KOSMISCHE (ATMO)SPHÄREN - MUSIK Leipziger Musiker im Fokus #108: Johnny Katharsis - Mario Hartwig
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MUSIK Leipziger Musiker im Fokus #108: Johnny Katharsis KOSMISCHE (ATMO)SPHÄREN Zuhause im Kreuzfeuer von Hip Hop, Punk und zeitgenössischer Literatur: Die vielen Gesichter des Johnny Katharsis und seine Reise mit der Nostromo. von Mario Hartwig 2021 hat gerade frisch begonnen und schon steht der Leipziger Rapper Johnny Katharsis mit seinem Partner und Beats-Produzent HeMight- Be mit der gemeinsamen LP „Nostromo“ in den getan ist — ein rastloser kreativer Geist im Kreuzfeuer von Startlöchern, die am 29. Januar über „Das Label Musik und Literatur. Doch spulen wir noch einmal zurück mit dem Hund“ veröffentlicht wurde. und reflektieren über den 12-Track-Longplayer „Nostro- mo“, dessen Single-Auskopplung „Hunger“ urbanite bereits „Nostromo“ ist bereits das zwölfte Album in der Dezember-Ausgabe vorgestellt hat. Wir erinnern uns: eines Künstlers, dessen Vielseitigkeit in einem „Hunger“ besticht als ziemlich düsterer Track im Ethno- einzigen Artikel kaum Tribut gezollt werden Gewand mit seiner unerbittlichen Direktheit. Katharsis und 34 kann. Allein die Liste an Kollaborationen auf HeMightBe nahmen ihn gemeinsam mit Vokalist Chantty ̶ 35 dem vergangenen Dutzend Longplayer, seine Natural auf. Ursprünge im Punk und Metal, sein Hörstück „Das Haus“, mit dem er beim Leipziger Hör- BEHÄLT DIE NOSTROMO DIESEN KURS BEI? spielsommer gewann sowie sein Studium der Es existiert ein analog betitelter Roman des englischen Sprachkunst in Wien, das ihn zur Realisierung Schriftstellers Joseph Conrad. Nun könnte man meinen, der seines kommenden Buchprojekts „Zone“ inspi- literaturaffine Rap-Künstler schlägt in der Namensfin- rierte, sind nur einzelne Stationen im Werdegang dung seines aktuellen Albums eine Brücke zwischen jener des mannigfaltigen Musik- und Wortkünstlers. literarischen Ebene und den jeweiligen Anfängen zweier urbanite wagt dennoch den Versuch, eine Mo- Jahrhunderte. Tatsächlich jedoch stellt Katharsis den Be- mentaufnahme der aktuellen Album-Veröffent- zug aus Ridley Scotts Horrorstreifen Alien her, in dem das lichung für euch greifbar zu machen, um die Alien die Crew des Raumschiffs Nostromo terrorisiert. Sei- Nostromo noch im Augenwinkel zu erhaschen, ne Assoziation zum dystopischen Science Fiction sieht er in bevor sie vorbeifliegt, um ein weiteres Kapitel HeMightBes Instrumentalen klar charakterisiert. Durch den im Tagebuch von Johnny Katharsis zu schließen. synthetischen, metallischen und fremd anmutenden Sound, der besonders in Tracks wie Strommast oder Geisterstadt EIN RASTLOSER KREATIVER GEIST evident wird, schloss sich für Katharsis der Kreis zur ent- Johnny geht es gut — auch wenn er ei- sprechenden Betitelung. Diese Atmosphäre leitet den Mu- gentlich nie durchatmet, wie er verrät. Denn sikkünstler an, seinen eigenen kleinen Kosmos bestehend nach dem Projekt ist vor dem Projekt. In dem aus Musik und Büchern aus der eigenen Feder zu kreieren; Sinne verrät der Rap-Künstler, der den bürger- ein Gesamtkonzept, bei dem es abzuwarten gilt, ob es den lichen Namen John Sauter trägt, noch bevor er Künstler in ähnlich kosmische Sphären verschlagen wird, über den Release-Prozess von „Nostromo“ wie einst die Nostromo — aber hoffentlich ohne Alien! Fotos: Susanne Wagner reflektiert, dass er schon wieder ein komplett neues Album mit Beat-Kollege Pawcut auf- genommen hat. Schnell wird deutlich: Dieser ++WIR VERLOSEN 3x1 SCHALLPLATTE++ Mann stagniert nicht und geht im Kopf den www.urbanite.net nächsten Schritt, bevor der vorherige überhaupt
