Kulturpolitik neu denken - Neue Ansätze in der Kulturförderung - Dokumentation der Kulturkonferenz der Ständigen Kulturpolitischen Konferenz der ...
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Kulturpolitik neu denken – Neue Ansätze in der Kulturförderung Dokumentation der Kulturkonferenz der Ständigen Kulturpolitischen Konferenz der Partei DIE LINKE. am 31. Mai 2013 im Pfefferberg in Berlin
Inhaltsverzeichnis Vorbemerkung 3 Programm der Konferenz 5 Protokoll: I. Kulturpolitik neu denken – neue Heraus forderungen, neue Ansätze für Kulturpolitik und Kulturförderung im 21. Jahrhundert Begrüßung Dr. Annette Mühlberg und Elli Strauven-Dejean 7 Tobias J. Knoblich: Zwischen Kreativität und Kulturinfarkt. Was heißt heute konzeptbasierte Kulturpolitik und was kann sie leisten? 9 Klaus Schöpp: Ansätze für eine zeitgemäße Kulturförderung – »Hochkultur« oder »Freie Szene«, ist das noch die Frage? Forderungen der Koalition der Freien Szene 20 Dr. Lukrezia Jochimsen: Kultur für alle – Jetzt erst recht! 28 Erstes Podium: Neue Ansätze für Kulturpolitik und Kulturförderung 31 II. Kulturförderung neu denken – Initiativen und Konzepte in den Ländern und Kommunen Olaf Zimmermann: Der Kulturkonvent in Sachsen-Anhalt – Ein verallgemeinerungsfähiges Modell? 43 Prof. Dr. Matthias Theodor Vogt: Mittelstädte sind kulturelle Zentren eigener Art. Ihre Förderung am Beispiel des Sächsischen Kulturraumgesetzes 52 Katrin Framke: Initiativen der Linken zur Kulturförderung in den Ländern – Ein Überblick 61 Zweites Podium: Kulturförderung in Flächenländern – Initiativen und Konzepte 63 Drittes Podium: Kulturförderung in Großstädten/Stadtstaaten 72 Dr. Annette Mühlberg: Fazit und Ausblick 82 Anlagen Selbstdarstellung Ständige Kulturpolitische Konferenz 83 Auszug aus dem Bundestags- wahlprogramm 2013 zur Kultur 84 Selbstdarstellung Pfefferwerk Stadtkultur gGmbH 86 1
Partei DIE LINKE. Ständige Kulturpolitische Konferenz Kleine Alexanderstraße 28, 10178 Berlin Tel. 030/24009-357 E-Mail: gert.gampe@die-linke.de V.i.S.d.P.: Gert Gampe Redaktion: Dr. Annette Mühlberg Redaktionsschluss: April 2014 Titelbild: »Berlin Pfefferberg 2013« aus der Bilder serie »Berlin Häuserflucht«, Stefan Paubel, 2013 Satz und Herstellung: MediaService GmbH Druck und Kommunikation 2
Vorbemerkung ›› Vorbemerkung Am 31. Mai 2013 diskutierten im Pfefferberg in einen Antrag für ein Kulturfördergesetz in den Berlin Mitglieder der Ständigen Kulturpolitischen Landtag eingebracht. Er wurde mit der Begründung Konferenz der Partei DIE LINKE. mit verschiedenen abgelehnt, dann solle man doch besser gleich Akteuren aus Politik, Wissenschaft und der Kultur einen Gesetzentwurf machen. Das will die Links- szene auf einer eintägigen Beratung über neue fraktion nun tun. Am 10. Januar 2014 verständigte Herausforderungen und neue Ansätze für Kultur sich die Landtagsfraktion auf einer Klausur über politik und Kulturförderung. Eckpunkte für ein Kulturfördergesetz in Mecklen- burg-Vorpommern. Wir dokumentieren im Folgenden die Debatte dieses Tages. Hier zum Eingang ein kurzer Überblick über In Sachsen-Anhalt hat sich über 14 Monate ein den Verlauf der Diskussion und deren Ergebnisse: Kulturkonvent mit der Situation und den Perspek Kulturelle Vielfalt braucht auch weiterhin öffentliche tiven der kulturellen Infrastruktur beschäftigt. Förderung. Daran bestand für die Anwesenden kein Olaf Zimmermann (Geschäftsführer des Deutschen Zweifel. Neu aber muss bedacht werden, in welcher Kulturrates und Moderator des Kulturkonvents Weise sie künftig zu gestalten ist. Sachsen-Anhalt) fasste dessen Ergebnisse und Erfahrungen zusammen und ging der Frage nach, Tobias J. Knoblich (Vizepräsident der Kulturpoli- ob dies ein verallgemeinerungsfähiges Modell auch tischen Gesellschaft e. V.) beschrieb in seinem für andere Länder sei. Das Besondere dieses Einstiegsreferat mit dem Titel »Zwischen Kreativität Konvents war seine Zusammensetzung. Er war kein und Kulturinfarkt: Was heißt heute konzeptbasierte kleines Expertengremium, sondern bot ein breites Kulturpolitik und was kann sie leisten?« die derzei- Abbild der Gesellschaft des Landes Sachsen- tige Situation in der Theoriebildung und kultur Anhalt. Er war breit demokratisch legitimiert, es politischen Praxis und zeigte Möglichkeiten und wurde gemeinsam an Lösungen gearbeitet. Des- Grenzen konzeptbasierter Kulturpolitik auf. Klaus halb sei dieser Konvent ein nachahmenswertes Schöpp (Musiker und Sprecher der Koalition der Modell für andere Länder – meinte Olaf Zimmer- Freien Szene, Berlin) setzte sich mit dem Verhältnis mann. Allerdings verdeutlichte er auch, dass das von Hochkultur und Freier Szene auseinander und eigentliche Problem nun in der Umsetzung der erläuterte die Forderungen der Koalition der Freien Empfehlungen des Konvents liege, denn die Spar- Szene an die Politik. Gerade hier wurde deutlich, beschlüsse in Sachsen-Anhalt konterkarieren seine dass es nicht so weitergehen kann wie bisher. Und Ergebnisse. Es gelte nun gemeinsam für die Kultur Lukrezia Jochimsen (MdB, Kulturpolitische Spreche- in Sachsen-Anhalt zu streiten. rin der Bundestagsfraktion DIE LINKE.) erneuerte den Anspruch einer »Kultur für alle«. Um diesen Prof. Dr. Matthias Theodor Vogt (Professor für einzulösen, müssen wir eine Diskussion über unsere Kulturgeschichte und Kulturpolitik an der Hoch- öffentlichen Güter anstoßen, zu denen Kultur schule Zittau/Görlitz, Geschäftsführender Direktor weitgehend gehört. Stellen wir doch allerorten fest, des Instituts für kulturelle Infrastruktur Sachsen) dass diese Gemeingüter der Bevölkerung genom- referierte über Mittelstädte als kulturelle Zentren men und vorenthalten, dass sie zerstört oder eigener Art und ihre Förderung am Beispiel des kommerzialisiert werden. Dagegen müssen wir Sächsischen Kulturraumgesetzes, welches er politisch angehen, aktuell vor allem bei der Diskus- maßgeblich mit auf den Weg gebracht hatte. sion um das Freihandelsabkommen der Europä- Sein Resümee lautete, dass durch die Pflichtauf ischen Union mit den USA – war ihr Plädoyer. gabe Kultur im Sächsischen Kulturraumgesetz die Garantie von Artikel 28 Grundgesetz und Artikel 82 In der anschließenden Podiumsdiskussion wurde Sächsische Verfassung, nämlich Gestaltungshoheit über vorhandene Ansätze für eine neue Kulturpoli- der Kommunen, überhaupt erst hergestellt worden tik und Kulturförderung – nicht zuletzt auch am sei. Und deshalb wäre es in der Tat gut, einen Beispiel von Mecklenburg-Vorpommern – disku- Artikel im Grundgesetz zu haben, mit dem Kultur tiert. Dort engagiert sich eine Volksinitiative für den zur Pflichtaufgabe wird und einen entsprechenden Erhalt der Theater- und Orchesterlandschaft. Dafür in allen Landesverfassungen. braucht es eine verlässliche längerfristige Förde- rung. Zum Schutz von Kultur sollten verpflichtende In den folgenden zwei Podiumsdiskussionen wurde Regelungen zur Förderung von Kultur auf Landes- über Initiativen und Konzepte zur Kulturförderung und Bundesebene geschaffen werden. Linksfrakti- in Flächenländern einerseits und Großstädten/ on und Grüne hatten zum Anfang des Jahres 2013 Stadtstaaten andererseits mit ihren jeweils spezi- 3
