf Menschenrechte im Ausland haben.
    Das Beispiel Andritz dient somit als Anregung, weitere
    Fälle zu dokumentieren und sowohl Unternehmen wie
    auch den österreichischen Staat zur Verantwortung zu
    ziehen.

        Im Menschenrechtssystem sind primär die Staaten
    dafür verantwortlich, Menschen vor Menschenrechts-
    verstößen durch Unternehmen zu schützen. In Fällen
    international agierender Unternehmen betrifft diese
    Schutzpflicht nicht nur jene Staaten, in denen die Ver-
    stöße stattfinden, sondern auch Staaten wie Öster-
    reich, die eine hinreichende Verbindung zu den ver-
    antwortlichen Unternehmen haben. Als Mitglied der

    4
2) Tätigkeiten eines österreichischen
Unternehmens im Ausland und das
Menschenrecht auf Nahrung - am
Beispiel Andritz in Brasilien und Laos

Die Andritz AG                                           institutionellen Anleger aus dem angelsächsischen
                                                         Raum, aber auch aus Österreich und Deutschland. Die
    Die Andritz AG ist ein internationaler Technolo-     meisten Privataktionäre kommen aus Österreich und
giekonzern und gehört mit einem Nettoumsatz von          Deutschland7.
5,7 Milliarden Euro im Jahr 20132 zu den größten
österreichischen Unternehmen. Der Hauptsitz der
Andritz AG befindet sich in Graz. Das Unternehmen            Die Finanzierung der Projekte von Andritz wird
wurde 1852 als Eisengießerei gegründet; zu Beginn        zum einen von Privatbanken und der Oesterreichi-
des zwanzigsten Jahrhunderts wurde es in eine Ak-        schen Kontrollbank (OeKB) bereitgestellt. Die OeKB
tiengesellschaft umgewandelt. Die Produktpalette         handelt im Auftrag der Bundesregierung als offizielle
des Unternehmens hat sich in den letzten Jahrzehn-       Entwicklungsbank der Republik Österreich mit öffent-
ten vervielfältigt, vor allem durch die Übernahme von    lichen Geldern. Ein Beispiel für eine übliche Projekt-
mehr als sechzig Unternehmen weltweit. Heute gehört      finanzierung von Andritz ist ein Projektauftrag zum
die Andritz AG zu den weltweit führenden Techno-         Bau eines Wasserkraftwerks in Vietnam, bei dem die
logielieferanten für Wasserkraftwerke, Zellstoff- und    Finanzierung von der Raiffeisenbank OÖ strukturiert
Papierindustrie, Metallverarbeitende Industrie und       wurde und die OekB durch eine Refinanzierungszusage
Stahlindustrie sowie im Bereich kommunale und in-        und eine Garantie das politische und wirtschaftliche
dustrielle Fest-Flüssig-Trennung. Seit dem Jahr 2001     Risiko übernommen hat8. Zum anderen werden die
notiert die Andritz-AG an der Wiener Börse. Weltweit     Projekte der Andritz-Gruppe auch von Privatversi-
beschäftigt das Unternehmen rund 24.100 Mitarbei-        cherern getragen, wie im Fall des Ilisu Staudamms in
ter_innen und verfügt über mehr als 250 Produktions-     der Türkei. Nach scharfer Kritik am Projekt haben
stätten sowie Service- und Vertriebsgesellschaften auf   Österreich, Deutschland und die Schweiz die Staats-
der ganzen Welt3.                                        garantien für das Milliardenprojekt abgelehnt. Die
                                                         Andritz-Gruppe wandte sich anschließend an private
    Zurzeit befinden sich 25 Prozent und eine Aktie      Versicherer. Andritz übernahm die Verträge der zwei
(Sperrminorität) im Besitz der SASR Achtundfünfzig-      weiteren Zuliefererfirmen Alstom und Züblin, die sich
ste Beteiligungsverwaltung GmbH mit Sitz in Wien.        ebenfalls aufgrund der u.a. menschenrechtlichen Kritik
Diese gehört zu 100 Prozent der Custos Privatstiftung    der durch die Exportkreditagenturen eingesetzten Ex-
des Vorstandsvorsitzenden Dr. Leitner4. CEO Leit-        pert_innenkommission zurückgezogen hatten9. Bei der
ner verfügt damit operativ und als Miteigentümer         Finanzierung eines der bekanntesten Bauprojekte der
über eine große Gestaltungsmacht im Unternehmen.         Andritz-Gruppe, nämlich des Belo Monte-Staudamm-
Die MANILE Privatstiftung mit Sitz in Graz verfügt       projekts in Brasilien, wurde laut der Beantwortung
über die zu 100 Prozent in ihrem Eigentum stehenden      einer parlamentarischen Anfrage durch das öster-
Beteiligungsgesellschaften Certus Beteiligungs-GmbH      reichische Finanzministerium vom 10. September
sowie Salapo Beteiligungsverwaltungs GmbH direkt         2008 keine Bundeshaftung für das Andritz-Engage-
und indirekt über 5 Prozent der Stimmrechte über         ment am Staudamm Projekt in Brasilien übernommen.
Andritz Aktien5. Die Manile Privatstiftung gehört den    Trotzdem hat die Andritz-Gruppe seit 1. Jänner 2008
Kindern von CEO Leitner6. Die restlichen knapp 70        von risikoadäquaten Haftungsentgelten im Wert von
Prozent befinden sich im Streubesitz: ungefähr 9,23      1,7 Milliarden Euro profitiert. Dies zeigt, dass das Un-
Prozent gehören der Capital Group Companies, Inc.        ternehmen - trotz Beteiligung an international kriti-
und 5,47 Prozent der FMR LLC (Fidelity Manage-           sierten Projekten - Exportförderungen in hohem Maß
ment & Research). Laut Andritz kommen die meisten        erhält10.

