KULTUR IN DER - Kulturzentrum Schlachthof

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KULTUR IN DER - Kulturzentrum Schlachthof
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                                                                                          APR
                                                                                          2021

DOTA
Tarnmantel aus
sanftem Mädchenpop
FREI RAUS!
KLAPPE DIE ERSTE
Workshop der                             F Ü R     S T A D T K U L T U R
Medienwerkstatt

                     KULTUR
                        IN DER
                       Not macht
                      erfinderisch

                      KRISE   T HE M A       Ha l b z e i t w i s s e n   Fre i z e i t
KULTUR IN DER - Kulturzentrum Schlachthof
inhalt                                                                                                                                    editorial
            AUS’M                                                                                                                 THEMA                                       FÜR STADTKULTUR
            HAUS              VON GUDRUN GOLDMANN

                                                                                04                  Kultur in der Krise
                                                                                                 4 Corona wirkt wie ein Kontrastmittel
Ein Jahr Lockdown                                                                                  | Interview mit Renate Heitmann und Hans König /
                                                                                                      Barbara Bocks
– wenn auch mit einer Pause im Sommer – fühlt sich                                               6 Kultur in der Krise | Vier Innensichten
 unendlich lang an. Inzwischen sind im Club100 die ersten                                        8 Kunst und Kultur trotzen der Pandemie

                                                                                                                                                                               EIN MAGAZIN
 Konzerte und Lesungen angelaufen, was wunderbar ist,                                              | Ein vorsichtig optimistisches Potpourri /
 aber leider ist immer noch nicht absehbar, wann wir die                                              Nicole Moosmüller

                                                                                                                                                                               MACHT
 Kesselhalle wieder aufmachen dürfen. Es ist aber einiges
 in Planung und wird bereits vorbereitet: Kindertheater in
                                                                                                                                  HALBZEIT

                                                                                                                                                                               STADTKULTUR
 der Arena, das Theaterprojekt ›Bande‹, Film- und Graffiti-
 Workshops, Kurzfilmabend und Poetry Slam, kleine
 Konzerte draußen, eine Lesereihe und eine Rap-Oper …
     Und weil das eine ganze Menge ist, trifft es sich gut,                     10               10 Lésions Graves: Symposium
                                                                                                                                                                     Jeden Morgen wandert der Blick in die Zeitung als erstes auf die Zahlen
 dass wir ab Mitte Februar Verstärkung durch eine neue                                              Listener’s corner | Andreas Schnell
 Kollegin in der Medienwerkstatt haben. Kristin Molden-                                          11 The True Story of Punk                                           der Corona-Infizierten und den Inzidenzwert. Gehen sie endlich runter?
 hauer hat bereits vielfältige Erfahrungen in der Konzeption                                        Viewers’s corner | Dierck Wittenberg                             Ja, aber so erschreckend langsam, dass man manchmal das Gefühl hat, in
 und Realisation von medienpädagogischen Angeboten
 gesammelt und große Lust, im Schlachthof bewährte                                                                                                                   einer Zeitschleife zu stecken. Und dann gibt es zwei Ausbrüche in Firmen
 Formate zu übernehmen und neue zu entwickeln.                                                                                                                       und Kitas und die Werte sind wieder hoch. Die Vorstellung, dass so etwas
 Herzlich willkommen!
     Neben Kristin kommt mit Marina dann Anfang Mai
                                                                                                                                                                     bei uns im Schlachthof nach einem Konzert oder einer Lesung passieren
 noch eine junge Frau ins Haus – allerdings befristet für ein                                                                                                        könnte, ist erschreckend. Von daher ist es auf jeden Fall richtig, dass wir
 Jahr im Rahmen eines europäischen Freiwilligendienstes.                                                                          FREIZEIT
                                                                                                                                                                     noch keine Veranstaltungen wieder durchführen können. Aber es nervt.
 Wir werden sie zu einem späteren Zeitpunkt vorstellen,
 wenn sie aus St. Petersburg zu uns gekommen ist.                                                                                                                    Dieses Virus ist unberechenbar, ausdauernd und nun auch noch am
     Ich will auch nicht verschweigen, dass es neue                             13                  März                                                             Mutieren. Wir stehen auf schwankendem Grund.
 Männer im Schlachthof gibt – genauer gesagt in der Kneipe.                                      13 Dota | Slammer Filet | Grillmaster Flash |
 Wir haben neue Pächter und die stellen wir Ihnen/euch                                              Selig | Miss Allie | Antilopen Gang                                  Was bedeutet das für die Kultur, für unser Haus? Langsam gehen
 weiter hinten im Heft vor. Nur so viel: Einiges wird anders!                                                                                                        uns die Durchhalteparolen aus, aber wir bleiben beim Blick nach vorn,
 Wir freuen uns sehr darüber.                                                                       Ap ril                                                           planen neue Projekte, beteiligen uns am Club100, machen diese Zeitung,
                                                                                                 15 FREI RAUS! Klappe die Erste
                                                                                                    Workshop der Medienwerkstatt                                     treffen uns real (und mit Abstand) und in Videokonferenzen, kümmern
                                                                                                                                                                     uns um unsere Baustellen und freuen uns wirklich sehr, dass wir in
                                                                                                                                                                     dieser schwierigen Zeit neue Pächter für unsere Kneipe gefunden haben.
                                                                                                                                                                     Wir stellen die Jungs in dieser Ausgabe vor.                                                         Autorinnen
                                                                                                                                                                         Außerdem haben wir mit Renate Heitmann und Hans König über das                                  und Autoren
                                                                                                                                  KULTURGUT                          Projekt WinterWonne gesprochen, das die Innenstadt mit Kultur beleben                                gesucht. Die
                                                                                … durch Corona
                                                                                von Bjørg Rühs                                                                       soll, aber gerade pausieren muss. Vier Kulturhäuser berichten, wie es                                Z-Redaktion
                                                                                                                                                                     ihnen im letzten Jahr ergangen ist. Und wir haben eine kleine Sammlung                              versteht sich
                                                                                                                                                                     von Initiativen und Projekten zusammengetragen, die während der Pande-                                als offene
                                                                                                                                                                     mie entstanden sind und gerne bleiben dürfen. Es gibt tatsächlich auch                                 Zeitungs
                                                                                                                                                                     einen Veranstaltungsteil, der vorstellt, was es im Solidarprojekt Club100,                            werkstatt,
                                                                                                                                                                     an dem Bremer Konzertveranstalter und das Pier2 beteiligt sind, zu sehen                            Interessierte
                                                        Foto : J en s Werne r

                                                                                                                                                                     und zu hören gibt.
                                                                                                                                                                                                                                                                              bitte
                                                                                                                                                                                                                                                                             melden
                                                                                                                                                                        Gudrun Goldmann (Chefredakteurin)                                                                     bei :
   Kimbo und Buddle
   an neuer Wirkungsstätte                                                                                                                                                                                                                                                  zett@
                                                                                                                                                                                                                                                                         schlachthof-
                                                                                                                                                                                                                                                                           bremen.
                                                                                                                                                                                                   Bei dem 7. und 8. ICMA International Creative Media Award wurde            de
                                                                                                                                                                                                   das Z-Magazin für das grafische Konzept und für die Covergestaltung
                                                                                                                                                                                                   mit den Awards of Excellence ausgezeichnet.
                                                                                                                                                                                                                                                                         Foto: Thomas Schäfer
                                                                                                                                                       HERAUSGEBER            Vi si t
KULTUR IN DER - Kulturzentrum Schlachthof
THE      4                                                                                                                                                                                                                  5
          MA

CORONA
                                                                                         Worum geht es bei dem Aktionsprogramm Innenstadt (API)?
                                                                                         Hans König: Grundsätzlich soll dieses Aktionsprogramm die Lage
                                                                                         der Innenstadtwirtschaft verbessern, die sich durch die Corona-Pande-
                                             I N T E RV I E W: B A R B A R A B O C K S
                                                                                         mie weiter verschlechtert hat. Der Ansatz soll aber nicht sein, dass die

                E I N
                                                                                         Kunst dort ins Spiel kommt, wo die Wirtschaft Probleme hat, sondern

WI R K T W  I E
                                                                                         dass Kunst auch für eine Modifikation von innen heraus sorgt. Dort, wo
                                                                                                                                                                                      Hans Kö nig
                                                                                         man Künstlerinnen und Künstler arbeiten lässt, soll eine Atmosphäre                          Foto: H ar al d Relin g

                                                                                         entstehen, die strukturelle Veränderungen schafft, die man auch in                                                     Ren ate Heitman n
                                                                                                                                                                                                                Fo to : Kay Micha la k
                                                                                         den kommenden Jahren noch sehen soll. Es geht nicht darum, einen

