LAG - MAGAZIN KOLONIALISMUSAUFARBEITUNG IN BERLIN 29. APRIL 2020 - LERNEN AUS DER GESCHICHTE

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LaG - Magazin

Kolonialismusaufarbeitung
            in
          Berlin
     29. April 2020
Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis

Zur Diskussion
Berliner Erinnerungslandschaft, postkolonial.........................................................................5
Berlin dekolonisieren. Das Afrika-Haus präsentiert die Dauerausstellung „Berlin - ein post-
kolonialer Gedächtnisraum“....................................................................................................9
Das Humboldt-Forum im Berliner Schloss – Ein Symbol des Fortwährens kolonialer und
absolutistischer Herrschaft ....................................................................................................14

Empfehlung Fachbuch
Kolonialismus-Debatte.............................................................................................................17
Black Berlin.............................................................................................................................19

Empfehlung Unterrichtsmaterialien
Neuengammer Studienhefte. Verflechtungen. Koloniales und rassistisches Denken und
Handeln im Nationalsozialismus. .........................................................................................22

Empfehlung Web
Stadt neu lesen.........................................................................................................................26
Lern- und Erinnerungsort Afrikanisches Viertel...................................................................28

Empfehlung Bildungsträger
Berlin Postkolonial.................................................................................................................30

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Einleitung

Liebe Leser*innen,                             Stadtbezirk Mitte. In beiden Fällen setzen
wir begrüßen Sie zur aktuellen Ausgabe des     sich auch Schwarze Aktivist*innen seit Jah-
LaG-Magazins zur Kolonialismusaufarbei-        ren und bisher vergeblich für Umbenennun-
tung in Berlin. Warum Berlin? Die Stadt        gen der Straßennamen ein (s. hierzu auch
war seit 1701 preußische Hauptstadt und        einen älteren Artikel von Christian Kopp auf
war zwischen 1871 und 1945 Hauptstadt          LaG: White Myths – Black History. Der Fall
des Deutschen Reiches. Hier fand vom 15.       der Berliner „Mohrenstaße“).
November 1884 bis zum 26. Februar 1885         Es gibt also ausreichend viele Gründe sich
die sogenannte Afrika-Konferenz, auch be-      mit dem Thema Kolonialismus in Berlin zu
kannt als Kongo-Konferenz, statt. Sie diente   befassen, zumal die sogenannte Aufarbei-
den damaligen Weltmächten zur Verständi-       tung zwiespältig ist. Zu selten und zu wenig
gung über die Aufteilung und Ausbeutung        haben die Stimmen aus der Schwarzen Com-
Afrikas. Bernhard von Bülow, formulierte       munity ein Gewicht bei Entscheidungen, ge-
als Staatssekretär des Auswärtigen Amtes       rade auch in Fragen der Restitution geraub-
die imperialen Träume des Kaiserreiches        ter Kulturgüter. Exemplarisch hierfür steht
in einer berühmt-berüchtigten Reichstags-      die Diskussion um das Humboldt-Forum.
rede am 6. Dezember 1897: „Die Zeiten, wo      Auch eine Aufarbeitung des Völkermords
der Deutsche dem einen seiner Nachbarn         an Nama und Herero steht zumindest im
die Erde überließ, dem anderen das Meer        öffentlichen Diskurs eher am Anfang. Wir
und sich selbst den Himmel reservierte (...)   hoffen mit diesem Magazin Lehrkräfte und
diese Zeiten sind vorüber“ und weiter „Wir     politische Bildner*innen ein wenig zu moti-
wollen niemanden in den Schatten stellen,      vieren, die Thematik im Unterricht oder in
aber wir verlangen auch unseren Platz an       Seminaren aufzugreifen.
der Sonne.“ Für eine solche imperiale Tra-     In einem einleitenden Aufsatz gibt Reinhart
dition stehen in Berlin noch etliche Stra-     Kößler einen Überblick zur Erinnerungspo-
ßennamen, auch wenn die Bülowstraße als        litik über den deutschen Kolonialismus an-
Teil des sogenannten Generalszuges (Gnei-      hand der Berliner Erinnerungslandschaft.
senau-, Yorck-, Bülow-, Kleist und Tauent-
                                               Joachim Zeller stellt die Ausstellung des
zienstraße bis hin zum Kurfürstendamm)
                                               Berliner Afrika-Hauses vor und stellt sie in
nicht nach dem oben genannten von Bülow
                                               den historischen Zusammenhang.
benannt wurde, sondern nach dem preußi-
schen General Friedrich Wilhelm Bülow von      Mit der oben bereits erwähnten Problematik
Dennewitz.                                     des Humboldt-Forums im Berliner Stadt-
                                               schloss als Teil des historischen Ensembles
Deutlicher auf den deutschen Kolonialismus
                                               der Straße Unter den Linden beschäftigt
verweist das Afrikanische Viertel im Berli-
                                               sich Ingolf Seidel.
ner Wedding oder die ein rassistisches Ste-
reotyp symbolisierende „Mohren“straße im       Wir danken den externen Autoren für ihre

                                                        Magazin vom 29.04.2020 3
Einleitung

Beiträge.

In eigener Sache
Die Corona-Pandemie wirkt sich auch auf
unsere Arbeit aus. Förderanträge, von de-
nen wir abhängig sind, können nicht immer
zeitgerecht erstellt werden, sodass wir ge-
nügend Vorlauf zur Erarbeitung eines Ma-
gazins haben. Wir haben dafür vollstes Ver-
ständnis, müssen aber in der Folge ein für
den Mai geplantes LaG-Magazin verschie-
ben. Es wird voraussichtlich im Monat Juli
erscheinen.
Entsprechend unserer Planung erscheint
dann am 24. Juni das nächste Magazin. Es
stellt die Arbeit des Brandenburger Ver-
eins Opferperspektive – Solidarisch gegen
Rassismus,Diskriminierung und rechte Ge-
walt vor, der unter anderem in der Bera-
tungsarbeit von Opfern rechter Gewalt und
rassistischer Diskriminierung tätig ist.
Ihre LaG-Redaktion

                                              Magazin vom 29.04.2020 4
Zur Diskussion

Berliner Erinnerungsland-                      für ein Kolonialdenkmal wurden freilich
schaft, postkolonial                           nicht verwirklicht.