                                                                                                               5
Das Belo Monte-                                            seit Projektplanungsbeginn zwar stark reduziert, aber
        Staudamm-projekt                                           beläuft sich weiterhin auf etwa 516 km². Außerdem
        in Brasilien                                               wird weiterhin davon ausgegangen, dass sich das Pro-
                                                                   jekt auf insgesamt 1.522 km² Fläche auswirken wird15.
           Die Andritz-Gruppe gab im Jahr 2011 bekannt,
       dass sie einen Auftrag über Turbinen, Generato-                 Da durch das Projekt stark in den Flusslauf des
       ren und andere technische Ausrüstung im Wert von            Xingu eingegriffen und er von einem fließenden zu
                                    ungefähr 330 Millionen         einem stehenden Gewässer wird, wird dies die Was-
Das Wasserkraftwerk Belo            Euro von der Norte Ener-       serqualität negativ beeinflussen. Durch die verrin-
Monte soll mit einer maxi-          gia, Brazil, zur Beteiligung   gerte Fließgeschwindigkeit können vermehrt Krank-
  malen Gesamtleistung
                                    am Bau des umstrittenen        heiten wie Malaria auftreten. Nicht nur Tier- und
 von mehr als 11 Gigawatt
                                    Belo Monte-Staudamms in        Pflanzenarten verlieren durch die Veränderung des
 nach dem Drei-Schluch-
 ten- Staudamm in China             Brasilien erhalten hat. Der    Ökosystems ihren natürlichen Lebensraum, auch die
und dem Itaipú-Staudamm Projektauftrag wird durch                  Lebensgrundlage der indigenen Bevölkerung und der
  an der Grenze zwischen            das Konsortium Alstom          Flussbewohner_innen wird durch das Projekt gefähr-
 Brasilien und Paraguay             (Konsortiumsvorsitz), An-      det, da diese hauptsächlich von Subsistenzwirtschaft
    das drittgrößte Was-            dritz und Voith abgewick-      auf der Basis von Fischfang leben. Es ist wahrschein-
   serkraftwerk der Welt            elt11. Die Andritz-Gruppe      lich, dass die landwirtschaftlichen Produktionsmög-
          werden.                   hat bereits mehrfach Aus-      lichkeiten - und somit vielfach die Existenzgrundlage -
                                    rüstung für Staudämme          der Fluss-Anrainer_innen auf Grund des umgeleiteten
       in Brasilien geliefert, unter anderem in Tucuruí, Serra     Wasserflusses stark eingeschränkt werden16.
       da Mesa und Capim Branco. Außerdem liefert(e) das
       Unternehmen Ausrüstung für die Staudamm-Projekte               Wie bereits bei anderen Großstaudammprojek-
       Jirau und Santo Antônio aus, womit Belo Monte also          ten im Amazonas ist mit einer starken Zunahme der
       keinen Einzelfall darstellt. Das Ziel der brasilianischen   lokalen Migration zu rechnen. Laut Einschätzung
       Regierung ist es, zukünftig vermehrt Staudammpro-           der Stadtverwaltung von Altamira wird sich die Ein-
       jekte im Amazonasgebiet zu realisieren12. Laut einem        wohner_innenzahl der Provinzhauptstadt durch das
       Interview mit dem Geschäftsführer der Brasilien-            Staudammprojekt von rund 100.000 sprunghaft auf
       Tochter der Andritz-Gruppe, Sérgio Parada, sind somit       rund 140.000 erhöhen17. Nach Fertigstellung der
       weitere Expansionen im Sektor anzunehmen und An-            Bauarbeiten würden aber langfristig nur ca. 700 Ar-
       dritz Hydro13 strebt die Marktführerschaft in Brasilien     beitsplätze im Staudamm-
       an14.                                                       projekt erhalten bleiben18.     Bereits jetzt lassen sich
                                                                   Da es keine ausreichende      verheerende Konsequen-
            Das Wasserkraftwerk Belo Monte soll mit einer          Wohn- und Nutzfläche gibt,          zen feststellen.
        maximalen Gesamtleistung von mehr als 11 Gigawatt          wird mit einem Anstieg von
        nach dem Drei-Schluchten-Staudamm in China und             illegalem Holzeinschlag, Brandrodungen, illegaler
        dem Itaipú-Staudamm an der Grenze zwischen Bra-            Landnahme und Landspekulation gerechnet. Bereits
        silien und Paraguay das drittgrößte Wasserkraftwerk        jetzt lassen sich verheerende Konsequenzen feststellen.
        der Welt werden. Das Staudammprojekt Belo Monte            Die Stadt Altamira war nicht auf die Massenmigration
        umfasst zwei große Staumauern und ein System von           vorbereitet. Das hatte besonders schwerwiegende Fol-
        Deichen und Dämmen im brasilianischen Bundesstaat          gen auf das Gesundheits- und Bildungssystem und die
        Pará im Nordwesten Brasiliens am Fluss Xingu. Ca.          Infrastruktur. So wurden Abwässer ungefiltert in den
        80 Prozent des Wassers werden über einen Kanal auf         Rio Xingu abgeleitet, was zu einer zunehmend schlech-
        derzeit trockenes Land umgeleitet. Das Wasser wird         teren Wasserqualität führte und die Lebensbedingun-
        vom ökologisch besonders wertvollen Flussabschnitt         gen der flussabwärts lebenden Bevölkerung zusehends
        der „Volta Grande“ (Große Schleife) abgezweigt, was        verschlechterte. Im Jahr 2013 ist allerdings Norte
        verheerende Auswirkung für das Ökosystem und die           Energia laut eigenen Angaben für die Klärung von
        dort lebenden Menschen hat. Durch die Staumauern           Abwässern aufgekommen. Außerdem kam es bereits
        büßt der Fluss die Saisonalität seiner Wasserführung       zu einem Anstieg von Kriminalität, Drogenkonsum
        ein. Es ist aber gerade dieser Wechsel aus Trockenperi-    und Zwangsprostitution19.
        oden und Überschwemmung, der die Besonderheit der
        vielfach nur dort anzutreffenden Tier- und Pflanzen-          Der Konzessionsvertrag für Belo Monte wurde am
        welt hervorgebracht hat. Die Flutungsfläche wurde          26. August 2010 in Anwesenheit des brasilianischen

