Krisen eines Mülleimers Zebras kommen auf den Hund

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Krisen eines Mülleimers Zebras kommen auf den Hund
Kunst Design Alltag                                                                                                    1/2019 - 1

Thorsten Brinkmann

Krisen eines Mülleimers
Zebras kommen auf den Hund

Vielen Dank für die Einladung! Bitte erstmal ab-             kann dazu auch „Gebaute Malerei“ sagen, wie in
warten und nicht zu früh klatschen! Ich habe                 den nachfolgenden Bildbeispielen zu sehen ist.
schon einige Vorträge über meine Arbeit gehal-
ten, speziell auch vor Studierenden und bei an-
deren Veranstaltungen, aber noch nie zum The-
ma Humor im Rahmen eines Symposiums. Des-
wegen fiel es mir auf einmal überraschend
schwer, das Thema sinnvoll einzukreisen, da ich
auch nicht weiß, was Sie humorvoll oder andere
Leute witzig finden. Und ich bin auch kein Wis-
senschaftler, sondern bildender Künstler.
Ich versuchte dann herauszufinden, was denn
tatsächlich unterhaltsam sein könnte und habe
dazu Arbeiten ausgesucht, auch ganz alte aus
                                                             Abb. 2: Thorsten Brinkmann: o.T. (Gebaute Malerei), 2000, Ausstel-
meinen künstlerischen Anfängen. Darüber                      lungsansicht, Hamburg
möchte ich nun berichten, um zu zeigen, was ich
mache und wie ich arbeite. Daran wird sich zei-              Das war für mich tatsächlich schon eine Form
gen lassen, ob sich Türen auftun bei dem einen               von Malerei. Es sollte so sein, dass man hoch-
oder anderen, und ob oder wie sich Humor darin               kommt in den Raum – unter dem Dachstuhl –,
entfaltet. Ich fange nun an: Der Vorhang geht                dass man dasteht und denkt „Ist das jetzt
auf!                                                         Kunst? Oder was soll das?“. Man kennt ja auch
                                                             diesen Spruch oder liest ihn öfters in Boulevard-
                                                             Zeitungen: „Ist das Kunst oder kann das weg?“.
                                                             Viele Besucher wussten also nicht, was das ei-
                                                             gentlich darstellen sollte, ob es ein Fundstück
                                                             oder ein großes Ready-Made ist. Zu dieser Zeit
                                                             beschäftigte ich mich auch sehr viel mit Marcel
                                                             Duchamp.

Abb. 1: Thorsten Brinkmann: Ernie & Se king, 2011, Hamburg

„Problem Malerei“ / „Gebaute Malerei“
„Problem Malerei“ war eine der ersten Ausstel-
lungen, an der ich teilgenommen hatte, da stu-
dierte ich noch bei Bernhard Johannes Blume an
der HfbK in Hamburg. Die Ausstellung hieß „Pro-              Abb. 3: Thorsten Brinkmann: Lager 00, 2000, Ausstellungsansicht,
blem Malerei“, und das war mein Statement                    Hamburg

bzw. meine Arbeit zu dem Thema. (Abb. 2)
Vor über sechzehn Jahren begann ich mit alten                Und so habe ich diese Arbeit ein weiteres Mal
Gegenständen zu arbeiten. Ich sammle sie bis                 aus fast demselben Material aufgebaut, das war
heute und versuche verschiedene Kunstwerke                   auch noch an der Kunsthochschule. Daraus er-
damit herzustellen. Ich 'male' auch damit. Man               gab sich für mich ein Art Farbfeldmalerei. Es ist
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Thorsten Brinkmann                    Krisen eines Mülleimers – Zebras kommen auf den Hund                   kunsttexte.de      1/2019 - 2

immer interessant, wie dies von Betrachtern                           Zum Beispiel – wie in den nachfolgenden Bildern
wahrgenommen wird. Nur wenige Besucher äu-                            zu sehen: Was ist denn nun die Skulptur? Man
ßerten, dass da einer nur aufgeräumt und ein                          kann das Prinzip Sockel umdrehen und auf ein-
Schrottregal aufgebaut habe. Andere sahen                             mal werden diese Begriffe schwammig, und es
gleich, dass es dabei um Malerei geht. Wieder                         lässt sich nicht mehr eindeutig sagen.
andere gingen hin und begutachteten diese Din-
ge sehr ausführlich. Dabei war es auch inter-
essant zu beobachten, wie die verschiedenen
Generationen unterschiedlich darauf reagierten.
Junge Leute äußerten eher Abstand einhaltend
„Oh, das sieht ja toll aus!“, und ältere Leute sind
an die Gegenstände herangetreten und haben
sie genau untersucht, Geschichten dazu ge-
wusst oder fast wehmütig geäußert: „Ach, das
hatte ich auch mal!“, weil es meistens auch altes
Material ist. Es hat seine Geschichte, und ältere
Menschen konnten dazu ihre eigene erzählen.

Sujets und Sockel
Immer wieder bearbeite ich auch kunsthistori-
sche Sujets. „Das Prinzip Sockel“ nahm ich mir
vor, woraus sich meine Diplomarbeit ergab.

                                                                      Abb. 5: Thorsten Brinkmann: Das Prinzip Sockel (Auswahl), 2001/02

                                                                      Es ergeben sich auch Geschichten, wenn die
                                                                      Dinge aufeinanderstehen, so wie bei den Müllei-
                                                                      mern, die sich von selbst in sich selbst entlee-
                                                                      ren. Oder es gibt zwei gleiche Gegenstände, die
                                                                      man nur umdrehen muss, und dann ist das eine,
                                                                      was vorher eine Skulptur war, ein Sockel und
                                                                      umgekehrt.

Abb. 4: Thorsten Brinkmann: Das Prinzip Sockel, 2001/02, Ausstel-
lungsansicht, HfbK Hamburg