Von Reinhart Kößler                            Die relativ kurze Zeit, die das deutsche Kolo-
                                               nialreich währte, hatte einschneidende Fol-
		           Kolonialismus in Berlin –
                                               gen. Für die Kolonisierten bedeutete sie über
                verwobene Geschichte
                                               viele Jahre rücksichtslose Gewaltausübung,
Berlin spielte für den Kolonialismus eine      um den immer wieder aufflammenden Wi-
zentrale Rolle. Das ging weit über seine       derstand zu brechen – oder wie im Fall der
Stellung als Hauptstadt des gut dreißig Jah-   in Namibia ab 1911 offiziell so bezeichneten
re währenden deutschen Kolonialreiches         „Buschmannjagden“ in Namibia einfach
in Afrika, Ozeanien und China hinaus. Im       diejenigen Menschen zu eliminieren, die
Reichkanzler-Palais in der Wilhelmsstraße      den Kolonisatoren als Arbeitskräfte nicht
tagte 1884/1885 die Kongo-Konferenz, auch      geeignet erschienen. Aus dem Gewaltge-
bekannt als Berliner Afrika-Konferenz. Auf     schehen ragen der 1904-08 in Namibia ver-
ihr handelten die „Mächte“ unter Ausschluss    übte Völkermord an Ovaherero und Nama
jeglicher afrikanischer Vertretung die Mo-     hervor. Bei weit höherer Bevölkerungszahl
dalitäten aus, unter denen in den folgenden    als in Namibia überstieg die Anzahl der Op-
Jahren der Kontinent fast vollständig aufge-   fer des Maji-Maji-Krieges in Tanzania und
teilt wurde. Dieser Raubzug wurde mit dem      danach der rücksichtslosen Kampagne des
Anspruch bemäntelt, man wolle dem Skla-        Schutztruppen-Kommandeurs Lettow-Vor-
venhandel vor allem im Kongo-Becken ein        beck dieses Verbrechen noch bei weitem.
Ende setzen.                                   Lettow-Vorbecks Truppe paradierte 1919
Deutschlands afrikanisches Kolonialreich       „ungeschlagen“ durchs Brandenburger Tor.
umfasste die heute unabhängigen Staaten        Kurz danach wandte er sich gegen Aufstän-
Namibia (Deutsch-Südwestafrika), das kon-      dische in Deutschland, etwa im Hamburger
tinentale Tanzania, Rwanda und Burundi         „Sülze-Aufstand“. Es ließ sich schon damals
(alle Deutsch-Ostafrika) sowie den Großteil    erkennen, dass koloniale Formen der Unter-
des heutigen Kamerun und Togo. In Berlin       werfung in die Kolonialmetropole zurück-
fanden diese Eroberungen auch sehr bald        schlugen.
sichtbaren Niederschlag: Straßen wurden        Für Deutschland markiert die Kolonialherr-
nach vorgeblichen Kolonialhelden benannt,      schaft auf drei Erdteilen sinnfällig den Be-
die oft blutige Unterwerfungsfeldzüge ge-      ginn der „Weltpolitik“ und des Kampfes für
führt hatten; das Afrikanische Viertel im      einen „Platz an der Sonne“ (Bernhard von
Norden des Wedding plante man als sinn-        Bülow), demnach jener Gewaltgeschichte,
fällige Darstellung des Kolonialreichs mit     die in Faschismus und Holocaust münde-
nach Personen, vor allem aber nach Orten       te. Auch wenn er nur vergleichsweise kurz
und Flüssen benannten Straßen. Planungen       währte, war der deutsche Kolonialismus

                                                           Magazin vom 29.04.2020 5
Zur Diskussion

daher keineswegs eine „Episode“, als den       und die Beharrlichkeit derer, die sich mit
ihn manche Historiker immer noch herun-        dem jahrzehntelangen Beschweigen nicht
terspielen. Es handelt sich vielmehr für ein   abfinden konnten. Wenn Deutschland ge-
Beispiel jener verwobenen Geschichte. Auch     legentlich als „Erinnerungsweltmeister“ be-
wenn es um drastische Machtgefälle geht,       zeichnet wird, so muss immer wieder gesagt
lassen sich die Prozesse nicht auf den na-     werden, dass vermutlich die Mehrheit erst
tionalen Rahmen reduzieren. Wir sind auf       mühsam überzeugt werden musste. Und
globale Zusammenhänge verwiesen, und           diese Überzeugungen bleiben immer um-
insbesondere war das Geschehen in den Ko-      kämpft, müssen stets aufs Neue aktualisiert
lonialmetropolen wie Deutschland untrenn-      werden.
bar mit kolonialen Verhältnissen verknüpft.    Besucher*innen aus Namibia, die ich öfter
Deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert         in die Mitte Berlins begleite, sind in der Re-
lässt nicht außerhalb dieses Verflechtungs-    gel beeindruckt und stellen dann wohl die
zusammenhangs verstehen.                       naheliegende Frage: „And what about us?“
                    Postkoloniale Leere        Damit wird unmittelbar deutlich, dass es
In der offiziellen deutschen Erinnerungspo-    in der in mancher Hinsicht als einzigartig
litik und konkret in der Erinnerungsland-      zu bezeichnenden Erinnerungslandschaft
schaft Berlins findet dieser Zusammenhang      der deutschen Hauptstadt eine Lücke gibt.
bis heute keine Entsprechung. Vor allem        Diese Lücke ist klaffend und unübersehbar,
das Ensemble am Tiergarten in der Nähe         wenn man einmal dafür sensibilisiert ist.
des Brandenburger Tors verweist nach-          Freilich trifft dies für den Großteil des Pub-
drücklich und öffentlichkeitswirksam auf       likums nicht zu.
die Verbrechen des Nationalsozialismus.        Der deutsche Kolonialismus ist im öffent-
Tourist*innen kommen am Holocaust-             lichen Bewusstsein so wenig präsent, dass
Mahnmal nicht vorbei, die Erinnerungsstät-     noch Anfang 2020 ein ehemaliger Außen-
ten für die ermordeten Sinti und Roma so-      minister sagen konnte, Deutschland sei ko-
wie Schwule und Lesben sind eher versteckt,    lonial wenig belastet und könne daher eine
aber immerhin präsent, jene für die Opfer      Vermittlungsrolle etwa in Libyen spielen.
der Euthanasie und die Topographie des         Die Episode belegt einmal mehr, dass die
Terrors nicht weit entfernt. Der Anspruch,     Periode der deutschen Kolonialherrschaft
das Gedenken an „Auschwitz“ sei heute          nach Phasen der aggressiven Kolonialpro-
deutsche Staatsräson tritt hier in Stein und   paganda und auch noch des Kolonialrevisi-
Beton auch repräsentativ in Erscheinung. Es    onismus in den 1920er und 1930er Jahren
darf nicht übersehen werden, dass diese Si-    nach 1945 einer Amnesie verfallen ist.
tuation nicht als spontane Reaktion auf die    Koloniale Amnesie bedeutet nicht, dass die
unaussprechlichen Verbrechen und Schre-        koloniale Vergangenheit völlig aus dem ko-
cken zustande kam, sondern durch den Mut       gnitiven Bereich ausgeschieden wäre. Sie

