Kulturpolitik neu denken - Neue Ansätze in der Kulturförderung - Dokumentation der Kulturkonferenz der Ständigen Kulturpolitischen Konferenz der ...

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Kulturpolitik neu denken - Neue Ansätze in der Kulturförderung - Dokumentation der Kulturkonferenz der Ständigen Kulturpolitischen Konferenz der ...
Kulturpolitik neu denken –
Neue Ansätze in der Kulturförderung
Dokumentation der Kulturkonferenz der Ständigen
Kulturpolitischen Konferenz der Partei DIE LINKE.
am 31. Mai 2013 im Pfefferberg in Berlin
Kulturpolitik neu denken - Neue Ansätze in der Kulturförderung - Dokumentation der Kulturkonferenz der Ständigen Kulturpolitischen Konferenz der ...
Inhaltsverzeichnis

Vorbemerkung                                      3
Programm der Konferenz                            5

Protokoll:
I. Kulturpolitik neu denken – neue Heraus­
forderungen, neue Ansätze für Kulturpolitik
und Kulturförderung im 21. Jahrhundert
Begrüßung Dr. Annette Mühlberg
und Elli Strauven-Dejean                          7
Tobias J. Knoblich:
Zwischen Kreativität und Kulturinfarkt.
Was heißt heute konzeptbasierte
Kulturpolitik und was kann sie leisten?           9
Klaus Schöpp: Ansätze für eine zeitgemäße
Kulturförderung – »Hochkultur« oder
»Freie Szene«, ist das noch die Frage?
Forderungen der Koalition der Freien Szene       20
Dr. Lukrezia Jochimsen:
Kultur für alle – Jetzt erst recht!              28
Erstes Podium: Neue Ansätze für
Kulturpolitik und Kulturförderung                31

II. Kulturförderung neu denken – Initiativen
und Konzepte in den Ländern und Kommunen
Olaf Zimmermann:
Der Kulturkonvent in Sachsen-Anhalt –
Ein verallgemeinerungsfähiges Modell?            43
Prof. Dr. Matthias Theodor Vogt:
Mittelstädte sind kulturelle Zentren eigener Art.
Ihre Förderung am Beispiel des Sächsischen
Kulturraumgesetzes                                52
Katrin Framke: Initiativen der Linken
zur Kultur­förderung in den Ländern –
Ein Überblick                                    61
Zweites Podium: Kulturförderung in
Flächenländern – Initiativen und Konzepte        63
Drittes Podium: Kulturförderung in
Großstädten/Stadtstaaten                         72
Dr. Annette Mühlberg: Fazit und Ausblick         82

Anlagen
Selbstdarstellung Ständige
Kulturpolitische Konferenz                       83
Auszug aus dem Bundestags-
wahlprogramm 2013 zur Kultur                     84
Selbstdarstellung
Pfefferwerk Stadtkultur gGmbH                    86
                                                       1
Kulturpolitik neu denken - Neue Ansätze in der Kulturförderung - Dokumentation der Kulturkonferenz der Ständigen Kulturpolitischen Konferenz der ...
Partei DIE LINKE.
Ständige Kulturpolitische Konferenz
Kleine Alexanderstraße 28, 10178 Berlin
Tel. 030/24009-357
E-Mail: gert.gampe@die-linke.de
V.i.S.d.P.: Gert Gampe
Redaktion: Dr. Annette Mühlberg
Redaktionsschluss: April 2014
Titelbild: »Berlin Pfefferberg 2013« aus der Bilder­
serie »Berlin Häuserflucht«, Stefan Paubel, 2013
Satz und Herstellung: MediaService GmbH
Druck und Kommunikation
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Vorbemerkung
                                                                                                                  ››

Vorbemerkung

Am 31. Mai 2013 diskutierten im Pfefferberg in            einen Antrag für ein Kulturfördergesetz in den
Berlin Mitglieder der Ständigen Kulturpolitischen         Landtag eingebracht. Er wurde mit der Begründung
Konferenz der Partei DIE LINKE. mit verschiedenen         abgelehnt, dann solle man doch besser gleich
Akteuren aus Politik, Wissenschaft und der Kultur­        einen Gesetzentwurf machen. Das will die Links-
szene auf einer eintägigen Beratung über neue             fraktion nun tun. Am 10. Januar 2014 verständigte
Herausforderungen und neue Ansätze für Kultur­            sich die Landtagsfraktion auf einer Klausur über
politik und Kulturförderung.                              Eckpunkte für ein Kulturfördergesetz in Mecklen-
                                                          burg-Vorpommern.
Wir dokumentieren im Folgenden die Debatte dieses
Tages. Hier zum Eingang ein kurzer Überblick über         In Sachsen-Anhalt hat sich über 14 Monate ein
den Verlauf der Diskussion und deren Ergebnisse:          Kulturkonvent mit der Situation und den Perspek­
Kulturelle Vielfalt braucht auch weiterhin öffentliche    tiven der kulturellen Infrastruktur beschäftigt.
Förderung. Daran bestand für die Anwesenden kein          Olaf Zimmermann (Geschäftsführer des Deutschen
Zweifel. Neu aber muss bedacht werden, in welcher         Kulturrates und Moderator des Kulturkonvents
Weise sie künftig zu gestalten ist.                       Sachsen-Anhalt) fasste dessen Ergebnisse und
                                                          Erfahrungen zusammen und ging der Frage nach,
Tobias J. Knoblich (Vizepräsident der Kulturpoli-         ob dies ein verallgemeinerungsfähiges Modell auch
tischen Gesellschaft e. V.) beschrieb in seinem           für andere Länder sei. Das Besondere dieses
Einstiegsreferat mit dem Titel »Zwischen Kreativität      Konvents war seine Zusammensetzung. Er war kein
und Kulturinfarkt: Was heißt heute konzeptbasierte        kleines Expertengremium, sondern bot ein breites
Kulturpolitik und was kann sie leisten?« die derzei-      Abbild der Gesellschaft des Landes Sachsen-
tige Situation in der Theoriebildung und kultur­          Anhalt. Er war breit demokratisch legitimiert, es
politischen Praxis und zeigte Möglichkeiten und           wurde gemeinsam an Lösungen gearbeitet. Des-
Grenzen konzeptbasierter Kulturpolitik auf. Klaus         halb sei dieser Konvent ein nachahmenswertes
Schöpp (Musiker und Sprecher der Koalition der            Modell für andere Länder – meinte Olaf Zimmer-
Freien Szene, Berlin) setzte sich mit dem Verhältnis      mann. Allerdings verdeutlichte er auch, dass das
von Hochkultur und Freier Szene auseinander und           eigentliche Problem nun in der Umsetzung der
erläuterte die Forderungen der Koalition der Freien       Empfehlungen des Konvents liege, denn die Spar-
Szene an die Politik. Gerade hier wurde deutlich,         beschlüsse in Sachsen-Anhalt konterkarieren seine
dass es nicht so weitergehen kann wie bisher. Und         Ergebnisse. Es gelte nun gemeinsam für die Kultur
Lukrezia Jochimsen (MdB, Kulturpolitische Spreche-        in Sachsen-Anhalt zu streiten.
rin der Bundestagsfraktion DIE LINKE.) erneuerte
den Anspruch einer »Kultur für alle«. Um diesen           Prof. Dr. Matthias Theodor Vogt (Professor für
einzulösen, müssen wir eine Diskussion über unsere        Kulturgeschichte und Kulturpolitik an der Hoch-
öffentlichen Güter anstoßen, zu denen Kultur              schule Zittau/Görlitz, Geschäftsführender Direktor
weitgehend gehört. Stellen wir doch allerorten fest,      des Instituts für kulturelle Infrastruktur Sachsen)
dass diese Gemeingüter der Bevölkerung genom-             referierte über Mittelstädte als kulturelle Zentren
men und vorenthalten, dass sie zerstört oder              eigener Art und ihre Förderung am Beispiel des
kommerzialisiert werden. Dagegen müssen wir               Sächsischen Kulturraumgesetzes, welches er
politisch angehen, aktuell vor allem bei der Diskus-      maßgeblich mit auf den Weg gebracht hatte.
sion um das Freihandelsabkommen der Europä-               Sein Resümee lautete, dass durch die Pflichtauf­
ischen Union mit den USA – war ihr Plädoyer.              gabe Kultur im Sächsischen Kulturraumgesetz die
                                                          Garantie von Artikel 28 Grundgesetz und Artikel 82
In der anschließenden Podiumsdiskussion wurde             Sächsische Verfassung, nämlich Gestaltungshoheit
über vorhandene Ansätze für eine neue Kulturpoli-         der Kommunen, überhaupt erst hergestellt worden
tik und Kulturförderung – nicht zuletzt auch am           sei. Und deshalb wäre es in der Tat gut, einen
Beispiel von Mecklenburg-Vorpommern – disku-              Artikel im Grundgesetz zu haben, mit dem Kultur
tiert. Dort engagiert sich eine Volksinitiative für den   zur Pflichtaufgabe wird und einen entsprechenden
Erhalt der Theater- und Orchesterlandschaft. Dafür        in allen Landesverfassungen.
braucht es eine verlässliche längerfristige Förde-
rung. Zum Schutz von Kultur sollten verpflichtende        In den folgenden zwei Podiumsdiskussionen wurde
Regelungen zur Förderung von Kultur auf Landes-           über Initiativen und Konzepte zur Kulturförderung
und Bundesebene geschaffen werden. Linksfrakti-           in Flächenländern einerseits und Großstädten/
on und Grüne hatten zum Anfang des Jahres 2013            Stadtstaaten andererseits mit ihren jeweils spezi-