           T  M  I T T E L                                                                                                                                                         in der Bremer
                                                                                                                                                              ›Szene ist eine sehr solidarische‹
                                                                                                                                                                                 g
                                                                                         Schnellschuss zu schaffen, nach dem Motto: ›Kommt mal alle in die
                                                                                                                                                                              un
          S
                                                                                                                                                                       ti m m
         A
                                                                                                                                                                D ie S

KONTR
                                                                                         Stadt und lasst uns ein bisschen Geld verdienen!‹

                                                                                         Wie geht es mit dem API in diesem Jahr weiter?
                                                                                         Renate Heitmann: Wenn die nächste Verordnung sagt, dass
                                                                                         der Einzelhandel öffnet, sind wir mit Walk-Acts der Darsteller und         Hans König: Corona ist ein Kontrastmittel. Es wirkt auf die Gesell-
                                                                                         Musiker auf der Plattform Winterwonne wieder in der Stadt unterwegs.       schaft und auf alles, was wir tun, als Vergrößerungsspiegel. Es lässt
                                                                                                                                                                    uns uns prüfen. Das tun Künstler sowieso. Sie hinterfragen sich und
                                                                                         Wie gehen Bremer Künstler mit der Corona-Pandemie um?                      Zusammenhänge, um zu ihren Themen zu kommen. Daher kommen
                                                                                         Renate Heitmann: Es ist für uns alle eine sehr herausfordernde Zeit.       Künstler an Corona nicht vorbei. Das beschäftigt uns auch inhaltlich.
                                                                                         Aber was ich bei allen Kollegen sehe, sei es bei den freien Künstlern      Und wenn man über größere Veranstaltungen nachdenkt, ist es nicht
                                                                                         oder in den Institutionen, ist, dass weiterhin Kunst produziert wird,      mehr selbstverständlich, diese wie früher zu planen und dass genü-
                                                                                         auch unter diesen Bedingungen und die Kunst in dem Sinne keine             gend Leute vorbeikommen.
                                                                                         Angst hat. Aber wo kommt die Kunst vor und wo wird sie wirksam?
                                                                                         Nur dort, wo sie ihr Publikum gefunden hat. Das ist genau das, was wir     Welche Ideen gibt es für Corona-gerechte Veranstaltungen?
                                                                                         gerade neu erfinden müssen. Es hilft zwar, dass es Online-Plattformen      Renate Heitmann: Ich habe gestern mein erstes Online-Ticket für
                                                                                         gibt, aber das Wesentliche ist die direkte Interaktion der Künstler        ein Theaterstück im Wiener Burgtheater gekauft. Es heißt: ›Die
                                                                                         mit dem Publikum und in der kulturellen Bildung beispielsweise durch       Maschine in mir‹. Ein Schauspieler spielt sein Stück vor hundert iPads.
     In diesem Jahr kura-                                                                Jugendclubs. Auf diesen Beziehungsebenen müssen wir neue Dinge             Jeder Zuschauer muss einen Film von sich hochladen, damit der
tieren Renate Heitmann,                                                                  erfinden. Das API, bei dem auf vielen Freiflächen und mit viel frischer    Schauspieler ein Gegenüber hat. Der Zuschauer loggt sich dann ein
                                                                                         Luft Dinge passieren können, ist super und ist auch ein Prozess, bei       und schaut zu, wie der Spieler mit den iPads interagiert und seinen
       Theaterleiterin der                                                               dem viele miteinander zusammenarbeiten, die sonst nicht zusammen-          Abend spielt. Das ist eine Möglichkeit von sehr, sehr vielen.
                                                                                         gearbeitet hätten. Ob es das Bremer Theater ist, das eine Bühne in den
    Bremer Shakespeare                                                                   Wallanlagen baut, die dann wieder von freien Künstlern genutzt wird,       Was können Künstler aus der Corona-Pandemie lernen?
       Company, und der                                                                  oder Konzerte auf dem Domshof. Die Voraussetzungen sind in der             Hans König: Wir konnotieren die Corona-Pandemie als Krise. Sie
                                                                                         Situation, die wir gerade haben, sehr gut.                                 wird als Bürde bezeichnet. Vielleicht ist das auch schon ein Punkt, über
Bremer Theaterregisseur                                                                                                                                             den man nachdenken sollte. Ich möchte nicht relativieren, dass Leute
                                                                                         Wie ist die Stimmung unter Bremens Künstlern?                              krank werden und sterben. Aber wir sollten eine Haltung dazu finden,
     und Produzent Hans                                                                  Hans König: Die Stimmung in der Bremer Szene ist eine sehr                 die nicht von vornherein davon ausgeht, dass wir aus einem Desaster
   König das Aktionspro-                                                                 solidarische. Viele denken mehr miteinander und vernetzt. Es ist ein       kommen. Was ich an den Teilnehmern der Paralympics sehr bewunde-
                                                                                         Paradigmenwechsel. Das gab es vorher noch nicht. In Bremen erfahren        re, ist, dass sie es schaffen, ihr Schicksal umzudeuten. Es geht nicht
gramm Innenstadt (API),                                                                  Künstler gerade eine sehr große Geste der Wertschätzung. Wir be-           mehr um den fehlenden Arm, sondern um eine starke Selbstermächti-
                                                                                         kommen gerade Produktionsmittel, um professionell und angemessen           gung. Das können wir aus der Pandemie lernen. Als Künstler spüren
   das mehr Kultur in die                                                                bezahlt arbeiten zu können. Das ist hier erarbeitet worden. Aber           wir die Krise früh existenziell, können aber damit arbeiten. Es muss so
 Innenstadt bringen soll.                                                                niemand weiß, wann wir wieder spielen können und wie das Publikum          sein, dass wir das interpretieren und Lehren daraus ziehen und nicht
                                                                                         dann reagiert: Sind die total scharf darauf oder sind sie immer noch       immer nur daran denken, was wir nicht mehr machen können wie
  Wie die Corona-Pande-                                                                  vorsichtig oder entwöhnt? Das ist eine wirklich merkwürdige und            früher.
  mie die Bremer Kultur-                                                                 skurrile Situation.                                                        Renate Heitmann: Im Sommer kam es beim Sommer Summarum
                                                                                                                                                                    zu einer Situation, die uns aus der Not sehr erfinderisch gemacht hat.
    szene verändert, was                                                                 Inwiefern beeinflusst das vergangene Jahr die Kunst?                       Wir waren mehrere Veranstalter und es haben sich immer mehr
                                                                                         Renate Heitmann: Die Corona-Pandemie wird nicht in zwei Wochen             Künstler gemeldet, wie das Bremer Theater mit dreißig Veranstaltun-
 das Wiener Burgtheater                                                                  vorbei sein. Wir sollten uns vielmehr an ein Leben mit dem Virus           gen, oder der Schlachthof und die Kulturambulanz, so dass das
mit hundert iPads vorhat                                                                 gewöhnen. Es ist sehr interessant, welche Themen wir im letzten Jahr       Festival mit ursprünglich vierzig Veranstaltungen an zehn Orten so
                                                                                         diskutiert haben. Gerade im künstlerischen Bereich können wir nicht        gewachsen ist, dass wir am Ende bei 150 Veranstaltungen und dreißig
        und inwiefern das                                                                dazu übergehen, wieder wie gehabt ›My Fair Lady‹ zu spielen. In            Orten waren. Es gab kein Nein oder ein Aber. Alles wurde umgesetzt.
                                                                                         diesem Jahr ist bei uns allen etwas passiert, was Spuren hinterlassen      Das hat unglaublich viel Spaß gemacht. Die einzige Grundvorausset-
   ›Sommer Summarum‹                                                                     hat. Letztendlich ist es die Aufgabe von Künstlern, daraus eine Zukunft    zung war, dass die Künstler eine Mindestgage von 250 Euro erhalten.
  den Bremer Tourismus                                                                   zu projizieren, also Dinge zu sehen, wie sie anders sein könnten. Wir      Das war eine wichtige Maxime. Das hat sehr viel Vertrauen gebracht,
                                                                                         sollten alle wach sein und diese Situation auch so erkennen, wie man       auch beim Publikum, die sind sehr gut mitgegangen. Im Laufe der
            beflügelt hat.                                                               sie zum Guten verändern kann.                                              Zeit wurde das Festival so zu einer Art Mini-Tourismus-Programm.

