L'oiseau - AOP, die Grundlage eines Qualitätsprodukts - Le Gruyère AOP

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L'oiseau - AOP, die Grundlage eines Qualitätsprodukts - Le Gruyère AOP
F a c h z e i t s c h r i f t   d e r   S o r t e n o r g a n i s a t i o n   G r u y è r e

        l’oiseau
Nr. 55 - November 2021

                     AOP, die Grundlage
                   eines Qualitätsprodukts
L'oiseau - AOP, die Grundlage eines Qualitätsprodukts - Le Gruyère AOP
INHALT

    03         EDITORIAL                                                              10        DIE AOPS SIND KEINE MUSEUMSSTÜCKE

    04         EINE TOLLE AUSZEICHNUNG AUS                                            12        DIE AOP ZUM SCHUTZ DES NAMENS UND
               DEM WAADT­LAND FÜR DIE KÄSEREI                                                   ZUR GEWÄHRLEISTUNG DER QUALITÄT
               GRANDCOUR
                                                                                      14        VERBINDUNG ZWISCHEN PRODUKT UND
    05         DIE GENUGTUUNG, GUTE MILCH FÜR                                                   TERROIR AUFWERTEN
               GRUYÈRE AOP ZU PRODUZIEREN
                                                                                      16        SCHÜTZEN, UND ZWAR IMMER, OHNE
    06         PIERRE-ANDRÉ BARRAS, «Z’ALP GA IN                                                QUALITÄTSABSTRICHE
               DER DNA»
                                                                                      18        DER GRUYÈRE AOP IN VERBINDUNG MIT
    07         FOKUS AUF DIE KÄSEREI IN MONTRICHER                                              GROSSEN VERANSTALTUNGEN

    08         DEN NACHWUCHS FÖRDERN, EINE                                            20        REZEPTE
               WICHTIGE AUFGABE FÜR WILLIAM
               BERTHOUD

    09         ECHTHEIT UND NÄHE IM ZENTRUM DER
               IDENTITÄT DES GRUYÈRE AOP

2
    www.gruyere.com
    Impressum
    Herausgeber: Interprofession du Gruyère           Redaktion :                     Übersetzung :              Grafische Gestaltung :
    Place de la gare, Postfach 12, CH - 1663 Pringy   Interprofession du Gruyère      Trait d’Union, 3000 Bern   Effet-i-media bepbep@bluewin.ch
    interprofession@gruyere.com                       Microplume, www.microplume.ch   www.traitdunion.ch
    www.gruyere.com                                                                   Politext, 1754 Avry FR     Gedruckt in der Schweiz
                                                      Auflage : 2’800 Exemplare       www.politext.ch
L'oiseau - AOP, die Grundlage eines Qualitätsprodukts - Le Gruyère AOP
Editorial
Während gewisse Teile der Schweizer Landwirtschaft                 Gruyère und die Verkaufsakteure im Ausland – sei dies in
wie die Zuckerrüben, Kartoffeln oder auch der                      Europa oder in Nordamerika – heute aus. Auch wenn nichts
Weinbau Mühe bekunden, geht es der Gruyère-                        in Stein gemeisselt ist, dann ist diese Grundlage doch essen-
Wertschöpfungskette gut. Ja, diese verschiedenen                   ziell. Ohne permanentes Engagement zur Aufrechterhaltung
Sektoren leiden, was entweder auf klimatische                      des Images und der Attraktivität dieses edlen Käses, des
oder ökologische Probleme oder auch auf Importe                    Gruyère AOP, würden sich die Konsumenten oder die Gros-
zu tiefen Preisen zurückzuführen ist. Es ist aber                  sverteiler rasch nach anderen Käsen umsehen.
wünschenswert, dass Lösungen gefunden wer-
                                                                   Diese beiden Eckpfeiler, Qualität und Marketing, wären
den, um diese Produktionen zu sichern und vor
                                                                   ohne klare und präzise Definition des Produkts, d. h. einem
allem die Attraktivität für die Konsumentenkreise
                                                                   Pflichtenheft, und als Folge davon der Appellation d’Origine
aufrechtzuerhalten.
                                                                           Protégée (AOP) auf Sand gebaut.
AIn diesem Sinne ist es interessant festzustellen,
                                                                                  Dieser wichtige Aspekt wird im Magazin
dass der Gruyère AOP in der nunmehr seit
                                                                                    «L’oiseau» durch einige Personen beleuchtet,
über anderthalb Jahren anhaltenden turbu-
                                                                                      die bei der Anerkennung und Umsetzung
lenten Zeit für Käufer aus nah und fern nach
                                                                                        der AOP eine Schlüsselrolle gespielt ha-
wie vor ein sicherer Wert ist. Die Zahlen
                                                                                         ben. Dieser Ansatz hat es ermöglicht, die
per Ende September bestätigen diese
                                                                                         verschiedenen Märkte für den Gruyère
Analyse mit einem noch nie dagewe-
                                                                                         AOP zu halten, ja sogar zu erweitern.
senen Rekordwert im Export über neun
                                                                                         Vor allem aber konnte er der Wert-
Monate. Diese konstante Nachfrage hat
                                                                                        schöpfungskette und ihrem gesamten
es den Instanzen der Sortenorganisation
                                                                                       Produktionsgebiet eine Zukunft bieten.
Gruyère ermöglicht, wichtige Produktions-
                                                                                     Auch wenn die Arbeit im Zusammenhang
steigerungen zu beschliessen, was sicher bei
                                                                                   mit diesem erstklassigen Produkt für alle
allen Akteuren willkommen ist.
                                                                                nicht ganz einfach ist, so hat sie zumindest das
Diese Situation, die sich von einem Tag auf den ande-                       Verdienst, all jenen, die den Gruyère AOP täglich her-
ren verschlechtern kann, hat jedoch nichts mit Zufall zu tun.      stellen, Perspektiven zu eröffnen. Ganz im Gegensatz zu den
Das positive Image des Gruyère AOP beruht auf langjähriger         zahlreichen Sektoren, die derzeit Mühe bekunden. Es liegt an
Arbeit, die sich auf mehrere Eckpfeiler stützt: Einer unter ih-    jedem von uns, sich den Herausforderungen zu stellen, damit
nen, und dabei keineswegs der geringste, ist das ständige          wir im Jahr 2031 gelassen das 30-jährige Bestehen der AOP
Streben nach ausgezeichneter Qualität. Qualität bezüglich der      und gleichzeitig das 10-jährige Jubiläum des «Centre du lait
Fütterung, der Milch, im Kessi und bei der Pflege im Keller.       cru» in Grangeneuve feiern können, dessen treibende Kraft
Ein anderer Eckpfeiler betrifft die erheblichen Investitionen in   unter anderem der Gruyère AOP war.
die Verkaufsförderung und Werbung. Auch wenn
                                                                                                                                     3
die Schweizerische Käseunion (SKU) den Markt                                                                   Philippe Bardet
in den 80er-/90-er Jahren geöffnet hat, so zahlt                                                               Direktor der IPG
sich die Stärkung durch die Sortenorganisation
L'oiseau - AOP, die Grundlage eines Qualitätsprodukts - Le Gruyère AOP
© Aliénor Held
    Jean-Daniel Jäggi

