Kritische Anmerkungen zum Fundkomplex der sog. Himmelsscheibe von Nebra
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Kritische Anmerkungen zum Fundkomplex der sog. Himmelsscheibe von Nebra Rupert Gebhard & Rüdiger Krause Zusammenfassung – Die „Himmelsscheibe von Nebra“ wurde 1999 angeblich als Bestandteil eines Hortfundes bei Raubgrabungen entdeckt. In aufwändigen und langjährigen Untersuchungen wurde versucht, sowohl die Zuweisung des angeblichen Fundortes als auch die Zusammengehörigkeit der Objekte unabhängig von den Angaben der Finder zu verifizieren. Eine kritische Betrachtung der publizierten Ergebnisse durch die Autoren lässt derzeit weder den Schluss zu, dass die in einer Nachgrabung untersuchte Fundstelle zutreffend wäre, noch dass das Ensemble selbst die Kriterien eines geschlossenen Fundes erfüllt. Vielmehr kann sich das Ensemble nach dem Grabungs- befund an der Fundstelle dort nicht in situ befunden haben. Die naturwissenschaftlichen Untersuchungen an den Objekten widersprechen eher einer Zusammengehörigkeit als dass sie eine solche bestätigen. Betrachtet man die Scheibe – wie dann geboten – als Einzelobjekt, lässt sie sich nicht in die frühbronzezeitliche Motivwelt einfügen, eine zeitliche Einordnung in das erste Jahrtausend v. Chr. erscheint am ehesten wahrscheinlich. Auf Grundlage dieser Gesamteinschätzung müssen sich alle bisherigen weiterführenden kulturgeschichtlichen Schlussfolgerungen und Interpretationen einer künftigen kritischen Diskussion stellen. Schlagworte – Archäologie; Himmelsscheibe; Sternenscheibe; Nebra; Hortfund; Bronzezeit; Vorrömische Eisenzeit; Kelten; Ostalpines Kupfer; Bleiisotope; Zinnisotope Title – Critical comments on the find complex of the so-called Nebra Sky Disk Abstract – The „Nebra Sky Disk“ was reportedly discovered in 1999 as part of a hoard during an illegal excavation. In elaborate and long lasting investigations an attempt was made to verify both the reported site location and the affiliation of the objects independently from the information given by the finders. Yet, a critical examination of the published results by the authors does not allow the conclusion that the site investigated in a re-excavation is correct, nor that the ensemble itself fulfils the criteria of a closed find (hoard). On contrary, according to the excavation findings, the ensemble could not have been in situ at the site named. The scientific examination of the objects contradicts rather than confirms their belonging together. If the disk is considered – as required by these facts – as a single object, it cannot be inte- grated into the Early Bronze Age motif world. Instead, a chronological embedment into the first millennium BC seems most likely. On the basis of this overall assessment, all further conclusions and interpretations of the cultural context and the meaning of the Nebra disk that have been made so far will have to be subjected to a critical discussion. Key words – archaeology; sky disk; star disk; Nebra; hoard; Bronze Age; Pre-Roman Iron Age; Celts; eastern alpine copper; lead isotopes; tin isotopes Note: You can find an identical version of this text in English language at https://journals.ub.uni-heidelberg.de/index.php/arch-inf/article/view/81419 Einleitung des Fundkomplexes gewichtet. Die zugrundelie- genden Quellen wurden in den folgenden Jahren Die sog. Himmelsscheibe von Nebra (urspr. Klein- dagegen ungenügend oder auch gar nicht veröf- wangen, Verbandsgemeinde Unstruttal, Burgen- fentlicht. Der folgende Artikel kann dieses Defizit landkreis) war bereits Gegenstand von zwei kon- nicht lösen. Unabhängig von der Publikationslage troversen Beiträgen im Archäologischen Korres ist es aber möglich, vor allem anhand schwerer zu- pondenzblatt. Auf einen Aufsatz von P. Schauer, gänglichen Quellen, die seit 2008 als abgeschlos- der das Objekt 2005 als Fälschung ansah (Schauer, sen betrachtete Diskussion zum Fundort und zur 2005), folgte 2008 eine Entgegnung der Arbeits- Zusammengehörigkeit der Funde neu aufzugrei- gruppe um E. Pernicka und H. Meller samt Zu- fen und zu erläutern. sammenfassung aller Untersuchungsergebnisse mit dem Fazit „Die Himmelsscheibe von Nebra darf als einer der bestuntersuchten archäologischen Funde Nochmals zu Auffindungsgeschichte und Deutschlands gelten“ (Pernicka et al., 2008, 346). Fundlage „Die Beteiligung von Wissenschaftlern unterschied- lichster Disziplinen in Verbindung mit kriminalpoli- Die Himmelsscheibe von Nebra gelangte erst zeilichen Erkenntnissen ergibt unter Abwägung aller etwa vier Jahre nach ihrer Entdeckung in die Hän- Gesichtspunkte ein lückenloses Netz von Indizien für de von Archäologen. Ihre Auffindungsgeschichte die Echtheit nicht nur des Fundes, sondern auch für wurde nach den Aussagen des ersten Ankäufers, die Zugehörigkeit der Beifunde und für die zweifels- der Finder und der Beobachtung von Beschädi- freie Identifizierung des Fundortes, ...“. Der Artikel gungsspuren am Objekt rekonstruiert. Zugleich schließt mit einer tabellarischen Übersicht, die erfolgte noch vor dem ersten Kontakt mit den verschiedene Argumente für eine Authentizität Findern eine Nachgrabung an einem vom ersten Eingereicht: 6. Juni 2020 Archäologische Informationen 43, 2020, 325-346 angenommen: 12. Aug. 2020 CC BY 4.0 online publiziert: 3. Sept. 2020 325 Weitere Aufsätze
Rupert Gebhard & Rüdiger Krause a b c d e Abb. 1 Darstellung der Beschädigungen an der Scheibe durch die Ausgrabung. a) Interpretation H. Meller (2004a, Abb. S. 22; 2010 Abb.5). b) Schlagrichtungen der Beschädigungspuren auf der Vorderseite der Scheibe. Die blaue Linie entspricht der Position zur Oberfläche durch M. Meller; die grüne Linie lässt sich nach den Beschädigungsspuren ableiten. c) Zustandsaufnahme nach der Bergung, Ausrichtung der Scheibe nach Auffindungsbeschreibung (Meller, 2010, Abb. 12). d) Umzeichnung nach der Konservierung (Breuer, 2010, Abb. 3). e) Zustand der Scheibe vor der Einlieferung in das Landesmuseum Halle (Foto H. Burri-Bayer). Vgl. auch Abb. 9. Ankäufer als solchen bezeichneten Fundort, dem Millimeter stark der Dreck drauf. Richtig stark verkru- Mittelberg, auf dem zwar die Reste einer eisen- stet.“2 In dieser Kruste zeichnen sich die Beschä- zeitlichen Befestigung, aber keinerlei Hinweise digungen durch das Grabungswerkzeug deutlich auf eine Nutzung oder Begehung des Berges im als dunklere Streifen ab. Diese sind durch die Art 2. Jahrtausend v. Chr. festgestellt wurden.1 und Führung des Werkzeuges leicht gebogen. Bei der Auffindungsrekonstruktion geht H. Meller da- Ursprüngliche Ausgrabungs- und Beschädigungs von aus, dass die starke randliche Beschädigung spuren an der Scheibe durch die Bergung oben lag und richtet die Scheibe entsprechend aus Die Scheibe war bei der Auffindung dick mit Se- (Abb. 1a). Diese Lagefestlegung wird für alle künf- diment verkrustet (Abb. 9). Der Finder beschrieb tigen Abbildungen des Objektes beibehalten.3 Be- den Zustand als „das Grün konnte man gar nicht rich- trachtet man jedoch die Spuren, die das Werkzeug tig erkennen. Weil war so ne starke – bestimmt zwee auf der Oberfläche hinterlassen hat (Abb. 1c), so 326
