Kurzexpertise Beschäftigungs- und Tarifpolitik bei der Deutsche Bahn: Ein Modell zur Sicherung von Arbeitsplätzen im wett-bewerblichen Umfeld?

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Kurzexpertise

Beschäftigungs- und Tarifpolitik bei der Deutsche Bahn:
Ein Modell zur Sicherung von Arbeitsplätzen im wett-
bewerblichen Umfeld?

                             Im Auftrag der
                             Deutschen Bahn AG

                             Holger Bonin, DIW Berlin
                             Pio Baake, DIW Berlin

                             Berlin, Juni 2007
Beschäftigungs- und Tarifpolitik der Deutsche Bahn

Kurzfassung

Mit der Bahnreform 1994 wurde die Entwicklung eines wettbewerblich organisierten Marktes
für Schienenverkehrsdienstleistungen angestoßen. Die Deutsche Bahn AG ist seitdem als
eigenwirtschaftlich agierendes, betriebswirtschaftlich arbeitendes Wirtschaftsunternehmen
etabliert. Mit dem Sanierungsprozess der früheren Behördenbahnen ging ein kontinuierlicher
Abbau von Arbeitsplätzen im DB Konzern einher.

Bemerkenswert ist, dass sich der starke Personalabbau ohne betriebsbedingte Kündigungen
vollzog. Bisher verfolgten Bahngewerkschaften und Arbeitgeber gemeinsam eine Politik der
Beschäftigungsbündnisse. Die Arbeitnehmer erhielten Beschäftigungssicherung als Ausgleich
für Lohnzugeständnisse. Zuletzt wurde 2005 per Beschäftigungssicherungstarifvertrag der
Verzicht auf betriebsbedingte Beendigungskündigungen für eine Vielzahl von Unternehmen
des DB Konzerns bis 2010 vereinbart. Zugleich stimmten die Gewerkschaften moderaten
Tarifsteigerungen und einer Verlängerung der Jahresarbeitszeit zur Senkung der Arbeitskos-
ten zu. Das langjährige moderate Lohnwachstum hat die Wirtschaftlichkeit der Deutschen
Bahn verbessert und Marktanteile gesichert.

Diese Politik liegt im Interesse von Arbeitnehmern wie Arbeitgeber. Für die Arbeitnehmer ist
die betriebliche Beschäftigungssicherung eine Versicherung von beträchtlichem Wert, da sie
das Arbeitslosigkeitsrisiko im Durchschnitt erheblich besser absichert als die gesetzliche
Arbeitslosenversicherung. Entsprechend ist es für die beschäftigten Arbeitnehmer rational, für
diese Versicherung einen Preis, etwa in Form moderater Lohnsteigerungen, zu bezahlen. Für
den Arbeitgeber ist die Beschäftigungssicherung eine wichtige personalpolitische Strategie
zur Wahrung des sozialen Friedens. Sie sichert Loyalität und Einsatzbereitschaft der verblei-
benden Arbeitnehmer, denen der Sanierungsprozess Zumutungen auferlegt, und auch ein
positives politisches Umfeld.

Das Instrument der Beschäftigungssicherungspolitik bei der Deutsche Bahn ist ein interner
Konzernarbeitsmarkt. Durch die DB JobService GmbH werden freigesetzte, aber durch die
getroffene Sicherungsvereinbarung kündigungsgeschützte Mitarbeiter so lange betreut, bis sie
in eine zumutbare Tätigkeit vermittelt werden können. Dies bedeutet erheblichen finanziellen
Aufwand, da die Beschäftigten durch die DB JobService GmbH oberhalb ihrer Produktivität
entlohnt werden. Betriebswirtschaftliche Effizienzgewinne decken diesen Aufwand nur zum

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Beschäftigungs- und Tarifpolitik der Deutsche Bahn

Teil – daher müssen kollektiv alle Beschäftigten einen Teil der Kosten tragen, um diese frei-
willige Leistung des Arbeitgebers zu sichern.

Die aktuellen Forderungen der Bahngewerkschaften sind bundesweit die höchsten in der
laufenden Tarifrunde. Dies bedeutet eine Abkehr der Arbeitnehmervertreter von der bisher
verfolgten Politik der Beschäftigungssicherung. Würde das Lohnniveau bei der Deutschen
Bahn wie gefordert deutlich steigen, hätte dies negative Folgen für die Zahl der Arbeitsplätze.
Steigende Löhne senken die Beschäftigungsmöglichkeiten auf mehreren Kanälen:

    1. Unabhängig von der Wettbewerbs- und Marktsituation wächst bei einem auf Gewinn-
        erzielung ausgerichteten Unternehmen wie der Deutschen Bahn der Anreiz, Arbeit,
        soweit es die vorhandenen Technologien zulassen, gegen andere Produktionsfaktoren,
        vor allem Kapital, auszutauschen. Wegen der Möglichkeit zum Outsourcing gehen
        die Handlungsoptionen des Unternehmens weit über die rein technischen Möglichkei-
        ten, auf Arbeit in der Produktion zu verzichten, hinaus.

    2. Höhere Lohnkosten schlagen sich am Ende in höheren Preisen für die Kunden nieder.
        Höhere Preise wiederum reduzieren die Nachfrage nach Bahnverkehrsleistungen. In
        einem wirtschaftlich handelnden Unternehmen folgt dem Nachfragerückgang ein
        Produktionsrückgang, so dass die Beschäftigung preisbedingt sinken muss.

    3. Wo die Deutsche Bahn mittlerweile dem Wettbewerb ausgesetzt ist, droht ein Verlust
        an Marktanteilen, wenn die Tarifentgelte schneller steigen als bei den ohnehin mit ei-
        nem Lohnkostenvorteil ausgestatteten Konkurrenten. Verluste von Marktanteilen
        drohen vor allem der Railion Deutschland AG (Güterverkehr) und der DB Regio AG
        (Nahverkehr). Im Fernverkehr droht ein Verlust an Marktanteilen gegenüber dem mo-
        torisierten Individualverkehr und dem Flugzeug.

Eine moderate Lohnpolitik sichert also zweifach Beschäftigung: durch Sicherung der Wirt-
schaftlichkeit im DB Konzern und durch Sicherung von Marktanteilen bei den im Wettbe-
werb stehenden Konzernteilen.

Lohnsteigerungen, die über den moderaten Zuwächsen der Vergangenheit liegen, würden den
Druck erhöhen, Arbeitsplätze abzubauen, um die Gewinnfähigkeit der Deutsche Bahn zu
wahren. Da die Unternehmen des DB Konzerns derzeit keine betriebsbedingten Beendi-
gungskündigungen aussprechen können, könnte der konzerninterne Arbeitsmarkt, der sich bei
einer moderaten Lohnpolitik stabil entwickeln würde, aus der Balance geraten.

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Beschäftigungs- und Tarifpolitik der Deutsche Bahn

Einfache Simulationsrechnungen zeigen, dass sich die Kosten für die nicht wirtschaftliche
Weiterbeschäftigung von Arbeitnehmern über die DB JobService GmbH rasch verdoppeln bis
verdreifachen könnten, falls lohnkostenbedingt aus Effizienz- und Wettbewerbsgründen zu-
sätzlich Arbeitsplätze verloren gingen. Somit hätte die Deutsche Bahn einen Anreiz, sich aus
der bisher praktizierten Beschäftigungssicherung zu verabschieden und ihren konzerninternen
Arbeitsmarkt auf das betriebswirtschaftlich notwendige Maß zu reduzieren. Dies würde die
Beschäftigung der rund 3.000 Mitarbeiter, die unter derzeitigen Bedingungen durch die DB
JobService GmbH abgesichert werden, gefährden.