›› Kulturpolitik neu denken – Neue Ansätze in der Kulturförderung fischen Rahmenbedingungen diskutiert. Interes- und außerparlamentarische Aktivitäten erhalten, sant waren hier insbesondere die Erfahrungen die ernsthaft weiter verfolgt und umgesetzt werden der LINKEN in Sachsen bei der Entwicklung von müssen. Das reicht von den Kulturfördergesetzen kulturpolitischen Leitlinien und ihrer breiten über die Formulierung von kulturpolitischen öffentlich Diskussion. Ähnlich die öffentliche Leitlinien, nicht nur in einem Land, bis hin zum Debatte über den Vorschlag für ein Kulturförder Einfordern einer »kulturellen Ausnahme« bei den gesetz der Linksfraktion in Thüringen. Auch in Verhandlungen zum Freihandelsabkommen zwi- Hamburg oder Berlin könnte ein Kulturfördergesetz schen der Europäischen Union und den USA. Wir hilfreich sein, allerdings sind dort andere Gegeben- werden der Frage nachgehen, wo und in welcher heiten zu beachten. In Berlin gab es dafür ja schon Weise es sinnvoll ist, Ähnliches wie das Sächsische Ansätze. Wolfgang Brauer (Kulturpolitischer Kulturraumgesetz oder Beteiligungsformen wie den Sprecher der Linksfraktion in Berlin) sprach sich Kulturkonvent auf den Weg zu bringen. Der Forde- für ein Landeskulturgesetz anstelle von vielen rungskatalog der Koalition der Freien Szene in Einzelkulturgesetzen aus. Darin sollte erstens Berlin enthält für uns ein ganzes Bündel von festlegt werden, dass das Land Berlin Kultur Aufgaben zur Verbesserung der Situation von fördert und unterstützt und zweitens sollte sehr freiberuflich tätigen Kreativen. Mit den Forde- genau definiert werden, wofür der Senat zuständig rungen stimmen wir in der Grundrichtung überein. ist, was die Landesebene zu machen hat und was Relevant sind sie nicht nur für diese eine Stadt. von den Bezirken als »Teilkommunen« erwartet Wir sind eine »Ständige Kulturpolitische Konferenz« wird. Klar werden muss, wie sich das Land selbst und werden uns mit den Themen, die im Mai in die Pflicht nimmt, um die Bezirke in die Situation vergangenen Jahres diskutiert wurden, weiter zu versetzen, die zugewiesenen Aufgaben auch beschäftigen.1 Wir bedanken uns bei allen erfüllen zu können. Mitwirkenden für ihre Beiträge. Das Ergebnis des Tages lässt sich aus Sicht der Veranstalter kurz zusammenfassen: Wir haben eine Annette Mühlberg ganze Reihe von Anregungen für parlamentarische April 2014 1 Mehr Informationen zu den kulturpolitischen Positionen und Initiativen der LINKEN finden Sie auf den Internet-Seiten der Partei DIE LINKE unter: http://www.die-linke.de/politik/positionen/ kulturpolitik/ 4
Programm der Konferenz ›› Programm der Konferenz Fragestellung munen entwickelt worden, nicht zuletzt auch von der LINKEN. Dabei rücken Strategien einer »kon- Kulturelle VieIfalt braucht auch weiterhin öffent- zeptbasierten Kulturpolitik« mit der Entwicklung liche Förderung. Daran besteht zumindest unter von Leitlinien, Plänen, Konzepten immer mehr in Kulturpolitikerinnen und Kulturpolitikern kein den Mittelpunkt. Daneben werden vor allem Zweifel. Die Frage aber ist, in welcher Weise diese Forderungen nach gesetzlichen Regelungen zur künftig zu gestalten ist. Sowohl die Rahmenbedin- Sicherung der »freiwilligen« Aufgabe Kultur und für gungen als auch die Formen kultureller Arbeit einen gerechten Leistungs- und Nutzenausgleich haben sich in den letzten Jahren entscheidend zwischen den Städten und ihrem Umland unter verändert. Ein einfaches »Weiter so« kann es in Beteiligung der Länder lauter. der Kulturpolitik und Kulturförderung nicht geben. Wir wollen auf der Kulturkonferenz den Fragen Im neuen Grundsatzprogramm der Kulturpoli- nachgehen, welche Modelle, Konzepte und Strate- tischen Gesellschaft werden die Herausforde- gien in Bund und Ländern zur Bewältigung dieser rungen treffend beschrieben: »Die politischen, neuen Herausforderungen entwickelt wurden, kulturellen und wirtschaftlichen Rahmenbedin- welche sich in der Praxis schon als tragfähig gungen verändern sich weltweit grundlegend. Ein erwiesen haben und welche es sich noch auszupro- tief greifender Strukturwandel hin zu einer digitalen bieren lohnt. Wir laden herzlich zur Debatte über und globalen Wissensgesellschaft schafft neue diese Fragen ein und hoffen auf eine anregende Optionen, birgt aber auch Risiken. Die ökologische Diskussion mit allen Anwesenden, auch über den und finanzwirtschaftliche Krise sowie die demo Kreis der Referentinnen und Referenten hinaus. grafische und sozio-ökonomische Entwicklung beeinträchtigen die Lebensgrundlagen zukünftiger Generationen und bedrohen den sozialen Frieden. Alle Politikbereiche sind aufgerufen, sich diesen Ablauf: Herausforderungen zu stellen – auch die Kulturpoli- tik! Notwendig sind alternative Gesellschaftsent- 10.00–10.15 Uhr würfe, die die kulturelle und soziale Teilhabe mit Begrüßung: Dr. Annette Mühlberg (Bundessprecherin nachhaltiger Entwicklung zusammen denken und der Ständigen Kulturpolitischen Konferenz) und Elli dabei auch die Arbeits- und Produktionsbedin- Strauven-Dejean (Pfefferwerk Stadtkultur gGmbH) gungen in der Kunst und in der Kulturwirtschaft in den Blick nehmen.«2 I. Kulturpolitik neu denken – neue Heraus Das heißt auch alternative Entwürfe und Konzepte forderungen, neue Ansätze für Kulturpolitik für eine Kulturförderung zu entwickeln, die sich und Kulturförderung im 21. Jahrhundert über den Erhalt und die Pflege des kulturellen Erbes hinaus auf die vielgestaltige kulturelle 10.15–10.45 Uhr Szene – von den öffentlichen Kultureinrichtungen Einstiegsreferat: Zwischen Kreativität und über die frei-gemeinnützigen Projekte und Initiati- Kulturinfarkt: Was heißt heute konzeptbasierte ven bis hin zu den privatwirtschaftlichen Kulturan- Kulturpolitik und was kann sie leisten? bietern – richtet und in stärkerem Maße als bisher Tobias J. Knoblich (Vizepräsident der Raum für Neues schafft. Vor allem muss von der Kulturpolitischen Gesellschaft e. V.) Förderung deutlich mehr bei den Kreativen selbst ankommen. 10.45–11.15 Uhr Nachfragen an den Referenten/Diskussion Ansätze dafür sind in den letzten Jahren in ver- Moderation: Dr. Annette Mühlberg schiedener Weise sowohl auf Bundesebene (so zum Beispiel von der Enquete-Kommission »Kultur in 11.15–11.45 Uhr Deutschland«) als auch in den Ländern und Kom- Ansätze für eine zeitgemäße Kulturförderung – »Hochkultur« oder »Freie Szene«, ist das noch die Frage? Forderungen der Koalition 2 Vgl. Grundsatzprogramm der Kulturpolitischen Gesellschaft, der Freien Szene beschlossen am 21. September 2012 in Berlin, digitale Fassung Klaus Schöpp (Musiker, Koalition der Freien Szene, verfügbar unter: http://www.kupoge.de/dok/programm_kupoge.pdf Berlin) 5