Kritische Anmerkungen zum Fundkomplex der sog. Himmelsscheibe von Nebra a b c d Abb. 2 Ausgrabung eines Raubgrabungsloches auf dem Mittelberg bei Nebra. Unterlagen zur Darstellung bei der Gerichtsverhandlung (Nachlass Gutachten Josef Riederer, Archiv Archäologische Staatssammlung München). a) Auf 1. Planum abgetragene Untersuchungsfläche. An der Schnittkante ist die ca. 15 cm starke Humusauflage erkennbar. b) Planumsdetail. Das Raubgrabungsloch grenzt sich deutlich als begrenzte gestörte Zone innerhalb eines Befundes ab. c) Darstellung der rezenten Oberfläche über dem Befund. d) Projektion der Himmelsscheibe auf die tiefste Stelle des Befundes ohne Berücksichtigung der Humusauflage, in der sich nach Finderangabe der obere Teil der Scheibe befand. ist diese Rekonstruktionslage nicht möglich, da die Goldblechteil schräg nach oben weggezogen. Auf meine auf der linken Objekthälfte liegenden Spuren nur Nachfrage erklärten die „Finder“, dass sie sich sicher von einer weit unter der Oberfläche stammenden seien, dass die Sonne und damit der abgefallene Hori- Position aus erzeugt werden könnten. Richtet man zont oben gelegen hätten. Von dem fehlenden Horizont die Beschädigungsspuren so aus, dass Sie von oben hätten sie keine Spuren gefunden. Er sei schon weg ge- und von beiden Seiten in einem gleichen Abstand wesen. Die jetzige Randbeschädigung hätte sich seitlich von der Oberfläche entstanden sind, so wäre die befunden. Sie erklären sich diese Randbeschädigung aus Auffindungssituation so zu rekonstruieren, dass Verletzungen durch einen Baumpflug beim Anpflanzen sich der fehlende Horizontbogen oben und die oder ähnlichem. Beim Herausnehmen sei der sich dort starken Beschädigungsspuren seitlich befunden befindliche lose Goldstern abgefallen.“4 Diese Aussa- haben (Abb. 1c). Diese Fundlage haben 2003 auch ge stimmt vollkommen mit den Beschädigungs- die Finder – Anlass der Aussage war die Hoffnung spuren an der Scheibe überein. Insbesondere ist auf Strafmilderung beim laufenden Prozess durch darauf hinzuweisen, dass die randlichen Beschä- Kooperation – so zu Protokoll gegeben: „In Bezug digungsspuren nach der Auffindung noch mit Se- auf die Technik der Ausgrabung sagte Herr Westphal, diment überzogen waren (Abb. 9 oben). Bei einer er hätte nur die „Sonne“ beschädigt. Hier hätte er bei Autopsie im Jahre 2005 zeigte sich dieser Bereich Auffindung (die „Sonne“ lag seinen Angaben nach als sekundär nachkorrodiert.5 Die an der Scheibe oben) mit der Hacke auf die Sonne geschlagen und das feststellbaren Beschädigungen entstanden einer- 327
Rupert Gebhard & Rüdiger Krause seits bei der Auffindung, andererseits durch ein tiefsten Stelle des Befundes. Folgt man der wie- unbekanntes älteres Ereignis. Es ist möglich, dass derholt geäußerten Aussage der Finder, dass die bei diesem Ereignis auch der Horizontbogen verlo- Scheibe oberflächennah entdeckt wurde, kann aus ren ging. Der Publikationsstand erlaubt jedoch kei- dieser Grabungssituation nur eine Schlussfolge- ne abschließende Klärung dieser Frage, da die Ab- rung gezogen werden: die Scheibe befand sich zu bildungen der restaurierten Scheibe – auf denen in einem Drittel in einer rezenten Bodenschicht. Näh- Teilbereichen des Horizontbogens durchaus eine me man an, diese Lage sei authentisch, so wäre nur geringe Patinabildung zu erkennen ist – keine die Scheibe wie die umliegende Bodenschicht als ausreichende Information bieten.6 „rezent“ zu datieren. Als zweite Möglichkeit käme Bei ihren Aussagen machten die beiden Fin- aber in Betracht, dass sie sich bei ihrer Entdeckung der eine zweite bemerkenswerte Angabe, die bei in einer sekundären Lage befand. Bereits Josef Rie- den bisherigen Interpretationen unberücksichtigt derer wies im Prozess darauf hin, dass bei einer La- blieb. In ihrer bereits ersten Aussage zum Fund gerung teilweise im Humus und teilweise in einem wurde festgehalten:7 „Beide erklärten, sie hätten den völlig anderen Boden sich entsprechende Unter- Fund, der etwa 3-5 cm unter der Erde lag, sorgfältig schiede bei der Patina hätten abzeichnen sollen. mit den Händen freigelegt.“ Die oberflächennahe Die gleichmäßige dicke Verkrustung der Scheibe Lage wird im gleichen Protokoll durch die rasche deutet dagegen auf eine ursprüngliche Lagerung Freilegung bestätigt: „Herr Westphal hörte ein Sig in einer einheitlichen Bodenschicht hin.11 nal und fing dann an, den Fund auszugraben, wobei Die oberflächennahe Auffindung der Scheibe er der Meinung war, bei der Scheibe selbst handele es war H. Meller seit dem 26.8.2003 bekannt. Sie hat sich um einen Eimerdeckel, da [sie] häufig eiserne Ei sowohl hinsichtlich der Identifizierung der Fund- merdeckel gefunden hätten. Herr Renner, der unterhalb stelle als auch der Geschlossenheit des Gesamt- am Hang stand und deshalb einen besseren Blick auf fundes eine Schlüsselfunktion. Die in der Folgezeit den bereits einigen Zentimeter freigelegten Fund hatte, unternommenen Befragungen der Finder und die war der Meinung, es handele sich um anderes Material naturwissenschaftlichen Untersuchungen sind im- und half Herrn Westphal, den Fund auszugraben.“ mer vor dem Hintergrund dieser Ausgangssitua Die oberflächennahe Lagerung der Scheibe tion zu sehen. Während des zweiten Nebra-Pro- wurde von den Findern stets betont, und letzt- zesses entwickelten sich die Aussagen der beiden malig auch als Aussage von Westphal in der Ge- Finder in entgegengesetzte Richtungen.12 Während richtsverhandlung vom 3.6.2005: „Die Scheibe habe der Beteiligte M. Renner sowohl den Fundort als senkrecht im Boden gestanden. Die Oberkante 3-5 cm auch die Zusammensetzung des Hortfundes aus unter dem Boden. Darüber war nur wenig Laub.“8 Im verschiedenen Funden zusammengestellt bezeich- Jahr 2002 wurde am Mittelberg innerhalb der dor- nete,13 wurde die Wiedergabe der Auffindungs- tigen ältereisenzeitlichen Befestigungsanlage ein geschichte durch H. Westphal weiterentwickelt. Raubgrabungsloch untersucht, das nach Angaben Die Beeinflussung Westphals durch suggestiv wir- des Erstkäufers die Stelle gewesen sein soll, an der kende Fragestellungen der beteiligten Archäologen die Scheibe gefunden wurde. Einzelangaben zu ist in den Videobeiträgen, in denen die Fundge- der Grabung lassen sich an verschiedenen Stellen schichte von Westphal nachgestellt wird,14 deut- gewinnen, ein abschließender Grabungsbericht lich erkennbar, zugleich lassen entstehende Wi- wurde bislang immer noch nicht veröffentlicht.9 dersprüche bei den Details die Glaubwürdigkeit Es sei daher zunächst auf Unterlagen zurückge- der Geschichte in Frage stellen.15 Die Bedeutung griffen, die in der öffentlichen Verhandlung als dieses Problems zeigt sich daran, dass im Verlauf Anschauungsmaterial verwendet wurden.10 des zweiten Nebra-Prozesses versucht wurde, die Das Raubgrabungsloch zeichnete sich bei der aus den zwei so unterschiedlichen Fundgeschich- wissenschaftlichen Nachgrabung als deutliche ten entstandenen Irritationen durch die große Zahl Störung innerhalb eines Befundes ab (Abb. 2a-b). von (nach Angaben von H. Meller vor Gericht) 22 Beide Ansichten stellen den Zustand des ersten naturwissenschaftlichen Gutachten zu zerstreuen.16 Planums dar, das sich bereits ca. 15 cm unter der Oberfläche befindet. Um dies zu verdeutlichen, wurde auf Abb. 2c schematisch die abgetragene Naturwissenschaftliche Untersuchungen an („rezente“) Oberfläche eingezeichnet. Die Projek Bodenproben tion der Himmelsscheibe erfolgte nicht, wie es der Beschreibung der Finder entsprechen würde, 3-5 Wie bei der Dokumentation der Funde ist derzeit cm unter der Oberfläche, sondern, um zu demons- auch bei der Publikation der Gutachten ein Defizit trieren, dass die Scheibe in das Loch passt, an der zu konstatieren; die 2008 im Archäologischen Kor- 328
