Krankheitssymptome im höheren Lebensalters Symptom "Schmerz" - Querschnittsfach "Medizin des Alterns und des alten Menschen"
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Krankheitssymptome im höheren Lebensalters Symptom „Schmerz“ K. Hager Querschnittsfach „Medizin des Alterns und des alten Menschen“
Einige Kennzeichen von Erkrankungen im Alter • Multimorbidität (viele Funktionen kommen an ihre Grenzen) • Zunahme chronischer, nicht heilbarer Erkrankungen (viele Funktionen haben ihre Grenzen überschritten) • unspezifischer und schleichender Beginn (Altern langsam) • hohe Rate an Sekundärkomplikationen (eingeschränkte Kompensationsfähigkeit) • Hierarchisierung in der Behandlung • zunehmender Bedarf an Rehabilitation nach einer akuten Erkrankung • zunehmende Wichtigkeit auch sozialer und psychischer Faktoren 2
Symptomwandel im Alter • oftmals “Symptomwandel” • akute Symptome seltener und weniger intensiv geschildert • chronische Beschwerden, die die Lebensqualität mindern, dagegen häufiger • “ist eben das Alter” • „schwächstes Glied der Kette reißt“ • funktionelle Syndrome 3
Funktionelle Syndrome- Die vier „I“ („Geriatric Giants“) Die gemeinsame Endstrecke vieler Erkrankungen ist z.B.: • Instabilität (=Sturzkrankheit) • Immobilität • Intellektuelle Veränderung • Inkontinenz 4
Risikofaktoren für Stürze Results of Univariate Analysis of Most Common Risk Factors for Falls Identified in 16 Studies That Examined Risk Factors; Quelle: „Guideline for the Prevention of Falls in Older Persons” Risk Factor Sign./Total* RR-OR Muscle weakness 10/11 4.4 History of falls 12/13 3.0 Gait deficit 10/12 2.9 Balance deficit 8/11 2.9 Use assistive device 8/8 2.6 Visual deficit 6/12 2.5 Arthritis 3/7 2.4 Impaired ADL 8/9 2.3 Depression 3/6 2.2 Cognitive impairment 4/11 1.83 Age (>80 years) 5/8 1.7 *: Number of studies with significant odds ratio or relative risk ratio in univariate; analysis/total number of studies that included each factor; Relative risk ratios (RR) calculated for prospective studies. Odds ratios (OR) calculated for retrospective studies 5
Effect on Falls Outcome from Single and Combined Interventions Intervention P % reduction in annual Number needed to treat to value fall rate prevent one fall Exercise 0.02 6.9 14 Vision 0.13 4.4 23 Home hazard management 0.29 3.1 32 Exercise plus vision 0.01 11.1 9 Exercise plus home hazard 0.02 9.9 10 management Vision plus home hazard 0.07 7.4 14 management Exercise plus vision plus home 0.004 14.0 7 hazard management Day L, Fildes B, Gordon I, Fitzharris M, Flamer H, Lord S. Randomised factorial trial of falls prevention among older people living in their own homes. BMJ 2002;325:130. 6
Todesursachen im Alter „Man stirbt nach am Alter, sondern an Erkrankungen im Alter“ Todesursache Anteil Herz-Kreislauf 50% Krebs 20% Schlaganfall 10% Lungenentzündungen 10% Unfälle 10% 7
Sterbeorte in Rheinland-Pfalz (1995) nach Altersgruppen Interdisziplinärer Arbeitskreis Thanatologie, Beiträge zur Thanatologie, Heft 8, 1997, Sterbeorte in Rheinland‐Pfalz: Zur Demographie des Todes. Ochsmann et al. 8
Behandlungsziele im Alter (empirisch) • Selbstbestimmtheit – das eigene Leben noch in den eigenen Händen halten • Würde, Akzeptanz, Anerkennung – früher geleistetes durch die Zeit entwertet, als Mensch Wertschätzung zu erfahren • Rückkehr in die häusliche Umgebung - Selbstbestimmtheit • Verbesserung der Selbständigkeit – niemanden zur Last fallen • Verbesserung von Kraft und Beweglichkeit – Aktionsradius wiedergewinnen Berzlanovich et al., Rechtsmedizin 2007 · 17:363–366 • Linderung von Schmerzen 9