        6
Präsidenten Lula unterzeichnet. Am 7. März 2011            nen und Vertreter_innen der engagierten Bewegungen
      begann der Bau, die teilweise Inbetriebnahme ist für       vermuten laut Dreikönigsaktion jedoch viel höhere
      2015 geplant und die komplette Fertigstellung für das      Zahlen direkt Betroffener25. Drei Gemeinden sind von
      Jahr 201920.                                               der Überflutung betroffen. Die am stärksten betrof-
                                                                 fene Stadt ist Altamira. 51,9 Prozent der Staufläche
          Der Fluss Xingu wird teilweise umgeleitet, ohne        entfallen auf diese Stadt, 48 Prozent fallen auf Vitória
      auf die Abschließung der Umweltgutachten zum Pro-          do Xingu und 0,1 Prozent auf Brasil Novo26. Vielen
      jekt zu warten und gegen die Einsprüche der Staatsan-      der betroffenen Menschen wird zur Entschädigung für
      waltschaft21 (rund 50 Prozesse, die andauern22). So-       ihren Verlust von Haus und Grundstück Geld ange-
      wohl die Bundesverfassung Brasiliens (Artikel 231) als     boten, das jedoch nicht einmal zum Kauf eines neuen
      auch die 2002 von Brasilien ratifizierte ILO-Konven-       Grundstücks genügt. Viele Häuser der riesigen Sied-
                                   tion 169 und die Erklärung    lungen, deren Bau vom Kraftwerksbetreiber Norte En-
    Die Interamerika-              der Vereinten Nationen        ergia beauftragt wurde, weisen bereits vor dem Einzug
   nischen Menschen-               über die Rechte der indige-   erhebliche Sicherheitsmängel auf27.
    rechtskommission
                                   nen Völker sichert den von
  forderte Brasilien auf
                                   Großinfrastrukturprojek-         Trotz breiter nationaler und internationaler Kritik
 den Lizenzierungsproz-
 ess und jegliche Bauar-           ten betroffenen indigenen     am Staudammprojekt und der Aufforderung diverser
   beiten umgehend zu              Völkern      Konsultations-   sozialer Bewegungen und NGOs, sich aus dem Projekt
        unterbinden.               rechte zu. Dieses Kon-        zurückzuziehen, weist Andritz jede Verantwortung
                                   sultationsrecht wurde im      zurück und beruft sich auf die Einhaltung geltender
      Belo Monte-Staudammprojekt missachtet. Die Inter-          Gesetze und die Respektierung rechtsstaatlicher und
      amerikanische Menschenrechtskommission (IACHR)             demokratischer Prozesse in Brasilien. Weiters argu-
      forderte Brasilien 2011 auf, den Lizenzierungsprozess      mentiert Andritz, dass die eigene Rolle im Fall von
      und jegliche Bauarbeiten umgehend zu unterbinden,          Belo Monte auf jene eines Zulieferers begrenzt sei, und
      bis die Einhaltungen von vier Minimalbedingungen           man als solcher keinen Einfluss auf das Gesamtprojekt
      erfüllt sind: Prozesse der Konsultation durchführen,       habe und dass alle erforderlichen Genehmigungen und
      den Zugang zu den Dokumenten über die ökologi-             Bewilligungen für das Projekt vorlägen28.
      schen Auswirkungen des Projekts in angemessener
      Form, Maßnahmen zum Schutz der freiwillig isoliert
      lebenden indigenen Völker und Maßnahmen gegen              Das Xayaburi-Staudamm-
      die Verbreitung von Krankheiten und Epidemien, die         projekt in Laos
      auf Grund des Projekts unter den indigenen Gemein-
      schaften auftreten können23. Auch das Expert_innen-            Der Belo Monte-Staudamm in Brasilien ist nicht
      komitee der ILO ersuchte die brasilianische Regierung,     das einzige unter Kritik stehende Staudammprojekt,
      die erforderlichen Maßnahmen zur Durchführung              an dem die Andritz-Gruppe beteiligt ist. Im April 2014
      von Konsultationen der betroffenen indigenen Völker        reichte ECA Watch Österreich eine Beschwerde gegen
      gemäß Artikel 6 und 15 der Konvention 169 zum Bau          die Andritz AG beim im Wirtschaftsministerium an-
      des Wasserkraftwerks Belo Monte zu treffen, bevor          gesiedelten Nationalen Kontaktpunkt ein, der mit
      mögliche schädliche Auswirkungen dieses Projekts           der Einhaltung der OECD-Leitsätze für multinatio-
                                irreversibel sind. Es forderte   nale Unternehmen befasst ist. Darin wirft ECA Watch
Trotz Protesten ist der         die brasilianische Regierung     dem Unternehmen die Beteiligung am Xayaburi-Stau-
Staudamm bereits zur            außerdem auf, für den Fall       dammprojekt in Laos vor, die trotz des Wissens über
 Hälfte fertiggestellt.         der Beeinträchtigung der In-     die Menschenrechtlage und Umweltauswirkungen
                                teressen der indigenen Völk-     eingegangen wurde29.
      er festzustellen, in welchem Umfang Maßnahmen zur
      Risikobegrenzung und entsprechende Entschädigun-              Ende 2012 begannen die Arbeiten am Xaya-
      gen getroffen werden müssen24. Trotz Protesten ist         buri-Staudamm in Laos am Mekong, dem größten
      der Staudamm bereits zur Hälfte fertiggestellt. Da die     Fluss Südostasiens. Der Mekong fließt durch China,
      Angaben stark variieren, ist nur schwer abzuschätzen,      Myanmar, Laos, Thailand und Kambodscha zum Me-
      wie viele Menschen von einer Umsiedlung betroffen          kong-Delta in Vietnam. Im Mekong-Flussgebiet leben
      sind. Laut Andritz sind 4.500 Menschen betroffen.          rund 60 Millionen Menschen. 80 Prozent der Bevöl-
      Brasilianische Regierungsangaben von 2009 spre-            kerung ist vom unteren Mekong-Gewässer und seinem
      chen von über 19.000 Menschen, Wissenschafter_in-          komplexen Nebenflussnetzwerk direkt abhängig, da

                                                                                                                       7
ihnen dieses Gebiet als Hauptnahrungsquelle dient30.      welcher die Lebensgrundlage der lokalen Bevölkerung
       Unter anderem werden Gemüse, Obst und Reis an-            bildet34. Wildtier- und Umweltexpert_innen kritisie-
       gebaut. Das Mekong-Delta gilt als die Reiskammer          ren, dass der Staudamm die Wanderung der Fische
       Südostasiens. Ohne die vom frei fließenden Mekong         extrem reduzieren wird. Infolgedessen gäbe es verhee-
       im Delta abgelagerten Sedimente werden große land-        rende Folgen für thailändische und kambodschanische
       wirtschaftliche Anbauflächen verschwinden31.              Fischer_innengemeinden am Mekong. Das Projekt
                                                                 könnte auch das Aussterben von ausschließlich im Me-
           Das Xayaburi-Staudammprojekt in Laos wird             kong vorzufindenden Arten wie des Mekong-Riesen-
       von einer der größten thailändischen Baufirmen, Ch.       wels zur Folge haben35. Der Staudamm könnte Fischmi-
       Karnchang, durchgeführt. Der Staudamm soll 820 Me-        grationen für zwischen 23 und 100 verschiedene Arten
                                 ter breit und 30 Meter hoch     blockieren und somit zu ihrem Aussterben führen36.
   Jedoch wird die vom           werden. Finanziert wird das     Projektleiter_innen des Xayaburi-Staudamms haben
   Xayaburi-Staudamm             Xayaburi Projekt von sechs      eine Aufstiegshilfe für Fische versprochen, allerdings
gewonnene Energie nicht          kommerziellen      thailändi-   wird dies von Wildtier- und Umweltexpert_innen stark
 für die laotische Bevölk-       schen Banken wie auch der       angezweifelt. Der WWF gibt zu bedenken, dass es
erung verwendet werden.
                                 staatseigenen thailändischen    „keine international akzeptierte, technologisch bewie-
                                 Krung Thai Bank. Die lao-       sene Lösung für die Milderung der Auswirkungen des
       tische Regierung hat es sich zum Ziel gemacht, Laos       Xayaburi Staudammes bezüglich der Migration von
       zum größten Hauptenergiehersteller Südostasiens zu        Fischen und Sedimentsströmen gibt“37.
       machen. Mehr als die Hälfte der laotischen Bevöl-
       kerung hat derzeit keinen direkten Stromzugang. Je-          Nicht nur für den Fischfang, sondern auch für die
       doch wird die vom Xayaburi-Staudamm gewonnene             Landwirtschaft wird das Projekt verheerende Folgen
       Energie nicht für die laotische Bevölkerung verwen-       haben. Bewohner_innen aus mindestens 15 Dörfern
       det werden. Thailands Energiekonzern EGAT ver-            müssen umgesiedelt werden. Die landwirtschaftliche
       pflichtete sich rund 95 Prozent der erzeugten Energie     Fläche von rund 200.000 Menschen wird geflutet und
       zu kaufen, also nach Thailand zu exportieren. Der Xa-     ihr Fischfang vermindert werden. Laut International
       yaburi Staudamm gilt als eines der wichtigsten Projekte   Rivers entstanden bereits am Baubeginn des Xayaburi
       in der Region, da er das erste Projekt von weiteren       Staudamms Gefahren für die Ernährungssicherheit in
       elf geplanten Wasserkraftanlagen im Hauptstrom des        der Region38.
       Mekong-Beckens ist. Zusätzlich sind 77 weitere Kraft-
       werke in Nebenflüssen geplant. Energieexpert_innen            Die Kritik an diesem Projekt kommt nicht nur von
       aus Thailand kamen zum Entschluss, dass Thailand          Seiten der einheimischen Bevölkerung, NGOs und der
       nicht vom Strom des Xayaburi-Staudamms abhän-             Weltbank39. Auch in den flussabwärts gelegenen Län-
       gig ist, um seine wachsende Energienachfrage decken       dern Vietnam und Kambodscha häuft sich die Kritik.
       zu können. Die laotische Regierung verspricht sich        Gemäß eines 1995 abgeschlossenen Vertrags zwi-
       während der 29-jährigen Konzession einen Gewinn           schen Kambodscha, Laos, Thailand und Vietnam sind
       von insgesamt 4 Milliarden US Dollar (135 Millionen       die jeweiligen Staaten verpflichtet, die Zustimmung
       US Dollar pro Jahr). Die Kosten des Projektes wurden      der jeweiligen Vertragspartner vor Baubeginn eines
       auf 3,5 Milliarden US Dollar berechnet32.                 Staudamms im Mekong
                                                                 zu suchen. Die „vorherige      Nicht nur für den Fisch-
           Aus einem internationalen Bieterverfahren ging die    Rücksprache“ wird von           fang, sondern auch für
       Andritz Hydro mit europäischen und asiatischen An-        der Mekong River Kom-          die Landwirtschaft wird
       bietern als Bestbieter hervor. Die Andritz Hydro plant    mission unterstützt. Die       das Projekt verheerende
       sieben Kaplanturbinen mit einer Leistung von jeweils      Mekong River Kommis-                 Folgen haben.
       175 Megawatt sowie eine weitere Kaplanturbine (68,8       sion wurde mit dem 1995
       Megawatt) einschließlich Generatoren und Regler,          abgeschlossenen Vertrag gegründet und hat den Auf-
       Automatisierung sowie Zusatzausrüstungen zu lief-         trag, Programme und Strategien zu entwickeln, die
       ern. Der Auftrag beläuft sich auf rund 300 Millionen      zur Unterstützung von nachhaltigem Management
       Euro33.                                                   und zur Entwicklung des Wassers und dessen verbun-
                                                                 denen Rohstoffen dienen sollen40. Vietnam und Kam-
          Die Realisierung dieses Milliardenprojekts könnte      bodscha haben sich im Jänner 2013 bei einem Treffen
       jedoch für die mehr als 60 Millionen Menschen ver-        der Kommission gegen den Damm ausgesprochen und
       heerend werden. Laut WWF-Experte Georg Scattolin          verlangten die Unterbrechung der Arbeiten. Vietnam
       wird der Fischfang um rund 40 Prozent zurückgehen,        verlangte, dass keine Dämme gebaut werden soll-