Wie viele Arbeitsplätze genau abgebaut werden müssen, falls die aktuellen Tarifforderungen
der Bahngewerkschaften umgesetzt würden, lässt sich mit den vorhandenen Daten kaum zu-
verlässig abschätzen. In Anbetracht der scharfen Wettbewerbssituation im Güterverkehr und
des zunehmenden Ausschreibungsvolumens im Nahverkehr ist aber ein spürbarer negativer
Effekt zu erwarten, der sich über die Zeit hinweg aufbaut. Im Nahverkehr dürfte selbst ein
einmaliger Lohnschock über viele Jahre zu Arbeitsplatzabbau bei der DB Regio AG führen,
weil neue Ausschreibungen für bisher noch nicht wettbewerblich vergebende Aufträge anste-
hen, und die Wahrscheinlichkeit, dass die Deutsche Bahn Konkurrenten mit günstigeren Ta-
rifbedingungen unterliegt, wächst. Selbst bei günstigen Bedingungen dürften bis zum geplan-
ten Auslaufen des Beschäftigungssicherungstarifvertrags 2010 im Bahnkonzern effizienz- und
wettbewerbsbedingt kaum unter 3.000 Arbeitsplätze zusätzlich verloren gehen. Bei guten
Möglichkeiten, Arbeit im Produktionsprozess einzusparen oder Outsourcing zu betreiben, bei
einer hohen Preissensitivität der Kunden und hohem Wettbewerbsdruck, könnten bei Aufgabe
der moderaten Lohnpolitik der Vergangenheit im DB Konzern in den kommenden vier Jahren
leicht zusätzlich 3.200 bis 6.400 Arbeitsplätze gefährdet sein.

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Beschäftigungs- und Tarifpolitik der Deutsche Bahn

INHALTSVERZEICHNIS

Kurzfassung ............................................................................................................................... i

1 Einleitung ............................................................................................................................. 1

2 Tarifpolitik bei der Deutschen Bahn ................................................................................. 4
    2.1 Tarifpartner und Tarifverträge ....................................................................................... 4
    2.2 Beschäftigungssicherung ............................................................................................... 5
    2.3 Entgeltpolitik.................................................................................................................. 9
    2.4 Tarifrunde 2007 ........................................................................................................... 13

3 Wettbewerbssituation der Deutsche Bahn ...................................................................... 15
    3.1 Sanierungserfolg .......................................................................................................... 15
    3.2 Güterverkehr ................................................................................................................ 17
    3.3 Nahverkehr................................................................................................................... 18
    3.4 Fernverkehr .................................................................................................................. 21

4 Löhne, Beschäftigung und Wettbewerb .......................................................................... 22
    4.1 Effizienter Faktoreinsatz und Beschäftigung............................................................... 22
    4.2 Nachfrage und Beschäftigung...................................................................................... 25
    4.3 Wettbewerb und Beschäftigung................................................................................... 28
    4.4 Beschäftigungsgarantien .............................................................................................. 33

5 Interner Arbeitsmarkt und Beschäftigungsentwicklung ............................................... 38
    5.1 Funktionsweise des internen Arbeitsmarkts ................................................................ 38
    5.2 Ein Modell des Konzernarbeitsmarkts......................................................................... 41

6 Fazit .................................................................................................................................... 49

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Beschäftigungs- und Tarifpolitik der Deutsche Bahn

1         Einleitung

Die Deutsche Bahn steht vor einer schwierigen Tarifrunde. Die Gewerkschaft Deutscher Lo-
komotivführer (GDL) fordert in der wegen Auslaufens des bestehenden Tarifvertrags am 30.
Juni 2007 anstehenden Tarifrunde Entgelterhöhungen von bis zu 31 Prozent. Darüber hinaus
fordert die GDL für ihre Mitglieder Verbesserungen bei Zulagen und Arbeitszeitbestimmun-
gen. Würden diese Forderungen in voller Höhe umgesetzt, stiegen die Kosten für das Fahr-
personal bei der Deutsche Bahn in der Spitze um annähernd 45 Prozent.

Aber auch für die übrigen Beschäftigten bei der Deutsche Bahn sind die Forderungen der
Bahngewerkschaften durch die Tarifgemeinschaft der Gewerkschaften TRANSNET und
GDBA in der bevorstehenden Einkommensrunde ungewöhnlich hoch. Die Forderungen zielen
bei einer angestrebten Laufzeit von 12 Monaten auf eine Anhebung der Tabellenentgelte um 7
Prozent, mindestens aber 150 Euro, was in den unteren Entgeltgruppen einer Tariferhöhung
von 9 bis 11 Prozent entspricht.

Die Forderungen der Bahngewerkschaften sind bundesweit die höchsten in der laufenden
Tarifrunde. In der Metall- und Elektroindustrie, deren Tarifergebnis einen gewissen Pilotcha-
rakter besitzt, starteten die Verhandlungen mit einer Gewerkschaftsforderung von 6,5 Prozent.
Der Anfang Mai 2007 erzielte Tarifabschluss entspricht über die gesamte Laufzeit des Tarif-
vertrags einem realen Lohnzuwachs von etwa 3,3 Prozent. Auch der Tarifabschluss 2007 für
die wichtige Chemieindustrie (3,6 Prozent) oder die die Druckindustrie (3,0 Prozent) bewegen
sich klar unter dem von den Bahngewerkschaften verkündeten Verhandlungsziel.

Die aktuellen Tarifforderungen bedeuten eine Abkehr der Bahngewerkschaften von der seit
der Bahnreform im Jahr 1994 gemeinsam mit dem Arbeitgeber verfolgten Politik der Be-
schäftigungsbündnisse. Noch im Februar 2005 stimmten die Arbeitnehmervertreter Tarifver-
einbarungen zu, mit denen als Ausgleich für verbesserte Beschäftigungsperspektiven Lohnzu-
geständnisse gemacht wurden, um Wirtschaftlichkeit und Wettbewerbsfähigkeit des Unter-
nehmens zu erhöhen. Es wurde ein Beschäftigungssicherungstarifvertrag (BeSiTV) verein-
bart, mit dem die Deutsche Bahn bis zum Jahr 2010 auf betriebsbedingte Beendigungskündi-
gungen verzichtet und durch eine aktive Beschäftigungspolitik für die Mitarbeiter Beschäfti-
gungsperspektiven im gesamten Konzern schafft. Im Gesamtpaket stimmten die Arbeitneh-
mer einer Verlängerung der Jahresarbeitszeit ohne Erhöhung des Entgelts zur Senkung der

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Beschäftigungs- und Tarifpolitik der Deutsche Bahn

Arbeitskosten zu. Auch die in der letzten Entgeltrunde vereinbarten Tarifsteigerungen blieben
moderat.

Diese Kurzexpertise geht der Frage nach, welche Konsequenzen ein Wechsel dieser beschäf-
tigungsorientierten zu einer einkommensorientierten Strategie für die Beschäftigten der Deut-
sche Bahn haben könnte. Hierzu ist zu klären, welche Rolle die Lohn- und Tarifpolitik für die
Wettbewerbsposition des Unternehmens in einem Markt mit in der Tendenz zunehmenden
Privatisierungs- und Wettbewerbsgrad hat.

Um die möglichen Beschäftigungsfolgen einer zukünftig weniger moderaten Entgeltpolitik
abzuschätzen, kann man die Frage stellen, wie sich die Mitarbeiterzahl des Unternehmens
verändert hätte, falls die Deutsche Bahn diese Politik bereits in der Vergangenheit praktiziert
hätte. Eine befriedigende empirische Antwort auf diese kontrafaktische Frage lässt sich aller-
dings nicht geben. Offensichtlich liefert die Entwicklung von Einkommen und Beschäftigten-
zahl bei den erst nach der Bahnreform in den Markt eingetretenen, sehr viel kleineren Wett-
bewerbern im Schienenverkehrsbereich keinen geeigneten Referenzmaßstab. Aber auch die
Entwicklung bei großen Anbietern anderer Verkehrdienstleistungen lässt sich wegen der Be-
sonderheiten der Branche Schienenverkehr kaum auf die Deutsche Bahn übertragen.

Weil sich die Parameter der Beschäftigtennachfrage der Deutschen Bahn aus diesen Gründen
nicht empirisch schätzen lassen, wählen wir für diese Expertise ein konzeptionell angelegtes
Vorgehen. Zunächst analysieren wir anhand genereller industrieökonomischer Überlegungen
die Beschäftigungswirksamkeit der Lohnentwicklung in einem Markt – in unserem Fall der
Markt für Schienenverkehrsdienstleistungen – mit einem dominanten Anbieter, der im Wett-
bewerb mit vielen kleinen Unternehmen steht. Die hierbei abgeleiteten theoretischen Hypo-
thesen gehen danach in die Spezifikation eines Simulationsmodells ein, mit dem sich die
potenziellen Folgen künftiger Lohnabschlüsse bei der Deutsche Bahn grob abschätzen lassen.