               Fo to: M a r i a nne M enke
KULTUR IN DER - Kulturzentrum Schlachthof
THE        6                                                                                                                                                                                                                                                      7
              MA
                                                                                                   Vier
                                                                                                   Innensichten
KULTUR IN DER KRISE                                                                                                                                                                                                                                                                Fotos: Thomas Schäfer

Schlachthof                                                             westend                                                                  Schwankhalle                                                                Kukoon
Die Ungewissheit, ab wann eine Rückkehr zur Normalität möglich           Das westend ist ein Haus der Begegnung: in Werkstätten, Projekten       Als geförderte Kultureinrichtung ein Statement zur Situation in der         Ein schwerverdauliches Jahr liegt hinter und vielleicht auch vor uns.
ist, ist die Frage, die uns alle beschäftigt und auf die niemand         und Veranstaltungen begegnen sich Menschen, um mit den Mitteln          Corona-Pandemie abzugeben, ist keine so leichte Aufgabe. Einerseits         Viel zu oft musste der Kukoon-Herd kalt bleiben. Jedoch ist bei uns
eine Antwort hat. Sie schwebt beständig in der Luft. Zwar hat der        der Kultur gesellschaftliche Fragestellungen zu behandeln. Insofern     möchten wir uns nicht beschweren: Die Kulturpolitik stärkt uns              trotz der widrigen Umstände so einiges passiert: Beispielsweise
Schlachthof dank öffentlicher Förderung ein Sicherungsnetz, doch         trifft uns eine Krise wie die Corona-Pandemie im Kern unserer Arbeit.   den Rücken und die Schwankhalle steht auch in der Krise auf relativ         nutzten wir die Zeit, um unsere Kukoon-Küche zu renovieren, lang
auch an uns ist die Lage nicht spurlos vorbei gegangen.                  Unsere Reihen für Musik und Literatur, zu denen ein sehr treues         sicherem Fundament. Und dass es angesichts konstant hoher                   ersehnte Küchengeräte anzuschaffen und (meist online) unsere Köpfe
    Klar ist, dass Kultur nicht an erster Stelle steht, wenn mögliche    Publikum kommt, mussten entfallen. Das war und ist sehr bitter.         Infektionszahlen aktuell ausgeschlossen ist, sich in einem Theater-         zusammenzustecken, um neue Ideen köcheln zu lassen. Wir erhielten
Lockerungen diskutiert werden. Stillstand gibt es hier trotzdem          Wir haben in speziellen Formaten auf die Krise reagiert, so ist es      raum zu versammeln, steht für uns außer Frage. Andererseits lässt           außerdem einen Sommer lang im Neustadtspark am Leibnizplatz die
nicht. Im Gegenteil. In allen Bereichen sprudelt es nur so vor Ideen     auch möglich, während der ›Einschränkungen‹ Radiosendungen zu           sich nicht leugnen, dass die vielen Monate der Planungsunsicherheit         Möglichkeit, täglich frisch gebackene Kuchen und Torten anzubieten.
und Tatendrang. Denn sobald es wieder möglich ist, möchten wir           produzieren beziehungsweise auch live auszustrahlen. Darunter           auch an uns zehren. Das Jonglieren mit Spielplänen und Probenzeiten         Für ein abwechslungsreiches Angebot ließen wir uns von einer
mit neuen Projekten, Workshops und Konzerten in den Startlöchern         Ausgaben mit gekürzten Mitschnitten unserer Literaturreihe              lässt unsere Programmgestaltung und besonders die Planung von               befreundeten Konditorin beraten und inspirieren. Obendrein
stehen. Dafür haben wir eine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen,            ›capriccioso‹. Wir haben auch Online-Angebote, wie zum Beispiel         Schwerpunkten und Kooperationen zur Herausforderung werden. Wir             veranstalteten wir im Rahmen des Parkcafés ein größeres kulinari-
die die großen Fragen ›Was‹ und ›Wie‹ diskutiert. Natürlich immer        die aktuelle Ausstellung von Ilker Maga, die man auf unserer Home-      müssen uns also vorerst damit abfinden, dass unsere Arbeit noch             sches Event unter dem Namen ›Essen wie irgendwo in Tel Aviv‹. Nun
mit dem Hintergedanken, dass alles flexibel bleiben muss und             page besuchen kann.                                                     eine Weile von Kompromissen geprägt sein wird.                              planen wir eifrig die Realisierung eines Outdoor-Ofens für Koch-
an die dann geltenden Verordnungen angepasst werden kann. Das                Wir setzen aber weiterhin unseren Schwerpunkt auf die Begeg-            Gleichzeitig passiert auch Erstaunliches, mit dem wir noch vor ein      Aktivitäten an der frischen Luft.
erschwert die Planung zusätzlich, bringt aber auch spannende             nung. Einige Werkstätten können mit entsprechenden Hygieneauf-          paar Monaten nie gerechnet hätten. Etwa die umfangreichen lokalen               Die Programm- und Vereinsarbeit konnten im letzten Jahr nicht
Herausforderungen mit sich.                                              lagen stattfinden. Und die Künstler*innen, die zu unserem Jahres-       und bundesweiten Förderpakete zur Existenzsicherung freier                  wie üblich stattfinden. Wie gewohnt gab es aber auch im Jahr 2020
    Bereits im letzten Jahr wurde die auftrittsfreie Zeit genutzt, um    thema arbeiten, haben beim Umgang mit der Situation viel Kreativität    Künstler*innen. So konnte die Schwankhalle zum Beispiel zwölf               zahlreiche Kooperationen mit Initiativen wie associazione delle
Anträge auf Fördermittel zu schreiben, die es ermöglichen sollen,        gezeigt.                                                                ›TakeCareResidenzen‹ vergeben, für die der ›Fonds Darstellende              talpe, der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, der Landeszentrale
dass bald wieder Programm stattfinden kann. Es wird ein neues                Wir planen unsere Veranstaltungen in der Hoffnung, sie mit          Künste‹ zusammen mit dem Theaternetzwerk flausen+ Bundesmittel              für politische Bildung, der Schwankhalle, dem Literaturkontor und
Theaterprojekt geben, eine Lesereihe soll stattfinden, verschiedene      unserem gut durchdachten Hygienekonzept bald wieder durchführen         weiterleitet. Das ermöglicht Künstler*innen, den Lockdown für               weiteren. Noch im Januar hatten wir eine sehr gut besuchte Buchvor-
Workshops werden erarbeitet und natürlich werden auch weiterhin          zu können. Im Sommer werden wir die Veranstaltungsdichte ent-           Rechercheprojekte ohne unmittelbaren Produktionsdruck zu nutzen,            stellung mit Volker Weiß zu Adornos ›Aspekte des neuen Rechtsradi-
Konzerte geplant.                                                        sprechend erhöhen. Wir freuen uns sehr auf die Ergebnisse der           und schafft mitten in der Krise auch künstlerische Freiräume.               kalismus‹. Im Sommer fanden Vorträge und Lesungen dann draußen
    Allerdings ist es gar nicht so leicht, noch freie Tage zu finden.   15 Künstler*innen, die für unser Jahresthema ›Neben uns die Sintflut‹        Eine weitere positive Erkenntnis ist für uns die Flexibilität unseres   im Park im Grünen statt. Zuletzt gab es im Herbst, kurz vor der
Die Kalender sind voll mit Terminen, die seit einem Jahr verschoben     – auf Grundlage des gleichnamigen Buches des Soziologen Stephan          Publikums. Wir haben in den letzten Monaten verschiedene corona-            zweiten Schließung, noch einige Veranstaltungen mit eingeschränk-
werden. Vom Frühling in den Herbst und vom Herbst in den nächsten        Lessenich – Ausstellungen, Theateraufführungen, Lesungen, Radio-        taugliche Formate angeboten – von Telefon-Performances mit                  tem Publikum in unseren Räumen des Kulturzentrums.
Frühling, und so scheint es erstmal noch weiter zu gehen. Hinter         sendungen und vieles mehr entwickeln.                                   australischen Jugendlichen über einen konspirativen Nachbarschafts-            Trotz der Pandemie gibt es auch Fortschritte zu vermelden, die
jedem Termin steht ein Fragezeichen.                                         Dass wir unseren Humor nicht verloren haben, werden wir mit         briefkasten bis hin zu Online-Talkrunden über Sex haben unsere              uns für die kommenden Jahre besser aufstellen. 2020 hat die bis
    Umso mehr freuen wir uns darüber, dass der Club100 ins Leben         der Veranstaltungsreihe ›Verpasste Momente‹ zeigen, in der wir am       Zuschauer*innen alles mit großer Neugier mitgemacht. Es tut gut zu          2022 angelegte Konzeptförderung durch den Senator für Kultur
gerufen wurde und sogar im harten Lockdown Konzerte möglich              24. Juni unter anderem unsere Weihnachtsausgabe der Reihe               sehen, dass die Lust auf Theater und Begegnung trotz erschwerter            begonnen. Darüber hinaus haben wir im Rahmen des NEUSTART-
macht. Das sorgt für ein kleines Aufatmen bei Veranstalter*innen         ›capriccioso‹ nachholen. Es freut uns auch sehr, dass wir in diesem     Bedingungen offenbar ungebrochen ist und dass sich neue künstle-            Programms in den Infektionsschutz bei kommenden Präsenzveran-
und allen Beteiligten. Künstler*innen bekommen so endlich wieder         Jahr mit einer neuen Reihe starten werden, die wir in der Corona-Zeit   rische Formen entwickeln, die mehr sind als ein lauer Ersatz für das        staltungen investiert und uns mit der nötigen Technik für Streaming-
die Chance auf ein wenig Bühnenleben. Unser erstes Konzert im            zusammen mit der Arbeitnehmerkammer geplant haben. Unter                ›echte‹ Theater.                                                            Veranstaltungen ausstatten können (aufgezeichnete Veranstaltungen
Club100 findet bereits am 8. März statt und wir freuen uns sehr, mit     dem Titel ›PoLit‹ werden Autoren und Autorinnen zu Wort kommen,            Aktuell setzen wir zaghafte Hoffnungen in Frühling und Sommer.           sind hier zu finden: media.kukoon.de). Wir haben bereits zwei Ver-
Dota unser Konzertdebüt 2021 feiern zu können.                           die zu wichtigen gesellschaftlichen Themen geschrieben haben.           Dann wollen wir uns bei so ziemlich jedem Wetter nach draußen               anstaltungen live gestreamt und für die kommenden Wochen sind
    Wir hoffen, dass auch bei uns bald wieder kleinere Veranstaltun-                                                                             wagen – für Performances, Lesungen und Konzerte, die sich mit dem           weitere geplant. Wir bleiben dran, um ein buntes Programm für euch
gen an der frischen Luft stattfinden können. Aber leider ist das        PETER DAHM,                                                              komplexen Verhältnis von Mensch und Natur beschäftigen. Außer-              und sinnstiftende Jobs für uns aufrechtzuerhalten.
Bremer Wetter gerne mal unberechenbar (und Corona erst recht) –         KÜNSTLERISCHER LEITER                                                    dem wird die Performancegruppe Mobile Albania mit ihrem altmodi-
auch dafür müssen dann wieder Lösungen gefunden werden.                 D E R K U LT U RW E R K S TAT T W E S T E N D                            schen Bus zu einer vierwöchigen Bremen-Umrundung in Zeitlupe                KUKOON-KOLLEKTIV
    Also arbeiten wir auf Hochtouren weiter an Konzepten und Ideen                                                                               aufbrechen und dabei die Straße als Ort der theatralen Begegnung
und üben uns in Geduld. Das Warten lohnt sich!                                                                                                   erkunden.