       8
ten, bevor eine gemeinsam vereinbarte, unabhängige         der (möglichen) Einschränkung des Fischfangs und
     Studie über die Auswirkungen des Damms abgeschlos-         der landwirtschaftlichen Produktion, der Vertreibun-
     sen wäre41.                                                gen, der Verschmutzung
                                                                des Flusswassers und der         Die Rechte der betrof-
         Bei einer Pressekonferenz Anfang August 2014, bei      schwerwiegenden Folgen         fenen   indigenen Völker,
                                                                                              unter anderem das Recht
     der auch der Vize-Gouverneur von Xayaburi und an-          auf das Gesundheits- und
                                                                                                auf freiwillige, vorhe-
     dere Regierungsmitglieder anwesend waren, wurde al-        Bildungssystem      werden
                                                                                               rige und in Kenntnis der
     lerdings bestätigt, dass bereits 40 Prozent des Baus am    das Recht auf Nahrung          Sachlage erteilte Zustim-
     Wasserkraftwerk abgeschlossen seien42. Bereits jetzt       und das Recht auf Wasser,         mung,werden nicht
     sehen sich viele Bewohner_innen aus der Region nicht       aber auch das Recht auf                  gewahrt.
     mehr in der Lage, Fischfang oder Landwirtschaft zu         Wohnen, Gesundheit und
     betreiben, da die Auswirkungen bereits spürbar seien43.    Bildung der Bevölkerung beeinträchtigt. Des Weiteren
                                                                werden die Rechte der betroffenen indigenen Völker,
        Durch die beiden Staudammprojekte in Brasil-            unter anderem das Recht auf freiwillige, vorherige und
     ien und Laos werden verschiedene Menschenrechte            in Kenntnis der Sachlage erteilte Zustimmung nicht
     der lokalen Bevölkerung beeinträchtigt. Aufgrund           gewahrt44.

     3) Menschenrechtliche Pflichten von
     Staaten jenseits der Grenzen
     Die Pflicht von Staaten,                                   nehmen, zu schützen. In der Praxis bedeutet das, dass
     Menschenrechte vor                                         sie im Völkerrecht eingegangene Verpflichtungen inner-
     Eingriffen durch Nicht-                                    staatliches Recht umsetzen45, Unternehmen durch
     staatliche Akteur_innen                                    dieses regulieren, die Umsetzung des Rechts kontrol-
     zu schützen                                                lieren und Verstöße ahnden. Nach vorherrschender
                                                                territorialer Interpretation des Menschenrechts46 gilt
          Nach dem Zweiten Weltkrieg unterzeichneten            die staatliche Schutzpflicht vorrangig gegenüber Men-
      die damaligen Mitgliedsstaaten der drei Jahre zu-         schen, die sich im eigenen Territorium aufhalten. Das
      vor gegründeten Vereinten Nationen die Allgemeine         bedeutet für die dargelegten Menschenrechtsverlet-
      Erklärung der Menschenrechte, in der eine breite Pa-      zungen in Brasilien und Laos, dass primär diese Staa-
      lette von Rechten aller Menschen festgehalten wurde.      ten ihre Bevölkerung vor Eingriffen durch Unterneh-
                                  Dieser Erklärung folgten      men schützen müssen.
  Staaten sind verpflich-         zahlreiche weitere, die die
 tet, die Menschenrechte          bürgerlichen, kulturellen,
   vor Eingriffen durch           politischen, sozialen und     Menschenrechtsschutz
nicht-staatliche Akteur_          wirtschaftlichen    Rechte    auch jenseits von
innen, zum Beispiel Un-           eines jeden Menschen fest-    Grenzen
ternehmen, zu schützen. schreiben. Für den Schutz
                                  und die Verwirklichung            Gerade in Zeiten der Globalisierung hält diese ter-
      dieser Rechte sind laut Völkerrecht primär die Staaten    ritoriale Interpretation der Menschenrechte der Rea-
      verantwortlich. Sie sind verpflichtet, Menschenrechte     lität nicht stand. Denn Handlungen wie auch die Un-
      zu achten, zu schützen und zu gewährleisten. In Be-       tätigkeit von Staaten, internationalen Organisationen
      zug auf Unternehmenstätigkeiten ist insbesondere die      und nicht-staatlichen Akteur_innen beeinflussen insbe-
      zweite dieser drei Pflichten relevant. Die Staaten sind   sondere wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte
      verpflichtet, die Menschenrechte vor Eingriffen durch     (WSK-Rechte) weltweit, etwa indem sie durch Land
      nicht-staatliche Akteur_innen, zum Beispiel Unter-        Grabbing den Zugang von Menschen zu Nahrung,