Kritische Anmerkungen zum Fundkomplex der sog. Himmelsscheibe von Nebra respondenzblatt angekündigten Publikationen der des Randleistenmeißels gegen eine Zugehörigkeit Untersuchungen zu den Bodenproben wurden bis- dieses Objektes zu den anderen Funden spricht. lang nicht veröffentlicht. Durch die Unterlagen von Aber bereits die Feststellung, dass eines der bei- J. Riederer sind die im Prozess angeführten Boden- den Beile nicht zugehörig sein kann, wirft Zweifel gutachten17 von J. Adam, G. Borg und E. Pernicka an der Fundgeschichte auf, die durch den Finder bekannt und lassen sich entsprechend auch bewer- Westphal 2005 angegeben wurde und – als glaub- ten. Es lässt sich in Übereinstimmung mit den vor würdig eingestuft – als wesentliches Argument Gericht vorgenommenen Bewertungen von J. Rie- für die Geschlossenheit des Fundes angeführt derer feststellen, dass die Gutachten weder geeig- wird – im Gegensatz zur Aussage des am Fund net sind, einen Nachweis für die Authentizität der beteiligten Renner. Dass in der Fundgeschichte Fundstelle zu erbringen, noch (wie behauptet) für Westphals zahlreiche Widersprüche nachweisbar die Zusammengehörigkeit des Fundensembles.18 sind, unterstreicht die Notwendigkeit einer kri- Dieses Ergebnis wurde und wird unterschiedlich tischen Bewertung dieser Aussagen. wahrgenommen. Obwohl bereits das Gericht 2005 dieser Einschätzung folgte und formulierte: „Die Kammer geht im Einklang mit dem Antrag der Ver- Naturwissenschaftliche Untersuchungen an teidigung davon aus, dass die sichergestellten Erdan- den Objekten haftungen nicht zweifelsfrei beweisen können, dass die Scheibe tatsächlich vom Mittelberg stammt“, blieben Da anhand der Erdanhaftungen die Zusammenge- die Analysen für Meller das zentrale Element sei- hörigkeit aller Funde nicht nachgewiesen werden ner Argumentation: „Relevant ist, dass wir naturwis- kann, kommt den Analysen der Metalle eine ge- senschaftlich nachweisen können, aufgrund der Erdan- wisse Bedeutung zu. Sie geben zumindest eine Ten- haftungen, dass die Schwerter, die Himmelsscheibe und denz an, ob sie eher auf eine einheitliche Material die Beifunde zusammengehören. Und dass das alles auch quelle hinweisen oder sehr unterschiedlich sind. dort perfekt auf den Mittelberg passt.“ Bemerkenswert Die Ergebnisse zu den Bronzeanalysen wurden erscheint hierbei, dass bereits das im Zentrum der von Nickel und Pernicka (2003)22 sowie Pernicka Argumentation stehende Gutachten von J. Adam (2008; 2010) veröffentlicht. Am besten kennzeich- in einem Fall die Nichtzugehörigkeit eines Ob- net die Bleiisotopenanalyse das zugrundeliegende jektes feststellt. Untersucht wurden von ihm im Metall. Pernicka weist darauf hin, dass die Spuren- Vergleich mit einer Erdprobe vom Raubgrabungs- elementmuster ähnlich sind, die Bleiisotopen aber loch (VM 1) drei Proben von Erdanhaftungen der unterschiedlich sind. Er schließt auf eine ostalpine Objekte: Sp 1 (0,113 g von der Scheibe), Sp 2 (0,217 g Lagerstätte. Die Unterschiede bei den Bleiisotopen von der Spitze des Schwertes II), Sp 3 (0,049 g von werden dahingehend gedeutet, dass solche auch der Schneide des Beils HK 2002:1649C). Bei der innerhalb von Lagerstätten auftreten können, z. B. letzten Probe stellte er fest, dass „im Vergleich zu Rudna Glava (Serbien) oder dem Erzgebirge.23 VM1, Sp1 und SP2 einige Abweichungen, wie die fein- Ebenso kann für die Unterschiede auch eine unter- körnigere Ausbildung, das Fehlen von Phyllit, geringere schiedliche Herkunft der Objekte verantwortlich Anteile an Phytholithen, erhöhte Gehalte an Granat und sein. Durch ausführliche Analysenprojekte gelang Anatas nicht nur durch die geringe Menge des Unter- es in den letzten Jahren, die Hauptprovenienzen suchungsmaterials (0,049 Gramm) erklärbar“ sind. des Rohkupfers schärfer zu fassen. Nach den Er- „Eher weisen diese Ergebnisse auf einen benachbarten gebnissen der Arbeitsgruppen von Lutz, Stöllner Fundort, zumindest aber auf eine Lagerung in anderen und Pernicka ergibt sich eine Zuweisung zum sog. Schichten als die Himmelsscheibe und das Schwert hin“. „Mitterbergkupfer“.24 Für die unmittelbare Bewer- Vor Gericht verdeutlichte Adam nochmals tung der Funde aus Nebra lassen sich diese Ergeb- diese Angabe und sagte zu den Anhaftungen nisse leider weder bezüglich der Frage nach der am Beil aus, sie „seien völlig anders gewesen, keine Herstellungsregion der Objekte noch nach ihrer Zusammengehörigkeit“.19 Aufgrund dieser Fest- Datierung nutzen. Auf diese Problematik wird un- stellung muss eines der Beile aus dem vermeint- ten im Hinblick auf die Frage der archäologischen lichen Fundkomplex ausgeschlossen werden.20 Interpretation nochmals eingegangen. Aufgrund Konsequenterweise lassen sich dann alle Aus- der großen Produktivität des Reviers wurde das sagen zu einem möglichen zugrunde liegenden Mitterberger Kupfer als Standardkupfer vor allem „Hortfundmuster“ nicht treffen,21 das auf einem ab dem 17./16. bis zum 13./12. Jh. v.Chr. in einem paarweisen Auftreten von Schwertern, Beilen großen Gebiet zwischen Ostmitteleuropa, Süd- und Armspiralen beruht. Ergänzend sei noch da- und Mitteldeutschland verwendet. Im Revier wur- ran erinnert, dass auch die abweichende Patina de aber auch noch in der Spätbronzezeit und im 329
Rupert Gebhard & Rüdiger Krause Tab. 1 Bleiisotopenwerte von Bronzeobjekten aus dem Fundkomplex Nebra, nach Nickel (2003). 330