SARAH KEMPFF,                                                                                                                                    JANNA SCHMIDT & FLORIAN ACKERMANN,
BOOKING                                                                                                                                          S C H WA N K H A L L E P R E S S E - U N D Ö F F E N T L I C H -
                                                                                                                                                 KEITSARBEIT, KÜNSTLERISCHE LEITUNG
KULTUR IN DER - Kulturzentrum Schlachthof
THE     8                                                                                                                                                                                                                                        9
            MA
                                                                                                 Ein vorsichtiegs
                                                                                                 optimistisch
KUNST UND KULTUR                                                                                 Potpourri
TROTZEN DER PANDEMIE
Kampagnen wie ›ohneunswirds-
                                                                                                                                           Wer hat … Doris Weinberger und
                                                                                                                                         Johanna Pätzold von der Schwankhalle
                                                                                                                                      haben die Nachbarschaftsbriefaktion
                                                                                                                                      initiiert.
still‹ und ›Kultur ins Grundge-            Wer hat … purplez digital: Utopien &                                                      … die Idee … Weil (nachbarschaftliche)                                                            Wer hat… Quarantäne: eine
setz‹ weisen vor allem auf eins          Leidenschaften – eine Veranstaltungs-                                                       Treffen in der Schwankhalle oder am                                                             Geschichte voller Geschichten – Ein
hin: den prekären Status der          reihe des queerfeminstischen Maga_zine-                                                        Deich coronabedingt nicht stattfinden                                                       Hörbuch von Kultur vor Ort e.V. (Bremen-
Kunst- und Kulturszene in der        Kollektivs Purple Scare.                                  Wer hat … Bremer Künstler*innen        können, wird die Kommunikation in Brief-                                                   Gröpelingen)
Pandemie. Es gibt Bewegung in        … die Idee … Im Rahmen einer digitalen                  und Gastronomen, die sich zum Projekt   umschläge verlagert. Es bildet sich ein                                                     …die Idee… Während normalerweise im
der Kulturlandschaft, trotz          Veranstaltungsreihe, die so unterschied-            ›2 Meter Kunst‹ zusammengeschlossen         Netzwerk zwischen dem Nachbarschafts-                                                       Rahmen von ›Feuerspuren‹ Tausende
Corona. Insbesondere digitale         liche Formate wie eine digitale Diskus-             haben.                                      briefkasten an der Schwankhalle und den                                                    Menschen in so unterschiedlichen Orten
Angebote werden stetig erwei-        sionsveranstaltung zu ›Familien, Beziehun-          … die Idee … Indem die Fensterfronten       Briefkästen in der Nachbarschaft, über            Wer hat … Andreas Friedrich und            wie dem Waschsalon, dem Fahrradge-
tert. Dabei wandert die Kunst        gen, Sexualitäten‹, die Premierenlesung             von leeren Kneipen, Cafés und Restau-       das zum Beispiel mit Buntstiften gezeich-        Lucas Konradt holten die Drittelbar mit    schäft und der Moschee den Geschichten
nicht nur in die virtuelle Öffent-   der afroqueeren Novelle QUASI der                    rants zu Ausstellungsräumen für die         nete Selbstporträts und individuelle        dem Defibrillator zurück ins Leben.            der Erzähler*innen lauschen, können die
lichkeit. Sie (er)findet auch        Autor*in SchwarzRund sowie die digitale              Werke von Bremer Maler*innen,              Sichtweisen auf gemeinsame Spazier-          … die Idee … Um die aufgrund von               Feuerspuren dieses Mal in Form eines
                                     Party Purplez in Space miteinander                  Illustrator*innen und Fotograf*innen        gangseindrücke ausgetauscht werden.          Abstandsregeln nicht nutzbare Drittelbar       Hörbuchs mit nach Hause genommen
neue Orte und Publikumsräume
                                     vereint, findet eine Auseinandersetzung              wurden, konnten Spaziergänger*innen        … die gut ist, weil … über die Materiali-     wiederzubeleben, funktionierten die            werden. Inhaltlich kreist die von fünf
in der analogen Welt.                 mit Fragen nach Utopien und Leidenschaf-           auch im Sommer zwischen den Lock-            tät und die Prozesshaftigkeit des Briefes   Betreiber diese im Mai vergangenen             Erzähler*innen, einer Handvoll Stimmen,
   Dass es hierbei nicht nur um       ten statt.                                         downs entlang einer Kunstausstellung        entsteht ein partizipativer Kunstraum –      Jahres kurzerhand zum Secondhand Store         Musik und dem Sound der Stadt kompo-
Überbrückungslösungen geht,          … die gut ist, weil … es in einer Zeit der          flanieren. Die ausgestellten Werke          ein nahezu meditatives Moment für das        um. Dass das mehr oder weniger                  nierte Geschichte voller Geschichten um
sondern es sich vielmehr um          Alltäglichkeit von Schreckensmeldungen,              konnten käuflich erworben werden, wobei    von Zoom-Fatigue überreizte Gehirn.          erfolgreiche Stöbern nach der neuesten         den Freundeskreis, um einen positiv auf
Potenziale für künftige Entwick-     der Gefahr einer Retraditionalisierung von          die Einnahmen zu 70 Prozent an die                                                       Klamotte mit dem ein oder anderen Drink        Corona-Getesteten in Quarantäne und
lungen handelt, steht nach           Geschlechterrollen und der Zunahme                  Künstler*innen, zu 20 Prozent an die                                                      im Biergarten des Drittels begossen           eine Erzähl-Session um Gedanken aus
Ansicht Eckart Köhnes, dem           ›feminisierter Armut‹ Fürsorge-Utopien              Kneipenbesitzer*innen und zu 10 Prozent                                                   werden kann, versteht sich von selbst.        Sasa Stanisics Roman ›Herkunft‹.
Präsidenten des Deutschen             braucht. Die Frage nach der Ermöglichung           an SeaWatch gingen.                                                                      Und mit der zu Beginn des zweiten              …die gut ist, weil… in einer Zeit, in der
Museumsbundes, außer Frage.          von Communities of Care sowie einer                 … die gut ist, weil … neue, branchen-                                                    Lockdowns angebotenen privaten                 die Bewohner*innen Gröpelingens auf ihr
›Nach der Krise wird es eine          besseren Welt im Allgemeinen stellt sich           übergreifende Solidaritäten entstehen                                                    Shoppingtour dürfte auch dem größten           großes Festival verzichten müssen,
                                      mehr denn je. Nicht zuletzt bietet das             und die Kunst sich die Sichtbarkeit im                                                   Secondhand-Skeptiker klar geworden sein,       scheint es wichtiger denn je, diesen
Diskussion geben, wie wir
                                     gemeinsame, wenngleich physisch                     öffentlichen Raum zurückerobert.                                                         dass die Suche nach Gebrauchten längst         Geschichten zuzuhören und sich in diese
wieder Leben in die Städte und
                                     distanzierte Tanzen mittels eines Avatars           Gleichzeitig werden neue Zugänge und                                                      nicht mehr mit ›Wühlen im Ramsch‹             einzufühlen. Der kreative Umgang der
Gemeinden, in den öffentlichen       durch einen digitalen 3D-Space eine Form            Publikumsräume eröffnet.                                                                 gleichzusetzen ist.                            Protagonist*innen mit der Pandemie-
Raum bringen. Und ein Schlüs-        des Hineintastens in den Dancefloor, die                                                                                                     … die gut ist, weil … sie ein hervor-          situation macht Mut und kann dabei
sel dafür heißt: Kultur.‹            sich für die ein oder andere Person                                                                                                          ragendes Beispiel für ein Agieren in            helfen, die eigene Angst nicht auf
   Vor diesem Hintergrund darf       durchaus safer als manch analoger Space                                                                                                      uneindeutigen Situationen darstellt. Das       Sündenböcke zu projizieren.
trotz all der Hiobsbotschaften       anfühlen könnte.                                                                                                                             eigene Verhalten und gesellschaftliche
und Befürchtungen durchaus                                                                                                                                                        Problemlagen werden verknüpft und
ein optimistischer Blick auf                                                                                                                                                      Entwicklungen vorweggenommen, obwohl
die Entwicklungen der letzten                                                                                                                                                     deren Konsequenzen im eigenen Alltag
Monate geworfen werden. Auch                                                                                                                                                       noch nicht offensichtlich sind. Der
in Bremen gibt es neu entstan-                                                                                                                                                    Politikwissenschaftler Andreas Klee               Wer hat … ein anonymer Künstler
dene Werke, Öffentlichkeiten                                            Wer hat … Kunst Take Away in                                                                               bezeichnet diese Fähigkeit als eine der        … die Idee, … Ende Mai wurde über
                                                                     der Weserburg – Oder: Wenn wir                                                                               zentralen Lehren aus der aktuellen            Nacht in den Wallanlagen eine Bronze-
und Formate, von denen einige
                                                                 schon nicht ins Museum gehen können,                                                                             Pandemiesituation.                            statue aufgestellt. Die Skulptur des unter
hier vorgestellt werden.                                         dann kommt das Museum eben zu uns.                                                                                                                             dem Pseudonym Mohammed Smith
                                                                 … die Idee … Im Rahmen des ›Take                                                                                                                               auftretenden Künstlers stellt einen
                                                                 Away‹ können Interessierte Kunstwerke                                                                                                                          vornübergebeugten Mann dar, der einen
                                                                 aus den Bereichen Malerei, Fotografie                                                                                                                          Einkaufswagen schiebt.
                                                                 und Objektkunst für ein halbes Jahr mit                                                                                                                        … die gut ist, weil … sie die Relevanz
                                                                  nach Hause nehmen.                                                                                                                                            von Kunst einem breiteren Publikum
                                                                 … die gut ist, weil … Kunstwerke                                                                                                                                näherbringt. Durch das Aufstellen der
                                                                  lassen sich auf diese Weise beliebig                                                                                                                          Statue, die meist als Figuration von
                                                                  lange und aus unterschiedlichen Blick-                                                                                                                        ›Obdachlosigkeit‹ oder ›Flaschensammeln‹
                                                                  winkeln betrachten, fügen sich in die                                                                                                                         gelesen wird, findet eine Politisierung des
                                                                  private Umgebung ein und lassen sie zum                                                                                                                       öffentlichen Raumes statt. Es wird ein
                                                                 Kunstraum werden. Dank kostenlosem                                                                                                                             Nachdenken über die sich in der Corona-
                                                                 Leihvertrag ist dies auch in den Räumen                                                                                                                        Pandemie zuspitzenden Armutslagen
                                                                 von Menschen möglich, deren Porte-                                                                                                                             angeregt.
                                                                  monnaies eine Partizipation am Kunst-
                                                                  markt oftmals nicht erlauben.