    Eine tolle Auszeichnung aus dem Waadt­
    land für die Käserei Grandcour
    Der Gruyère AOP der Käserei Grandcour wurde                    zu ziehen. Drei Jahre später wurde eine ganz neue Käserei
    von der Waadtländer Regierung zum Käse des                     eingeweiht. Jean-Daniel Jäggi ist sehr zufrieden mit der
    Jahres 2021 ausgezeichnet. Der unter der Leitung               Käsereieinrichtung. «Das Einzige, das nicht geplant war, ist
    des Käsers Jean-Daniel Jäggi hergestellte Käse                 der ständig wachsende Erfolg des Ladens. Der lokale Verkauf
    wird dieses Jahr bei offiziellen Empfängen zusam-              ist beträchtlich geworden. Auch im Sommer läuft es gut, da wir
    men mit dem neuen Ehrenwein des Staatsrates                    die Campingplätze entlang des Sees beliefern. Deshalb hätten
    serviert. Es handelt sich um den Jahrgang 2019 des             wir einen etwas grösseren Fertigungsraum insbesondere für
    Domaine de Autecour, AOC La Côte, im Eigentum                  Joghurt und Butter bauen sollen.»
    der Familie Schenk.
                                                                   Die Käserei Grandcour stellt jährlich 304 Tonnen Gruyère AOP
    «Zurzeit sind die Aufträge für offizielle Empfänge wegen der   her. «Es ist ein leidenschaftlicher Beruf» freut sich Jean-
    Pandemie nicht so zahlreich,» schmunzelt Jean-Daniel Jäggi.    Daniel Jäggi. «Gute Milch erfordert sorgfältiges Arbeiten.
    «Aber es ist trotzdem eine schöne Anerkennung der Arbeit,      Aber da es sich um ein Naturprodukt handelt, können im-
    die unsere Milchproduzenten und unsere Käserei geleistet       mer Überraschungen vorkommen.» Zum Glück bilden seine
    haben. Ausserdem berichteten die Medien im vergangenen         vier Mitarbeiter der Käseherstellung ein tolles Team, dem er
    Dezember positiv über diese Auszeichnung und wir konnten       vertraut.
    neue Kundinnen und Kunden gewinnen.»
                                                                   Als er vor etwa zwölf Jahren keinen qualifizierten Mitarbeiter
    Wie alle seine Mitkonkurrenten für die Waadtländer             fand, suchte er beim regionalen Arbeitsvermittlungszentrum
    Auszeichnung erreichte auch Le Gruyère AOP von Grandcour       (RAV). Das RAV schlug ihm Benjamin Ozoekwe Chijioke vor,
    einen Durchschnitt von mehr als 19 Punkten bei der Taxation    der nichts über Käse wusste. Doch der junge Nigerianer pas-
    zwischen Mai 2019 und April 2020. Die Gründe für diesen        ste sich schnell an, und so gut, dass er das Eidgenössisches
    Erfolg? Es spielen viele Faktoren eine Rolle. Doch Jean-       Fähigkeitszeugnis (EFZ) als Käser erwerben konnte. Er ist heu-
    Daniel Jäggi ist überzeugt, dass eine gute Kommunikation       te sein Stellvertreter. «Es war ein schöner gemeinsamer Weg
    mit seinen acht Produzenten sehr wichtig ist. «Seit mehr als   und er versteht sich gut mit den Milchproduzenten. Später
    20 Jahren arbeite ich hier. Wir konnten eine gegenseitige      stellte ich wiederum über das RAV auch Aubert Atiogbe, aus
    Vertrauensbeziehung aufbauen. Ich habe das Glück, dass sie     Togo ein, weil ich glaube, dass wir alle eine Chance verdient
    zweimal am Tag ihre Milch liefern. Wir haben einen persön-     haben. Und es läuft sehr gut.»
    lichen Kontakt. Wenn es ein Problem gibt, sprechen wir es
                                                                   Der Käser sieht gelassen in die Zukunft. «Wir hatten eine gute
    sofort an.»
                                                                   Entwicklung in den letzten zehn Jahren. Wir werden alles tun
    Im Jahr 1997 begann Jean-Daniel Jäggi in der alten Käserei     um das zu erhalten.» Jean-Daniel Jäggi engagiert sich auch
4   von Grandcour zu arbeiten. Im Jahr 2002 über-                              im Vorstand der Westschweizer Käser. Er ge-
    nahm er die Milch der Produzenten von Delley                               niesst den Austausch mit seinen Berufskollegen.
    und Chevroux. Dies war die Gelegenheit für die                             Gemeinsam setzen sie sich dafür ein, die Passion
    Milchgenossenschaft, einen Neubau in Erwägung                              zu diesem Beruf und seine Werte zu bewahren.
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©?

Mathias Mayor

Die Genugtuung, gute Milch für
Gruyère AOP zu produzieren
Mathias Mayor ist Präsident der Käserei­                       Mathias Mayor kümmert sich gerne um seine Tiere. «Es ist
genossenschaft Grandcour und Umgebung.                         wichtig, einen wirtschaftlich erfolgreichen Betriebszweig
Dieser Milchproduzent ist gerade dabei, den land-              zu haben. Es ist aber ebenso wichtig, Freude an der Arbeit
wirtschaftlichen Betrieb zu übernehmen, den er                 zu haben. Wenn es der Kuh gut geht, sie ein Kalb hat und
seit 29 Jahren mit seinem Vater bewirtschaftet.                gute Milch gibt sowie die Analysenergebnisse der Käserei
                                                               gut sind, ist das eine grosse Genugtuung. Auf der anderen
Der in Ressudens in der Gemeinde Grandcour liegende
                                                               Seite ist es hart, wenn ein Tier krank ist und geschlachtet
Betrieb gehört schon seit zahlreichen Generationen der
                                                               werden muss. Aber wenn wir für Tiere verantwortlich sind,
Familie von Mathias Mayor. «Im Alter von 16 Jahren wand-
                                                               gehört das auch zu unserem Job.»
te ich mich natürlich unseren Betrieb zu,» erinnert er sich.
«Ich absolvierte die Landwirtschaftsschule und begann          Im Laufe der Jahre wurde der Tabakanbau aufgegeben und
dann auf dem Hof zu arbeiten. Mir liegt die Kontinuität des    wir haben nur noch Weizen, Gerste, Mais und Grünland
Familienerbes am Herzen und ich habe das Rindvieh gern.»       für die Kühe. Mathias Mayor konzentriert sich hauptsäch-
                                                               lich auf die Viehhaltung, während sein pensionierter Vater
Mathias Mayor arbeitete zunächst auf dem alten Bauernhof
                                                               aushilft. «Ich erinnere mich an die Zeit, als es noch rund
mit seinem Vater. Damals hatten sie 25 Kühe und bauten
                                                               zwanzig Bauernhöfe im Dorf gab. Heute sind es noch 8
Getreide und Tabak an. «Es war eng im Stall, aber es funk-
                                                               Betriebe, davon 5 in Grandcour und 3 zwischen Chevroux
tionierte recht gut.»
                                                               und Delley. Und da die Produktionsquote gleichblieb, folgte
Vor 20 Jahren übernahm Mathias den landwirtschaftli-           die zunehmende Grösse der Betriebe der Abnahme der
chen Betrieb eines Cousins der Familie und gründete eine       Produzenten.»
Betriebsgemeinschaft mit seinem Vater. Da sie an einem
                                                               Vor gut einem Jahr erklärte sich Mathias Mayor bereit, den
einzigen Standort waren, gewährte ihm sein Vater ein im
                                                               Vorsitz im Vorstand der Käsereigenossenschaft Grandcour
Grundbuch eingetragenes Baurecht. Dieser Status hatte
                                                               und Umgebung zu übernehmen. «Mit dem Rückgang der
sich sehr bewährt.
                                                               Anzahl Produzenten hatte ich das Gefühl, ein Engagement
Gemeinsam bauten sie einen neuen Betrieb. Sie halten           akzeptieren zu müssen.» Er war bereits Präsident, als der
zurzeit rund 50 Kühe in einem Laufstall. An Arbeit fehlt es    Gruyère AOP der Käserei Grandcour von der Waadtländer
nicht, aber sie sind gut eingerichtet. «Das ist eine gros-     Regierung zum Spitzenkäse des Jahres 2021 ausgezeich-
se Verbesserung für unser Vieh. Die Tiere haben mehr           net wurde. «Diese Auszeichnung hat mich gefreut,» sagt
Freiraum und bewegen sich viel. Dadurch sind sie weniger       er. «Ich arbeite zwar nicht um Preise zu gewinnen, aber       5
gestresst. Das hat Einfluss auf die Qualität der                           es ist trotzdem eine schöne Anerkennung der
Milch, wie das auch die gesamte Fütterung hat.                             Arbeit der Produzenten und der Käser.»
Ich bin überzeugt, dass das ein Plus für das
Endprodukt ist.»
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© Aliénor Held