                                                                                                             3
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››   Kulturpolitik neu denken – Neue Ansätze in der Kulturförderung

     fischen Rahmenbedingungen diskutiert. Interes-                   und außerparlamentarische Aktivitäten erhalten,
     sant waren hier insbesondere die Erfahrungen                     die ernsthaft weiter verfolgt und umgesetzt werden
     der LINKEN in Sachsen bei der Entwicklung von                    müssen. Das reicht von den Kulturfördergesetzen
     kulturpolitischen Leitlinien und ihrer breiten                   über die Formulierung von kulturpolitischen
     öffentlich Diskussion. Ähnlich die öffentliche                   Leitlinien, nicht nur in einem Land, bis hin zum
     Debatte über den Vorschlag für ein Kulturförder­                 Einfordern einer »kulturellen Ausnahme« bei den
     gesetz der Linksfraktion in Thüringen. Auch in                   Verhandlungen zum Freihandelsabkommen zwi-
     Hamburg oder Berlin könnte ein Kulturfördergesetz                schen der Europäischen Union und den USA. Wir
     hilfreich sein, allerdings sind dort andere Gegeben-             werden der Frage nachgehen, wo und in welcher
     heiten zu beachten. In Berlin gab es dafür ja schon              Weise es sinnvoll ist, Ähnliches wie das Sächsische
     Ansätze. Wolfgang Brauer (Kulturpolitischer                      Kulturraumgesetz oder Beteiligungsformen wie den
     Sprecher der Linksfraktion in Berlin) sprach sich                Kulturkonvent auf den Weg zu bringen. Der Forde-
     für ein Landeskulturgesetz anstelle von vielen                   rungskatalog der Koalition der Freien Szene in
     Einzelkulturgesetzen aus. Darin sollte erstens                   Berlin enthält für uns ein ganzes Bündel von
     festlegt werden, dass das Land Berlin Kultur                     Aufgaben zur Verbesserung der Situation von
     fördert und unterstützt und zweitens sollte sehr                 freiberuflich tätigen Kreativen. Mit den Forde-
     genau definiert werden, wofür der Senat zuständig                rungen stimmen wir in der Grundrichtung überein.
     ist, was die Landesebene zu machen hat und was                   Relevant sind sie nicht nur für diese eine Stadt.
     von den Bezirken als »Teilkommunen« erwartet                     Wir sind eine »Ständige Kulturpolitische Konferenz«
     wird. Klar werden muss, wie sich das Land selbst                 und werden uns mit den Themen, die im Mai
     in die Pflicht nimmt, um die Bezirke in die Situation            vergangenen Jahres diskutiert wurden, weiter
     zu versetzen, die zugewiesenen Aufgaben auch                     beschäftigen.1 Wir bedanken uns bei allen
     erfüllen zu können.                                              Mit­wirkenden für ihre Beiträge.

     Das Ergebnis des Tages lässt sich aus Sicht der
     Veranstalter kurz zusammenfassen: Wir haben eine                 Annette Mühlberg
     ganze Reihe von Anregungen für parlamentarische                  April 2014

                                                                      1 Mehr Informationen zu den kulturpolitischen Positionen und
                                                                      Initiativen der LINKEN finden Sie auf den Internet-Seiten der Partei
                                                                      DIE LINKE unter: http://www.die-linke.de/politik/positionen/
                                                                      kulturpolitik/

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Programm der Konferenz
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Programm der Konferenz

Fragestellung                                                     munen entwickelt worden, nicht zuletzt auch von
                                                                  der LINKEN. Dabei rücken Strategien einer »kon-
Kulturelle VieIfalt braucht auch weiterhin öffent-                zeptbasierten Kulturpolitik« mit der Entwicklung
liche Förderung. Daran besteht zumindest unter                    von Leitlinien, Plänen, Konzepten immer mehr in
Kulturpolitikerinnen und Kulturpolitikern kein                    den Mittelpunkt. Daneben werden vor allem
Zweifel. Die Frage aber ist, in welcher Weise diese               Forderungen nach gesetzlichen Regelungen zur
künftig zu gestalten ist. Sowohl die Rahmenbedin-                 Sicherung der »freiwilligen« Aufgabe Kultur und für
gungen als auch die Formen kultureller Arbeit                     einen gerechten Leistungs- und Nutzenausgleich
haben sich in den letzten Jahren entscheidend                     zwischen den Städten und ihrem Umland unter
verändert. Ein einfaches »Weiter so« kann es in                   Beteiligung der Länder lauter.
der Kulturpolitik und Kulturförderung nicht geben.
                                                                  Wir wollen auf der Kulturkonferenz den Fragen
Im neuen Grundsatzprogramm der Kulturpoli-                        nachgehen, welche Modelle, Konzepte und Strate-
tischen Gesellschaft werden die Herausforde-                      gien in Bund und Ländern zur Bewältigung dieser
rungen treffend beschrieben: »Die politischen,                    neuen Herausforderungen entwickelt wurden,
kulturellen und wirtschaftlichen Rahmenbedin-                     welche sich in der Praxis schon als tragfähig
gungen verändern sich weltweit grundlegend. Ein                   erwiesen haben und welche es sich noch auszupro-
tief greifender Strukturwandel hin zu einer digitalen             bieren lohnt. Wir laden herzlich zur Debatte über
und globalen Wissensgesellschaft schafft neue                     diese Fragen ein und hoffen auf eine anregende
Optionen, birgt aber auch Risiken. Die ökologische                Diskussion mit allen Anwesenden, auch über den
und finanzwirtschaftliche Krise sowie die demo­                   Kreis der Referentinnen und Referenten hinaus.
grafische und sozio-ökonomische Entwicklung
be­einträchtigen die Lebensgrundlagen zukünftiger
Generationen und bedrohen den sozialen Frieden.
Alle Politikbereiche sind aufgerufen, sich diesen                 Ablauf:
Herausforderungen zu stellen – auch die Kulturpoli-
tik! Notwendig sind alternative Gesellschaftsent-                 10.00–10.15 Uhr
würfe, die die kulturelle und soziale Teilhabe mit                Begrüßung: Dr. Annette Mühlberg (Bundes­sprecherin
nachhaltiger Entwicklung zusammen denken und                      der Ständigen Kulturpolitischen Konferenz) und Elli
dabei auch die Arbeits- und Produktionsbedin-                     Strauven-Dejean (Pfefferwerk Stadtkultur gGmbH)
gungen in der Kunst und in der Kulturwirtschaft
in den Blick nehmen.«2
                                                                  I. Kulturpolitik neu denken – neue Heraus­
Das heißt auch alternative Entwürfe und Konzepte                  forderungen, neue Ansätze für Kulturpolitik
für eine Kulturförderung zu entwickeln, die sich                  und Kulturförderung im 21. Jahrhundert
über den Erhalt und die Pflege des kulturellen
Erbes hinaus auf die vielgestaltige kulturelle                    10.15–10.45 Uhr
Szene – von den öffentlichen Kultureinrichtungen                  Einstiegsreferat: Zwischen Kreativität und
über die frei-gemeinnützigen Projekte und Initiati-               Kulturinfarkt: Was heißt heute konzeptbasierte
ven bis hin zu den privatwirtschaftlichen Kulturan-               Kulturpolitik und was kann sie leisten?
bietern – richtet und in stärkerem Maße als bisher                Tobias J. Knoblich (Vizepräsident der
Raum für Neues schafft. Vor allem muss von der                    Kultur­politischen Gesellschaft e. V.)
Förderung deutlich mehr bei den Kreativen selbst
ankommen.                                                         10.45–11.15 Uhr
                                                                  Nachfragen an den Referenten/Diskussion
Ansätze dafür sind in den letzten Jahren in ver-                  Moderation: Dr. Annette Mühlberg
schiedener Weise sowohl auf Bundesebene (so zum
Beispiel von der Enquete-Kommission »Kultur in                    11.15–11.45 Uhr
Deutschland«) als auch in den Ländern und Kom-                    Ansätze für eine zeitgemäße Kulturförderung –
                                                                  »Hochkultur« oder »Freie Szene«, ist das
                                                                  noch die Frage? Forderungen der Koalition
2 Vgl. Grundsatzprogramm der Kulturpolitischen Gesellschaft,     der Freien Szene
  beschlossen am 21. September 2012 in Berlin, digitale Fassung   Klaus Schöpp (Musiker, Koalition der Freien Szene,
  verfügbar unter: http://www.kupoge.de/dok/programm_kupoge.pdf   Berlin)
                                                                                                                        5
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››   Kulturpolitik neu denken – Neue Ansätze in der Kulturförderung