Krankheiten und ihre Folgen •Disease / Krankheit z.B: zerebrale Ischämie, Schenkelhalsfraktur •Impairment / Schädigung z.B. Hemiparese, reduzierte Gelenkbeweglichkeit •Disability / Fähigkeitsstörung z.B. Gangstörungen, Toilettengang nicht möglich •Handicap / (soziale) Beeinträchtigungen z.B. Rollstuhlgebundenheit, Rückkehr nach Hause? International Classification of Impairment, Disability and Handicap (ICIDH) 10
Geriatrische Rehabilitation - Wichtige Arbeitsprinzipien • Teamarbeit, multidisziplinär, Bewegungsbad berufsgruppenüberschreitend, problemorientiert • Geriatrisches Assessment • „kybernetischer Regelkreis“ • Behandlungsinhalte: – Fähigkeitsstörungen – Beeinträchtigungen • alle Möglichkeiten ausschöpfen (schwächstes Glied bestimmt Ergebnis)! 11
„Kybernetischer Regelkreis“ Aufnahme (Re)Assessment gemeinsame Visite geriatrisches Therapieziel und Besprechung Team Therapieplanung Behandlung 12
Hauptdiagnose und Rückkehr in die gewohnten Lebensumstände Hager and Nennmann, Archives of Gerontology and Geriatrics, 25 (1997) 131-139 100 % 80 60 40 20 Lebensalter (Jahre) 0 =85 Zerebrovaskuläre Erkrankungen Kardiovaskuläre Erkrankungen Oberschenkel(hals)frakturen andere Frakturen Muskuloskeletale Erkrankungen andere Erkrankungen 13
Kontrollierte Studien zur "Wirksamkeit" geriatrischer Intervention – odds ratio (Stuck et al., Lancet 342 (8878), 1993, 1032-6) geriatr. Ambulanzen Übergangsbetreuung prävent. Hausbesuch geriatr. Konsile geriatr. Klinik 0 1 2 Mortalität Überleben zu Hause KH-Wiederaufnahmen 14
Zusammenfassung • Akutgeriatrie, frührehabilitative Komplexbehandlung, geriatrische Rehabilitation, Tageklinik und ambulante geriatrische Rehabilitation - Teile des geriatrischen Spektrums • wirksame Arbeitsmethoden und Organisationsstrukturen • Qualitätskriterien (z.B. Strukturen und Prozesse) • Schwerpunkt in der Therapie von Fähigkeitsstörungen und Beeinträchtigungen • gute Einzelergebnisse, zum Teil kontrollierte Studien 15
Schmerz im Alter
Besonderheiten der Schmerzempfindung im Alter • kaum Veränderungen der Schmerzwahrnehmung • aber: Veränderungen der Schmerzempfindung/- interpretation • Schmerzschwelle bei Alleinsein, Depression usw. verändert • psychiatrische Erkrankungen (Demenz, Depression) verändern die Schmerzwahrnehmung • Veränderungen des Organismus – Pharmakokinetik und Pharmakodynamik – Medikamenteninteraktionen – paradoxe Reaktionen – Vorerkrankungen, die zu höherer Nebenwirkungsrate Anlaß geben (Glaukom, Prostatahyperplasie, Verwirrtheit, Obstipation) 17
Häufigkeit von Schmerzen im Alter • Alter ist kein Analgetikum • akute und chronische Schmerzen im Alter häufiger • bis zu zwei Drittel der über 65jährigen leiden unter chronischen Schmerzen (Nikolaus 1997) • 60 – 80 % der 60 bis 90jährigen haben chronische Schmerzen (Gagliese u. Melzack 1997) 18
Führende Schmerzdiagnosen bei Patienten über 70 Jahre WS/Rücken Arthrosen Skelettsystem sonst. Ischäm. Herzkr. Symptom "Schmerz" Verletzungen Kr. Nervensystem Medizinische Eingriffe Tumorschmerzen 0 5 10 15 20 25 30 Häufigkeiten in % Müller-Schwefe, Deutscher Schmerztag 2001 19
Beispiel 20
Psychosoziale Folgen • affektive (meist depressive) Störungen • Verhaltensänderungen (z.B. Rückzug aus dem sozialen Leben) • vegetativen Störungen (z.B. Schlafstörungen, Appetitlosigkeit, Gewichtsabnahme) • Lebensqualität vermindert • schmerzbedingte Schonung - Dekonditionierung, langsame Rehabilitation • Schmerz als Kommunikationsmittel 21
Schmerzintensität, Schmerztagebuch Smiley Analog Skala, NAS, VAS Numerische Analogskala (NAS) Visuelle Analogskala (VAS) 22
