Kranke Gefäße - gefährdetes Herz - Schon erste Anzeichen der "Schaufensterkrankheit" ernst nehmen
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Durchblutungsstörungen Kranke Gefäße – gefährdetes Herz Schon erste Anzeichen der „Schaufensterkrankheit“ ernst nehmen Klaus Mathias und Sigrid Nikol Vier bis fünf Millionen Menschen leiden in enten nicht mehr flach im Bett liegen, oft sit- Deutschland unter einer Verengung der zen sie am Bettrand und lassen die Beine im Becken-Bein-Arterien – die meisten, ohne Sitzen nach unten hängen. Unbewusst nutzen etwas davon zu wissen. Mit der „peripheren sie so die Schwerkraft, um die Durchblutung arteriellen Verschlusskrankheit“, auch Schau- des Gewebes zu steigern. Geht die Durchblu- fensterkrankheit genannt, geht ein hohes Ri- tung noch weiter zurück und stirbt das unter- siko für Herzerkrankungen und Schlaganfäl- versorgte Gewebe ab, entsteht ein „Gangrän“ le einher. Eine einfache Untersuchung kann oder ein offenes Geschwür. schnell Auskunft über den Zustand der Ge- Je nach Schweregrad wird die periphere arte- fäße geben. rielle Verschlusskrankheit in vier Stadien ein- geteilt. Im Stadium I bestehen zwar Engstellen Die Arteriosklerose, umgangssprachlich „Ar- in den Gefäßen, sie verursachen aber noch terienverkalkung“ genannt, begleitet jeden keine Beschwerden. Im Stadium IIa kann der Menschen: Über die Jahre und Jahrzehnte ent- Patient schmerzfrei noch eine Strecke von über stehen Ein- und Ablagerungen in den Wänden 200 Metern gehen, im Stadium IIb beträgt die der Blutgefäße (Arterien). Aufgrund dessen schmerzfrei zu bewältigende Gehstrecke weni- können Gefäße verengen oder gar verschlie- ger als 200 Meter. Stadium III ist erreicht, wenn ßen. Ob das geschieht und wann, hängt von die Schmerzen ohne jede körperliche Belas- genetischen Faktoren und vom Lebensstil ab. tung bereits in Ruhe auftreten. Im Stadium IV Verengen oder verschließen Becken- und Bein- ist aufgrund der anhaltenden Blutunterversor- arterien, kommt es zur „peripheren arteriellen gung Gewebe abgestorben und es sind offene Verschlusskrankheit“, kurz pAVK. Die Erkran- Wunden entstanden. kung äußert sich zuerst mit Schmerzen unter Belastung, meist der Wadenmuskulatur, weil die Muskelzellen aufgrund der verengten Ge- Schmerzen beim Gehen fäße nicht genügend Sauerstoff und Nährstoffe Wer beim Gehen Schmerzen bemerkt, sollte erhalten. Bleibt der Betroffene stehen, hört der möglichst bald einen Arzt aufsuchen. Mit einer Schmerz auf: In Ruhe reicht der Blutfluss noch einfachen Untersuchung kann er feststellen, ob aus, um die Muskeln zu versorgen; sobald der die Schmerzen auf einer verminderten Durch- Patient aber weitergeht und die Muskeln arbei- blutung beruhen oder ob sie andere Gründe ten müssen, treten die Schmerzen wieder auf. haben: Der Arzt ertastet den Puls in den Leisten Weil die Patienten auf ihrem Weg häufig stehen und am Fuß. Wenn der Puls abgeschwächt ist bleiben und Pausen einlegen müssen, wird das oder fehlt, steht die Diagnose „pAVK“ fest. Wei- Gefäßleiden umgangssprachlich auch „Schau- tere Untersuchungen folgen, um den Schwere- fensterkrankheit“ genannt. grad der Erkrankung festzustellen. Dazu nutzt Je weiter die pAVK voranschreitet, desto mehr der Arzt die „Doppler-Sonographie“, eine Ultra nimmt die Durchblutung ab. Dann kommt es schalluntersuchung, mit der er feststellen kann, nicht erst bei Belastung zu Schmerzen, son- wie schnell das Blut durch die Gefäße fließt. dern bereits in Ruhe: Nachts können die Pati- Auf diese Weise lässt sich der arterielle Ver- 10 HERZ HEUTE 2/2019
