Kritische Anmerkungen zum Fundkomplex der sog. Himmelsscheibe von Nebra

Die Seite wird erstellt Linus-Maximilian Bühler
 
WEITER LESEN
Kritische Anmerkungen zum Fundkomplex der sog. Himmelsscheibe von Nebra
Kritische Anmerkungen zum Fundkomplex der sog.
                                                                 Himmelsscheibe von Nebra

                                                                                                       Rupert Gebhard & Rüdiger Krause

Zusammenfassung – Die „Himmelsscheibe von Nebra“ wurde 1999 angeblich als Bestandteil eines Hortfundes bei Raubgrabungen
entdeckt. In aufwändigen und langjährigen Untersuchungen wurde versucht, sowohl die Zuweisung des angeblichen Fundortes als auch
die Zusammengehörigkeit der Objekte unabhängig von den Angaben der Finder zu verifizieren. Eine kritische Betrachtung der publizierten
Ergebnisse durch die Autoren lässt derzeit weder den Schluss zu, dass die in einer Nachgrabung untersuchte Fundstelle zutreffend wäre,
noch dass das Ensemble selbst die Kriterien eines geschlossenen Fundes erfüllt. Vielmehr kann sich das Ensemble nach dem Grabungs-
befund an der Fundstelle dort nicht in situ befunden haben. Die naturwissenschaftlichen Untersuchungen an den Objekten widersprechen
eher einer Zusammengehörigkeit als dass sie eine solche bestätigen. Betrachtet man die Scheibe – wie dann geboten – als Einzelobjekt,
lässt sie sich nicht in die frühbronzezeitliche Motivwelt einfügen, eine zeitliche Einordnung in das erste Jahrtausend v. Chr. erscheint am
ehesten wahrscheinlich. Auf Grundlage dieser Gesamteinschätzung müssen sich alle bisherigen weiterführenden kulturgeschichtlichen
Schlussfolgerungen und Interpretationen einer künftigen kritischen Diskussion stellen.

Schlagworte – Archäologie; Himmelsscheibe; Sternenscheibe; Nebra; Hortfund; Bronzezeit; Vorrömische Eisenzeit; Kelten; Ostalpines
Kupfer; Bleiisotope; Zinnisotope

Title – Critical comments on the find complex of the so-called Nebra Sky Disk

Abstract – The „Nebra Sky Disk“ was reportedly discovered in 1999 as part of a hoard during an illegal excavation. In elaborate and long
lasting investigations an attempt was made to verify both the reported site location and the affiliation of the objects independently from the
information given by the finders. Yet, a critical examination of the published results by the authors does not allow the conclusion that the
site investigated in a re-excavation is correct, nor that the ensemble itself fulfils the criteria of a closed find (hoard). On contrary, according
to the excavation findings, the ensemble could not have been in situ at the site named. The scientific examination of the objects contradicts
rather than confirms their belonging together. If the disk is considered – as required by these facts – as a single object, it cannot be inte-
grated into the Early Bronze Age motif world. Instead, a chronological embedment into the first millennium BC seems most likely. On the
basis of this overall assessment, all further conclusions and interpretations of the cultural context and the meaning of the Nebra disk that
have been made so far will have to be subjected to a critical discussion.

Key words – archaeology; sky disk; star disk; Nebra; hoard; Bronze Age; Pre-Roman Iron Age; Celts; eastern alpine copper; lead isotopes;
tin isotopes

Note: You can find an identical version of this text in English language at https://journals.ub.uni-heidelberg.de/index.php/arch-inf/article/view/81419

Einleitung                                                                    des Fundkomplexes gewichtet. Die zugrundelie-
                                                                              genden Quellen wurden in den folgenden Jahren
Die sog. Himmelsscheibe von Nebra (urspr. Klein-­                             dagegen ungenügend oder auch gar nicht veröf-
wangen, Verbandsgemeinde Unstruttal, Burgen-                                  fentlicht. Der folgende Artikel kann dieses Defizit
landkreis) war bereits Gegenstand von zwei kon-                               nicht lösen. Unabhängig von der Publikationslage
troversen Beiträgen im Archäologischen Korres­                                ist es aber möglich, vor allem anhand schwerer zu-
pondenzblatt. Auf einen Aufsatz von P. Schauer,                               gänglichen Quellen, die seit 2008 als abgeschlos-
der das Objekt 2005 als Fälschung ansah (Schauer,                             sen betrachtete Diskussion zum Fundort und zur
2005), folgte 2008 eine Entgegnung der Arbeits-                               Zusammengehörigkeit der Funde neu aufzugrei-
gruppe um E. Pernicka und H. Meller samt Zu-                                  fen und zu erläutern.
sammenfassung aller Untersuchungsergebnisse
mit dem Fazit „Die Himmelsscheibe von Nebra darf
als einer der bestuntersuchten archäologischen Funde                          Nochmals zu Auffindungsgeschichte und
Deutschlands gelten“ (Pernicka et al., 2008, 346).                            Fundlage
„Die Beteiligung von Wissenschaftlern unterschied-
lichster Disziplinen in Verbindung mit kriminalpoli-                          Die Himmelsscheibe von Nebra gelangte erst
zeilichen Erkenntnissen ergibt unter Abwägung aller                           etwa vier Jahre nach ihrer Entdeckung in die Hän-
Gesichtspunkte ein lückenloses Netz von Indizien für                          de von Archäologen. Ihre Auffindungsgeschichte
die Echtheit nicht nur des Fundes, sondern auch für                           wurde nach den Aussagen des ersten Ankäufers,
die Zugehörigkeit der Beifunde und für die zweifels-                          der Finder und der Beobachtung von Beschädi-
freie Identifizierung des Fundortes, ...“. Der Artikel                        gungsspuren am Objekt rekonstruiert. Zugleich
schließt mit einer tabellarischen Übersicht, die                              erfolgte noch vor dem ersten Kontakt mit den
verschiedene Argumente für eine Authentizität                                 Findern eine Nachgrabung an einem vom ersten

Eingereicht: 6. Juni 2020                                                                   Archäologische Informationen 43, 2020, 325-346
angenommen: 12. Aug. 2020                                                                                                         CC BY 4.0
online publiziert: 3. Sept. 2020                                        325
                                                                                                                                  Weitere Aufsätze
Kritische Anmerkungen zum Fundkomplex der sog. Himmelsscheibe von Nebra
Rupert Gebhard & Rüdiger Krause

                                                           a                                                                  b

                                        c                                          d                                           e

 Abb. 1 Darstellung der Beschädigungen an der Scheibe durch die Ausgrabung. a) Interpretation H. Meller (2004a, Abb. S. 22; 2010
  Abb.5). b) Schlagrichtungen der Beschädigungspuren auf der Vorderseite der Scheibe. Die blaue Linie entspricht der Position zur
   Oberfläche durch M. Meller; die grüne Linie lässt sich nach den Beschädigungsspuren ableiten. c) Zustandsaufnahme nach der
 Bergung, Ausrichtung der Scheibe nach Auffindungsbeschreibung (Meller, 2010, Abb. 12). d) Umzeichnung nach der Konservierung
       (Breuer, 2010, Abb. 3). e) Zustand der Scheibe vor der Einlieferung in das Landesmuseum Halle (Foto H. Burri-Bayer).
                                                          Vgl. auch Abb. 9.

Ankäufer als solchen bezeichneten Fundort, dem                       Millimeter stark der Dreck drauf. Richtig stark verkru-
Mittelberg, auf dem zwar die Reste einer eisen-                      stet.“2 In dieser Kruste zeichnen sich die Beschä-
zeitlichen Befestigung, aber keinerlei Hinweise                      digungen durch das Grabungswerkzeug deutlich
auf eine Nutzung oder Begehung des Berges im                         als dunklere Streifen ab. Diese sind durch die Art
2. Jahrtausend v. Chr. festgestellt wurden.1                         und Führung des Werkzeuges leicht gebogen. Bei
                                                                     der Auffindungsrekonstruktion geht H. Meller da-
Ursprüngliche Ausgrabungs- und Beschädigungs­                        von aus, dass die starke randliche Beschädigung
spuren an der Scheibe durch die Bergung                              oben lag und richtet die Scheibe entsprechend aus
Die Scheibe war bei der Auffindung dick mit Se-                      (Abb. 1a). Diese Lagefestlegung wird für alle künf-
diment verkrustet (Abb. 9). Der Finder beschrieb                     tigen Abbildungen des Objektes beibehalten.3 Be-
den Zustand als „das Grün konnte man gar nicht rich-                 trachtet man jedoch die Spuren, die das Werkzeug
tig erkennen. Weil war so ne starke – bestimmt zwee                  auf der Oberfläche hinterlassen hat (Abb. 1c), so

                                                               326
Kritische Anmerkungen zum Fundkomplex der sog. Himmelsscheibe von Nebra
Kritische Anmerkungen zum Fundkomplex der sog. Himmelsscheibe von Nebra