Nonverbale Schmerzhinweise Direkte Schmerzhinweise Schonverhalten, Hinken oder gute Belastung spontane Schmerzlaute gequälte Gesichtszüge Indirekte Schmerzhinweise gestörte Alltagsfunktionen Lustlosigkeit Schlafstörungen sozialer Rückzug Appetitlosigkeit 23
Beobachtungsskalen für Schmerzen bei Demenzpatienten Diavortrag „Pain Assessment in the Elderly with Dementia; M. Aubin 24
Doloplus • französische Skala • 10 Items – somatische – psychomotorische – psychosoziale Reaktionen • jedes Item 0-3 Punkte • maximal also 30 Punkte • Schmerzen: 5-30 Punkte 25
Multidimensionale Therapie des chronischen Schmerzes Pathophysiologie Nozizeptoren NSAR, Metamizol, Paracetamol, Opioide, nicht- pharmakologische Methoden neurophysiologische Schmerzwahrnehmung, Opioide, Antiepileptika, Konsequenzen vegetative Reaktionen Antidepressiva, Neuroleptika, … funktionelle verminderte Mobilität funktionelles Training Konsequenzen psychosoziale Depession, Rückzug, Training ADL, Konsequenzen Änderung der Beziehungen Angehörigenberatung… mit der Familie… 26
Schmerzarten • nozizeptiv – somatisch: Knochen, Weichteile – visceral – ischämisch • neuropathisch – peripher – zentral – sympathisch 27
Analgetika im WHO-Stufenschema Wirkstoff Handelsname ® (Beispiele) Hydromorphon Jurnista (24h), Palladon (8-12h ret. Kps.) Stufe 3 Fentanyl Durogesic SMAT Morphin M-long , MST Continus, Sevredol, Capros, Kapanol Oxycodon Oxygesic Buprenorphin Temgesic , Transtec Pro Stufe 2 Tilidin + Naloxon Valoron N Tramadol Tramal long, Tramundin Dihydrocodein DHC Acetylsalicylsäure Aspirin , Alka-Seltzer Ibuprofen Aktren , Dolormin , Optalidon Stufe 1 Paracetamol Ben-u-ron , Fensum Metamizol Novalgin , Metalgin Diclofenac Voltaren , Benfofen Etoricoxib Arcoxia Celecoxib Celebrex 28 * Präparate in nicht retardierter Galenik, die zur Therapie von Schmerzspitzen einsetzt werden
Altersspezifische Besonderheiten – Stufe 1 • ASS nicht Mittel der ersten Wahl; nur als Thrombozyten- Aggregationshemmer in Dauermedikation • Paracetamol, analgetisch schwach, Gefahr: hepatotoxisch, häufig Anstieg der „Leberwerte“ (GOT, GPT, LDH, AP, GGT) • Piroxicam und Meloxicam haben eine geringere therapeutische Breite, wegen langer HWZ bei alten Menschen kritisch bei Flüssigkeitsmangel; Indomethazin hat zerebrale Nebenwirkungen, im Alter weniger geeignet 29
Altersspezifische Besonderheiten der NSAR • Ibuprofen und Diclofenac machen beim alten Menschen häufig Nebenwirkungen; besonders gastrointestinale Beschwerden • Auch leichte Hb-Abfälle können gefährlich sein. • Arthrosen sollten wegen der Nebenwirkungen nur im aktiven Stadium mit NSAR behandelt werden • ggf. gleichzeitig Magenschutz-Therapie 30
Risikopatienten unter NSAR- Therapie Besonders hohes Risiko für gastrointestinale NW: • >65/70 Jahre • bekannte Ulcuskrankheit • gastrointestinale Blutung in der Anamnese • Kortisontherapie Besonders hohes Risiko für Nierenfunktionsstörungen: • >65/70 Jahre • vorbestehende Nierenerkrankung • art. Hypertonie, Diabetes mellitus • Herzinsuffizienz • Comedikation mit Diuretika und/oder ACE-Hemmer • Flüssigkeitsmangel 31
Altersspezifische Besonderheiten von Metamizol • Metamizol hat blutdrucksenkende Eigenschaft, ansonsten gut verträglich • analgetisch besser als PCM • da bei alten Menschen häufig viscerale Schmerzen, spasmolytische Eigenschaften vorteilhaft • selten: Leukopenie • Dosierung: 4x20-40 Tropfen 32
Altersspezifische Besonderheiten -Stufe 2 • Tramadol-Tropfen führen bei Älteren gelegentlich zu Übelkeit bis Erbrechen • Retardiertes Tramadol ist evtl. besser verträglich, ausreichend steigern • Auf Nieren- und Leberfunktionsstörungen bei der Tramadol-Dosierung achten: – Bei Leberfunktionsstörung niedriger einsteigen – Bei Nierenfunktionsstörung ggf. Dosisintervall verlängern • Tilidin/Naloxon bei ausgeprägter Leberfunktionsstörung nicht geeignet • Wechselwirkung mit Carbamazepin 33