                                                         Magazin vom 29.04.2020 6
Zur Diskussion

wird seit einigen Jahren sogar verstärkt        		            Von der Marginalisierung
erforscht und dementsprechend gibt es in                                  ins Zentrum
einer Fachöffentlichkeit auch Wissen darü-      Ein solches singuläres Ereignis hat freilich
ber. Dieses Wissen wird freilich im öffentli-   keine dauerhafte Wirkung auf die Berliner
chen Diskurs allenfalls episodenhaft thema-     Erinnerungslandschaft. Sucht man dort
tisiert.                                        nach Verweisen auf die koloniale Vergan-
     Bruchstellen kolonialer Amnesie            genheit Deutschlands in Afrika, so wird
Seit 2004, als der hundertste Jahrestag des     man genau an zwei Stellen fündig. Diese
Völkermords in Namibia und kurz darauf          Stellen befinden sich am Rand öffentlicher
des Maji- Maji-Krieges in Ostafrika erstaun-    Aufmerksamkeit. Der Fund gelingt nur auf-
lich viel Aufmerksamkeit auch in Deutsch-       grund genauer Information und Sensibili-
land erregten, hat es immer wieder solche       sierung. Viele Passant*innen werden auf der
Episoden gegeben. In erster Linie standen       Westseite der Wilhelmsstraße die schmale
sie im Zusammenhang mit der Repatriie-          Stele übersehen, die dort an die Berliner Af-
rung deportierter menschlicher Überreste        rika-Konferenz erinnert. Sie steht vor dem
an Namibia, vor allem von der Charité. Dies     authentischen Ort, wo einmal das Reichs-
geschah 2011, 2014 und 2018, jeweils unter      kanzler-Palais stand. Auch gibt sie Auskunft
großer Medienöffentlichkeit. Die Repatriie-     über das Geschehene. Allerdings ist sie völ-
rung 2011 wurde von einer großen namibi-        lig unauffällig, und nur diejenigen werden
schen Delegation begleitet, der zahlreiche      sie finden, die ausdrücklich danach suchen.
Nachfahren von Opfern des Völkermordes          Das auf private Initiative 2005 aufgestellte
angehörten. Es entstanden Beziehungen mit       Denkmal kann den Ort also zwar markie-
Angehörigen der deutschen Zivilgesellschaft     ren, es stellt aber keine Intervention in den
und besonders auch der Afro-Deutschen           Straßenraum dar, die aktiv zum Innehalten
Gemeinschaft. In den folgenden Jahren ent-      und Nachdenken auffordern würde. Ohne
wickelte sich aus wiederholten Besuchen ein     einen speziellen Hinweis laufen die Leute
Aktionszusammenhang. Als Ovaherero und          daran vorbei. Noch klarer ist dieser Sach-
Nama in ihrer traditionellen Kleidung und       verhalt beim Afrika-Stein auf dem Neuen
mit der Forderung nach eigenständiger Ver-      Garnisonsfriedhof. Dieser durch seine teils
tretung bei den seit 2015 laufenden Regie-      bombastisch kriegerisch gestalteten Grab-
rungsverhandlungen zwischen Namibia und         stätten an sich bemerkenswerte Ort ist heu-
Deutschland auf einer Demonstration durch       te den meisten eher durch die am Rand, am
die Straße Unter den Linden zogen, vorbei       Columbiadamm gelegene Moschee geläufig.
am Reiterstandbild des Alten Fritz, bedeu-      Den Afrika-Stein finden nur Kundige an der
tete dies eine neuartige, unmittelbare Form     entfernten Friedhofsmauer. Es handelt sich
postkolonialer Präsenz im Herzen von Ber-       im Kern um einen Gedenkstein für im Na-
lin.                                            mibischen Krieg 1903-08 gefallene deutsche

                                                         Magazin vom 29.04.2020 7
Zur Diskussion

Soldaten, zusätzlich mit einem Aufsatz zum         über den Gedenkort an der Neuen Wache
Gedenken an das Afrika-Korps im Zweiten            sowie aktuell über das aus postkolonialer
Weltkrieg. Nach längeren Auseinanderset-           Sicht schwer belastete Humboldt-Forum im
zungen mit dem Bezirksamt Neukölln wur-            nachgebauten Berliner Schloss verspricht
de 2009 vor diesen Stein eine Platte gelegt,       ein Denkmalsprojekt auch eine öffentliche
die den Umriss Namibias zeigt und an den           Auseinandersetzung, die weiter dazu beitra-
Krieg von 1903-08 erinnert, allerdings auf         gen kann, die noch immer vorherrschende
amtliche Weisung ohne den Völkermord zu            koloniale Amnesie zumindest zu relativie-
benennen.                                          ren.
Beide Orte werden für öffentliche Ereignisse
genutzt: Alljährlich Ende Februar findet seit
2006 hier der Gedenkmarsch zur Erinne-
rung an die afrikanischen Opfer von Sklave-
rei, Kolonialismus und Rassismus statt. Die                                          Über den Autor:

Auseinandersetzung um die Änderung des                  Reinhart Kößler ist Sozialwissenschaftler und
                                                           lebt in Berlin im Ruhestand. Zuletzt war er
diskriminierenden Namens „Mohrenstra-                    Direktor des Arnold-Bergstraesser-Instituts
ße“, die hier auf die Wilhelmsstraße trifft, ist           in Freiburg i.B. Langjährige Beschäftigung
                                                        mit namibisch-deutscher Erinnerungspolitk,
eng mit diesen Aktivitäten verbunden. Am                  u.a. Namibia and Germany. Negotiating the
Afrika-Stein finden vor allem bei Besuchen                   Past (2015); Völkermord- und was dann?
                                                             Die Politik der deutsch-namibischen Ver-
aus Namibia zeremoniell ausgestaltete öf-                gangenheitsbearbeitung (2017, mit Henning
fentliche Ereignisse statt.                                                                  Melber).