Eine besondere Rolle spielt in unseren Überlegungen der derzeit existierende Konzernar-
beitsmarkt der Deutschen Bahn. Über die DB JobService GmbH werden die Vereinbarungen
des laufenden BeSiTV umgesetzt. Überzählige, aber durch die getroffene Sicherungsvereinba-
rung kündigungsgeschützte Arbeitsverhältnisse werden so lange aufrecht erhalten, bis die
Arbeitnehmer in eine zumutbare Regelbeschäftigung vermittelt werden können. Da die Deut-
sche Bahn, solange der BeSiTV gilt, keine betriebsbedingten Beendigungskündigungen aus-
sprechen kann, wirken lohnsteigerungsbedingte Freisetzungen unmittelbar auf diesen Kon-
zernarbeitsmarkt. Es entstehen zusätzliche Kostenbelastungen, weil die durch die DB JobSer-
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Beschäftigungs- und Tarifpolitik der Deutsche Bahn

vice GmbH betreuten Beschäftigten durch den Konzern subventioniert, d. h. oberhalb ihrer
Produktivität entlohnt werden. Bei Kostensteigerungen ist, da die Beschäftigungssicherungs-
leistung der Arbeitgeber freiwillig ist, mit einer Einschränkung der Leistungen der DB Job-
Service GmbH zu rechnen. So könnten entgeltbedingte Freisetzungen zumindest mittelfristig
trotz des geschlossenen BeSiTV erhebliche negative Beschäftigungswirkungen bei der Deut-
sche Bahn auslösen.

Die weitere Expertise gliedert sich wie folgt. Abschnitt 2 beschreibt und analysiert die Tarif-
politik bei der Deutschen Bahn in der Vergangenheit sowie die aktuellen Forderungen der
Bahngewerkschaften. Abschnitt 3 skizziert die Wettbewerbssituation der Deutschen Bahn als
Anbieter von Verkehrsdienstleistungen in den Segmenten Personenfernverkehr, Personennah-
verkehr und Güterverkehr. Abschnitt 4 diskutiert die Zusammenhänge zwischen Entgelt- und
Beschäftigungsentwicklung unter Berücksichtigung der Wettbewerbsposition des Unterneh-
mens anhand konzeptioneller industrieökonomischer Überlegungen. Abschnitt 5 schätzt die
potenziellen Beschäftigungsfolgen eines erhöhten Tariflohnwachstums quantitativ ab. Ab-
schnitt 6 fasst zusammen.

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Beschäftigungs- und Tarifpolitik der Deutsche Bahn

2         Tarifpolitik bei der Deutschen Bahn

2.1       Tarifpartner und Tarifverträge

Bei den Tarifverhandlungen für die Deutsche Bahn stehen sich der Arbeitgeberverband der
Mobilitäts- und Verkehrsdienstleister e.V. (Agv MoVe) und die drei Bahngewerkschaften
TRANSNET, GDBA und GDL gegenüber. Die Tarifparteien schließen unternehmensbezoge-
ne Tarifverträge – die Beschäftigungsbedingungen der Unternehmen im DB-Konzern wei-
chen also von denen bei den privaten Wettbewerbern ab.

Der 2002 gegründete Agv MoVe ist die Arbeitgeberorganisation der Verkehrsdienstleister,
der Unternehmen der Bahninfrastruktur sowie artverwandter Unternehmen, die Serviceleis-
tungen für die Verkehrsdienstleister erbringen. Mitglieder des Verbands sind momentan na-
hezu ausschließlich Unternehmen des DB Konzerns. Die externen Wettbewerber sind in die-
sem Arbeitgeberverband nicht vertreten.

Die Beschäftigten der Unternehmen des Bahnkonzerns sind in drei unterschiedlichen Ge-
werkschaften organisiert. Die Gewerkschaften TRANSNET und GDBA bilden eine Tarifge-
meinschaft. Die GDL repräsentiert weit mehr als die Hälfte der rund 20.000 Lokführer bei
den Unternehmen der Deutschen Bahn. Die Tarifgemeinschaft vertritt auch rund 15 000 Be-
schäftigte bei Eisenbahnen außerhalb des Bahnkonzerns, schließt für diese jedoch eigene
Tarifverträge. Zum Organisationsgrad der GDL beim Fahrpersonal außerhalb des DB Kon-
zerns der anderen Eisenbahnen gibt es keine Informationen – vermutlich ist die Gewerkschaft
hier aber eher schwach vertreten.

Traditionell schließt der zuständige Arbeitgeberverband mit allen im DB Konzern vertretenen
Gewerkschaften inhaltsgleiche Tarifverträge ab, so dass für die Bahnmitarbeiter einheitliche
Beschäftigungsbedingungen gelten. Eine Differenzierung nach Gewerkschaftsmitgliedschaft
hätte vor allem beim Fahrpersonal, bei dem alle drei Gewerkschaften vertreten sind, klare
praktische Nachteile. Berufsgruppenspezifische Regelungen werden derzeit durch eine Reihe
von Sonderbestimmungen in den bestehenden Tarifverträgen, die für alle Beschäftigtengrup-
pen gelten, geregelt.

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Beschäftigungs- und Tarifpolitik der Deutsche Bahn

Einheitliche Beschäftigungsbedingungen für die Beschäftigten in 46 Unternehmen des DB
Konzerns werden durch eine Reihe unternehmensübergreifender Tarifverträge sichergestellt.
Zu den wichtigsten gehören derzeit:

   •   der Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer von Schienenverkehrs- und Schieneninf-
       rastrukturunternehmen (MTV Schiene) zur Regelung allgemeiner Rechte und Pflichten
       der Arbeitnehmer,

   •   der Rahmentarifvertrag für die Arbeitnehmer verschiedener Unternehmen des DB
       Konzerns (KonzernRTV) zur Regelung der Bedingungen für Wechsel zwischen den
       Unternehmen des Konzerns,

   •   der Entgelttarifvertrag für die Arbeitnehmer verschiedener Unternehmen des DB Kon-
       zerns (KonzernETV) zur Regelung von tariflichen Entgelten,

   •   der Arbeitszeittarifvertrag für die Arbeitnehmer von Schienenverkehrs- und Schienen-
       infrastrukturunternehmen des Agv MoVe (AZTV-S) zur Regelung eines Vollzeitkorri-
       dors zwischen 1.827 bis 2.088 Jahresstunden,

   •   der Beschäftigungssicherungstarifvertrag (BeSiTV) zur Regelung der Prozess-
       Grundsätze beim rationalisierungsbedingten Beschäftigungswegfall sowie der Rechte
       und Pflichten der Arbeitnehmer, die vom Beschäftigungswegfall betroffen sind. Zu-
       dem haben Arbeitnehmer einen Anspruch auf Vermittlung durch die DB JobService
       GmbH, falls sie innerhalb von sechs Jahren nach einem Betriebsübergang ihren Ar-
       beitsplatz beim neuen Arbeitgeber rationalisierungsbedingt verlieren sollten.

   •   der Tarifvertrag zur Erweiterung des Schutzbereichs des BeSiTV, mit dem der Schutz
       des BeSiTV auf Arbeitnehmer ausgedehnt wird, die aufgrund gesundheitlicher Ein-
       schränkungen ihre bisherige Tätigkeit nicht mehr ausüben können.

2.2       Beschäftigungssicherung

An den Eckpunkten des laufenden BeSiTV zeigt sich exemplarisch, dass die Tarifpolitik bei
der Deutschen Bahn bisher am Ziel der Beschäftigungssicherung orientiert war. Mit dem
Tarifvertrag wurde ein seit 1996 bestehendes Beschäftigungsbündnis bis zum 31.12.2010
verlängert und erweitert. Im Einzelnen enthält der Tarifvertrag folgende Regelungen, die
geeignet sind, einen betriebsbedingten Wegfall von Beschäftigungsmöglichkeiten zu vermei-

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Beschäftigungs- und Tarifpolitik der Deutsche Bahn

den bzw. die Folgen eines notwendigen Arbeitsplatzabbaus für die Betroffenen zu minimie-
ren.

