KRIEG ODER FRIEDEN? - In Indonesien gibt es 30 000 Koranschulen. Die meisten lehren ihre Schüler, die Worte des Propheten als Botschaft des ...
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N ° 5 — 3 . F e brua r 201 8 K R IEG ODER F R IEDEN? In Indonesien gibt es 30 000 Koranschulen. Die meisten lehren ihre Schüler, die Worte des Propheten als Botschaft des Friedens zu lesen. Doch das kann sich ändern
Bauer Bründler mit seinen Kühen Natürlich. Richtig. Gut. Weil es natürlich ist, der Weil es richtig ist, respektvoll und Weil es gut ist, sich selbst etwas Umwelt und ihren Ressourcen achtsam mit der Natur Gutes zu tun und das Beste Sorge zu tragen. Hier und ihren Produkten umzugehen der Natur mit gutem Gewissen und überall auf der Welt. und nachhaltig zu handeln. zu geniessen.
S c h u l be s uc h In keinem Land leben so viele Muslime wie in Indonesien. Dank der religiösen Erziehung in den Zehntausenden Koranschulen herrscht dort ein liberaler Islam vor. Wie lange noch? Text Paula Scheidt Bilder Muhammad Fadli Arina ist siebzehn Jahre alt, ihre Lieb- lingsfarbe ist Pink, und ihren Alltag diktiert Allah. Vor Sonnenaufgang entrollt sie ihren kleinen goldenen Teppich auf dem Boden der Moschee, richtet den Blick nach Mekka und be- ginnt zu beten. Ihr Körper ist von der Stirn über die Handrücken bis zu den Zehenspitzen in ein weisses Gewand gehüllt, zu ihren Füssen liegt in einem rosa Mäppchen der Koran. Neben ihr knien Hunderte Mädchen auf ihren Teppichen und wispern arabische Ver- se. Es sind die Schülerinnen der Ko- ranschule «Kebon Jambu» auf der in- donesischen Insel Java. DA S M AG A Z I N N ° 05 — 2018 14
WAS IST EIN GUTER MUSLIM? Sie schützt ihren Glauben, und ihr Glaube schützt sie. Schülerin der «Kebon Jambu»-Koranschule auf Java.
In Indonesien, dem Land mit den Als ihr Mann starb, nahmen übung der Religion. Für die welt- meisten Muslimen weltweit, gibt lichen Fächer besuchen sie eine es viele Millionen Kinder wie Ari- Eltern die Kinder von der staatliche Schule. «Bevor ihr den na. Gläubig zu sein, ist hier keine Schule. Eine Frau als Rektorin? Weg nach Mekka antretet», sagt Frage der persönlichen Vorliebe, Wie soll das gehen? Unsere der Lehrer, «müsst ihr euch in- sondern Schicksal. Glaubensfra- nerlich darauf vorbereiten. Ihr gen bestimmen Alltag und Poli- Kinder bleiben dumm! müsst einen starken Wunsch ver- tik. Atheismus ist verboten, wer Das verstösst gegen den Koran! spüren.» Arina kritzelt indonesi- die Existenz Gottes bestreitet, sche Übersetzungen zwischen die kann zu fünf Jahren Gefängnis arabischen Zeichen in ihrem verurteilt werden. Was bedeutet das? Mehr als fünf Prozent der Kinder in Buch. Schon ihr Vater hat diese Schule Werden diese Kinder später alles Indonesien besuchen eine der schät- besucht, auch ihr Bruder ist hier. Eines Westliche ablehnen? Frauen in kurzen zungsweise 29 000 Koranschulen des Tages möchte sie in das Dorf zurück- Röcken anspucken, sich Sprengstoff- Landes. Vor allem arme Familien schi- kehren, in dem sie aufgewachsen ist, gürtel umschnallen und Nachtklubs in cken ihre Kinder hierher. Weil die und dort den Islam lehren – so wie ihr die Luft jagen? Wir wissen es nicht. Schulen billig sind – Unterkunft, Aus- grosses Vorbild, die Schulleiterin. Denn der Koran ist – genau wie die Bi- bildung und Verpflegung kosten um- bel – ein jahrtausendealtes Buch. Aus gerechnet 250 Franken im Jahr – und Händchen halten einer Zeit, als die Menschen in Zelten weil die Eltern glauben, dass ihre Kin- Indonesien ist eine Demokratie, aber lebten und auf Kamelen ritten. Seine der hier gut auf das Leben vorbereitet seit Jahren gewinnen – wie in vielen Verse müssen neu interpretiert wer- werden. Den Islam zu kennen, kann in Ländern – die islamischen Hardliner den. Und es ist ziemlich entscheidend, dieser frommen Gesellschaft ein be- an Macht. Es ist ein schleichender Pro- wer diesen Job heute