                                                                                                                     9
Land und anderen Ressourcen beeinträchtigen. Viele         biläums der Weltmenschenrechtskonferenz von 1993
         Menschenrechtsverletzungen haben ihren Ursprung            in Wien stattfand, in der Abschlussdeklaration fest:
         weit entfernt von dem Ort, an dem sie stattfinden. Sie     „Ohne die Akzeptanz und Umsetzung extraterritoria-
         sind zum Beispiel Folge von internationalen Investi-       ler Pflichten können Menschenrechte weder universell
         tionen und Handel (deren Bedingungen in zwischen-          verwirklicht werden noch können sie eine wesentliche
         staatlichen Verträgen festgehalten werden), werden         Rolle in der Regulierung der Globalisierung spielen.
         von subventionierten Agrarexporten und Klimapoli-          Staaten sind aufgefordert, diese Pflichten vollständig
         tiken anderer Länder oder aber von transnationalen         als zentrale Richtlinien in ihr Recht, ihre Politiken und
         Konzernen verursacht.                                      Praktiken auf nationaler und internationaler Ebene zu
                                                                    integrieren und die Existenz von Rechtsmitteln zu ga-
            Der Staat, in dem Menschenrechte verletzt werden,       rantieren.“ (übersetzt von der Autorin)50.
        nimmt seine rechtliche Pflicht, seine Bevölkerung zu
        schützen, und oft auch die Pflicht deren Menschen-             ETOs untergraben dabei nicht die Souveränität an-
        rechte selbst zu achten, in unzähligen Fällen nicht         derer Staaten, denn jeder Staat muss annehmen, dass
        wahr - sei es, weil er ökonomischen Interessen Vor-         ein anderer Staat seine menschenrechtlichen Pflichten
                                rang gibt, Korruption im Spiel      erfüllen will. Im Gegenteil - die Souveränität wird von
 Viele Menschenrechts-          ist oder aber er der Macht          der fehlenden Regulierung von TNCs gefährdet und
  verletzungen haben            einflussreicher TNCs oder           kann nur durch die Umsetzung von ETOs gesichert
  ihren Ursprung weit           Staaten (scheinbar) nichts ent-     werden51.
entfernt von dem Ort, an        gegenzusetzen hat. FIAN ist
  dem sie stattfinden.
                                mit zahlreichen dieser Fälle            Doch was bedeuten ETOs ganz konkret? Um die
                                konfrontiert: Der kolumbia-         Inhalte der staatlichen Pflichten jenseits nationaler
        nische Staat versäumt es, massive Menschenrechtsver-        Grenzen zu definieren, hat eine Gruppe von Rechts-
        letzungen durch transnationale Bergbaukonzerne,             expert_innen52 die ETOs auf Grundlage bestehenden
        die in Kolumbien Kohle abbauen, zu verhindern47. In         internationalen Rechts definiert. Das Ergebnis sind
        Uganda räumte die staatliche Armee gewaltsam mehre-         die „Maastrichter Prinzipien zu den Extraterritori-
        re Dörfer, um Platz für eine neue Kaffeeplantage einer      alen Staatenpflichten im Bereich der Wirtschaftlichen,
        Tochterfirma der deutschen Neumann Kaffee Gruppe            Sozialen und Kulturellen Rechte“, die im Jahr 2011
        zu machen48. In Honduras wurden Kleinbäuer_innen            von vierzig Völker- und Menschenrechtsexpert_in-
        ermordet, die für die Umsetzung einer Agrarreform           nen unterzeichnet wurden53. Unter ihnen finden sich
        und somit ihren Zugang zu Land kämpfen und dabei            Vertreter_innen zivilgesellschaftlicher Organisationen
        internationalen Ölpalmproduzent_innen gegenüber             und von Universitäten, gegenwärtige und frühere Mit-
        stehen. Der Staat hat zur Aufklärung und Verhin-            glieder von UN-Vertragsorganen sowie UN-Sonder-
        derung dieser Morde kaum etwas beigetragen49.               berichterstatter_innen.

                                                                        Belege dafür, dass staatliche Pflichten nicht an
         Extraterritoriale                                          den nationalen Grenzen enden, gibt es im Völker-
         Staatenpflichten                                           recht zahlreiche54. Die menschenrechtlichen Prinzi-
                                                                    pien der Universalität und
             Die dominante territoriale Interpretation des inter-   der Nicht-Diskriminierung        Die menschenrechtli-
         nationalen Menschenrechts wird zunehmend in Frage          machen deutlich, dass             chen Prinzipien der
                                                                                                     Universalität und der
         gestellt. Denn sie führt dazu, dass zahllosen Menschen     Menschenrechte auch jen-
                                                                                                    Nicht-Diskriminierung
         der Genuss ihrer Rechte verwehrt wird und Men-             seits staatlicher Grenzen
                                                                                                    machen deutlich, dass
         schenrechtsverletzungen ungestraft bleiben. Dadurch        geschützt werden müssen.         Menschenrechte auch
         wird die universelle Gültigkeit und Anwendbarkeit          Die UN-Charter und die             jenseits staatlicher
         der Menschenrechte in Frage gestellt. Aus diesem           Allgemeine Erklärung der            Grenzen geschützt
         Grund fordern zivilgesellschaftliche Organisationen,       Menschenrechte       stellen         werden müssen.
         soziale Bewegungen und Menschenrechtsexpert_innen          außerdem klar, dass die
         die Akzeptanz extraterritorialer Pflichten der Staaten     Verwirklichung der Menschenrechte internationaler
         (ETOs), die Rechte von Menschen außerhalb ihres            Kooperation zwischen den Staaten bedarf und von ein-
         Territoriums zu achten, schützen und gewährleisten.        zelnen Staaten nicht allein bewältigbar ist55. Der Pakt
         So halten die Teilnehmer_innen der zivilgesellschaft-      über Wirtschaftliche, Soziale und Kulturelle Rechte, in
         lichen Konferenz Vienna+20, die aus Anlass des Ju-         dem auch das Recht auf Nahrung enthalten ist und

         10
Die Maastrichter Prinzipien…
   … definieren ETOs als (Prinzip 8)                       b) wenn der nicht-staatliche Akteur die National-
                                                           ität des Staates hat;
   „a) Pflichten in Bezug auf die Handlungen oder          c) wenn die Gesellschaft, ihre Mutter-, oder beherr-
   Unterlassungen eines Staates innerhalb oder außer-      schende Gesellschaft im Staat ihr Tätigkeitszentrum
   halb seines Territoriums, die Auswirkungen auf die      hat, dort eingetragen oder niedergelassen ist oder
   Wahrnehmung der Menschenrechte außerhalb des            dort ihr hauptsächliches Geschäftsgebiet hat oder
   Territoriums dieses Staates haben; und                  wesentliche Geschäftstätigkeiten ausübt;
   b) Verpflichtungen von globalem Charakter, die in       d) wenn es zwischen dem Staat und dem Verhalten,
   der Charta der Vereinten Nationen und in Men-           das er zu regulieren anstrebt, eine hinreichende
   schenrechtsinstrumenten festgelegt sind, einzeln        Verbindung gibt;
   und gemeinsam in internationaler Zusammenarbeit         e) wenn ein Verhalten, das WSK-Rechte beein-
   Maßnahmen zu ergreifen, um die Menschenrechte           trächtigt, die Verletzung einer zwingenden völker-
   weltweit zu verwirklichen.“                             rechtlichen Norm darstellt. Wenn eine solche
                                                           Verletzung auch einen völkerrechtlichen Straftat-
   …legen fest, dass Staatenpflichten innerhalb des        bestand ausmacht, müssen Staaten über die Ver-
   staatlichen Zuständigkeitsbereiches liegen müssen       antwortlichen universelle Gerichtsbarkeit ausüben
   (Prinzip 9). Dieser besteht in allen Situationen,       oder sie rechtmäßig einer angemessenen Gerichts-
                                                           barkeit überstellen.“
   „a) in denen (der Staat) Staatsgewalt oder tatsächli-
   che Macht ausübt (…);                                   …definieren außerdem:
   b) bei denen Handlungen oder Unterlassungen des
   Staates vorhersehbare Auswirkungen auf den Ge-          eine Verpflichtung zur Vermeidung von vorherseh-
   nuss der (WSK-)Rechte nach sich ziehen (…);             barem Schaden und Pflicht zur Folgenabschätzung
   c) in denen der Staat einzeln oder gemeinsam mit        und Vorbeugung (Prinzipien 13 und 14),
   anderen Staaten in der Lage ist, durch seine exe-       Verpflichtungen von Staaten als Mitglieder von in-
   kutive, legislative oder judikative Gewalt und in       ternationalen Organisationen (Prinzip 15),
   Übereinstimmung mit internationalem Recht ent-          eine Verpflichtung, internationale Abkommen und
   scheidenden Einfluss auszuüben oder Maßnah-             Standards im Einklang mit den menschenrechtli-
   men zu ergreifen für die Verwirklichung der             chen Verpflichtungen des Staates auszuarbeiten,
   (WSK-)Rechte außerhalb seines Territoriums.“            auszulegen und anzuwenden (Prinzip 17).