Hierzu dient folgender per Tarifvertrag festgelegte Prozessablauf:

           1. Droht in einem Betrieb der betriebsbedingte Wegfall von Beschäftigung, so
               gilt der Grundsatz der kollektiven Beschäftigungssicherung: es muss zunächst
               versucht werden, durch eine Reduzierung der Arbeitszeit ohne Lohnausgleich
               – um bis zu 2,5 Prozent – den Arbeitsplatzverlust zu vermeiden oder zu be-
               schränken.

           2. Droht trotz Anstrengungen zur kollektiven Beschäftigungssicherung in einem
               Unternehmen eine Kündigung aus dringenden betrieblichen Erfordernissen,
               greift der Grundsatz der Kündigungseinschränkung: Für Arbeitnehmer mit
               mindestens fünf Jahren Betriebszugehörigkeit im DB Konzern, ist die be-
               triebsbedingte Beendigungskündigung generell ausgeschlossen, solange der
               Betroffene gewisse Mitwirkungspflichten erfüllt. Allerdings ist der Abschluss
               eines Aufhebungsvertrags möglich. Wird von dieser Möglichkeit Gebrauch
               gemacht, erhält der Betroffene eine Abfindung, die maßgeblich vom Lebensal-
               ter und der Dauer der Betriebszugehörigkeit abhängt.

           3. Arbeitnehmer, die in ihrem bisherigen Betrieb nicht weiterbeschäftigt werden
               können, und bei denen die Kündigungseinschränkung greift, durchlaufen einen
               genau festgelegten Prozess mit dem Ziel der Vermittlung in eine Regelbeschäf-
               tigung. Hierbei müssen Dienstleistungen der DB JobService GmbH in An-
               spruch genommen werden.

           4. Unmittelbar nach Erkennbarkeit eines Beschäftigungswegfalls in einem Be-
               trieb wird geprüft, ob innerhalb des Betriebs, des Unternehmens oder unter-
               nehmensübergreifend eine der wegfallenden Beschäftigung entsprechende oder
               vergleichbare Beschäftigungsmöglichkeit besteht, so dass eine Vorvermittlung
               stattfinden kann.

           5. Betrifft der Beschäftigungswegfall mehrere vergleichbare Arbeitnehmer, hat
               eine Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG – unter Berücksichtung der beson-
               deren tarifvertraglichen Bestimmungen des BeSiTV zu erfolgen.

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Beschäftigungs- und Tarifpolitik der Deutsche Bahn

           6. Wenn ein Arbeitnehmer infolge des Beschäftigungswegfalls nicht mehr einge-
               setzt werden kann, ist zunächst im bisherigen Betrieb, danach im bisherigen
               Unternehmen eine zumutbare Weiterbeschäftigung anzustreben. Ist eine solche
               Beschäftigung nicht möglich, prüft die DB JobService GmbH die Möglichkeit
               der Weiterbeschäftigung in anderen Unternehmen.

           7. Kann eine zumutbare Beschäftigungsmöglichkeit nicht zeitnah zum Beschäfti-
               gungswegfall gefunden werden, wird ein Integrationsvertrag abgeschlossen,
               der Rechte und Pflichte des freigesetzten Arbeitnehmers regelt.

Mit dem Integrationsvertrag tritt die DB JobService GmbH als zweiter Arbeitgeber dem Ar-
beitsvertrag bei und versucht die Vermittlung in eine zumutbare Regelbeschäftigung, Leihar-
beit oder Integrationsbeschäftigung. Für die Laufzeit der Integrationsvereinbarung erhält der
Arbeitnehmer eine Integrationsvergütung in Höhe von 80-85 Prozent des letzten Entgelts.
Berechnungsgrundlage ist das Entgelt, das bei einer Arbeitszeit von 2088 Stunden zu zahlen
wäre. Die Absenkung fällt damit geringer aus als wenn die Berechnung auf Basis der tatsäch-
lichen Arbeitszeit von 2036 Stunden erfolgen würde.

Mit Abschluss des Integrationsvertrags erhält der Arbeitnehmer Anspruch auf aktive beschäf-
tigungspolitische Maßnahmen, insbesondere die Erstellung und Durchführung eines individu-
ellen Entwicklungsplans zur Verbesserung der Chancen auf Beschäftigung. Im Gegenzug ist
der Arbeitnehmer verpflichtet, sämtliche Maßnahmen, die seiner Vermittlung in eine Regel-
beschäftigung dienen, aktiv zu unterstützen. Darüber hinaus wird vom Arbeitnehmer berufli-
che Flexibilität und geographische Mobilität erwartet. Es ist zulässig, dass sich Inhalte und
Art sowie die tarifliche Bezahlung der Tätigkeit verschlechtern. Auch darf sich die örtlich-
räumliche Ausgestaltung der Tätigkeit ändern.

Der Tarifvertrag begrenzt allerdings die Einbußen, die durch diese Anforderungen beim Ar-
beitnehmer entstehen können. So darf das Anforderungsprofil in der neuen Tätigkeit maximal
eine Anforderungsgruppe unter der bisherigen liegen. Die Zumutbarkeit eines Entgeltverlusts
ist prozentual gedeckelt. Der maximal zumutbare Verlust richtet sich nach der Höhe des bis-
herigen Entgelts und beträgt 10 Prozent in der niedrigsten, 25 Prozent in der höchsten Ent-
geltgruppe. Daneben gibt es unter bestimmten Umständen ein Recht auf einmalige Abfin-
dungs- und Ausgleichszahlungen zur Kompensation einer Entgeltminderung infolge der Ver-
mittlung in eine neue Regelbeschäftigung. Die mit einem räumlichen Arbeitsplatzwechsel
verbundenen Kosten werden durch Mobilitätsbeihilfen begrenzt.
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Beschäftigungs- und Tarifpolitik der Deutsche Bahn

Insgesamt betrachtet hat die Beschäftigungssicherung über den im BeSiTV festgeschriebenen
Prozessablauf für die Arbeitnehmer einen eindeutig positiven ökonomischen Wert. Die Vor-
teile zeigen sich, wenn man die Alternative – Kündigung aus dringenden betrieblichen Erfor-
dernissen – gegenüberstellt:

   •   Der unmittelbare Einkommensverlust bei Entlassung ist höher als im Fall der Beschäf-
       tigung mit Integrationsvertrag – die Lohnersatzrate beim Arbeitslosengeld beträgt nur
       64-67 Prozent des letzten Nettoentgelts. Droht dem freigesetzten Arbeitnehmer Lang-
       zeitarbeitslosigkeit, ist die Einkommensminderung bei Bezug von Arbeitslosengeld II
       noch höher.

   •   Mit dem Bezug von Arbeitslosengeld sind ebenfalls Anforderungen an die berufliche
       Flexibilität und geographische Mobilität der Arbeitnehmer verbunden. Allerdings sind
       die Zumutbarkeitsregeln insgesamt betrachtet strenger.

   •   Mit dem Ausscheiden aus einem Unternehmen des DB Konzerns ist ein Verlust an
       firmenspezifischem Humankapital verbunden. Daher ist zu erwarten, dass die zur
       Wiederbeschäftigung verfügbaren Stellen systematisch niedriger entlohnt sind. Die bei
       Aufnahme einer Beschäftigung am regulären Arbeitsmarkt aus der Arbeitslosigkeit
       heraus zu erwartende durchschnittliche Einkommensminderung wird noch dadurch
       vergrößert, dass es keine Deckelung der zumutbaren Entgeltminderung gibt. Ebenfalls
       ist hinsichtlich Art und Inhalt der erreichbaren Tätigkeit vor allem bei länger anhal-
       tender Arbeitslosigkeit ein stärkerer Abstieg auf der Tätigkeitsskala möglich.

   •   Insgesamt bedeutet die Entlassung in Arbeitslosigkeit für den einzelnen Arbeitnehmer
       ein erhebliches Risiko, weil Dauer und Verlauf der Arbeitslosigkeitsperiode, die am
       Arbeitsmarkt laufend vorhandenen Beschäftigungsmöglichkeiten und die erreichbaren
       Beschäftigungsbedingungen unsicher sind. Die Regelungen des BeSiTV reduzieren
       die mit dem betriebsbedingten Beschäftigungswegfall verbundenen Risiken, weil ein
       klarer, regelgebundener Prozess vorgegeben wird. Daher werden risikoaverse Arbeit-
       nehmer – völlig unabhängig von den materiellen Bedingungen – diese Form der Wei-
       terbeschäftigung der Entlassung in die Arbeitslosigkeit vorziehen.