macht. ruflicher Vorteil sein, wie bei uns Spa- zess mit dramatischen Folgen. Die in- Wenn wir Glück haben, ist es je- nisch oder Programmieren. donesische Provinz Aceh beispielswei- mand wie Masriyah Amva, die Rekto- se hat seit 2001 schrittweise die Scha- rin an Arinas Koranschule. Vorbild werden ria eingeführt. Inzwischen werden Die 57-Jährige sitzt in einem Kleid Arina ist um drei Uhr nachts aufge- dort jedes Jahr Hunderte Frauen und aus gelber Rohseide auf einem Sofa, wacht, wie jeden Tag. Der Lärm von Männer öffentlich ausgepeitscht, weil draussen wird es langsam hell. Masri- Löffeln, die auf leere Plastikflaschen sie Händchen halten oder Jeans tra- yah Amva bestimmt, was die 1500 klopfen, riss sie aus dem Schlaf. Wer gen. Frauen dürfen in Aceh abends Mädchen und Buben lernen, wie oft sie nicht aufsteht, kriegt den Stock der nicht mehr allein das Haus verlassen. beten, wovon sie träumen. Die Koran- Lehrer zu spüren oder kaltes Wasser Ein anderes Beispiel: Mit Diplo- schule «Kebon Jambu» ist eine der ins Gesicht. Das Gebet vor Sonnenauf- matie und Aufklärungsarbeit war es grössten Indonesiens. Und Masriyah gang ist sunna – ein unverbindliches fortschrittlichen Politikern gelungen, Amva eines der wenigen weiblichen Angebot des Propheten Mohammed die weibliche Genitalverstümmelung Oberhäupter. «Wer sagt, im Koran ste- an alle Muslime, wie die Fastentage landesweit zu verbieten. 2013 wurde he, dass Frauen ihren Männern dienen ausserhalb des Ramadan. das Verbot wieder aufgehoben. Reli- müssen, der irrt», sagt sie. Die meisten Indonesier lehnen giöse Führer hatten in einer Fatwa, Ihr liegt nicht nur der Feminismus dankend ab. Aber die Väter und Mütter einem islamischen Rechtsgutachten, am Herzen, sondern auch der Respekt schicken ihre Kinder nicht von entle- erklärt, die Beschneidung sei für Frau- vor anderen Religionen. Sie will in genen Inseln hierher, damit sie mor- en eine Voraussetzung, um den Islam ihrer Schule Bürgerinnen und Bürger gens ausschlafen, sondern damit sie zu praktizieren. heranbilden, die allen gleich viel zu- gute Muslime werden, Vorbilder für Im vergangenen Frühling kostete trauen, ob Frau oder Mann. Die den alle anderen. dann eine unbedachte Bemerkung den Dschihad nicht als Aufruf zum Töten Das ist die Aufgabe von Masriyah Gouverneur von Jakarta die Wieder- verstehen, sondern als Anstrengung, Amva. Die Frage ist nur: Was genau ist wahl. Im Wahlkampf hatte er kriti- ein besserer Mensch zu werden. ein guter Muslim, eine gute Muslimin? siert, Hardliner sollten nicht den Ko- Die zierliche Erscheinung von Um halb sechs beginnt für Arina ran missbrauchen, um der Bevölke- Masriyah Amva, ihr sanfter Blick und der Religionsunterricht. Das Thema: rung auszureden, ihn zu wählen. Der die vornehme Wortwahl täuschen dar- der Haddsch, die grosse Pilgerfahrt Gouverneur ist Christ, er gehört zur über hinweg, wie viel Kraft diese Mis- nach Mekka, eine der fünf Säulen des chinesischen Minderheit und war sehr DA S M AG A Z I N N ° 05 — 2018 sion sie Tag für Tag kostet. Sie kämpft Islam. Dreissig Mädchen sitzen im beliebt. Nun behaupteten seine politi- an zwei Fronten. Auf der einen Seite Schneidersitz auf dem Boden, in Ari- schen Gegner, mit dieser Äusserung gegen muslimische Fundamentalisten nas Schoss stapeln sich farbige Bücher, beleidige er Allah. Sie riefen zu De und auf der anderen gegen die Vor- es sind die Handlungsanweisungen monstrationen auf, kurz darauf wurde urteile des Westens gegenüber dem Is- des Propheten Mohammed. An der der Gouverneur erst abgewählt und lam. Ihre Waffe in diesem Kampf ist Koranschule lernen die Kinder islami- dann vor Gericht gestellt. Das Urteil: der Koran. sches Recht, die Interpretation des Ko- zwei Jahre Haft. Nun sitzt der Mann im rans und arabische Grammatik, alles Gefängnis. Eine Strafe, die symbolisch 16 über Allahs Schöpfung und die Aus- ist für den neuen Zeitgeist.