Kritische Anmerkungen zum Fundkomplex der sog. Himmelsscheibe von Nebra a d b c Abb. 3 Darstellung der Bleiisotopenbestimmung an Objekten aus dem Fundkomplex Nebra. a) Streuungsdiagramm nach Pernicka et al., 2008; b) + c) Streuungsdiagramme nach den Daten von Nickel, 2003; d) Clusteranalyse (average linkage) der Daten von Nickel, 2003. 1. Jahrtausend v.Chr. abgebaut.25 Diese grundsätz- Abweichung des Metalls der Scheibe anzeigen liche Einordnung der Kupferanalysen kann daher (Tabelle 1). In der Arbeit von Nickel werden für weder die Frage der Geschlossenheit des Fundes die Himmelsscheibe korrigierte Mittelwerte für die noch die seiner Provenienz klären. aus dem soliden Metall genommene Probe (Probe Hinzuweisen ist jedoch auf einige Details, die FG-020984) angegeben, die sich von der späteren bei künftigen Untersuchungen diskutiert werden Publikation von Pernicka deutlich unterscheiden sollten. Die verwendeten Daten wurden zuerst (Abb. 3 a, b). Statt einer Probenbezeichnung fin- durch D. Nickel (2003) publiziert. Auffallend ist det sich dort nur der Begriff „Mittelwert“, ohne dabei ein bei der Scheibe festgestellter deutlich er- weitere Erläuterung, wie dieser zustande kommt. höhter Zink-Wert (Zn Gehalt nach RFA: 0,1-0,2 %; Es besteht hingegen nach Auskunft der Autorin Zn Gehalt nach NAA 767 ppm), der als eine erste kein Grund, an der Richtigkeit der in ihrer Arbeit Abweichung zu den übrigen Funden (Zn Gehalt publizierten Werte zu zweifeln, zumal die ana- Mittelwert NAA 35 ppm)26 feststellbar ist und bei lysierte Probe aus dem nicht korrodierten Metall künftigen Untersuchungen zu diskutieren ist. In- gewonnen wurde. Betrachtet man die Erstpubli- teressant erscheint eine nähere Betrachtung der kation, so ist zunächst der deutliche Unterschied Bleiisotopenanalysen, die ebenfalls eine deutliche zwischen der Scheibe und den übrigen Objekten 331
Rupert Gebhard & Rüdiger Krause Abb. 4 Darstellung der Zinnisotopenbestimmung an Objekte aus Apa, Nebra und Dänemark; 1 Himmelsscheibe von Nebra, 2 Nietstift aus dem Fundkomplex Nebra (nach Brügmann et al., 2018, Abb. 2). bemerkenswert. Die beiden Streuungsdiagramme sowie ein nicht näher identifizierbarer Nietstift der Bleiisotope zeigen deutlich die Sonderstellung (2002:1649ag) befinden (Abb. 3a; Tabelle 1). der Himmelsscheibe an (Abb. 3 b-c). Das Den- Neben der Bleiisotopie scheint die Verwen- drogramm einer hierarchischen Clusteranalyse dung von Zinnisotopen zunächst ein Anhalts- (Average Linkage, Squared-Euclidian distances, punkt dafür zu sein, den Legierungsbestandteil n=17)27 für die in der Tabelle 1 (nach Nickel, 2003) Zinn den Vorkommen in Cornwall zuzuwei- ausgewiesenen drei Bleiisotope 208Pb/206Pb, sen.30 Eine erweiterte Studie hierzu an Arte- 207Pb/206Pb und 206Pb/204Pb unterstreicht die fakten erschien 2018.31 Die Zinnisotope von Apa- Befunde der Streuungsdiagramme und zeigt zwei Schwertern sind charakteristisch negativ mit den deutlich getrennte Gruppen auf (Abb. 3d): (a) Nr. Bleiisotopen korreliert. Die Analysenwerte der 3, 4 u. 14; (b) Nr. 3, 4, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 13, 14, 15, 16 u. Schwerter aus dem „Hortfund“ von Nebra zeigen 17.28 Die Himmelsscheibe (Nr. 1) ist sehr unähnlich dabei ebenso wie diejenigen der anderen bron- zu beiden Gruppen. Dieses Bild ergibt sich auch, zezeitlichen Funde aus dem Umkreis der Apa- wenn man alternativ andere bewährte Clusterver- Schwerter, insbesondere auch den Schwertern fahren wie z. B. Complete Linkage, Centroid Me- des eponymen Hortfundes, eine gute Überein- thod oder Ward’s Method auf diese Analysedaten stimmung (Abb. 4). Trotz der geringen Gesamt- anwendet, was die Stabilität der hier dargestellten probenzahl deutet sich eine Tendenz an, dass dieser Gruppenbildung unterstreicht (z. B. Hair man bei einer höheren Probenzahl wohl weitere et al., 2010, 483-519; Legendre & Legendre, 2012, Gruppen unterscheiden können wird. Wie bei 337-371).29 Es ist festzuhalten, dass ein Zusammen- der Untersuchung der Bleiisotopen fallen auch in hang mit den übrigen Funden nicht zu erkennen dieser Analysenreihe sowohl die Himmelsschei- ist. Bemerkenswert ist allerdings auch, dass sich be als auch der Meißel deutlich aus dem Rahmen. unter den drei Analysen mit den niedrigsten Blei- Die kurzen Hinweise auf die Resultate der isotopenwerten, das bereits oben erwähnte Rand- Bronzeanalysen zeigen vor allem, dass aus ihnen leistenbeil I (2002:1649c), der Meißel (2002:1649b) eine Zusammengehörigkeit der Scheibe und der 332
Kritische Anmerkungen zum Fundkomplex der sog. Himmelsscheibe von Nebra Abb. 5 Darstellung der Bleiisotopenbestimmung an Objekten aus dem Fundkomplex Nebra, nach Nickel (2003) und Pernicka (2017). Beifunde nicht abgeleitet werden kann. Ebenso einer raschen populären Darstellung, deren zu- ergeben sich keine datierenden Hinweise. Ver- grundeliegende wissenschaftliche Analyse und gleicht man etwa die Analysenwerte von Nebra Veröffentlichung der Diskussion erst später er- z. B. mit den Pb-Isotopendaten des Spangenbar- folgte. Defizite der Publikationen – z. B. erfolgte renhortes von Oberding,32 also einem typisch bislang keine Vorlage aller Funde in Katalogform frühbronzeitlichen Rohkupferhort, so zeigt sich, – erschweren bis heute eine kritische Analyse dass sich das Kupfer der Scheibe von der Varia- und Bewertung der Objekte. Erste Festlegungen tion des frühbronzezeitlichen Handelskupfers in auf die Zusammengehörigkeit und Datierung seinen Konzentrationen unterscheidet (Abb. 5). der Funde gab es bereits 2001 auf der Grundla- Neben dem Kupfer wurde auch versucht, das ge von bekannt gewordenen Fotos, ohne dass ein Gold hinsichtlich seiner Provenienz und Datie- Archäologe die Originale zuvor gesehen hatte.35 rung zu typisieren.33 Die mögliche Tendenz einer Dies deutet sich bereits 1999 an, als die Fotos Herkunft aus Cornwall wäre aus archäologischer der Funde über Prof. W. Menghin, Direktor des Sicht natürlich verlockend, denkt man an die dor- Museums für Vor- und Frühgeschichte Berlin, tigen reichen Frühbronzezeitfunde. Da jedoch so- erstmals bekannt wurden.36 Der einzige, der die wohl die Studie kritisch betrachtet werden muss34 Funde zu diesem Zeitpunkt im Original kannte, als auch die Goldgewinnung der Region nicht war ein Kunsthändler, der seine Einschätzungen auf Epochen begrenzt ist, beantworten auch die- direkt dem Berliner Museum übermittelte. Aus- se Untersuchungen nicht die eingangs gestellten schlaggebend für diesen Kontakt war sicherlich, Fragen zu dem Fundkomplex. dass der Händler wenige Jahre zuvor den soge- nannten „Berliner Goldhut“ an das Berliner Muse- um für Vor- und Frühgeschichte verkauft hatte Archäologische und astronomische und damit ebenfalls ein Objekt mit einer poten- Interpretationen ziellen Deutungsmöglichkeit eines astronomisch- kalendarischen Bezugs bekannt machen wollte. Die Entstehung der Interpretationen der Scheibe Die Abfolge, dass zunächst einer ersten groben und der zugeordneten Beifunde ist geprägt von Einschätzung eine breite populäre Darstellung 333
Rupert Gebhard & Rüdiger Krause Abb. 6 Interpretation der verschiedenen Fertigungsphasen der Scheibe von Nebra nach Meller (2010, Abb. 35). Die Scheibe ist nach der postulierten Auffindungssituation ausrichtet. folgt und eine genaue wissenschaftliche Analyse erste Publikation der Fertigungsphasen der Schei- erst in einem zweiten Schritt nachgereicht wird, be erfolgte 2004 in dem Ausstellungskatalog „Der führte zu verschiedenen Fehlinterpretationen, geschmiedete Himmel“.38 Die dort bereits angelegten die zum Teil heute immer noch Bestand haben. religionsgeschichtlichen Thesen wurden 2010 aus- Augenscheinliche Irrtümer bei der ersten Publi- führlich dargelegt, eine Zusammenfassung hierzu kation, wie die vorschnelle Interpretation einer bietet Abb. 6. Von zentraler Rolle erscheint dabei ursprünglichen Verbergung der Funde in einer die postulierte Nutzungsdauer, die vor allem dazu Steinkiste, wurden revidiert.37 Von den vielen dient, einen Bezug zu bekannten frühbronzezeit- Teilaspekten sei hier nur die Interpretation der lichen Sozialstrukturen herzustellen, insbesonde- Veränderung des Dekors herausgegriffen. Die re zu den Phasen mit zentralen „Elitebildungen“. 334