›› Kulturpolitik neu denken – Neue Ansätze in der Kulturförderung 11.45–12.15 Uhr 16.00–16.15 Uhr Kaffeepause Kultur für alle – Jetzt erst recht! Dr. Lukrezia Jochimsen (MdB, Kulturpolitische 16.15–16.30 Uhr Sprecherin der Bundestagsfraktion DIE LINKE.) Initiativen der Linken zur Kulturförderung in den Ländern – Ein Überblick 12.15–13.30 Uhr Katrin Framke (Projektmanagerin, Berlin) 1. Podium: Neue Ansätze für Kulturpolitik und Kulturförderung 16.30–17.30 Uhr Mit Dr. Lukrezia Jochimsen, Klaus Schöpp, 2. Podium: Kulturförderung in Isa Kathrin Edelhoff (Kulturvermittlerin und Flächenländern – Initiativen und Konzepte -managerin, Berlin, Regionalsprecherin der Mit Volker Külow (MdL, Kulturpolitischer Sprecher Kulturpolitischen Gesellschaft Berlin-Brandenburg), der Linksfraktion im Landtag Sachsen), Jayne-Ann Torsten Koplin (MdL, Kulturpolitischer Sprecher Igel (Schriftstellerin, Sprecherin der Landesarbeits- der Linksfraktion im Landtag Mecklenburg- gemeinschaft Kultur Sachsen), Dr. Birgit Klaubert Vorpommern), Ralph Reichel (Chefdramaturg (MdL, Kulturpolitische Sprecherin der Linksfraktion am Mecklenburgischen Staatstheater Schwerin, im Landtag Thüringen), Lorenz Müller-Morenius Volksinitiative für den Erhalt der Theater- und (Freier Maler und Zeichner, ver.di NRW) Orchesterstrukturen in Mecklenburg-Vorpommern) Moderation: Dr. Annette Mühlberg Moderation: Kathrin Senger-Schäfer (MdB, Medienpolitische Sprecherin der Bundestags 17.30–18.30 Uhr fraktion DIE LINKE.) 3. Podium: Kulturförderung in Großstädten/Stadtstaaten 13.30–14.00 Uhr Mittagspause Mit Wolfgang Brauer (MdA, Kulturpolitischer Sprecher der Linksfraktion in Berlin), Heimo Lattner (Bildender Künstler, Haben und Brauchen, Berlin), II. Kulturförderung neu denken – Siri Keil (Wissenschaftliche Mitarbeiterin von Initiativen und Konzepte in den Ländern Norbert Hackbusch, MdHB, Fachsprecher für und Kommunen Kultur der Linksfraktion in Hamburg), Alexander Pinto (Wissenschaftlicher Mitarbeiter Hafencity 14.00–14.30 Uhr Universität Hamburg/Kultur der Metropole) Der Kulturkonvent in Sachsen-Anhalt – Moderation: Matthias Zarbock (Sprecher der Ein verallgemeinerungsfähiges Modell? LAG Kultur Berlin) Olaf Zimmermann (Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates und Moderator des Kulturkonvents 18.30 Uhr Sachsen-Anhalt) Fazit und Ausblick: Dr. Annette Mühlberg 14.30–14.45 Uhr Nachfragen an den Referenten/Diskussion Ab 19.00 Uhr Moderation: Isa Kathrin Edelhoff Teilnahme am Auftakt zum Fest der Linken im Kino Babylon 14.45–15.15 Uhr Mittelstädte sind kulturelle Zentren eigener Ab 21.00 Uhr Art. Ihre Förderung am Beispiel des Ausklang im Café Luxemburg Sächsischen Kulturraumgesetzes am Rosa-Luxemburg-Platz Prof. Dr. Matthias Theodor Vogt (Professor für Kulturgeschichte und Kulturpolitik an der Hoch- schule Zittau/Görlitz, Geschäftsführender Direktor des Instituts für kulturelle Infrastruktur Sachsen) 15.15–16.00 Uhr Nachfragen an den Referenten/Diskussion Moderation: Jochen Mattern (Parlamentarisch- wissenschaftlicher Berater in der Linksfraktion des Landtags von Sachsen) 6
»Kulturpolitik neu denken – Neue Ansätze in der Kulturförderung« am 31. Mai 2013 in Berlin ›› Protokoll der Kulturkonferenz der Ständigen Kulturpolitischen Konferenz der Partei DIE LINKE. »Kulturpolitik neu denken – Neue Ansätze in der Kulturförderung« am 31. Mai 2013 in Berlin Begrüßung Dr. Annette Mühlberg die Pfefferwerk Stadtkultur gGmbH vorstellen. Sie und Elli Strauven-Dejean ist Abteilungsleiterin Ausbildung Medien und Kultur. Ich werde ihr gleich das Wort geben. Zuvor möchte ›› Dr. Annette Mühlberg: Meine sehr verehrten ich noch auf kleine Programmänderungen hinwei- Damen und Herren, liebe Mitstreiterinnen und sen. Tobias Knoblich, muss leider Punkt 11.15 Uhr Mitstreiter. Ich begrüße Sie alle ganz herzlich diesen Raum verlassen, so dass wir pünktlich mit zu unserer Kulturkonferenz »Kulturpolitik neu seinem Referat beginnen müssen und nur kurze Zeit denken – Neue Ansätze in der Kulturförderung«. für Nachfragen an ihn haben. Er wird zum Thema Veranstalter ist die Ständige Kulturpolitische »Grenzenlose Kreativität und Kulturinfarkt: Was heißt Konferenz der Partei DIE LINKE. Ich bin die Bun- heute konzeptbasierte Kulturpolitik und was kann dessprecherin dieser Arbeitsgemeinschaft. Die sie leisten«. sprechen. Es folgt der Beitrag von Klaus Ständige Kulturpolitische Konferenz gibt es schon Schöpp, Musiker, Vertreter der Koalition der Freien seit 1995. Wir sind ein ehrenamtliches Gremium Szene, dann wird Lukrezia Jochimsen sprechen und von kulturpolitisch Aktiven innerhalb der Partei, anschließend findet das erste Podium statt. Und die sich zusammengeschlossen haben, um etwas jetzt bitte ich Elli Strauven-Dejean ans Mikrofon. für Kultur und Kulturpolitik in der LINKEN zu tun. Wir verstehen uns als ständiges Diskussionsforum, ›› Elli Strauven-Dejean: Ich leite hier im Haus die deswegen auch der Name: Ständige Kulturpoli- Abteilung Ausbildung Medien und Kultur und möchte tische Konferenz. Wir beraten den Parteivorstand Sie ganz herzlich bei uns auf dem Pfefferberg und die verschiedenen Gremien der Partei. Ge- begrüßen. Ich versuche meinen Beitrag weitestge- stern Abend, das will ich nur erwähnen, habe ich hend zu raffen und gebe Ihnen nur einen kleinen den Änderungsantrag der Ständigen Kulturpoli- Einblick in die bewegte Geschichte des Pfefferberg. tischen Konferenz zum Bundestagswahlprogramm 1841 hat der bayrische Braumeister Joseph Pfeffer an den Parteivorstand geschickt. Im Entwurf ist hier am Ort eine Brauerei gegründet. Damals war schon eine Passage zur Kultur enthalten, ein das noch außerhalb von Berlin. In der Gründerzeit eigenständiger Abschnitt, was wir gut finden. wurde ja viel gebaut, unter anderem auch die Aber wir wollen ihn noch verbessern. Wir verste- Mietshäuser hier um uns herum. Es wurden die hen uns also als Beratungsgremium und gleich Anlagen ausgebaut und alles wurde unterkellert. zeitig koordinieren wir auch die Kulturpolitik der Das Bier schmeckte gut, hat sich gut verkauft. LINKEN im Bund und in den Ländern bis hin zur 1919 hat Schultheiss die Brauerei übernommen und Europäischen Ebene. leider gleich danach still gelegt. Von 1920 bis zum Zweiten Weltkrieg waren hier viele verschiedene Warum eine Konferenz »Kulturpolitik neu denken«? Nutzer ansässig, unter anderem die Bezirksverwal- Uns alle eint die Wertschätzung von Kultur und tung Prenzlauer Berg inklusive Bürgermeister, die Kulturarbeit. Wir wissen aber ebenso, dass sich