Die meisten Indonesier nehmen es mit den religiösen Regeln nicht so genau. Die Schülerinnen, hier nach dem Nachmittagsgebet, schon. Um sich zu waschen, gehen die Schüler in den Fluss. Wenn das Wasser verdreckt ist, kommen sie schmutziger zurück, als sie gekommen sind. Auch ihre Kleider tragen die Schüler zum Fluss. Die meisten waschen zum ersten Mal ihre eigene Wäsche. 17
Allahs Stellvertreterin ich bin schwach, und du bist stark», dem Gelände 500 Jugendliche, heute Masriyah Amva hatte nie vor, Rektorin betete sie. «Lass mich ein Zeichen dei- sind es 1500, dreimal so viele. Die zu werden. Bis 2006 leitete ihr Ehe- ner Herrlichkeit sein.» Plötzlich wurde Jüngsten sind zwölf, die Ältesten über mann die Schule, die zwischen Reisfel- ihr klar: Sie hatte den Ausweg gefun- zwanzig. Sie schlafen, essen und leben dern und Bananenpalmen am Rand den. Sie rief ihre Schülerinnen und rund um die Uhr hier. «Niemals hätte des Dorfes Ciwaringin liegt. Als er Schüler in die Moschee und verkünde- ich gedacht, dass ich in der Lage wäre, krank wurde und starb, drohte der pri- te feierlich: «Ihr wisst, dass mein eine so grosse Schule zu leiten», sagt vaten Schule, die seit Generationen Mann verstorben ist. Ich habe lange sie. Dass Allah der Chef ist, erwähnt von den Männern in ihrer Familie ge- nach einem Nachfolger gesucht, nun sie nicht mehr. Sie trifft alle Entschei- führt worden war, die Schliessung. habe ich ihn endlich gefunden: Es ist dungen selbst, auch wenn es die An- Also entschloss sich die Witwe, die Allah der Allmächtige. Ich werde seine schaffung eines neuen Mülleimers ist. Leitung zu übernehmen. Stellvertreterin sein.» Von diesem Tag «Das ist überhaupt nicht in mei- Masriyah Amva wusste, was einen an verliess kein Kind mehr die Schule. nem Sinn», murmelt sie mit einem guten Lehrer ausmacht, wie das Gebet Stattdessen kamen viele neue. missbilligenden Blick auf den Hof, wo angeleitet wird, wodurch man die Auf- Was Masriyah Amva damals be- Arbeiter Stühle hinstellen und eine merksamkeit pubertierender Knaben griffen hat: Zwar ist der Verweis auf Bühne aufbauen. Ihr Neffe will in Cire- gewinnt. Lang genug hatte sie ihrem Allah manchmal ein Problem, er kann bon, der 300 000-Einwohner-Stadt, Ehemann über die Schulter geschaut. aber auch die Lösung sein. Man muss in der die Schule liegt, Gouverneur Aber als die Nachricht vom Tod ihres die Sache nur richtig angehen. werden. Und er hat sie gebeten, eine Mannes sich herumsprach, reisten Vä- Sie erhebt sich vom Sofa und Rede in der Schule halten zu dürfen. ter und Mütter an und holten ihre Kin- macht ein paar Schritte hinaus auf die «Das konnte ich ihm nicht abschlagen, der ab. Eine Frau als Rektorin? Wie überdachte Terrasse. Von hier über- er gehört ja zur Familie.» Auch wenn sollte das gehen? Unsere Kinder wer- blickt sie den grossen Hof, die Mo- sie ihn für einen guten Politiker mit den dumm bleiben! In den Schlafräu- schee der Knaben, deren Schlafräume modernen Ideen hält, ihre Schützlinge men wird Chaos ausbrechen! Das ver- und das Eingangstor. Die privaten Ge- hätte sie doch lieber aus dem Wahl- stösst gegen den Koran! mächer der Rektorin bilden das Herz kampf herausgehalten. Sie schlüpft in Masriyah Amva zog sich in ihre der Schule – aus dem Salon führt eine ihre schwarzen Lacksandalen mit Keil- Gemächer zurück. Tat sie das Falsche? Hintertür in das Reich der Mädchen. absatz und beobachtet das Treiben mit Verärgerte sie Allah? «Grosser Gott, Zu Zeiten ihres Ehemanns lebten auf verschränkten Armen. In der Koranschule wird gesungen und getanzt. Manche finden das gottlos. Die Rektorin antwortet ihnen: Allah liebt das Schöne. Jeden Morgen vor Sonnenaufgang raus, und dann noch diese Hitze. Schüler beim Nachmittagsschlaf in der Moschee. 18
Masriyah Amva, die Leiterin der Koranschule «Kebon Jambu», hatte es anfangs nicht leicht. Inzwischen ist sie eine anerkannte Islamgelehrte.