                                                                                                                                                                                                                                                            Foto: Thomas Schäfer
KULTUR IN DER - Kulturzentrum Schlachthof
HALB        10                                                                                                                                                                                                                                  11
       ZEIT
                                                                                               halbzeitwissen
               FÜR STADTKULTUR

                                                                                                      LISTENER’S                                                                                                             VIEWER’S
-
                                                                                                      CORNER                                                                                                                 CORNER
    Andreas Schnell                                                                                                                  Dierck Wittenberg
    Lésions Graves: Symposium                                                                                                        Immer diese Widersprüche
    Heavy Metal genießt nach wie vor vielerorts ein                        je einem Drittel in Bremen, Köln und Göttingen            ›Du bist überhaupt kein richtiger Ramone!‹ Auf               wie man sich Punkrock bis heute vorstellt. Aber wäh-
    zweifelhaftes Image: gewaltverherrlichend, vulgär,                     ansässigen Band Lésions Graves zu hören ist, die mit      Youtube kursiert gerade der Mitschnitt einer Diskus-         rend von denen kaum jemand Notiz nahm, wurden die
    homophob, machistisch und was nicht noch. Dabei hat                    ›Symposium‹ in diesem Winter unseres Missver-             sionsrunde, in der sich Ex-Sex-Pistol John Lydon mit         Londoner Sex Pistols 1976/77 zum gesellschaftspoliti-
    das weitverzweigte Genre, das sich auch in seinen                      gnügens ihr Debüt-Album veröffentlicht hat.               Marky Ramone und dem Rest des Podiums in die                 schen Ereignis und zu den Posterboys einer Jugendbe-
    konservativeren Formen – siehe Wacken-Festival –                          Was übrigens nicht heißt, dass wir es hier mit         ergrauten Haare kriegt. Wie der frühere Anarchist-Anti-      wegung (Sex Pistols-Manager Malcolm McLaren hatte
    ungebrochener Beliebtheit erfreut, in den vergangenen                  Frischlingen zu tun haben: Schlagzeuger Henner            christ und heutige Trump-Supporter Lydon auf jede            Punk in New York City kennengelernt und ihn mit nach
    zehn bis zwanzig Jahren eine erstaunliche Renaissance                  Henzler und Gitarrist Mark Schröder spielten schon        ihm nicht gestellte Frage eine selbstgerechte Antwort        Hause gebracht). Als Re-Import entstanden daraus der
    erfahren, die glatt vergessen lassen könnte, dass das                  zusammen in der Hardcore-Band The 244GL, Paul             gibt, ist immer noch ziemlich unausstehlich, nur leider      US-Hardcore der Achtziger sowie Grunge und Melodic
    oben angedeutete natürlich nicht ganz von der Hand zu                  Barsch, der andere Gitarrist der Band, machte einst       nicht punkig. Es erinnert an den angeschickerten             Hardcore. Bands wie Nirvana, The Offspring oder
    weisen ist.                                                            unter anderem mit Julith Krishun und The Tangled          Großpapa auf der Familienfeier, der zwanghaft überall        Green Day haben in den Neunzigerjahren so viele
       Statt wahlweise mit Tod und Teufel oder heroischen                  Lines von sich reden. Henzler ist überdies seit Jahren    seinen Senf dazu geben muss.                                 Platten verkauft wie keine Punk-Band vor ihnen.
    Mythenerzählungen – wenn nicht gleich beidem                           als Toningenieur und Produzent unter anderem im               Was über den Streit in den Hintergrund getreten ist:         Diesen Bogen zeichnet ›Punk‹, die Serie, nach,
    zugleich – zu kokettieren, erkundeten Formationen wie                  Oldenburger Studio Die Tonmeisterei aktiv.                Das Podium sollte eigentlich eine vierteilige, von Iggy      indem sie Protagonist/innnen selbst erzählen lässt.
    Sunn o))) oder Liturgy vor allem das musikalische                          Gemeinsam spielen sie nun eine instrumentale          Pop koproduzierte, Doku-Serie über die Geschichte des        Meist nimmt pro Band ein Mitglied auf dem Sofa vor
    Material des Heavy Metal. Erstere verlangsamten es                     Musik, die trotz der Hardcore-Vergangenheit der           Punk promoten. Im Original schlicht ›Punk‹ betitelt,         einem Plattenspieler Platz. Die Idee, wegweisende
    radikal, Zweitere setzten dem im besten Fall eher                      Musiker ganz eindeutig im Metal verwurzelt ist, aber      ist die im Netz nur schwer aufzutreibende Serie nun          Songs einzuführen, indem sie gehört werden, ist
    ironischen, im schlechtesten todernst gemeinten                        mit den Vorgaben des Genres nach eigenen Regeln           als ›The True Story of Punk‹ in der ZDF-Mediathek zu         einfach, aber geschickt: Henry Rollins‘ Reaktion auf
    Satanismus des Black Metal eine eigene Philosophie                     spielt. An Killl und Orthrelm erinnert ›Symposium‹        sehen. Allerdings nur in einer Fassung, in der Syn-          ›Anarchy in the UK‹ etwa lässt erahnen, was diese Num-
    entgegen. Nicht nur in diesen beiden Fällen öffneten                   wegen der Abwesenheit von Gesang und der Reduktion        chronstimmen über den Originalton quatschen.                 mer dem früheren Black-Flag-Frontmann bis heute
    sich damit für viele Hörer, die mit Metal eigentlich                   auf Gitarre und Schlagzeug sowie das virtuose Spiel mit       Nun ist die Geschichte des Punk als Musikstil und        bedeutet. Mit Jello Biafra haben die Macher/innen
    nicht viel anfangen konnten, neue Wege ins Genre. Was                  Wiederholungen, an Liturgy könnten die flirrenden, eng    Jugendsubkultur schon einige Male aufgerollt worden.         sicherlich den relevantesten Gesprächspartner aus den
    dann übrigens auch das Phänomen des ›Metal Hipsters‹                   verzahnten Gitarren denken lassen. In drei zwischen       Eine ›wahrere‹ (oder gar vollständigere) Geschichte als      heillos zerstrittenen Dead Kennedys eingeladen, aber
    in die Welt brachte, der es immerhin bis ins ›Urban                    sechs und gut zwölf Minuten langen Stücken oft mit        etwa die Bücher von Gillian McCain und Legs McNeil           auch Widersprüche ausgespart. Alleine vor der Kamera
    Dictionary‹ schaffte und auf diversen Message-Boards                   strengen Formen, aber auch mit einem Hang zu              oder Jon Savage erzählt die Serie freilich nicht. Aber sie   ist John Lydon übrigens immer noch ein unterhaltsa-
    heiß diskutiert wurde. Ein Blick ins Netz in diesem                    Klangflächen, die an Glenn Branca erinnern, arbeiten      liefert einen ziemlich brauchbaren Rundumschlag zur          mer Geschichtenerzähler, auch wenn der 2010 gestorbe-
    Sinne ist durchaus unterhaltsam. Und deutet an, dass                   Lésions Graves, gelegentlich der Minimal Music            Geschichte des Punk in Großbritannien und den                ne Malcolm McLaren sich nicht mehr dagegen wehren