BITTE EINSTEIGEN! Dass diese Formel funktioniert, resümiert Ka- PERSPEKTIVEN STATT PLATTITÜDEN tharsis abschließend aus der bisherigen Resonanz Trotz seines Studiums der Sprachkunst an auf das neue Album: Die „Kompaktheit“ komme gut der Wiener Universität für angewandte Kunst, an, so der Künstler. Damit verweist er auf die vier- des vorangegangenen Journalistik-Studiums zigminütige Spieldauer. Weiterhin seien Produktion, in Leipzig und anschließender redaktioneller Atmosphäre und Albumcover besonders positiv her- Tätigkeit in Hamburg und Berlin hält es Kat- vorgehoben worden. Das collagenhafte Artwork von harsis eher mit dem persönlichen Ausdruck, als Grafikkünstler Cornelius Grund komme darüber hi- mit wissenschaftlicher Arbeit rund ums Zitie- naus als großes LP-Cover besonders gut zur Geltung. ren und Fußnoten setzen. Dennoch ist er in der Dieses befand sich bereits im Portfolio von Corneli- Konsequenz auch der literarischen Welt äußerst us Grund und wurde anlässlich der Lizenzierung als zugeneigt, was sich sowohl in der Quantität und „Nostromo“-Albumcover einer Frischekur unterzo- nahezu akademischen Qualität seiner wortge- gen. „Dieser collagierte Kopf fängt die Aussage des wandten Lyrics, als auch in seinem Drang nach fantastischen Science-Fiction-Elements super ein, autonomen, literarischen Großprojekten mani- das dem Album innewohnt“, stellt Katharsis fest. festiert. „Ich würde jetzt keine Songtexte über meine geilen neuen Schuhe oder meine geile Nun heißt es: Nicht nur betrachten und staunen, neue Einbauküche machen“, gibt Johnny Kat- sondern auch einsteigen! Denn was bei Stanley Ku- harsis schmunzelnd preis. Mit solchen lyrischen brick in 2001: „A Space Odyssee“ noch stumme Plattitüden der Rap-Welt könne sich der Künst- Theorie auf der Kinoleinwand war, machen John- ler, der sein eigenes Genre mit dem Begriff „Punk ny Katharsis und HeMightBe 2021 auf der Reise mit Rap“ treffend definiert sieht, weniger identifi- ihrer Nostromo endlich möglich. Wer sich dann zieren. immer noch nicht kathartisch gereinigt fühlt, dem sei Johnnys Gedichtband „Zone“ ans Herz gelegt, Lieber erschafft er offene Orte und Atmo- der noch in diesem Monat bei der Berliner Edition sphären, mit denen sich jede:r Hörer:in und Azur erscheinen soll. Leser:in identifizieren kann. Dabei möchte er johnny-katharsis.de nicht zu spezifisch und autobiografisch werden. „So kann man die Leute leichter abholen“, erklärt er. Allein durch die szenischen Songtitel seiner Album-Tracklist erschafft er ein bestimmtes jeweiliges Setting, das zwar bildliche Assozia- tionen im Kopf erschafft, jedoch nicht zu plakativ wirken soll. Vielmehr geht es um den atmosphä- rischen Rahmen bzw. um dezente Erwähnungen der Songtitel im gesamtlyrischen Ensemble, die letzten Endes auf einer Metaebene fungieren. Die orientalischen Anleihen in den Instrumentalen nimmt HeMightBe übrigens aus den Folgen sei- nes Arabistik-Studiums mit. Laut Katharsis war der Beats-Produzent auf orientalischen Märkten unterwegs, von denen er Platten unbekannter Künstler:innen mitnahm, um einzelne Sequen- zen zu samplen. Diese Leidenschaft für arabische Musik fließt in die spürbar rätselhaft-orientali- schen Instrumentals ein, die mitunter auch den Klangcharakter von „Nostromo“ prägen. Hunger bildet demzufolge keine Ausnahme.