Hoffmann Schokoladen Kommanditgesellschaft, sowohl die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die Bäcker- und Konditoreigenossenschaft, die als auch die Kulturszene selbst, also die Bedin- Germania Brotbäckerei und viele mehr. gungen kultureller Arbeit, grundlegend verändert Im Zweiten Weltkrieg wurden relativ viele Gebäude haben, und dass die bisherigen Formen öffentlicher auf dem Gelände zerstört oder sind stark in Förderung in Zukunft nicht einfach so fortgesetzt Mitleidenschaft gezogen worden. Die Tiefkeller werden können wie bisher. Und da wir zu den dienten u. a. als Luftschutzbunker. Perspektiven öffentlicher Förderung noch mehr Fragen als Antworten haben, wollen wir uns nun Ab 1946 sind der Verlag und die Druckerei vom auf dieser eintägigen Konferenz mit Ihnen darüber Neuen Deutschland hier eingezogen. Später verständigen, wie wir Kulturpolitik neu denken und wurden durch die kommunale Wohnungsverwal- neue Ansätze in der Kulturförderung finden können. tung Prenzlauer Berg Gebäude als Lager, Büros, Garagen, Werkstätten verwendet und u. a. auch Ganz kurz zum Programm: Nach mir wird Elli eine Außenstelle der Poliklinik für Bauarbeiter Strauven-Dejean etwas zum Ort unserer Veranstal- eingerichtet. tung, dem Pfefferberg, sagen und ihre Institution 7
›› Kulturpolitik neu denken – Neue Ansätze in der Kulturförderung 1987/1988 hat das Institut für Städtebauliche viele Veranstalter in Berlin den Spagat machen Architektur der DDR ein Konzept für diesen Ort zwischen Veranstaltungen, die uns inhaltlich entwickelt – als kultureller und sozialer Standort. besonders am Herzen liegen, wie zum Beispiel 1991 wurde das Gebiet zum Denkmal erklärt. Der die Förderung junger Bands oder Events und Pfefferwerk Verein hat die Idee, die ja vorher schon Veranstaltungen, die wir eher aus wirtschaftlichen bestand, aufgegriffen, hieraus ein soziokulturelles Gründen durchführen. Zentrum zu machen. Sie fingen auch damit an, die Ich hoffe, ich konnte Ihnen einen kleinen Einblick stark in Mitleidenschaft gezogenen Räume zu geben, bedanke mich und wünsche Ihnen noch Veranstaltungszwecken zu nutzen. Dazu gehören eine fruchtbare und erfolgreiche Diskussion heute. z. B. der Saal, wo jetzt das Restaurant Tauro ist, der Biergarten und das Haus 13, in dem wir uns ›› Dr. Annette Mühlberg: Herzlichen Dank unserer heute befinden und das im Prinzip eine Ruine war. Gastgeberin und auch dafür, dass Sie uns heute Berlinerinnen und Berliner, die nicht mehr ganz so hier Asyl gewährt und uns mit Speis und Trank super jung sind, so wie ich, können sich noch an bewirtet. Ich muss noch etwas nachtragen, was ich viele legendäre Veranstaltungen hier auf dem vorhin vergessen habe. Wir möchten heute diese Gelände erinnern. Der Pfefferwerk Verein hat wie Konferenz mitschneiden, um im Ergebnis eine gesagt versucht darauf hin zu wirken, dass hieraus ähnliche Dokumentation zu erstellen, wie wir sie ein soziokulturelles Zentrum wird. 1999 hat die schon nach unserer Konferenz 2011 veröffentlich Pfefferwerk Stadtkultur als Tochter der Pfefferwerk haben. Ich frage also an, ob Sie einverstanden Stiftung, die Immobilie vom Land Berlin und der sind, dass mitgeschnitten wird. Jeder Referent wird Bundesrepublik Deutschland erworben und seit seinen Beitrag vor Veröffentlichung zum Gegen 2001 wird hier saniert. Wie man sieht, sind die lesen und eventuellen Korrekturen erhalten. Ich Arbeiten immer noch nicht ganz abgeschlossen. sehe, es gibt keinen Widerspruch. Dann können Insgesamt hat der Pfefferberg 21 Gebäude. In 2001 wir so verfahren. hat gleich als erstes die Akira Ikeda Galery Berlin Dann kündige ich jetzt Tobias J. Knoblich an. eröffnet, die sich immer noch hier befindet. Seit Er ist Kulturwissenschaftler, hat an der Humboldt 2002 haben sich hier verschiedene Interessenten, Universität in Berlin studiert. Und er ist Kulturpoliti- die im Rahmen des Nutzungskonzeptes, Kultur, ker, langjährig in verschiedenen Gremien tätig, die Soziales, Dienstleistung und Kunst, angesiedelt ich jetzt nicht alle aufzähle. Zurzeit ist er Kulturdi- und konnten Teile des Pfefferbergs erwerben oder rektor in Erfurt und heute hier als Vizepräsident pachten. Ich nenne jetzt nicht alle, möchte aber ein der Kulturpolitischen Gesellschaft. Die Ständige paar Beispiele anführen, dazu gehört das Architek- Kulturpolitische Konferenz ist seit 1998 als Bun- turforum Aedes, die unsere Nachbarn sind, der desarbeitsgemeinschaft Mitglied in der Kulturpoli- Künstler Olafur Eliasson, die Galerie Meinblau, jetzt tischen Gesellschaft und beteiligt sich dort auch gerade neu hat die Tchouban Foundation zur Christi- aktiv an Konferenzen und Diskussionen. Wir freuen nenstraße hin ein Museum für Architekturzeichnung uns, dass wir heute zwei Vertreter/innen der erbaut, was morgen feierlich eröffnet wird. Auf der Kulturpolitischen Gesellschaft begrüßen können. Baustelle nach vorn zur Schönhauser Allee hin wird Neben Tobias Knoblich ist das Isa Kathrin Edelhoff, durch den VIA Unternehmensverbund ein Theater die nachher mit im Podium sitzen und am Nach und auch eine kleine Pfefferbrauerei eröffnet, wo mittag Olaf Zimmermann zum Kulturkonvent in dann wieder ein eigenes Bier gebraut wird. Sachsen-Anhalt befragen wird. Sie ist Regional- sprecherin Berlin-Brandenburg. Jetzt zu uns und diesem Saal. Die Pfefferwerk Stadtkultur hat mit Unterstützung des Landes Im möchte Ihnen in der ersten Reihe noch Gert Berlin diesen Standort als Ausbildungsstandort Gampe vorstellen, er ist Mitarbeiter beim Parteivor- sanieren können. Wir bilden in der Berufsausbil- stand der LINKEN und dort verantwortlich für Kultur dung Berufe im Veranstaltungswesen, in Medien, in der Öffentlichkeitsarbeit. Er verantwortet zum IT-Berufen, Gastronomie und im Bürobereich aus, Beispiel das große Fest der LINKEN, das heute mit einem besonderen Fokus auf benachteiligte Abend eröffnet wird und dann über zwei Tage geht. Jugendliche und Jugendliche mit besonderem Auch Dir Gert einen herzlichen Dank für die Hilfe bei Förderbedarf. Das heißt, Ihre Veranstaltung hier der Organisation der Veranstaltung und ein Dank an und auch das was Sie essen, wird alles mit und von Michaela Klingberg von der Rosa-Luxemburg-Stif- unseren Jugendlichen zubereitet, bereitgestellt tung, die uns heute hier ehrenamtlich unterstützt. usw. Darüber hinaus führen wir verschiedene Projekte der Berufsorientierung, Berufsvorbe Nun zurück zur Kulturpolitischen Gesellschaft und reitung und Berufseingliederung durch. zu Tobias J. Knoblich, dem ich jetzt einfach das Wir führen hier im Haus 13 ganz verschiedene Wort zu seinem einleitenden Referat gebe. Ich Veranstaltungen durch. Vom Band-Contest bis zur werde ihn danach kurz befragen, bevor er uns Konferenz ist fast alles dabei, wobei wir wie so leider wieder verlassen muss. 8