                                                           a                                                                     b

                                                           c                                                                     d

Abb. 2 Ausgrabung eines Raubgrabungsloches auf dem Mittelberg bei Nebra. Unterlagen zur Darstellung bei der Gerichtsverhandlung
         (Nachlass Gutachten Josef Riederer, Archiv Archäologische Staatssammlung München). a) Auf 1. Planum abgetragene
 Untersuchungsfläche. An der Schnittkante ist die ca. 15 cm starke Humusauflage erkennbar. b) Planumsdetail. Das Raubgrabungsloch
grenzt sich deutlich als begrenzte gestörte Zone innerhalb eines Befundes ab. c) Darstellung der rezenten Oberfläche über dem Befund.
    d) Projektion der Himmelsscheibe auf die tiefste Stelle des Befundes ohne Berücksichtigung der Humusauflage, in der sich nach
                                            Finderangabe der obere Teil der Scheibe befand.

ist diese Rekonstruktionslage nicht möglich, da die                   Goldblechteil schräg nach oben weggezogen. Auf meine
auf der linken Objekthälfte liegenden Spuren nur                      Nachfrage erklärten die „Finder“, dass sie sich sicher
von einer weit unter der Oberfläche stammenden                        seien, dass die Sonne und damit der abgefallene Hori-
Position aus erzeugt werden könnten. Richtet man                      zont oben gelegen hätten. Von dem fehlenden Horizont
die Beschädigungsspuren so aus, dass Sie von oben                     hätten sie keine Spuren gefunden. Er sei schon weg ge-
und von beiden Seiten in einem gleichen Abstand                       wesen. Die jetzige Randbeschädigung hätte sich seitlich
von der Oberfläche entstanden sind, so wäre die                       befunden. Sie erklären sich diese Randbeschädigung aus
Auffindungssituation so zu rekonstruieren, dass                       Verletzungen durch einen Baumpflug beim Anpflanzen
sich der fehlende Horizontbogen oben und die                          oder ähnlichem. Beim Herausnehmen sei der sich dort
starken Beschädigungsspuren seitlich befunden                         befindliche lose Goldstern abgefallen.“4 Diese Aussa-
haben (Abb. 1c). Diese Fundlage haben 2003 auch                       ge stimmt vollkommen mit den Beschädigungs-
die Finder – Anlass der Aussage war die Hoffnung                      spuren an der Scheibe überein. Insbesondere ist
auf Strafmilderung beim laufenden Prozess durch                       darauf hinzuweisen, dass die randlichen Beschä-
Kooperation – so zu Protokoll gegeben: „In Bezug                      digungsspuren nach der Auffindung noch mit Se-
auf die Technik der Ausgrabung sagte Herr Westphal,                   diment überzogen waren (Abb. 9 oben). Bei einer
er hätte nur die „Sonne“ beschädigt. Hier hätte er bei                Autopsie im Jahre 2005 zeigte sich dieser Bereich
Auffindung (die „Sonne“ lag seinen Angaben nach                       als sekundär nachkorrodiert.5 Die an der Scheibe
oben) mit der Hacke auf die Sonne geschlagen und das                  feststellbaren Beschädigungen entstanden einer-

                                                                327
Kritische Anmerkungen zum Fundkomplex der sog. Himmelsscheibe von Nebra
Rupert Gebhard & Rüdiger Krause

seits bei der Auffindung, andererseits durch ein          tiefsten Stelle des Befundes. Folgt man der wie-
unbekanntes älteres Ereignis. Es ist möglich, dass        derholt geäußerten Aussage der Finder, dass die
bei diesem Ereignis auch der Horizontbogen verlo-         Scheibe oberflächennah entdeckt wurde, kann aus
ren ging. Der Publikationsstand erlaubt jedoch kei-       dieser Grabungssituation nur eine Schlussfolge-
ne abschließende Klärung dieser Frage, da die Ab-         rung gezogen werden: die Scheibe befand sich zu
bildungen der restaurierten Scheibe – auf denen in        einem Drittel in einer rezenten Bodenschicht. Näh-
Teilbereichen des Horizontbogens durchaus eine            me man an, diese Lage sei authentisch, so wäre
nur geringe Patinabildung zu erkennen ist – keine         die Scheibe wie die umliegende Bodenschicht als
ausreichende Information bieten.6                         „rezent“ zu datieren. Als zweite Möglichkeit käme
    Bei ihren Aussagen machten die beiden Fin-            aber in Betracht, dass sie sich bei ihrer Entdeckung
der eine zweite bemerkenswerte Angabe, die bei            in einer sekundären Lage befand. Bereits Josef Rie-
den bisherigen Interpretationen unberücksichtigt          derer wies im Prozess darauf hin, dass bei einer La-
blieb. In ihrer bereits ersten Aussage zum Fund           gerung teilweise im Humus und teilweise in einem
wurde festgehalten:7 „Beide erklärten, sie hätten den     völlig anderen Boden sich entsprechende Unter-
Fund, der etwa 3-5 cm unter der Erde lag, sorgfältig      schiede bei der Patina hätten abzeichnen sollen.
mit den Händen freigelegt.“ Die oberflächennahe           Die gleichmäßige dicke Verkrustung der Scheibe
Lage wird im gleichen Protokoll durch die rasche          deutet dagegen auf eine ursprüngliche Lagerung
Freilegung bestätigt: „Herr Westphal hörte ein Sig­       in einer einheitlichen Bodenschicht hin.11
nal und fing dann an, den Fund auszugraben, wobei             Die oberflächennahe Auffindung der Scheibe
er der Meinung war, bei der Scheibe selbst handele es     war H. Meller seit dem 26.8.2003 bekannt. Sie hat
sich um einen Eimerdeckel, da [sie] häufig eiserne Ei­    sowohl hinsichtlich der Identifizierung der Fund-
merdeckel gefunden hätten. Herr Renner, der unterhalb     stelle als auch der Geschlossenheit des Gesamt-
am Hang stand und deshalb einen besseren Blick auf        fundes eine Schlüsselfunktion. Die in der Folgezeit
den bereits einigen Zentimeter freigelegten Fund hatte,   unternommenen Befragungen der Finder und die
war der Meinung, es handele sich um anderes Material      naturwissenschaftlichen Untersuchungen sind im-
und half Herrn Westphal, den Fund auszugraben.“           mer vor dem Hintergrund dieser Ausgangssitua­
    Die oberflächennahe Lagerung der Scheibe              tion zu sehen. Während des zweiten Nebra-Pro-
wurde von den Findern stets betont, und letzt-            zesses entwickelten sich die Aussagen der beiden
malig auch als Aussage von Westphal in der Ge-            Finder in entgegengesetzte Richtungen.12 Während
richtsverhandlung vom 3.6.2005: „Die Scheibe habe         der Beteiligte M. Renner sowohl den Fundort als
senkrecht im Boden gestanden. Die Oberkante 3-5 cm        auch die Zusammensetzung des Hortfundes aus
unter dem Boden. Darüber war nur wenig Laub.“8 Im         verschiedenen Funden zusammengestellt bezeich-
Jahr 2002 wurde am Mittelberg innerhalb der dor-          nete,13 wurde die Wiedergabe der Auffindungs-
tigen ältereisenzeitlichen Befestigungsanlage ein         geschichte durch H. Westphal weiterentwickelt.
Raubgrabungsloch untersucht, das nach Angaben             Die Beeinflussung Westphals durch suggestiv wir-
des Erstkäufers die Stelle gewesen sein soll, an der      kende Fragestellungen der beteiligten Archäologen
die Scheibe gefunden wurde. Einzelangaben zu              ist in den Videobeiträgen, in denen die Fundge-
der Grabung lassen sich an verschiedenen Stellen          schichte von Westphal nachgestellt wird,14 deut-
gewinnen, ein abschließender Grabungsbericht              lich erkennbar, zugleich lassen entstehende Wi-
wurde bislang immer noch nicht veröffentlicht.9           dersprüche bei den Details die Glaubwürdigkeit
Es sei daher zunächst auf Unterlagen zurückge-            der Geschichte in Frage stellen.15 Die Bedeutung
griffen, die in der öffentlichen Verhandlung als          dieses Problems zeigt sich daran, dass im Verlauf
Anschauungsmaterial verwendet wurden.10                   des zweiten Nebra-Prozesses versucht wurde, die
    Das Raubgrabungsloch zeichnete sich bei der           aus den zwei so unterschiedlichen Fundgeschich-
wissenschaftlichen Nachgrabung als deutliche              ten entstandenen Irritationen durch die große Zahl
Störung innerhalb eines Befundes ab (Abb. 2a-b).          von (nach Angaben von H. Meller vor Gericht) 22
Beide Ansichten stellen den Zustand des ersten            naturwissenschaftlichen Gutachten zu zerstreuen.16
Planums dar, das sich bereits ca. 15 cm unter der
Oberfläche befindet. Um dies zu verdeutlichen,
wurde auf Abb. 2c schematisch die abgetragene             Naturwissenschaftliche Untersuchungen an
(„rezente“) Oberfläche eingezeichnet. Die Projek­         Bodenproben
tion der Himmelsscheibe erfolgte nicht, wie es der
Beschreibung der Finder entsprechen würde, 3-5            Wie bei der Dokumentation der Funde ist derzeit
cm unter der Oberfläche, sondern, um zu demons-           auch bei der Publikation der Gutachten ein Defizit
trieren, dass die Scheibe in das Loch passt, an der       zu konstatieren; die 2008 im Archäologischen Kor-