Die zentrale Erinnerungslandschaft Berlins
wird dadurch so wenig verändert wie durch
den seit längerem institutionalisierten Aus-
bau des Afrikanischen Viertels zum postko-
lonialen Erinnerungsort. Ein angemessenes
Denkmal wurde 2016 im Koalitionsvertrag
für den Berliner Senat erstmals vorgesehen,
allerdings vorbehaltlich einer Koordinie-
rung mit der Bundesebene. Eine Realisie-
rung steht demnach aus. Die Dringlichkeit
eines solchen Vorhabens besteht ungeach-
tet der institutionellen Hürden, solange
der staatlichen Prägung der Erinnerungs-
landschaft zumal an zentralen Stellen der
Hauptstadt Bedeutung zugemessen wird.
Angesichts zurückliegender Debatten, etwa

                                                             Magazin vom 29.04.2020 8
Zur Diskussion

Berlin dekolonisieren. 		                      Theateraufführungen veranstaltet werden,
Das Afrika-Haus präsentiert die                rund um die Geschichte, Politik, Literatur
Dauerausstellung „Berlin - ein                 und Philosophie Afrikas sowie die afrika-
postkolonialer 			                             nisch-europäischen Beziehungen. Gegrün-
Gedächtnisraum“                                det wurde es von Oumar Diallo, der aus dem
                                               westafrikanischen Guinea stammt. Träger
Von Joachim Zeller
                                               des mittlerweile seit über 25 Jahren beste-
Wer war Georg Adolf Christiani? Wohl weni-     henden Afrika-Hauses (www.afrikahaus-
ge könnten diese Frage beantworten, selbst     berlin.de) ist der ebenfalls von Oumar Dial-
Fachleute würden vermutlich nur mit der        lo ins Leben gerufene gemeinnützige Verein
Achsel zucken. Doch jetzt gibt es die Mög-     Farafina e.V. Der Name Farafina bedeutet
lichkeit, sich über diesen Menschen und die    in der Sprache der grenzüberschreitenden
mit ihm verbundene Geschichte zu infor-        westafrikanischen Sprache Malinke ‚Afrika’.
mieren. Möglich ist dies im Afrika-Haus in     Das Wort steht für die Gemeinschaft im Zu-
der Bochumer Straße im Stadtteil Moabit        sammenleben verschiedener Bevölkerungs-
der Bundeshauptstadt. Dort ist seit kurzem     gruppen. So versteht sich der Verein als
die Ausstellung „Berlin - ein postkolonialer   Mittler zwischen Menschen verschiedener
Gedächtnisraum“ zu sehen. Gewidmet ist         Herkunft, Sprache und Kultur. Der Fokus
sie Georg Adolf Christiani. Nach allem was     des Afrika-Hauses richtet sich auf Integra-
bekannt ist, war er der erste Afrikaner, der   tion, entwicklungspolitische und transkul-
nachweislich in Berlin gelebt hat. Mit dem     turelle Bildungsarbeit. Farafina setzt sich
Namen Ebnu kam er im Jahr 1678 nach Ber-       besonders auch für Empowerment der Men-
lin und wurde 1681 in Spandau auf den Na-      schen mit afrikanischen Wurzeln, Toleranz
men Georg Adolf Christiani getauft. Nicht      und gesellschaftliche Teilhabe ein und en-
auszuschließen ist, dass Ebnu aus dem          gagiert sich gegen jegliche Form von Rassis-
heutigen Ghana stammte, wo im Jahr 1683        mus und Fremdenfeindlichkeit.
die kurbrandenburgisch-preußische Stütz-
                                               Das neueste Projekt des Afrika-Hauses ist
punktkolonie Großfriedrichsburg gegrün-
                                               die im Jahr 2019 eröffnete Dauerausstellung
det wurde. Damit sind die beiden zentralen
                                               zur deutschen Kolonialgeschichte, mit dem
Themen der neu eingerichteten Ausstellung
                                               besonderen Fokus auf die (post-)koloniale
benannt, nämlich die afrikanische Diaspora
                                               Metropole Berlin. Die auf großen Stelltafeln
in Berlin und der deutsche Kolonialismus,
                                               präsentierte, sich an ein breites Publikum
der weiter zurückreicht, als dies gemeinhin
                                               richtende Ausstellung spannt einen Bogen
bekannt ist.
                                               von mehreren hundert Jahren. Den Beginn
Das Afrika-Haus ist ein interkulturelles Be-   markieren die frühen, von deutscher Seite
gegnungszentrum, in dem Konzerte, Lesun-       unternommenen Expansionsversuche nach
gen, Vorträge, Konzerte, Ausstellungen und     Übersee. Dazu gehört die Statthalterschaft

                                                        Magazin vom 29.04.2020 9
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der Welser im heutigen Venezuela im Jahr       Die Besucher*innen können sich darüber
1528. Diese frühneuzeitliche Expansionsge-     informieren, dass das Deutsche Reich von
schichte Europas in der Folge der portugie-    1871 durch seine expansive Politik nicht
sischen Erkundungsfahrten entlang der af-      mehr nur eine kontinentale Großmacht,
rikanischen Westküste unter Heinrich dem       sondern gar eine „Weltmacht“ zu sein be-
Seefahrer und der „Entdeckung“ Amerikas        anspruchte. Das deutsche Kolonialprojekt
durch Christopher Kolumbus im Epochen-         war wie der europäische bzw. angloameri-
jahr 1492 führte zu dem, was heute (koloni-    kanische Kolonialimperialismus jener Tage
ale) Globalisierung vor der Globalisierung     durch Weltmachtansprüche, wirtschaftspo-
genannt wird. Im Verlauf dieses Prozesses      litisches Dominanzstreben, nationales Pres-
kam es zur Durchsetzung des europazentri-      tige und einen rassistisch-sozialdarwinis-
schen kapitalistischen Weltmarktes und der     tisch unterfütterten Überlegenheitsdünkel
transatlantischen Erweiterung des Handels      gegenüber dem „Rest der Welt“ geprägt.
mit versklavten Afrikaner*innen.               In dem zum Zentrum des deutschen Koloni-
Dazu gehört der erste kurbrandenburgisch-      alimperialismus avancierten Berlin entstand
preußische Kolonisationsversuch, der Ende      seinerzeit eine Infrastruktur von kolonialen
des siebzehnten Jahrhunderts unter Kur-        Verwaltungseinrichtungen, wissenschaftli-
fürst Friedrich Wilhelm an der westafrika-     chen Institutionen, Missionsgesellschaften
nischen Küste unternommen wurde. 1682          bis hin zu Verbänden der Koloniallobby.
waren die ersten, unter dem roten Adler der    Kolonialwarenhäuser boten Erzeugnisse aus
Hohenzollern segelnden Schiffe an der so       den Kolonien zum Verkauf an. Das Völker-
genannten Goldküste gelandet. Über seine       kunde-Museum (heute Ethnologisches Mu-
Kolonie Großfriedrichsburg beteiligte sich     seum) der Reichshauptstadt füllte sich – wie
Brandenburg-Preußen nicht nur am Han-          viele weitere Museen im Deutschen Reich –
del mit Gold und Elfenbein, sondern auch       mit den in den Kolonien „erworbenen“ Ob-
mit Sklav*innen. Um die 20.000 versklavte      jekten und Kunstwerken.
Menschen soll die Brandenburgisch-Africa-      Natürlich fehlt auch nicht eines der zent-
nische Compagnie nach Amerika verschifft       ralen Ereignisse der deutschen – und dar-
haben, eine Tatsache, die Preußen-Fans         über hinaus der europäischen – Kolonial-
mitunter nur ungern zur Kenntnis nehmen.       geschichte, das in Berlin stattgefunden hat,
Der bei Princes Town im heutigen Ghana         nämlich die berüchtigte Kongo-Konferenz
liegende vollständig erhaltene Festungsbau     von 1884/85. Auf ihr wurden die völker-
Großfriedrichsburg gehört heute als Mahn-      rechtlichen Modalitäten zur Aufteilung Afri-
mal zum Weltkulturerbe der Unesco.             kas unter den europäischen Kolonialmäch-
Der Schwerpunkt der Ausstellung liegt auf      ten festgelegt. Viele Afrikaner sprechen aus
der Zeit der Überseeherrschaft des wilhelmi-   diesem Grund von einer Berlinisation des
nischen Kaiserreichs (1884/85 - 1918/19).      afrikanischen Kontinents und die Kongo-