Zwischen Kreativität und Kulturinfarkt: Was heißt heute konzeptbasierte Kulturpolitik und was kann sie leisten? ›› Tobias J. Knoblich »Zwischen Kreativität und Kulturinfarkt: Was heißt heute konzeptbasierte Kulturpolitik und was kann sie leisten?« Liebe Frau Mühlberg, meine sehr geehrten Damen natürlich inspiriert von Vorgängerbüchern. Eines und Herren. Ich bedanke mich ganz herzlich für davon ist »Der exzellente Kulturbetrieb« von Armin die Einladung. Ich will noch sagen, warum ich eher Klein, mit dem dieser schon einmal aufgezeigt gehen muss, obwohl ich sehr gerne noch zur hatte, wohin ein Umdenken führen sollte, nämlich Diskussion geblieben wäre. Wir haben in Erfurt dass man auch den Betriebscharakter von Kultur- zurzeit das Deutsche Kinder-Medien-Festival einrichtungen stärker fördern sollte, dass man »Goldener Spatz«, in dessen Trägerstiftung ich den Mitarbeiterführung und Mitarbeiterentwicklung Oberbürgermeister im Präsidium vertrete, und betreiben, also den »Wissensmitarbeiter« in den heute findet die große Abschlussveranstaltung Blick nehmen muss, dass es um die Mehrdimensi- statt. Der OB hat mich kurzfristig gebeten, für ihn onalität von Finanzierungsstrategien und um die einzuspringen, so dass ich um 13.00 Uhr sein Kraft von Zukunftsbildern geht, die zu produzieren Grußwort im Theater Erfurt überbringen darf. Ich man nicht anderen überlassen darf. Wer entwirft bitte dafür um Verständnis. eigentlich die Perspektiven und welchen Anteil daran hat der öffentliche Kulturbetrieb? All das Mein Titel ist ein wenig sperrig: »Zwischen Kreativi- und vieles mehr hat Armin Klein dort aufgearbei- tät und Kulturinfarkt: Was heißt heute konzeptba- tet. Das Buch ist zwar nun auch in zweiter oder sierte Kulturpolitik und was kann sie leisten?« Ich dritter Auflage erschienen, aber hat – vielleicht will versuchen – weil es ja ein Einstieg für die weil es aus meiner Sicht sein bestes Buch bisher Tagung sein soll, die Sie heute haben – ein paar ist – bei weitem nicht diesen Protest ausgelöst wesentliche Debatten nachzuzeichnen, die uns wie der Kulturinfarkt. Ein anderes Buch, dessen gerade bewegen in Deutschland, teilweise auch Einfluss man spüren kann, ist Hans Abbings darüber hinaus. Dann möchte ich andeuten, welche »Why are artists poor?«, ein Buch, in dem Abbing neue Fachlichkeit es zum Kulturbereich gibt, die versucht, die Grundlagen der besonderen Ökono- mit diesen Debatten entweder gegenläufig sind mie von Kunst und Künstlern darzustellen und zu oder mit diesen korrespondieren, um dann in zeigen, dass für diese der Markt immer etwas ganz einem dritten Schritt zu zeigen, welche Möglich- schwieriges, etwas ganz schlechtes, verderbliches keiten und Grenzen sich für konzeptbasierte ist, der die Kunst und das Handeln der Künstler Kulturpolitik daraus ergeben und was überhaupt »kontaminiert«, und dass sie auf der anderen Seite konzeptbasierte Kulturpolitik in meinem Verständ- natürlich von der öffentlichen Hand leben können, nis heißen soll. die eine Kulisse bietet, die es ganz, ganz vielen Künstlern – mehr als jemals in der Geschichte I. zuvor – ermöglicht, sich im System zu halten und Zwischen Kreativität und Kulturinfarkt, so will ich mehr oder minder gut im Status zu bleiben. Das das erste Kapitel einmal überschreiben und auf führt aus seiner Sicht erst dazu, dass es diese zwei Bücher hinweisen, die im vergangenen Jahr breite Debatte um Kunstförderung gibt und die erschienen sind und die kulturpolitische Debatte Frage danach, wie man Künstlern »ihr Leben« angeheizt und zu sehr kontroversen Debatten sichern, wie der Staat seine Sozialgestaltungs- geführt haben. Das eine haben Sie bestimmt alle macht wahrnehmen kann und soll. Und er sagt, gelesen – das Buch »Der Kulturinfarkt«. Es gibt kein das Problem ist eigentlich die Kulturpolitik, die kulturpolitisches Buch, das im Verkauf jemals so Kunstförderung selbst, sie erst erzeuge eine erfolgreich gewesen ist, wie dieses. Die Autoren Schieflage und strukturelle Armut. Diese beiden haben mehr davon verkauft als die Kulturpolitische Bücher sind ganz wesentliche Grundlagen für Gesellschaft seit ihrem Bestehen mit allen Büchern diesen »Kulturinfarkt«, der natürlich alles zuspitzt zusammen. Das finde ich schon sehr bemerkens- und unter anderem die weitreichende These wert, das heißt, man kann mit Kulturpolitik durch- vertritt, dass die Geschichte des Kulturstaats die aus auch Geld verdienen. Geschichte einer permanenten politischen und gesellschaftlichen Kompensation sei, dass das Der Kulturinfarkt ist eine Streitschrift, eine Pole- aufklärerische Diktum, den Menschen durch Kultur mik, die sich mit dem Kulturstaat, der Kulturförde- zu bessern, durch breite Teilhabe eine Wohlfahrt rung, überhaupt mit Subventionen und wohlfahrts- insgesamt zu stimulieren, im Kern autoritär und staatlichen Axiomen auseinandersetzt; es ist etatistisch sei, ja dass »Kulturhoheit« ein hoheit- 9
›› Kulturpolitik neu denken – Neue Ansätze in der Kulturförderung liches Handeln des Staates bedeute und im mehr so gefreut über ein Buch, das auch kultur Kulturbereich eigentlich gar nichts zu suchen politisch relevant ist, und wir wissen ja, dass die habe. Soziologen bisher die wichtigsten Beiträge zur Reflexionstheorie im Bereich Kulturpolitik in den Aus Sicht der Infarkt-Autoren sind dies alles letzten Jahren beigesteuert haben, denken wir etwa Prozesse, die zur Zementierung eines Status Quo an Gerhard Schulze oder Albrecht Göschel. In beitragen. Dies solle nunmehr alles aufhören, man diese Reihe können wir Reckwitz (auch dank solle Kulturgüter und Institutionen verknappen, die anderer Bücher, die er publiziert hat) jetzt schon Infrastruktur halbieren, neue Finanzierungsmodelle einordnen. Wir werden seinen Gedanken das finden, mehr Markt zulassen, weniger Kanon nächste Heft der Kulturpolitischen Mitteilung festschreiben und von den Nutzern her denken. widmen, dort wird auch sein kompletter Vortrag Letzteres ist auch ein Aspekt, den Klein sehr zu publiziert sein. Recht, wie ich meine, in seinem »Exzellenten Kulturbetrieb« stark gemacht hatte. Alles ist sicher Bei diesem »Kreativinfarkt« – aber das ist meine nachdenkenswert, aber vielleicht nicht in dieser Zuschreibung – geht es darum, dass wir inzwi- Melange, in der es für viele ungenießbar schien. schen nicht mehr nur kreativ sein sollen, dass es Das Buch, das vor Erscheinen zunächst den nicht nur eine bevorzugte Gruppe innerhalb der Arbeitstitel »Aufräumen« trug, geht ja auf eine Gesellschaft gibt, nämlich die Künstler, die kreativ Tagung der Kulturpolitischen Gesellschaft zurück, sind, sondern wir alle sollen, ja müssen inzwischen wo die Autoren zum Teil anwesend waren; aus kreativ sein. Reckwitz spricht von einem regel- diesem »Aufräumen« ist dann der »Infarkt« gewor- rechten »Kreativitätszwang«, der sich aus einer den (oder der Verlag hat es so zugespitzt, um den Ökonomisierung und Medialisierung des Sozialen Verkauf anzukurbeln). Dieses »Aufräumen« ist im ergebe, und im Grunde genommen kippt jenseits Kern ja nicht verkehrt. Wir wissen andererseits, der Genieästhetik, die ja für den Künstler historisch dass es auch andere Bücher gab, die Kulturpolitik- maßgeblich ist, alles ins Soziale. In allen Bereichen geschichte geschrieben haben und die Polemik der Gesellschaft – wir sprechen ja inzwischen von nutzten, um Aufmerksamkeit zu erlangen: Alexan- Creative Industries, Creative Cities und Körper- der Mitscherlichs explizite »Anstiftung zum Unfrie- techniken bis hin zum durchgestylten, durchtäto- den«, »Die Unwirtlichkeit der Städte«, gehört dazu. wierten, gepiercten und operativ umgewandelten Körper –, überall also greifen Ästhetisierungsstra- Der Kulturinfarkt stellt im Grunde genommen tegien. Seit den 1970er Jahren, das ist seine These, die gewachsene kulturelle Infrastruktur und das entfalte sich das »Kreativitätsdispositiv«. Er bedient gesamte Setting unseres kulturpolitischen Handelns sich bei seiner Argumentation eines Machtbe- nachdrücklich in Frage und sagt eigentlich primär, griffes von Foucault und wendet ihn so an, so dass der Nutzer wird es schon richten, der Markt wird es wir sagen müssten, »Kultur für alle« ist vor diesem schon richten, und wir müssen im Grunde genom- Hintergrund und zu Ende gedacht nicht mehr eine men diese wettbewerbsbefreiten Zonen, die merito- Befreiungsbewegung, sondern lediglich der Aus- rischen Güter im Kulturbereich, präziser definieren druck eines Prinzips im Gewand einer politischen und nach deren Berechtigung fragen. Das Nachden- Strategie. Eigentlich ist es nicht steuerbar, wir kenswerte am Buch wird durch die Verkürzung und agieren lediglich in seiner Wirkungsmacht. Überzeichnung für viele ungenießbar. Kulturpolitische Leitformeln wie Soziokultur Das andere Buch, das mit dem vermeintlichen künden davon, dass das Laienschaffen im Verbund Kulturinfarkt durchaus korrespondiert, ist ein Buch, mit dem Profischaffen, die Aufhebung der Distanz das man auch »Der Kreativinfarkt« titulieren zwischen Produktion und Rezeption etwas progres- könnte: »Die Entstehung der Kreativität« von sives, emanzipatorisches sei; mit Reckwitz erleben Andreas Reckwitz, das ebenfalls ein Bestseller zu wir eher ein »Regime des Neuen«, die fortwährende werden verspricht. Im Untertitel heißt es »Zur Erfindung neuer Ausdrucksweisen, das Einsickern Ästhetisierung gesellschaftlicher Prozesse«. Ein des »Terrors« von Kreativität in alle Lebensbe- sehr kluges Buch von einem Kultursoziologen aus reiche, so dass das Ganze auch als ein Infarkt von Frankfurt/Oder, das er auf einer Tagung in Loccum Gestaltungsansprüchen und – eo ipso – von kürzlich vorgestellt hat. Er hat dort einen Vortrag Kulturpolitik betrachtet werden kann. Man muss dazu gehalten und kulturpolitische Thesen ge- dann natürlich fragen, welche Bedeutung Kulturin- bracht; dieses Buch ist wesentlich differenzierter stitutionen, die gewachsen sind, bestimmte Zonen und spielt in einer anderen wissenschaftlichen von Kreativität, die in der Gesellschaft existieren, Liga als der »Kulturinfarkt«, das will ich gleich zur mit denen wir uns als Kulturpolitikerinnen und Ehrenrettung von Reckwitz vorab sagen. Kulturpoli- Kulturpolitiker beschäftigen, dann noch haben. tisch forschende Soziologen und Wissenschaftler Werden diese dann obsolet, verändern sich ihre angrenzender Disziplinen haben sich lange nicht Berechtigung oder Daseinsformen oder ihre 10
Zwischen Kreativität und Kulturinfarkt: Was heißt heute konzeptbasierte Kulturpolitik und was kann sie leisten? ›› Entwicklungsmöglichkeiten, also wird damit nicht System der Kunst zu elementaren Fragen an die exklusive Aufgabe von Kulturpolitik, so breit sie die Politik des Kulturellen. auch immer gestreut sei, gänzlich in Frage gestellt? Ist nicht der erweiterte Kulturbegriff dann eher ein Diese beiden Dimensionen verhandeln wir also Symptom, das den Anfang vom Ende von Kulturpo- derzeit. All dies passiert in einer Zeit, in der wir litik bedeutet und nicht eine breite Emanzipation? eigentlich sehr viele Gewissheiten gewonnen Also hat dort nicht auch Kulturpolitik versagt oder haben, was wir mit Kulturpolitik erreichen können. anders gefragt: hatte sie überhaut eine historische Wir haben im Grunde genommen in den letzten Chance? Diese Fragen könnte man stellen, wobei Jahrzehnten eine neue Fachlichkeit erreicht, etwa das Kreativitätsdispositiv kein Subjekt der Ge- mit der Rede von einer aktivierenden Kulturpolitik, schichte ist, wenn man so will, sondern eher eine die Strategien sucht, um mit Bürgerinnen und Dynamik, die entfacht wird durch unterschiedliche Bürgern ins Gespräch zu kommen, Konzepte zu Elemente bis hin zu einem ausgeprägten »ästhe- entwickeln, Kulturentwicklungspläne – die ersten tischen Kapitalismus«, wenn es zu einer Verkop kommunalen waren ja etwas ganz Revolutionäres –, pelung von Vermarktlichung und Ästhetisierung und auch der obsolete Begriff der Kulturpflege, kommt. bei dem man immer das Gefühl hatte, es gehe um einen Patienten, ist längst vergessen. Ich empfehle Ihnen die Lektüre des Buches sehr und will es einmal mit dem Kulturinfarkt in eine II. Beziehung setzen. Ganz neu sind nicht alle seine Inzwischen verfügen wir auch über ein ausdifferen- Thesen. In Gerhard Schulzes »Die beste aller ziertes Kulturmanagement mit unübersehbar vielen Welten« zum Beispiel finden wir auch schon das Studiengängen in ganz Deutschland und Europa. Regime des Neuen, aber wie diese Ästhetisierung Ein Kulturmanagement, das sich wirklich wandelt das Ganze antreibt, das habe ich bei Reckwitz in und einen kulturpolitischen Reflexionsrahmen dieser Stringenz erstmals gelesen. Man könnte zulässt und nicht mehr nur als Werkzeugkoffer vielleicht danach fragen, was heute affirmative für die Kulturpolitik greift, nach dem Motto: das Kultur heißen kann, die damals von der neuen Versagen des Staates und der Kommunen helfen Kulturpolitik kritisiert worden ist. Hier ging es wir heilen, indem wir die adaptierten Instrumente darum, Idealismus und Weltflucht im Kulturbegriff aus der Wirtschaft anbieten. Das wissenschaftliche zu kritisieren und danach zu fragen, wie Kultur Verständnis ist ein anderes geworden, gleichwohl auch die Gegenwart verändern, wie sie kritisch und noch immer kritisiert wird – jüngst hörte ich es lebensnah sein kann. Wenn damals die Kultur als von Carsten Winter –, dass eigentlich veraltete Flucht in den Idealismus affirmativ war und damit Managementinstrumente adaptiert worden seien. keinen realen Wandel unterstützte, ist heute Im Kulturbereich steckt freilich auch die Bertels- vielleicht diese