                                                      328
Kritische Anmerkungen zum Fundkomplex der sog. Himmelsscheibe von Nebra
Kritische Anmerkungen zum Fundkomplex der sog. Himmelsscheibe von Nebra

respondenzblatt angekündigten Publikatio­nen der            des Randleistenmeißels gegen eine Zugehörigkeit
Untersuchungen zu den Bodenproben wurden bis-               dieses Objektes zu den anderen Funden spricht.
lang nicht veröffentlicht. Durch die Unterlagen von         Aber bereits die Feststellung, dass eines der bei-
J. Riederer sind die im Prozess angeführten Boden-          den Beile nicht zugehörig sein kann, wirft Zweifel
gutachten17 von J. Adam, G. Borg und E. Pernicka            an der Fundgeschichte auf, die durch den Finder
bekannt und lassen sich entsprechend auch bewer-            Westphal 2005 angegeben wurde und – als glaub-
ten. Es lässt sich in Übereinstimmung mit den vor           würdig eingestuft – als wesentliches Argument
Gericht vorgenommenen Bewertungen von J. Rie-               für die Geschlossenheit des Fundes angeführt
derer feststellen, dass die Gutachten weder geeig-          wird – im Gegensatz zur Aussage des am Fund
net sind, einen Nachweis für die Authentizität der          beteiligten Renner. Dass in der Fundgeschichte
Fundstelle zu erbringen, noch (wie behauptet) für           Westphals zahlreiche Widersprüche nachweisbar
die Zusammengehörigkeit des Fundensembles.18                sind, unterstreicht die Notwendigkeit einer kri-
Dieses Ergebnis wurde und wird unterschiedlich              tischen Bewertung dieser Aussagen.
wahrgenommen. Obwohl bereits das Gericht 2005
dieser Einschätzung folgte und formulierte: „Die
Kammer geht im Einklang mit dem Antrag der Ver-             Naturwissenschaftliche Untersuchungen an
teidigung davon aus, dass die sichergestellten Erdan-       den Objekten
haftungen nicht zweifelsfrei beweisen können, dass die
Scheibe tatsächlich vom Mittelberg stammt“, blieben         Da anhand der Erdanhaftungen die Zusammenge-
die Analysen für Meller das zentrale Element sei-           hörigkeit aller Funde nicht nachgewiesen werden
ner Argumentation: „Relevant ist, dass wir naturwis-        kann, kommt den Analysen der Metalle eine ge-
senschaftlich nachweisen können, aufgrund der Erdan-        wisse Bedeutung zu. Sie geben zumindest eine Ten-
haftungen, dass die Schwerter, die Himmelsscheibe und       denz an, ob sie eher auf eine einheitliche Material­
die Beifunde zusammengehören. Und dass das alles auch       quelle hinweisen oder sehr unterschiedlich sind.
dort perfekt auf den Mittelberg passt.“ Bemerkenswert       Die Ergebnisse zu den Bronzeanalysen wurden
erscheint hierbei, dass bereits das im Zentrum der          von Nickel und Pernicka (2003)22 sowie Pernicka
Argumentation stehende Gutachten von J. Adam                (2008; 2010) veröffentlicht. Am besten kennzeich-
in einem Fall die Nichtzugehörigkeit eines Ob-              net die Bleiisotopenanalyse das zugrundeliegende
jektes feststellt. Untersucht wurden von ihm im             Metall. Pernicka weist darauf hin, dass die Spuren-
Vergleich mit einer Erdprobe vom Raubgrabungs-              elementmuster ähnlich sind, die Bleiisotopen aber
loch (VM 1) drei Proben von Erdanhaftungen der              unterschiedlich sind. Er schließt auf eine ostalpine
Objekte: Sp 1 (0,113 g von der Scheibe), Sp 2 (0,217 g      Lagerstätte. Die Unterschiede bei den Bleiisotopen
von der Spitze des Schwertes II), Sp 3 (0,049 g von         werden dahingehend gedeutet, dass solche auch
der Schneide des Beils HK 2002:1649C). Bei der              innerhalb von Lagerstätten auftreten können, z. B.
letzten Probe stellte er fest, dass „im Vergleich zu        Rudna Glava (Serbien) oder dem Erzgebirge.23
VM1, Sp1 und SP2 einige Abweichungen, wie die fein-         Ebenso kann für die Unterschiede auch eine unter-
körnigere Ausbildung, das Fehlen von Phyllit, geringere     schiedliche Herkunft der Objekte verantwortlich
Anteile an Phytholithen, erhöhte Gehalte an Granat und      sein. Durch ausführliche Analysenprojekte gelang
Anatas nicht nur durch die geringe Menge des Unter-         es in den letzten Jahren, die Hauptprovenienzen
suchungsmaterials (0,049 Gramm) erklärbar“ sind.            des Rohkupfers schärfer zu fassen. Nach den Er-
„Eher weisen diese Ergebnisse auf einen benachbarten        gebnissen der Arbeitsgruppen von Lutz, Stöllner
Fundort, zumindest aber auf eine Lagerung in anderen        und Pernicka ergibt sich eine Zuweisung zum sog.
Schichten als die Himmelsscheibe und das Schwert hin“.      „Mitterbergkupfer“.24 Für die unmittelbare Bewer-
    Vor Gericht verdeutlichte Adam nochmals                 tung der Funde aus Nebra lassen sich diese Ergeb-
diese Angabe und sagte zu den Anhaftungen                   nisse leider weder bezüglich der Frage nach der
am Beil aus, sie „seien völlig anders gewesen, keine        Herstellungsregion der Objekte noch nach ihrer
Zusammengehörigkeit“.19 Aufgrund dieser Fest-               Datierung nutzen. Auf diese Problematik wird un-
stellung muss eines der Beile aus dem vermeint-             ten im Hinblick auf die Frage der archäologischen
lichen Fundkomplex ausgeschlossen werden.20                 Interpretation nochmals eingegangen. Aufgrund
Konsequenterweise lassen sich dann alle Aus-                der großen Produktivität des Reviers wurde das
sagen zu einem möglichen zugrunde liegenden                 Mitterberger Kupfer als Standardkupfer vor allem
„Hortfundmuster“ nicht treffen,21 das auf einem             ab dem 17./16. bis zum 13./12. Jh. v.Chr. in einem
paarweisen Auftreten von Schwertern, Beilen                 großen Gebiet zwischen Ostmitteleuropa, Süd-
und Armspiralen beruht. Ergänzend sei noch da-              und Mitteldeutschland verwendet. Im Revier wur-
ran erinnert, dass auch die abweichende Patina              de aber auch noch in der Spätbronzezeit und im

                                                          329
Kritische Anmerkungen zum Fundkomplex der sog. Himmelsscheibe von Nebra
Rupert Gebhard & Rüdiger Krause

             Tab. 1 Bleiisotopenwerte von Bronzeobjekten aus dem Fundkomplex Nebra, nach Nickel (2003).

                                                       330
Kritische Anmerkungen zum Fundkomplex der sog. Himmelsscheibe von Nebra
Kritische Anmerkungen zum Fundkomplex der sog. Himmelsscheibe von Nebra

                                                       a                                                               d

                                                       b                                                               c

Abb. 3 Darstellung der Bleiisotopenbestimmung an Objekten aus dem Fundkomplex Nebra. a) Streuungsdiagramm nach Pernicka et
      al., 2008; b) + c) Streuungsdiagramme nach den Daten von Nickel, 2003; d) Clusteranalyse (average linkage) der Daten
                                                      von Nickel, 2003.