   …definieren extraterritoriale Schutzpflichten von       …definieren neben Achtungs-, Schutz- und
   Staaten gegenüber Unternehmen (Prinzip 25),             Gewährleistungspflichten auch Pflichten, die
                                                           Verfügbarkeit von wirksamen Rechenschaftsmech-
   „a) wenn der Schaden oder der drohende Schaden          anismen und Rechtsmitteln sicherzustellen (Prin-
   in ihrem Territorium entspringt oder erfolgt;           zipien 36 und 37).

der detaillierte Staatenpflichten definiert, verpflich-    Prinzip 9 im Kasten) den Genuss von WSK-Rechten
tet die Unterzeichnerstaaten, sich an internationaler      nicht beeinträchtigen (Prinzip 24). Dies schließt auch
Zusammenarbeit zu beteiligen, die neben Entwick-           die Beeinträchtigung von Menschenrechten im Aus-
lungszusammenarbeit etwa auch die Verabschiedung           land ein. Die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und
von Abkommen beinhalten kann56.                            Menschenrechte, die 2011 im UN-Menschenrechtsrat
                                                           bestätigt wurden, halten im Unterschied dazu nur fest,
   Im Bereich der Schutzpflichten sind Staaten laut        dass Staaten klar die Erwartung zum Ausdruck brin-
den Maastrichter Prinzipien verpflichtet, notwendige       gen sollten, dass alle in ihrem Hoheitsgebiet ansässigen
Maßnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, dass           und/oder ihrer Jurisdiktion unterstehenden Unterneh-
Unternehmen in ihrem Zuständigkeitsbereich (siehe          men bei ihrer gesamten Geschäftstätigkeit die Men-

                                                                                                                  11
schenrechte achten57. Mit dieser Interpretation inter-          Das ETO-Consortium59, ein Netzwerk von rund
nationalen Rechts sind die Leitprinzipien nicht auf den     achtzig zivilgesellschaftlichen Organisationen und Wis-
Widerstand der Staatengemeinschaft gestoßen, haben          senschaftler_innen, darunter auch FIAN, setzt sich für
also wohl den kleinsten gemeinsamen Nenner getrof-          die zunehmende Akzeptanz und Umsetzung von ETOs
fen. Zahlreiche zivilgesellschaftliche Organisationen,      ein. Das Consortium dokumentiert, dass die Maastrich-
darunter FIAN, kritisierten schon damals diese kon-         ter Prinzipien immer mehr angewendet werden, zum
servative Interpretation, weil sie einen Schritt zurück     Beispiel von der Afrikanischen Kommission der Men-
gegenüber Interpretationen internationalen Rechts,          schenrechte und der Rechte der Völker. Im September
auch von UN-Vertragsorganen, bedeuteten, die eine           2013 wiederum rief eine Gruppe von UN-Menschen-
staatliche Pflicht sehen, Schritte zu setzen, um Verstöße   rechtsexpert_innen die Regierungen weltweit dazu auf,
von Unternehmen im Ausland zu verhindern58.                 die Maastrichter Prinzipien zu berücksichtigen.60

4) Unternehmensverantwortung und
Menschenrechte
    Unternehmen haben im internationalen Men-               lisieren und bieten zahlreiche Vorschläge, wie Staaten
schenrecht bisher keine direkten Pflichten. Sie müssen      ihre Schutzpflichten und Unternehmen ihre Verant-
jedoch den Gesetzen der Staaten folgen, in denen sie        wortlichkeiten wahrnehmen können. Sie gehen jedoch
tätig sind, die wiederum die Umsetzung der interna-         auf diverse Problemfelder kaum ein, etwa auf Unterneh-
tionalen, menschenrechtlichen Schutzpflichten der           men, die bewusst Menschenrechte missachten oder sie
Staaten gewährleisten sollten. Wie die in Kapitel 2 be-     verletzen, oder auf die ungleichen Machtverhältnisse
schriebenen Beispiele zeigen, scheitert dieses System in    zwischen TNCs und von Menschenrechtsverletzungen
vielen Fällen an mangelhaften Gesetzen oder aber an         Betroffenen62. Sie zeigen nicht auf, wie TNCs reguliert
ihrer fehlenden Durchsetzung durch Staatsorgane.            werden und wie ihre Menschenrechtsverstöße beho-
                                                            ben werden können63.

Die begrenzte Wirkung                                           Abseits dieser inhaltlichen Mängel lässt die Um-
von freiwilligen                                            setzung der Prinzipien global sehr zu wünschen übrig,
Instrumenten                                                wie etwa Human Rights Watch beklagt64. Das Inte-
                                                            resse der Staaten ist mangelhaft, wie eine Umfrage
   Diverse Instrumente, die auf freiwilliger Basis          zum Stand der Umsetzung
Leitlinien für Unternehmen formulieren, versuchen           der für die Verbreitung der            Freiwillige Initia-
Abhilfe zu schaffen. Die bereits erwähnten UN-Leit-         Leitprinzipien       zuständige     tiven haben begrenzte
                                                                                                Wirkung und ersetzen
prinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte gelten         Arbeitsgruppe zeigt: Nur 26
                                                                                                 verbindliche Stand-
neben Staaten auch für jegliche – also auch transna-        von 194 Staaten hatten geant-
                                                                                                ards für Unternehmen
tionale – Unternehmen und definieren ihre Verant-           wortet. Die Umfrage selbst                   nicht.
wortung (nicht Pflicht), die Menschenrechte zu ach-         bestätigt, dass die Umset-
ten. Das heißt, dass sie vermeiden sollten, nachteilige     zung der Prinzipien noch in
Auswirkungen auf die Menschenrechte zu verursa-             der Anfangsphase steckt65. In Österreich gibt es bis-
chen oder dazu beizutragen, und dass sie solchen            her keinen nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der
Auswirkungen begegnen sollten. Sie sollten außer-           Prinzipien, obwohl die Europäische Kommission alle
dem versuchen, negative Auswirkungen aufgrund von           Mitgliedsstaaten zur Erstellung bis Ende 2012 aufge-
Geschäftsbeziehungen zu verhindern oder zu min-             fordert hatte66. Die Erstellung des 2011 beschlossenen
dern61. Wie Michael Windfuhr, stellvertretender Direk-      österreichischen Aktionsplans zu Corporate Social
tor des Deutschen Menschenrechtsinstituts, festhält,        Responsibility ist seit längerem unterbrochen67.
konnten die Leitprinzipien breite Unterstützung mobi-