Kritische Anmerkungen zum Fundkomplex der sog. Himmelsscheibe von Nebra Da in dem durch die Beifunde skizzierten Nieder- pen des sog. Ostalpinen Kupfers zwischen Süd- legungszeitraum (um 1600 v. Chr./16. Jh. v. Chr.) frankreich und dem Karpatenbecken im Süden in der Fundregion keine entsprechenden Struk- und Südskandinavien im Norden auffallen. turen vorhanden sind, erscheint als frühester Ent- Die Probleme der weiten geographischen Streu- stehungszeitpunkt „der Beginn des 2. Jahrtausends, ung führen zum zweiten Punkt, der Nutzungsdau- die Zeit der mitteldeutschen Fürstengräber, plausibel. er dieser alpinen Lagerstätten. Eine Abschätzung In dieser Epoche waren erstmals technische und ge- für das Mitterbergrevier ergab nach einer Initial- sellschaftliche Voraussetzungen vorhanden, die die phase (19./18.-16. Jh. v. Chr.) eine Blütezeit vom Herstellung eines komplexen Werkes wie der Himmels- 15.-13. Jh. v. Chr., aber auch noch eine deutliche scheibe möglich machten. Die maximale Nutzungsdau- Weiternutzung vom 12. Jh. v. Chr. bis in die frühe er hätte demnach etwa 400 Jahre, die minimale etwa Eisenzeit.45 Zur jüngeren Eisenzeit fehlen bislang 100 Jahre betragen.“39 Die 100 Jahre werden aus ei- vergleichbare Untersuchungen. Aufgrund der ner Umlaufzeit der Beifunde postuliert. viele hundert Jahre langen Nutzung der gleichen 2010 wird die erste Phase der Scheibe mit dem Kupferlagerstätten besteht keine Möglichkeit, aus Beginn des Kupferbergbaues im Mitterberg-Re- der geochemischen Zusammensetzung des Kup- vier (Gem. St. Johann im Pongau, Land Salzburg) fers eine Datierung der Artefakte abzuleiten. datiert, „da das Kupfer der Himmelsscheibe gemäß Kehrt man zur Objektgeschichte zurück, so der Analysen Pernickas vom Mitterberg stammt.“40 könnten die Veränderungen auch vom gleichen Ein höheres Entstehungsalter wird als Möglich- Handwerker in nur kurzer Zeit oder wenigen Jah- keit beibehalten: „Nach diesen Erwägungen wäre der ren vorgenommen worden sein. Hierfür könnte Beginn der Erschließung des Mitterberg-Kupfers und man anführen, dass alle Änderungen in der damit die Herstellung der Himmelsscheibe frühestens gleichen Technik ausgeführt wurden. Dies wäre im 18. Jh. v. Chr., also zwischen 1750 und 1700 v. Chr. gleichermaßen möglich, aber ebenso wenig zwin- anzusetzen, wobei – wie bereits bemerkt – ein früherer gend zu erwarten. Ansatz des Bergbaus aufgrund des methodischen Vor- Das Beispiel der Objektgeschichte lässt ein zu- gehens und des derzeitigen Forschungsstandes nicht grundeliegendes Dilemma erkennen. Aufgrund auszuschließen ist.“41 der astronomischen Interpretation46 stellt sich im- Ein solcher indirekter Datierungsansatz der mer die Frage nach dem sozialen, kulturellen und Scheibe über die Metallanalyse ist aber aus zwei wissenschaftlichen Umfeld, das einem entspre- Gründen methodisch zu kritisieren. Erstens erge- chend hohen Anspruch gerecht werden muss. Da ben sich, wie dargelegt, Zweifel, ob das Kupfer zum potenziellen Niederlegungszeitpunkt solche der Begleitfunde und der Scheibe derselben Quel- Strukturen fehlen, müssen sie durch lange Datie- le zuzuweisen ist. Hier lassen sich vielleicht durch rungsspannen etc. konstruiert werden. Angelegt vertiefende Studien Fortschritte erzielen. Grund- ist diese Vorstellung bereits im ersten Ausstel- sätzlich zeigen die Analysen dieses sog. ostalpinen lungskatalog (Meller, 2004b). Mit dem Titel „Der Kupfers, dass es kaum möglich sein wird, hier de- Körper des Königs“ stellt Meller über das ähnliche taillierte Ergebnisse zu erzielen. Die Bezeichnung, Ausstattungsmuster einen Bezug zu dem Fürsten- die auf die Arbeitsgruppe von Richard Pittioni zu- grab von Leubingen (um 1942 ± 10 v. Chr.) her: rückgeht,42 fasst Fahlerzkupferarten zusammen, „An die Stelle des Leichnams mit seiner goldenen die geringere Spurenelementgehalte bei Nickel Trachtausstattung tritt in Nebra die Himmelsschei- (Ni), Arsen (As) und Antimon (Sb) aufweisen. Je be. Für die Zeit um 1600 v.Chr. sind Fürstengräber nach Anteilen bzw. Konzentration der Spuren nicht belegt. Geht man von der strukturellen Ähnlich- elemente, die leicht um eine Größenordnung va- keit der Funde von Nebra und Leubingen aus, kommt riieren können, lassen sich verschiedene Gruppen man zu dem Schluss, dass der Hort als Fortsetzung der oder Varianten herausarbeiten, die einen großen Fürstengräber gewertet werden muss.“47 Anteil in der Stuttgarter Datenbank43 umfassen Archäologisch gesehen wäre dieses Konstrukt und sich vor allem seit der Frühbronzezeit chro- ein singuläres Beispiel, zu dem keine Vergleiche nologisch schwer einordnen lassen. Je nachdem, angeführt werden könnten. Aber auch das Aus- wie die Grenzwerte für die einzelnen Elemente für stattungsmuster wäre nicht entsprechend, da einen Suchlauf in der Datenbank gewählt werden, auf diesem Niveau zu erwarten wäre, dass eine können recht unterschiedliche Gruppen erzeugt entsprechende Ausstattung als eigens gefertigtes werden. Betrachtet man auf der Grundlage der Ensemble einer entsprechend hervorragenden großen Variabilität dieses Kupfers darüber hinaus Qualität vorläge. Hier wirken die beiden verschie- die Kartenbilder seiner Verbreitung,44 dann sollte denen Beile, von denen eines durch eine starke, jedem Betrachter die weite Verbreitung der Grup- bereits antike Beschädigung der Schneide auffällt, 335
Rupert Gebhard & Rüdiger Krause a b c d e f g Abb. 7 a)-b) Goldschale Zürich-Altstetten (Foto Schweizerisches Landesmuseum Zürich). c) Motive auf dem Schwert von Allach- Untermenzing, 5. Jh. v.Chr. (Gebhard & Krause, 2016, Abb. 4); d) keltische Goldmünze des 2. Jh. v. Chr. Sontheim, Lkr. Unterallgäu (Archäologische Staatssammlung MK-K3273), e) Neuses, Büschelquinar (Archäologische Staatssammlung MK-K 1277); f) Neuses, Büschelquinar (Archäologische Staatssammlung MK-K 1245; g) Albstadt, Regenbogenschüsselchen (Archäologische Staatssammlung MK-K 1422 d). der einzelne Meißel (ohne sonstige „Metallurgen- Die vorangegangenen Überlegungen konzen ausstattung“) ebenso zufällig zusammengestellt trierten sich vor allem auf die Zusammengehö- wie die Armspiralen, die als Paar in einem Grab- rigkeit des Gesamtfundes mit dem Ergebnis, dass fund doch eher einen Hinweis auf eine Frauenbe- sich bei dem Konvolut das Vorhandensein eines stattung ergeben würden. geschlossenen Fundes im Sinne von Oskar Mon- 336