    das, was unter diesem Begriff gehandelt wird, zumin-                   verwandt, mit jeweils begrenztem rhythmischem,            Vereinigten Staaten.                                         kann, wenn Lydon sich über ihn lustig macht.
    dest neue Wege im Genre beschreitet oder ob seiner                     harmonischem und melodischem Material, das sie dann           Die Kurzfassung lautet ungefähr so: Bereits in den
    ästhetischen Errungenschaften eben nicht nur für echte                 konsequent bearbeiten. Dabei klingen die Ergebnisse       ausgehenden Sechzigerjahren ist in den USA ein                 The True Story of Punk:
    Metalheads von Interesse ist. Aber wir schweifen ab.                   zwar metallisch kühl, zugleich versprüht ›Symposium‹      Stil entstanden, der im Umfeld des New Yorker Club             www.zdf.de/dokumentation/zdfinfo-doku/the-true-
       Bands wie Killl, Liturgy, Orthrelm oder Meshuggah                   aber eine enorme Spielfreude.                             CGBG‘s schließlich ›Punk‹ getauft werden sollte.               story-of-punk-die-geburt-100.html
    jedenfalls sind einige weitere, die dem Heavy Metal in                                                                           Spätestens bei den Ramones klang das dann auch so,
    der jüngeren Vergangenheit neue Türen und ein neues                       Lésions Graves:
    Publikum öffneten. Und die, zumindest als grobe                           Symposium (God Records; erhältlich unter
    Koordinaten verstanden, erahnen lassen, was bei der zu                    anderem unter lesionsgraves.bandcamp.com)

                                                                                                                                                                                                                                                       Foto: Thomas Schäfer
                                             Foto: Tho m a s S ch ä fe r
KULTUR IN DER - Kulturzentrum Schlachthof
THE   12                                                                                                                                                                                                   13
                      MA
                                                                                                     freizeit

                                      g g e  r
  We proudly present: Unsere neuen Kneipiers!

                                  L u
       Kimbo, Buddle und Madde haben sich für ein Aben-
       teuer entschieden: Sie kommen in den Schlachthof,

                                              g g e
       übernehmen die Kneipe, geben ihr einen neuen
                                            u       r
                                          L
       Namen und machen alles neu. Das ist auch nötig,
       denn so leer war die Kneipe noch nie, alles ist raus,
       beste Grundlage, um mit einem neuen Konzept durch-
       zustarten: ›Der Name Lugger (Bezeichnung des Segels
       am Torfkahn) drückt nicht nur das maritim angehauch-
       te Konzept aus, sondern zeigt auch, dass wir uns dem
       Stadtteil Findorff eng verbunden sehen. Wir wollen
       in erster Linie eine gemütliche Kneipe mit origineller
       Küche und einer der coolsten Biergärten Bremens                       JAN PHILIPP STANGE
       sein.‹ So beschreiben sie ihre Idee und die ist nicht in
       einer Schnapslaune entstanden, sondern fußt auf                       ›HARD FEELINGS‹
       Erfahrung.
          Björn ›Buddle‹ Ladehoff ist seit über 20 Jahren als
       Technischer Leiter für Tourneeproduktionen internatio-
       nal unterwegs. Mittlerweile ist der Meister der Ver-
       anstaltungstechnik als Projektleiter für die Planung
       von Tourneen und Großveranstaltungen verantwort-
       lich. Matthias ›Madde‹ Mecking ist Kaufmann und mit
       Buddle Gesellschafter und Hintergrundgestalter.
          Stefan ›Kimbo‹ Gräfe wird man dagegen täglich
       im Lugger antreffen. Er war lange im Fehrfeld und im
       Papp aktiv sowie zuletzt im Cafe Sylvette in der
                                                                                                     Dota                                                                                   0 8 M Ä R Z MO // C L U B 1 0 0 I M P I E R 2

       Kunsthalle. Er ist zudem bei den Kulturkraken enga-                                           TA R N M A N T E L A U S S A N F T E M M Ä D C H E N P O P
       giert und einer der Macher von ›Lichter der Neustadt‹
                                                                                                     In nur achtzehn Jahren hat die Singer-Songwriterin und Gitarristin von jemand anderem vertont. Und der Ton der Texte Mascha Kalé-
       – aber trotzdem seit einigen Jahren begeisterter
                                                                                                     Dota Kehr fünfzehn Alben aufgenommen und veröffentlicht (Live- kos verbindet sich – wieder – wie von selbst mit der Musik. Sach-
       Wahl-Findorffer.                                                                              Alben eingerechnet). Zuerst unter dem Namen Kleingeldprinzessin, lich und lakonisch, genau in der Beschreibung, aber von einer Emo-
          Wir finden, das passt! Zu uns, zum Haus und zu                                             unter dem sie einst als Straßenmusikerin auftrat mit einer Band, tionalität, die das Ganze nie kühl wirken lässt. Die Beschreibung
                                                                             #comingsoon             die sich Die Stadtpiraten nannte. Die Lieder von Dota beschönigen einer Liebe zum Beispiel: ›Hinter jedem Abschied steht ein Warten
       Findorff.
                                                                                                     nichts, sind bei aller Direktheit und Ehrlichkeit jedoch nie herunter- / Wenn dein Schritt verhallt ist, sehn ich mich / Wenn du kommst,
          Gudrun Goldmann
                                                                                                     ziehend. Was nicht nur an den lebensbejahenden Texten liegt, die ist jeder Tag ein Garten / aber wenn du fort bist, lieb ich dich‹.
                                                                                                     Dota Kehr mit glasklarer Stimme singt, sondern auch an der Musik:          Die Klarheit und Schönheit der Sprache Kalékos entfalten ge-
                                                                                                     einem Folk- und Chanson-beeinflussten und mit Jazz- und Bossa- sungen von Dota Kehr einen wundervollen Zauber. Umso mehr, als
                                                                                                     Nova-Einsprengseln versehenen Pop.                                     die Dichterin wusste, was es heißt, nicht oder missverstanden zu
                                                                                                         Diese Musik ist, wie auch auf dem vorletzten Album ›Die Frei- werden. Mascha Kaléko hat die auch durch Sprache nicht ohne
                                                                                                     heit‹ wieder zu hören war, von einer wundervollen Leichtigkeit. So, Weiteres zu überwindenden Grenzen zwischen den Menschen im-
                                                                                                     als schrieben sich die Texte wie von selbst. Auf ›Die Freiheit‹ tönen mer wieder in ihren Zeilen beschrieben. ›Du zahlst für jedes kleine
                                                                                                     die Stücke samtig und kristallklar. Aber der erste Eindruck täuscht, Wort auf Erden, für jedes Mal, da du das Schweigen brichst. So tief