12
Die OECD-Leitsätze für Multinationale Un-
ternehmen - zuletzt 2011 überarbeitet - sind nicht
rechtsverbindliche Empfehlungen für verantwor-
                                                             TNCs
tungsvolles unternehmerisches Handeln der Regie-             Laut einer Definition der UNCTAD sind TNCs
rungen an multinationale (oder transnationale) Un-           eingetragene oder nicht eingetragene Unterneh-
ternehmen, die in oder von den Teilnehmerstaaten             men, die aus Mutterunternehmen und ihren
aus operieren. Der Nationale Kontaktpunkt, bei dem           Tochterunternehmen im Ausland bestehen.
Beschwerde wegen Verstößen gegen die Leitsätze               Die Mutterunternehmen kontrollieren das Ver-
vorgebracht werden kann, ist in Österreich im Bun-           mögen der Tochterunternehmen, meist durch
desministerium für Wissenschaft, Forschung und               eine Kapitalbeteiligung ab zehn Prozent71. Die
Wirtschaft angesiedelt68. Das verhindert per se die Un-      Grundsätze der rechtlichen Eigenständigkeit
abhängigkeit des Kontaktpunktes.                             und der beschränkten Haftung isolieren jeden
                                                             Teil einer TNC von zivilrechtlichen oder straf-
   1999 vom damaligen UN-Generalsekretär Kofi                rechtlichen Folgen der Tätigkeiten anderer
Annan vorgestellt, soll der UN Global Compact an-            Teile. So kann das Mutterunternehmen zwar
hand von zehn freiwilligen Prinzipien und des Dialogs        die Einnahmen der Tochterunternehmen ein-
zwischen Unternehmen ihr gesellschaftliches Engage-          streifen, ist aber für die Folgen auf Umwelt und
ment fördern. Die österreichischen Mitglieder, unter         Menschenrechte der Tätigkeiten des Tochterun-
ihnen auch die Andritz HYDRO Gmbh, koordiniert               ternehmens nicht verantwortlich72. Die kompli-
respACT - austrian business council for sustainable          zierten Konstrukte der TNCs machen außerdem
development. Der Global Compact erntete bereits viel         rechtliche Prozesse schwierig, da Zuständigkei-
Kritik69, vor allem bezüglich seiner Unverbindlichkeit,      ten sehr schwer zu klären und nachzuweisen
der fehlenden Kontrolle und Sanktionierung der Ein-          sind. Neben dem Staat, in dem eine TNC tätig
haltung der Prinzipien und insbesondere der fehlenden        ist, ist laut Maastrichter Prinzipien auch jener
Konsequenzen für Mitglieder, die nachweislich gegen          Staat verpflichtet, den Konzern zu regulieren,
Menschenrechte verstoßen haben.                              in dessen Territorium „dessen Mutter- oder
                                                             beherrschende Gesellschaft Tätigkeitszentrum
                                                             hat, dort eingetragen oder niedergelassen ist“
Steigender Einfluss von                                      (Prinzipien 24 und 25).
Unternehmen auf die
Politikgestaltung
    Während TNCs und ihre Interessensverbände erfolg-
reich Widerstand gegen mögliche verbindliche men-         Frischer Wind für
schenrechtliche Standards leisteten, traten sie in der    verbindliche Menschen-
Öffentlichkeit als Akteur_innen auf, die offen für den    rechtsstandards für
Dialog sind und Umwelt- und Sozialstandards durch         Unternehmen
freiwillige Corporate Social Responsibility Initiativen
umsetzen. Gleichzeitig haben jedoch Multi-Stakehol-           Bereits seit den 1970er Jahren wird versucht, TNCs
der-Initiativen wie der UN Global Compact und die         zur Verantwortung für ihre Menschenrechtsverstöße
UN-Leitprinzipien mächtigen Unternehmen geholfen,         zu ziehen73. Die Normen der Vereinten Nationen für
massiven Einfluss auf den politischen Diskurs und die     die Verantwortlichkeiten Transnationaler Konzerne
Politikgestaltung zu gewinnen und gemeinsam mit           und anderer Wirtschaftsunternehmen im Hinblick auf
einflussreichen Mitgliedsstaaten der UN verbindliche      die Menschenrechte sollten TNCs erstmals Pflichten
Standards zu verhindern70. Unternehmen, deren Hand-       im internationalen Menschenrecht auferlegen. Als der
lungen per se zuallererst dem Ziel des Profits folgen,    Entwurf, das Ergebnis einer fast vierjährigen Kon-
sollten jedoch nicht als Akteur_innen politischer Pro-    sultation, 2003 der UN-Menschenrechtskommission
zesse anerkannt werden, da sie nicht im öffentlichen      präsentiert wurde, wurde er aufgrund der Widerstände
Interesse handeln. Freiwillige Initiativen haben be-      der Wirtschaft und vieler sogenannter Industrieländer
grenzte Wirkung und ersetzen verbindliche Standards       abgelehnt74.
für Unternehmen nicht.

                                                                                                                13
Seit September 2013 gibt es wieder frischen Wind       zivilgesellschaftlichen Organisationen und sozialen
für verbindliche Menschenrechtsstandards für TNCs.         Bewegungen in 95 Ländern unterzeichnet worden77.
Denn damals hat Ecuador im UN-Menschenrechtsrat            Die Gegenstimmen stammen vor allem von Staaten,
eine Erklärung eingebracht, die die Annahme eines recht-   in denen TNCs beheimatet sind78. Leider haben die
lich verbindlichen Instruments für TNCs forderte75. Im     USA und die EU nach der Annahme der Resolution
Juni 2014 hat die Mehrheit der Mitglieder - es waren       davor gewarnt, nicht mit der Arbeitsgruppe zu koo-
zwanzig, unter ihnen etwa auch China - für eine ent-       perieren79. Auch Österreich hat dagegen gestimmt. Das
sprechende Resolution76 gestimmt, weshalb nun eine         Außenministerium informierte auf Anfrage von FIAN
zwischenstaatliche Arbeitsgruppe gebildet wird, die        und anderen Organisationen, dass „darauf zu achten
ein entsprechendes Instrument entwerfen soll. Zu-          sei, dass es zum gegenwärtigen Zeitpunkt zu keiner
vor hatten zivilgesellschaftliche Organisationen, un-      Einschränkung des Prinzips der Freiwilligkeit kommt“
ter ihnen FIAN, im Rahmen der Treaty Alliance für          und setzt ganz auf die Förderung der UN-Leitprinzi-
Unterstützung geworben. Ihr Aufruf war von 610             pien80.

5) Österreichs extraterritoriale
Staatenpflichten - am Beispiel Andritz
in Brasilien und Laos

Brasilien und Laos:                                        Exterritoriale Staaten-
Territoriale                                               pflichten Österreichs
Staatenpflichten
                                                               Die ETOs eines Staates können auf Grundlage von
    Die Pflicht, die Menschenrechte der betroffenen        ratifizierten internationalen Menschenrechtsverträgen
Bevölkerung in Brasilien und Laos zu schützen und zu       und deren Interpretation durch die entsprechenden
gewährleisten, liegt dem Völkerrecht entsprechend in       Ausschüsse, von Gerichtsurteilen, Empfehlungen von
erster Linie bei diesen beiden Staaten. Wie in Kapitel 2   Fachausschüssen internationaler Organisationen oder
deutlich wurde, nehmen Brasilien und Laos ihre Pflich-     von UN-Sonderberichterstattern sowie auf Grund-
ten nicht wahr und verletzen somit die Menschenrechte      lage allgemeiner Rechtsprinzipien und des Gewohn-
der betroffenen Bevölkerung. Es gilt daher, die Erfül-     heitsrechts näher bestimmt werden. Die Maastrichter
lung ihrer Pflichten weiter einzufordern. Neben Brasi-     Prinzipien wiederum fassen das internationale Recht
lien und Laos tragen in den vorliegenden Fällen auch       hinsichtlich ETOs für WSK-Rechte zusammen. Sie
andere Staaten menschenrechtliche Schutzpflichten          dienen als Analyseinstrument. Österreich hat sowohl
gegenüber der betroffenen Bevölkerung. Hier wären          den UN-Pakt über Bürgerliche und Politische Rechte
etwa die Sitzstaaten der institutionellen Anleger der      als auch den UN-Pakt über Wirtschaftliche, Soziale
Andritz-Aktie zu nennen, Frankreich und Deutschland        und Kulturelle Rechte ratifiziert. Das Zusatzprotokoll
als Sitze von Alstom und Voith oder Thailand als Ak-       zu letzterem, das ein Individualbeschwerdeverfahren
teur beim Bau des Xayaburi-Staudamms. Unser be-            vorsieht, hat Österreich nicht ratifiziert81. Die Kon-
sonderes Interesse gilt jedoch den ETOs Österreichs,       vention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation
daher folgt eine Analyse der menschenrechtlichen           (ILO) über die Rechte indigener Völker hat Öster-
Pflichten Österreichs.                                     reich ebenso nicht ratifiziert,82 jedoch der Annahme der
                                                           UN-Deklaration über die Rechte indigener Völker zuge-
                                                           stimmt83.