Ich hatte acht oder neun Jahre studiert und wur-
de immer wieder gefragt: „Und das kommt dabei
heraus..., nach neun Jahren?“ – Ja, dachte ich
mir dann, stimmt eigentlich, das ist gar nicht so
schlecht! Denn das muss man ja erstmal ma-
chen. Mir gefällt dabei auch, dass es tatsächlich
jeder machen könnte. Man kann seine Woh-
nungsgegenstände nehmen, so auseinanderge-
                                                                      Abb. 6: Thorsten Brinkmann: Das Prinzip Sockel, 2001/02, Fotoarbeit,
zogen in eine Reihe stellen und dann ins Muse-                        Ausstellungsansicht
um bringen. Und es sind wirklich auch wichtige
Fragen, die dabei bearbeitet werden: Was ist ein                      Diese spielerischen Vorgänge enthalten auch et-
Sockel, was ist eine Skulptur, oder ist das Ganze                     was Ernsthaftes, obwohl es bewusst spielerisch
eine Skulptur?                                                        und zugleich humorvoll angelegt ist. Das ent-
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spricht meinem Arbeitsprinzip: einfach etwas                        Geschichte mit den Dingen verbinden.
auszuprobieren und zu schauen, was passiert                         Ich wählte diese Würfelform, weil die LVA ein
und was sich für neue Bedeutungen daraus er-                        sehr strukturierter Laden ist, was sich in der
geben.                                                              Form, die ich dort hineingestellt habe, widerspie-
All das präsentiere ich auch als Fotoarbeit oder                    gelt. Die Bedingungen waren vorab klar, dass er
eben als Skulptur, je nach Situation und je nach                    wieder wegkommt, denn sie wollten nichts lang-
Platz. Der Vorteil bei solchen Präsentationsfor-                    fristig in ihrer Halle stehen haben. Das ist sehr
men mit einem Foto ist, dass man vieles auf klei-                   schade und ich bin der Meinung, dass sie da-
nem Raum und insbesondere in dem Nebenein-                          mals nicht begriffen haben, was sie da für ein
ander das Spielerische gut zeigen kann. Einiges                     wertvolles Objekt in ihrer Halle stehen hatten.
lässt sich sogar nur im Bild gut darstellen.                        Die Arbeit hieß „Büro Büro“. Nach zwei Wochen
                                                                    kam der Würfel in die Tonne, damit war er nur
„Büro Büro“                                                         noch Schrott.
Hierbei ging es um einen „Kunst am Bau“-Wett-                       Zuvor hatte ich mir überlegt, was ich daraus
bewerb, bei dem ich das Glück hatte, unter an-                      noch machen kann. Da ich immer auch mit Fo-
derem Preisträger zu sein, wofür dann diese Ar-                     tografie arbeite, bot es sich an, diesen Würfel als
beit entstand. (Abb. 7)                                             'malerische Form' zu dokumentieren. Das sind
                                                                    diese 'Fotodokumente' (Abb. 8), welche wie
                                                                    Farbfeldmalerei anmuten, und sie hängen heute
                                                                    noch in den Fluren der LVA.

Abb. 7: Thorsten Brinkmann: Büro Büro, Hamburg 2002                 Abb. 8: Thorsten Brinkmann: Büro Büro, Hamburg 2002

Die LVA ist in einen großen Neubau umgezogen.                       Es ist auch tatsächlich Malerei, denn es ist mit
Vorher war sie auf fünf oder sechs alte Gebäude                     dem Inkjet-Plotter auf Plane produziert – wir ha-
verteilt. Ich ging in diese Gebäude hinein und                      ben es also wirklich mit Farbe zu tun, die auf
habe dort die alten Möbel eingesammelt.                             dieses Material aufgetragen und der Druck dann
Die LVA ist eine Rentenversicherungsanstalt und                     auf Keilrahmen gespannt wurde. Weil es so
somit teilte ich den Mitarbeitern dort mit, dass                    großformatigen Nahaufnahmen sind, erkennt
das Möbel seien, die nun in Rente gehen. Dann                       man nicht unbedingt gleich, dass sich diese
habe ich sie wieder in den Neubau hineingeholt.                     Farbflächen aus alten Haus- oder Büromateriali-
Die Menschen haben sich sehr darüber gefreut.                       en ergeben. Manche Betrachter haben das über-
Es war sehr interessant zu sehen, wie sie rea-                      haupt nicht erkannt, sie nahmen die Bilder nur
gierten. Teils haben sie dreißig Jahre lang dort                    als großformatige Farbflächen wahr. Andere ent-
gearbeitet. Manche waren recht sauer: „Was soll                     deckten die alten Gegenstände wieder.
dieser Kram hier wieder?“, und wollten nichts                       Es ist bedeutsam zu untersuchen, inwiefern sich
mehr damit zu tun haben. Andere haben sich                          solche Gegenstände durch die Präsentation
wirklich gefreut und fanden es toll: „Mein Kühl-                    oder durch die Zusammenstellung verändern
schrank!...“, oder „Mein Schreibtisch!...“ oder                     können. Je nachdem ist es ein Möbel oder es ist
„Mein Mülleimer!... ist auf einmal wieder da!“. Es                  etwas, was einem nahe ist oder was man auf der
kommt immer darauf an, was sie selbst für eine                      Straße findet – man baut es zusammen, stellt es
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Thorsten Brinkmann                    Krisen eines Mülleimers – Zebras kommen auf den Hund                   kunsttexte.de      1/2019 - 4

auf einen Sockel oder bringt es in einen Cube,
und man kann es als Kunstwerk behaupten. Da
bin ich sehr in der Tradition von Marcel
Duchamp unterwegs.
Man kann es auch wieder herunternehmen, zu-
rückstellen, und dann ist es wieder der funktio-
nale Gegenstand. Ob es immer noch ein Kunst-
werk ist oder ob es die Geschichte eines Kunst-
werkes hat, das sind dann Fragen, mit denen
sich Kunsthistoriker beschäftigen können. So
hängt die Fotoarbeit jetzt noch da, möglicher-
weise etwas verblasster. Es ist letztlich wie ein
                                                                      Abb. 10: Thorsten Brinkmann: Suchen sammeln anwenden, 2003,
Erinnerungsfilm, welcher im Grunde ganz gut                           Ausstellungsansicht, Hamburg
funktioniert, und es ist aufschlussreich, wie da-
mit umgegangen wird, also wie die Mitarbeiter                         Ich habe öfters in solchen Lagern ausgestellt
auch ihre eigenen Geschichten darin erleben                           und mir fiel dann immer auf, dass meine Arbeit
oder wiederfinden.                                                    in den Anfängen so eine seltsame Mischung aus
                                                                      Bernhard Blume und Franz Erhard Walther ge-
Suchen und Sammeln                                                    worden ist. Franz Erhard Walther hat auch sehr
In einer der ersten Ausstellungen in Hamburg                          über die Sockelpräsentation gelacht.
hatte ich das Bedürfnis, einmal alles zu themati-                     Und auch das Video, das ich später zeigen wer-
sieren, was mit meiner Arbeit zu tun hat: also                        de, hat etwas mit Franz Erhard Walther zu tun.
das Suchen und Sammeln, und das alles ins
Atelier zu bringen. Das ist ein Ort, wo ich sozu-                     „93 in Eins“
sagen meine Sachen finde. Dort kommen sie                             Die nachfolgende, sehr konzeptionelle Arbeit
bergeweise auf Rollwägen. Die Vorgehensweise                          heißt „93 in Eins“ (Abb. 11). Dabei habe ich alles,
erinnert etwas an „Die Sendung mit der Maus“.                         was in meinen VW Bus passt – also eine ganze
Ich weiß nicht, ob sich der ein oder andere noch                      Ladung – einmal durchfotografiert.
daran erinnert, da gab es immer wieder Berichte
wie z.B. Firmen funktionieren, und in dieser Ar-
beit wird auch erklärt, wie es funktioniert. Somit
war diese Arbeit (unabsichtlich) eigentlich auch
ziemlich didaktisch angelegt.
Alles kommt also auf Rollwägen, daraus wurden
Skulpturen gemacht. Am Ende kommt alles zu-
rück ins Atelierlager. (Abb. 9-10)