    Pierre-André Barras

    Pierre-André Barras, «z’Alp ga in
    der DNA»
    Seit seinem 8. Lebensjahr verbrachte Pierre-André                mochten Käse. Aber es wäre schwierig gewesen, alles zu
    Barras mit einer Ausnahme alle seine Sommer                      essen...»
    auf der Alp «Le 3 e des Groins», in der Gemeinde
                                                                     Von klein auf kümmerten sich die vier Kinder von Pierre-
    Gruyères, auf einer Höhe von 1350 Metern. Der Ort
                                                                     André um die Kühe und Rinder, während Pierre-André mit
    ist wunderschön mit einem herrlichen Blick auf den
                                                                     grosser Sorgfalt und Liebe zum Detail Gruyère d’Alpage AOP,
    Vounetz oberhalb Charmey, les Dents Vertes und
                                                                     Vacherin fribourgeois AOP d’alpage, Quark und Tommes de
    das Hochmatt-Massiv. Sogar der Kantonstierarzt
                                                                     chèvre (Ziegenkäse) herstellte. Heute ist eines seiner Kinder,
    sagte bei einem Höflichkeitsbesuch während der
                                                                     Cédric, sogar Landwirt geworden.
    Jagdsaison einmal: «Diese Schweine haben die
    schönste Terrasse im ganzen Kanton!»                             André und Jacques, Pierre-Andrés Vater und Onkel, hat-
                                                                     ten im Jahr 1959 die Gelegenheit, diese Alp zu kaufen. Die
    Die ersten sechs Jahre verbrachte Pierre-André als
                                                                     Familie Barras bewirtschaftet seit dem Jahr 2000 auch die
    Hüttenjunge bei Paul Privet, dem Alphirten. Er war sofort
                                                                     Alpen «Le 4e des Groins» sowie «Les Matzru», die sie an die
    begeistert vom täglichen Leben in den Bergen. Er trieb die
                                                                     Landwirtschaftsschule Grangeneuve verpachtet. Die weitläufi-
    Tiere in den Stall, kümmerte sich um das Holz und riss die
                                                                     gen Weiden bieten dem Vieh eine reiche und vielfältige Flora,
    Disteln aus. Dann begannen sie, einige Kühe zu alpen und
                                                                     die dem Gruyère d’Alpage AOP seinen unverwechselbaren
    die Milch mit der Herstellung von Gruyère d’Alpage AOP
                                                                     Geschmack verleiht. Darüber hinaus haben die verschiedenen
    zu verwerten. «Nach und nach konnte ich auch bei der
                                                                     persönlichen Umgestaltungen und die Anpassungen an die
    Produktion mithelfen», erinnert er sich. «Es war die Zeit, als
                                                                     vom Amt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen ge-
    die Milchkontingentierung eingeführt wurde. Dann übernahm
                                                                     forderten Standards zur Qualität seiner Käse beigetragen und
    ich. Das war im Jahr 1979.»
                                                                     die Arbeit erleichtert: Einbau eines elektrischen Rührwerks
    In jenem Sommer war er 16 Jahre alt und Christophe               und einer pneumatischen Presse, Anschaffung grösserer
    Gremaud, der Hüttenjunge war 12 Jahre alt. Den ganzen            Kessi, Installation von Sonnenkollektoren, Renovation der
    Vormittag über waren sie mit der Produktion von Gruyère          Wände und des Bodens des «Trintsâbyo» (Fabrikationsraum),
    d’Alpage AOP beschäftigt. Der Ältere war für die technischen     eines Käsekellers, der Wasserauffanganlagen, und dieses
    Aspekte der Käseherstellung zuständig, der Jüngere für das       Jahr, die Einrichtung der Rohrmelkanlage. Kein Wunder, dass
    Rühren von Hand beim «Vorkäsen» der Gruyère d’Alpage AOP         Pierre-André Barras im Laufe der Jahre eine Goldmedaille
    sowie für die rund 40 Stück Vieh, inklusiv Kühe. Bevor er        für seinen Gruyère d’Alpage AOP, für seinen Vacherin fri-
    auf die Alp ging, verbrachte Pierre-Alain drei Tage in einer     bourgeois AOP d’alpage und sogar für seinen Quark beim
    Molkerei, um seine Kenntnisse zu vervollständigen. Dann          Wettbewerb anlässlich des 100. Jahrestags des Freiburger
    kam ein Berater während der ersten drei Tage auf die Alp, um     Alpwirtschaftlichen Vereins gewonnen hat.
    die Produktion in die Wege zu leiten. Der Sommer verlief gut.
                                                                     Letztes Jahr produzierte Pierre-André Barras 165 Laibe
6   Damals stellte er während der Alpsaison etwa                     Gruyère d’Alpage AOP und 2 Tonnen Vacherin Fribourgeois
    hundert kleine Käselaibe schwarz her. «Heute                                AOP d’Alpage. Er hat immer etwas Vorrat
    kann ich es sagen, es gibt ja eine Verjährungsfrist»,                       im Alpgebäude wie auch in Pensier für den
    sagt er mit einem Lächeln. «Wer hat es nicht                                Direktverkauf. Im letzten Sommer hielten zahl-
    getan! Wir waren eine grosse Familie und wir                                reiche Wanderer an, um bei ihm einzukaufen.
L'oiseau - AOP, die Grundlage eines Qualitätsprodukts - Le Gruyère AOP
© Aliénor Held
Etienne Aebischer

Fokus auf die Käserei in
Montricher
Vielleicht haben Sie ihn in einem Videospot im                     2020 als Selbständiger leitet.
Fernsehen, Kino oder Internet gesehen oder auf ei-
                                                                   Etienne Aebischer hat 5 Mitarbeitende für die Produktion und
nem Plakat in einer der grossen Schweizer Städte.
                                                                   2 Teilzeitfahrer, um die Milch bei den 18 Produzenten abzuho-
Etienne Aebischer, Chef der Käserei «Fromagerie
                                                                   len. Sein Vater hilft als pensionierter Käser zwei- bis dreimal
Gourmande» in Montricher, wirkt in der Werbe­
                                                                   die Woche mit. Er hat seine Leidenschaft an Etienne weiterge-
kampagne für den Gruyère AOP unter Leitung der
                                                                   geben. Seine Frau und 3 Mitarbeiterinnen sind für den Laden
IPG mit. Der Käser und sein Team wurden für die
                                                                   zuständig. «Mit meinem kleinen Team ist die Organisation
Dauer der Dreharbeiten zu Schauspielern.
                                                                   der Arbeitszeiten einfacher geworden. Ich habe jedes zweite
Das Kamerateam bestand aus 15 Personen: 2 Regisseure               Wochenende frei. Das ist schön. Mein Vater hatte 7 Tage die
im Restaurant, 1 Visagistin im Sitzungszimmer und 9                Woche gearbeitet. Zum Glück ändern sich die Zeiten. Das ist
Fachpersonen in der Käserei für Bild, Ton, Licht und Regie so-     wichtig, wenn wir junge Leute für diesen Beruf begeistern
wie 3 Mitglieder der IPG. «Es war eine tolle Erfahrung zu sehen,   wollen!»
wie diese Profis arbeiten», erinnert sich Etienne Aebischer. Sie
                                                                   «Zudem habe ich auch das Glück, motivierte Produzenten zu
wussten, wie sie sich an unsere Arbeitsbedingungen mit dem
                                                                   haben, die eine gute Milchqualität garantieren. Sie reagieren
Dampf und der Feuchtigkeit anpassen konnten. Manchmal
                                                                   schnell. Wenn ein Problem auftritt, suchen sie sofort eine
wurden wir aufgefordert, unsere Gesten anzupassen, um gute
                                                                   Lösung mit den Melkberatern.» Die Liebe zur gut ausgeführ-
Bilder zu erhalten. Wir waren beeindruckt von der Anzahl der
                                                                   ten Arbeit, von der Milchproduktion bis zur Käseherstellung,
Fachleute, die zwei Tage lang an der Produktion von zwei Spots
                                                                   wurde mehrfach ausgezeichnet.
arbeiteten, einem 30-Sekunden-Spot für das Fernsehen und
einem 50-Sekunden-Spot für das Kino. «Wir sind 6 Personen,         Etienne Aebischer erhielt eine Goldmedaille für den Gruyère
um 5 Millionen Kilo Milch zu verarbeiten», schmunzelt er!          AOP, den er zwischen 2014 und 2019 produziert hat und
                                                                   von Fromco affiniert wurde. Somit gehört er zu den besten
Diese Spots wurden in der Käserei «Fromagerie Gourmande»
                                                                   Herstellern unseres Produkts. Im Jahr 2020 wurde sein
gedreht, die im Jahr 2015 nach dem Zusammenschluss der
                                                                   Gruyère AOP vom Waadtländer Staatsrat als Spitzenkäse
Käsereigenossenschaften von Apples, Ballens, Mont-la-
                                                                   ausgezeichnet.
Ville und Montricher am Fusse des Jura gebaut wurde. Der
Neubau war ehrgeizig und umfasst einen Produktionsraum,            Aber aus Erfahrung weiss er, dass niemand vor negativen
einen Keller der bis 6000 Laibe aufnehmen kann, einen              Überraschungen sicher ist. Wenn wegen einer Klimaanlage
Verkaufsladen und ein Restaurant. Die Gesellschaft konnte          die Luftfeuchtigkeit um 0.5% sinkt, muss möglichst
Beihilfen im Rahmen eines Projekts für regionale Entwicklung       schnell eine Lösung gefunden werden. Etienne Aebischer,
in Anspruch nehmen. Etienne Aebischer, der sich beim Bau           der auch Taxateur der Branche ist, stellt sich gerne den                     7
des Gebäudes für die ganze Produktionskette                                    Herausforderungen. Er verteidigt diesen Beruf
entschied, ist seit 2019 zusammen mit seiner                                   täglich und setzt auf Qualität, um den Geschmack
Frau auch verantwortlich für den Verkaufsladen,                                des Gruyère AOP an die Konsumentinnen und
während Christophe Pingoud, das Restaurant seit                                Konsumenten im In- und Ausland weiterzugeben.
L'oiseau - AOP, die Grundlage eines Qualitätsprodukts - Le Gruyère AOP
© Aliénor Held
    William Berthoud