innerweltliche Auflösung der mann-Ideologie mit den neuen Steuerungsmodel- Kreativität eine kritische Zone des Affirmativen, im len. Das kann man alles kritisch dekonstruieren, Sinne des unausweichlichen Erwartungsdrucks, was ich jetzt leider nicht vertiefen kann. Aber: im kreativ sein zu sollen. Bei beiden verfestigt sich ja Kern hat sich doch eine sehr starke Professionali- ein Gesellschaftsbild, in dem ein kritischer Kultur- sierung ergeben, die sich etwa umfassend im bereich nicht greifen kann. Insofern könnte man Bericht der Enquete-Kommission »Kultur in auch von einem »Kreativinfarkt« sprechen. Das Deutschland« widerspiegelt. Dieser Bericht ist sind aber unfertige Fragestellungen, die sich mir 2008 erschienen, und Oliver Scheytt, der Präsident ergeben haben, denn aus kulturpolitischer Pers der Kulturpolitischen Gesellschaft, hat parallel pektive war ich sowohl fasziniert als auch erschüt- dazu ein Buch geschrieben »Kulturstaat Deutsch- tert davon, dass dieses Maß an Kreativität uns land – Plädoyer für eine aktivierende Kulturpolitik«, auch handlungsunfähig machen kann. Der in dem er seine Erfahrungen und Erkenntnisse Foucaultsche Begriff des Dispositivs fasst ja eine systematisch entwickelt. Dazu gehört zum Beispiel prägende Instanz unseres sozialen Handelns, also die Vertiefung des neu gefassten Infrastrukturbe- Vorbedingungen, während wir uns in der Kulturpoli- griffs, der die Debatte um eine kulturelle Grundver- tik auf einer bewussten Steuerungsebene bewe- sorgung aufnimmt, das Bewusstsein, dass zur gen. Ein Kreativitätsdispositiv beschreibt eine »Kernausstattung« mehr dazu gehört, als nur die Summe von diskurs- und handlungsbestimmenden Kultureinrichtungen, sondern eben auch kulturelle Elementen, die uns formieren, die aber sicher auch Bildung, Kulturförderung oder auch Rahmenbedin- bestimmte Formen politischen Handelns zur Folge gungen für künstlerisches und kulturwirtschaft- haben. Wir befinden uns hier letztlich auf einer liches Schaffen. Man kann diese nicht gegeneinan- erkenntnistheoretischen Reflexionsebene, die nur der aufwiegen. Gerade das Zusammenspiel von bedingt kulturpolitisch verhandelbar ist. Und Staat, Markt und Zivilgesellschaft, das wir heute dennoch führen die Stringenz des Aufstiegs der als trisektorale Kulturpolitik bezeichnen, scheint Kreativität und ihr Herauswachsen aus dem besonders wichtig, wenn es um die Übernahme 11
›› Kulturpolitik neu denken – Neue Ansätze in der Kulturförderung von Verantwortung in allen Sektoren und Formen der Köpfe zu investieren. Darin drückt sich letztlich der Kooperation oder Lastenteilung geht. Vieles ist dieser aufklärerische Impetus aus, der ja gerade heute auf kluge Weise auf den Begriff und auch in von den Kulturinfarktautoren in Frage gestellt wird. ein System gebracht worden, und ich habe es zum Ein anderes Beispiel ist »Kultur für alle«; hier war Beispiel im Kulturkonzept der Landeshauptstadt ja immer die große Kritik, dass man der große Erfurt aufgegriffen und gemerkt, dass es in der Heilsbringer sei und nicht danach fragt, was die politischen Debatte nicht so leicht aufgeknüpft und Leute wirklich wollen. Manche sagten, es müsse in Frage gestellt werden kann. Mit definitorischer richtigerweise heißen »meine Kultur für alle«, um Stringenz und konzeptioneller Kraft kann man den Teilhabegestus auf den Punkt zu bringen. schon einiges an Verbindlichkeit schaffen. Oder: die Debatte um »Kultur als Pflichtaufgabe«. Es erscheinen inzwischen fast wöchentlich neue Das ist Ihnen auch bekannt, bis hinein in den Bücher zum Kultur- und Medienmanagement, man Enquete-Bericht beschäftigte uns das Thema kann das Feld gar nicht mehr beherrschen; ich intensiv; der Zwischenbericht widmete sich voll- versuche es immer noch, mir alles zu bestellen ständig der Frage, ob man eine Kulturstaatsklausel und, wo leistbar, auch zu rezensieren, um den im Grundgesetz brauche. Ich meine ja, manche Überblick zu behalten. Oliver Scheytt hat in seinem meinen nein, dritte wiederum sagen, das ist nicht Buch die ganze Bandbreite des Handels pragma- so wichtig, es gebe dringendere Themen. Aber, tisch aufgemacht, also vom Kulturbürger (das ist diese Pflichtigkeit von Kultur, die Bedeutung der Nutzer, wenn man Armin Klein jetzt mal dazu in kulturverfassungsrechtlicher Dokumente bis hinein Beziehung setzt) über die Kulturgesellschaft (das ins Völkerrecht, die wird immer wieder debattiert. ist all das, was auf anderer Reflexionsebene zum Große Verfassungsrechtler wie Peter Häberle zum Beispiel mit dem Kreativitätsdispositiv thematisiert Beispiel sprechen sich vehement dafür aus und wird), bis hin zum Kulturstaat (der vom Kulturin- bringen auch kluge Argumentationen. Er hat mit farkt als paternalistischer angegriffen wird). Diese seinem Buch »Verfassungslehre als Kulturwissen- gesamte Bandbreite wird theoretisch und mit schaft« gezeigt, wie stark Verfassungen kulturell praktischen Beispielen durchdrungen, und es aufgeladen sind und welche Rolle der Kulturbegriff werden die wesentlichen Felder kulturpolitischen für das Kulturverfassungsrecht spielt, das ist keine Handelns aufgemacht, die im Grunde genommen nur deklaratorische Spielwiese. Aus solchen durch einen breiten Konsens auch rückversichert Debatten können sich konkrete legislative Vor sind. Die hitzige Debatte heute lebt dennoch von stöße speisen. der Mischung aus ordnungs-, steuerungs- und haushaltspolitischer Zuspitzung und – mit Reck- Es gibt ein Bundesland, das – ausgehend vom witz – einem kultursoziologischen Entwurf, für die innovativen Verfassungsrecht der neuen Länder – die als Fachdisziplin bisher noch schwache und auf Nägel mit Köpfen machte: Sachsen. Es ist das Interdisziplinarität verwiesene Kulturpolitik gar einzige Bundesland, das in einem Gesetz nieder- nicht satisfaktionsfähig reagieren kann, mausert legt, dass Kultur eine Pflichtaufgabe der Kommu- sie sich doch erst seit wenigen Jahrzehnten zu nen sei und dass diese solidarisch von Kommunen einem echten Reflexions- und Gestaltungsfeld. und Land auch zu finanzieren sei. Das Land gibt Viele reagieren also subjektiv, verteidigend, jährlich 86,7 Millionen Euro dafür aus. Peter empört, fasziniert, unsystematisch. In einem Rühmkorf hat natürlich Recht, wenn er sagt, Kultur Sonderheft der »Kulturpolitischen Mitteilungen« ist nur eine unmaßgebliche Schutzbehauptung, haben wir daher versucht, die Debatte etwas zu aber die Verbindung des besonderen Nimbus, den bündeln. dieses Gesetz hat, mit den dort aufgezeigten Verfahrenswegen führt zu echten Debatten und Die Sorge um mehr Verbindlichkeit in der Kultur hat guten Entwicklungsplanungen. Am Ende wird in den letzten Jahren zugenommen. Sie ist natürlich erreicht, dass alle – vor allem die Landkreise – auch durch rhetorische Behauptungen gekenn- über ihren