14
Hilfreiche Hinweise geben außerdem die Ab-              Maßnahmen für die Verwirklichung dieser Rechte
schließenden Bemerkungen des UN-Ausschusses über            zu ergreifen (9c)86. Denn etwa die Unterlassung, ge-
Wirtschaftliche, Soziale und Kulturelle Rechte aus dem      eignete Gesetze zur Regulierung österreichischer Un-
Jahr 2013. In diesem Jahr prüfte dieser Ausschuss Öster-    ternehmen zu erlassen, oder jene, die Auswirkungen
reich zum vierten Mal bezüglich seiner Pflichten, die       der Vergabepraxis bei Exportkrediten zu überprüfen,
aus dem Pakt über Wirtschaftliche, Soziale und Kul-         hat durchaus negative, vorhersehbare Auswirkungen
turelle Rechte entstehen. Vorab veröffentlichte FIAN        auf die WSK-Rechte in Bra-
in Kooperation mit anderen österreichischen NGOs ei-        silien und Laos. Des Weiteren     Österreich muss einzeln
nen Parallelbericht84 zum Staatenbericht, in dem auch       könnte Österreich einzeln, im     und  gemeinsam mit den
                                                                                                anderen involvierten
die Aktivitäten von Andritz dargestellt wurden. Nach        ersten Schritt durch Gesetzge-
                                                                                                Staaten Maßnahmen
Abschluss der Prüfung empfahl der Ausschuss85 eine          bung, sowie gemeinsam mit
                                                                                               ergreifen, um die WSK-
menschenrechtsbasierte Agrar- und Handelspolitik,           den anderen Mitgliedsstaaten,      Rechte der betroffenen
die durch folgende Maßnahmen gewährleistet werden           zum Beispiel auf EU-Ebene,         Bevölkerungsgruppen
könne: zum Ersten sollen systematische und unabhän-         entscheidenden Einfluss auf       in Brasilien und Laos zu
gige menschenrechtliche Folgeabschätzungen getrof-          die Lage der betroffenen Be-               schützen.
fen werden, bevor über Finanzierungen entschieden           völkerung in den beiden Län-
wird, zum Zweiten soll ein wirksamer Monitoring-            dern ausüben und so zur Verwirklichung ihrer Rechte
mechanismus eingerichtet werden, um menschenrecht-          beitragen. Vorschläge für konkrete Schritte folgen in
liche Auswirkungen von Politiken und Projekten in           der weiteren Analyse.
Empfängerländern regelmäßig zu überprüfen und
Abhilfemaßnahmen im Falle negativer Auswirkungen
zu setzen und zum Dritten soll ein Beschwerdemecha-             Da die rechtliche Zuständigkeit Österreichs in den
nismus für Fälle von Menschenrechtsverletzungen in          vorliegenden Fällen gegeben ist, entstehen für Öster-
Empfängerländern eingerichtet werden.                       reich ETOs. Zu betonen ist, dass Österreich über die
                                                            Menschenrechtsverletzungen bei den Staudammpro-
    Der Ausschuss zeigte sich außerdem über die man-        jekten in Laos und Brasilien informiert ist - nicht zu-
gelnde Aufsicht über im Ausland agierende Un-               letzt durch die Arbeit österreichischer NGOs. In Bezug
ternehmen und deren negative Auswirkungen auf               auf die Aktivitäten von Andritz sind dies in erster Li-
WSK-Rechte besorgt. Er forderte Österreich daher            nie extraterritoriale Schutzpflichten. Österreich muss
auf sicherzustellen, dass alle wirtschaftlichen, sozialen   dementsprechend einzeln und gemeinsam mit den
und kulturellen Rechte vollständig geachtet und die In-     anderen involvierten Staaten Maßnahmen ergreifen, um
haber_innen dieser Rechte im Rahmen von Unterneh-           die WSK-Rechte der betroffenen Bevölkerungsgruppen
mensaktivitäten angemessen geschützt werden. Dies           in Brasilien und Laos zu schützen. In Prinzip 25
sei durch die Schaffung von geeigneten Gesetzen und         wird die Basis für Regulierungen als Instrument
Verordnungen sowie von Überwachungs-, Untersu-              zur Umsetzung von Schutzpflichten definiert, zum
chungs- und Haftungsverfahren zu verwirklichen, die         Beispiel bei Firmen, wenn die Gesellschaft oder ihre
Verhaltensstandards für Unternehmen festlegen und           Muttergesellschaft oder beherrschende Gesellschaft
durchsetzen.                                                im betreffenden Staat ihr Tätigkeitszentrum hat,
                                                            dort eingetragen oder niedergelassen ist oder dort ihr
    Mit Blick auf die Beteiligung von Andritz an den        hauptsächliches Geschäftsgebiet hat oder wesentliche
Staudammprojekten in Brasilien und Laos gilt es             Geschäftstätigkeiten ausübt (Prinzip 25c). Nach
zuerst, die rechtliche Zuständigkeit Österreichs zu         diesem Prinzip hat Österreich die Pflicht, die darin
prüfen. Die Maastrichter Prinzipien definieren den          beschriebenen Unternehmen so zu regulieren, dass die
Zuständigkeitsbereich in Prinzip 9. Wie im Folgenden        WSK-Rechte geschützt werden – auch im Ausland.
erläutert wird, finden wir in den vorliegenden Fällen       Andritz ermöglicht durch die Lieferung von Turbin-
eine Situation vor, in der Österreichs Handlungen oder      en, Generatoren und weiterer technischer Ausrüstung
Unterlassungen vorhersehbare Auswirkungen auf den           das Funktionieren der Staudämme in Brasilien und
Genuss der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen       Laos und hat dadurch erheblichen Einfluss auf die
Rechte nach sich ziehen (9b) und in der Österreich ein-     Ausgestaltung der Bauvorhaben. Als Lieferant spe-
zeln oder gemeinsam mit anderen Staaten in der Lage         zialangefertigter Maschinen-Bauteile ist Andritz eines
ist, durch seine exekutive, legislative oder judikative     von nur wenigen Unternehmen weltweit, das diese
Gewalt und in Übereinstimmung mit internationa-             Technologie für Megaprojekte wie Xayaburi liefern
lem Recht entscheidenden Einfluss auszuüben oder            kann87. Als so entscheidender Lieferant der Bauvorha-

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