Altersspezifität der Stufe 3 • keine Organtoxizität • Morphin bei Nierenfunktionseinschränkung – Dosisreduktion oder – Intervallverlängerung • Obstipation für alte Menschen besonders belastend, daher: – gleichzeitig Laxans verordnen – Begleitmaßnahmen wie Ernährung, Trinken erklären • Verwirrtheit – bei Pflastern erst nach Stunden oder Tagen 34
Kinetik bei Einmalapplikation von Transtec 700 600 Pflasterentfernung Transtec 70 500 400 c [pg/ml] Transtec 35 300 200 MEC 100 0 0 20 40 60 80 100 120 140 Zeit [h] 35
Häufigkeit der Anwendung von Analgetika bei über 70jährigen Patienten Auswertung aus 400 Arztpraxen, Zeitraum Januar-Dezember 2000: 43.587 Schmerzpatienten > 70 Jahre, Fentanyl TTS Morphin Rofecoxib Paracetamol Metamizol Ibuprofen Opioidkombi Tramadol ASS Diclofenac 0 5000 10000 15000 20000 25000 30000 35000 40000 45000 Verordnungshäufigkeit Müller-Schwefe, Deutscher Schmerztag 2001 36
Altersspezifische Besonderheiten der Antikonvulsiva • Indikation: einschiessender, elektrisierender, neuropathischer Schmerz • Initial starke Müdigkeit • Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit, Gangsicherheit und bei der Verrichtung der täglichen Arbeiten 37
Ursachen unzureichender Schmerztherapie Fehlende Schmerzdiagnose Unterschätzung der Schmerzintensität Verschreibung nach Bedarf Verzicht auf Begleitmedikation Bevorzugung schwacher Opioide Angst vor Toleranz + Abhängigkeit unter starken Opioiden erschwerte Einschätzung, z.B. bei Demenz oder Delir ageism - ("hohes Alter, da muss man Schmerzen haben") andere Präsentation von Schmerzen (z.B. Verwirrtheit, Depression) 38
cave Schmerz im Alter • Unterschätzen des Schmerzes – Schmerzempfindung im Alter +/‐, Schmerzinterpretation kann aber abweichen („Im Krieg viel erlebt...“) – Über 80‐Jährige bekommen um ein Drittel weniger Opiate als Jüngere (Bernabei et al., JAMA 1998) • Demenzpatienten – Bei MMSE unter ca. 15 Punkten kaum mehr in der Lage Schmerzen konkret anzugeben – äußern ihre Schmerzen/Ängste usw. nicht mehr konkret, auf nonverbale Zeichen achten – Nicht‐demente Patienten erhalten beispielsweise nach einer Schenkelhalsfraktur mehr Schmerzmittel als demente Patienten (Morrison und Siu, Pain Symptom Management 2000, 19:240‐8). 39
Zusammenfassung –1 (from several sources, e.g. Ferrel, 1991, Gloth, 1996 u.a.) • Die Prinzipien der Schmerztherapie im Alter sind denen in der Jungend sehr ähnlich, allerdings gibt es einige spezifische Probleme. • Die Schmerzprävalenz ist im Alter hoch. • Fragen Sie alte Menschen immer auch nach Schmerzen. • Akzeptieren Sie die Angaben über Schmerzen und deren Intensität, denn der alte Schmerzpatient läuft eher Gefahr, keine angemessene Schmerzdiagnostik und -behandlung zu bekommen. • Unterschätzen Sie nicht die potentiellen Effekte einer guten Schmerztherapie auf den Zustand des Patienten und seine Lebensqualität. 40
Zusammenfassung -2 (from several sources, e.g. Ferrel, 1991, Gloth, 1996 u.a.) • immer eine möglichst exakte Diagnose/Hypothese anstreben • Schmerzprävention ist besser als die Behandlung des Schmerzes • Medikation: niedrig beginnen, langsam steigern, ausreichende Dosen anstreben, Nebenwirkungen einkalkulieren • Angst und Depression mit einkalkulieren • Funktion und Lebensqualität sind wichtige Ziele • Medikamente immer wieder “durchforsten” • medikamentöse und nicht-medikamentöse Strategien wenn möglich verbinden • Patienten mobilisieren (physisch, psychosozial) • Patienten mit in die Therapie einbeziehen 41
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