1. Jahrtausend v.Chr. abgebaut.25 Diese grundsätz-               Abweichung des Metalls der Scheibe anzeigen
liche Einordnung der Kupferanalysen kann daher                   (Tabelle 1). In der Arbeit von Nickel werden für
weder die Frage der Geschlossenheit des Fundes                   die Himmelsscheibe korrigierte Mittelwerte für die
noch die seiner Provenienz klären.                               aus dem soliden Metall genommene Probe (Probe
    Hinzuweisen ist jedoch auf einige Details, die               FG-020984) angegeben, die sich von der späteren
bei künftigen Untersuchungen diskutiert werden                   Publikation von Pernicka deutlich unterscheiden
sollten. Die verwendeten Daten wurden zuerst                     (Abb. 3 a, b). Statt einer Probenbezeichnung fin-
durch D. Nickel (2003) publiziert. Auffallend ist                det sich dort nur der Begriff „Mittelwert“, ohne
dabei ein bei der Scheibe festgestellter deutlich er-            weitere Erläuterung, wie dieser zustande kommt.
höhter Zink-Wert (Zn Gehalt nach RFA: 0,1-0,2  %;                Es besteht hingegen nach Auskunft der Autorin
Zn Gehalt nach NAA 767 ppm), der als eine erste                  kein Grund, an der Richtigkeit der in ihrer Arbeit
Abweichung zu den übrigen Funden (Zn Gehalt                      publizierten Werte zu zweifeln, zumal die ana-
Mittelwert NAA 35 ppm)26 feststellbar ist und bei                lysierte Probe aus dem nicht korrodierten Metall
künftigen Untersuchungen zu diskutieren ist. In-                 gewonnen wurde. Betrachtet man die Erstpubli-
teressant erscheint eine nähere Betrachtung der                  kation, so ist zunächst der deutliche Unterschied
Bleiisotopenanalysen, die ebenfalls eine deutliche               zwischen der Scheibe und den übrigen Objekten

                                                           331
Kritische Anmerkungen zum Fundkomplex der sog. Himmelsscheibe von Nebra
Rupert Gebhard & Rüdiger Krause

 Abb. 4 Darstellung der Zinnisotopenbestimmung an Objekte aus Apa, Nebra und Dänemark; 1 Himmelsscheibe von Nebra, 2 Nietstift
                                aus dem Fundkomplex Nebra (nach Brügmann et al., 2018, Abb. 2).

bemerkenswert. Die beiden Streuungsdiagramme                            sowie ein nicht näher identifizierbarer Nietstift
der Bleiisotope zeigen deutlich die Sonderstellung                      (2002:1649ag) befinden (Abb. 3a; Tabelle 1).
der Himmelsscheibe an (Abb. 3 b-c). Das Den-                               Neben der Bleiisotopie scheint die Verwen-
drogramm einer hierarchischen Clusteranalyse                            dung von Zinnisotopen zunächst ein Anhalts-
(Average Linkage, Squared-Euclidian distances,                          punkt dafür zu sein, den Legierungsbestandteil
n=17)27 für die in der Tabelle 1 (nach Nickel, 2003)                    Zinn den Vorkommen in Cornwall zuzuwei-
ausgewiesenen drei Bleiisotope 208Pb/206Pb,                             sen.30 Eine erweiterte Studie hierzu an Arte-
207Pb/206Pb und 206Pb/204Pb unterstreicht die                           fakten erschien 2018.31 Die Zinnisotope von Apa-
Befunde der Streuungsdiagramme und zeigt zwei                           Schwertern sind charakteristisch negativ mit den
deutlich getrennte Gruppen auf (Abb. 3d): (a) Nr.                       Bleiisotopen korreliert. Die Analysenwerte der
3, 4 u. 14; (b) Nr. 3, 4, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 13, 14, 15, 16 u.         Schwerter aus dem „Hortfund“ von Nebra zeigen
17.28 Die Himmelsscheibe (Nr. 1) ist sehr unähnlich                     dabei ebenso wie diejenigen der anderen bron-
zu beiden Gruppen. Dieses Bild ergibt sich auch,                        zezeitlichen Funde aus dem Umkreis der Apa-
wenn man alternativ andere bewährte Clusterver-                         Schwerter, insbesondere auch den Schwertern
fahren wie z. B. Complete Linkage, Centroid Me-                         des eponymen Hortfundes, eine gute Überein-
thod oder Ward’s Method auf diese Analysedaten                          stimmung (Abb. 4). Trotz der geringen Gesamt-
anwendet, was die Stabilität der hier dargestellten                     probenzahl deutet sich eine Tendenz an, dass
dieser Gruppenbildung unterstreicht (z. B. Hair                         man bei einer höheren Probenzahl wohl weitere
et al., 2010, 483-519; Legendre & Legendre, 2012,                       Gruppen unterscheiden können wird. Wie bei
337-371).29 Es ist festzuhalten, dass ein Zusammen-                     der Untersuchung der Bleiisotopen fallen auch in
hang mit den übrigen Funden nicht zu erkennen                           dieser Analysenreihe sowohl die Himmelsschei-
ist. Bemerkenswert ist allerdings auch, dass sich                       be als auch der Meißel deutlich aus dem Rahmen.
unter den drei Analysen mit den niedrigsten Blei-                          Die kurzen Hinweise auf die Resultate der
isotopenwerten, das bereits oben erwähnte Rand-                         Bronzeanalysen zeigen vor allem, dass aus ihnen
leistenbeil I (2002:1649c), der Meißel (2002:1649b)                     eine Zusammengehörigkeit der Scheibe und der

                                                                  332
Kritische Anmerkungen zum Fundkomplex der sog. Himmelsscheibe von Nebra
Kritische Anmerkungen zum Fundkomplex der sog. Himmelsscheibe von Nebra

Abb. 5 Darstellung der Bleiisotopenbestimmung an Objekten aus dem Fundkomplex Nebra, nach Nickel (2003) und Pernicka (2017).

Beifunde nicht abgeleitet werden kann. Ebenso                   einer raschen populären Darstellung, deren zu-
ergeben sich keine datierenden Hinweise. Ver-                   grundeliegende wissenschaftliche Analyse und
gleicht man etwa die Analysenwerte von Nebra                    Veröffentlichung der Diskussion erst später er-
z. B. mit den Pb-Isotopendaten des Spangenbar-                  folgte. Defizite der Publikationen – z. B. erfolgte
renhortes von Oberding,32 also einem typisch                    bislang keine Vorlage aller Funde in Katalogform
frühbronzeitlichen Rohkupferhort, so zeigt sich,                – erschweren bis heute eine kritische Analyse
dass sich das Kupfer der Scheibe von der Varia-                 und Bewertung der Objekte. Erste Festlegungen
tion des frühbronzezeitlichen Handelskupfers in                 auf die Zusammengehörigkeit und Datierung
seinen Konzentrationen unterscheidet (Abb. 5).                  der Funde gab es bereits 2001 auf der Grundla-
    Neben dem Kupfer wurde auch versucht, das                   ge von bekannt gewordenen Fotos, ohne dass ein
Gold hinsichtlich seiner Provenienz und Datie-                  Archäologe die Originale zuvor gesehen hatte.35
rung zu typisieren.33 Die mögliche Tendenz einer                Dies deutet sich bereits 1999 an, als die Fotos
Herkunft aus Cornwall wäre aus archäologischer                  der Funde über Prof. W. Menghin, Direktor des
Sicht natürlich verlockend, denkt man an die dor-               Museums für Vor- und Frühgeschichte Berlin,
tigen reichen Frühbronzezeitfunde. Da jedoch so-                erstmals bekannt wurden.36 Der einzige, der die
wohl die Studie kritisch betrachtet werden muss34               Funde zu diesem Zeitpunkt im Original kannte,
als auch die Goldgewinnung der Region nicht                     war ein Kunsthändler, der seine Einschätzungen
auf Epochen begrenzt ist, beantworten auch die-                 direkt dem Berliner Museum übermittelte. Aus-
se Untersuchungen nicht die eingangs gestellten                 schlaggebend für diesen Kontakt war sicherlich,
Fragen zu dem Fundkomplex.                                      dass der Händler wenige Jahre zuvor den soge-
                                                                nannten „Berliner Goldhut“ an das Berliner Muse-
                                                                um für Vor- und Frühgeschichte verkauft hatte
Archäologische und astronomische                                und damit ebenfalls ein Objekt mit einer poten-
Interpretationen                                                ziellen Deutungsmöglichkeit eines astronomisch-
                                                                kalendarischen Bezugs bekannt machen wollte.
Die Entstehung der Interpretationen der Scheibe                     Die Abfolge, dass zunächst einer ersten groben
und der zugeordneten Beifunde ist geprägt von                   Einschätzung eine breite populäre Darstellung

                                                           333
Kritische Anmerkungen zum Fundkomplex der sog. Himmelsscheibe von Nebra
Rupert Gebhard & Rüdiger Krause

Abb. 6 Interpretation der verschiedenen Fertigungsphasen der Scheibe von Nebra nach Meller (2010, Abb. 35). Die Scheibe ist nach
                                          der postulierten Auffindungssituation ausrichtet.

folgt und eine genaue wissenschaftliche Analyse                   erste Publikation der Fertigungsphasen der Schei-
erst in einem zweiten Schritt nachge­reicht wird,                 be erfolgte 2004 in dem Ausstellungskatalog „Der
führte zu verschiedenen Fehlinterpretationen,                     geschmiedete Himmel“.38 Die dort bereits angelegten
die zum Teil heute immer noch Bestand haben.                      religionsgeschichtlichen Thesen wurden 2010 aus-
Augenscheinliche Irrtümer bei der ersten Publi-                   führlich dargelegt, eine Zusammenfassung hierzu
kation, wie die vorschnelle Interpretation einer                  bietet Abb. 6. Von zentraler Rolle erscheint dabei
ursprünglichen Verbergung der Funde in einer                      die postulierte Nutzungsdauer, die vor allem dazu
Steinkiste, wurden revidiert.37 Von den vielen                    dient, einen Bezug zu bekannten frühbronzezeit-
Teil­aspekten sei hier nur die Interpretation der                 lichen Sozialstrukturen herzustellen, insbesonde-
Veränderung des Dekors herausgegriffen. Die                       re zu den Phasen mit zentralen „Elitebildungen“.