Abb. 9: Thorsten Brinkmann: Pool, 2003, Ausstellungsansicht, Ham-     Abb. 11: Thorsten Brinkmann: 93 in Eins (Alles was in einen Bus
burg                                                                  passt), 2003
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Es ist eine schöne Arbeit, weil sie wie ein ABC                        Ich hatte tatsächlich lange darüber gegrübelt,
der Dinge geworden ist. Dabei ist es nicht ein-                        wie sich dieses Tragen und Schleppen themati-
fach, einen Platz für eine geeignete Präsentation                      sieren bzw. wie es sich ins Bild bringen lässt.
zu finden. Sie wurde auch schon in einer Reihe                         Letztlich ist es dann so gekommen, was eigent-
angeordnet, die man als Betrachter dann ablau-                         lich ein richtiger Glücksgriff geworden ist, wie
fen kann. Es ist wie ein Durchspielen eines                            man später noch sehen kann.
Formvokabulars, was mir gut gefällt.
Diesen VW Bus, den ich tatsächlich heute noch                          „Gut Ding will es so“
besitze, hatte ich damals mit dem Geld von der                         Die nachfolgenden Stills (Abb. 13-16) stammen
LVA gekauft. Auch ihn habe ich sowohl als Mo-                          aus dem dem Film „Gut Ding will es so“, der
dell, als auch schon mal in real ausgestellt.                          2003 etwa zeitgleich zu den vorherigen Arbeiten
                                                                       entstanden war. Da hatte ich also bereits lange
„Soviel wie möglich auf einmal tragen“                                 mit all den Dingen zu tun. Dieser Film lief auch
Es gibt dazu noch die Arbeit „So viel wie mög-                         schon in der Hamburger Kunsthalle.
lich auf einmal tragen“ (Abb. 12), weil mir irgend-                    Die Arbeiten an dem Film nahmen einige Zeit in
wann einmal auffiel, dass ich so eine Art Möbel-                       Anspruch. Das kann man auch gut nachvollzie-
packer geworden bin. Das war überhaupt nicht                           hen, denn es sind mehrere Takes und es ist
mein Ziel gewesen, als ich angefangen hatte,                           nicht alles in einem Stück entstanden.
Kunst zu studieren.                                                    Es wird darin deutlich, wie mein Umgang mit
Verwundert darüber, was ich da eigentlich ma-                          den Dingen ist, oder aber wie die Dinge mit mir
che, wollte ich dies irgendwie thematisieren,                          umgegangen sind. Was sie mit einem machen,
ohne meinen Leidensdruck nach außen zu keh-                            fiel mir während der Arbeit immer mehr auf, und
ren. Deswegen habe ich mir auch noch den                               auch, dass alles, was passiert, nicht allein von
Mülleimer auf den Kopf gestellt, weil es nicht                         mir ausgeht.
darum geht, mich dabei in den Vordergrund zu                           Diese Fehler und Tücken, die diese Dinge mit
bringen oder mich als Person zu thematisieren.                         sich bringen, so etwas kann immer sehr inter-
                                                                       essant und unterhaltsam sein, ebenso wie das-
                                                                       Verhältnis von Subjekt (mein Körper) zu Objekt
                                                                       (Alltagsgegenstand) auszuloten. Vielleicht ist
                                                                       man irgendwann auch eins – und alles bedingt
                                                                       sich gegenseitig? Aber auch hier versuche ich
                                                                       möglichst nicht als die Person Thorsten Brink-
                                                                       mann aufzutreten, sondern den Fokus auf das
                                                                       Verhältnis von Körper zu Ding zu legen. Daher ist
                                                                       mein Gesicht meistens verdeckt oder vom Bild-
                                                                       rand abgeschnitten.
                                                                       Die zeitbeschleunigten Szenen führen selten zu
                                                                       unmittelbar erkennbaren oder gar vorhersehba-
                                                                       ren Resultaten, es ist vielmehr der Prozess eines
                                                                       Erforschens des Eigenlebens der Dinge mithilfe
                                                                       des eigenen Körpers. Das bringt oftmals auch
                                                                       völlig groteske Situationen durch diesen spieleri-
                                                                       schen Umgang und die nicht gegenstandsad-
                                                                       äquate Benutzung der Dinge hervor.

Abb. 12: Thorsten Brinkmann: Soviel wie möglich auf einmal tragen,
2003
Krisen eines Mülleimers Zebras kommen auf den Hund
Thorsten Brinkmann                       Krisen eines Mülleimers – Zebras kommen auf den Hund                    kunsttexte.de       1/2019 - 6

Abb. 13: Thorsten Brinkmann: Gut Ding will es so (Filmstill 1), 2003     Abb. 15: Thorsten Brinkmann: Gut Ding will es so (Filmstill 3), 2003

Abb. 14: Thorsten Brinkmann: Gut Ding will es so (Filmstill 2), 2003     Abb. 16: Thorsten Brinkmann: Gut Ding will es so (Filmstill 4), 2003
Krisen eines Mülleimers Zebras kommen auf den Hund
Thorsten Brinkmann                     Krisen eines Mülleimers – Zebras kommen auf den Hund                 kunsttexte.de     1/2019 - 7

„Alles hat kein Ende“                                                  Kreativer Platzmangel
Meine erste Ausstellung in Berlin damals in mei-                       Eine Zeit lang habe ich – weil ich keinen Platz
ner Galerie beschäftigt sich mit dem Thema Ga-                         mehr hatte – ganz kleine Arbeiten gemacht.
lerie. Die Galerien-Szene ist sehr unbeständig.                        Mein Atelier war voll. Man kann sich überlegen,
Es gibt viele, die machen zu und dann wieder                           was man macht: Arbeitet man auf der Straße?
auf, ein ständiges Hin und Her.                                        Arbeitet man kleiner? Macht man Zeichnungen?