MUSIK Veröffentlichungen aus Leipzig NEUES VON ... Eines haben Jante, Wooden Peak, Weltwärts sowie Sängerin und Pianistin June Cocó in Zeiten kullturellen Stillstands gemein: Sie lassen sich nicht stummschalten. Hier kommen unsere lauten und leisen März-Juwelen der lokalen Musikszene. von Mario Hartwig JANTE: BLICK INS LEISE Akustik-EP- VÖ: 12.02.2021 „Blick ins Leise“ von Jante ist die Akustikversion der im vorigen Jahr veröffentlich- ten EP „Blick ins Freie“. Mit dieser konnte das IndieDeutschFolk-Quartett rund um Frontmann Jan Thierfelder bereits gute Erfolge in puncto Airplay bei überregionalen Radiostationen sowie Playlist-Platzierungen auf Deutsch-Pop und Indie-Playlists verbuchen. Musikalisch lohnt sich ein Vergleich zwischen beiden Versionen der Single „Vielleicht“: Die Akustikversion, die gänzlich ohne Schlagwerk auskommt, erstrahlt passend zur Jahreszeit vergleichbar in guter Taylor Swift Folklore- bzw. evermore- Manier: Erzählende Vocals, die sich punktuell über das Metrum hinwegsetzen, tref- fen auf atmosphärische Klavierakkorde. Die rhythmische Arbeit wird von den Gitarren übernommen, zu denen sich ein dezentes Banjo gesellt. Gekrönt wird das Arrangement im weiteren Verlauf vom Cello-Einsatz. Die Originalversion beginnt dagegen wesent- lich flotter mit nahezu perkussiv anmutender Gitarre durch abgedämpfte rhythmische 36 Spielweise. Wir erleben in beiden Titelversionen feinsten Indie Pop mit Folk-Touch ̶ 37 – was natürlich in ganz ähnlicher Form auf alle weiteren EP-Tracks übertragbar ist. Wo uns die Originalversion nach draußen treibt, um auf einem Gefährt jedweder Art die Weite sommerlicher Landschaften zu erkunden, holt uns die Akustikversion genau von dort wieder zurück nach Hause. jantemusic.de WELTWÄRTS: GEFÄHRTEN Single-VÖ: 22.01.2021 Fotos: Jante | Moritz Bechert | Nikolas Fabian Kammerer | Jordann Wood WELTWäRTS ist eine Leipziger Akustik-Rock-Band rund um Frontmann Otto Ullmann und in eben diesem Gewand kommt auch die Ende Januar veröffentlichte Single Gefährten daher: Transparent und aufgeräumt – ohne Schlagzeug, mit einstim- migen Vocals, Gitarre von Ullmann selbst und Albrecht Probst am Cello. Erzählt wird in Retrospektive über Episoden des Lebens, die zu teilweise ernüchternden Erkenntnissen im Hier und Jetzt führen. Beginnend mit einer Reflexion über das Zusammenleben mit den Nachbar:innen im Mehrfamilienhaus schließt der Protagonist in den Song-Lyrics einen Abschiedsgruß an eine geliebte, verstorbene Person an und resümiert letztendlich mit der Akzeptanz, dass das Leben einmal zu Ende geht. Dem Titel „Gefährten“ ent- sprechend präsentieren uns WELTWäRTS eine Ballade über das zwischenmenschliche Miteinander mit täglichen Wegbegleiter:innen sowie über das generelle Infragestellen etablierter Lebensweisen. Die Kulturapotheke in der Eisenbahnstraße hat man da- bei kurzerhand sowohl zur Kulisse für das Single-Cover als auch zur Location für das Musikvideo von MoPro Pictures erklärt, für welches unter anderem Tänzerin Melanie Weber engagiert wurde. Instagram: weltwaerts.musik