                                                        Magazin vom 29.04.2020 10
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Konferenz gilt ihnen als ein Menetekel für     Kolonien. Die Dibobe-Petition gilt heute als
die Fremdbestimmung und Ausbeutung ih-         eines der ersten Dokumente des kollektiven
res Kontinents.                                Widerstands der afrikanischen Diaspora in
Ein besonderes Anliegen die Ausstellung ist    Deutschland gegen Kolonialismus und Ras-
es, die kolonisierten Völker nicht einseitig   sismus.
als Opfer der kolonialen Fremdherrschaft       Mit dem Ersten Weltkrieg und dem Ver-
der Weißen zu betrachten, sondern auch ihre    trag von Versailles, als das Deutsche Reich
Handlungsspielräume und ihren Wider-           zwangsweise dekolonisiert und gewisserma-
stand hervorzuheben. So wird beispielhaft      ßen zu einer postkolonialen Nation in einer
auf wichtige Aufstände und Befreiungskrie-     immer noch kolonialen Weltordnung wur-
ge verwiesen, wie den Boxerkrieg in China      de, ist die Ausstellung keinesfalls beendet.
(1900/01), den Deutsch-Herero-Krieg und        Sie wird fortgesetzt mit der Geschichte des
Deutsch-Nama-Krieg in Deutsch-Südwest-         Kolonialrevisionismus in den 1920er und
afrika (1904-08), den Maji-Maji-Krieg in       1930er Jahren. Die verlorengegangenen
Deutsch-Ostafrika (1905-07), die Mpa-          Kolonien blieben noch lange Gegenstand
wmanku-Kriege in Kamerun (1904) oder die       schweifender Phantasien und nostalgischer
Sokeh-Rebellion auf Ponape (1910/11). Sie      Verklärung. Der sich in den 1920er Jahren
alle zeugen von dem Ringen um Identitäts-      formierende „Kolonialismus ohne Kolo-
behauptung und dem Willen der kolonisier-      nien“ sollte den Status- und Machtverlust
ten Völker, das Joch der Fremdherrschaft       kompensieren, den die Deutschen hatten
abzuschütteln.                                 hinnehmen müssen.
Nicht zuletzt wird die Geschichte der afri-    Brandaktuelle Themen, wie die Initiativen
kanischen Diaspora beleuchtet, die auch        zur Umbenennung kolonialer Straßenna-
auf Grund des kolonialen Engagements           men, die Repatriierungen von menschli-
des Deutschen Reiches entstand. Einer der      chen Gebeinen an die vormaligen Kolonien,
berühmtesten Persönlichkeiten unter den        die Rückgabe von Objekten aus naturkund-
Schwarzen Berlinern war der aus Douala/        lichen Sammlungen bis hin zu der gegen-
Kamerun stammende Martin Quane a Dibo-         wärtig kontrovers geführten Debatte um
be. Er arbeitete einige Jahre als Zugführer    die koloniale Raubkunst im zukünftigen
bei den Berliner Verkehrsbetrieben. 1919       Humboldt Forum in Berlin-Mitte runden
wandte er sich in einer an die Weimarer        die Präsentation ab. Dem Humboldt Forum
Nationalversammlung gerichteten Einga-         kommt dabei eine besondere Bedeutung zu,
be gegen den Bruch der Völker- und Men-        ist es doch der postkoloniale Ort in Deutsch-
schenrechte in den deutschen Überseege-        land, der im Entstehen begriffen ist. Folgt
bieten. Er und seine Mitstreiter forderten     man den Verlautbarungen der Verantwort-
„Gleichberechtigung und Selbstständigkeit“     lichen, so handelt es sich bei dem Vorhaben
für die Menschen in und aus den deutschen      um das „wichtigste kulturpolitische Projekt