Abb. 17: Thorsten Brinkmann: Außenlager III, 2006, Ausstellungsan-
sicht „Alles hat kein Ende“, Berlin

Ich habe meiner Galerie also das Image ver-
passt, als ob sie jetzt zugemacht habe, als sei
sie Pleite gegangen. Dafür wurden die Fenster
verhängt, man konnte von außen nichts mehr
sehen.
Vor der Eingangstür standen viele gesammelte
Dinge aus meinem Atelierlager. Man musste also
                                                                       Abb. 19: Thorsten Brinkmann: True Romans - Tableau No I, Endlos-
irgendwie entweder einen Weg hineinfinden,                             serie, 2005/06
oder es führte zu der Annahme, dass der Laden
geschlossen worden war und Sachen schon mal                            Ich entschied mich für kleine Objekte. Die sind
herausgestellt worden seien.                                           gut zu transportieren und auch schön. Ich habe
Die ganz Neugierigen fanden die Ausstellung                            dabei wie bei den größeren Objekten nach dem
aber doch, denn man konnte sich durch den                              Prinzip der Sockelarbeiten hauptsächlich mit
Haufen hindurch seinen Weg ins Innere der Ga-                          zwei Dingen gearbeitet. Das war eine sehr hilfrei-
lerie bahnen und sich dort meine Ausstellung mit                       che Arbeit, weil man dabei auch über das Prin-
verschiedenen Arbeiten anschauen. (Abb. 18)                            zip Collage viel lernt.
                                                                       Man lässt sich auf die Dinge einfach mal ein und
                                                                       plant gar nichts. Das Absichtslose, was darin
                                                                       enthalten ist, diese Neubedeutungen, die da ent-
                                                                       stehen, all das wurde dafür sehr wichtig. Es ist
                                                                       bis heute ein Arbeitsprinzip, indem ich einfach
                                                                       beobachte, was eigentlich gerade oder während
                                                                       der Arbeit passiert. Dabei werfe ich Ideen, die
                                                                       ich vorher hatte, oftmals über Bord, weil sie
                                                                       nicht unbedingt immer die besten sind. Sie kom-
                                                                       men zwar irgendwo her und haben schon auch
                                                                       einen Hintergrund, aber beim Spielen oder beim
                                                                       sinnlosen Zusammenstellen entstehen vielleicht
Abb. 18: Thorsten Brinkmann: Alles hat kein Ende, 2006, Ausstel-
                                                                       neue Ideen, die ich selbst auch noch nicht ken-
lungsansicht, Berlin                                                   ne, nicht planen oder vorhersehen konnte.
Krisen eines Mülleimers Zebras kommen auf den Hund
Thorsten Brinkmann                    Krisen eines Mülleimers – Zebras kommen auf den Hund                  kunsttexte.de     1/2019 - 8

Sich darauf immer wieder neu einzulassen, ist                         Ich hatte nichts dorthin mitgenommen und da-
für meine Arbeitsweise bis heute absolut not-                         mals nur mit Dingen aus dem Museum gearbei-
wendig. Eigentlich ist das für mich auch immer                        tet. Das ist gut, man nimmt einfach Sachen, die
wichtiger geworden: ich arbeite heute viel freier                     man dort vorfindet und stellt sie da auf. Ich
als früher. Früher war ich tatsächlich konzeptio-                     nannte ich es „Petersburger Reihe“. Es gibt die
neller. Heute lasse ich alles viel freier laufen,                     Petersburger Hängung, wir waren in Petersburg
schaue was im Atelier passiert und versuche im-                       – Petersburger Reihe passte gut dazu. Schön
mer ein Auge darauf zu haben.                                         war auch, dass man danach die Dinge zurück-
In Anlehnung an das Video „Gut Ding will es so“                       stellte und sie dann wieder Büro-Objekte waren
entstand die nachfolgende Skulptur. (Abb. 20)                         oder ihre ehemalige Funktion erfüllen konnten.

                                                                      Abb. 21: Thorsten Brinkmann: Petersburger Reihe, 2006, Ausstel-
                                                                      lungsansicht, St. Petersburg

                                                                      Über den Wert der Werke kann man dann auch
                                                                      noch streiten, aber daraus ergeben sich ganz in-
                                                                      teressante Fragen, zum Beispiel: Was wäre so
                                                                      etwas wert? Gibt jemand dafür Geld aus? Oder
                                                                      ist es einfach nur ein banaler Plastikmülleimer
                                                                      auf einem Sockel?
                                                                      Was die Wahrnehmung der dortigen Besucher
                                                                      angeht, gab es interessante Begegnungen. Ich
Abb. 20: Thorsten Brinkmann: Brinkmann, 2006, Ausstellungsansicht,    wurde von Besuchern darauf angesprochen, wie
Berlin
                                                                      lange ich denn jetzt schon im Land sei. Auf mei-
                                                                      ne Rückfrage, worum es ihnen mit dieser Frage
Glücklicherweise fand ich dafür Plastikbalken,
                                                                      ginge, äußerten sie, dass es sie beeindruckte,
die meinen Beinen recht ähnlich waren und habe
                                                                      wie es mir gelungen sei, innerhalb von einer Wo-
ihnen meine Hose und meine Turnschuhe ange-
                                                                      che ein Portrait der Gesellschaft gemacht zu ha-
zogen – das wirkt sehr echt. Manche Leute er-
                                                                      ben. In der Präsentation der Dinge würde sich
schraken sehr, sie standen minutenlang davor
                                                                      genau das widerspiegeln. Das war überra-
und haben darauf gewartet, dass sich diese Fi-
                                                                      schend, da ich dies im Vorwege nicht beabsich-
gur bewegt. Wenn ich dann auch noch dazu
                                                                      tigt hatte, aber es nun auch darin erkennen
kam und sagte „Ich bin’s nicht“, waren sie noch
                                                                      konnte. Dabei schlägt wohl ein im Unterbe-
erschrockener. Diese Skulptur hatte eine un-
                                                                      wusstsein verankertes visuelles Bildgedächtnis
heimliche Präsenz.
                                                                      zu, vielleicht in Anlehnung an Aby Warburg zu
                                                                      verstehen, als 'Denken in Bildern' aus einem kol-
„Spatial Shift“/„Petersburger Reihe“
                                                                      lektiven Gedächtnis heraus, in dem man sich be-
Bei einer Ausstellung im „Museum for Urban
                                                                      wegt und mit dem ich sowieso auch arbeite und
Sculpture“ in St. Petersburg verwendete ich
                                                                      gerne spiele.
ausschließlich 'hauseigene' Materialien.
Krisen eines Mülleimers Zebras kommen auf den Hund
Thorsten Brinkmann                   Krisen eines Mülleimers – Zebras kommen auf den Hund                 kunsttexte.de        1/2019 - 9

                                                                     Selbstportraits um die Welt
                                                                     Danach entstanden diese Portraits – Selbstpor-
                                                                     traits bzw. Selbstinszenierungen – in Anlehnung
                                                                     an verschiedene Richtungen und Epochen. Auch
                                                                     hierbei ist interessant, wie unterschiedlich sie
                                                                     wahrgenommen werden, wie Humor dabei funk-
                                                                     tioniert und welchen Hintergrund man haben
                                                                     muss, um sie wahrnehmen zu können.
                                                                     In Europa werden die Portraits meistens mit der
                                                                     Zeit der Renaissance-Malerei in Verbindung ge-
                                                                     bracht und lösen dann häufig ein Schmunzeln
                                                                     aus. Da war es natürlich naheliegend, auch eine
                                                                     Venus darzustellen. (Abb. 23)