                                                             334
Kritische Anmerkungen zum Fundkomplex der sog. Himmelsscheibe von Nebra

Da in dem durch die Beifunde skizzierten Nieder-            pen des sog. Ostalpinen Kupfers zwischen Süd-
legungszeitraum (um 1600 v. Chr./16. Jh. v. Chr.)           frankreich und dem Karpatenbecken im Süden
in der Fundregion keine entsprechenden Struk-               und Südskandinavien im Norden auffallen.
turen vorhanden sind, erscheint als frühester Ent-              Die Probleme der weiten geographischen Streu-
stehungszeitpunkt „der Beginn des 2. Jahrtausends,          ung führen zum zweiten Punkt, der Nutzungsdau-
die Zeit der mitteldeutschen Fürstengräber, plausibel.      er dieser alpinen Lagerstätten. Eine Abschätzung
In dieser Epoche waren erstmals technische und ge-          für das Mitterbergrevier ergab nach einer Initial-
sellschaftliche Voraussetzungen vorhanden, die die          phase (19./18.-16. Jh. v. Chr.) eine Blütezeit vom
Herstellung eines komplexen Werkes wie der Himmels-         15.-13. Jh. v. Chr., aber auch noch eine deutliche
scheibe möglich machten. Die maximale Nutzungsdau-          Weiternutzung vom 12. Jh. v. Chr. bis in die frühe
er hätte demnach etwa 400 Jahre, die minimale etwa          Eisenzeit.45 Zur jüngeren Eisenzeit fehlen bislang
100 Jahre betragen.“39 Die 100 Jahre werden aus ei-         vergleichbare Untersuchungen. Aufgrund der
ner Umlaufzeit der Beifunde postuliert.                     viele hundert Jahre langen Nutzung der gleichen
    2010 wird die erste Phase der Scheibe mit dem           Kupferlagerstätten besteht keine Möglichkeit, aus
Beginn des Kupferbergbaues im Mitterberg-Re-                der geochemischen Zusammensetzung des Kup-
vier (Gem. St. Johann im Pongau, Land Salzburg)             fers eine Datierung der Artefakte abzuleiten.
datiert, „da das Kupfer der Himmelsscheibe gemäß                Kehrt man zur Objektgeschichte zurück, so
der Analysen Pernickas vom Mitterberg stammt.“40            könnten die Veränderungen auch vom gleichen
Ein höheres Entstehungsalter wird als Möglich-              Handwerker in nur kurzer Zeit oder wenigen Jah-
keit beibehalten: „Nach diesen Erwägungen wäre der          ren vorgenommen worden sein. Hierfür könnte
Beginn der Erschließung des Mitterberg-Kupfers und          man anführen, dass alle Änderungen in der
damit die Herstellung der Himmelsscheibe frühestens         gleichen Technik ausgeführt wurden. Dies wäre
im 18. Jh. v. Chr., also zwischen 1750 und 1700 v. Chr.     gleichermaßen möglich, aber ebenso wenig zwin-
anzusetzen, wobei – wie bereits bemerkt – ein früherer      gend zu erwarten.
Ansatz des Bergbaus aufgrund des methodischen Vor-              Das Beispiel der Objektgeschichte lässt ein zu-
gehens und des derzeitigen Forschungsstandes nicht          grundeliegendes Dilemma erkennen. Aufgrund
auszuschließen ist.“41                                      der astronomischen Interpretation46 stellt sich im-
    Ein solcher indirekter Datierungsansatz der             mer die Frage nach dem sozialen, kulturellen und
Scheibe über die Metallanalyse ist aber aus zwei            wissenschaftlichen Umfeld, das einem entspre-
Gründen methodisch zu kritisieren. Erstens erge-            chend hohen Anspruch gerecht werden muss. Da
ben sich, wie dargelegt, Zweifel, ob das Kupfer             zum potenziellen Niederlegungszeitpunkt solche
der Begleitfunde und der Scheibe derselben Quel-            Strukturen fehlen, müssen sie durch lange Datie-
le zuzuweisen ist. Hier lassen sich vielleicht durch        rungsspannen etc. konstruiert werden. Angelegt
vertiefende Studien Fortschritte erzielen. Grund-           ist diese Vorstellung bereits im ersten Ausstel-
sätzlich zeigen die Analysen dieses sog. ostalpinen         lungskatalog (Meller, 2004b). Mit dem Titel „Der
Kupfers, dass es kaum möglich sein wird, hier de-           Körper des Königs“ stellt Meller über das ähnliche
taillierte Ergebnisse zu erzielen. Die Bezeichnung,         Ausstattungsmuster einen Bezug zu dem Fürsten-
die auf die Arbeitsgruppe von Richard Pittioni zu-          grab von Leubingen (um 1942 ± 10 v. Chr.) her:
rückgeht,42 fasst Fahlerzkupferarten zusammen,              „An die Stelle des Leichnams mit seiner goldenen
die geringere Spurenelementgehalte bei Nickel               Trachtausstattung tritt in Nebra die Himmelsschei-
(Ni), Arsen (As) und Antimon (Sb) aufweisen. Je             be. Für die Zeit um 1600 v.Chr. sind Fürstengräber
nach Anteilen bzw. Konzentration der Spuren­                nicht belegt. Geht man von der strukturellen Ähnlich-
elemente, die leicht um eine Größenordnung va-              keit der Funde von Nebra und Leubingen aus, kommt
riieren können, lassen sich verschiedene Gruppen            man zu dem Schluss, dass der Hort als Fortsetzung der
oder Varianten herausarbeiten, die einen großen             Fürstengräber gewertet werden muss.“47
Anteil in der Stuttgarter Datenbank43 umfassen                  Archäologisch gesehen wäre dieses Konstrukt
und sich vor allem seit der Frühbronzezeit chro-            ein singuläres Beispiel, zu dem keine Vergleiche
nologisch schwer einordnen lassen. Je nachdem,              angeführt werden könnten. Aber auch das Aus-
wie die Grenzwerte für die einzelnen Elemente für           stattungsmuster wäre nicht entsprechend, da
einen Suchlauf in der Datenbank gewählt werden,             auf diesem Niveau zu erwarten wäre, dass eine
können recht unterschiedliche Gruppen erzeugt               entsprechende Ausstattung als eigens gefertigtes
werden. Betrachtet man auf der Grundlage der                Ensemble einer entsprechend hervorragenden
großen Variabilität dieses Kupfers darüber hinaus           Qualität vorläge. Hier wirken die beiden verschie-
die Kartenbilder seiner Verbreitung,44 dann sollte          denen Beile, von denen eines durch eine starke,
jedem Betrachter die weite Verbreitung der Grup-            bereits antike Beschädigung der Schneide auffällt,

                                                          335
Rupert Gebhard & Rüdiger Krause

                                                            a                                                                    b

                                                                                                                                 c

                                d                               e                                f                               g

   Abb. 7 a)-b) Goldschale Zürich-Altstetten (Foto Schweizerisches Landesmuseum Zürich). c) Motive auf dem Schwert von Allach-
 Untermenzing, 5. Jh. v.Chr. (Gebhard & Krause, 2016, Abb. 4); d) keltische Goldmünze des 2. Jh. v. Chr. Sontheim, Lkr. Unterallgäu
  (Archäologische Staatssammlung MK-K3273), e) Neuses, Büschelquinar (Archäologische Staatssammlung MK-K 1277); f) Neuses,
Büschelquinar (Archäologische Staatssammlung MK-K 1245; g) Albstadt, Regenbogenschüsselchen (Archäologische Staatssammlung
                                                          MK-K 1422 d).

der einzelne Meißel (ohne sonstige „Metallurgen-                          Die vorangegangenen Überlegungen konzen­
ausstattung“) ebenso zufällig zusammengestellt                        trierten sich vor allem auf die Zusammengehö-
wie die Armspiralen, die als Paar in einem Grab-                      rigkeit des Gesamtfundes mit dem Ergebnis, dass
fund doch eher einen Hinweis auf eine Frauenbe-                       sich bei dem Konvolut das Vorhandensein eines
stattung ergeben würden.                                              geschlossenen Fundes im Sinne von Oskar Mon-