    Den Nachwuchs fördern, eine
    wichtige Aufgabe für William Berthoud
    William Berthoud ist Präsident der Käserei­genos­                 W illiam Berthoud war 16 Jahre lang Mitglied der
    senschaft Semsales, deren Gruyère AOP vom                         Bildungskommission. Er kennt daher die von den Lernenden
    Freiburger Staatsrat zum Spitzenkäse des Jahres                   geforderten Kenntnisse voll und ganz. «Wir müssen sie dort
    2021 ernannt wurde. Der Milchproduzent bewirt-                    abholen wo sie sind und ihnen helfen, sich zu entwickeln.
    schaftet den Familienbetrieb, den er von seinem                   Wichtig ist, dass sie im Laufe des Jahres vorankommen.
    Vater und dieser von seinem Grossvater übernom-                   Wenn sie nicht aus der Landwirtschaft kommen, müssen
    men hat. Er hält rund 60 Kühe.                                    sie von Grund auf alles lernen. Ansonsten gehe ich etwas
                                                                      mehr ins Detail. Wenn sie aus der Deutschschweiz kommen,
    «Ich glaube an das Sprichwort Wer rastet, der rostet...» sagt
                                                                      spreche ich bis Weihnachten Deutsch, und nachher vergesse
    William Berthoud mit Entschlossenheit. «Ob als Präsident
                                                                      ich diese Sprache» sagt er schmunzelnd.
    der Käsereigenossenschaft oder als Milchproduzent, mir
    ist es wichtig, mit der Zeit zu gehen, zu modernisieren und       William Berthoud legt bei seinen Lernenden Wert auf die
    dabei eng mit der Familientradition und wenn möglich mit          Hygiene. Mit Laufställen und Melkständen ist dies ein-
    der Weitergabe von Generation zu Generation verbunden             facher. «Wir könnten der Ansicht sein, dass es keinen
    zu bleiben.» Es ist daher nicht verwunderlich, wenn der           Zusammenhang gibt. Und trotzdem, mit mehr Platz, den
    Familienbetrieb im Laufe der Jahre mehrere Veränderungen          belüfteten und hellen Räumen hilft es indirekt, die Hygiene
    erfahren hat. Im Jahr 1979 modernisierte sein Vater den           zu verbessern. Und das ist natürlich sehr wichtig für die
    Milchviehstall und im Jahr 2011 wagte William den grossen         Produktion von Milch zur Herstellung von Gruyère AOP.»
    Schritt zum Laufstall, als er die Möglichkeit zur Vergrösserung
                                                                      Die Lernenden leben während ihrer Ausbildungszeit in der
    des Betriebs hatte. Mit der Zunahme der Landfläche war das
                                                                      Familie und Williams Ehefrau Noémie ist für die Aufnahme
    eine gute Chance, die Arbeit zu erleichtern.
                                                                      und Betreuung dieser Jugendlichen zuständig. «Eigentlich
    William Berthoud arbeitete viele Jahre lang mit seinem Vater      gehören sie zur Familie. Wir beziehen sie in unsere
    und einem Lernenden zusammen. Heute bewirtschaftet er             Freizeitgestaltung mit ein, sofern sie das wollen. Manchmal
    seinen Betrieb mit zwei Lernenden. Seit seinen Anfängen           bin ich etwas Ersatz-Mutter. Wenn sie eine Grippe oder
    bildete er 28 Personen aus. Diese Aktivität liegt ihm am          Verletzung haben, bin ich da und kümmere mich um sie. Für
    Herzen. Das ist sein Beitrag damit der Beruf weiterbesteht.       manche bin ich auch eine Vertrauensperson. Ich passe mich
    Zudem gefällt ihm der Kontakt zu den jungen Menschen.             ihren Bedürfnissen an und schätze diese Rolle sehr.»
    «Sie sind alle verschieden. Wir müssen ihnen zuhören und
                                                                      Bei der Familie Berthoud ist die Nachfolge gesichert. Der
    sie so nehmen wie sie sind, damit sie ihr Bestes geben
                                                                      Sohn Rémy macht derzeit eine Lehre als Landwirt und die
    können. Die einen mögen lieber das Vieh, die anderen die
                                                                      Tochter Adeline will Agraringenieurin werden. «Wir haben
    Maschinen.» William Berthoud bildete junge Frauen und
                                                                      ihnen immer Freiheit bei der Berufswahl gelassen. Sie waren
8   junge Männer aus, Jugendliche aus der Region
                                                                                 es, die sich für die Landwirtschaft interessierten
    oder der Deutschschweiz, einige sind 15 oder 16
                                                                                 und sich für diesen Weg entschieden. Das freut
    Jahre alt, andere sind älter und kommen für eine
                                                                                 uns natürlich sehr!» äussern sich Noémie und
    Zweitausbildung zu ihm.
                                                                                 William gemeinsam.
L'oiseau - AOP, die Grundlage eines Qualitätsprodukts - Le Gruyère AOP
© Aliénor Held

Manu Piller

Echtheit und Nähe im Zentrum
der Identität des Gruyère AOP
Der Gruyère AOP aus der Käserei Semsales wird                      seinen Platz finden. Jeder muss sich anpassen: «Ich war
während des ganzen Jahres 2021 die Gäste bei                       sehr gut darauf vorbereitet. Aber es lief nicht so, wie ich es
Staatsempfängen des Kantons Freiburg erfreuen.                     mir vorgestellt hatte. Nicht weniger gut, aber anders. Er hat
Der Staatsrat verlieh die Auszeichnung für den be-                 den vorteilhaften Enthusiasmus der Jugend und ich besitze
sten Gruyère AOP an den Käser Manu Piller, der mit                 die jahrelange Erfahrung. Wir lernten viel, indem wir unsere
seinem Sohn Loïc sowie zwei Angestellten und ei-                   Standpunkte miteinander verglichen und jeder einen Beitrag
nem Lehrling zusammenarbeitet. Sie produzieren                     leistete. Heute läuft alles gut und ich bin ein wenig stolz, diese
220 Tonnen Gruyère AOP pro Jahr.                                   Leidenschaft mit meinem Sohn zu teilen.»
Manu Piller steckt voller Ideen und Energie und scheut sich        Um auf die Qualität seiner Gruyère AOP zu setzen, legt Manu
nicht, die Ärmel hochzukrempeln, um seinen Käse zu vertei-         Piller grossen Wert auf eine enge Zusammenarbeit mit sei-
digen, den er so schätzt! Im Jahr 1997 engagierte er sich bei      nen Partnern, den Milchproduzenten. Dies gilt, wenn alles
der Gründung der Sortenorganisation Gruyère. Auch heute ist        gut geht, aber auch wenn etwas nicht ganz in Ordnung ist:
er als Delegierter an den Entscheidungen beteiligt. Auf die        «Wenn ich am Morgen ein Problem bei einer gelieferten Milch
Frage, was er beitragen möchte, antwortet er sofort: «Heute        feststelle, gehe ich gegen Abend vor dem Melken zu dem
wollen wir immer etwas Neues bringen. Ich bin der Ansicht,         betreffenden Produzenten. Ich führe eine Analyse durch und
dass wir zunächst einmal das Erreichte konsolidieren müssen.       wir versuchen, das Problem gemeinsam zu lösen, ohne be-
Wir haben eine Struktur, die solid ist. Wenn es zu schnell geht,   reits über Sanktionen zu sprechen, was nichts bringen würde.
gibt es Probleme mit der Umsetzung. Wir müssen zuhören,            Glücklicherweise reagieren die Leute gut darauf. Sie schätzen
mit der modernen Welt mitgehen, aber nicht hinterherlaufen.        die Art und Weise, wie ich die Dinge angehe.
Zumal die Identität unseres Gruyère AOP auf seiner Echtheit,
                                                                   Manu Piller empfängt häufig Besuchergruppen, um ihnen die
seiner Nähe und nicht auf der Globalisierung beruht.»
                                                                   Arbeit in der Käserei und im Keller vorzustellen und natür-
Seit Manu Piller im Jahr 1994 die Käserei Semsales über-           lich auch für eine Degustation. «Unsere Türen öffnen, das
nahm, haben sich die Räumlichkeiten stark verändert. Im            ist immer die beste Werbung. Wenn Konsumentinnen oder
Jahr 2000 wurden die Keller renoviert und im 2015 wurde            Konsumenten nach dem Besuch einer Käserei vor einem
die Käserei geräumt, um sie total zu erneuern. Während der         Stand mit etwa fünfzig Käsesorten stehen, werden sie sich
sechsmonatigen Bauzeit war der Betrieb eingestellt. In die-        zum Gruyère AOP hingezogen fühlen, weil die Werte unseres
sem Moment kam sein Sohn Loïc dazu: «Es war der richtige           Hartkäses im Gedächtnis sind.»
Zeitpunkt. Er konnte sich an den Umbauten und der Auswahl
                                                                   In ein paar Monaten wird Manu Piller seine Besucherinnen
der Anlagen beteiligen. Ich habe die Gelegenheit genutzt, um
                                                                   und Besucher noch besser empfangen können, da er ein
ihm Verantwortung zu übergeben. Als wir die Käserei wieder
                                                                   Gebäude gegenüber seines Tea-Room-Ladens erworben hat.
in Betrieb nahmen, war er mit den neuen Einrichtungen zu-
                                                                   Es war etwas eng. Derzeit renoviert er es, um es in einen
frieden. Er konnte selbstverständlich den Lead übernehmen
                                                                   Laden für den Verkauf lokaler Produkte, ein Restaurant und
und seinen Platz einnehmen.»
                                                                               einen Keller für die Besucherinnen und Besucher
                                                                                                                                        9
Der Beginn der Arbeit mit dem eigenen Sohn ist                                 umzuwandeln. Eine neue Herausforderung für
natürlich eine grosse Umstellung, auch wenn                                    die kommenden Jahre!
es Freude macht. Jeder muss seinen Weg und
L'oiseau - AOP, die Grundlage eines Qualitätsprodukts - Le Gruyère AOP
Rund um
       AOP

                                                                                                                            © Aliénor Held
      Jean-Marc Chappuis
     ??