     11.45–12.15 Uhr                                                  16.00–16.15 Uhr Kaffeepause
     Kultur für alle – Jetzt erst recht!
     Dr. Lukrezia Jochimsen (MdB, Kulturpolitische                    16.15–16.30 Uhr
     Sprecherin der Bundestagsfraktion DIE LINKE.)                    Initiativen der Linken zur Kulturförderung
                                                                      in den Ländern – Ein Überblick
     12.15–13.30 Uhr                                                  Katrin Framke (Projektmanagerin, Berlin)
     1. Podium: Neue Ansätze für Kulturpolitik
     und Kulturförderung                                              16.30–17.30 Uhr
     Mit Dr. Lukrezia Jochimsen, Klaus Schöpp,                        2. Podium: Kulturförderung in
     Isa Kathrin Edelhoff (Kulturvermittlerin und                     Flächen­ländern – Initiativen und Konzepte
     -managerin, Berlin, Regionalsprecherin der                       Mit Volker Külow (MdL, Kulturpolitischer Sprecher
     Kulturpolitischen Gesellschaft Berlin-Brandenburg),              der Linksfraktion im Landtag Sachsen), Jayne-Ann
     Torsten Koplin (MdL, Kulturpolitischer Sprecher                  Igel (Schriftstellerin, Sprecherin der Landesarbeits-
     der Linksfraktion im Landtag Mecklenburg-                        gemeinschaft Kultur Sachsen), Dr. Birgit Klaubert
     Vorpommern), Ralph Reichel (Chefdramaturg                        (MdL, Kulturpolitische Sprecherin der Linksfraktion
     am Mecklenburgischen Staatstheater Schwerin,                     im Landtag Thüringen), Lorenz Müller-Morenius
     Volksinitiative für den Erhalt der Theater- und                  (Freier Maler und Zeichner, ver.di NRW)
     Orchesterstrukturen in Mecklenburg-Vorpommern)                   Moderation: Dr. Annette Mühlberg
     Moderation: Kathrin Senger-Schäfer (MdB,
     Medienpolitische Sprecherin der Bundestags­                      17.30–18.30 Uhr
     fraktion DIE LINKE.)                                             3. Podium: Kulturförderung in
                                                                      Großstädten/Stadtstaaten
     13.30–14.00 Uhr Mittagspause                                     Mit Wolfgang Brauer (MdA, Kulturpolitischer
                                                                      Sprecher der Linksfraktion in Berlin), Heimo Lattner
                                                                      (Bildender Künstler, Haben und Brauchen, Berlin),
     II. Kulturförderung neu denken –                                 Siri Keil (Wissenschaftliche Mitarbeiterin von
     Initiativen und Konzepte in den Ländern                          Norbert Hackbusch, MdHB, Fachsprecher für
     und Kommunen                                                     Kultur der Linksfraktion in Hamburg), Alexander
                                                                      Pinto (Wissenschaftlicher Mitarbeiter Hafencity
     14.00–14.30 Uhr                                                  Universität Hamburg/Kultur der Metropole)
     Der Kulturkonvent in Sachsen-Anhalt –                            Moderation: Matthias Zarbock (Sprecher der
     Ein verallgemeinerungsfähiges Modell?                            LAG Kultur Berlin)
     Olaf Zimmermann (Geschäftsführer des Deutschen
     Kulturrates und Moderator des Kulturkonvents                     18.30 Uhr
     Sachsen-Anhalt)                                                  Fazit und Ausblick:
                                                                      Dr. Annette Mühlberg
     14.30–14.45 Uhr
     Nachfragen an den Referenten/Diskussion                          Ab 19.00 Uhr
     Moderation: Isa Kathrin Edelhoff                                 Teilnahme am Auftakt zum Fest
                                                                      der Linken im Kino Babylon
     14.45–15.15 Uhr
     Mittelstädte sind kulturelle Zentren eigener                     Ab 21.00 Uhr
     Art. Ihre Förderung am Beispiel des                              Ausklang im Café Luxemburg
     Sächsischen Kulturraumgesetzes                                   am Rosa-Luxemburg-Platz
     Prof. Dr. Matthias Theodor Vogt (Professor für
     Kulturgeschichte und Kulturpolitik an der Hoch-
     schule Zittau/Görlitz, Geschäftsführender Direktor
     des Instituts für kulturelle Infrastruktur Sachsen)

     15.15–16.00 Uhr
     Nachfragen an den Referenten/Diskussion
     Moderation: Jochen Mattern (Parlamentarisch-
     wissenschaftlicher Berater in der Linksfraktion
     des Landtags von Sachsen)

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Kulturpolitik neu denken - Neue Ansätze in der Kulturförderung - Dokumentation der Kulturkonferenz der Ständigen Kulturpolitischen Konferenz der ...
»Kulturpolitik neu denken – Neue Ansätze in der Kulturförderung« am 31. Mai 2013 in Berlin
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Protokoll der Kulturkonferenz der Ständigen Kulturpolitischen
Konferenz der Partei DIE LINKE.
»Kulturpolitik neu denken – Neue Ansätze in
der Kulturförderung« am 31. Mai 2013 in Berlin