                                                        Magazin vom 29.04.2020 11
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in Deutschland am Beginn des 21. Jahrhun-        sind allenthalben wahrzunehmen, und zwar
derts“. Nicht weniger als ein „Weltkultur-       nicht nur vonseiten der rechtspopulisti-
museum“ neuen Formats, ein „Ort des Di-          schen und -extremistischen AfD, die einen
alogs der Kulturen der Welt“ soll entstehen.     regelrechten Kulturkampf gegen ein weltof-
Die Ausstellung im Afrika-Haus schließt          fenes, liberales Kulturleben führt.
sich dagegen der in den letzten Jahren ge-       Davon abgesehen ist in der Bundeshaupt-
äußerten Kritik an und nimmt eine klare Po-      stadt – wie in anderen Städten Land auf
sition zum Humboldt Forum ein: In dieser         Land ab – einiges in Bewegung gekommen.
feudalistischen Herrschaftsarchitektur des       Im August 2019 beschloss das Berliner Ab-
rekonstruierten Stadtschlosses könne man         geordnetenhaus, die „Entwicklung eines
keine „ethnologischen Objekte“ ausstellen,       gesamtstädtischen Aufarbeitungs- und Er-
die koloniale Gier in die vormalige „Koloni-     innerungskonzepts zur Geschichte und zu
almetropole“ Berlin gebracht hat. Gefordert      den Folgen des Kolonialismus des Landes
werden Restitutionen von Kulturgütern aus        Berlins“ auf den Weg zu bringen. Zum an-
Afrika und anderen Kontinenten.                  deren ist Anfang des Jahres 2020 eine auf
Oumar Diallo gehört mit seinem mittlerwei-       die Dauer von fünf Jahren angelegte „Ini-
le zur Institution gewordenen Afrika-Haus        tiative für postkoloniales Erinnern in der
zu jenen zivilgesellschaftlichen Akteuren,       Stadt“ gestartet worden. Geplant sind Aus-
die ihren Beitrag dazu leisten wollen, die De-   stellungen, Veranstaltungen, Festivals und
kolonialisierung Berlins voran zu bringen.       künstlerische Interventionen im Stadtraum
Er verweist darauf, dass eine wirkliche De-      sowie eine Web-Kartierung kolonialer Orte
kolonialisierung, die den Namen verdient,        in Berlin, in Deutschland und in den vor-
neben den politischen und sozialökonomi-         maligen deutschen Kolonien. Koordiniert
schen Prozessen auch Wissensarchive und          werden sollen die Vorhaben durch das zivil-
Mentalitäten umfasst, um nicht zuletzt den       gesellschaftliche Bündnis „Decolonize Ber-
„kolonialen Blick“ auf Afrika zu überwin-        lin“. Senat und Bund werden für das Projekt
den. Erreicht werden kann dies nur durch         zusammen 3 Millionen Euro zur Verfügung
ein dialogisches Erzählen, eine inklusive        stellen. In Zusammenarbeit mit dem Bund
Geschichtsschreibung und integrativ ge-          strebt die Landesregierung auch die Errich-
prägte Erinnerungskultur, die die Stimmen        tung einer zentralen Gedenkstätte als Lern-
der Opfer und Täter und ihrer Nachfahren,        und Erinnerungsort an und die Städtepart-
von Weißen und Schwarzen, einschließt. Die       nerschaft zwischen Berlin und Windhoek
Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit        soll weiter ausgebaut werden.
bietet nicht zuletzt den Anlass dafür, über      Der Aktivist Oumar Diallo wird sich weiter
das Selbstverständnis der bundesdeutschen        in dieser Sache engagieren. Er will die He-
Gesellschaft als Migrationsgesellschaft          rausforderungen in unserer globalisierten
nachzudenken. Die Widerstände dagegen            Welt annehmen und hält es mit dem Motto,

                                                          Magazin vom 29.04.2020 12
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das Johann Wolfgang von Goethe in einem
Briefwechsel mit Friedrich Schiller treffend
ausdrückte: „Jeden Tag erwarte ich einen
neuen Weltbürger in meinem Hause, den ich
doch gerne freundlich empfangen möchte.“
Goethe erwartete die Weltbürger in seinem
Hause in Weimar, Oumar Diallo empfängt
sie in seinem Berliner Afrika-Haus.

                             Über den Autor:
    Joachim Zeller, Dr., Historiker in Berlin.
     Zuletzt erschien von ihm: „Deutschland
 postkolonial? Die Gegenwart der imperialen
   Vergangenheit“ (Mitherausgeber, 2018, 2.
                                 Aufl. 2020)

                                                 Magazin vom 29.04.2020 13
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Das Humboldt-Forum im                            Reiterstandbild von Friedrich, der gerne
Berliner Schloss – Ein Symbol                    der Große genannt wird, gehört. Die Straße
des Fortwährens kolonialer und                   Unter den Linden steht also für eine mon-
absolutistischer Herrschaft                      archistische Tradition par excellence. Die
                                                 Nationalsozialisten haben schließlich noch
Von Ingolf Seidel
                                                 eine Verlängerung bis zur Schlossbrücke
Am 12. Juni 2013 erfolgte die Grundstein-        hinzugefügt. An der Kontinuität änderte
legung des Humboldt-Forums in Berlin,            die 1947 erfolgte Umbenennung des Kaiser-
gelegen an einer Achse der Stadt, die vom        Franz-Joseph-Platzes, Ort auch der natio-
Brandenburger Tor bis an die Museumsin-          nalsozialistischen Bücherverbrennungen,
sel reicht. Einer Achse, deren Ursprung im       in Bebelplatz wenig. Eine Chance mit dieser
kurfürstlichen Reitweg Johann Georgs aus         Tradition und dem ihr innewohnenden Na-
dem Jahr 1573 zu finden ist, der mit dem         tionalismus symbolisch zu brechen wurde
Weg den nahegelegenen Tiergarten mit dem         im Zuge des Wettbewerbs um die Errich-
Stadtschloss, der Residenz der Hohenzol-         tung eines Denkmals für die ermordeten
lern, verbinden wollte. Seinen etwas mick-       Juden Europas vertan. Der Künstler Horst
rigen Charakter verlor dieser Weg, als er        Hoheisel hatte als Teil seines Wettbewerbs-
zuerst von Friedrich I. zu einer Magistrale      beitrages vorgeschlagen das Brandenbur-
ausgebaut wurde. Aus ihr wurde eine Allee        ger Tor zu zermahlen und die Überreste auf
mit Linden, an der die Akademien der Küns-       dem dann ehemaligen Grundriss zu ver-
te sowie der Wissenschaft gebaut wurden          streuen. Für Hoheisel war damit die Frage
und die in der westlichen Verlängerung bis       verbunden, ob sich Deutschland angesichts
zum Charlottenburger Schloss reichte.            der Shoah von einem herausragenden na-
Einen weiteren Ausbau erfuhr die Straße ab       tionalen Symbol verabschieden würde. Das
dem Jahr 1740 durch Friedrich II., der das       Ergebnis ist bekannt.
Palais des Prinzen Heinrich, späterer bauli-     Eine zweite Möglichkeit des Bruchs wird
cher Ausgangspunkt für die Humboldt-Uni-         mit dem Wiederaufbau des Stadtschlosses,
versität, das Opernhaus, die St. Hedwigs-        auch bekannt als Berliner Schloss, nicht nur
Kathedrale und die Königliche Bibliothek         vergeben. Vielmehr wird hier eine Tradition
in errichten ließ. Aus der Zeit dieses preußi-   von Gewaltgeschichte erneuert, die mit der
schen Königs stammt auch das Brandenbur-         Straße und dem historischen Ort des Schlos-
ger Tor, mit dem der Klassizismus als hege-      ses verbunden ist. Manifest wird dies in der
monialer preußischer Baustil Einzug hielt.       baulichen Ausführung. So heißt es auf der
Die Reihe lässt sich fortsetzen über den         Webseite des Projekts „Humboldt Forum im
dritten Friedrich, der Karl Friedrich Schin-     Berliner Schloss“ im Entwurf des Architek-
kel den östlichen Teil der Achse gestal-         ten Franco Stella würden sich „historische
ten ließ, wozu das noch heute stehende           Schönheit auf selbstverständliche Weise