                                                                336
Kritische Anmerkungen zum Fundkomplex der sog. Himmelsscheibe von Nebra

telius kaum beweisen lässt. Auf dieser Grundlage             Himmelsvorstellungen im ersten Jahrtausend
müsste die Scheibe als individuelles Objekt bewer-           v. Chr.
tet und betrachtet werden. Geht man aber darüber
hinaus, so sind als Objektkategorie ähnliche große           Es wurde bereits an anderer Stelle darauf hin-
Bronzescheiben überwiegend im ethnologischen                 gewiesen, dass neben den mittelalterlichen und
Bereich nachweisbar, beispielsweise in Sibirien als          ethnographischen Beispielen zur mythischen
Schamanenspiegel (auch mit Randlochung) oder                 Darstellung von Himmelskörpern und Himmels­
als Teile von Metalltrommeln (Kesselgongs). Als              phänomen die Ikonographie des ersten Jahrtau-
vergleichbar mögliche Musikinstrumente im ar-                sends v. Chr. einen unmittelbar vergleichbaren
chäologischen Bestand können die beiden Objekte              Zugang bietet.53 Dieser vor allem aus dem kel-
von Balkåkra (Gem. Ystads, Schonen, Schweden)                tischen Siedlungsbereich überlieferten Bilderwelt
und Haschendorf (Gem. Neckenmarkt, Bez. Ober-                liegen komplexe Mythen und Glaubensvorstel-
pullendorf, Burgenland) genannt werden.48 Die                lungen zugrunde, die sich im Laufe des gesam-
simple Grundform ist jedoch nicht ausreichend,               ten ersten Jahrtausends v. Chr. in Mitteleuropa
um hier stichhaltig argumentieren zu können. So-             ausbreiteten und in der späten Eisenzeit eine
mit verbleibt als Bewertungskriterium für eine kul-          vielschichtige Religion ausprägten. Diese kann
turhistorische Einordnung nach Wegfall der Ein-              vor allem durch die Überlieferungen in gallo-
ordnung über die Metallzusammensetzung allein                römischer Zeit beschrieben werden, ist aber trotz
die Ikonographie. Die gängige Interpretation ist,            vieler Studien nur ansatzweise verstanden.54
dass die Darstellung auf der Scheibe komplizierte                Als eines der ältesten Beispiele für das Motiv
astronomische Phänomene wiedergeben würde.                   „[Sonne/Vollmond] und Mond“ ist die spätbron-
Deren Verständnis beruhe auf dem Vorhanden-                  zezeitlichen Schale von Zürich Altstetten zu nen-
sein einer gesellschaftlichen Struktur, die eine Art         nen (Abb. 7 a-b). Die flächige Buckelverzierung
„Königsreich“ bildete (Meller & Michel, 2018).               ließe sich in diesem Zusammenhang durchaus als
    Der astronomischen Deutung der Scheibe                   „Sternenhimmel“ interpretieren. Bemerkenswert
wurde von verschiedenen Seiten mit guten Argu-               ist neben dem „[Sonne/Vollmond] und Mond“
menten überzeugend widersprochen. So konnten                 Motiv die Anbringung von einzelnen Bögen im
Emília Pásztor und Curt Roslund seit 2007 zeigen,            Bereich des Schalenbodens.
dass die auf der Scheibe dargestellten „Sterne“                  Das Kurzschwert von Allach, hier genannt
gleichmäßig verteilt sind und keine konkrete                 als Beispiel für eine ganze Gattung, weist neben
Himmelsabbildung darstellen.49 Im Vergleich mit              dem identischen Bildprogramm von „[Sonne/
ethnographischen Beispielen betonen sie eine zu-             Vollmond], Sichelmond und Sterne“ auf seiner
grundeliegende mythologische, schamanistische                Rückseite auch das Element eines an beiden En-
Gedankenwelt, geradezu das Gegenteil einer                   den betonten flachen Bogens auf (Abb. 7c).55 Die
konkreten astronomischen Interpretation.                     weite Öffnung und flache Wölbung dieses Bo-
    Ikonographisch lässt sich die Art der Darstel-           gens, er sei im Folgenden als „Himmelsbogen“
lung vom Typus „Sonne, Mond und Sterne“ viel-                bezeichnet, schließt die konkrete Darstellung
fach von der Antike bis in die Neuzeit belegen; vor          eines Torques aus.56 Die komplexe Symbolik, die
allem im Mittelalter gibt es einige sehr ähnliche            aufgrund der zahlreichen Belege dieser Motive,
Darstellungen.50 Diese stellen Sonne und Mond als            vor allem auf keltischen Münzbildern, eine Ein-
die göttlichen Himmelskörper dar. In der Antike              zelstudie verdient, sei im Folgenden kurz skiz-
waren sie die Machtsymbole römischer Kaiser, im              ziert. Dabei muss auch die Frage gestellt werden,
Mittelalter unterstreichen sie in dieser Tradi­ tion         ob sich die Zweideutigkeit des Motivs Sonne/
die Herrschaft Christi über den Kosmos51 bei Tag             Vollmond im Einzelfall klären lässt. Die gleich-
und bei Nacht. Die Darstellungen der Scheibe von             zeitige Verbindung mit Sternen und Sichelmond
Nebra sind auf den ersten Blick teilweise verblüf-           macht es zumindest beim Schwert von Allach
fend ähnlich. Ein Unterschied zeigt sich jedoch in           wahrscheinlich, dass eher die Darstellung des rei-
der Darstellung der Sonne, die immer mit deut-               nen Nachtgeschehens gemeint ist.
lichen Strahlen gekennzeichnet ist. Dieses Merkmal               Deutlicher erscheinen die Zusammenhänge,
fehlt bei Nebra, weshalb die Deutung der goldenen            wenn man die keltischen Münzbilder des zweiten
Kreisscheibe – in den bisherigen Publikationen               und ersten Jahrhunderts v. Chr. betrachtet. Auf
wird sie als Sonne/Vollmond nicht eindeutig be-              den Regenbogenschüsselchen finden sich sowohl
stimmt52 – als Vollmond weiter zu untersuchen ist.           weit geöffnete Bögen mit darunter befindlichen
                                                             Kugeln in der Form des „Himmelsbogens“ von
                                                             Allach (Abb. 7d),57 als auch stärker geschlossene,