Ultraschalluntersuchungen lassen Verengungen und Verschlüsse in Beinarterien erkennen. Gefährliche Engstellen Die Arteriosklerose (griechisch: „arterio“ = versorgen (Herzkranzgefäße, Koronararteri- Gefäß und „skleros“ = hart) ist hierzulande en). Wenn sie verengen, entsteht die „korona- die häufigste altersabhängige Krankheits- und re Herzkrankheit“ mit Atemnot bei Belastung Todesursache. Sie entwickelt sich langsam und Brustschmerz. Verschließt ein Herzkranz- über Jahre und Jahrzehnte – zunächst ohne gefäß, kommt es zum Herzinfarkt. Verschließt sich mit Beschwerden bemerkbar zu machen. ein hirnversorgendes Gefäß, folgt der Hirn Die Risikofaktoren für ein frühes Sichtbarwer- infarkt (Schlaganfall). den der Arteriosklerose sind Bluthochdruck, Bei der pAVK (peripheren arteriellen Ver- Fettstoffwechselstörungen, Zuckerkrankheit schlusskrankheit) handelt es sich um eine und Rauchen. Durchblutungsstörung der „Peripherie“ des Am häufigsten von arteriosklerotischen Ab- Körpers, insbesondere der Beine. Unbehan- lagerungen betroffen sind Gefäße, die den delt haben pAVK-Patienten ein hohes Risiko, Herzmuskel mit Sauerstoff und Nährstoffen einen Herzinfarkt oder Schlaganfall zu erleiden. HERZ HEUTE 2/2019 11
In nahezu 90 Prozent der Fälle ist eine Arteriosklerose Ursache der Gefäßveränderung. Die Bilder zeigen die verschlossene Beckenarterie (Pfeile links) und den Zustand nach der Behandlung. schlussdruck am Knöchel und am Arm messen und der „ABI“ bestimmen, der Knöchel-Arm- Index (englisch: Ankle Brachial Index). Normalerweise ist der Druck am Knöchel deutlich höher als am Arm: Infolge von Ein- engungen und Verschlüssen der Becken- be- ziehungsweise Beinarterien sinkt der Druck in den Arterien des Fußes ab – der Druck am Arm ist jetzt höher als der am Bein. Aus den er- mittelten Werten lässt sich ein Quotient bilden: Undurchgängige Beckenarterie Ein Quotient von 0,9 bis 1,3 gilt als normal; je Manfred F., 68 Jahre alt, bemerkt seit meh- kleiner der Quotient wird, desto größer ist das reren Monaten, dass er immer schlechter Ausmaß der Durchblutungsstörung. Werte un- gehen kann: Sein linkes Bein schmerzt, kei- ter 0,9 definieren die pAVK. ne hundert Meter kann er mehr bewältigen, Ein weiteres Verfahren, um den Schweregrad ohne stehen bleiben zu müssen. Er ist Rau- der pAVK festzustellen, ist es, die Gehstrecke zu cher, und seine Blutfettwerte sind erhöht. messen, die ein Patient schmerzfrei auf einem Bei der ärztlichen Untersuchung wird fest- Laufband bewältigen kann. Kombiniert mit der gestellt, dass der Fuß- und Leistenpuls links Druckmessung an Knöchel und Arm erbringt fehlt. Die Druckmessung bestätigt die Durch- der Gehtest weitere wichtige Informationen. blutungsstörung des linken Beines, und die Anhand dieser Befunde und zusätzlich erhobe Untersuchung zeigt, dass die Beckenarterie ner Labordaten (vor allem zum Fett- und Zu- verschlossen ist. ckerstoffwechsel) wird das weitere Vorgehen Die Behandlung erfolgt unter örtlicher Be- mit dem Patienten besprochen. täubung: Der Arzt schiebt einen dünnen Ka- theter via Gefäßsystem bis zur Verschluss- Risikofaktoren konsequent stelle vorn und eröffnet („rekanalisiert“) das Gefäß. Anschließend implantiert er eine Ge- ausschalten fäßstütze (Stent), die das Gefäß weiterhin of- Bleibt die pVAK unbehandelt, schreitet sie rasch fen halten soll. Die unmittelbar nachfolgende voran. Um das zu verhindern, ist es notwendig, Kontrolle zeigt eine wieder normal weite Be- einen gesundheitsschädlichen Lebensstil zu ckenarterie mit gutem Blutfluss in das Bein. ändern, hohe Blutfettwerte zu normalisieren, Nach dem Eingriff wird der Katheter entfernt Bluthochdruck zu senken und eine eventuell und ein Druckverband angelegt. Der Pati- bestehende Zuckerkrankheit zu behandeln. ent hält bis zum nächsten Tag Bettruhe. Die Häufig fällt es Patienten am schwersten, den Druckmessung an den Fußarterien ergibt Lebensstil zu ändern – über Jahrzehnte beste- einen normalen Wert. Bei der Kontrollunter- hende Gewohnheiten sollen von einem Tag suchung einige Wochen später berichtet der auf den anderen aufgegeben werden: Es gilt, Patient erfreut, dass er beim Gehen keinerlei auf das Rauchen zu verzichten, sich gesund zu Beschwerden mehr habe. er nähren, das Körpergewicht zu normalisie- 12 HERZ HEUTE 2/2019