                                                          Magazin vom 29.04.2020 14
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mit der Gegenwart, gestalterisch, technisch    und Kunst, Wissenschaft und Geschichte
und städtebaulich“ verbinden. In der Tat.      mehrere Räume“ füllten. In ihnen sollten
Nur wird der architektonische Problemcha-      die weißen Besucher*innen „die gesamte
rakter des ehemaligen Barockbaus, der für      Welt durch das Betrachten, Ordnen oder
absolutistische Herrschaft steht, außer Acht   Ausprobieren der unterschiedlichen Samm-
gelassen.                                      lungsgegenstände ergründen können“. Die
Auch das Konzept des Humboldt-Forums           Provenienz der gezeigten Objekte, die viel-
will solche Traditionslinien fortführen. So    fach Raubgut aus der Kolonialzeit sind, wird
sollen „die Visionen der ehemaligen Berliner   schlicht ausgeblendet.
Kunstkammer im Berliner Schloss wieder         Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung
spürbar“ werden, heißt es auf der Webprä-      Preußischer Kulturbesitz, hat bereits 2011
senz. Angeknüpft wird explizit an die fürst-   das Nutzungskonzept unter dem Titel „Das
lichen Kunst- und Wunderkammern mit            Humboldt-Forum: Soviel Welt mit sich ver-
einer Idee, die Geschichte nicht als diskon-   binden als möglich“ vorgestellt. Auf die For-
tinuierlich im Sinne Walter Benjamins fasst    derung nach einem Moratorium wie sie von
oder die eine kritische Auseinandersetzung     der Initiative No Humboldt 21! formuliert
statt Rekonstruktion erfordert, sondern in-    wurde gingen weder Parzinger, noch der
dem Historie emotionalisiert und ideologi-     Bund oder das Land Berlin, als Finanzgeber
siert wird.                                    ein. Dabei ist schon der Name der Stiftung,
Ab der geplanten Eröffnung im Jahr 2021        der Parzinger vorsteht fragwürdig. Handelt
– der Eröffnungstermin ist durchaus frag-      es sich bei Raubgut um preußischen Kultur-
lich – sollen im Humboldt-Forum Dauer-         besitz bzw. wie rassistisch ist eine Kultur,
ausstellungen der Sammlungen des Eth-          die sich darauf bruchlos beruft?
nologischen Museums, des Museums für           Im Dezember 2017 wandten sich Mnya-
Asiatische Kunst (Staatliche Museen zu         ka Sururu Mboro und Christian Kopp für
Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbe-        Berlin Postkolonial in einem offenen Brief
sitz), die Berlin Ausstellung (Stadtmuseum     an Angela Merkel, der von 60 Initiativen
Berlin und Kulturprojekte Berlin) und das      und Verbänden unterzeichnet wurde. Sie
Humboldt Labor (Humboldt-Universität zu        orientierten sich am Beispiel des französi-
Berlin) gezeigt werden. Zusammen mit der       schen Präsidenten Macron, der unter dem
Museumsinsel soll eine einzigartige „Kon-      Eindruck der kritischen Debatte formuliert
zentration an Objekten und Kunstwerken“        hatte, eine „zeitweilige oder dauerhafte
geschaffen werden. Die Gewalt- und Kolo-       Rückgabe des afrikanischen Erbes“ zu er-
nialgeschichte findet auf der Webseite keine   möglichen. Ähnliches wird von der Bundes-
Erwähnung. Stattdessen ist die Rede davon,     kanzlerin erwartet. Mboro und Kopp zeigen
dass im Berliner Stadtschloss „einheimische    die Problematik auf, dass „nicht nur franzö-
wie nicht-europäische Objekte aus Natur        sische Museen und Privatsammlungen im

                                                        Magazin vom 29.04.2020 15
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Zuge der Kolonisierung in den Besitz von         sogenannte „Afrikanische Viertel“ im Be-
hunderttausenden Kulturobjekten und von          zirk Wedding gehören. Auch ein Besuch im
zehntausenden menschlichen Gebeinen aus          Afrika-Haus , dessen Ausstellung in diesem
allen Regionen Afrikas gekommen (sind,           LaG-Magazin vorgestellt wird, bietet eine
IS). (...) Die Menge an menschlichen Gebei-      andere Perspektive.
nen aus Afrika ist so groß, dass die Museen
angeblich auch 100 Jahre nach ihrer Aneig-
nung noch immer nicht ermitteln konnten,
von wo und auf welche Art und Weise sie in
die Sammlungen gelangt sind.“ Die Reaktion
von Hermann Parzinger auf diesen Brief war
eindeutig und überheblich. Er unterstellt in
einem Artikel in der FAZ vom 25. Januar
2018 der Initiative fehlendes Verständnis
der „Komplexität von Provenienzforschung“
und versteigt sich sogar zum Vorwurf des
„Populismus“. Mboro und Kopp antworten
in einem Debattenbeitrag auf der Webseite
von No Humboldt 21 ! indem sie Parzinger
„postkolonialen Hochmut“ vorwerfen und
seine Haltung auf den Punkt bringen: „Her-
mann Parzingers Beitrag macht deutlich,
dass der Stiftungspräsident gar keine Vor-
stellung von der historischen Verantwor-
tung hat, die auf seinen Schultern liegt.“
Es ist nicht anzunehmen, dass, nachdem
die Kritik an der Rekonstruktion des Stadt-
schlosses und am Humboldt-Forum über
Jahre ignoriert wurde, das Projekt zu die-
sem späten Zeitpunkt noch grundsätzlich
infrage gestellt wird. Gleichzeitig ist zu er-
warten und zu befürchten, dass es ein Publi-
kumsmagnet, auch für Klassenfahrten wird.
Lehrkräften ist statt eines Besuches zu emp-
fehlen die Angebote von Berlin Postkoloni-
al in Anspruch zu nehmen, zu denen auch
Stadtführungen durch Berlin-Mitte und das