In einem Land wie Indonesien sind Bücher sind auf Arabisch, und die Gerahmte Fotos in ihrem Büro zeigen Koranschulen auch für die Politiker Schülerinnen und Schüler dürfen mit eine Reporterin des «Time Magazine», wichtig: Wer die Kinder und ihre El- Stipendien in Riad studieren. Mit den die in der Schule zu Besuch war, einen tern hinter sich hat, der rückt der Lehrern und Büchern wandert eine Bus mit Parlamentariern aus Pakistan, Macht näher. Das weiss auch Masriyah Kultur ein, die Masriyah Amva Sorgen den berühmtesten Sänger Indonesiens Amvas Neffe. bereitet: An der ersten saudischen und drei grimmig blickende Gelehrte Universität in Jakarta tragen die Stu- aus dem Libanon in weissen Gewän- Kampf um den Koran dierenden lange weisse Gewänder, dern und mit langen Bärten. Masriyah Im vergangenen Jahr hat die Wahid- und die Frauen dürfen den Vorlesun- Amva hat mehrere Bücher geschrie- Stiftung aus Jakarta eine Studie zum gen nur per Videoübertragung in ben, über Religion und Erziehung, ihre Thema Radikalisierung in Indonesien einem abgetrennten Raum lauschen. Memoiren, Gedichte. Berühmte Men- veröffentlicht. Die Studie wurde viel Masriyah Amva fährt einen SUV schen und einfache Bürger, Atheisten diskutiert, weil sie zum Schluss kam, mit roten Ledersitzen und findet, Frau- und Fanatiker möchten sie treffen. Sie dass 7,7 Prozent der muslimischen Be- en sollten genau dieselben Rechte und spricht mit allen, die das wünschen. völkerung Indonesiens mit dem radi- Pflichten haben wie Männer. Sie warnt Inzwischen traut sich kaum noch kalen Islam sympathisieren und 0,4 ihre Schülerinnen und Schüler davor, einer, ihre Position als Islamgelehrte Prozent ihn mindestens einmal aktiv zu früh zu heiraten. Lieber sollen sie anzuzweifeln, und wenn doch, entgeg- unterstützt haben. zuerst auf Reisen gehen und Erfahrun- net sie: «Ich denke, Sie haben die Hei- In der globalen Terrorfirma Isla- gen sammeln. Sie bringt ihnen bei, an- lige Schrift nicht richtig gelesen. Schla- mischer Staat spielen Indonesier zwar dere Meinungen und Glaubensrich- gen Sie Sure 3 nach.» Früher dachte kaum eine Rolle – aus jedem europäi- tungen zu respektieren. Pluralismus sie, der Feminismus sei etwas für Frau- schen Land stammen vergleichsweise ist in ihren Augen ein universeller en aus dem Westen. Sie selbst sprach mehr Kämpfer. Aber das Land hat sei- Wert, den auch Muslime hochhalten lieber von Frauenrechten. Inzwischen ne eigenen Terrormarken. Die be- sollten, denn er ist Voraussetzung für gibt sie Männern die Hand und be- kannteste heisst Jemaah Islamiyah. ein friedliches Zusammenleben. zeichnet sich als Feministin. 2002 töteten deren Mitglieder auf Bali Ihr prominentester Fürsprecher mit einer Autobombe mehr als zwei- Feministische Islamgelehrte heisst Haji Hussein Muhammad. Er ist hundert Menschen, hauptsächlich Von den Blättern des Mangobaums eine Koryphäe unter den Islamgelehr- Touristen, drei Jahre später explodier- tropft warmer Regen. Auf Masriyah ten und der wichtigste Feminist des ten Sprengsätze auf der Ferieninsel. Amvas Terrasse treffen die lokalen Landes. Er hält Vorträge, berät die Re- Seither verübten die Islamisten weite- Würdenträger ein. Männer mit gierung, schreibt Bücher. Gerade ist er re Attentate. Zuletzt starben vor einem schwarzen Hüten, in bunten Hemden auf dem Weg nach Jakarta. Bei einem Jahr in Jakarta in einer Busstation zehn und Sarongs. Manche tauschen herzli- Zwischenhalt am Bahnhof von Cire- Menschen, darunter drei Polizisten. che Worte mit der Gastgeberin, andere bon erklärt er, warum er Masriyah 0,4 Prozent Terroristen – das mag nach nicken ihr zu und setzen sich auf den Amva unterstützt. «Der beste Weg, wenig klingen, aber bei 200 Millionen Teppichboden. Es sind ehemalige den Islam zu