Begrüßung Dr. Annette Mühlberg                             die Pfefferwerk Stadtkultur gGmbH vorstellen. Sie
und Elli Strauven-Dejean                                   ist Abteilungsleiterin Ausbildung Medien und Kultur.
                                                           Ich werde ihr gleich das Wort geben. Zuvor möchte
›› Dr. Annette Mühlberg: Meine sehr verehrten              ich noch auf kleine Programmänderungen hinwei-
Damen und Herren, liebe Mitstreiterinnen und               sen. Tobias Knoblich, muss leider Punkt 11.15 Uhr
Mitstreiter. Ich begrüße Sie alle ganz herzlich            diesen Raum verlassen, so dass wir pünktlich mit
zu unserer Kulturkonferenz »Kulturpolitik neu              seinem Referat beginnen müssen und nur kurze Zeit
denken – Neue Ansätze in der Kulturförderung«.             für Nachfragen an ihn haben. Er wird zum Thema
Veranstalter ist die Ständige Kulturpolitische             »Grenzenlose Kreativität und Kulturinfarkt: Was heißt
Konferenz der Partei DIE LINKE. Ich bin die Bun-           heute konzeptbasierte Kulturpolitik und was kann
dessprecherin dieser Arbeitsgemeinschaft. Die              sie leisten«. sprechen. Es folgt der Beitrag von Klaus
Ständige Kulturpolitische Konferenz gibt es schon          Schöpp, Musiker, Vertreter der Koalition der Freien
seit 1995. Wir sind ein ehrenamtliches Gremium             Szene, dann wird Lukrezia Jochimsen sprechen und
von kulturpolitisch Aktiven innerhalb der Partei,          anschließend findet das erste Podium statt. Und
die sich zusammengeschlossen haben, um etwas               jetzt bitte ich Elli Strauven-Dejean ans Mikrofon.
für Kultur und Kulturpolitik in der LINKEN zu tun.
Wir verstehen uns als ständiges Diskussionsforum,        ›› Elli Strauven-Dejean: Ich leite hier im Haus die
deswegen auch der Name: Ständige Kulturpoli-               Abteilung Ausbildung Medien und Kultur und möchte
tische Kon­ferenz. Wir beraten den Parteivorstand          Sie ganz herzlich bei uns auf dem Pfefferberg
und die verschiedenen Gremien der Partei. Ge-              begrüßen. Ich versuche meinen Beitrag weitestge-
stern Abend, das will ich nur erwähnen, habe ich           hend zu raffen und gebe Ihnen nur einen kleinen
den Änderungsantrag der Ständigen Kulturpoli-              Einblick in die bewegte Geschichte des Pfefferberg.
tischen Konferenz zum Bundestagswahlprogramm               1841 hat der bayrische Braumeister Joseph Pfeffer
an den Parteivorstand geschickt. Im Entwurf ist            hier am Ort eine Brauerei gegründet. Damals war
schon eine Passage zur Kultur enthalten, ein               das noch außerhalb von Berlin. In der Gründerzeit
eigenständiger Abschnitt, was wir gut finden.              wurde ja viel gebaut, unter anderem auch die
Aber wir wollen ihn noch verbessern. Wir verste-           Mietshäuser hier um uns herum. Es wurden die
hen uns also als Be­ra­tungsgremium und gleich­            Anlagen ausgebaut und alles wurde unterkellert.
zeitig koordinieren wir auch die Kulturpolitik der         Das Bier schmeckte gut, hat sich gut verkauft.
LINKEN im Bund und in den Ländern bis hin zur              1919 hat Schultheiss die Brauerei übernommen und
Europäischen Ebene.                                        leider gleich danach still gelegt. Von 1920 bis zum
                                                           Zweiten Weltkrieg waren hier viele verschiedene
Warum eine Konferenz »Kulturpolitik neu denken«?           Nutzer ansässig, unter anderem die Bezirksverwal-
Uns alle eint die Wertschätzung von Kultur und             tung Prenzlauer Berg inklusive Bürgermeister, die
Kulturarbeit. Wir wissen aber ebenso, dass sich            Hoffmann Schokoladen Kommanditgesellschaft,
sowohl die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen,           die Bäcker- und Kondi­toreigenossenschaft, die
als auch die Kulturszene selbst, also die Bedin-           Germania Brotbäckerei und viele mehr.
gungen kultureller Arbeit, grundlegend verändert           Im Zweiten Weltkrieg wurden relativ viele Gebäude
haben, und dass die bisherigen Formen öffentlicher         auf dem Gelände zerstört oder sind stark in
Förderung in Zukunft nicht einfach so fortgesetzt          Mitleidenschaft gezogen worden. Die Tiefkeller
werden können wie bisher. Und da wir zu den                dienten u. a. als Luftschutzbunker.
Perspektiven öffentlicher Förderung noch mehr
Fragen als Antworten haben, wollen wir uns nun             Ab 1946 sind der Verlag und die Druckerei vom
auf dieser eintägigen Konferenz mit Ihnen darüber          Neuen Deutschland hier eingezogen. Später
verständigen, wie wir Kulturpolitik neu denken und         wurden durch die kommunale Wohnungsverwal-
neue Ansätze in der Kulturförderung finden können.         tung Prenzlauer Berg Gebäude als Lager, Büros,
                                                           Garagen, Werkstätten verwendet und u. a. auch
Ganz kurz zum Programm: Nach mir wird Elli                 eine Außenstelle der Poliklinik für Bauarbeiter
Strauven-Dejean etwas zum Ort unserer Veranstal-           eingerichtet.
tung, dem Pfefferberg, sagen und ihre Institution
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Kulturpolitik neu denken - Neue Ansätze in der Kulturförderung - Dokumentation der Kulturkonferenz der Ständigen Kulturpolitischen Konferenz der ...
››   Kulturpolitik neu denken – Neue Ansätze in der Kulturförderung

     1987/1988 hat das Institut für Städtebauliche                    viele Veranstalter in Berlin den Spagat machen
     Architektur der DDR ein Konzept für diesen Ort                   zwischen Veranstaltungen, die uns inhaltlich
     entwickelt – als kultureller und sozialer Standort.              besonders am Herzen liegen, wie zum Beispiel
     1991 wurde das Gebiet zum Denkmal erklärt. Der                   die Förderung junger Bands oder Events und
     Pfefferwerk Verein hat die Idee, die ja vorher schon             Veranstaltungen, die wir eher aus wirtschaftlichen
     bestand, aufgegriffen, hieraus ein soziokulturelles              Gründen durchführen.
     Zentrum zu machen. Sie fingen auch damit an, die                 Ich hoffe, ich konnte Ihnen einen kleinen Einblick
     stark in Mitleidenschaft gezogenen Räume zu                      geben, bedanke mich und wünsche Ihnen noch
     Ver­anstaltungszwecken zu nutzen. Dazu gehören                   eine fruchtbare und erfolgreiche Diskussion heute.
     z. B. der Saal, wo jetzt das Restaurant Tauro ist,
     der Biergarten und das Haus 13, in dem wir uns                   ›› Dr. Annette Mühlberg: Herzlichen Dank unserer
     heute befinden und das im Prinzip eine Ruine war.                Gastgeberin und auch dafür, dass Sie uns heute
     Berlinerinnen und Berliner, die nicht mehr ganz so               hier Asyl gewährt und uns mit Speis und Trank
     super jung sind, so wie ich, können sich noch an                 bewirtet. Ich muss noch etwas nachtragen, was ich
     viele legendäre Veranstaltungen hier auf dem                     vorhin vergessen habe. Wir möchten heute diese
     Gelände erinnern. Der Pfefferwerk Verein hat wie                 Konferenz mitschneiden, um im Ergebnis eine
     gesagt versucht darauf hin zu wirken, dass hieraus               ähnliche Dokumentation zu erstellen, wie wir sie
     ein soziokulturelles Zentrum wird. 1999 hat die                  schon nach unserer Konferenz 2011 veröffentlich
     Pfefferwerk Stadtkultur als Tochter der Pfefferwerk              haben. Ich frage also an, ob Sie einverstanden
     Stiftung, die Immobilie vom Land Berlin und der                  sind, dass mitgeschnitten wird. Jeder Referent wird
     Bundes­republik Deutschland erworben und seit                    seinen Beitrag vor Veröffentlichung zum Gegen­
     2001 wird hier saniert. Wie man sieht, sind die                  lesen und eventuellen Korrekturen erhalten. Ich
     Arbeiten immer noch nicht ganz abgeschlossen.                    sehe, es gibt keinen Widerspruch. Dann können
     Insgesamt hat der Pfefferberg 21 Gebäude. In 2001                wir so verfahren.
     hat gleich als erstes die Akira Ikeda Galery Berlin              Dann kündige ich jetzt Tobias J. Knoblich an.
     eröffnet, die sich immer noch hier befindet. Seit                Er ist Kulturwissenschaftler, hat an der Humboldt
     2002 haben sich hier verschiedene Interessenten,                 Universität in Berlin studiert. Und er ist Kulturpoliti-
     die im Rahmen des Nutzungskonzeptes, Kultur,                     ker, langjährig in verschiedenen Gremien tätig, die
     Soziales, Dienstleistung und Kunst, angesiedelt                  ich jetzt nicht alle aufzähle. Zurzeit ist er Kulturdi-
     und konnten Teile des Pfefferbergs erwerben oder                 rektor in Erfurt und heute hier als Vizepräsident
     pachten. Ich nenne jetzt nicht alle, möchte aber ein             der Kulturpolitischen Gesellschaft. Die Ständige
     paar Beispiele anführen, dazu gehört das Architek-               Kulturpolitische Konferenz ist seit 1998 als Bun-
     turforum Aedes, die unsere Nachbarn sind, der                    desarbeitsgemeinschaft Mitglied in der Kulturpoli-
     Künstler Olafur Eliasson, die Galerie Meinblau, jetzt            tischen Gesellschaft und beteiligt sich dort auch
     gerade neu hat die Tchouban Foundation zur Christi-              aktiv an Konferenzen und Diskussionen. Wir freuen
     nenstraße hin ein Museum für Architekturzeichnung                uns, dass wir heute zwei Vertreter/innen der
     erbaut, was morgen feierlich eröffnet wird. Auf der              Kulturpolitischen Gesellschaft begrüßen können.
     Baustelle nach vorn zur Schönhauser Allee hin wird               Neben Tobias Knoblich ist das Isa Kathrin Edelhoff,
     durch den VIA Unternehmensverbund ein Theater                    die nachher mit im Podium sitzen und am Nach­
     und auch eine kleine Pfefferbrauerei eröffnet, wo                mittag Olaf Zimmermann zum Kulturkonvent in
     dann wieder ein eigenes Bier gebraut wird.                       Sachsen-Anhalt befragen wird. Sie ist Regional-
                                                                      sprecherin Berlin-Brandenburg.
     Jetzt zu uns und diesem Saal. Die Pfefferwerk
     Stadtkultur hat mit Unterstützung des Landes                     Im möchte Ihnen in der ersten Reihe noch Gert
     Berlin diesen Standort als Ausbildungsstandort                   Gampe vorstellen, er ist Mitarbeiter beim Parteivor-
     sanieren können. Wir bilden in der Berufsausbil-                 stand der LINKEN und dort verantwortlich für Kultur
     dung Berufe im Veranstaltungswesen, in Medien,                   in der Öffentlichkeitsarbeit. Er verantwortet zum
     IT-Berufen, Gastronomie und im Bürobereich aus,                  Beispiel das große Fest der LINKEN, das heute
     mit einem besonderen Fokus auf benachteiligte                    Abend eröffnet wird und dann über zwei Tage geht.
     Jugendliche und Jugendliche mit besonderem                       Auch Dir Gert einen herzlichen Dank für die Hilfe bei
     Förderbedarf. Das heißt, Ihre Veranstaltung hier                 der Organisation der Veranstaltung und ein Dank an
     und auch das was Sie essen, wird alles mit und von               Michaela Klingberg von der Rosa-Luxemburg-Stif-
     unseren Jugendlichen zubereitet, bereitgestellt                  tung, die uns heute hier ehrenamtlich unterstützt.
     usw. Darüber hinaus führen wir verschiedene
     Projekte der Berufsorientierung, Berufsvorbe­                    Nun zurück zur Kulturpolitischen Gesellschaft und
     reitung und Berufseingliederung durch.                           zu Tobias J. Knoblich, dem ich jetzt einfach das
     Wir führen hier im Haus 13 ganz verschiedene                     Wort zu seinem einleitenden Referat gebe. Ich
     Veranstaltungen durch. Vom Band-Contest bis zur                  werde ihn danach kurz befragen, bevor er uns
     Konferenz ist fast alles dabei, wobei wir wie so                 leider wieder verlassen muss.
     8
Kulturpolitik neu denken - Neue Ansätze in der Kulturförderung - Dokumentation der Kulturkonferenz der Ständigen Kulturpolitischen Konferenz der ...
Zwischen Kreativität und Kulturinfarkt: Was heißt heute konzeptbasierte Kulturpolitik und was kann sie leisten?
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Tobias J. Knoblich
»Zwischen Kreativität und Kulturinfarkt: Was heißt heute
konzeptbasierte Kulturpolitik und was kann sie leisten?«