                                                       337
Rupert Gebhard & Rüdiger Krause

die als Darstellung eines Torques bezeichnet           Betrachter ein wohlbekannter Teil eines sehr kom-
werden könnten. Die Unterscheidung zwischen            plexen mythologischen Weltbildes, das uns skiz-
„Himmelsbogen“ und Torques erscheint trotz der         zenhaft auch durch schriftliche Quellen bekannt ist.
Ähnlichkeit der Motive gegeben, da beispielswei-       Es ist das Resultat der vielfältigen Kulturgeschich-
se in der böhmischen Münzprägung beide Motive          te des ersten Jahrtausends v. Chr., die von starken
am selben Objekt auftreten können.58 Dass die          mediterranen Einflüssen geprägt ist und vor allem
Deutung der abstrakten Motive durchaus kom-            in der Eisenzeit durch die Entwicklung von Sied-
plex ist und im Einzelfall auch oft keine eindeutige   lungszentren soziokulturelle Phänomene ähnlich
Interpretation zulässt, mag in der Herstellung der     von Hochkulturen aufweist. In diese Tradition
Münzen verankert sein. Üblicherweise werden            fügen sich auch die realistischen Darstellungen
die Bildmotive auf den Münzen als immer weiter         des ausgehenden 1. Jahrtausends v.Chr., herausra-
abstrahierende Entwicklung von ursprünglichen          gend überliefert auf dem Kessel von Gundestrup.
Vorbildern, wie z. B. die Weiterentwicklung der        Hier präsentiert eine mit einem Hirschgeweih als
Biga, gesehen. In vielen Fällen lässt sich auf den     nicht menschliches Wesen gekennzeichnete Figur
Münzbildern feststellen, dass bei den „Him-            in der rechten Hand einen Torques, in der linken
melsbögen“ nicht die Darstellung eines Torques         eine gehörnte Schlange („Widderschlange“).64
gemeint ist. Als Beispiel können hier Büschel-         Nach übereinstimmender Ansicht ist hier der Gott
quinare aus dem Münzschatz von Neuses a.d.             Cernunnos dargestellt, der auch in Analogie zu
Regnitz (Gem. Eggolsheim, Oberfranken) ange-           der Schilderung der bei Caesar überlieferten Ab-
führt werden (Abb. 7 e-f).59 Hier tritt der schwach    stammungsgeschichte der Kelten von Dis Pater in
gewölbte Bogen mit Kugelenden in Kombina­              Verbindung gesetzt wird. Diese Abstammungs-
tion mit einem darunterliegenden großen Punkt          geschichte von einem „Nacht/Himmels“-Gott
auf, in einer Variante aber auch als durch sieben      stimmt überein mit der Wahl des Symbols einer
Punkte gebildeter Bogen. Beide Varianten unter-        Schlange („Erde/Nacht“) und dem gegenüberste-
scheiden sich deutlich von Torquesdarstellungen.       henden Torques („Himmelsbogen: Nacht von Son-
Die Regenbogenschüsselchen aus dem Depot von           nenuntergang bis Sonnenaufgang oder Tag von
Albstadt (Gem. Alzenau, Lkr. Aschaffenburg,            Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang“).65
Unterfranken) zeigen als Besonderheit, dass der            Fasst man diese knappen Ausführungen zu-
Bogen als Zickzacklinie gestaltet ist (Abb. 7g).60     sammen, so gehören „[Sonne, Vollmond], Sterne,
Die Abschlusskugeln bilden zusammen mit den            Mond“ in Verbindung mit „Himmelsbögen“ zum
Elementen aus dem Inneren eine Linie, die wie-         weitverbreiteten Symbolgut des ersten Jahrtau-
derum über einer gezackten Grundlinie steht.           sends v. Chr., mit dem deutlichen Schwerpunkt
Die knappe Schilderung dieser Zusammenhänge            in der späten Hallstatt- und Latènezeit. Aufgrund
lässt erkennen, dass die auf dem Schwert von Al-       des häufigen Vorkommens der Münzen schei-
lach angelegten Symbole des Himmels über lange         nen sich die Motive auf den keltischen Bereich zu
Zeit verstandenes Allgemeingut waren.                  konzentrieren, es können aber auch Beispiele der
    Dass sich in der jüngeren Eisenzeit dabei mit      Zone nördlich der Mittelgebirge genannt werden,
Sternen und Mondsichel außerordentlich häufig          also dem Fundgebiet der Himmelsscheibe von
Motive der Nacht finden, erscheint besonders be-       Nebra. Diese Zone zeichnet sich dadurch aus, dass
merkenswert und ist zugleich durch historische         im Laufe des ersten Jahrtausends sowohl Sach-
Quellen belegt.61 Im Kern beschreiben sie neben        kultur wie z. B. Fibelformen als auch Motive aus
der weitergeführten Sonnensymbolik62 vor allem         dem „keltischen“ Bereich adaptiert werden. Es
die Symbole die Nacht, die für die Abstammungs-        muss, auch in Hinblick auf die eigenartig schlichte
geschichte der Kelten eine besondere Rolle spielt      handwerkliche Ausführung der „Himmelsschei-
und deshalb auch in dem keltischen lunisolaren         be“, erwähnt werden, dass dabei durchwegs ein
Kalender wiederfindet. Entsprechend beginnt die        Qualitätsgefälle bemerkenswert ist. Ein typisches
Zeitdarstellung des Kalenders von Coligny (Dép.        Beispiel für die Übernahme von Einzelmotiven
Ain, Reg. Auvergne-Rhône-Alpes) mit dem Win-           sind die Verzierungen auf den Holsteiner Gürteln
terhalbjahr und die Monate werden in eine dunk­        (Abb. 8).66 Diese kombinieren die meisten der ge-
le und eine helle Hälfte geteilt.63 Es wäre deshalb    nannten Elemente: Schlangen, Bögen mit Kugel­
konsequent, die Kreisscheibe, die sich auf dem         enden, Bögen mit den darunterliegenden Punkten
Schwert von Allach befindet, entsprechend nicht        unterschiedlicher Anzahl, Kreisbuckel mit Strah-
als Sonne, sondern als hellen Vollmond zu sehen.       lenkranz (Sonnensymbole) sowie Halbbögen mit
Die auf zahlreichen Gegenständen des Alltags zu        außenliegender Strichelung. Ob diese Motive im
findende keltische Himmelssymbolik war für ihre        Norden auch in der gleichen Bedeutung wie im

                                                   338
Kritische Anmerkungen zum Fundkomplex der sog. Himmelsscheibe von Nebra

                                                                                                                             a

                                                                                                                             b

                                                                                                                             c

                                                                                                                             d

  Abb. 8 Das Symbolgut der sog. „Holsteiner Gürtel“ übernimmt und kombiniert die Motive des keltischen Bereichs: a)-b) Hamburg-
Altengamme, Gesamtübersicht und Ausschnitt des Gürtelendes. – c) Hornbeck Grab 709, Kr. Herzogtum Lauenburg. – d) Malente, Kr.
   Ostholstein. – (a Foto Archäologisches Museum Hamburg ohne M.; b Heynowski, 2017, 182, B. 7 cm; c nach Heynowski, 2017,
                                                        184; B. 11,7 cm).

keltischen Bereich verstanden wurden, ist nicht                      Betrachtet man dieses nach dem kulturellen
erschließbar, aber, wie die periphere Lage eines                 Bruch zu Beginn der Urnenfelderzeit entstandene
singulären Objektes wie des Gundestrupkessels                    Symbolgut im Vergleich zum frühbronzezeit-
zeigt, durchaus nicht ausgeschlossen.                            lichen Motivschatz, stellt sich ein deutlicher Wi-

                                                             339
Rupert Gebhard & Rüdiger Krause

Abb. 9 Oben: Die Himmelsscheibe von Nebra. Unten: Bronzezeitliche Schwerter, Beile und Armschmuck, angeblich zusammen mit der
 Himmelsscheibe von Nebra gefunden. Zustand vor der Übernahme der Funde durch das Landesmuseum Halle. Das Übereinstimmen
                der Fotos mit den Originalen wurde am 25.1.2002 notariell beglaubigt. Foto: Hildegard Burri-Bayer.

                                                            340
Kritische Anmerkungen zum Fundkomplex der sog. Himmelsscheibe von Nebra

derspruch dar. Bereits Wolfgang David wies da-                   Damit muss aus 3. und 4. zwingend gefolgert
rauf hin, dass die Scheibe von Nebra im damaligen            werden, dass es sich nicht um einen geschlos-
Symbolgut als ein vollkommener Fremdkörper                   senen Fund handeln kann.
erscheinen würde.67 Es ist zudem bemerkenswert,                  Für die Auffindung der Scheibe ergeben sich
dass bei den herangezogenen Bildprogrammen                   nach den hier angeführten Analysen der Fundsi-
aus dem fortgeschrittenen und späten 2. Jahrtau-             tuation zwei denkbare Szenarien:
send v. Chr. mit Motiven wie Vogelbarken mit                 (A) Die Scheibe wurde auf dem Mittelberg im hu-
Sonnen, Sonnenwagen und dem nordischen „Son-                      mosen Bereich unmittelbar unter der Oberflä-
nenschiff“68 oder dem dominanten Kreisdekor auf                   che angetroffen, weil sie sich dort bereits in
Goldgegenständen69 die abstrakte Darstellung der                  sekundärer Lage befand. Hierzu passen die
Sonne im Vordergrund steht. Die Symbole auf                       älteren Beschädigungsspuren und die Schil-
der Himmelsscheibe von Nebra erscheinen dage-                     derung der Auffindung der Scheibe durch die
gen als ein Nacht-orien­tiertes Sujet, entsprechen                Finder. Eine solche sekundäre Lage schließt
also dem kulturellen Umfeld des 1. Jahrtausends                   die Geschlossenheit des Gesamtfundes aus.
v. Chr. An dieser Stelle sei abschließend an einen                Die Scheibe wäre also ein Einzelfund inner-
Diskussionsbeitrag von Paul Gleirscher zur Schei-                 halb einer eisenzeitlichen Befestigungsanlage.
be erinnert, der 2007 das Bogensymbol auf der                (B) Die Scheibe wurde an einem anderen Fundort
Scheibe als Darstellung einer Sichel diskutierte                  als dem untersuchten unmittelbar unter der
und zugleich darauf hinwies, dass angesichts der                  Oberfläche in einem einheitlichen Sediment
unklaren Fundverhältnisse durchaus auch eine                      gefunden. Die ältere Beschädigung erfolgte
spätbronzezeitliche Datierung denkbar sei.70 Zu-                  in situ, ohne dass das Objekt wesentlich aus
gleich erinnerte Gleirscher auch an den lunaren                   seiner ursprünglichen Lage gerissen wurde.
Bezug der Sicheln und zitierte hierzu B. Hänsel,                  Eine Zugehörigkeit weiterer Funde, sofern
der diese als Attribute einer Nacht- oder Mond-                   diese nicht (wie das Beil) auszuschließen sind,
gottheit gesehen hat.71 Damit schließt sich der                   wäre möglich. Da eine Zusammengehörig-
Kreis zu den oben genannten Frühlatèneschwer-                     keit der Funde analytisch nicht nachweisbar
tern, deren durch Vollmond und Sichelmond be-                     ist und dieses Szenario nicht der „gültigen“
tonter Bezug zum Mondkreislauf72 unmittelbar                      Fundgeschichte des Finders entspricht, ist die
an die Himmelsscheibe von Nebra anschließen.                      Geschlossenheit des Fundes nicht gegeben.
                                                             Bei beiden Szenarien muss die Scheibe aus sich
                                                             heraus hinsichtlich der Datierung als Einzelob-
Fazit                                                        jekt betrachtet werden, wobei festgestellt werden
                                                             muss, dass für eine Einordung in die mitteleuro-
In den vorangegangenen Überlegungen konnte                   päische Frühbronzezeit kein vergleichbares Sym-
dargestellt werden, dass seit dem letzten Beitrag im         bolgut benannt werden kann.73 Vielmehr würde
Archäologischen Korrespondenzblatt im Jahr 2008              – wenn die Herkunft vom Mittelberg gesichert
eine abweichende Deutung der Scheibe und ihrer               wäre – eine Datierung auch im Kontext der ei-
Beifunde begründet werden kann. Die Unterschiede             senzeitlichen Befestigung wie auch durch die Iko-
ergeben sich aus den folgenden vier Argumenten:              nographie naheliegen. Damit würde die bislang
1. Die oberflächennahe Auffindung der Scheibe                vorlegte Interpretation und das daraus abgeleite-
   spricht gegen eine Auffindungslage in situ, was           te Konstrukt ihrer Bedeutung und Funktion jegli-
   zugleich auch die Zusammengehörigkeit mit                 cher Grundlagen entbehren.
   den Beifunden in Frage stellt.                                Die abschließende Anmerkung soll zusammen-
2. Weder die Analysen der anhaftenden Erdreste               fassend verdeutlichen, dass die vorgetragene In-
   noch die geochemischen Analysen der Metalle               terpretation nur die zugänglichen Quellen benut-
   (Kupfer, Gold) unterstützen die etwaige Zu-               zen konnte. Der Dokumentationsstand ist dabei
   sammengehörigkeit der Funde.                              aber oft nicht vollständig. Viele Details ließen sich
3. Aufgrund der Analyse der Erdreste ist nach Aus-           noch präziser darstellen, wenn die notwendigen
   sage des Gerichtsgutachters eines der Beile als           Quellen – von den Restaurierungsberichten bis
   nicht zugehörig zu betrachten. Dieser Umstand             hin zur Veröffentlichung aller naturwissenschaft-
   wird durch die Metallanalyse weiter erhärtet.             lichen Analysen – besser erschlossen wären. Es ist
4. Ebenso muss der Meißel in diesem Zusammen-                zu hoffen, dass dies noch erfolgt und eine sachliche
   hang als nicht zugehörig ausgesondert werden.             Publikation des Fundes für die weitere wissen-
                                                             schaftliche Analyse genauso ge­nutzt werden kann.
                                                             Ebenso ist zu hoffen, dass die inzwischen überbor­