reformieren, ist, die vor- Muslimen sind das achttausend poten- Schüler, Rechtsgelehrte, Oberhäupter handenen Traditionen und Institutio- zielle Selbstmordattentäter. anderer Koranschulen und Politiker. nen zu nutzen», sagt er. Anfang der Es ist ein Ringen zwischen Gut Die Schülerinnen, die Küchendienst 1990er-Jahre beschäftigte ihn die Fra- und Böse. Auf dem Spiel steht die Deu- haben, servieren frittierte Bananen, ge, warum im Namen des Islam, der tungshoheit über den Islam. «Wer be- frische Mango und Kokosreis. doch Gerechtigkeit für alle propagiere, hauptet, Allah erlaube Gewalt, inter- Die Stuhlreihen im Hof haben sich so viel Ungerechtigkeit gegenüber den pretiert den Koran falsch», sagt Mas gefüllt, ihr Neffe, der Politiker, betritt Frauen herrscht. «Mir wurde klar: Die riyah Amva. «Viele Muslime denken, die Bühne. «Wer hundert Menschen Rolle der Frauen zu verbessern, kann die wörtliche Lesart, wie sie im arabi- dazu bringt, mich zu wählen, darf sein der Schlüssel zu allem anderen sein.» schen Raum praktiziert wird, sei die Kind kostenlos auf diese Schule schi- Er sagt aber auch: «Der Westen einzig richtige, weil der erste Teil des cken», ruft er ins Mikrofon. Das Publi- macht uns Muslime für den Terroris- Korans aus Saudiarabien stammt. kum klatscht. mus verantwortlich. Das ist keine ein- Aber diese dogmatische Interpretation Je grösser die Schule wurde, desto fache Situation. Es löst bei vielen Gläu- widerspricht unserer Kultur.» mächtiger wurde Masriyah Amva. bigen Wut und Ohnmacht aus.» Saudiarabien betreibt seine Kul- Nicht nur als Schulleiterin, auch als Is- DA S M AG A Z I N N ° 05 — 2018 turdiplomatie auf der ganzen Welt, lamgelehrte. Vor einem Jahr fand in If I were you aber Indonesien ist die grösste Bühne. der Schule der erste nationale Kon- Arina streift ihre Schuluniform über, Über hundert Koranschulen wurden in gress für weibliche Islamgelehrte statt. schwarzes Kopftuch, blaues Hemd, den letzten Jahren mit saudischen Gel- Frauen mit und ohne Kopftuch aus schwarze Hose. Jeden Vormittag be- dern gegründet, und es werden schnell dem ganzen Land reisten an, aber auch sucht sie die öffentliche Schule. Hier mehr. An vielen Schulen unterrichten aus Pakistan, Malaysia, Saudiarabien lernen die Schülerinnen und Schüler Lehrer aus dem Mittleren Osten, die und Afghanistan. Sie diskutierten über der Koranschule das weltliche Curri- Polygamie, Kopftuchpflicht und Gen- culum: Mathematik, Literatur, Physik, 20 der im Koran. Biologie. Zu Fuss geht sie die 500 Me-
ter, vorbei an den Reisfeldern und Über hundert Koranschulen schlimm ist es, wenn ich krank Imbissbuden zum Eingangstor im bin», sagt er. Ein anderer Knabe Dorfkern. Um acht Uhr beginnt wurden mit saudischen Geldern erzählt, wie gross die Umstellung der Unterricht. Sie sitzt in der gegründet. Lehrer und Bücher zu Beginn gewesen sei. «Plötzlich Bank, teilt das Englischbuch mit sind arabisch, und mit ihnen müssen wir alles, worum sich die ihrer Nachbarin. Der Lehrer Eltern gekümmert haben, selbst schreibt an die Tafel: I would have wandert eine Kultur ein, die machen: Schulhefte kaufen, Wä- asked first, if I were you. «Warum Masriyah Amva Sorgen bereitet. sche waschen, Kleider bügeln.» were?», fragt er in den Raum. Während die Mädchen ihre «Conditional!» ruft Arina. Schulleiterin vergöttern, hat der «Which conditional?» – «Two!» Es ist hier an. Ihr Körper ist da, aber ihr Geist kleine Saeful auch nach einem halben noch früh am Morgen, aber schon über ist abwesend.» Zu unterrichten sei Jahr noch nicht verstanden, wer sein dreissig Grad heiss. Dem Lehrer läuft unter diesen Umständen schwierig. religiöses Oberhaupt ist. Er läuft ein- der Schweiss über die Stirn, in den hin- Arina hat in der letzten Nacht nur vier fach