Liebe Frau Mühlberg, meine sehr geehrten Damen                    natürlich inspiriert von Vorgängerbüchern. Eines
und Herren. Ich bedanke mich ganz herzlich für                    davon ist »Der exzellente Kulturbetrieb« von Armin
die Einladung. Ich will noch sagen, warum ich eher                Klein, mit dem dieser schon einmal aufgezeigt
gehen muss, obwohl ich sehr gerne noch zur                        hatte, wohin ein Umdenken führen sollte, nämlich
Diskussion geblieben wäre. Wir haben in Erfurt                    dass man auch den Betriebscharakter von Kultur-
zurzeit das Deutsche Kinder-Medien-Festival                       einrichtungen stärker fördern sollte, dass man
»Goldener Spatz«, in dessen Trägerstiftung ich den                Mitarbeiterführung und Mitarbeiterentwicklung
Oberbürgermeister im Präsidium vertrete, und                      betreiben, also den »Wissensmitarbeiter« in den
heute findet die große Abschlussveranstaltung                     Blick nehmen muss, dass es um die Mehrdimensi-
statt. Der OB hat mich kurzfristig gebeten, für ihn               onalität von Finanzierungsstrategien und um die
einzuspringen, so dass ich um 13.00 Uhr sein                      Kraft von Zukunftsbildern geht, die zu produzieren
Grußwort im Theater Erfurt überbringen darf. Ich                  man nicht anderen überlassen darf. Wer entwirft
bitte dafür um Verständnis.                                       eigentlich die Perspektiven und welchen Anteil
                                                                  daran hat der öffentliche Kulturbetrieb? All das
Mein Titel ist ein wenig sperrig: »Zwischen Kreativi-             und vieles mehr hat Armin Klein dort aufgearbei-
tät und Kulturinfarkt: Was heißt heute konzeptba-                 tet. Das Buch ist zwar nun auch in zweiter oder
sierte Kulturpolitik und was kann sie leisten?« Ich               dritter Auflage erschienen, aber hat – vielleicht
will versuchen – weil es ja ein Einstieg für die                  weil es aus meiner Sicht sein bestes Buch bisher
Tagung sein soll, die Sie heute haben – ein paar                  ist – bei weitem nicht diesen Protest ausgelöst
wesentliche Debatten nachzuzeichnen, die uns                      wie der Kulturinfarkt. Ein anderes Buch, dessen
gerade bewegen in Deutschland, teilweise auch                     Einfluss man spüren kann, ist Hans Abbings
darüber hinaus. Dann möchte ich andeuten, welche                  »Why are artists poor?«, ein Buch, in dem Abbing
neue Fachlichkeit es zum Kulturbereich gibt, die                  versucht, die Grundlagen der besonderen Ökono-
mit diesen Debatten entweder gegenläufig sind                     mie von Kunst und Künstlern darzustellen und zu
oder mit diesen korrespondieren, um dann in                       zeigen, dass für diese der Markt immer etwas ganz
einem dritten Schritt zu zeigen, welche Möglich-                  schwieriges, etwas ganz schlechtes, verderbliches
keiten und Grenzen sich für konzeptbasierte                       ist, der die Kunst und das Handeln der Künstler
Kulturpolitik daraus ergeben und was überhaupt                    »kontaminiert«, und dass sie auf der anderen Seite
konzeptbasierte Kulturpolitik in meinem Verständ-                 natürlich von der öffentlichen Hand leben können,
nis heißen soll.                                                  die eine Kulisse bietet, die es ganz, ganz vielen
                                                                  Künstlern – mehr als jemals in der Geschichte
I.                                                                zuvor – ermög­licht, sich im System zu halten und
Zwischen Kreativität und Kulturinfarkt, so will ich               mehr oder minder gut im Status zu bleiben. Das
das erste Kapitel einmal überschreiben und auf                    führt aus seiner Sicht erst dazu, dass es diese
zwei Bücher hinweisen, die im vergangenen Jahr                    breite Debatte um Kunstförderung gibt und die
erschienen sind und die kulturpolitische Debatte                  Frage danach, wie man Künstlern »ihr Leben«
angeheizt und zu sehr kontroversen Debatten                       sichern, wie der Staat seine Sozialgestaltungs-
geführt haben. Das eine haben Sie bestimmt alle                   macht wahrnehmen kann und soll. Und er sagt,
gelesen – das Buch »Der Kulturinfarkt«. Es gibt kein              das Problem ist eigentlich die Kulturpolitik, die
kulturpolitisches Buch, das im Verkauf jemals so                  Kunstförderung selbst, sie erst erzeuge eine
erfolgreich gewesen ist, wie dieses. Die Autoren                  Schieflage und strukturelle Armut. Diese beiden
haben mehr davon verkauft als die Kulturpolitische                Bücher sind ganz wesentliche Grundlagen für
Gesellschaft seit ihrem Bestehen mit allen Büchern                diesen »Kulturinfarkt«, der natürlich alles zuspitzt
zusammen. Das finde ich schon sehr bemerkens-                     und unter anderem die weitreichende These
wert, das heißt, man kann mit Kulturpolitik durch-                vertritt, dass die Geschichte des Kulturstaats die
aus auch Geld verdienen.                                          Geschichte einer permanenten politischen und
                                                                  gesellschaftlichen Kompensation sei, dass das
Der Kulturinfarkt ist eine Streitschrift, eine Pole-              aufklärerische Diktum, den Menschen durch Kultur
mik, die sich mit dem Kulturstaat, der Kulturförde-               zu bessern, durch breite Teilhabe eine Wohlfahrt
rung, überhaupt mit Subventionen und wohlfahrts-                  insgesamt zu stimulieren, im Kern autoritär und
staatlichen Axiomen auseinandersetzt; es ist                      etatistisch sei, ja dass »Kulturhoheit« ein hoheit-
                                                                                                                                           9
››   Kulturpolitik neu denken – Neue Ansätze in der Kulturförderung