     Die AOPs sind keine
     Museumsstücke
     Jean-Marc Chappuis ist stellvertretender Direktor              Auf dieser Grundlage wurde die Schaffung der AOP
     beim Bundesamt für Landwirtschaft. Zum                         erforderlich. Ein weiterer Vorteil einer geschützten
     Zeitpunkt der Umsetzung der AOP war er beim                    Ursprungsbezeichnung ist, dass sie das gemeinsame
     Institut für Agrarwirtschaft der ETH Zürich tätig.             Management des Produkts und den Schutz seines Ansehens
     Mit seinen Kolleginnen Dominique Barjolle und                  ermöglicht. Die AOP ist ein gemeinschaftliches und wirt-
     Martine Jaques-Dufour arbeitete er am Schutz                   schaftliches Gut, das von sämtlichen Unternehmen genutzt
     der Regionalprodukte und der Organisation der                  wird, welche die gleiche Bezeichnung verwenden.
     Wertschöpfungsketten. Jean-Marc Chappuis war
                                                                    Für die Wertschöpfungskette des Gruyère ist dies natür-
     anschliessend Sekretär der Kommission, welche die
                                                                    lich von erstrangiger Bedeutung. Bedenken Sie, dass sich
     Interkantonale Zertifizierungsstelle OIC ins Leben
                                                                    unter der AOP-Bezeichnung 1800 Milchproduzenten, 154
     rief, und die garantiert, dass Produkte mit den
                                                                    Käsereien, 57 Alpen und 11 Affineure vereinen. Sie alle ha-
     Bestimmungen des Pflichtenhefts übereinstimmen.
                                                                    ben eines gemeinsam: Sie wollen das Image des Gruyère
                                                                    AOP schützen, indem ein hochwertiger Käse hergestellt wird
     Weshalb dieses Bedürfnis, die lokalen Produkte zu
                                                                    und Nachahmungen und eine widerrechtliche Verwendung
     schützen?
                                                                    der Bezeichnung vermieden werden.
     Die Idee, die geografischen Angaben von Lebensmitteln zu
     schützen, liegt bereits mehrere Jahrhunderte zurück. Die       Bei Einführung des Gruyère AOP im Jahr 2001 kritisier-
     Versuchung, diese Produkte nachzuahmen, zu fälschen oder       te die Wettbewerbskommission (WEKO) die Aktivitäten
     widerrechtlich zu verwenden, war schon immer sehr gross.       der Sortenorganisation. Sie stellte sich die Frage der
     Ein weiteres Problem stellt die Gattungsbezeichnung dar.       Wettbewerbsbehinderung.
     Dies ist dann der Fall, wenn ein Produkt derart verbreitet
                                                                    Bezüglich der Konkurrenz entscheidet das Kriterium der
     ist, dass seine Bezeichnung mit einer Käsesorte, einem
                                                                    Grösse des Referenzmarktes, also das Gebiet, auf wel-
     Rezept, in Verbindung gebracht wird. Dieses Risiko be-
                                                                    chem der Wettbewerb ausgetragen wird. Beim Gruyère AOP
     stand in Frankreich bei der Bezeichnung «Gruyère», die einer
                                                                    handelt es sich zumindest um den europäischen Markt, da
10   Vielzahl von Halbhartkäsen zugeordnet wurde. Teilweise ist
                                                                    für den Käse zwischen der EU und der Schweiz ein freier
     dies noch beim Emmentaler der Fall, dessen Bezeichnung
                                                                    Markt besteht. Der europäische Markt ist jedoch riesig, und
     in Europa nicht formell durch die gegenseitige Anerkennung
                                                                    die Konkurrenz gross. Es gibt Dutzende, ja Hunderte von
     geschützt ist.
                                                                    Hartkäsen in Europe, die mit dem Gruyère AOP, der kaum
1 % des globalen Marktes ausmacht, direkt konkurrieren.      von zentraler Bedeutung, dass die Kühe ins Freie können.
Für die Wertschöpfungskette des Gruyère AOP besteht da-      Wären sie den ganzen Tag eingesperrt – wie das bei gewis-
her keine Möglichkeit, den Preis künstlich anzuheben, was    sen Bezeichnungen der Fall ist – hätte dies sicherlich sehr
sonst effektiv als Wettbewerbsbehinderung gelten wür-        negative Auswirkungen auf das Image eines Produkts wie
de. Wenn die Preise aber steigen, weil dieses Produkt ein    dem Gruyère AOP.
hochwertiges Produkt darstellt, und es die Konsumenten
nachsuchen, dann ist das ist etwas anderes! Dann gilt näm-   Sie sagen, dass sich das Pflichtenheft weiterentwickeln
lich das Gesetz von Angebot und Nachfrage.                   kann. Doch in den vergangenen 20 Jahren hat sich kaum
                                                             etwas getan!
Sind wir Ihrer Meinung nach am Ende des Umsetzungs­          Zu Beginn benötigte die Wertschöpfungskette Stabilität.
prozesses der AOP?                                              Die Gefahr der widerrechtlichen Ver wendung und
Das Schutzsystem ist ausgereift und wirksam.                         Nachahmung war sehr real. Doch damit nicht
Die Aufnahme des Pflichtenheftes und der                                genug. Das Risiko der Industrialisierung des
Schutz der Bezeichnung waren entschei-                                     Produkts war gross. In der Deutschschweiz
dende Schritte. Aber der Prozess ist noch                                     waren bereits entsprechende Versuche un-
nicht abgeschlossen. Die AOPs sind kei-                                        ternommen worden. Dieser Umstand war
ne Museumsstücke. Es sind Produkte,                                             dann auch einer der Hauptgründe, wes-
die sich aus wirtschaftlicher Sicht auf                                         halb sich die Westschweiz mobilisierte.
sehr dynamischen Märkten mit poten-                                             Heute bleibt das Schreckgespenst der
ziell starken Konkurrenten behaupten                                            Industrialisierung in Erinnerung, und der
müssen. Somit entwickeln sich das                                               Wille, das handwerkliche Erzeugnis zu
Produkt und sein Umfeld weiter. Gewisse                                       schützen, ist sehr stark. Zweifellos aus
technische Innovationen entstehen, wie                                       diesem Grund ist das Pflichtenheft prak-
die Pflegeroboter bei den Affineuren oder                                 tisch unverändert geblieben.
die automatischen Melksysteme bei den
                                                                     Es ist wichtig zu wissen, dass die Umsetzung
Produzenten. Es ist wichtig, sich gut zu überlegen,
                                                                der AOP des Gruyère das Ergebnis eines echten
ob diese eingesetzt werden sollen oder nicht. Sind die
                                                             Kampfs darstellt. Die Diskussionen waren heftig, die
technologischen Entwicklungen zu weitreichend, besteht
                                                             Ansichten zwischen den verschiedenen Akteuren der
die Gefahr, dass die anspruchsvollen Konsumenten ihren
                                                             Schweizer Käseproduktion, aber auch innerhalb der
Käse nicht wieder erkennen. Wenn sie diese Feststellung
                                                             Wertschöpfungskette, sehr unterschiedlich.
äussern, könnte dies dem über Jahre erworbenen guten
Ruf schaden. Die Herstellung dieses Qualitätsprodukts,       Schliesslich obsiegten die produktbezogenen Interessen
das der Gruyère AOP darstellt, bleibt also ein dynamischer   über die Einzelinteressen der Unternehmen. Alle wurden
Prozess, in welchem die traditionelle Komponente unver-      sich bewusst, dass es sich bei der Herstellung von Gruyère
zichtbar bleibt.                                             AOP nicht nur um ein Recht handelt, sondern auch um
                                                             eine kollektive Verantwortung und Engagement. Diese kul-
Angesichts dieser Tatsache ist es sehr wichtig, dass auch
                                                             turelle Dimension war bei jenen, welche die Anfänge der
die Erwartungen der Gesellschaft mit einbezogen wer-
den. Diese können sich ändern, zum Beispiel
                                                             AOP des Gruyère begleitet hatten, sehr ausgeprägt. Und         11
                                                                          es ist wichtig, dass diese Dimension weiterhin
im Zusammenhang mit der Umwelt oder dem
                                                                          im Mittelpunkt der Debatten zur Zukunft des
Tierschutz. Beispielsweise ist für das Image
                                                                          Gruyère AOP steht.
Rund um
       AOP
     © Aliénor Held