den Älteren hinterher. Ein ande- teren Reihen ruhen die Köpfe auf den Stunden geschlafen, wie meistens. rer Junge beschwert sich: «Manchmal Pulten. Manchmal macht sie tagsüber ein Ni- gibt die Rektorin Anweisungen, aber Nur wenige Kinder leben bei ihren ckerchen. Aber häufig ist die Moschee, man merkt: Sie kennt unsere Situation Eltern. «Wir haben mehr und mehr ihre Schlafstätte, nachmittags besetzt. überhaupt nicht. Kürzlich hat sie uns Koranschulen in der Gegend», sagt Zudem schallen ständig Lautsprecher- zum Baden an den Fluss geschickt, eine Lehrerin der öffentlichen Schule. durchsagen über das Gelände. aber das Wasser ist ganz schlammig.» Die Region Cirebon ist das religiöse Es ist eine Erfahrung, die an den vielen Zentrum der Insel Java, eine der vier Priorität Nummer zwei männlich geführten Schulen die Mäd- Hauptinseln Indonesiens. Aber auch Mittags kehren die Kinder zurück ins chen machen: Priorität Nummer zwei in anderen Gegenden haben die Ko- Internat. Ein paar Knaben sitzen vor zu sein. ranschulen sich in den letzten Jahren dem kleinen Schulladen, der Seife und In der Moschee bringt Arinas stark vermehrt. Süssigkeiten verkauft. Saeful ist drei- Freundin die Bambusrohre des Xylo- In den Augen der Lehrerin ist das zehn Jahre alt und erst seit einem hal- fons mit einem kleinen Schläger zum keine gute Entwicklung: «Die Kinder ben Jahr hier. Er spricht leise und zag- Schwingen. In langen Reihen sitzen kommen morgens völlig übermüdet haft, oft hat er Heimweh. «Besonders die Mädchen vor ihr und lauschen. Es Masriyah Amva mit ihren Schülerinnen beim Unterricht nach dem Abendgebet.
ist Céline Dions «My heart will Die junge Generation dul Kodir, «weil sie Angst haben, go on», die Titelmelodie von Wählerstimmen zu verlieren. «Titanic». Arina sitzt in der ers- entdeckt den Koran als Lifestyle – Wenn es Probleme mit radikalen ten Reihe, sie kennt den Film. so wie Menschen Muslimen gibt, müssen immer wir Man kann ihn im Aufenthalts- im Westen das Onlineshopping moderaten Muslime uns darum raum ansehen. kümmern.» Manche Eltern halten Tan- oder die zen und Musizieren für eine Fünf-Elemente-Küche. Koran als Lifestyle Zeitverschwendung. Dafür ha- Am frühen Abend vor der Koran- ben sie ihre Kinder nicht hierher schule. Eine Universitätsdozentin geschickt. Andere finden es gar haram, ligiöse Erziehung ein, die mit einem steigt aus einem Uber-Taxi. Sie ist ge- sündhaft. Masriyah Amva hat schon staatlichen Lehrplan vereinbar ist. So kommen, um eine Vorlesung zum The- viele Väter und Mütter in ihren Salon wie Klosterschulen in Europa. ma «Hate Speech» zu halten. Masri- eingeladen und ihnen mit Autorität er- «Als Indonesien noch eine hollän- yah Amva hat sie eingeladen. Das The- klärt: «Der Prophet Mohammed sagt: dische Kolonie war», sagt er, «war der ma liegt der Dozentin am Herzen: In Gott ist der Schönste, und er liebt die Wunsch nach islamischer Macht eine ihren Linguistikseminaren sitzen Stu- Schönheit. Musik und Tanz sind ein Triebfeder des Widerstands.» Mit isla- dierende, die ihr Sorge bereiten. Eine Ausdruck von Schönheit. Was also mischer Macht meint er einen soge- junge Frau hat sich kürzlich einer Isla- könnte daran falsch sein? Zudem öff- nannten Gottesstaat wie den Iran, wo mistengruppe angeschlossen. In lan- net die Kunst unsere Herzen, und das alle Macht offiziell von Allah ausgeht. gen Gesprächen versuchte die Dozen- ist wichtig für ein religiöses Leben.» Die Kolonialzeit liegt lange zu- tin sie davon abzubringen. Andere tra- Es ist Nachmittag, und die Rekto- rück. 1949 entliessen die Niederländer gen plötzlich Kleider und Frisuren, als rin zieht sich in ihr Schlafzimmer zu- das Land nach einem vierjährigen Un- kämen sie aus Saudiarabien. rück. Sie streift ihr Gebetsgewand über, abhängigkeitskrieg auf internationa- «Als ich klein war», sagt die Do- rollt den kleinen Teppich aus und sinkt len Druck in die Souveränität. 