                                   Für Ihr gutes Recht!
                                                                                                     wie ein Rezensent auf musikblog.de richtig bemerkte, da ist noch du liebst, wirst du verwundet werden und missverstanden fast, fast
                                                                                                     mehr: ›Der Tarnmantel aus sanftem Mädchenpop hüllt das gesam- so oft du sprichst‹, singt Dota Kehr. Eines der schönsten Singer-
                                                                                                     te Album ein. Dabei besingt Dota die Generation Y, ohne sie zu Songwriter-Alben des Jahres.
                                                                                                     bedauern, sie beobachtet bloß.‹                                                                                        MARTIN STEINERT

                                   Beratung bei Fragen zu Vertrag, Lohn,                                Auch das neue Album ›Kaléko‹ scheint so selbstverständlich ➟ Pier 2, 20 Uhr (Einlass 19 Uhr) // Tickets: 24,90 €
                                                                                                     entstanden zu sein, wie andere Menschen atmen: ›Ein Konzertbe-            Streaming-Tickets unter https://www.club100-bremen.de
                                   Kündigung – kostenlos und vertraulich                             sucher hatte mir ein Buch geschenkt. Das hat mich ziemlich ange-          Präsentiert vom Kulturzentrum Schlachthof
                                                                                                     sprochen, die Texte. Ich habe eigentlich schon sehr bald begonnen,
                                   Sie haben Fragen zu Ihrem Arbeitsverhältnis? Unsere Juristinnen   Melodien darin zu hören, wenn ich die gelesen habe. So hat es sich      Der Club100 ist ein solidarisches Veranstaltungs- und Streamingprojekt für
                                   und Juristen beraten Sie kostenlos und umfänglich.                mit einer großen Leichtigkeit wie von selbst ergeben.‹ Das Buch:        Bremer Clubs und Veranstalter*innen in den Räumlichkeiten des Pier2, ge-
                                   Für Ihr gutes Recht.
                                                                                                     eine Sammlung von Gedichten Mascha Kalékos, einer Autorin der           fördert durch die Senatorin für Wirtschaft, Arbeit und Europa und die Wirt-
                                                                                                     Weimarer Republik, die der Neuen Sachlichkeit zugerechnet wird          schaftsförderung Bremen. Der Schlachthof ist im März mit dem Konzert von
                 ARBEIT & RECHT                                        Weitere Informationen         und die 1938 in die USA emigrieren musste. ›Kaléko‹ ist das erste       Dota beteiligt. Wir stellen in dieser Ausgabe das Märzprogramm des Club100
                                  www.arbeitnehmerkammer.de             0421 .3 63 01-11             Album, auf dem Dota keine eigenen Texte singt, sondern die Texte        vor. Weitere Veranstaltungen und Infos hier: www.club100-bremen.de.
Fo tos : Thomas Sch äfer
KULTUR IN DER - Kulturzentrum Schlachthof
FREI    14                                                                                                                                                                                                                                                15
     ZEIT

05 MÄR Z FR / / C L U B 1 0 0 I M P I E R 2    Slammer Filet                                                                                 24 MÄRZ MI // C L U B 1 0 0 I M P I E R 2         Miss Allie
                                               BEST OF POETRY SLAM                                                                                                                             DIE KLEINE SINGER-SONGWRITERIN MIT HERZ

                                               Das Slammer Filet hat in Bremen vor Jahren schon das Erbe von Meister Propper’s                                                                 Akustikgitarre, Singer-Songwritertum und Comedy, das geht nicht von Haus aus zusam-
                                               Poetry Slam angetreten, der Reihe der 2009 verstorbenen Viertel-Legende Günther                                                                 men. Miss Allie ist das gelungen, auf ihrem zweiten Album, ›Mein Herz und die Toilette‹,
                                               Kahrs. Poetry Slams verstehen die Organisator*innen vom Slammer Filet als ›lodernde                                                             ihrer ersten deutschsprachigen Platte. Auf die Frage, um was es in ihren Songs geht,
                                               Dichter*innenwettstreite, bei denen die Poet*innen den Zuhörer*innen ihre Texte ent-                                                            antwortet sie: ›Es geht unter anderem um Selbstmord, Vergewaltigung, Parentifizierung,
                                               gegenschleudern und auf eine gute Wertung durch das Publikum hoffen‹. Das ist – wer                                                             häusliche Gewalt, Krieg, Heimweh, Selbstverwirklichung, Klischees brechen, offene Be-
                                               dabei war, kann es bestätigen – kein leeres Versprechen. Im Club100 präsentiert das                                                             ziehungen und natürlich auch um Liebe.‹ Klingt erst mal bedrohlich und stimmt auch
                                               Slammer Filet eine Auswahl der talentiertesten und erfolgreichsten Wortkünstler*innen                                                           nicht wirklich. Miss Allie ist eine Kunstfigur, ›die kleine Singer-Songwriterin mit Herz‹,
                                               Deutschlands, die auf der Bühne des Pier2 unter Leitung von Slammer-Filet-Urgestein                                                             aber hinter der hervorgekehrten Niedlichkeit verbirgt sich saftiger Sarkasmus. Und ein
                                               Sebastian Butte zum exquisiten Wettbewerb der Bühnenliteratur gegeneinander antre-                                                              Wissen um die Untiefen der Heteronormativität. ›Schweinesteak medium‹ zum Beispiel
                                               ten werden. Es wird heiter und tiefsinnig, laut und leise, poetisch und rasant, spektaku-                                                       ist eine pädagogisch wertvolle Wunschliste, die sehr komisch ist und trotzdem lebens-
                                               lär und mitreißend: Live-Literatur in ihrer lebendigsten Form. Und das Publikum be-                                                             weise: ›Ich wünschte, ich wäre sein Computer, den fasst er jeden Tag an / Ich wäre so
                                               stimmt, wer am Ende des Abends siegreich nach Hause geht.                                                                                       gerne sein Sofa, auf dem liegt er ständig drauf‹. Und natürlich: ›Nicht lachen, das ist
                                                                                                                            HANS AST                                                           ernst‹.                                                                      HANS AST
                                               ➟ Pier 2, 20 Uhr (Einlass 19 Uhr) // Tickets: 13,90 €
                                                  Streaming-Tickets unter https://www.club100-bremen.de                                                                                        ➟P
                                                                                                                                                                                                 ier 2, 20 Uhr (Einlass 19 Uhr) // Tickets: 24,90 €
                                                                                                                                                                                                Streaming-Tickets unter https://www.club100-bremen.de
                                                                                                                                                                                                Präsentiert von Kulturbüro Nord

0 6 MÄR Z SA // C L U B 1 0 0 I M P I E R 2    Grillmaster Flash                                                    Gunner Records           26 MÄRZ FR // C L U B 1 0 0 I M P I E R 2         Antilopen Gang
                                               HÄNGEN MIT DEN JUNGS                                                                                                                            ADRENOCHROM