Abb. 22: Thorsten Brinkmann: Hopi Green Holding Kni, 2006

Malerei über Ecken
Gleichzeitig begann ich das Thema Portrait auf-
zugreifen. Vorher war es Farbfeldmalerei, dann
kamen die Sockel, das Portrait, aber weiterhin
                                                                     Abb. 23: Thorsten Brinkmann: Venus del Whitespitz, 2008
stellte sich für mich die Frage: Wie kann ich all
das kombinieren als derjenige, der mit diesen
                                                                     Aber auch mit den Bauernfiguren von Kasimir
Dingen permanent zu tun hat?
                                                                     Malevich sind sie verwandt. Ich habe mich viel
Malerei interessierte mich, aber ich habe nur
                                                                     mit seiner Arbeit beschäftigt und wurde von rus-
etwa ein halbes Jahr mit Öl bei Bernhard Blume
                                                                     sischen Besuchern darauf angesprochen, dass
an der Hochschule gemalt. Es gab bei ihm einen
                                                                     diese Portraits sehr daran erinnern.
permanenten Diskurs über Malerei, aber keiner
                                                                     Letztlich hängt es vor allem davon ab, wer sie
malte mit Farbe. Ich kenne tatsächlich nur einen,
                                                                     mit welchem Bildgedächtnis-Hintergrund be-
der mit Ölfarbe gemalt hat, alle anderen arbeite-
                                                                     trachtet.
ten nur 'um die Ecke' – so wie es Blume auch
                                                                     Die Portraits wurden beispielsweise auch in
selbst tat. Er hatte zu mir auch gleich eine ganz
                                                                     Amerika gezeigt. Dort fühlten sich Besucher eher
andere Art: „Sag mal, du bist doch Maler“ – und
                                                                     bedroht, weil man kein Gesicht erkennen kann,
ich verstand nicht sofort, was er damit meinte.
                                                                     wodurch Ängste hervorgerufen werden. Viele
Es ist eben eine gebaute Malerei oder eine Male-
                                                                     Amerikaner sind – ja, ich würde sagen – tatsäch-
rei mit Fotografie. Andere haben mit Video ge-
                                                                     lich traumatisiert, weil sie, sobald man kein Ge-
malt oder auch mit Gegenständen, das ist ein
                                                                     sicht sieht, damit Terrorgefahr assoziieren. Das
hochkomplexer Diskurs.
                                                                     ist interessant.
Es ging auch darum, wie es gedruckt wird. Was
                                                                     In Asien hingegen erweiterte sich der Assoziati-
ist das für eine Farbe? Sind da Pigmente drin?
                                                                     onsspielraum auf einmal ganz schnell auf SM
Gibt es InkJet Drucker mit Pigmenten? Blume
                                                                     und Bondage. Und in Nigeria wiederum wurde
hatte einen Ruß-Plotter, also mit Rußpartikeln.
                                                                     der Bezug zur Voodoo-Kultur hergestellt.
Dann wurde Farbe mit Rußpartikeln aufgetragen
                                                                     Es gibt überall solche gedanklichen Vernetzun-
und schon ging es auch in sehr chemische Dis-
                                                                     gen, die auch über das Format oder komposito-
kussionen über.
                                                                     rische Merkmale ausgelöst werden.
Krisen eines Mülleimers Zebras kommen auf den Hund
Thorsten Brinkmann                    Krisen eines Mülleimers – Zebras kommen auf den Hund               kunsttexte.de   1/2019 - 10

                                                                      oft gefragt: „Macht es Ihnen denn Spaß, sich so
                                                                      zu verkleiden, sind Sie so ein Typ, der gerne
                                                                      Karneval macht?“ – Eigentlich nicht, ich gehe
                                                                      weder zum Fasching, noch zum Karneval. Es ist
                                                                      vielmehr eine berufliche Auseinandersetzung,
                                                                      dass man weibliche wie männliche Darstellung
                                                                      durchgeht.

Abb. 24: Thorsten Brinkmann: Drune Quoll, 2007

                                                                      Abb. 26: Thorsten Brinkmann: Conde du Mütz, 2008

                                                                      Es gibt auch Figurentypen, die auf unterschied-
                                                                      liche Art und Weise irritierend wirken. Im Laufe
                                                                      des Symposiums wurde auch schon über den
                                                                      Surrealismus gesprochen: Die Belgier mögen
                                                                      diese Arbeiten sehr. Bei dem Portrait „Lady
                                                                      Glittersky“ oder „Conde du Mütz“ weiß man
                                                                      nicht so richtig, wo vorne oder hinten ist. Diese
                                                                      Art surrealer Verfremdung und Irritation, wie sie
                                                                      auch René Magritte in seinen Bildern schafft,
                                                                      inspiriert mich sehr. Die Surrealisten – wie
                                                                      vorhin auch gesagt wurde – sind heute so aktuell
                                                                      wie vor einhundert Jahren.
                                                                      Die Portraits ergeben eine Serie, an der ich lan-
Abb. 25: Thorsten Brinkmann: Lady Glittersky, 2009
                                                                      ge gearbeitet habe und es immer wieder tue.
                                                                      Oftmals führt schon die Titelgebung auf eine Hu-
In unserer Kultur wird es, wie schon erwähnt, mit
                                                                      morebene, die auch beabsichtigt ist.
Renaissance-Malerei in Verbindung gebracht.
                                                                      Da gibt es „Karl Schrank von Gaul“ (Abb. 27), er
Mit der Venus-Darstellung habe ich allerdings
                                                                      wird auch gerne in Schlössern gezeigt, in Anleh-
zugleich auch (eher unbeabsichtigt) in die Gen-
                                                                      nung natürlich an Karl den Großen.
der-Diskussion hineingegriffen, denn ich werde
                                                                      „Padre Blechle“ (o.A.) ist wohl meiner schwäbi-
Thorsten Brinkmann                    Krisen eines Mülleimers – Zebras kommen auf den Hund               kunsttexte.de      1/2019 - 11

schen Herkunft geschuldet, die musste auch mal                        Mit „Donna Delle“ (Abb. 28) passierte etwas
verarbeitet werden. Das sind so kleine Kalauer,                       merkwürdiges: Disney hat es tatsächlich in einen
aber durchaus auch ernst gemeint. Es ist letzt-                       Donald Duck kopiert. Es gibt eine Zeichnung, da
lich auch ein Spiel, indem ich schaue, was ist zu                     steht Donald auf einem Podest, verkleidet mit ei-
sehen und wie lässt sich was kombinieren.                             nem Helm, und das wurde dann „Donald Donna“
                                                                      genannt. Ich entdeckte es zufällig vor drei Jah-
                                                                      ren, weil meine Tochter ständig Donald liest –
                                                                      das ist irgendwie eine gute Reminiszenz.
                                                                      Eine Anspielung an Oskar Schlemmer ist „Oskar
                                                                      van Degenball“ (Abb. 29). Das „Triadische Bal-
                                                                      lett“ ist ein großartiger Film. Ich habe mir schon
                                                                      überlegt, dass ich auch einmal so ein Ballett ma-
                                                                      chen werde – aber das sind vielleicht Ideen für
                                                                      die Zukunft.