Tellerrand hinausblicken und mit zeichnet. Ich will einmal Parolen aufzählen, die das Strukturentscheidungen größere Zusammenhänge zeigen, die einen hilflos, die anderen mit mehr Biss. reflektieren und berücksichtigen. Eine ist zum Beispiel, dass man Kulturausgaben nicht als Subvention, sondern als Investition Der Rahmen verändert sich also, aus Programmfor- begreifen soll. Das hat sogar die Bundeskanzlerin meln werden Systeme, aus Diskursen im besten immer wieder gesagt. Es ändert aber nichts daran, Falle rechtliche Flankierungen, und aus dem dass die Finanzleute darüber lachen und sagen, Wissen um notwendiges fachliches Handeln entste- Investitionen bedeuten etwas anderes. Wir behaup- hen Reflexionstheorien, ja neue Lehren. Auf dem ten dann – wenn es bei Investitionen darum geht, Weg dorthin befindet sich das Kulturmanagement, Kapital zu binden – Kulturausgaben führen dazu, für das es seit kurzem auch einen Fachverband Humankapital zu binden, also in die Entwicklung gibt. Auch gibt es inzwischen eine neue Spezialdis- 12
Zwischen Kreativität und Kulturinfarkt: Was heißt heute konzeptbasierte Kulturpolitik und was kann sie leisten? ›› ziplin, die sich mit dem gesamten Komplex von andere Wege gegangen und tun sich schwerer, die Institutionen im Kulturbereich befasst: die Kultur- Balance zwischen Kommunen und Land zu finden. betriebslehre. Ich verweise nur auf das gleich Jedenfalls ist mit der Einigung ganz viel an namige Lehrbuch von Tasos Zembylas aus Wien, Schwung in das föderale Konzert gekommen. er ist einer, der dieses Gebiet vorangebracht hat. Bis auf Baden-Württemberg hatte ja bis dahin Aber es gibt auch eine ganze Reihe anderer kein Bundesland ein richtiges Kulturkonzept. Auch Forschungsstränge bis hin zu Audience Develop- heute kann man teilweise noch große Unterschiede ment, bei dem es darum geht, die Aufmerksamkeit feststellen, aber in der Gesamtbilanz hat sich von Zielgruppen zu binden, sich damit auseinan- Landeskulturpolitik seit dem wesentlich weiter derzusetzen, wie sich alle Milieus – unsere Ziel- entwickelt, was Sie etwa im Jahrbuch für Kulturpoli- gruppen sind ja heterogener denn je – ansprechen tik 2012 (»Neue Kulturpolitik der Länder«) sehr gut lassen und wie wir mit der »neuen Unübersichtlich- nachlesen können. Die meisten Länder verfügen keit« inmitten einer prosperierenden Unterhal- inzwischen über kulturpolitische Leitlinien, über tungskultur herkömmliche, aber auch neue Ange- Landeskulturkonzepte und dergleichen, und es gibt bote positionieren können. Es gibt neue Standards, eine Reihe von Spezialgesetzen, die es vorher nicht was die »Planbarkeit von Kultur« anbelangt. Das ist gegeben hat. Zum Beispiel die Musikschulgesetze ein Topos, der immer umstritten ist – kann man in Brandenburg und Sachsen-Anhalt oder Biblio- Kultur wirklich planen? Da sagt man immer gerne theksgesetze – Thüringen hat zum Beispiel eines, nein, man kann nur die Rahmenbedingungen kein gutes zwar, aber es hat eines – oder das noch beeinflussen. Was früher so ein bisschen hemdsär- in der Debatte befindliche Kulturfördergesetz in melige Kulturentwicklungpläne gewesen sind, das Nordrhein-Westfalen. Wenn es dort gelingt (auch sind heute zum Teil umfassende Kompendien, an wenn es nur ein Rahmengesetz, kein Leistungs denen Expertengruppen arbeiten, schauen Sie sich gesetz werden sollte), ein Gesetz auf den Weg allein den Kulturentwicklungsplan einer vergleichs- zu bringen, dann ist das ein Meilenstein für die weise kleinen Stadt wie Brandenburg an der Havel Sicherung eines breiten Engagementrahmens für an, da ist der Kulturentwicklungsplan in zwei den Staat und freilich auch für die Kommunen, was Bänden erschienen. Ich frage mich aber, wer von in Nordrhein-Westfalen eine wichtige Rolle spielt, den Entscheidungsträgern das wirklich bewältigen weil der Kommunalisierungsgrad dort wesentlich kann. Aber es ist hervorragend gemacht. Im höher ist als beispielsweise in Sachsen durch das Vergleich zu den 70er Jahren haben wir hier eine Kulturraummodell. Das föderale Konzert bleibt ein ganz andere Messlatte. Da hat sich sehr, sehr viel vielstimmiges, ist aber wesentlich solider als vor getan, und es existiert auch ein sehr lebhafter 1990. Parallel dazu hat sich ja auch der Bund Diskurs, das heißt, man setzt solche Dokumente in gestrafft mit der Behörde des BKM seit 1998, der Beziehung zueinander, man versucht von Praxis Wiedereinsetzung eines Kulturausschusses im beispielen zu lernen, und es wird auch sehr viel Bundestag oder etwa der Gründung der Bundes publiziert zu diesem Thema. kulturstiftung 2002. Wir haben schließlich, das will ich auch noch als Das sind nur ein paar Beispiele. Es zeigt aber, wir ein Feld der Professionalisierung in den Blickpunkt erleben durchaus eine Konjunktur der wissen- rücken, im legislativen Bereich einiges erreicht. Die schaftlichen Debatten und Reflexionstheorien, der deutsche Einigung gilt dafür als ein ganz wesent- kulturpolitisch-interdisziplinären Publizistik und der licher Stimulus, sie hat noch einmal für einen konzeptionellen Durchdringung des Feldes. Und richtigen Schwung gesorgt. Durch den Artikel 35 parallel erleben wir – und das führt wahrscheinlich des Einigungsvertrags, die kulturelle Substanz zu dieser polemischen Zuspitzung von Kulturinfarkt dürfe keinen Schaden nehmen, ist ja so etwas wie und Kreativinfarkt – eine dramatische Veränderung das sächsische Kulturraumgesetz erst möglich der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, vor geworden, das natürlich auch ein Zeichen dafür ist, allem die Zuspitzung der Krise der öffentlichen dass die Bundesländer ganz andere Aufwendungen Haushalte. Meine Stadt, in der ich jetzt arbeite, hat für Kultur tätigen müssen, konzeptionell wie bis heute keinen bestätigten Haushalt für 2013, finanziell. Ohne den postulierten Substanzerhalt also wir befinden uns in der vorläufigen Haushalts- wäre Sachsen nicht in die Not geraten, neue führung. Dabei reden wir über eine Stadt, der es Modelle der Lastenteilung zwischen Land und vergleichsweise gut geht, die Perspektiven hat, Kommunen zu entwickeln. Die Kommunen wären eine Stadt, die wächst, die wirtschaftlich prospe- nach Auslaufen der Übergangsfinanzierung Kultur riert und trotzdem an den massiven Umbau ihrer des Bundes schlicht überfordert gewesen, die Infrastruktur denken muss. Was wir dennoch Substanz zu erhalten, es hätte ein Kultursterben in konstatieren müssen, bei all diesen positiven diesem Land mit dichtester kultureller Infrastruktur Entwicklungen einer reflektierten Kulturpolitik, eingesetzt. Sachsen-Anhalt und Thüringen, die bei diesem Schub an Professionalisierung, an auch sehr dichte Angebotskulissen haben, sind Austausch, an Anregung: Große konzeptionelle 13
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