WOODEN PEAK: ELECTRIC VERSIONS Album VÖ: 26.02.2021 Wooden Peak — ursprünglich ein Synth- und Gitarrenduo — haben im Zuge des Releases von „Electric Versions“ ihr Line-Up aufgerüstet. Auf dem Album, das Neuinter- pretationen von Stücken der letzten zwölf Bandjahre enthält, sind Wencke Wollny an Backing Vocals und Bassklarinette sowie Antonia Hausmann an der Posaune dabei. Die Single „Who Blinks First“, eine hypnotische 5/4-Nummer, bewegt sich zwischen rät- selhafter Anspannung und einer entspannten Jazz-Session. Von Keyboarder Sebastian Bode harmonisch unterstützt, übernimmt Gitarrist Jonas Wolter das Mikrofon. Seine Lead-Vocals, die sowohl stilistisch als auch die Stimmfarbe betreffend auffallend mit Woodkid zu vergleichen sind, werden immer wieder von perlenden Synth- und Gi- tarrenarpeggien durchbrochen. Gitarren-Flageolettes sind es, die den Kurs für die im weiteren Verlauf einsetzende subtile Drum-Percussion vorgeben. Prog-Liebhaber:in- nen dürften hier auf ihre Kosten kommen! Passend dazu hat die Band vorab einige Clips aus einer live-Session veröffentlicht. Die Videos im Film-Noir-Stil stammen von Arvid Wünsch und Christoph Lehmann. woodenpeak.de urbanite-Tipp: Am 28. März werden Wooden Peak ihr Release-Konzert (fast) live und in Farbe ab 20 Uhr aus der Leipziger naTo streamen. Unterstützung erhalten sie vom Programm #kulturdigital, das für die Deckung der abendlichen Produktionskosten sorgt. Tickets: ab 14,40 € auf tixforgigs.com JUNE COCÓ: MÉTAMORPHOSES Rework-Album-VÖ: 12.03.2021 Wenn Florence Welch und Enya eine mittlere Schwester hätten, die sich von beiden inspirieren lässt, dann wäre das stilistisch wahrscheinlich June Cocó. Das Rework-Album „Métamorphoses“ der New Age inspirierten Popmusikerin versammelt befreundete Künstler:innen auf einer brandneuen Platte, die die Songs ihres 2019er Albums neu interpretieren. Mit dabei ist unter anderem das Pariser Duo Ravages, deren Song „Métamorphoses“ Cocó bereits 2020 gecovert hatte. Jetzt revanchieren sie sich mit ihrer Interpretation des Titels „Heavy Heart“. Davon ausgehend durchbrechen ihre Songs aus der Tiefe heraus die Wasseroberfläche, um ihre Metamorphosen im Glanz des Tageslichts zu vollziehen: Der Titeltrack in französischer Sprache driftet ausge- hend von heiterer Klavierbegleitung in melancholischere und epischere Gefilde über, indem Streicher und subtil perlende Synth-Klänge alles sehr aquatisch klingen lassen. Ein eher kühles Gewand verpasst der Berliner Techno-Produzent Phonique dagegen dem Track „Hope“, der bei nunmehr dreifacher Länge einer Dance-Erfrischungs- kur mit Tempo- und Rhythmuswechseln unterzogen wird. Der digitalen Vernetzung zum Dank haben es June Cocó und Freunde also trotz akutem kulturellen Stillstand geschafft, ein vielseitiges, internationales Rework zu kreieren. Respekt! junecoco.de
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