     liches Handeln des Staates bedeute und im                        mehr so gefreut über ein Buch, das auch kultur­
     Kulturbereich eigentlich gar nichts zu suchen                    politisch relevant ist, und wir wissen ja, dass die
     habe.                                                            Soziologen bisher die wichtigsten Beiträge zur
                                                                      Reflexionstheorie im Bereich Kulturpolitik in den
     Aus Sicht der Infarkt-Autoren sind dies alles                    letzten Jahren beigesteuert haben, denken wir etwa
     Prozesse, die zur Zementierung eines Status Quo                  an Gerhard Schulze oder Albrecht Göschel. In
     beitragen. Dies solle nunmehr alles aufhören, man                diese Reihe können wir Reckwitz (auch dank
     solle Kulturgüter und Institutionen verknappen, die              anderer Bücher, die er publiziert hat) jetzt schon
     Infrastruktur halbieren, neue Finanzierungsmodelle               einordnen. Wir werden seinen Gedanken das
     finden, mehr Markt zulassen, weniger Kanon                       nächste Heft der Kulturpolitischen Mitteilung
     festschreiben und von den Nutzern her denken.                    widmen, dort wird auch sein kompletter Vortrag
     Letzteres ist auch ein Aspekt, den Klein sehr zu                 publiziert sein.
     Recht, wie ich meine, in seinem »Exzellenten
     Kulturbetrieb« stark gemacht hatte. Alles ist sicher             Bei diesem »Kreativinfarkt« – aber das ist meine
     nachdenkenswert, aber vielleicht nicht in dieser                 Zuschreibung – geht es darum, dass wir inzwi-
     Melange, in der es für viele ungenießbar schien.                 schen nicht mehr nur kreativ sein sollen, dass es
     Das Buch, das vor Erscheinen zunächst den                        nicht nur eine bevorzugte Gruppe innerhalb der
     Arbeitstitel »Aufräumen« trug, geht ja auf eine                  Gesellschaft gibt, nämlich die Künstler, die kreativ
     Tagung der Kulturpolitischen Gesellschaft zurück,                sind, sondern wir alle sollen, ja müssen inzwischen
     wo die Autoren zum Teil anwesend waren; aus                      kreativ sein. Reckwitz spricht von einem regel-
     diesem »Aufräumen« ist dann der »Infarkt« gewor-                 rechten »Kreativitätszwang«, der sich aus einer
     den (oder der Verlag hat es so zugespitzt, um den                Ökonomisierung und Medialisierung des Sozialen
     Verkauf anzukurbeln). Dieses »Aufräumen« ist im                  ergebe, und im Grunde genommen kippt jenseits
     Kern ja nicht verkehrt. Wir wissen andererseits,                 der Genieästhetik, die ja für den Künstler historisch
     dass es auch andere Bücher gab, die Kulturpolitik-               maßgeblich ist, alles ins Soziale. In allen Bereichen
     geschichte geschrieben haben und die Polemik                     der Gesellschaft – wir sprechen ja inzwischen von
     nutzten, um Aufmerksamkeit zu erlangen: Alexan-                  Creative Industries, Creative Cities und Körper-
     der Mitscherlichs explizite »Anstiftung zum Unfrie-              techniken bis hin zum durchgestylten, durchtäto-
     den«, »Die Unwirtlichkeit der Städte«, gehört dazu.              wierten, gepiercten und operativ umgewandelten
                                                                      Körper –, überall also greifen Ästhetisierungsstra-
     Der Kulturinfarkt stellt im Grunde genommen                      tegien. Seit den 1970er Jahren, das ist seine These,
     die gewachsene kulturelle Infrastruktur und das                  entfalte sich das »Kreativitätsdispositiv«. Er bedient
     gesamte Setting unseres kulturpolitischen Handelns               sich bei seiner Argumentation eines Machtbe-
     nachdrücklich in Frage und sagt eigentlich primär,               griffes von Foucault und wendet ihn so an, so dass
     der Nutzer wird es schon richten, der Markt wird es              wir sagen müssten, »Kultur für alle« ist vor diesem
     schon richten, und wir müssen im Grunde genom-                   Hintergrund und zu Ende gedacht nicht mehr eine
     men diese wettbewerbsbefreiten Zonen, die merito-                Befreiungsbewegung, sondern lediglich der Aus-
     rischen Güter im Kulturbereich, präziser definieren              druck eines Prinzips im Gewand einer politischen
     und nach deren Berechtigung fragen. Das Nachden-                 Strategie. Eigentlich ist es nicht steuerbar, wir
     kenswerte am Buch wird durch die Verkürzung und                  agieren lediglich in seiner Wirkungsmacht.
     Überzeichnung für viele ungenießbar.
                                                                      Kulturpolitische Leitformeln wie Soziokultur
     Das andere Buch, das mit dem vermeintlichen                      künden davon, dass das Laienschaffen im Verbund
     Kulturinfarkt durchaus korrespondiert, ist ein Buch,             mit dem Profischaffen, die Aufhebung der Distanz
     das man auch »Der Kreativinfarkt« titulieren                     zwischen Produktion und Rezeption etwas progres-
     könnte: »Die Entstehung der Kreativität« von                     sives, emanzipatorisches sei; mit Reckwitz erleben
     Andreas Reckwitz, das ebenfalls ein Bestseller zu                wir eher ein »Regime des Neuen«, die fortwährende
     werden verspricht. Im Untertitel heißt es »Zur                   Erfindung neuer Ausdrucksweisen, das Einsickern
     Ästhetisierung gesellschaftlicher Prozesse«. Ein                 des »Terrors« von Kreativität in alle Lebensbe-
     sehr kluges Buch von einem Kultursoziologen aus                  reiche, so dass das Ganze auch als ein Infarkt von
     Frankfurt/Oder, das er auf einer Tagung in Loccum                Gestaltungsansprüchen und – eo ipso – von
     kürzlich vorgestellt hat. Er hat dort einen Vortrag              Kulturpolitik betrachtet werden kann. Man muss
     dazu gehalten und kulturpolitische Thesen ge-                    dann natürlich fragen, welche Bedeutung Kulturin-
     bracht; dieses Buch ist wesentlich differenzierter               stitutionen, die gewachsen sind, bestimmte Zonen
     und spielt in einer anderen wissenschaftlichen                   von Kreativität, die in der Gesellschaft existieren,
     Liga als der »Kulturinfarkt«, das will ich gleich zur            mit denen wir uns als Kulturpolitikerinnen und
     Ehrenrettung von Reckwitz vorab sagen. Kulturpoli-               Kulturpolitiker beschäftigen, dann noch haben.
     tisch forschende Soziologen und Wissenschaftler                  Werden diese dann obsolet, verändern sich ihre
     angrenzender Disziplinen haben sich lange nicht                  Berechtigung oder Daseinsformen oder ihre
     10
Zwischen Kreativität und Kulturinfarkt: Was heißt heute konzeptbasierte Kulturpolitik und was kann sie leisten?
                                                                                                                                                ››