Abb. 27: Thorsten Brinkmann: Karl Schrank von Gaul, 2008

                                                                      Abb. 29: Thorsten Brinkmann: Oskar van Degenball (Assemblage),
                                                                      Ausstellungsansicht, Hamburg 2012

                                                                      Es ist nicht so, dass ich alles neu erfinde – des-
                                                                      wegen ist es auch alles sehr spielerisch ange-
                                                                      legt. Ich muss immer nur ein bisschen hinzufü-
                                                                      gen, um es weiterzuentwickeln. Man merkt auch,
                                                                      je mehr man sich damit beschäftigt, dass andere
                                                                      Künstler ähnliche Themen hatten, z.B. Hugo Ball
                                                                      vom Cabaret Voltaire, was über einhundert Jah-
                                                                      re her ist. Oder Leigh Bowery – eine fantastische
                                                                      Figur, die in den 1990er Jahren in London als so
                                                                      eine Art Paradiesvogel galt. Er kommt eher aus
                                                                      der Mode und besaß einen Club namens „Ta-
Abb. 28: Thorsten Brinkmann: Donna Delle, 2008                        boo“. Nachts gingen alle Paradiesvögel dorthin.
Thorsten Brinkmann                     Krisen eines Mülleimers – Zebras kommen auf den Hund                kunsttexte.de    1/2019 - 12

Leute aus der Kunst- und Musikszene waren da                           Relativ naheliegend war, auch das Thema Stillle-
anzutreffen und haben sich gefeiert. Leigh Bo-                         ben mit diesen Gegenständen zu bearbeiten.
wery selbst kam immer gegen ein Uhr nachts in                          Dabei entstanden fülligere oder aber stark redu-
Kostümen, hat zwei Stunden wie ein Wahnsinni-                          zierte Arrangements. „Porandi“ ist schon fast zu
ger getanzt – er war so ein zwei Meter Typ – und                       reduziert, es wird aber auch noch reduzierter.
verschwand dann wieder. Viele andere wären                             Auf der linken Seite sieht es ziemlich klassisch
auch noch zu nennen.                                                   aus, also angelehnt an klassische Stillleben-Ma-
                                                                       lerei oder an direkte Vorbilder wie Giorgio Mo-
Noch mehr Sujets (Interieur, Stillleben u.a.)                          randi. Daraus ergab sich dann „Porandi“, weil da
Es folgen Inszenierungen, die zeigen, wie ich                          rechts so ein Hinterteil herausguckt.
eine Ahnengalerie in Räumen aufbaue oder gan-
ze Interieurs präsentiere. Meistens baue ich
Räume mit solchen Fundstücken, die auch in
den Bildern zu finden sind. Ich lege es so an,
dass sich das Ganze atmosphärisch verdichtet,
und das ergibt dann auch immer einen ganzen
Raum. Inzwischen durfte ich auch schon ganze
Häuser damit bestücken. Das würde jetzt aber
zu weit führen, all das auch noch aufzugreifen.
So kann ich aber alles weiterentwickeln oder
darstellen, also Ready-Mades und das Skulptu-
rale gleichzeitig zeigen.

                                                                       Abb. 32: Thorsten Brinkmann: Porandi, 2014

                                                                       Nachfolgendes Beispiel ist ein Verweis auf Mon-
                                                                       drian mit der 'falschen' Farbe. So hätte er natür-
                                                                       lich nie ein Bild gemacht, aber vielleicht hätte er
                                                                       sich irgendwann doch noch dahin entwickelt.

Abb. 30: Thorsten Brinkmann: Neoschwanstein, 2006, Ausstellungs-
ansicht, Den Haag

Abb. 31: Thorsten Brinkmann: VillaVie, 2008, Ausstellungsansicht,      Abb. 33: Thorsten Brinkmann: Hoppetasse Mondrial, 2009
Den Haag, Foto: M. Zweerts
Thorsten Brinkmann                   Krisen eines Mülleimers – Zebras kommen auf den Hund               kunsttexte.de      1/2019 - 13

Es ist sehr schwer, leere Stillleben zu machen.                      „Studiomove“
Wenn auf dem Bild fast nichts drauf ist, kann es                     Immer wieder beschäftige ich mich mit der
auch unheimlich öde werden. Es funktioniert ei-                      Funktion von Räumen und ihren Geschichten,
gentlich meistens nur im Kontext, so wie das                         z.B. im „Georg Kolbe Museum“ in Berlin. Es gab
nachfolgende Beispiel „Mit Ohne“ mit Bezug auf                       da sein Wohnzimmer, sein Atelier und noch
eine gängige Sprachwendung zeigt. (Abb. 34)                          einen Neubau, in dem er seine Arbeiten zeigen
                                                                     konnte. Das ließ sich gut aufgreifen und auf sei-
                                                                     nen ursprünglichen Nutzungszweck zurückfüh-
                                                                     ren. So baute ich dort wieder ein Wohnzimmer
                                                                     hinein, wo er seines gehabt hatte – als eine An-
                                                                     spielung auf seine Lebensform. (Abb. 36)
                                                                     Das gesamte Interieur bestand aus gesammel-
                                                                     ten Gegenständen unterschiedlicher Stilphasen
                                                                     und -zeiten, die sich zu einer 'wohnlichen' Ge-
                                                                     samtheit zusammenfügen ließen.

                                                                     Abb. 36: Thorsten Brinkmann: Studiomove, 2010, Ausstellungsan-
                                                                     sicht, Berlin

Abb. 34: Thorsten Brinkmann: Mit Ohne, 2009
                                                                     Die zweite Ansicht zeigt die Atelier-Situation im
Ein Vanitas-Motiv ist auch entstanden, worin                         Kolbe-Haus (Abb. 37). Hier musste ich nun mein
auch Magritte wieder steckt (Abb. 35). Die Pfeife                    Arbeitsmaterial einlagern und habe dafür mein
links im Bild, und rechts ist ein Babymilch-Wär-                     ganzes Lager dorthin geschleppt und aufgebaut.
mer, in dessen Öffnung man die Flasche hinein-                       Die Vorgehensweise ähnelt etwas der von F.E.
stellt. Doch hier mutet es nun durch die Drehung                     Walther, der auch immer in seinem Lager arbei-
bzw. unübliche Ansicht in der Inszenierung wie                       tete, daraus Sachen entnahm, sie präsentierte
ein Totenschädel an.                                                 und zeigte. Im Grunde habe ich im künstleri-
                                                                     schen Vorgehen eine Verwandtschaft mit ihm.