Kritische Anmerkungen zum Fundkomplex der sog. Himmelsscheibe von Nebra telius kaum beweisen lässt. Auf dieser Grundlage Himmelsvorstellungen im ersten Jahrtausend müsste die Scheibe als individuelles Objekt bewer- v. Chr. tet und betrachtet werden. Geht man aber darüber hinaus, so sind als Objektkategorie ähnliche große Es wurde bereits an anderer Stelle darauf hin- Bronzescheiben überwiegend im ethnologischen gewiesen, dass neben den mittelalterlichen und Bereich nachweisbar, beispielsweise in Sibirien als ethnographischen Beispielen zur mythischen Schamanenspiegel (auch mit Randlochung) oder Darstellung von Himmelskörpern und Himmels als Teile von Metalltrommeln (Kesselgongs). Als phänomen die Ikonographie des ersten Jahrtau- vergleichbar mögliche Musikinstrumente im ar- sends v. Chr. einen unmittelbar vergleichbaren chäologischen Bestand können die beiden Objekte Zugang bietet.53 Dieser vor allem aus dem kel- von Balkåkra (Gem. Ystads, Schonen, Schweden) tischen Siedlungsbereich überlieferten Bilderwelt und Haschendorf (Gem. Neckenmarkt, Bez. Ober- liegen komplexe Mythen und Glaubensvorstel- pullendorf, Burgenland) genannt werden.48 Die lungen zugrunde, die sich im Laufe des gesam- simple Grundform ist jedoch nicht ausreichend, ten ersten Jahrtausends v. Chr. in Mitteleuropa um hier stichhaltig argumentieren zu können. So- ausbreiteten und in der späten Eisenzeit eine mit verbleibt als Bewertungskriterium für eine kul- vielschichtige Religion ausprägten. Diese kann turhistorische Einordnung nach Wegfall der Ein- vor allem durch die Überlieferungen in gallo- ordnung über die Metallzusammensetzung allein römischer Zeit beschrieben werden, ist aber trotz die Ikonographie. Die gängige Interpretation ist, vieler Studien nur ansatzweise verstanden.54 dass die Darstellung auf der Scheibe komplizierte Als eines der ältesten Beispiele für das Motiv astronomische Phänomene wiedergeben würde. „[Sonne/Vollmond] und Mond“ ist die spätbron- Deren Verständnis beruhe auf dem Vorhanden- zezeitlichen Schale von Zürich Altstetten zu nen- sein einer gesellschaftlichen Struktur, die eine Art nen (Abb. 7 a-b). Die flächige Buckelverzierung „Königsreich“ bildete (Meller & Michel, 2018). ließe sich in diesem Zusammenhang durchaus als Der astronomischen Deutung der Scheibe „Sternenhimmel“ interpretieren. Bemerkenswert wurde von verschiedenen Seiten mit guten Argu- ist neben dem „[Sonne/Vollmond] und Mond“ menten überzeugend widersprochen. So konnten Motiv die Anbringung von einzelnen Bögen im Emília Pásztor und Curt Roslund seit 2007 zeigen, Bereich des Schalenbodens. dass die auf der Scheibe dargestellten „Sterne“ Das Kurzschwert von Allach, hier genannt gleichmäßig verteilt sind und keine konkrete als Beispiel für eine ganze Gattung, weist neben Himmelsabbildung darstellen.49 Im Vergleich mit dem identischen Bildprogramm von „[Sonne/ ethnographischen Beispielen betonen sie eine zu- Vollmond], Sichelmond und Sterne“ auf seiner grundeliegende mythologische, schamanistische Rückseite auch das Element eines an beiden En- Gedankenwelt, geradezu das Gegenteil einer den betonten flachen Bogens auf (Abb. 7c).55 Die konkreten astronomischen Interpretation. weite Öffnung und flache Wölbung dieses Bo- Ikonographisch lässt sich die Art der Darstel- gens, er sei im Folgenden als „Himmelsbogen“ lung vom Typus „Sonne, Mond und Sterne“ viel- bezeichnet, schließt die konkrete Darstellung fach von der Antike bis in die Neuzeit belegen; vor eines Torques aus.56 Die komplexe Symbolik, die allem im Mittelalter gibt es einige sehr ähnliche aufgrund der zahlreichen Belege dieser Motive, Darstellungen.50 Diese stellen Sonne und Mond als vor allem auf keltischen Münzbildern, eine Ein- die göttlichen Himmelskörper dar. In der Antike zelstudie verdient, sei im Folgenden kurz skiz- waren sie die Machtsymbole römischer Kaiser, im ziert. Dabei muss auch die Frage gestellt werden, Mittelalter unterstreichen sie in dieser Tradi tion ob sich die Zweideutigkeit des Motivs Sonne/ die Herrschaft Christi über den Kosmos51 bei Tag Vollmond im Einzelfall klären lässt. Die gleich- und bei Nacht. Die Darstellungen der Scheibe von zeitige Verbindung mit Sternen und Sichelmond Nebra sind auf den ersten Blick teilweise verblüf- macht es zumindest beim Schwert von Allach fend ähnlich. Ein Unterschied zeigt sich jedoch in wahrscheinlich, dass eher die Darstellung des rei- der Darstellung der Sonne, die immer mit deut- nen Nachtgeschehens gemeint ist. lichen Strahlen gekennzeichnet ist. Dieses Merkmal Deutlicher erscheinen die Zusammenhänge, fehlt bei Nebra, weshalb die Deutung der goldenen wenn man die keltischen Münzbilder des zweiten Kreisscheibe – in den bisherigen Publikationen und ersten Jahrhunderts v. Chr. betrachtet. Auf wird sie als Sonne/Vollmond nicht eindeutig be- den Regenbogenschüsselchen finden sich sowohl stimmt52 – als Vollmond weiter zu untersuchen ist. weit geöffnete Bögen mit darunter befindlichen Kugeln in der Form des „Himmelsbogens“ von Allach (Abb. 7d),57 als auch stärker geschlossene, 337
Rupert Gebhard & Rüdiger Krause die als Darstellung eines Torques bezeichnet Betrachter ein wohlbekannter Teil eines sehr kom- werden könnten. Die Unterscheidung zwischen plexen mythologischen Weltbildes, das uns skiz- „Himmelsbogen“ und Torques erscheint trotz der zenhaft auch durch schriftliche Quellen bekannt ist. Ähnlichkeit der Motive gegeben, da beispielswei- Es ist das Resultat der vielfältigen Kulturgeschich- se in der böhmischen Münzprägung beide Motive te des ersten Jahrtausends v. Chr., die von starken am selben Objekt auftreten können.58 Dass die mediterranen Einflüssen geprägt ist und vor allem Deutung der abstrakten Motive durchaus kom- in der Eisenzeit durch die Entwicklung von Sied- plex ist und im Einzelfall auch oft keine eindeutige lungszentren soziokulturelle Phänomene ähnlich Interpretation zulässt, mag in der Herstellung der von Hochkulturen aufweist. In diese Tradition Münzen verankert sein. Üblicherweise werden fügen sich auch die realistischen Darstellungen die Bildmotive auf den Münzen als immer weiter des ausgehenden 1. Jahrtausends v.Chr., herausra- abstrahierende Entwicklung von ursprünglichen gend überliefert auf dem Kessel von Gundestrup. Vorbildern, wie z. B. die Weiterentwicklung der Hier präsentiert eine mit einem Hirschgeweih als Biga, gesehen. In vielen Fällen lässt sich auf den nicht menschliches Wesen gekennzeichnete Figur Münzbildern feststellen, dass bei den „Him- in der rechten Hand einen Torques, in der linken melsbögen“ nicht die Darstellung eines Torques eine gehörnte Schlange („Widderschlange“).64 gemeint ist. Als Beispiel können hier Büschel- Nach übereinstimmender Ansicht ist hier der Gott quinare aus dem Münzschatz von Neuses a.d. Cernunnos dargestellt, der auch in Analogie zu Regnitz (Gem. Eggolsheim, Oberfranken) ange- der Schilderung der bei Caesar überlieferten Ab- führt werden (Abb. 7 e-f).59 Hier tritt der schwach stammungsgeschichte der Kelten von Dis Pater in gewölbte Bogen mit Kugelenden in Kombina Verbindung gesetzt wird. Diese Abstammungs- tion mit einem darunterliegenden großen Punkt geschichte von einem „Nacht/Himmels“-Gott auf, in einer Variante aber auch als