1999 zentin, die selbst in einer Koranschule auf die Knie. In die schöne Villa, die ihr wurde Indonesien, nach unruhigen aufgewachsen ist, seien Kopftuchträ- Mann geplant und die sie fertig gebaut Zeiten, einem Militärputsch und einer gerinnen wie sie eine Minderheit ge- hat, ist sie nie eingezogen, ihre drei langen Diktatur, dann zur Demokratie. wesen. «Heute tragen so gut wie alle Töchter führen bereits eigene, kleinere «Das heisst aber nicht», sagt Abdul Frauen Kopftuch.» Sie hält das für eine Koranschulen. Während sie betet, sit- Kodir, «dass der Wunsch nach islami- befremdliche Entwicklung, denn viele zen ihre Schwester und die Schwägerin scher Macht nicht mehr existiert. Aus der jungen Frauen, die sich nun ver- auf ihrem Bett. Die Schwester trägt meiner Sicht ist es dieser Wunsch, der hüllen – und der jungen Männer, die Schwarz, sie hat kürzlich ihren Ehe- die Menschen radikalisiert.» sich einen Bart wachsen lassen –, seien mann verloren. Masriyah Amva rollt Die grosse Muslimorganisation gar nicht religiös erzogen worden. Der den Gebetsteppich zusammen und Nahdlatul Ulama, deren Mitglied Ab- Glaube hat in deren Kindheit kaum sagt: «Du bist stark, du schaffst das.» dul Kodir ist, vertritt den Standpunkt, eine Rolle gespielt. dass die Muslime in Indonesien alle Nun entdecke diese Generation Die Bombe Möglichkeiten haben. «Muslime kön- den Koran als Lifestyle – so wie Men- Kürzlich hat der indonesische Ge- nen bei uns alles tun, was ihr Glauben schen im Westen das Onlineshopping heimdienst die Stadt Cirebon zur Ge- erfordert. Sie können beten, fasten, oder die Fünf-Elemente-Küche. Frau- fahrenzone erklärt. Erstens ziehe sie auf Pilgerreise gehen», sagt Abdul Ko- en fänden es chic, ihre Markenturn- als religiöses Zentrum Radikale und dir. «Es gibt deshalb keinen Grund, schuhe mit einem bodenlangen, Terroristen an. Zweitens mache die einen Gottesstaat zu errichten.» schwarzen Umhang zu kombinieren Transitlage zwischen der Hauptstadt Es ist bittere Ironie: Die Einfüh- und sich einen Gesichtsschleier umzu- Jakarta und Bandung sie attraktiv für rung der Demokratie vor zwanzig Jah- binden. Männer krempeln ihre Hosen- Kriminelle. Die Bombe, mit der sich ren hat den Bürgerinnen und Bürgern beine über die Knöchel und schlagen ein Selbstmordattentäter vergangenes Indonesiens die Freiheit geschenkt, die Stirn beim Beten so fest auf den Bo- Jahr in Jakarta in die Luft sprengte, war ihre Meinungen zu äussern und ihre den, dass sich mit der Zeit eine dunkle in Cirebon gebaut worden. Religion auszuüben. Aber manche Verhornung bildet. Eine gute Musli- Der Islamgelehrte Faqihuddin Ab- nutzen diese Freiheit jetzt mit dem min, ein guter Muslim zu sein, damit dul Kodir verfolgt diese Entwicklung Ziel, die Demokratie wieder abzu- lässt sich mittlerweile angeben. DA S M AG A Z I N N ° 05 — 2018 mit Sorge. «Wir haben grosse Angst schaffen. Kürzlich wollte ein radikaler Wem das religiöse Fundament vor dem Potenzial an Terroristen in Prediger eine Rede in Cirebon halten. fehlt, der bastelt sich seinen Glauben unserer Region», sagt er am Rande Abdul Kodir hätte sie am liebsten ver- im Internet zusammen. Dort regieren einer Lehrerfortbildung. Abdul Kodir boten – vor manchen Gedanken würde bekanntlich jene, die am lautesten ist Dozent an der Universität Cirebon er die Menschen gern schützen –, aber brüllen. Das sind nicht Menschen wie und Mitgründer der NGO Fahmina. die Meinungsfreiheit gilt eben auch für Abdul Kodir, sondern Hassprediger, Die Organisation setzt sich für eine re- Radikale. grösstenteils aus arabischen Ländern. «Die säkularen Politiker scheuen Die Schülerinnen und Schüler der Ko- 22 das Thema Radikalisierung», sagt Ab- ranschule, hofft die Dozentin, kennen