Abb. 35: Thorsten Brinkmann: Wannitdat, 2009                         Abb. 37: Thorsten Brinkmann: Studiomove, 2010, Ausstellungsan-
                                                                     sicht, Berlin
Thorsten Brinkmann                   Krisen eines Mülleimers – Zebras kommen auf den Hund                  kunsttexte.de    1/2019 - 14

Zuletzt stellte ich in den Neubau – den Kolbe da-
für hatte, seine neuen Werke dort zu präsentie-
ren – meine neuen Werke hinein: Portraits,
Skulpturen und Stillleben.

Abb. 38: Thorsten Brinkmann: Studiomove, 2010, Ausstellungsan-
sicht, Berlin

Die Wandfarbe habe ich der aus meinem Atelier
angeglichen. Man kennt diese Bemalung aus
frühen Industriegebäuden, in denen der untere                        Abb. 40: Thorsten Brinkmann: Ernie III, 2010
Bereich grün, orange oder in einer anderen
furchtbaren Schutzfarbe gestrichen ist, hier habe                    Vielleicht gefiel es ihm auch deshalb so gut, weil
ich das umgedreht inszeniert.                                        er auf diese Weise sehr viel Aufmerksamkeit er-
                                                                     hielt, sozusagen der Mittelpunkt meines Tuns
Ernie                                                                wurde. Er hat sich bis zu einer halben Stunde
Ich arbeite auch mit 'Dingen', die mir sehr nahe                     lang nicht bewegt. Irgendwann fing er allerdings
sind, so wie mein Hund Ernie, für den ich u.a.                       an zu brummen, da haben wir abgebrochen.
eine Tapete entworfen hatte. Und dann fing ich
mit ihm zu arbeiten an, weil er permanent um                         „Se King“
mich herum war. Irgendetwas musste ich mit                           Als letztes Beispiel zeige ich den für die „Griffel-
ihm machen.                                                          kunst“ gebauten Kinoraum, in dem ich meinen
Es entstand eine Ernie-Serie mit sieben oder                         Film „Se King“ zeigen konnte – schließlich haben
acht Bildern, währenddessen er sich zu einem                         wir ja alle irgendwie Schwierigkeiten mit dem
erstaunlichen Model entwickelte. Denn eigent-                        „th“. Diese Persiflage herrschaftlicher Attitüden
lich war er ein sehr nervöser Hund, eher anstren-                    ist ein weiteres Beispiel dafür, wie durch ernst-
gend.                                                                haftes spielerisches Gebaren und Inszenieren
                                                                     unweigerlich auch Situationskomik entsteht.

Abb. 39: Thorsten Brinkmann: Das seltene Zebrund, 2011
                                                                     Abb. 41: Thorsten Brinkmann: Se king, 2011, Ausstellungsansicht
Thorsten Brinkmann                  Krisen eines Mülleimers – Zebras kommen auf den Hund               kunsttexte.de     1/2019 - 15