Eine der beiden Oberschenkel- arterien ist undurchgängig. Die weiße Linie markiert den Verlauf der verschlossenen Arterie. Nach der Behandlung ist das Gefäß wieder offen (rechts). ren und sich regelmäßig zu bewegen, idealer- weise 30 bis 40 Minuten täglich. Ist der Patient noch imstande, eine ausreichende Gehstrecke schmerzfrei zu bewältigen (Stadium IIa), kann das Gehtraining in einer Gefäßsportgruppe motivieren und hilfreich sein. Durch Bewegung lässt sich die Arteriosklerose nicht zurück- bilden – aber es entstehen bei regelmäßigem Training Umgehungskreisläufe (Kollateralen), Verschlossene Oberschenkelarterie die verengte oder verschlossene Gefäßstellen Schon seit einigen Wochen kann Marianne überbrücken und die Blutversorgung verbes- K. schlecht gehen, alle 200 Meter muss sie sern. Unterstützend wirken Medikamente: Ein stehen bleiben, weil sie Schmerzen in den gewisses Rückbilden von Gefäßablagerungen Beinen hat. Die 72-Jährige leidet an Blut- lässt sich durch das medikamentöse Senken hochdruck, ihre Blutfettwerte sind erhöht. bestimmter Blutfettwerte erreichen (LDL-Cho- Bei der Untersuchung kann der Arzt die Leis- lesterin). Andere medikamentöse Maßnahmen tenpulse auf beiden Seiten tasten, links aber zielen darauf, das Fortschreiten der Arterio- fehlen die Fußpulse. Die Druckwerte der sklerose zu verlangsamen und das Entstehen Fußarterien sind niedrig. Die Untersuchung von Blutgerinnseln (Thromben) zu verhindern. deckt schließlich einen Verschluss der Ober- schenkelarterie auf. Die Durchblutung wiederherstellen: Der Patientin wird eine Wiedereröffnung des Gefäßes mit einem Katheter empfohlen. Sie Kathetertechniken stimmt dem Eingriff zu, der unter örtlicher Ist die Gehstrecke stark eingeschränkt und der Betäubung erfolgt. Danach ist die Arterie Leidensdruck des Patienten ist groß, sind ein- zwar offen, die arteriosklerotische Ablage- greifendere (invasive) Maßnahmen notwendig. rung aber ragt weiterhin in das Innere des Hier sind die verschiedenen Kathetertechniken Gefäßes hinein. Aus diesem Grund wird zu- zu nennen, mit denen ein normaler Blutfluss sätzlich ein selbst expandierender Stent ein- wiederhergestellt werden kann. Der Katheter, gesetzt. Damit gelingt es, eine normal weite ein kleiner Schlauch, wird via Gefäßsystem bis Gefäßlichtung und einen normalen Blutfluss zur Engstelle vorgeschoben und das Gefäß wird zu schaffen. von innen aufgedehnt. Zuvor stellen die Ärzte Einen Monat später kommt die Patientin zur mit bildgebenden Verfahren (Sonographie; CT- Kontrolluntersuchung: Sie ist glücklich, nun oder MR-Angiographie) fest, wo genau sich das wieder unbegrenzt gehen zu können, und Strömungshindernis befindet und wie groß es versichert, dass sie schon früher zur Behand- ist. Zugleich erlauben es die per Bildgebung lung gekommen wäre, wenn sie gewusst gewonnenen Informationen, den Eingriff prä- hätte, wie wenig beschwerlich der Eingriff zise zu planen, den besten Zugangsweg und die ist. am besten passende Kathetertechnik für den je weiligen Patienten auszuwählen. Die Eingriffe HERZ HEUTE 2/2019 13