                                               Bremen-Blumenthal in den Neunzigerjahren. Bier trinken, auf dem Fahrrad durch die                                                               Deutscher HipHop mit politischem Anspruch und immer schön destruktiv-sarkastisch.
                                               norddeutsche Tiefebene, zum nächsten Konzert, abhängen mit den Jungs. Das autobio-                                                              ›Wenn das der Stand linker Politmusik wäre, dann könnte man bald zufrieden sein mit
                                               grafische Moment war schon auf dem 2014 erschienenen Debütalbum von Grillmaster                                                                 dieser Welt‹, schrieb Jan-Paul Koopmann zuletzt im Z-Magazin, als man noch unbe-
                                               Flash, ›Andere Leude My Ass‹, sehr stark. Der Grillmaster ist Jahrgang 1983 und er spielt                                                       schwert auf Antilopen-Gang-Konzerten durch den Raum springen konnte. ›Ist er aber
                                               denkbar wertkonservativen Alternative Rock. Was ein Kompliment ist in diesem Zusam-                                                             nicht. Die Antilopen Gang sind die Einzigen, die es so traumschön hinkriegen, ihr Genre
                                               menhang. Auf dem neuen Album ›Stadion‹ gelingt es ihm, auch ein Vierteljahrhundert                                                              zu bedienen, linke Bewegungsgeschichte runterzurattern und auch noch sagen zu kön-
                                               nach der Gründung der Sportfreunde Stiller, Textzeilen wie ›Ich brauch jetzt nen Bier /                                                         nen, was daran besser werden muss.‹ Auf den zwei 2020 erschienenen Alben ›Abbruch
                                               aber nicht hier‹ so zu singen, dass es nicht nur überzeugend, sondern auch so klingt,                                                           Abbruch‹ und ›Adrenochrom‹ auch wieder. Ironie und Selbstironie, die um die Wider-
                                               dass man versteht, wie sich eine Adoleszenz am Rande der großen Stadt so anfühlt.                                                               sprüche und Selbstwidersprüche wissen, die es mit sich bringen, wenn man im 21.
                                               Abgeklärtheit ist hier das Mittel der Wahl und macht den Weg frei zur Party: ›Es geht mir                                                       Jahrhundert als radikaler Linker durch die deutsche HipHop-Landschaft randaliert. Die
                                               gut, denn ich kann sehen, dass wir alle pleite gehen / Das Geld geht aus / Es wird be-                                                          gewohnt martialische Kriegserklärung, die bei der Antilopen Gang aber immer sehr
                                               quem / weil wir alle pleite gehen‹. Dazu immer alle zusammen auf die Zwei und auf die                                                           charmant klingt, gibt es obendrauf: ›Der Angriffskrieg beginnt, jeder beugt sich der
                                               Vier. Rockt. Bremen-Blumenthal. Merkt es euch.                                                                                                  Macht, ja. Wenn wir fertig sind, dann ist Deutschland Agrarland.‹ MARTIN STEINERT
                                                                                                                 MARTIN STEINERT                                                              ➟ Pier 2, 20 Uhr (Einlass 19 Uhr) // Tickets: 28,20 €
                                               ➟ Pier 2, 20 Uhr (Einlass 19 Uhr) // Tickets: 13,90 €                                                                                             Streaming-Tickets unter https://www.club100-bremen.de
                                                  Streaming-Tickets unter https://www.club100-bremen.de                                                                                          Präsentiert von Koopmann Concerts
                                                 Präsentiert von Gunner Records

13 M ÄR Z SA / / C L U B 1 0 0 I M P I E R 2   Selig                                                                                       0 6 – 10 A P R D I – SA / / S C H L A C H T H O F   FREI RAUS! Klappe die Erste
                                               MYRIADEN                                                                                                                                                W O R K S H O P D E R M E D I E N W E R K STAT T

                                               Sechs Jahre dauerte die erste Schaffensphase von Selig. 1993 in Hamburg gegründet,                                                                      In den Osterferien wird der erste Filmworkshop der Medienwerkstatt
                                               gelang der Band um Sänger Jan Plewka etwas, was im deutschsprachigen Rock nur sehr                                                                      Schlachthof des Jahres stattfinden. Weitere sind für den Sommer und den
                                               selten gelingt: eine Verbindung von Grunge und Seventies-Rock, die im guten Sinne                                                                       Herbst geplant. Die Teilnehmer*innen lernen während der fünf Tage die ver-
                                               authentisch klang und knallte, mit Texten, die sofort auf den Punkt kommen und trotz-                                                                   schiedenen Tätigkeiten des Filmschaffens kennen, von der Idee bis zum fer-
                                               dem voller schöner Metaphern sind. In einem Song wie ›Ist es wichtig?‹ (um nur einen                                                                    tigen Film: wie man eine spannende Geschichte erfindet, ein kleines Dreh-
                                               von vielen zu nennen) findet man Gitarrensoli, mehrere, die aus den Vollen schöpfen                                                                     buch schreibt, Kamera und Regie führt und eine Rolle spielt. Das lernen die
                                               und trotzdem nichts Poserhaftes haben. Damals wurden Selig von der Musikkritik nicht                                                                    Jugendlichen bei der gemeinsamen Produktion eines Kurzfilms, der am Ende
                                               nur geschätzt. Die Qualitäten der Band wurden vielen erst im Rückblick klar, nach der                                                                   des Workshops Premiere vor Publikum hat. Spätestens dann merken auch
                                               überraschenden Auflösung 1999. Zehn Jahre später legten Selig wieder los, mit einem                                                                     die Eltern, Freundinnen und Freunde, wie viel Spaß die jungen Filmemache-
                                               ihrer besten Alben, ›Und endlich unendlich‹. Und am 12. März 2021 erscheint ihr achtes,                                                                 r*innen hatten und dass sehenswerte Filme nicht nur von Profis gemacht
                                               ›Myriaden‹. Das im Vorfeld veröffentlichte Titelstück lässt auf Großes hoffen. Ein                                                                      werden. Für Jugendliche von 11 bis 13 Jahren.
                                               Midtempo-Rocker mit einem nachdenklichen Text, gesungen von Plewka mit gewohnt                                                                          ➟ Termine: Dienstag, 6. April bis Samstag 10. April // 10 bis 16 Uhr
                                               rauer Stimme – eines der besten Stücke der Band. Und live sind Selig eh eine Wucht,                                                                       Teilnahmegebühr (inkl. Mittagessen):
                                               seit 1993 und von da an konstant.                                        HANS AST                                                                        70 bis 100 € (nach Selbsteinschätzung) // ermäßigt 30 € Euro
                                               ➟ Pier 2, 20 Uhr (Einlass 19 Uhr) // Tickets: 38,45 €                                                                                                    Anmeldung bis 16. März per Mail an medien@schlachthof-bremen.de
                                                  Streaming-Tickets unter https://www.club100-bremen.de
                                                 Präsentiert von Revue Konzert & Veranstaltungs GmbH
KULTUR IN DER - Kulturzentrum Schlachthof
MÄRZ/APRIL 2021                                           schlachthof
                                                                          Dota 0 8 . M ä rz                MÄRZ
                                                                                                Fr 05 Slammer Filet | Best of Poetry Slam |
                                                                                                      CLUB100 im Pier 2, 20 Uhr

                                                                                              Sa 06 Grillmaster Flash | Konzert |
                                                                                                    CLUB100 im Pier 2, 20 Uhr
                                                                                                    präsentiert von Gunner Records

                                                                                              Mo 08 Dota | Konzert |
                                                                                                    CLUB100 im Pier 2, 20 Uhr
                                                                                                    präsentiert vom
                                                                                                    Kulturzentrum Schlachthof

                                                                                               Sa 13 Selig | Konzert |
                                                                                                     CLUB100 im Pier 2, 20 Uhr
                                                                                                     präsentiert von Revue
                                                                                                     Konzert & Veranstaltungs GmbH

                                                                                               Mi 24 Miss Allie | Konzert |
                                                                                                     CLUB100 im Pier 2, 20 Uhr
                                                                                                     präsentiert vom Kulturbüro Nord

                                                                                                Fr 26 Antilopen Gang | Konzert |
                                                                                                      CLUB100 im Pier 2, 20 Uhr
                                                                                                      präsentiert von Koopmann Concerts

                                                                                                                      APRIL

                                                                                                          Di 06 FREI RAUS! Klappe die Erste
                                                                                                             bis
                                                                                                          Sa 10 | Film-Workshop der
                                                                                                                 Medienwerkstatt |
                                                                                                                 Schlachthof, 10 bis 16 Uhr

                                                                       F REI RAU S! 0 6 . –10 . A pril

  // I M P R E S S U M
                                                                                                                                                                  Schlachthof
Hera usgeb e r : Kulturzentrum Schlachthof e.V., Findorffstraße 51, 28215 Bremen, Büro: Mo–Fr: 10–19 Uhr, Fon: 04 21/37 77 50, Fax: 3 77 75 11, zett@schlachthof-bremen.de,
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Jörg Möhlenkamp, Benjamin Moldenhauer, Marlis Schuldt G ra f i s ch e G e stalt ung: Jörg Möhlenkamp, Marlis Schuldt B e i t r ä ge : Hans Ast, Barbara Bocks,
Nicole Moosmüller, Andreas Schnell, Martin Steinert, Dierck Wittenberg F o to s / I l l u st r a t i o n : Thomas Schäfer (Titel), Bjørg Rühs (Kulturgut), Dennis Dirksen,
Philipp Eisermann, Marianne Menke, Kay Michalak, Harald Reling, Katja Ruge, Thomas Schäfer, Annika Weinthal, Jens Werner | Die Bildrechte liegen,
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