                                                       341
Rupert Gebhard & Rüdiger Krause

dendend interpretativ und mythologisch anmu­          gungen und Kommentare, die uns von den Gut-
tenden Veröffentlichungen zu der Scheibe, die         achtern übermittelt wurden. Dass bei den vielen
von den Prinzipien einer seriösen wissenschaft-       Gutachten keine vollkommene Übereinstimmung
lichen Darstellung und guter Vermittlung in der       herbeigeführt werden konnte, liegt an dem pola-
Öf­fentlichkeit bereits weit entrückt sind, wieder    risierenden Thema und einer nach 20 Jahren im-
auf ein Normalmaß zurückgeführt werden.74 Die         mer noch mangelhaften Publikationslage.
derzeit gewählte Terminologie mit Bezeichnungen
wie „Königreiche“, „Armeen“ oder „erster Staat“ hat   Eine Ergänzung zu diesem Aufsatz finden Sie
längst die realen Grundlagen archäologisch-kul-       hier: https://journals.ub.uni-heidelberg.de/in-
turgeschichtlicher Forschungen verlassen.75 Jeden-    dex.php/arch-inf/article/view/81420
falls dient diese Form der Vermittlung nicht dazu,
der Öffentlichkeit ein konsistentes Geschichtsbild    Anmerkungen
einer prähistorischen Epoche zu vermitteln.
                                                      1
                                                       Meller, 2010, 36-39. Eine abschließende Publikation der
                                                      Ausgrabung wurde bis heute nicht vorgelegt.
Zum Werdegang des Manuskripts bis zum                 2
                                                        Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sach-
Druck                                                 sen-Anhalt    (2006). Fundort Mittelberg: Der Finder sagt
                                                      aus. (Video, 13:01 min). http://www.lda-lsa.de/filme/
Das hier publizierte Manuskript wurde am 8. No-       die_himmelsscheibe_von_nebra/fundort_mittelberg/
                                                      [14.10.2018].
vember 2018 beim Archäologischen Korrespondenz-
blatt in Mainz eingereicht und (zunächst) auch        3
                                                           Erstmals Meller, 2002, S. 9, Abb. 2.
angenommen. Wir wählten das Organ, weil es            4
                                                         Gesprächsprotokoll zum Fundort und zur Fundsitua­
2005 (Schauer, 2005) Ort einer ersten Diskussion
                                                      tion der Himmelsscheibe von Nebra vom 26.08.2003.
zum Thema war und 2008 in derselben Zeitschrift       Anwaltskanzlei Prof. Dr. Müller. Teilnehmer: Prof. Dr.
angekündigt wurde, dass in Kürze alle naturwis-       Müller, Rechtsanwalt Buchholz; die Finder Westphal und
senschaftlichen und archäologischen Daten mo-         Renner; Dr. H. Meller; A. Flügel. Protokoll durch Dr. H.
nographisch vorgelegt werden würden (Pernicka         Meller, gegengezeichnet durch A. Flügel.
et al., 2008). Dies steht jedoch bis heute aus. Un-   5
                                                         Untersuchungsprotokoll R. Gebhard vom 7./8. 6. 2005
ser Manuskript durchlief den üblichen Gutachter-      (Akten Archäologische Staatssammlung München): „Die
prozess und wurde von mehreren Fachgutachtern         Beschädigungen am Rand sind nicht metallfrisch. In den starken
der Schwerpunkte „Bronzezeit“, „Eisenzeit“ und        Dellen und Kratzern gibt es Patinaspuren, an einem „abgeho-
„Archäometrie“ begutachtet. Die Ergebnisse und        benen“ Span deutlich ausgeprägtes Kristall auf der abgespann-
                                                      ten Innenseite.“
Kommentare dieses Gutachterprozesses wurden
den Verf. zur Überarbeitung mitgeteilt und zum        6
                                                         Gut erkennbar ist diese Zone im Archäologischen Kalen-
größten Teil berücksichtigt und umgesetzt. Die        der Sachsen-Anhalt 2005 (ISBN 3-910019-79-2), Blatt April,
naturwissenschaftlichen Teile betreffend gingen       links unten. Eine Interpretation an Hand von Bildern ist
                                                      schwierig, da bei der Präparierung der Scheibe, insbeson-
die Anmerkungen jedoch soweit, dass es bereits        dere auch auf der Rückseite, Schmutzreste mit gefestigt
einer wissenschaftlichen Diskussion entsprach,        wurden, da die Patina sich stellenweise vollkommen vom
die die Verf. aber erst nach der Publikation in-      Untergrund löste.
nerhalb der Forschungsgemeinschaft beginnen           7
                                                        Meller (2010) gibt von diesem Protokoll einen „Inhalt“
wollten. Hierbei wurde kein vollständiger Kon-
                                                      wieder, der die hier diskutierten Details weglässt.
sens gefunden. Nach dem Einreichen einer fina-
len Fassung am 9. August 2019 blieb das Manu-         8
                                                        Gebhard & Krause, 2016, 27. Verhandlungsprotokoll RA
skript liegen, einhergehend mit dem Wechsel in        Thommen.
der Leitung des RGZM. Zur Entscheidung der            9
                                                        Gebhard & Krause, 2016, 29-31; Pernicka u.a., 2008, 342-
Drucklegung veranlasste die neue Herausgeberin        346; Meller, 2010, 36-39.
gegen Ende des Jahres 2019 ein weiteres zusam-        10
                                                         Die Unterlagen wurden 2016 von Prof. Josef Riederer
menfassendes Gutachten aus den eigenen Reihen         (†) an R. Gebhard für das Archiv der Archäologischen
des RGZM. Obwohl dieses den Druck befürwor-           Staatssammlung übergeben. Sie wurden Prof. Riederer
tete, blieb das Manuskript erneut liegen. Nach        als Gutachter zur Erstellung einer Stellungnahme zu dem
weiteren Monaten des Wartens, beschlossen die         geo­logischen Gutachten zur Verfügung gestellt.
Verf. am 3. Juni 2020, das Manuskript beim Ar-        11
                                                           Gebhard & Krause, 2016, 40.
chäologischen Korrespondenzblatt zurückzuziehen
und bei den Archäologischen Informationen einzu-
                                                      12
                                                           Gebhard & Krause, 2016, 27-28.
reichen. Wir sind sehr dankbar über alle Anre-        13
                                                           Renner, 2005, 15-22.

                                                  342
Sie können auch lesen