durch sieben stimmt überein mit der Wahl des Symbols einer Punkte gebildeter Bogen. Beide Varianten unter- Schlange („Erde/Nacht“) und dem gegenüberste- scheiden sich deutlich von Torquesdarstellungen. henden Torques („Himmelsbogen: Nacht von Son- Die Regenbogenschüsselchen aus dem Depot von nenuntergang bis Sonnenaufgang oder Tag von Albstadt (Gem. Alzenau, Lkr. Aschaffenburg, Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang“).65 Unterfranken) zeigen als Besonderheit, dass der Fasst man diese knappen Ausführungen zu- Bogen als Zickzacklinie gestaltet ist (Abb. 7g).60 sammen, so gehören „[Sonne, Vollmond], Sterne, Die Abschlusskugeln bilden zusammen mit den Mond“ in Verbindung mit „Himmelsbögen“ zum Elementen aus dem Inneren eine Linie, die wie- weitverbreiteten Symbolgut des ersten Jahrtau- derum über einer gezackten Grundlinie steht. sends v. Chr., mit dem deutlichen Schwerpunkt Die knappe Schilderung dieser Zusammenhänge in der späten Hallstatt- und Latènezeit. Aufgrund lässt erkennen, dass die auf dem Schwert von Al- des häufigen Vorkommens der Münzen schei- lach angelegten Symbole des Himmels über lange nen sich die Motive auf den keltischen Bereich zu Zeit verstandenes Allgemeingut waren. konzentrieren, es können aber auch Beispiele der Dass sich in der jüngeren Eisenzeit dabei mit Zone nördlich der Mittelgebirge genannt werden, Sternen und Mondsichel außerordentlich häufig also dem Fundgebiet der Himmelsscheibe von Motive der Nacht finden, erscheint besonders be- Nebra. Diese Zone zeichnet sich dadurch aus, dass merkenswert und ist zugleich durch historische im Laufe des ersten Jahrtausends sowohl Sach- Quellen belegt.61 Im Kern beschreiben sie neben kultur wie z. B. Fibelformen als auch Motive aus der weitergeführten Sonnensymbolik62 vor allem dem „keltischen“ Bereich adaptiert werden. Es die Symbole die Nacht, die für die Abstammungs- muss, auch in Hinblick auf die eigenartig schlichte geschichte der Kelten eine besondere Rolle spielt handwerkliche Ausführung der „Himmelsschei- und deshalb auch in dem keltischen lunisolaren be“, erwähnt werden, dass dabei durchwegs ein Kalender wiederfindet. Entsprechend beginnt die Qualitätsgefälle bemerkenswert ist. Ein typisches Zeitdarstellung des Kalenders von Coligny (Dép. Beispiel für die Übernahme von Einzelmotiven Ain, Reg. Auvergne-Rhône-Alpes) mit dem Win- sind die Verzierungen auf den Holsteiner Gürteln terhalbjahr und die Monate werden in eine dunk (Abb. 8).66 Diese kombinieren die meisten der ge- le und eine helle Hälfte geteilt.63 Es wäre deshalb nannten Elemente: Schlangen, Bögen mit Kugel konsequent, die Kreisscheibe, die sich auf dem enden, Bögen mit den darunterliegenden Punkten Schwert von Allach befindet, entsprechend nicht unterschiedlicher Anzahl, Kreisbuckel mit Strah- als Sonne, sondern als hellen Vollmond zu sehen. lenkranz (Sonnensymbole) sowie Halbbögen mit Die auf zahlreichen Gegenständen des Alltags zu außenliegender Strichelung. Ob diese Motive im findende keltische Himmelssymbolik war für ihre Norden auch in der gleichen Bedeutung wie im 338
Kritische Anmerkungen zum Fundkomplex der sog. Himmelsscheibe von Nebra a b c d Abb. 8 Das Symbolgut der sog. „Holsteiner Gürtel“ übernimmt und kombiniert die Motive des keltischen Bereichs: a)-b) Hamburg- Altengamme, Gesamtübersicht und Ausschnitt des Gürtelendes. – c) Hornbeck Grab 709, Kr. Herzogtum Lauenburg. – d) Malente, Kr. Ostholstein. – (a Foto Archäologisches Museum Hamburg ohne M.; b Heynowski, 2017, 182, B. 7 cm; c nach Heynowski, 2017, 184; B. 11,7 cm). keltischen Bereich verstanden wurden, ist nicht Betrachtet man dieses nach dem kulturellen erschließbar, aber, wie die periphere Lage eines Bruch zu Beginn der Urnenfelderzeit entstandene singulären Objektes wie des Gundestrupkessels Symbolgut im Vergleich zum frühbronzezeit- zeigt, durchaus nicht ausgeschlossen. lichen Motivschatz, stellt sich ein deutlicher Wi- 339
Rupert Gebhard & Rüdiger Krause Abb. 9 Oben: Die Himmelsscheibe von Nebra. Unten: Bronzezeitliche Schwerter, Beile und Armschmuck, angeblich zusammen mit der Himmelsscheibe von Nebra gefunden. Zustand vor der Übernahme der Funde durch das Landesmuseum Halle. Das Übereinstimmen der Fotos mit den Originalen wurde am 25.1.2002 notariell beglaubigt. Foto: Hildegard Burri-Bayer. 340
Kritische Anmerkungen zum Fundkomplex der sog. Himmelsscheibe von Nebra derspruch dar. Bereits Wolfgang David wies da- Damit muss aus 3. und 4. zwingend gefolgert rauf hin, dass die Scheibe von Nebra im damaligen werden, dass es sich nicht um einen geschlos- Symbolgut als ein vollkommener Fremdkörper senen Fund handeln kann. erscheinen würde.67 Es ist zudem bemerkenswert, Für die Auffindung der Scheibe ergeben sich dass bei den herangezogenen Bildprogrammen nach den hier angeführten Analysen der Fundsi- aus dem fortgeschrittenen und späten 2. Jahrtau- tuation zwei denkbare Szenarien: send v. Chr. mit Motiven wie Vogelbarken mit (A) Die Scheibe wurde auf dem Mittelberg im hu- Sonnen, Sonnenwagen und dem nordischen „Son- mosen Bereich unmittelbar unter der Oberflä- nenschiff“68 oder dem dominanten Kreisdekor auf che angetroffen, weil sie sich dort bereits in Goldgegenständen69 die abstrakte Darstellung der sekundärer Lage befand. Hierzu passen die Sonne im Vordergrund steht. Die Symbole auf älteren Beschädigungsspuren und die Schil- der Himmelsscheibe von Nebra erscheinen dage- derung der Auffindung der Scheibe durch die gen als ein Nacht-orientiertes Sujet, entsprechen Finder. Eine solche sekundäre Lage schließt also dem kulturellen Umfeld des 1. Jahrtausends die Geschlossenheit des Gesamtfundes aus. v. Chr. An dieser Stelle sei abschließend an einen Die Scheibe wäre also ein Einzelfund inner- Diskussionsbeitrag von Paul Gleirscher zur Schei- halb einer eisenzeitlichen Befestigungsanlage. be erinnert, der 2007 das Bogensymbol auf der (B) Die Scheibe wurde an einem anderen Fundort Scheibe als Darstellung einer Sichel diskutierte als dem untersuchten unmittelbar unter der und zugleich darauf hinwies, dass angesichts der Oberfläche in einem einheitlichen Sediment unklaren Fundverhältnisse durchaus auch eine gefunden. Die ältere Beschädigung erfolgte spätbronzezeitliche Datierung denkbar sei.70 Zu- in situ, ohne dass das Objekt wesentlich aus gleich erinnerte Gleirscher auch an den lunaren seiner ursprünglichen Lage gerissen wurde. Bezug der Sicheln und zitierte hierzu B. Hänsel, Eine Zugehörigkeit weiterer Funde, sofern der diese als Attribute einer Nacht- oder Mond- diese nicht (wie das Beil) auszuschließen sind, gottheit gesehen hat.71 Damit schließt sich der wäre möglich. Da eine Zusammengehörig- Kreis zu den oben genannten Frühlatèneschwer- keit der Funde analytisch nicht nachweisbar tern, deren durch Vollmond und Sichelmond be- ist und dieses Szenario nicht der „gültigen“ tonter Bezug zum Mondkreislauf72 unmittelbar Fundgeschichte des Finders entspricht, ist die an die Himmelsscheibe von Nebra anschließen. Geschlossenheit des Fundes nicht gegeben. Bei beiden