den Islam zu gut, um ihn mit einem burmesischen Regierung gegen die wollen uns der Welt von der besten Sei- Modetrend zu verwechseln. Die Reli- muslimische Minderheit. te zeigen – findet ihr nicht auch?» Die gion gehört zu ihrem Leben wie Essen Eine Schülerin antwortet: «Ich Kinder lachen und johlen. Dann bittet und Schlafen. Aber für den Fall, dass hasse die Burmesen, weil sie die Ro- sie den ausländischen Gast, ein paar Einzelne doch radikalen Ideen verfal- hingya wie Untermenschen behan- Sätze zu sagen. Und auch wenn die len, werden diese besonders gefähr- deln.» Der indonesische Staat war Mädchen und Knaben die fremd klin- lich. Ihre Erziehung verschafft ihnen einer der ersten, der humanitäre Hilfe genden Worte nicht verstehen – deren Autorität. Sie sind ideale Führer. leistete. Viele im Land solidarisieren symbolische Bedeutung begreifen sie: «Wie denkt ihr über die Krise in sich mit den Rohingya, weil sie auch Lasst uns offen sein für Neues. Burma?», fragt die Dozentin. Vor ihr Muslime sind. «Ihr müsst lernen, eure Gegen elf Uhr abends legt Arina sitzen vierzig Schülerinnen, die Beine Gefühle zu filtern», sagt die Dozentin. ihr Kissen auf den Kachelboden der überkreuzt. Masriyah Amva hat per- «Wenn ihr aufgefordert werdet, je- Moschee. In vier Stunden werden die sönlich bestimmt, wer an diesem Se- manden zu lieben, ist das eine gute Sa- Lautsprecherdurchsagen sie wecken. minar teilnehmen darf, es sind Mäd- che. Wenn aber von euch verlangt Sie öffnet das Kopftuch, rollt sich zu- chen, die bald die Schule verlassen wird, jemanden zu hassen, denkt zwei- sammen und schliesst die Augen. Mor- werden. Smartphones sind hier verbo- mal darüber nach. Ihr kennt die Bur- gen ist Freitag, der unterrichtsfreie ten, noch haben die Schülerinnen und mesen gar nicht – wie könnt ihr sie has- Tag, den sie nutzen will, um ihr Eng- Schüler nur selten Zugang zum Inter- sen?» Die Mädchen nicken. lisch zu verbessern. Vielleicht wird sie net. Wenn sie ihren Abschluss ma- irgendwann nach Europa reisen. Und chen, wird sich das ändern. Von der besten Seite eines Tages in das Dorf ihrer Kindheit Die meisten Kinder haben noch Wenn ein ausländischer Gast die Schu- zurückkehren, wo sie – mit Allahs Hil- nie die Insel Java verlassen, schon gar le besucht, was oft der Fall ist, seit sie fe – ihre eigene Koranschule eröffnen nicht das Land. Was sie über die Welt eine gewisse Bekanntheit erlangt hat, wird. ausserhalb der Schulmauern wissen, ruft Masriyah Amva ihre Schützlinge haben sie von ihren Eltern und Leh- in der Moschee zusammen. Heute ist rern gelernt. Die Dozentin hat deshalb so ein Tag. Als der letzte Platz besetzt ein Thema gewählt, das seit Monaten ist, schreitet sie zwischen Hunderten PAU L A S CH EI DT ist Redaktorin bei die internationalen Nachrichten be- erwartungsvollen Kindern hindurch. «Das Magazin»; herrscht: das brutale Vorgehen der Sie nimmt das Mikrofon und ruft: «Wir paula.scheidt@dasmagazin.ch DIE GRATIS-KREDITKARTE. 3000 PUNKTE Bis 31.3.2018 beantragen und 10C AsNsj Y0MDQ x0TU xMjQ 1MAcAi M05-Q 8AA AA= 3000 Bonuspunkte sichern! Antrag ausfüllen 10C E2LMQ 4CMRA DX7S Rvf FuElK i604U iD 4Noub _FYEKyS NNMT7 PGQ U_r sf tcdw nQ cnkDLQ ZI 4q3RM46R ske20Cm g_1C UY62 s_-PS d0DWN _GQ GMuVt sTF7O 6J1Xez9cH 3nhnoH sAA AA= unter cumulus-mastercard.ch, telefonisch anfordern unter 044 439 40 27 oder in Ihrer Migros abholen. DIE CUMULUS-MASTERCARD OHNE JAHRESGEBÜHR: Keine Jahresgebühr, auch in den Folgejahren Kostenlose Zusatzkarte Weltweit Cumulus-Punkte sammeln Herausgeberin der Cumulus-Mastercard ist die Cembra Money Bank AG.
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