Ökonomisch gesprochen bietet der laufende BeSiTV der Deutschen Bahn eine Versicherung.
Da die betriebliche Absicherung des Arbeitslosigkeitsrisikos gegenüber der allgemeinen staat-

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Beschäftigungs- und Tarifpolitik der Deutsche Bahn

lichen Absicherung im Rahmen der Arbeitslosenversicherung günstiger ist, ist es für die be-
schäftigten Arbeitnehmer rational, für diese Versicherung auch einen Preis zu bezahlen.

In der Tat haben die Arbeitnehmervertreter für die Fortführung des BeSiTV eine substanzielle
Gegenleistung erbracht. Die Erhöhung des Referenzwerts für die Jahresarbeitszeit und die
Reduzierung des Urlaubsanspruchs um einen Arbeitstag bedeutet im Gesamtwert eine Entlas-
tung der Arbeitskosten um 5,5 Prozent. Dies spricht dafür, dass die Regelungen zur Beschäf-
tigungsstabilisierung für die Bahnbeschäftigten einen substanziellen ökonomischen Wert
haben.

Bei dieser Betrachtung geht allerdings verloren, dass der Wert der Versicherung für den ein-
zelnen Arbeitnehmer deutlich vom Durchschnitt abweichen kann. Offensichtlich ist für Be-
schäftigte mit einer geringen Wahrscheinlichkeit der betriebsbedingten Kündigung und mit
günstigen Beschäftigungschancen am regulären Arbeitsmarkt der Wert der Versicherung
kleiner als für Beschäftigte mit einem hohen Risiko des Arbeitsplatzverlusts und schlechten
Wiederbeschäftigungschancen am regulären Arbeitsmarkt.

In dieser Perspektive wirkt der BeSiTV genau wie eine Arbeitslosenversicherung mit allge-
meiner Mitgliedspflicht und allgemeinem Beitragssatz. Eine so ausgestaltete Versicherung hat
eine stark sozialpolitische Komponente – ein Teil des Einkommens wird von den stärkeren
auf die schwächeren Arbeitnehmer innerhalb der Versichertengemeinschaft umverteilt. Eine
mögliche Begründung für den Einsatz dieses verteilungspolitischen Instruments auf Betriebs-
ebene ist das Bemühen um sozialen Ausgleich.

2.3       Entgeltpolitik

Die von den Tarifparteien betriebene Beschäftigungssicherungspolitik wurde in den letzten
Jahren durch eine moderate Entgeltpolitik begleitet und ergänzt. Tabelle 1 gibt einen Über-
blick über die Entwicklung der durchschnittlichen Tarifentgelte in den durch einen gemein-
samen Entgelttarifvertrag gebundenen Unternehmen des DB Konzerns.

                                                 9
Beschäftigungs- und Tarifpolitik der Deutsche Bahn

Tabelle 1
Entwicklung der durchschnittlichen Tarifentgelte im DB Konzern gemäß Entgelttarifvertrag
    Jahr                    Westdeutschland                 Ostdeutschland                Gesamt

    2000                    100,0                           100,0                         100,0

    2001                    102,0                           103,2                         102,4

    2002                    102,0                           104,3                         102,7

    2003                    104,4                           106,8                         105,1

    2004                    104,4                           110,4                         106,1

    2005                    107,8                           113,9                         109,4

    2006                    109,8                           120,6                         112,7

    2007                    109,8                           124,7                         113,6

Index: 1. Januar 2000 = 100; Jahresangabe jeweils bezogen auf 1. Januar

Die Entwicklung der Tarifentgelte bei der Deutsche Bahn wurde in den letzten Jahren getrie-
ben durch

       •   lineare Tabellenanhebungen zwischen 1,9 Prozent und 3,2 Prozent

       •   eine rasche Ost-West-Angleichung der Entgelttabellen – der im Januar 2000 noch be-
           stehende Lohnabstand von 12 Prozent wurde in mehreren Schritten bis September
           2006 auf Null verkürzt.

Durch den Angleichungsprozess stiegen die Tarifentgelte im Osten ungewöhnlich stark. Seit
2000 nahmen die Entgelte um knapp ein Viertel zu. Das Tariflohnwachstum für alle ostdeut-
schen Arbeiter betrug im gleichen Zeitraum nur rund 13 Prozent, für alle ostdeutschen Ange-
stellten nur rund 15 Prozent.1 Die Deutsche Bahn hat sich per Tarifvertrag dazu verpflichtet,
den raschen Entgeltzuwachs in Ostdeutschland nicht durch die Ausgründung von Tochterge-
sellschaften zu umgehen.

Dem starken Anstieg der Lohnkosten im Osten stand ein sehr moderater Anstieg der Tarifent-
gelte im Westen gegenüber. Das Entgeltwachstum bei der Deutsche Bahn ist hier mit knapp

1Die Daten des Statistischen Bundesamts erfassen die Wirtschaftszweige Produzierendes Gewerbe, Handel, Kfz und
Gebrauchsgüter, Kredit- und Versicherungsgewerbe, Verkehr und Nachrichtenübermittlung sowie Gebietskörperschaften.

                                                       10
Beschäftigungs- und Tarifpolitik der Deutsche Bahn

10 Prozent unterdurchschnittlich – im gleichen Zeitraum stiegen die Tarifentgelte für alle
westdeutschen Arbeiter und Angestellten um rund 13 Prozent.

Für die Bahnbeschäftigten in West- und Ostdeutschland zusammen lag der Entgeltanstieg bei
der Deutsche Bahn wegen des starken Zuwachses im Osten mit knapp 14 Prozent geringfügig
über dem allgemeinen Durchschnitt. Berücksichtigt man die Konsumentenpreisentwicklung,
hat das Bruttoeinkommen der Bahnbeschäftigten in den letzten Jahren kaum zugenommen.
Seit 2000 ist der Index der Verbraucherpreise um 10,1 Prozent gewachsen. Real haben die
Tarifentgelte demnach seit der Jahrtausendwende nur um 3,5 Prozent zugenommen. Das ver-
fügbare Einkommen der Bahnbeschäftigten dürfte insgesamt wegen der zwischenzeitlichen
Entlastungen bei der Einkommensteuer und nur leicht gestiegener Beitragssätze in den gesetz-
lichen Sozialversicherungen etwas stärker gewachsen sein.

Für die Beurteilung der Entgeltpolitik bei der Deutsche Bahn ist nicht nur das Wachstum der
Tarifentgelte, sondern vor allem das Niveau der tariflich vereinbarten Leistungen im Verhält-
nis zu den Wettbewerbern relevant. Der Tarifvergleich gestaltet sich allerdings aus mehreren
Gründen schwierig. Erstens greift ein reiner Entgeltvergleich zu kurz: berücksichtigt werden
müssten auch Vereinbarungen zu den Rahmenbedingungen der Beschäftigung, die für die
Beschäftigten einen ökonomischen Wert haben. Hierzu zählt etwa die oben beschriebene,
über den BeSiTV erreichte spezielle betriebliche Versicherung gegen Arbeitslosigkeit. Eine
zweite Schwierigkeit ist, dass für die einzelnen Wettbewerber der Bahn im Schienenverkehr
verschiedene Tarifverträge zur Anwendung kommen, was generelle Aussagen erschwert.