Abbildungen                                                         Abb. 33: Thorsten Brinkmann: Hoppetasse Mondrial, 2009,
                                                                    C-Print, 123 x 93 cm
Wir danken Thorsten Brinkmann für die Zurverfügungstellung
                                                                    Abb. 34: Thorsten Brinkmann: Mit Ohne, 2009, C-Print,
des Bildmaterials und die Abdruckrechte.
                                                                    67 x 50 cm
                                                                    Abb. 35: Thorsten Brinkmann: Wannitdat, 2009, C-Print,
Der nachstehende Bildrechtenachweis gilt für alle Abbildun-
                                                                    40 x 30 cm
gen, sofern nicht davon abweichend gekennzeichnet:
                                                                    Abb. 36: Thorsten Brinkmann: Studiomove, 2010, Ausstellungs-
© 2018, Thorsten Brinkmann.
                                                                    ansicht, Georg Kolbe Museum Berlin
                                                                    Abb. 37: Thorsten Brinkmann: Studiomove, 2010 Ausstellungs-
Abb. 1: Thorsten Brinkmann: Ernie & Se king, 2011, C-Print,
                                                                    ansicht, Georg Kolbe Museum Berlin
Griffelkunst Hamburg
                                                                    Abb. 38: Thorsten Brinkmann: Studiomove, 2010, Ausstellungs-
Abb. 2: Thorsten Brinkmann: o.T. (Gebaute Malerei), 2000, Aus-
                                                                    ansicht, Georg Kolbe Museum Berlin
stellungsansicht, Hamburg
                                                                    Abb. 39: Thorsten Brinkmann: Das seltene Zebrund, 2011,
Abb. 3: Thorsten Brinkmann: Lager 00, 2000, Ausstellungsan-
                                                                    C-Print, 32 x 39,3 cm
sicht, Hamburg
                                                                    Abb. 40: Thorsten Brinkmann: Ernie III, 2010, C-Print,
Abb. 4: Thorsten Brinkmann: Das Prinzip Sockel, 2001/02,
                                                                    70 x 54 cm
Ausstellungsansicht, HfbK Hamburg
                                                                    Abb. 41: Thorsten Brinkmann: Ernie & Se king, 2011, Installation
Abb. 5: Thorsten Brinkmann: Das Prinzip Sockel (Auswahl aus
                                                                    (Kinoraum und Film), Ausstellungsansicht, Griffelkunst Hamburg
einer Serie von 54 Bildern ), 2001/02, C-Prints, je 45 x 30 cm
Abb. 6: Thorsten Brinkmann: Das Prinzip Sockel, 2001/02,
C-Prints, Ausstellungsansicht
Abb. 7: Thorsten Brinkmann: Büro Büro – Installationsansicht,
2002, versch. Materialien, 3,6 x 3,6 x 3,6 m, LVA Hamburg           Bibliographie (Auswahl Künstlerpublikationen)
Abb. 8: Thorsten Brinkmann: Büro Büro, 2002, Inkjet auf Plane,
170 x 200 cm, LVA Hamburg                                           Brinkmann, Thorsten: Studiomove, Berlin 2010
Abb. 9: Thorsten Brinkmann: Pool, 2003, Ausstellungsansicht,
Galerie KX Hamburg                                                  Brinkmann, Thorsten: Amanecer, Mexico 2012
Abb. 10: Thorsten Brinkmann: Suchen sammeln anwenden,
2003, Ausstellungsansicht, Galerie KX Hamburg                       Brinkmann, Thorsten: La Hütte Royal – Special Edition, Ostfil-
Abb. 11: Thorsten Brinkmann: 93 in Eins (Alles was in einen Bus     dern 2013/14
passt), 2003, 94 C-Prints, je 26,6 x 20 cm
Abb. 12: Thorsten Brinkmann: Soviel wie möglich auf einmal tra-     Brinkmann, Thorsten: Thorsten Brinkmann – Warfare Canari-
gen, 2003, C-Print, 175 x 124 cm                                    es, Hamburg 2014
Abb. 13: Thorsten Brinkmann: Gut Ding will es so (Filmstill 1),
2003, Video, 15.20 min.                                             Brinkmann, Thorsten: La Vie En RoseRock, Düsseldorf 2014
Abb. 14: Thorsten Brinkmann: Gut Ding will es so (Filmstill 2),
2003, Video, 15.20 min.                                             Brinkmann, Thorsten: Salon Livresque, Hamburg 2016
Abb. 15: Thorsten Brinkmann: Gut Ding will es so (Filmstill 3),
2003, Video, 15.20 min.                                             Brinkmann, Thorsten: Se King – director’s shot, Berlin 2017
Abb. 16: Thorsten Brinkmann: Gut Ding will es so (Filmstill 4),
2003, Video, 15.20 min.                                             Monographien und Aufsätze (Auswahl)
Abb. 17: Thorsten Brinkmann: Außenlager III, 2006, Ausstel-         Feldbusch, Stefanie / Wiesner, Andreas (Hgg.): Thorsten
lungsansicht „Alles hat kein Ende“, Kunstagenten Gallery Berlin     Brinkmann, Ostfildern 2008
Abb. 18: Thorsten Brinkmann: Alles hat kein Ende, 2006, Aus-
stellungsansicht, Kunstagenten Gallery Berlin                       Güntner, Mathias (Hg.): Let’s talk about, Hamburg 2013
Abb. 19: Thorsten Brinkmann: True Romans – Tableau No I,
2005/06, Fundstücke und Digitalprints (Endlosserie), versch.        Hüsch, Anette (Hg.): Los geht es wieder! Die Sammlung
Maße                                                                2011. Extradosis. Thorsten Brinkmann zu Gast in der Samm -
Abb. 20: Thorsten Brinkmann: Brinkmann, 2006,                       lung, Kiel 2011
Karton/Plastik/Sneakers/Jeans, 193 x 40 x 34 cm, Ausstellungs-
ansicht, Kunstagenten Gallery Berlin                                Jain, Gora: Thorsten Brinkmann – Sinnbilder des ewig Su-
Abb. 21: Thorsten Brinkmann: Petersburger Reihe, 2006, Aus-         chenden; in: Kritisches Lexikon der Gegenwartskunst, Aus-
stellungsansicht, Museum for Urban Sculpture St. Petersburg         gabe 108/Heft 22, München 2014 (12 Seiten)
Abb. 22: Thorsten Brinkmann: Hopi Green Holding Kni, 2006,
C-Print, 171 x 130 cm                                               Möllers, Sebastian / Fink, Luisa / Schäfer, Andreas (Hgg.):
Abb. 23: Thorsten Brinkmann: Venus del Whitespitz, 2008,            Thorsten Brinkmann: Life is funny, my deer, Ausst.-Kat Den
C-Print, 130 x 171 cm                                               Haag u.a., Wien 2017/18
Abb. 24: Thorsten Brinkmann: Drune Quoll, 2007, C-Print,
70 x 54 cm
Abb. 25: Thorsten Brinkmann: Lady Glittersky, 2009, C-Print,
121 x 92 cm                                                         Zusammenfassung
Abb. 26: Thorsten Brinkmann: Conde du Mütz, 2008, C-Print,
82 x 62 cm                                                          Einen Mülleimer über dem Kopf, die Socke vor dem
Abb. 27: Thorsten Brinkmann: Karl Schrank von Gaul, 2008,           Alten Meister, ein Hund will ein Zebra sein: Mein
C-Print, 130 x 170 cm
Abb. 28: Thorsten Brinkmann: Donna Delle, 2008, C-Print,            Selbstbildnis möchte nicht mehr mich selbst zeigen,
199 x 149 cm                                                        der Hund befindet sich in einer Identitätskrise und die
Abb. 29: Thorsten Brinkmann: Oskar van Degenball, 2012,
Assemblage, 305 x 205 x 38 cm                                       Alten Meister rufen nach Erlösung. Zum Glück ma-
Abb. 30: Thorsten Brinkmann: Neoschwanstein, 2006, Ausstel-         chen die Dinge was sie wollen, sie geben keine Ruhe.
lungsansicht, Gemeentemuseum Den Haag
Abb. 31: Thorsten Brinkmann: VillaVie, 2008, Ausstellungsan-        Sie wollen nicht nur als 'olles' Ding gelten, nicht aus-
sicht, Gemeentemuseum Den Haag; Foto: M. Zweerts                    gesorgt haben, sondern etwas Neues sein. Endlich
Abb. 32: Thorsten Brinkmann: Porandi, 2014, C-Print,
38 x 28,5 cm                                                        'runter von der Straße, 'raus aus der Gemütlichkeit,
Thorsten Brinkmann              Krisen eines Mülleimers – Zebras kommen auf den Hund   kunsttexte.de   1/2019 - 16

sich mit anderen Unbekannten zusammentun! Des
Künstlers Hirn eintüten, dem Hund zum Zebra verhel-
fen oder der abgetakelten Venus zu neuem Sexappe-
al. Solchen und anderen ernsthaften Themen wird in
diesem Künstlerbeitrag nachgegangen.

Autor
Thorsten Brinkmann lebt in Hamburg. Er studierte Vi-
suelle Kommunikation an der Kunsthochschule Kassel
und Freie Kunst an der HfbK Hamburg. Für seine foto-
grafischen und installativen Arbeiten ist er internatio-
nal bekannt und ausgezeichnet worden: 2011 mit dem
Finkenwerder Kunstpreis, 2012 folgte eine Einladung
für das Residency Programm im Warhol Museum in
Pittsburgh (USA), 2014 für das Residency im Flanders
Field Museum in Ypern (Belgien). Seine Arbeiten wur-
den u.a. in der Frankfurter Schirn, der Hamburger
Kunsthalle, dem ICP in New York, dem GEM in Den
Haag gezeigt.

Titel
Thorsten Brinkmann: Krisen eines Mülleimers – Ze-
bras kommen auf den Hund;
in: kunsttexte.de, Themenheft 1: Humor und Subversi-
on in Kunst und Design – eine Art Künstlerheft,
Gora Jain (Hg.)/Regina Mayr (Mitarbeit), Berlin/Ham-
burg 2018/19, www.kunsttexte.de
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