     ??   Jacques Chavaz

     Die AOP zum Schutz des Namens und
     zur Gewährleistung der Qualität
     Jacques Chavaz war von 2002 bis 2014 stellvertre-               Aufwand war gross, um alle von den Vorteilen einer streng
     tender Direktor des BLW und in dieser Funktion                  eingeschränkten Gesamtproduktion zu überzeugen, und die
     verantwortlich für die Märkte, insbesondere für                 Sortenorganisation Gruyère leistete dabei hervorragende
     die Qualitätsförderung. Ausserdem leitete er die                Arbeit.
     Schweizer Delegation bei den Verhandlungen
     mit der Europäischen Union und bei der WTO für                  Sie haben also mit der Sortenorganisation Gruyère an
     Agrarprodukte. Jacques Chavaz stand somit im                    der Feinabstimmung der Wertschöpfungskette gearbei-
     Zentrum der Verhandlungen, die zur europäischen                 tet, aber Sie haben auch die Anerkennung der AOP/IGP
     Anerkennung der Schweizer AOP und insbesondere                  auf internationaler Ebene verhandelt!
     des Gruyère AOP führten.                                        In der Tat. Wir haben an der Anerkennung der Schweizer
     Als ich meine Stelle beim Bundesamt für Landwirtschaft          AOP, an deren internationalem Schutz gearbeitet, denn
     antrat, hatte der Gruyère gerade seine Eintragung im AOC-       die Wahrnehmung und die Regeln waren bezüglich
     Register erhalten. Es galt nun, an deren Umsetzung zu           Ursprungsschutz extrem heterogen. Und dann fanden
     arbeiten. Zwischen der Sortenorganisation Gruyère und dem       Verhandlungen auf europäischer Ebene statt, die zur ge-
     BLW gelang es uns, eng und kohärent zusammenzuarbeiten          genseitigen Anerkennung der AOP und IGP führten. Ich
     und all die Fragen zu lösen, die sich stellten. Natürlich war   muss sagen, dass der Gruyère in diesen Diskussionen oft
     der Gruyère nicht das erste Produkt, das eine AOC erhielt,      eine wichtige Rolle spielte. Es war eine lange, oft schwie-
     aber es war die bei weitem grösste Organisation, die ge-        rige, aber spannende Arbeit. Wir befanden uns in einer
     schaffen wurde. Eine Feinabstimmung des Pflichtenhefts          Versuchsphase, die zwei Jahre gedauert hat und während
     und der Zertifizierung waren erforderlich. So musste zum        der wir den Weg frei gemacht haben. Schliesslich dauerte
     Beispiel die Qualität einheitlich beurteilt werden, gewisse     es dann zwei weitere Jahre, bis wir am Ziel waren.
     Mitglieder der Wertschöpfungskette, die das Pflichtenheft       Was zählt, ist, dass es uns gelungen ist, Ordnung in
     nicht gewissenhaft einhielten, mussten zurechtgewiesen          diesem sehr sensiblen Bereich der geschützten Ursprungs­
     werden, und vor allem war eine gute Mengensteuerung             bezeichnungen zu schaffen.
     zu gewährleisten. Dieser letzte Punkt war entscheidend.
     Bis 2007/2009 verfügten die Produzenten über individu-          Welche Hindernisse standen dem Zustandekommen ei-
     elle Kontingente. Gewisse Molkereien gewährten jedoch           nes Abkommens über die AOP-IGP im Wege?
12   keinen externen Einblick in die Qualität des hergestellten      Das Projekt war ein Novum. Es gab kein Musterabkommen,
     Gruyère. Mit der AOC wurde die Steuerung strenger, dies         das man hätte aus der Schublade ziehen können. Also ha-
     im gemeinsamen Interesse der Wertschöpfungskette. Der           ben wir nach der richtigen Rechtsform gesucht, um auf die
richtigen Mechanismen zur Umsetzung und Aktualisierung        Fragen auf einer anderen Grundlage angegangen werden.
zugreifen zu können. Der gegenseitige Schutz der AOP-         Zum Beispiel über Abkommen, die indirekt mit Marken zu-
IGP ist per Definition ein Bereich, der sich verändert. Man   sammenhängen. Bis diese Länder die AOP-IGP einführen,
kann keinen Zustand am Tag X festlegen. Zum Zeitpunkt der     dürfte es noch mehrere Generationen dauern.
Verhandlungen beispielsweise verzeichnete die EU 100 bis
200 neue AOP und IGP pro Jahr, die Schweiz zwei bis drei.     Ich möchte auf die Beobachterrolle zurückkommen,
Es musste also ein Mechanismus gefunden werden, der           die Sie Ende der 90-er-Jahre innehatten. Sie waren
diese Realität widerspiegelte.                                Geschäftsleitungsmitglied in Grangeneuve und Di-
                                                              rektor des Holsteinzuchtverbands. Haben Sie damals
Anschliessend setzten wir alles daran, um die Probleme
                                                              angesichts des sehr unabhängigen Charakters der Pro-
zu identifizieren und konkrete Lösungen zu finden. Wie
                                                              duzenten an einen Konsens geglaubt?
sollte man zum Beispiel damit umgehen, wenn beidseits
der Grenzen die gleiche Bezeichnung zu finden war?            Es gab einige Visionäre, die von der Idee einer AOC begei-
Typischerweise befand sich gerade der Gruyère in dieser       stert waren, und die den Prozess eingeläutet haben. Die
Situation. Das Problem war komplex: Die Franzosen hielten     Charta hat der Bildung der Wertschöpfungskette einen Schub
an der Bezeichnung fest, da sie diese seit langem benutz-     verschafft. Zu sagen ist, dass seitens der Produzenten,
ten. Glücklicherweise hatten sie begonnen, Ordnung in ihren   Käser und Affineure seit langem die Idee bestand, einen
Ursprungsbezeichnungen zu schaffen. Noch vor 30 Jahren        Qualitätskäse herzustellen. Zeitweise gab es eine gewisse
wurden praktisch alle Hartkäse Gruyère genannt, inklusive     Zurückhaltung gegenüber dem einen oder anderen Punkt
Comté und Beaufort. Bei der Umsetzung ihrer eigenen AOPs      des Pflichtenheftes. Der Beitritt erfolgte schrittweise.
schufen sie die AOP des Comté und Beaufort. Doch sie          Tatsächlich kamen die grössten Schwierigkeiten von gewis-
wollten auch den Namen Gruyère für einen Käse behalten,       sen Industrieunternehmen, die eine andere Vision von der
der nicht weit von der Schweizer Grenze hergestellt wurde.    Entwicklung des Gruyère hatten. Da eine AOP per Definition
Sie machten eine gewisse historische Legitimität geltend,     eine kohärente geografische und historische Abgrenzung
denn dieser Käse wurde früher von Schweizer Käsern her-       haben muss, bestanden auch seitens der Deutschschweiz
gestellt, die anschliessend nach Frankreich auswanderten.     einige Probleme. Einige Produzenten konnten sich schwer-
Diese französischen Gruyère waren also keine neuen, in-       lich vorstellen, die Herstellung dieses Käses aufzugeben.
dustriell hergestellten Käse. Schliesslich konnte mit der
Bezeichnung «Gruyère-France IGP» eine Lösung gefunden         Ein Schlusswort?
werden. Die Schweiz behielt die Exklusivität der AOP und      Ich möchte einen Aspekt unterstreichen, für den sich die
die Bezeichnung «Gruyère» ohne geografische Ergänzung.        Sortenorganisation Gruyère stark engagiert hat, und der
Le «Gruyère-France IGP» hat auch die Besonderheit, dass       mir für die Aufwertung der AOP sehr wichtig scheint. Es
er Löcher aufweist.                                           handelt sich um das Corporate Design des Gruyère AOP.
                                                              Es ist der Sortenorganisation Gruyère gelungen, dasselbe
Die geschützten Ursprungsbezeichnungen funktionieren          durchzusetzen, wenn auch nicht ohne Schwierigkeiten.
in Europa, nicht aber in den Vereinigten Staaten. Warum?      Heute überstrahlt dieses Erscheinungsbild die anderen
Ganz einfach, weil abgesehen von Grossbritannien (aufgrund    Elemente des Verteilers auf der Verpackung. Um an dieses
seiner Vergangenheit in der EU) die angelsächsische Welt      Ziel zu gelangen, brauchte es grosse Beharrlichkeit. Ich bin
kein grosser Fan von AOPs ist. Der öffentliche Schutz von     aber überzeugt, dass die Aufwertung der AOP auch über ein
Bezeichnungen ist dort eher verpönt. Die Angelsachsen glau-   starkes Image und gemeinsame Verkaufsförderung geht.
ben an die Vorrangstellung von Marken, die von privaten       Die Authentizität und die aussergewöhnliche Qualität des
Unternehmen geführt werden. Ohne öffent-                                  Gruyère AOP reichen für seinen kommerziel-         13
lichen Schutz sind direkte Verhandlungen von                              len Erfolg in diesem wettbewerbsorientierten
Land zu Land unmöglich. Also müssen diese                                 und sich schnell verändernden Umfeld der
                                                                          Grossverteiler alleine nicht aus.
Rund um
       AOP
     © Aliénor Held