Der folgende anhand exemplarischer Beispiele vorgenommene Tarifvergleich beschränkt sich
auf die Tarifentgelte (Tabellenentgelt zzgl. aller vorgesehenen Einmal- und Sonderzahlungen)
auf Jahresbasis bei einer vergleichbaren Arbeitszeit von 2.036 Stunden. Als Beispiel dienen
die an einen neu angestellten Lokomotivführer (Strecke), Zugbegleiter und Handwerker ge-
zahlten Entgelte. Tabelle 2 betrachtet als Beispiel einen 27 Jahre alten, verheirateten Arbeit-
nehmer ohne Kinder. Jeweils wird das Entgeltniveau bei Beschäftigten der Deutsche Bahn
mit dem bei zwei privaten Wettbewerbern, der Lausitzbahn (Connex Sachsen GmbH CSN
Veolia) und der Prignitzer Eisenbahn (ein Unternehmen der Arriva AG), verglichen. Als Ent-
geltmaße werden das Jahrestabellenentgelt, die Summe der Jahresentgelte einschließlich wei-
terer Zahlen, und der Stundenlohn, basierend auf der Summe der Jahresentgelte und der be-
werteten Arbeitsstunden pro Jahr, betrachtet.

                                                11
Beschäftigungs- und Tarifpolitik der Deutsche Bahn

Für alle Berufsgruppen und Entgeltmaße zeigt sich, dass die Beschäftigten der Deutsche Bahn
gegenüber vergleichbaren Beschäftigten der Wettbewerber einen deutlichen Entgeltvorsprung
haben. In Stundenlöhnen gerechnet, stehen sich die Arbeitnehmer im DB Konzern um 15-30
Prozent besser. Zu Ergebnissen in derselben Größenordnung kommt man, wenn man densel-
ben Tarifvergleich für andere Typen von Beschäftigten anstellt.

Tabelle 2
Tarifvergleich Deutsche Bahn AG und private Wettbewerber
                          Unternehmen des DB
                                                         Priegnitzer Eisenbahn       Lausitzbahn (Veolia)
                          Konzerns
                                            Lokomotivführer (neu eingestellt, Maximum)

 Jahrestabellenentgelt    23.223                         21.096                      19.658
                                                         (-9,2%)                     (-15.4%)

 Jahresentgelt            30.145                         24.627                      22.770
                                                         (-15,5%)                    (-24,5%)

 Entgelt pro bewerte-     20,80                          17,04                       14,24
 ter Arbeitsstunde                                       (-18,1%)                    (-31,5%)

                                               Zugbegleiter (neu eingestellt, Maximum)

 Jahrestabellenentgelt    20.347                         18.683                      16.089
                                                         (-8,2%)                     (-20,9%)

 Jahresentgelt            26.133                         21.832                      19.021
                                                         (-16,5%)                    (-27,2%)

 Entgelt pro bewerte-     16,88                          14,07                       11,72
 ter Arbeitsstunde                                       (-16,6%)                    (-30,6%)

                                               Zugbegleiter (neu eingestellt, Maximum)

 Jahrestabellenentgelt    20.347                         18.683                      19.658
                                                         (-8,2%)                     (-3,4%)

 Jahresentgelt            26.028                         22.191                      22.398
                                                         (-14,7%)                    (-13,9%)

 Entgelt pro bewerte-     14,26                          12,21                       12,17
 ter Arbeitsstunde                                       (-14,4%)                    (-14,7%)

Arbeitnehmer 27 Jahre, verheiratet ohne Kinder; relative Differenzen gegenüber Deutscher Bahn in Klammern.

Die Übersicht in Tabelle 2 lässt ein Muster erkennen. Die gemessene Entgeltdifferenz wächst,
wenn man vom Jahrestabellenentgelt zum Jahresentgelt und vom Jahresentgelt zum effektiven
Stundenlohn übergeht. Dahinter stehen beim ersten Schritt höhere Sonderentgelte (wie Ur-

                                                    12
Beschäftigungs- und Tarifpolitik der Deutsche Bahn

laubs- und Weihnachtsgeld) für die Beschäftigten der Deutsche Bahn, beim zweiten Schritt
großzügigere Bewertungen der geleisteten Arbeitszeit für die Konzernbeschäftigten.

Insgesamt gesehen sind die tariflichen Beschäftigungsbedingungen für die Mitarbeiter der
Deutsche Bahn also deutlich besser als für Bahnbeschäftigte außerhalb der Unternehmen des
Konzerns. Aus dieser Feststellung ergeben sich zwei bedeutsame Schlussfolgerungen:

   •   Die Deutsche Bahn steht im Markt für Schienenverkehrsdienstleistungen, was die Ar-
       beitskosten angeht, unter ganz erheblichem Wettbewerbsdruck. Der bestehende Ent-
       geltvorsprung ist nur dann wirtschaftlich, wenn die Beschäftigten der Konzernunter-
       nehmen ein gutes Stück produktiver sind als die Mitarbeiter der Wettbewerber.

   •   Die besseren Beschäftigungsbedingungen bei der Deutsche Bahn binden die Arbeit-
       nehmer. Ein freiwilliger Wechsel zu einem anderen Bahnunternehmen wird norma-
       lerweise unterbleiben. Ein unfreiwilliger Wechsel zur Konkurrenz nach einem Ar-
       beitsplatzverlust wäre mit starken Einkommenseinbußen verbunden. Daher haben die
       Beschäftigten der Deutsche Bahn ein klares Interesse, ihre Beschäftigung im Konzern
       zu stabilisieren.

In dieser Konstellation ist die Verständigung auf eine beschäftigungsorientierte Tarifpolitik,
wie sie in der Vergangenheit verfolgt wurde, relativ leicht. Selbstverständlich muss die Deut-
sche Bahn als Arbeitgeber moderate Entgeltsteigerungen anstreben, damit sich ihr arbeitskos-
tenbedingter Wettbewerbsnachteil zumindest nicht weiter vergrößert. Aber auch für die Ar-
beitnehmer ist eine verbesserte Wirtschaftlichkeit des Unternehmens erstrebenswert, da hier-
mit vermieden werden kann, dass der Anteil der Beschäftigung in Bahnunternehmen, die
schlechtere Arbeitsbedingungen als die Unternehmen des DB Konzerns bieten, steigt.

2.4         Tarifrunde 2007

In der bevorstehenden Tarifrunde verfolgt die Deutsche Bahn weiterhin das Ziel einer mode-
raten Tarifpolitik, um Wirtschaftlichkeit und Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen des DB
Konzerns, gerade mit Blick auf die angestrebte Privatisierung, zu erhalten. Die Bahngewerk-
schaften sind dagegen mit ihren hohen Lohnforderungen aus der bisherigen Linie ausgebro-
chen. Für die Ausrichtung auf primär lohnpolitische Ziele lassen sich eine Reihe von Gründen
anführen:

                                                13
Beschäftigungs- und Tarifpolitik der Deutsche Bahn

    •   Allgemein vollzieht sich die laufende Tarifrunde vor dem Hintergrund eines sehr
        kräftigen konjunkturellen Aufschwungs. Für dieses und das kommende Jahr erwartet
        die Gemeinschaftsdiagnose von Experten der führenden Forschungsinstitute jeweils
        ein Wirtschaftswachstum von 2,4 Prozent. Der nach einer längeren Schwächephase
        erreichte rasante wirtschaftliche Aufschwung in Deutschland wird im Moment nicht
        mehr nur durch das florierende Exportgeschäft, sondern auch durch inländische In-
        vestitionen und eine endlich anziehende Binnennachfrage angetrieben. Mit der guten
        Konjunkturlage ist auch eine anziehende Nachfrage nach Verkehrsdienstleistungen
        verbunden. Dies führt zu verbesserten Gewinnaussichten im Bahnverkehr. Eine ledig-
        lich an den aktuellen Gewinnerwartungen orientierte Lohnpolitik ist allerdings kurz-
        sichtig. Eine lineare Anhebung der Tabellenentgelte bewirkt eine dauerhafte Erhö-
        hung des Lohnniveaus, so dass der Kostendruck automatisch zunimmt, wenn die
        Konjunktur ihren Höhepunkt überschreitet.

    •   Als Folge der sehr günstigen Wirtschaftsentwicklung ist die Arbeitslosigkeit in
        Deutschland zuletzt stark gesunken. Eine Entspannung am Arbeitsmarkt verbessert
        tendenziell die Verhandlungsposition der Arbeitnehmer. In Bereichen, wo Fachkräfte
        knapp werden, lassen sich höhere Entgeltsteigerungen durchsetzen. Allerdings ist zu
        beachten, dass der Aufschwung am Arbeitsmarkt an den Geringqualifizierten bisher
        weitgehend vorbeigeht. Proportionale Entgeltsteigerungen für alle Beschäftigten ste-
        hen in dieser Situation im Gegensatz zu den Interessen der geringer qualifizierten
        Gruppen.