Szenarien muss die Scheibe aus sich heraus hinsichtlich der Datierung als Einzelob- Fazit jekt betrachtet werden, wobei festgestellt werden muss, dass für eine Einordung in die mitteleuro- In den vorangegangenen Überlegungen konnte päische Frühbronzezeit kein vergleichbares Sym- dargestellt werden, dass seit dem letzten Beitrag im bolgut benannt werden kann.73 Vielmehr würde Archäologischen Korrespondenzblatt im Jahr 2008 – wenn die Herkunft vom Mittelberg gesichert eine abweichende Deutung der Scheibe und ihrer wäre – eine Datierung auch im Kontext der ei- Beifunde begründet werden kann. Die Unterschiede senzeitlichen Befestigung wie auch durch die Iko- ergeben sich aus den folgenden vier Argumenten: nographie naheliegen. Damit würde die bislang 1. Die oberflächennahe Auffindung der Scheibe vorlegte Interpretation und das daraus abgeleite- spricht gegen eine Auffindungslage in situ, was te Konstrukt ihrer Bedeutung und Funktion jegli- zugleich auch die Zusammengehörigkeit mit cher Grundlagen entbehren. den Beifunden in Frage stellt. Die abschließende Anmerkung soll zusammen- 2. Weder die Analysen der anhaftenden Erdreste fassend verdeutlichen, dass die vorgetragene In- noch die geochemischen Analysen der Metalle terpretation nur die zugänglichen Quellen benut- (Kupfer, Gold) unterstützen die etwaige Zu- zen konnte. Der Dokumentationsstand ist dabei sammengehörigkeit der Funde. aber oft nicht vollständig. Viele Details ließen sich 3. Aufgrund der Analyse der Erdreste ist nach Aus- noch präziser darstellen, wenn die notwendigen sage des Gerichtsgutachters eines der Beile als Quellen – von den Restaurierungsberichten bis nicht zugehörig zu betrachten. Dieser Umstand hin zur Veröffentlichung aller naturwissenschaft- wird durch die Metallanalyse weiter erhärtet. lichen Analysen – besser erschlossen wären. Es ist 4. Ebenso muss der Meißel in diesem Zusammen- zu hoffen, dass dies noch erfolgt und eine sachliche hang als nicht zugehörig ausgesondert werden. Publikation des Fundes für die weitere wissen- schaftliche Analyse genauso genutzt werden kann. Ebenso ist zu hoffen, dass die inzwischen überbor 341
Rupert Gebhard & Rüdiger Krause dendend interpretativ und mythologisch anmu gungen und Kommentare, die uns von den Gut- tenden Veröffentlichungen zu der Scheibe, die achtern übermittelt wurden. Dass bei den vielen von den Prinzipien einer seriösen wissenschaft- Gutachten keine vollkommene Übereinstimmung lichen Darstellung und guter Vermittlung in der herbeigeführt werden konnte, liegt an dem pola- Öffentlichkeit bereits weit entrückt sind, wieder risierenden Thema und einer nach 20 Jahren im- auf ein Normalmaß zurückgeführt werden.74 Die mer noch mangelhaften Publikationslage. derzeit gewählte Terminologie mit Bezeichnungen wie „Königreiche“, „Armeen“ oder „erster Staat“ hat Eine Ergänzung zu diesem Aufsatz finden Sie längst die realen Grundlagen archäologisch-kul- hier: https://journals.ub.uni-heidelberg.de/in- turgeschichtlicher Forschungen verlassen.75 Jeden- dex.php/arch-inf/article/view/81420 falls dient diese Form der Vermittlung nicht dazu, der Öffentlichkeit ein konsistentes Geschichtsbild Anmerkungen einer prähistorischen Epoche zu vermitteln. 1 Meller, 2010, 36-39. Eine abschließende Publikation der Ausgrabung wurde bis heute nicht vorgelegt. Zum Werdegang des Manuskripts bis zum 2 Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sach- Druck sen-Anhalt (2006). Fundort Mittelberg: Der Finder sagt aus. (Video, 13:01 min). http://www.lda-lsa.de/filme/ Das hier publizierte Manuskript wurde am 8. No- die_himmelsscheibe_von_nebra/fundort_mittelberg/ [14.10.2018]. vember 2018 beim Archäologischen Korrespondenz- blatt in Mainz eingereicht und (zunächst) auch 3 Erstmals Meller, 2002, S. 9, Abb. 2. angenommen. Wir wählten das Organ, weil es 4 Gesprächsprotokoll zum Fundort und zur Fundsitua 2005 (Schauer, 2005) Ort einer ersten Diskussion tion der Himmelsscheibe von Nebra vom 26.08.2003. zum Thema war und 2008 in derselben Zeitschrift Anwaltskanzlei Prof. Dr. Müller. Teilnehmer: Prof. Dr. angekündigt wurde, dass in Kürze alle naturwis- Müller, Rechtsanwalt Buchholz; die Finder Westphal und senschaftlichen und archäologischen Daten mo- Renner; Dr. H. Meller; A. Flügel. Protokoll durch Dr. H. nographisch vorgelegt werden würden (Pernicka Meller, gegengezeichnet durch A. Flügel. et al., 2008). Dies steht jedoch bis heute aus. Un- 5 Untersuchungsprotokoll R. Gebhard vom 7./8. 6. 2005 ser Manuskript durchlief den üblichen Gutachter- (Akten Archäologische Staatssammlung München): „Die prozess und wurde von mehreren Fachgutachtern Beschädigungen am Rand sind nicht metallfrisch. In den starken der Schwerpunkte „Bronzezeit“, „Eisenzeit“ und Dellen und Kratzern gibt es Patinaspuren, an einem „abgeho- „Archäometrie“ begutachtet. Die Ergebnisse und benen“ Span deutlich ausgeprägtes Kristall auf der abgespann- ten Innenseite.“ Kommentare dieses Gutachterprozesses wurden den Verf. zur Überarbeitung mitgeteilt und zum 6 Gut erkennbar ist diese Zone im Archäologischen Kalen- größten Teil berücksichtigt und umgesetzt. Die der Sachsen-Anhalt 2005 (ISBN 3-910019-79-2), Blatt April, naturwissenschaftlichen Teile betreffend gingen links unten. Eine Interpretation an Hand von Bildern ist schwierig, da bei der Präparierung der Scheibe, insbeson- die Anmerkungen jedoch soweit, dass es bereits dere auch auf der Rückseite, Schmutzreste mit gefestigt einer wissenschaftlichen Diskussion entsprach, wurden, da die Patina sich stellenweise vollkommen vom die die Verf. aber erst nach der Publikation in- Untergrund löste. nerhalb der Forschungsgemeinschaft beginnen 7 Meller (2010) gibt von diesem Protokoll einen „Inhalt“ wollten. Hierbei wurde kein vollständiger Kon- wieder, der die hier diskutierten Details weglässt. sens gefunden. Nach dem Einreichen einer fina- len Fassung am 9. August 2019 blieb das Manu- 8 Gebhard & Krause, 2016, 27. Verhandlungsprotokoll RA skript liegen, einhergehend mit dem Wechsel in Thommen. der Leitung des RGZM. Zur Entscheidung der 9 Gebhard & Krause, 2016, 29-31; Pernicka u.a., 2008, 342- Drucklegung veranlasste die neue Herausgeberin 346; Meller, 2010, 36-39. gegen Ende des Jahres 2019 ein weiteres zusam- 10 Die Unterlagen wurden 2016 von Prof. Josef Riederer menfassendes Gutachten aus den eigenen Reihen (†) an R. Gebhard für das Archiv der Archäologischen des RGZM. Obwohl dieses den Druck befürwor- Staatssammlung übergeben. Sie wurden Prof. Riederer tete, blieb das Manuskript erneut liegen. Nach als Gutachter zur Erstellung einer Stellungnahme zu dem weiteren Monaten des Wartens, beschlossen die geologischen Gutachten zur Verfügung gestellt. Verf. am 3. Juni 2020, das Manuskript beim Ar- 11 Gebhard & Krause, 2016, 40. chäologischen Korrespondenzblatt zurückzuziehen und bei den Archäologischen Informationen einzu- 12 Gebhard & Krause, 2016, 27-28. reichen. Wir sind sehr dankbar über alle Anre- 13 Renner, 2005, 15-22. 342
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