     ??   Dominique Barjolle

     Verbindung zwischen Produkt und
     Terroir aufwerten
     Dominique Barjolle hat den Umsetzungsprozess der               die Produktion von Gruyère ausserhalb des angestamm-
     AOP für den Gruyère genau verfolgt. Nach einer                 ten Gebiets, und insbesondere in der Deutschschweiz,
     Doktorarbeit, welche die Schweizer Landwirtschaft              zuliess. Da der Emmentaler damals mit Problemen zu
     mit jener Frankreichs vergleicht, und einer                    kämpfen hatte, suchten die Deutschschweizer nach neuen
     Vergleichsarbeit der AOPs in Europa, hat diese                 Verarbeitungsmöglichkeiten für ihre Milch. Und so wandten
     Forscherin an der Umsetzung des Pflichtenhefts                 sie sich sehr gerne dem Gruyère zu, der einen Zukunftsmarkt
     unseres Hartkäses mitgewirkt. Sie ist zusammen                 darstellte.
     mit Stéphane Boisseaux Co-Autorin des Buchs «La
                                                                    Die Gruyère-Akteure hatten übrigens bereits Überlegungen
     Bataille des AOC en Suisse» (PPUR, 2004). In die-
                                                                    zu einer «Gruyère-Charta» angestellt, welche eine Zone
     sem Artikel wirft sie einen Blick auf diese Zeit der
                                                                    definierte, in der der Gruyère hergestellt wurde. Aber an-
     Reflexion und des Wandels.
                                                                    sonsten waren sie über ihre finanzielle Situation beunruhigt.
     Mit der Liberalisierung des Milchmarktes wurde zwingend        Sie wussten nicht, wie der Handel mit Gruyère aufrechterhal-
     eine neue Gesetzgebung erforderlich, und es mussten            ten werden konnte. In der Folge liessen sie sich von einem
     neue Strukturen definiert werden, um die Käseprodukte          Modell inspirieren, das sich jenem des Parmigiano in Italien
     zu verwerten und ihnen zu besseren Chancen bei den             und des Comté in Frankreich annäherte.
     Verbrauchern zu verhelfen. So ergab sich die Notwendigkeit,
     Wertschöpfungsketten und AOPs (früher sprach man von           Also wurde die Gruyère-Charta zugunsten einer AOP-
     AOCs) zu schaffen.                                             Vorgehensweise aufgegeben?
     In unserer Forschungsarbeit haben wir uns an die               Wir sind sofort an die Redaktion eines Pflichtenheftes AOP
     Verantwortlichen verschiedener Produkte gewandt, um            gegangen, das der europäischen Verordnung entsprach. Wir
     das Interesse zu analysieren, das eine AOP darstellen          haben gehofft, dass die grossen Linien durch die Schweizer
     könnte. Verfügte dann ein Produkt über ein Potenzial,          Gesetzgebung übernommen würden. Diese Arbeit erstreckte
     als AOP anerkannt zu werden, schlugen wir ihnen eine           sich über mehrere Jahre.
     Vorgehensweise vor, und unterstützten sie bei der Erstellung
     der Pflichtenhefte.                                            Wurden die Überlegungen durch die Produzenten, Käser
                                                                    und Affineure angestellt?
14   Haben die Gruyère-Akteure den Stellenwert eines                An den Überlegungen zur Chart a beteiligten sich
     solchen Vorgehens sofort erkannt?                              auch Vertreter der Schweizerischen Käseunion, des
     Sie zeigten sehr schnell Interesse an der AOP. Unter anderen   Zentralverbands schweizerischer Milchproduzenten (heu-
     störten sie sich daran, dass die Schweizerische Käseunion      te SMP) und des Schweizerischen Milchkäuferverbands
(heute Fromarte). Bezüglich des Pflichtenhefts bestand           wirtschaftliche Interessen gelegt, hätten wir den Ast abge-
die Idee in der Bildung einer kleineren Arbeitsgruppe und        sägt, auf dem wir sassen. Es wäre uns nicht gelungen, die
in der Fokussierung auf die lokalen Akteure. Diese wollten       Identität des Produkts zu wahren.
autonom, unabhängig werden. Die Schweizer Dachverbände
                                                                 Es sei darauf hingewiesen, dass wir keine unumstössliche
nahmen an unseren Sitzungen nur als Gäste teil.
                                                                 und unveränderliche Qualität forderten, denn diese kann sich
Die Schweizerische Käseunion lehnte sich gegen diese             wandeln. Beispielsweise dann, wenn sich das Klima ändert.
neue AOP-Gesetzgebung auf, denn sie wollte nicht zum             Aber diese mikrobiologische Kette auf mehreren Ebenen
Verschwinden verdammt sein. So wurde die Sortenorga-             muss gewahrt werden.
nisation Gruyère denn in der Folge nicht gegen sie, aber
ohne sie, gegründet.                                             Waren die Gruyère-Akteure für diese Argumente
                                                                 empfänglich?
Wie wurde das Pflichtenheft konkret gestaltet?                   Ja. Sie waren sich der Risiken einer Standardisierung und
Ziel war es, eine Arbeitsplattform zu schaffen, welche die       Trivialisierung der Geschmäcker bewusst. Wir befinden uns
Vielfalt der Regionen und Berufe rund um den Gruyère gut         in Weinbaukantonen, wo man bereits seit einiger Zeit über
abbildet. In den Diskussionen war es das Produkt, das je-        Terroirs für den Wein spricht.
den Einzelnen bei seinen Überlegungen leiten sollte. Es
                                                                 Die Affineure erkannten im Gaumen, aus welcher Käserei der
ging nicht in erster Linie um das kurzfristige wirtschaftliche
                                                                 Gruyère stammte, wussten, ob es ein Alpkäse oder ein Käse
Interesse, sondern um die Aufwertung der Verbindung zwi-
                                                                 aus dem Talgebiet war. Für sie war der Begriff des Terroirs
schen Produkt und Herkunftsgebiet.
                                                                 etwas ganz Alltägliches. Die Affineure sind uns von Anfang
Im Jahr 1994 haben wir dann am Institut für Agrarwirtschaft      an gefolgt.
der ETH im Auftrag des BLW eine Studie durchgeführt,
                                                                 Auch die Käser waren sehr motiviert. Die AOP war eine
um diese Verbindung zu verstehen und zu dokumentie-
                                                                 unglaubliche Anerkennung ihrer Arbeit. Sie waren die trei-
ren. Diese Studienarbeit zeigte alle Elemente auf, die ab
                                                                 bende Kraft bei den Diskussionen rund um die Gründung der
Bodenqualität bis zum Teller des Verbrauchers von Bedeutung
                                                                 Sortenorganisation und das Pflichtenheft.
sind. Genannt seien beispielsweise die Wiesenpflege, die
Zusammensetzung der Flora, die Rasse, die Fütterung der          Die Produzenten standen der Wertschöpfungskette we-
Kühe, die Handgriffe der Milchproduzenten, die Tatsache,         niger nahe. Die meisten unter ihnen waren nicht nur
eine hochwertige Milch in eine nahegelegene Käserei zu           Milchproduzenten für den Gruyère. Sie produzierten auch
liefern, innerhalb kurzer Zeit mit Rohmilch zu arbeiten, die     Fleisch, bauten Getreide, Tabak und anderes an. Es war für
Handgriffe des Käsers, die Art und Weise, wie Milch ent-         sie deshalb schwieriger, die gesamte Kausalkette zwischen
rahmt wird, die Arbeit mit Lab und vor allem Hefen, deren        ihren täglichen Handgriffen und dem Endprodukt zu erken-
Aufgaben für die vielfältigen Geschmacksnoten in Verbindung      nen. Doch schon bald merkten sie, dass der Gruyère für sie
mit dem Terroir wesentlich sind, die Reifungsbedingungen         eine echte Ressource darstellte. Wir haben das Glück, dass
und vieles mehr.                                                 die Milchproduzenten in der Westschweiz auch Eigentümer
                                                                 der Käserei sind, was die Dinge erleichtert. Ich habe fest-
Haben Sie sich bei den Überlegungen rund um das                  gestellt, dass sie sich stärker engagieren, wenn sie ihrem
Pflichtenheft auf diese Verbindung mit dem Terroir               Käser nahestehen. Gewisse Freiburger und Waadtländer
gestützt?                                                        Produzenten sind ebenfalls zu treibenden Kräften geworden.
Für die Konsumentenkreise und Feinschmecker war es
wichtig, den typischen Geschmack des Gruyère wiederzu-           Wenn Sie nun auf die vergangenen zwanzig Jahre des
finden. Wir waren davon überzeugt, dass dies der Schlüssel       Gruyère zurückblicken, was beeindruckt Sie besonders?
zum Erfolg war, selbst für den Handel. Indem sich der            Le Gruyère AOP war für die ganze Westschweizer
Gruyère auf die Qualität und Typizität fokussierte, konnte       Landwirtschaft eine enorme treibende Kraft. Andere
er neue Märkte erschliessen. Dies war unsere                               Käsesorten haben sich in der Folge diesem            15
Hauptbotschaft, die bereits andere Produkte in                             Begriff der AOP angenähert, einer AOP, die für
Frankreich, Spanien usw. zum Erfolg geführt hat-                           den Milchpreis in der Region zu einem wichtigen
te. Hätten wir das Schwergewicht auf kurzfristige                          Pfeiler geworden ist.
Rund um
       AOP

                                                                                                                             © Aliénor Held
      Frédéric Brand
     ??