    •   Die Unternehmensgewinne sind in letzter Zeit allgemein deutlich gestiegen. Auch der
        DB Konzern konnte sich im abgelaufenen Jahr über eine Rekordbilanz freuen. Vor
        Steuern und Zinsen verdiente das Unternehmen 2,5 Milliarden Euro. Selbst wenn
        einmalige Einnahmen herausgerechnet werden, bleiben 2,1 Milliarden Euro. Der Ver-
        teilungsspielraum ist also scheinbar gestiegen. Die Gewerkschaften können argumen-
        tieren, dass die Arbeitnehmer des Konzerns von der positiven Geschäftsentwicklung
        profitieren sollen.

    •   Die Laufzeiten des BeSiTV und des Entgelttarifvertrags sind nicht synchron. Die ta-
        rifvertragliche Verpflichtung der Arbeitgeber zum Verzicht auf betriebsbedingte
        Kündigungen reicht bis Ende 2010, während bereits jetzt über die Entgeltentwicklung
        verhandelt wird. Selbst übermäßige Lohnsteigerungen können wegen der Bindung der
                                                14
Beschäftigungs- und Tarifpolitik der Deutsche Bahn

          Arbeitgeber nicht unmittelbar zu Beschäftigungsverlusten im DB Konzern führen.
          Der Versuch, in dieser Lage hohe Lohnforderungen durchzusetzen, kann so interpre-
          tiert werden, dass die gewerkschaftliche Politik den Status quo übergewichtet und die
          längere Frist ausblendet. Spätestens nach Ende der Laufzeit müssten übermäßige
          Lohnsteigerungen nämlich auf die Beschäftigungsmöglichkeiten in Unternehmen des
          DB Konzerns durchschlagen. Darüber hinaus besteht prinzipiell die Möglichkeit, dass
          die Arbeitgeberseite, um dem mit hohen Lohnsteigerungen verbundenen Kostendruck
          auszuweichen, den BeSiTV außerordentlich vorzeitig kündigt.

      •   Der angestrebte Börsengang begünstigt möglicherweise die Verhandlungsposition der
          Gewerkschaften. Mit Blick auf die noch ausstehende Zustimmung der Politik wären
          die Kündigung des BeSiTV und größerer Arbeitsplatzabbau negative Signale. Ein
          Arbeitskampf könnte aber auch das Image des Konzerns bei den Investoren schädi-
          gen. Die Bahngewerkschaften spekulieren darum möglicherweise darauf, dass das
          Unternehmen es nicht auf einen längeren Tarifkonflikt ankommen lassen will und
          hohe Lohnforderungen eher akzeptiert.

      •   Die drei Bahngewerkschaften versuchen sich über hohe Lohnabschlüsse zu profilie-
          ren. Kleine Gewerkschaften stehen im Wettbewerb mit Großgewerkschaften, die an-
          haltenden Mitgliederschwund durch Expansion aufzufangen versuchen. Überdurch-
          schnittlicher Erfolg bei Lohnverhandlungen hilft in dieser Lage bei der Wahrung der
          Eigenständigkeit. Aus diesen organisationspolitischen Interessen heraus lässt sich
          auch die Forderung der GDL nach einem eigenen Spartenvertrag erklären. Würde es
          der Gewerkschaft auf diesem Weg tatsächlich gelingen, die Interessen der eigenen
          Klientel besser zu bedienen, stiege die Chancen, neue Mitglieder zu gewinnen.

3           Wettbewerbssituation der Deutsche Bahn

3.1         Sanierungserfolg

Die Bahnreform 1994 markiert eine Zäsur im System Schiene. Mit ihr wurde das behördlich
geführte Eisenbahnmonopol aufgegeben und eine Entwicklung hin zu einem wettbewerblich
organisierten Markt für Schienenverkehrsdienstleistungen angestoßen. Ziele der Bahnreform
waren, mehr Verkehr auf die Schiene zu ziehen, die öffentlichen Haushalte angesichts der

                                                15
Beschäftigungs- und Tarifpolitik der Deutsche Bahn

rasch wachsenden Verschuldung der Behördenbahn dauerhaft zu entlasten und die behördlich
geführten beiden deutschen Staatsbahnen zu sanieren. Die Gründung der organisationsprivati-
sierten Deutsche Bahn war die Voraussetzung, die Eisenbahn als eigenwirtschaftlich agieren-
des, betriebswirtschaftlich arbeitendes Wirtschaftsunternehmen zu etablieren.

Auf dem Sanierungskurs ist das Unternehmen seit der Bahnreform ein gutes Stück vorange-
kommen. Versteht man unter Sanierung die Fähigkeit des Unternehmens, Gewinn zu erwirt-
schaften, ist das Ziel nominell erreicht. Nimmt man die dauerhafte Gewinnfähigkeit zum
Maßstab, bleibt zwar abzuwarten, ob der 2004 erstmals erreichte Eintritt in die Gewinnzone
von Dauer ist. Alles in allem scheint das Unternehmen unter den sich abzeichnenden politi-
schen Rahmenbedingungen nicht mehr weit von der Kapitalmarktfähigkeit entfernt.

Die fortschreitende Sanierung ging mit einem kontinuierlichen Abbau von Arbeitsplätzen bei
der Deutsche Bahn einher. Anfang 2007 war der Personalbestand im Bereich Schiene
(166.000) nur noch etwa halb so hoch wie zum Beginn der Bahnreform 1994. Ursächlich für
den starken Beschäftigungsabbau sind die erforderlichen Restrukturierungen und Rationalisie-
rungen im Zuge der Sanierung des DB Konzerns. Diese Maßnahmen waren notwendig, um
die historisch bedingten Ineffizienzen des früheren Staatsmonopolisten zu korrigieren. Der
Personalabbau hat die Personalaufwandsquote im Konzern deutlich reduziert. Seit 1994 ist
der Anteil des Personalaufwands am Umsatz von gut zwei Dritteln auf unter 40 Prozent gefal-
len.

Bemerkenswert ist, dass der starke Personalabbau ohne betriebsbedingte Kündigungen aus-
kam. Dies ist ein Indiz dafür, dass die Wahrung des sozialen Friedens ein wichtiges Element
in der personalpolitischen Strategie der Deutschen Bahn ist. Eine Erklärung hierfür ist, dass
sich der Konzern auf diesem Weg die Loyalität und Einsatzbereitschaft der verbleibenden
Mitarbeiter, denen der Sanierungsprozess Zumutungen auferlegt, sichern will. Eine andere
Erklärung ist, dass die Deutsche Bahn auf ein positives politisches Umfeld angewiesen ist.
Bei größeren betriebsbedingten Entlassungen wäre mit Schwierigkeiten, die Bahnreform
voranzutreiben, zu rechnen. In ähnlicher Weise haben die anderen ehemaligen behördlichen
Monopolunternehmen (Post, Telekom) versucht, ihren Personalabbau ohne betriebsbedingte
Kündigungen zu bewerkstelligen.

Insgesamt bewegt sich der Umfang des sanierungsbedingten Personalabbaus in etwa in der
vor Beginn der Bahnreform erwarteten Größenordnung. Dennoch hat die Bahnreform per
saldo zu einem größeren Verlust von Arbeitsplätzen bei der Deutschen Bahn geführt als viel-
                                                16
Beschäftigungs- und Tarifpolitik der Deutsche Bahn

fach erwartet. Dies liegt daran, dass das Unternehmen trotz enormer Produktivitätsfortschritte
kaum kompensierenden Mehrverkehr hinzugewonnen hat. Die Konsequenz ist, dass der Kon-
zern zukünftig noch wirtschaftlicher werden muss, um im Wettbewerb um die Durchführung
von Verkehrsdienstleistungen auch verkehrspolitisch gewünschte Wachstumserfolge zu erzie-
len.

Dabei ist die Wettbewerbssituation für die Deutsche Bahn in den einzelnen Segmenten des
Markts für Bahnverkehrsdienstleistungen – Güterverkehr, Nahverkehr und Fernverkehr – sehr
unterschiedlich.