Entwicklungsmöglichkeiten, also wird damit nicht                  System der Kunst zu elementaren Fragen an
die exklusive Aufgabe von Kulturpolitik, so breit sie             die Politik des Kulturellen.
auch immer gestreut sei, gänzlich in Frage gestellt?
Ist nicht der erweiterte Kulturbegriff dann eher ein              Diese beiden Dimensionen verhandeln wir also
Symptom, das den Anfang vom Ende von Kulturpo-                    derzeit. All dies passiert in einer Zeit, in der wir
litik bedeutet und nicht eine breite Emanzipation?                eigentlich sehr viele Gewissheiten gewonnen
Also hat dort nicht auch Kulturpolitik versagt oder               haben, was wir mit Kulturpolitik erreichen können.
anders gefragt: hatte sie überhaut eine historische               Wir haben im Grunde genommen in den letzten
Chance? Diese Fragen könnte man stellen, wobei                    Jahrzehnten eine neue Fachlichkeit erreicht, etwa
das Kreativitätsdispositiv kein Subjekt der Ge-                   mit der Rede von einer aktivierenden Kulturpolitik,
schichte ist, wenn man so will, sondern eher eine                 die Strategien sucht, um mit Bürgerinnen und
Dynamik, die entfacht wird durch unterschiedliche                 Bürgern ins Gespräch zu kommen, Konzepte zu
Elemente bis hin zu einem ausgeprägten »ästhe-                    entwickeln, Kulturentwicklungspläne – die ersten
tischen Kapitalismus«, wenn es zu einer Verkop­                   kommunalen waren ja etwas ganz Revolutionäres –,
pelung von Vermarktlichung und Ästhetisierung                     und auch der obsolete Begriff der Kulturpflege,
kommt.                                                            bei dem man immer das Gefühl hatte, es gehe
                                                                  um einen Patienten, ist längst vergessen.
Ich empfehle Ihnen die Lektüre des Buches sehr
und will es einmal mit dem Kulturinfarkt in eine                  II.
Beziehung setzen. Ganz neu sind nicht alle seine                  Inzwischen verfügen wir auch über ein ausdifferen-
Thesen. In Gerhard Schulzes »Die beste aller                      ziertes Kulturmanagement mit unübersehbar vielen
Welten« zum Beispiel finden wir auch schon das                    Studiengängen in ganz Deutschland und Europa.
Regime des Neuen, aber wie diese Ästhetisierung                   Ein Kulturmanagement, das sich wirklich wandelt
das Ganze antreibt, das habe ich bei Reckwitz in                  und einen kulturpolitischen Reflexionsrahmen
dieser Stringenz erstmals gelesen. Man könnte                     zulässt und nicht mehr nur als Werkzeugkoffer
vielleicht danach fragen, was heute affirmative                   für die Kulturpolitik greift, nach dem Motto: das
Kultur heißen kann, die damals von der neuen                      Versagen des Staates und der Kommunen helfen
Kulturpolitik kritisiert worden ist. Hier ging es                 wir heilen, indem wir die adaptierten Instrumente
darum, Idealismus und Weltflucht im Kulturbegriff                 aus der Wirtschaft anbieten. Das wissenschaftliche
zu kritisieren und danach zu fragen, wie Kultur                   Verständnis ist ein anderes geworden, gleichwohl
auch die Gegenwart verändern, wie sie kritisch und                noch immer kritisiert wird – jüngst hörte ich es
lebensnah sein kann. Wenn damals die Kultur als                   von Carsten Winter –, dass eigentlich veraltete
Flucht in den Idealismus affirmativ war und damit                 Manage­mentinstrumente adaptiert worden seien.
keinen realen Wandel unterstützte, ist heute                      Im Kulturbereich steckt freilich auch die Bertels-
vielleicht diese innerweltliche Auflösung der                     mann-Ideologie mit den neuen Steuerungsmodel-
Kreativität eine kritische Zone des Affirmativen, im              len. Das kann man alles kritisch dekonstruieren,
Sinne des unausweichlichen Erwartungsdrucks,                      was ich jetzt leider nicht vertiefen kann. Aber: im
kreativ sein zu sollen. Bei beiden verfestigt sich ja             Kern hat sich doch eine sehr starke Professionali-
ein Gesellschaftsbild, in dem ein kritischer Kultur-              sierung ergeben, die sich etwa umfassend im
bereich nicht greifen kann. Insofern könnte man                   Bericht der Enquete-Kommission »Kultur in
auch von einem »Kreativinfarkt« sprechen. Das                     Deutschland« widerspiegelt. Dieser Bericht ist
sind aber unfertige Fragestellungen, die sich mir                 2008 erschienen, und Oliver Scheytt, der Präsident
ergeben haben, denn aus kulturpolitischer Pers­                   der Kulturpolitischen Gesellschaft, hat parallel
pektive war ich sowohl fasziniert als auch erschüt-               dazu ein Buch geschrieben »Kulturstaat Deutsch-
tert davon, dass dieses Maß an Kreativität uns                    land – Plädoyer für eine aktivierende Kulturpolitik«,
auch handlungsunfähig machen kann. Der                            in dem er seine Erfahrungen und Erkenntnisse
Foucaultsche Begriff des Dispositivs fasst ja eine                systematisch entwickelt. Dazu gehört zum Beispiel
prägende Instanz unseres sozialen Handelns, also                  die Vertiefung des neu gefassten Infrastrukturbe-
Vorbedingungen, während wir uns in der Kulturpoli-                griffs, der die Debatte um eine kulturelle Grundver-
tik auf einer bewussten Steuerungsebene bewe-                     sorgung aufnimmt, das Bewusstsein, dass zur
gen. Ein Kreativitätsdispositiv beschreibt eine                   »Kernausstattung« mehr dazu gehört, als nur die
Summe von diskurs- und handlungsbestimmenden                      Kultureinrichtungen, sondern eben auch kulturelle
Elementen, die uns formieren, die aber sicher auch                Bildung, Kulturförderung oder auch Rahmenbedin-
bestimmte Formen politischen Handelns zur Folge                   gungen für künstlerisches und kulturwirtschaft-
haben. Wir befinden uns hier letztlich auf einer                  liches Schaffen. Man kann diese nicht gegeneinan-
erkenntnistheoretischen Reflexionsebene, die nur                  der aufwiegen. Gerade das Zusammenspiel von
bedingt kulturpolitisch verhandelbar ist. Und                     Staat, Markt und Zivilgesellschaft, das wir heute
dennoch führen die Stringenz des Aufstiegs der                    als trisektorale Kulturpolitik bezeichnen, scheint
Kreativität und ihr Herauswachsen aus dem                         besonders wichtig, wenn es um die Übernahme
                                                                                                                                         11
››   Kulturpolitik neu denken – Neue Ansätze in der Kulturförderung