     Schützen, und zwar immer, ohne
     Qualitätsabstriche
     Frédéric Brand, heutiger Direktor des Amts für                 Sind Preis und Absatz garantiert, interessiert man sich kaum
     Landwirtschaft, Weinbau und Meliorationen                      mehr für den Schutz der Namens und der Identität. Genau
     des Kantons Waadt, hat sich angesichts der                     das war während eines Jahrhunderts bis zum Ende der 90er-
     Abschaffung der Planwirtschaft im Milchmarkt                   Jahre der Fall.
     und der Herausforderung der Globalisierung
                                                                    1991 wurde dann das europäische Register der geschützten
     aktiv am Schutz und an der Anerkennung un-
                                                                    Ursprungsbezeichnungen und der geschützten geografischen
     seres Gruyère AOP beteiligt. Im Rahmen des
                                                                    Angaben geschaffen. Ein Jahr später lehnte das Schweizer
     Bundesamts für Landwirtschaft war er an der
                                                                    Volk den Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR)
     Auflösung der Schweizerischen Käseunion be-
                                                                    ab. Das Dossier wurde daraufhin ad acta gelegt, aber im Jahr
     teiligt, bevor er sich dann dem Register der
                                                                    1995 wieder aufgenommen.
     geschützten Ursprungsbezeichnungen (AOC)
     zuwandte. In diesem Zusammenhang stand er                      War man sich zu jenem Zeitpunkt bereits bewusst,
     im Zentrum der Diskussionen zwischen Staat,                    welches Interesse die Konsumentenkreise an lokalen
     Politikern und professionellen Akteuren rund um                Produkten haben könnten?
     folgende Themen: Festlegung der geografischen
     Bezeichnung, Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit                 Nein, wir hatten nicht den Anspruch, Pioniere des Lokalen
     des Gruyère AOP und insbesondere Verbes­serung                 zu werden. Wir wollten eine kollektive Organisation grün-
     des Einkommens der Produzenten. Frédéric Brand                 den, welche die Akteure des Gruyère vereinte. Und wir
     erinnert sich:                                                 wollten ausserdem diesen Namen schützen – zuerst auf
                                                                    dem Schweizer, dann auf dem europäischen Markt. Damals
     Wir wurden uns bewusst, dass wir der Planwirtschaft nicht      gab es eine Verordnung über die administrative Bezeichnung
     einfach den Stecker ziehen konnten, ohne eine andere           der Käse (ohne geografisches Gebiet) wie den Gruyère,
     Organisation anzubieten. Auf einem völlig freien Markt hätte   Emmentaler, Sbrinz. Diese Verordnung sollte abgeschafft
     sich der Milchpreis jeden Tag ändern können. Deshalb ent-      werden, also mussten ein neues System gefunden, eine
     stand die Idee der Sortenorganisationen und des Schutzes       Sortenorganisation gegründet werden. Auch musste der
     der geografischen Namen.                                       Name gemäss den EU-Regeln definiert werden, die wir
                                                                    übernommen hatten.
16   Hat also der europäische Kontext die Schweizer Akteure
     dazu veranlasst, sich für die Zukunft zu wappnen?              Damals gab es flexiblere, weniger strenge Regeln, wel-
     Wir haben uns in der Tat von der Erfahrung der südeuropä-      che den Gruyère definierten. Welche sollten nun für das
     ischen Länder inspirieren lassen. Aber alles brauchte Zeit.    Pflichtenheft gewählt werden?
Die Grundregel lautete und lautet noch immer: Wir müssen       Die Verordnung über die Branchen- und Produzenten­organi­
das Produkt immer schützen, ohne Qualitätsabstriche zu         sationen und die GUB-/GGA-Verordnung bildeten die beiden
machen. Bei der Definition eines Produkts gibt es normaler-    Gesetzesgrundlagen zur Gründung der Sortenorganisati-
weise vier bis fünf grundlegende Punkte. Gelingt es, diese     on. Es gilt das Einstimmigkeitsprinzip, indem nämlich die
zu definieren, dann charakterisiert man damit die gesamte      Mehrheit der Delegierten der Produzenten, der Käser und
Wertschöpfungskette und das Endprodukt.                        der Affineure einen Beschluss gutheissen müssen. Diese
                                                               Organisaion ist für die Kohäsion und den Erhalt der Qualität
Der Gruyère kennt ein umfangreiches und anspruchsvolles
                                                               des Gruyère AOP zentral.
Pflichtenheft. Hier einige Kernpunkte:
- Die Milch muss ausschliesslich von Produzenten stam-         Ein weiterer Stolperstein war der Schutz des Namens
  men, die der jeweiligen Käserei angeschlossen sind. Das      Gruyère. Welche Strategie haben Sie damals gewählt?
  Einzugsgebiet einer Käserei beträgt höchstens 20 km.
                                                               Es gab schon immer einen Konflikt zwischen Frankreich
- Die Aufbereitung und Verabreichung von Silofutter jegli-     und der Schweiz bezüglich der Urheberschaft des Namens
  cher Art ist verboten.                                       Gruyère. Wir trafen den wichtigen Entscheid, keinen natio-
- Der Milch werden Betriebskulturen und Lab beigesetzt.        nalistischen Kampf daraus machen zu wollen, und kamen zu
- Bei der Auslagerung aus dem feuchten Reifungskeller          folgendem Schluss: Die Franche-Comté und die Westschweiz
  muss der Gruyère mindestens fünf Monate alt sein. Davon      sind zwei Regionen, die sich bezüglich Kostenumfeld und
  muss die Reifung während mindestens drei Monaten im          Käsekultur ähneln – abgesehen natürlich vom Wechselkurs
  Produktionsgebiet erfolgt sein.                              zwischen dem Euro und dem Schweizer Franken. Man darf
                                                               auch nicht vergessen, dass die Freiburger Käser mit ihrem
Man kann sich vorstellen, dass es bei gewissen Punkten         Know-how in die Franche-Comté ausgewandert sind und
zu lebhaften Diskussionen kam.                                 dort Gruyère hergestellt haben. Wir haben es also vorge-
Ich erinnere mich insbesondere an Auseinandersetzungen         zogen, zwischen der Westschweiz und der Franche-Comté
über die Reifungsdauer des Gruyère sowie das Sammelgebiet      zusammenzuarbeiten, um den Gruyère bestmöglich und auf
mit zweimaliger Lieferung pro Tag. Hinter diesen Themen        globaler Ebene zu verteidigen.
steckten Kosten- und Identitätsargumente.
                                                               Das ist ein kompletter Gesinnungswandel, denn bei uns
Bei Diskussionen rund um die AOC gibt es unabhän-              sieht man den Gruyère vor allem als einen Schweizer
gig vom Lebensmittel immer zwei wichtige Aspekte: das          Käse.
Wasser und die Zeit. Stellt man ein Produkt schnell und mit
                                                               Ja, wir haben unsere Haltung und unsere Strategie geändert,
viel Wasser her, spart man viel. Stellt man einen Käse mit
                                                               und uns auf die Relokalisierung konzentriert. Vorher konnte
Betriebskulturen her und lässt ihn während acht Monaten
                                                               der Begriff Gruyère überall in der Welt verwendet werden, in
reifen, dann ist es schwieriger, über die Runden zu kommen.
                                                               Frankreich, Indien, in den Vereinigten Staaten oder Estland.
Wird ein Herstellungsverfahren verändert, dann riskiert man    Dank der Relokalisierung wurde der Begriff Gruyère aus der
immer, dass etwas schiefläuft. Wird zum Beispiel die Milch     Norm C10 des Codex Alimentarius gestrichen. Der Codex
nur noch einmal täglich geliefert, ändert dies zwar an der     trägt zur Förderung des globalen Lebensmittelhandels bei,
Herstellungsart nichts. Aber die Milch muss in diesem Fall     und die Norm C10 erteilte das Recht, den Begriff Gruyère für
auf vier Grad gekühlt werden. Dadurch wird eine andere         alle Käsesorten weltweit zu verwenden. Mit dieser Strategie
Flora in der Milch gefördert. Und genau dies wird sich auf     haben wir schliesslich den Gruyère AOP in der Westschweiz
die Produktqualität auswirken.                                 und den Gruyère français IGP in der Franche-Comté.
Diskutiert man über gewisse Punkte im Pflichtenheft AOC,
                                                               Vor 20 Jahren erhielt der Gruyère die Appellation
dann spürt man, wie Emotionen hochkommen; es ist ein
                                                               d’Origine Contrôlée. Wie nehmen Sie diese Entwicklung
Kampf zwischen Traditionalisten und Progressiven, zwischen
                                                               wahr?
Differenzierung und Trivialisierung. Soll eine Änderung vor-
genommen werden, so muss zuerst gemeinsam definiert            Der Sortenorganisation Gruyère ist es gelungen, ihrem Käse
werden, welche Elemente für den Gruyère typisch sind, und      und sämtlichen Akteuren dieses Hartkäses einen hohen
an denen zwingend festgehalten werden muss.                    Stellenwert zu verschaffen. Sie zahlt den besten Milchpreis
                                                               in der Schweiz. Dies wäre ohne gemeinsames Management
Im Vergleich zu Deutschland, gibt es 300 Mal weniger           der Mengen, der Identität und des Namens Gruyère nicht
Käsereien, was das Ergebnis eines starken industriellen        möglich gewesen. Die Mengen- und Qualitätssteuerung
Entwicklungsprozesses ist, der sich dadurch erklärt, dass      wird von der Sortenorganisation Gruyère bestimmt, die
es zweifellos keine gemeinsame Definition gab.                 Identitätsmarke jedoch im Pflichtenheft festgelegt. Das        17
                                                                           Ganze ist ein toller Erfolg.
War die Organisation der Sortenorganisation
Gruyère eine Schutzmassnahme zur Wahrung
der typischen Elemente?
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