3.2       Güterverkehr

Im Schienengüterverkehr operiert die Deutsche Bahn unter anderem mit der Gesellschaft
Railion Deutschland AG. Sie steht zum einen im Wettbewerb mit dem schienenungebundenen
Güterverkehr, vor allem der Binnenschifffahrt und dem Transport auf der Straße, ein Seg-
ment, in dem die eigene Logistiktochter Schenker/Bax Global erfolgreich operiert. Zum ande-
ren steht die Railion Deutschland AG im Wettbewerb mit zahlreichen kleineren, neu in den
Schienengüterverkehrsmarkt eingetretenen Konkurrenten.

Seit der Bahnreform hat sich die Verkehrsleistung im Schienengüterverkehr zwar um etwa ein
Fünftel erhöht; trotzdem ging der Marktanteil an allen Verkehrsleistungen nach 1994 für
einige Zeit leicht zurück. Erst in den letzten Jahren konnte die Schiene wieder zulegen. Ur-
sächlich für diese Entwicklung sind die allgemeinen Rahmenbedingungen, etwa die wachsen-
den Transportentfernungen bei vermehrt arbeitsteiliger Produktion, gestiegene Kraftstoffprei-
se oder die Einführung der Autobahnmaut für schwere LKW. Vor allem im Einzelwagenver-
kehr ist die Marktsituation der Schiene jedoch nach wie vor schwierig. Zudem leidet der
Schienengüterverkehr unter politisch gesetzten relativen Nachteilen wie der Befreiung der
Binnenschiffe von der Mineralölsteuer.

Betrachtet man die Situation für die Deutsche Bahn innerhalb des Güterverkehrs auf der
Schiene, so zeugt das absolute wie relative Wachstum der Railion-Wettbewerber von einer
starken Zunahme der Konkurrenz. Seit 2000 ist der Marktanteil der Wettbewerber der Deut-
sche Bahn im öffentlichen Güterverkehr von 1,9 Prozent auf deutlich über 15 Prozent gestie-
gen. Auf einzelnen Relationen, etwa der Rheinschiene mit 40 Prozent Marktanteil der SBB
Cargo, ist die intramodale Wettbewerbsintensität besonders hoch. Aus den anfangs kleinen

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Beschäftigungs- und Tarifpolitik der Deutsche Bahn

und kapitalschwachen Wettbewerbern kristallisiert sich allmählich eine Gruppe von beson-
ders dynamisch wachsenden Anbietern heraus. Diese gehören vielfach zu internationalen und
kapitalstarken Konzernen.

Der intramodale Wettbewerb ist tendenziell am stärksten im Bereich der Ganzzüge, dem
wirtschaftlichsten Segment des Schienengüterverkehrs mit für neue Anbieter relativ gut zu
kalkulierendem Investitionsaufwand. Der Margendruck ist allerdings hoch. Ein zweites
Marktsegment mit relativ leichtem Marktzutritt ist der kombinierte Verkehr, d.h. Transporte
von Containern, ganzen Lastwagen u. ä.. Bei eher unterdurchschnittlichen Margen wächst
dieser Markt durch den steigenden Anteil von Containertransporten besonders dynamisch.
Neueintritte in den Markt sind relativ einfach, weil die Produktionsweise einfach ist, Opera-
teure ihre Aufträge zunehmend im Wettbewerb vergeben und der erforderliche Zugang zu den
Umschlagterminals leicht ist.

Insgesamt gesehen ist der Wettbewerb im Schienengüterverkehr seit der Bahnreform gut
vorangekommen und wird sich zukünftig vermutlich weiter dynamisch entwickeln,. Schon
heute können sich Neulinge, obwohl sie in einem eigenwirtschaftlichen Marktsegment das
volle unternehmerische Risiko tragen müssen, gut behaupten.

3.3       Nahverkehr

Ein Kernstück der Bahnreform war die Regionalisierung des Schienenpersonennahverkehrs
(SPNV). Sie delegiert die Verantwortung für die Bestellung des Nahverkehrs an die Länder,
von denen vermutet wird, dass sie die beste Übersicht über das regional benötigte Verkehrs-
angebot haben. Für die angeforderte Verkehrsleistung müssen die Länder selbst aufkommen,
wurden dafür aber mit erheblichen Regionalisierungsmitteln (2005: ca. 7 Mrd. Euro) ausges-
tattet.

Um den Wettbewerb um die regionalen Nahverkehrsaufträge zu ermöglichen, wurde ein dis-
kriminierungsfreier Netzzugang gesetzlich festgeschrieben. Formal haben nach §14 AEG alle
Eisenbahnverkehrsunternehmen das Recht, die Eisenbahninfrastruktur zu nutzen. Neben den
von den Ländern und Bestellerorganisationen immer mehr genutzten Ausschreibungen sind
auch Vergabeverfahren nach § 15 AEG wettbewerblich.

Inwieweit es unter diesen Rahmenbedingungen tatsächlich zu Wettbewerb kommt, hängt aber
entscheidend davon ab, wie die grundsätzlich vorhandenen Möglichkeiten, Verkehrsverträge

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zu vergeben, genutzt werden. Wegen der bisher geringen Ausschreibungsmasse herrscht,
wenn man den SPNV insgesamt betrachtet, derzeit noch relativ geringe Wettbewerbsintensi-
tät. Hierfür spricht allein schon das äußerst günstige Betriebsergebnis der Regionalverkehrs-
sparte der Deutsche Bahn.

Wird der Ausschreibungsfahrplan eingehalten, dürfte sich der Wettbewerb in diesem Segment
in den kommenden Jahren allerdings deutlich verschärfen. Der Anteil der im Wettbewerb zu
vergebenden Leistungen steigt kontinuierlich. Im Jahr 2006 wurde mit 48,3 Mio. Zugkilome-
tern – 7,6 Prozent des Gesamtmarkts – das bislang höchste Leistungsvolumen in Wettbe-
werbsverfahren vergeben. Für die nächsten Jahre ist davon auszugehen, dass das jährliche
Ausschreibungsvolumen noch weiter zunimmt. Zunehmend stehen auch betriebswirtschaftlich
überdurchschnittlich attraktive Lose, wie das potenziell lukrative Segment der S-Bahnen, zur
wettbewerblichen Vergabe an. Bis 2020 sollen alle Leistungen in Deutschland mindestens
einmal ausgeschrieben werden.

Betrachtet man die Situation der Deutsche Bahn bei den stattfindenden wettbewerblichen
Vergaben, liegt die Erfolgsquote konkurrierender Anbieter bei ca. 50 Prozent. Der Konkur-
renzdruck ist also dort, wo Verkehrsleistungen wettbewerblich vergeben werden, ausgespro-
chen hoch. Gemessen in Zugkilometern hat sich der Marktanteil anderer Bahnen im SPNV
seit 2000 mehr als verdoppelt und liegt nun bei 15,2 Prozent. Gemessen in Personenkilome-
tern ist der Martkanteil etwa halb so hoch.

Die am Markt vorhandenen Wettbewerber sind zudem relativ leistungsfähig. Mittelständische
Neugründungen sind in diesem Marktsegment die Ausnahme. Dafür sind von den acht großen
privatwirtschaftlichen Betreiberfirmen in Europa vier in Deutschland aktiv. Vor allem Veolia-
Verkehr (ehemals Connex) und Arriva bieten nahezu flächendeckend an. Die übrigen interna-
tional erfolgreichen Konkurrenten der Deutsche Bahn könnten zudem relativ rasch in den
Markt eintreten. Weitere Wettbewerber, die für die Deutsche Bahn häufig schwierige Gegner
sind, sind Staatsbahnen aus den Nachbarländern, Länderbahnen und kommunale Akteure wie
die städtischen Verkehrsbetriebe.

Bei der Vergabe von SPNV-Leistungen im Wettbewerb ist der Angebotspreis in aller Regel
das dominierende Entscheidungskriterium, die Gewichtung liegt im Normalfall zwischen 70
und 100 Prozent. Der Angebotspreis reflektiert vor allem die Kosten für Personal, Fahrzeuge,
Energie und Infrastruktur, zzgl. eines Wagnis- und Gewinnaufschlags. Die Personalkosten,
die normalerweise 15-30 Prozent des Angebotspreises ausmachten, dürften im Vergleich zu
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