– fachsprachlich „Rekanalisationen“ genannt – Aufgrund dessen besteht in den ersten Mona- sind wenig schmerzhaft, komplikationsarm ten die Gefahr, dass sich im behandelten Ge- und erfolgen meist unter örtlicher Betäubung. fäßabschnitt Gerinnsel bilden. Die Patienten Zu den Kathetertechniken zählt die „Ballondi- müssen deshalb vorsorglich gerinnungshem- latation“: Die Engstelle im Blutgefäß wird mit mende Medikamente einnehmen. Trotz erfolg- einem Ballon aufgedehnt, der – anders als es reicher Ballondilatation oder Stentimplantation der Name vermuten lässt – nicht elastisch ist, kann es erneut zu einem Gefäßverschluss kom- sondern bei hohen Drücken immer härter men, der dann wiederholt interventionell oder wird, sodass auch verkalkte Verengungen mit operativ behandelt werden kann. ihm geweitet werden können. Bei der „Stent Bei Patienten mit pAVK sollte immer auch dar- implantation“ wird zusätzlich ein „Stent“, eine auf geachtet werden, ob es Anzeichen für eine Gefäßstütze, eingebracht. Er soll das Gefäß of- koronare Herzerkrankung oder eine Herz- fen halten. Weitere Katheterverfahren sind die schwäche gibt. Umgekehrt sollten Patienten „Atherektomie“ (beziehungsweise „Thromb- mit solchen Herzleiden auf das Vorliegen einer ektomie“), um hartnäckige, wiederkehrende pAVK untersucht werden. Wichtig ist es, eine Verengungen zu entfernen, sowie die „Kathe- pAVK so frühzeitig wie möglich zu erkennen terlyse“, das medikamentöse Auflösen von und zu behandeln sowie Risikofaktoren kon- Blutgerinnseln. sequent auszuschalten: Denn es geht bei der Ballons und Stents werden individuell für den pAVK nicht allein um die Beine, sondern auch Patienten je nach Durchmesser seiner Gefäße um Herz und Hirn. und Ausmaß des bei ihm bestehenden Gefäß- verschlusses gewählt. Bei den Stents werden von der Bauweise her „selbstexpandierende“ PROF. DR. DR. h.c. KLAUS MATHIAS von „ballonexpandierenden“ Typen unter- war Direktor der Radiologischen schieden. Selbstexpandierende Stents befinden Klinik des Klinikums Dortmund sich zusammengefaltet in einer Katheterhülse und hat seine Tätigkeit nach und setzen sich selbst frei. Ballonexpandieren- seinem Ausscheiden als Consul- de Stents sind auf einen Ballonkatheter mon- tant der Abteilung für Klinische tiert und werden passiv mithilfe des Ballons und Interventionelle Angiologie freigesetzt. und Leiter der Interventionellen Studien haben zwischenzeitlich gezeigt, dass Neuroradiologie der Asklepios Klinik St. Georg in verengte oder verschlossene Beckenarterien Hamburg bis zum Jahr 2018 fortgesetzt. Gegen- (Arteria iliaca) nach erfolgter Rekanalisation am wärtig ist er für die „World Federation of Inter- besten mit Stents versorgt werden: Mit Stents ventional Stroke Treatment“ tätig. lässt sich die Arterie länger offen halten als Kontakt: klausmathias@t-online.de mit der Ballondilatation alleine. Befindet sich das Strömungshindernis in der Oberschenkel- PROF. DR. SIGRID NIKOL ist Chef- oder Kniearterie (Arteria femoralis superficialis ärztin der Abteilung für Klinische oder poplitea) oder in den Unterschenkelarte- und Interventionelle Angiologie rien (Arteria tibialis), werden überwiegend me- der Asklepios Klinik St. Georg in dikamentenbeschichtete Ballons verwendet. Hamburg und außerplanmäßige Wie die Ballons sind zumeist auch die Stents Professorin der Universität Münster. mit Medikamenten beschichtet: Die Medika- Kontakt: s.nikol@asklepios.com mente sollen verhindern, dass sich aufgrund des Dehnungstraumas Zellen übermäßig ver- Literatur: mehren und das Gefäß wieder einengen. Nach Shishehbor, M. H./Jaff, M. R. (2016): Percutaneous Thera- dem Kathetereingriff muss sich die zarte In- pies for Peripheral Artery Disease. In: Circulation,134, 24, nenhaut des Gefäßes (Endothel) erneuern. S. 2008-2027. 14 HERZ HEUTE 2/2019
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