     von Verantwortung in allen Sektoren und Formen                   der Köpfe zu investieren. Darin drückt sich letztlich
     der Kooperation oder Lastenteilung geht. Vieles ist              dieser aufklärerische Impetus aus, der ja gerade
     heute auf kluge Weise auf den Begriff und auch in                von den Kulturinfarktautoren in Frage gestellt wird.
     ein System gebracht worden, und ich habe es zum                  Ein anderes Beispiel ist »Kultur für alle«; hier war
     Beispiel im Kulturkonzept der Landeshauptstadt                   ja immer die große Kritik, dass man der große
     Erfurt aufgegriffen und gemerkt, dass es in der                  Heilsbringer sei und nicht danach fragt, was die
     politischen Debatte nicht so leicht aufgeknüpft und              Leute wirklich wollen. Manche sagten, es müsse
     in Frage gestellt werden kann. Mit definitorischer               richtigerweise heißen »meine Kultur für alle«, um
     Stringenz und konzeptioneller Kraft kann man                     den Teilhabegestus auf den Punkt zu bringen.
     schon einiges an Verbindlichkeit schaffen.
                                                                      Oder: die Debatte um »Kultur als Pflichtaufgabe«.
     Es erscheinen inzwischen fast wöchentlich neue                   Das ist Ihnen auch bekannt, bis hinein in den
     Bücher zum Kultur- und Medienmanagement, man                     Enquete-Bericht beschäftigte uns das Thema
     kann das Feld gar nicht mehr beherrschen; ich                    intensiv; der Zwischenbericht widmete sich voll-
     versuche es immer noch, mir alles zu bestellen                   ständig der Frage, ob man eine Kulturstaatsklausel
     und, wo leistbar, auch zu rezensieren, um den                    im Grundgesetz brauche. Ich meine ja, manche
     Überblick zu behalten. Oliver Scheytt hat in seinem              meinen nein, dritte wiederum sagen, das ist nicht
     Buch die ganze Bandbreite des Handels pragma-                    so wichtig, es gebe dringendere Themen. Aber,
     tisch aufgemacht, also vom Kulturbürger (das ist                 diese Pflichtigkeit von Kultur, die Bedeutung
     der Nutzer, wenn man Armin Klein jetzt mal dazu in               kulturverfassungsrechtlicher Dokumente bis hinein
     Beziehung setzt) über die Kulturgesellschaft (das                ins Völkerrecht, die wird immer wieder debattiert.
     ist all das, was auf anderer Reflexionsebene zum                 Große Verfassungsrechtler wie Peter Häberle zum
     Beispiel mit dem Kreativitätsdispositiv thematisiert             Beispiel sprechen sich vehement dafür aus und
     wird), bis hin zum Kulturstaat (der vom Kulturin-                bringen auch kluge Argumentationen. Er hat mit
     farkt als paternalistischer angegriffen wird). Diese             seinem Buch »Verfassungslehre als Kulturwissen-
     gesamte Bandbreite wird theoretisch und mit                      schaft« gezeigt, wie stark Verfassungen kulturell
     praktischen Beispielen durchdrungen, und es                      aufgeladen sind und welche Rolle der Kulturbegriff
     werden die wesentlichen Felder kulturpolitischen                 für das Kulturverfassungsrecht spielt, das ist keine
     Handelns aufgemacht, die im Grunde genommen                      nur deklaratorische Spielwiese. Aus solchen
     durch einen breiten Konsens auch rückversichert                  Debatten können sich konkrete legislative Vor­
     sind. Die hitzige Debatte heute lebt dennoch von                 stöße speisen.
     der Mischung aus ordnungs-, steuerungs- und
     haushaltspolitischer Zuspitzung und – mit Reck-                  Es gibt ein Bundesland, das – ausgehend vom
     witz – einem kultursoziologischen Entwurf, für die               innovativen Verfassungsrecht der neuen Länder –
     die als Fachdisziplin bisher noch schwache und auf               Nägel mit Köpfen machte: Sachsen. Es ist das
     Interdisziplinarität verwiesene Kulturpolitik gar                einzige Bundesland, das in einem Gesetz nieder-
     nicht satisfaktionsfähig reagieren kann, mausert                 legt, dass Kultur eine Pflichtaufgabe der Kommu-
     sie sich doch erst seit wenigen Jahrzehnten zu                   nen sei und dass diese solidarisch von Kommunen
     einem echten Reflexions- und Gestaltungsfeld.                    und Land auch zu finanzieren sei. Das Land gibt
     Viele reagieren also subjektiv, verteidigend,                    jährlich 86,7 Millionen Euro dafür aus. Peter
     empört, fasziniert, unsystematisch. In einem                     Rühmkorf hat natürlich Recht, wenn er sagt, Kultur
     Sonderheft der »Kulturpolitischen Mitteilungen«                  ist nur eine unmaßgebliche Schutzbehauptung,
     haben wir daher versucht, die Debatte etwas zu                   aber die Verbindung des besonderen Nimbus, den
     bündeln.                                                         dieses Gesetz hat, mit den dort aufgezeigten
                                                                      Verfahrenswegen führt zu echten Debatten und
     Die Sorge um mehr Verbindlichkeit in der Kultur hat              guten Entwicklungsplanungen. Am Ende wird
     in den letzten Jahren zugenommen. Sie ist natürlich              erreicht, dass alle – vor allem die Landkreise –
     auch durch rhetorische Behauptungen gekenn-                      über ihren Tellerrand hinausblicken und mit
     zeichnet. Ich will einmal Parolen aufzählen, die das             Strukturentscheidungen größere Zusammenhänge
     zeigen, die einen hilflos, die anderen mit mehr Biss.            reflektieren und berücksichtigen.
     Eine ist zum Beispiel, dass man Kulturausgaben
     nicht als Subvention, sondern als Investition                    Der Rahmen verändert sich also, aus Programmfor-
     begreifen soll. Das hat sogar die Bundeskanzlerin                meln werden Systeme, aus Diskursen im besten
     immer wieder gesagt. Es ändert aber nichts daran,                Falle rechtliche Flankierungen, und aus dem
     dass die Finanzleute darüber lachen und sagen,                   Wissen um notwendiges fachliches Handeln entste-
     Investitionen bedeuten etwas anderes. Wir behaup-                hen Reflexionstheorien, ja neue Lehren. Auf dem
     ten dann – wenn es bei Investitionen darum geht,                 Weg dorthin befindet sich das Kulturmanagement,
     Kapital zu binden – Kulturausgaben führen dazu,                  für das es seit kurzem auch einen Fachverband
     Humankapital zu binden, also in die Entwicklung                  gibt. Auch gibt es inzwischen eine neue Spezialdis-
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Zwischen Kreativität und Kulturinfarkt: Was heißt heute konzeptbasierte Kulturpolitik und was kann sie leisten?
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ziplin, die sich mit dem gesamten Komplex von                     andere Wege gegangen und tun sich schwerer, die
Institutionen im Kulturbereich befasst: die Kultur-               Balance zwischen Kommunen und Land zu finden.
betriebslehre. Ich verweise nur auf das gleich­                   Jedenfalls ist mit der Einigung ganz viel an
namige Lehrbuch von Tasos Zembylas aus Wien,                      Schwung in das föderale Konzert gekommen.
er ist einer, der dieses Gebiet vorangebracht hat.                Bis auf Baden-Württemberg hatte ja bis dahin
Aber es gibt auch eine ganze Reihe anderer                        kein Bundesland ein richtiges Kulturkonzept. Auch
Forschungsstränge bis hin zu Audience Develop-                    heute kann man teilweise noch große Unterschiede
ment, bei dem es darum geht, die Aufmerksamkeit                   feststellen, aber in der Gesamtbilanz hat sich
von Zielgruppen zu binden, sich damit auseinan-                   Landeskulturpolitik seit dem wesentlich weiter
derzusetzen, wie sich alle Milieus – unsere Ziel-                 entwickelt, was Sie etwa im Jahrbuch für Kulturpoli-
gruppen sind ja heterogener denn je – ansprechen                  tik 2012 (»Neue Kulturpolitik der Länder«) sehr gut
lassen und wie wir mit der »neuen Unübersichtlich-                nachlesen können. Die meisten Länder verfügen
keit« inmitten einer prosperierenden Unterhal-                    inzwischen über kulturpolitische Leitlinien, über
tungskultur herkömmliche, aber auch neue Ange-                    Landeskulturkonzepte und dergleichen, und es gibt
bote positionieren können. Es gibt neue Standards,                eine Reihe von Spezialgesetzen, die es vorher nicht
was die »Planbarkeit von Kultur« anbelangt. Das ist               gegeben hat. Zum Beispiel die Musikschulgesetze
ein Topos, der immer umstritten ist – kann man                    in Brandenburg und Sachsen-Anhalt oder Biblio-
Kultur wirklich planen? Da sagt man immer gerne                   theksgesetze – Thüringen hat zum Beispiel eines,
nein, man kann nur die Rahmenbedingungen                          kein gutes zwar, aber es hat eines – oder das noch
beeinflussen. Was früher so ein bisschen hemdsär-                 in der Debatte befindliche Kulturfördergesetz in
melige Kulturentwicklungpläne gewesen sind, das                   Nordrhein-Westfalen. Wenn es dort gelingt (auch
sind heute zum Teil umfassende Kompendien, an                     wenn es nur ein Rahmengesetz, kein Leistungs­
denen Expertengruppen arbeiten, schauen Sie sich                  gesetz werden sollte), ein Gesetz auf den Weg
allein den Kulturentwicklungsplan einer vergleichs-               zu bringen, dann ist das ein Meilenstein für die
weise kleinen Stadt wie Brandenburg an der Havel                  Sicherung eines breiten Engagementrahmens für
an, da ist der Kulturentwicklungsplan in zwei                     den Staat und freilich auch für die Kommunen, was
Bänden erschienen. Ich frage mich aber, wer von                   in Nordrhein-Westfalen eine wichtige Rolle spielt,
den Entscheidungsträgern das wirklich bewältigen                  weil der Kommunalisierungsgrad dort wesentlich
kann. Aber es ist hervorragend gemacht. Im                        höher ist als beispielsweise in Sachsen durch das
Vergleich zu den 70er Jahren haben wir hier eine                  Kulturraummodell. Das föderale Konzert bleibt ein
ganz andere Messlatte. Da hat sich sehr, sehr viel                vielstimmiges, ist aber wesentlich solider als vor
getan, und es existiert auch ein sehr lebhafter                   1990. Parallel dazu hat sich ja auch der Bund
Diskurs, das heißt, man setzt solche Dokumente in                 gestrafft mit der Behörde des BKM seit 1998, der
Beziehung zueinander, man versucht von Praxis­                    Wiedereinsetzung eines Kulturausschusses im
beispielen zu lernen, und es wird auch sehr viel                  Bundestag oder etwa der Gründung der Bundes­
publiziert zu diesem Thema.                                       kulturstiftung 2002.

Wir haben schließlich, das will ich auch noch als                 Das sind nur ein paar Beispiele. Es zeigt aber, wir
ein Feld der Professionalisierung in den Blickpunkt               erleben durchaus eine Konjunktur der wissen-
rücken, im legislativen Bereich einiges erreicht. Die             schaftlichen Debatten und Reflexionstheorien, der
deutsche Einigung gilt dafür als ein ganz wesent-                 kulturpolitisch-interdisziplinären Publizistik und der
licher Stimulus, sie hat noch einmal für einen                    konzeptionellen Durchdringung des Feldes. Und
richtigen Schwung gesorgt. Durch den Artikel 35                   parallel erleben wir – und das führt wahrscheinlich
des Einigungsvertrags, die kulturelle Substanz                    zu dieser polemischen Zuspitzung von Kulturinfarkt
dürfe keinen Schaden nehmen, ist ja so etwas wie                  und Kreativinfarkt – eine dramatische Veränderung
das sächsische Kulturraumgesetz erst möglich                      der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, vor
geworden, das natürlich auch ein Zeichen dafür ist,               allem die Zuspitzung der Krise der öffentlichen
dass die Bundesländer ganz andere Aufwendungen                    Haushalte. Meine Stadt, in der ich jetzt arbeite, hat
für Kultur tätigen müssen, konzeptionell wie                      bis heute keinen bestätigten Haushalt für 2013,
finanziell. Ohne den postulierten Substanzerhalt                  also wir befinden uns in der vorläufigen Haushalts-
wäre Sachsen nicht in die Not geraten, neue                       führung. Dabei reden wir über eine Stadt, der es
Modelle der Lastenteilung zwischen Land und                       vergleichsweise gut geht, die Perspektiven hat,
Kommunen zu entwickeln. Die Kommunen wären                        eine Stadt, die wächst, die wirtschaftlich prospe-
nach Auslaufen der Übergangsfinanzierung Kultur                   riert und trotzdem an den massiven Umbau ihrer
des Bundes schlicht überfordert gewesen, die                      Infrastruktur denken muss. Was wir dennoch
Substanz zu erhalten, es hätte ein Kultursterben in               konstatieren müssen, bei all diesen positiven
diesem Land mit dichtester kultureller Infrastruktur              Entwicklungen einer reflektierten Kulturpolitik,
eingesetzt. Sachsen-Anhalt und Thüringen, die                     bei diesem Schub an Professionalisierung, an
auch sehr dichte Angebotskulissen haben, sind                     Austausch, an Anregung: Große konzeptionelle
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