                                                          Magazin vom 29.04.2020 16
Empfehlung Fachbuch

Kolonialismus-Debatte                         Auch im Bezug auf das Humboldt-Forum
                                              gibt es Vorschläge, etwa ein Gedenken an die
Von Lucas Frings                              Opfer des Kolonialismus im Humboldt-Fo-
Im Format „Aus Politik & Kultur“ versam-      rum in Hermann Parzingers angedachtem
meln Olaf Zimmermann und Theo Geißler         Zehn-Punkte-Plan oder Jürgen Zimmerers
seit 2018 Beiträge der gleichnamigen Zei-     Idee das Forum, entsprechend des Raub-
tung des Deutschen Kulturrates, zu mono-      charakters der Benin-Bronzen, in „Benin-
thematischen Bänden. Ein knappes Jahr         Forum“ umzubenennen. Neben den oft sehr
vor der geplanten Eröffnung des Humboldt-     kurzen Texten wirken Gabriele Schulz’ Zu-
Forum erschien im Oktober 2019 Ausgabe        sammenfassung der Bundestagsdebatte zu
17 „Kolonialismus-Debatte: Bestandsauf-       Sammlungsgut, Kirsten Kappert-Gonthers
nahme und Konsequenzen“. Die 59 Zei-          Beitrag zur aktuellen Kolonialismusdebat-
tungsbeiträge, zwischen 2016 und 2019 in      te oder Brigitte Freiholds Forderung nach
„Politik & Kultur“ erschienen, widmen sich    einer Bundesstiftung zur Aufarbeitung der
der Geschichte und den Nachwirkungen des      Kolonialzeit mit zwei bis vier Seiten schon
Kolonialismus sowie der Rolle der Museen,     lang.
insbesondere des Humboldt-Forums (dazu        Im zweiten Kapitel rücken die Museen in
auch Ingolf Seidels Beitrag in diesem Heft)   den Blickpunkt. Wiebke Ahrndt und There-
in dieser Debatte.                            sa Brüheim besprechen die 2018 und 2019
Die Texte des ersten Kapitel „Kolonialismus   erschienen Leitfäden des Deutschen Muse-
– Postkolonialismus – Dekolonisation“ be-     umsbunds zum Umgang mit Sammlungsgut
stehen überwiegend aus Forderungen und        aus kolonialen Kontexten. Im aktualisierten
Vorschlägen, wie mit dem kolonialen Erbe      Leitfaden wurden dabei die Empfehlun-
insbesondere im Museumskontext umge-          gen zu Provenienzforschung, Digitalisie-
gangen werden kann.                           rung und Zusammenarbeit mit Herkunfts-
                                              gesellschaften um die Perspektiven von
Von mehreren Autor*innen werden dabei
                                              Expert*innen aus letzteren erweitert. Dabei
eine Einbindung und Einmischung der Zi-
                                              werden die klassischen Museumsaufgaben
vilgesellschaft, eine Stärkung der Proveni-
                                              Sammeln, Bewahren, Forschen, Vermitteln
enzforschung, eine weltweit zugängliche Da-
                                              um Rückgabe erweitert, die Verpflichtung
tenbank der Objekte samt Provenienz und
                                              bei rechtlich oder ethisch nicht vertretbarer
die Restitution von Kulturgütern gefordert.
                                              Erwerbungsgeschichte, soweit gewünscht,
Olaf Zimmermann und Gabriele Schulz be-
                                              Sammlungsteile an die Herkunftsgesell-
zeichnen dabei die Debatte um Museumsbe-
                                              schaften zurückzugeben.
stände als Katalysator für eine Beendigung
kolonialer Tradition durch eine politische    Dieser Aspekt spielt vor allem für ethnolo-
und wirtschaftliche Gleichberechtigung af-    gische Museen und Sammlungen eine Rol-
rikanischer Länder.                           le, deren Geschichte und Lage in weiteren

                                                       Magazin vom 29.04.2020 17
Empfehlung Fachbuch

Texten thematisiert wird.                       on werden die Vorschläge zum Umgang mit
Mit der Verbindung von Kolonialismus und        kolonialem Sammlungsgut des Deutschen
christlicher Mission setzt sich das spannend    Kulturrats und der Kultusminister*innen
aufgebaute dritte Kapitel auseinander. Auf      von Bund und Ländern dokumentiert und
Texte zur Geschichte dieser wechselseitigen     nebeneinandergestellt, die inhaltlich den
Beziehung folgen Interviews mit den Leitern     Forderungen im ersten Kapitel ähneln.
des Evangelischen und des Berliner Missi-       Die Herausgeber legen mit „Kolonialismus-
onswerks und der Leiterin eines ehemaligen      Debatte. Bestandsaufnahme und Konse-
Missionskollegs, in denen nach der heutigen     quenzen“ eine umfangreiche Vielstimmig-
Definition von Mission und dem Umgang           keit von Perspektiven auf Sammlungspraxen
mit der historischen Verantwortung gefragt      und Museumskonzeption vor. Die Veröf-
wird.                                           fentlichung bietet sehr unterschiedlichen
In vier weiteren Beiträgen wird das Han-        Autor*innen eine Plattform, was in der
deln, die Nachwirkung und ethische Ver-         Kontrastierung zum einen die inhaltlichen
tretbarkeit von christlicher Mission in China   Argumente vermittelt, zum anderen auch
und Tansania diskutiert, allerdings nur in      die politischen Standpunkte deutlich macht.
einem Text wirklich kritisch kommentiert.       Der Raum für geschichts- und kulturpoliti-
In vielen Texten bereits zuvor implizit und     sche Forderungen aus verschiedenen Diszi-
explizit verhandelt, widmet sich das vier-      plinen und Hintergründen im ersten Kapitel
te Kapitel ausschließlich dem „Ringen um        wird der Debatte gerecht, deren Sammlung
das Humboldt Forum“. Unter anderem mit          ist eine Stärke des Bandes. Ob zu Kontrover-
dem ehemaligen Direktor des British Muse-       sität auch gehört, dass Marc Jongen von der
um Neil MacGregor, Kulturstaatsministerin       AfD einen kurzen Text schreiben und die
Monika Grütters und dem Chefkurator der         Agenda seiner Partei verbreiten kann, darf
Berlin-Ausstellung im Humboldt-Forum            angezweifelt werden. Wo hingegen auch
Paul Spies kommen an dieser Stelle meh-         eine Diskussion gelingt, wie im vierten Ka-
rere Schwergewichte deutscher und inter-        pitel, bietet die Publikation einen weiteren
nationaler Kulturpolitik zu Wort. Mehrere       Mehrwert für die Leser*innen.
der Autor*innen sind in die Konzeption des      Zimmermann, Olaf/ Geißler ,Theo: Koloni-
Humboldt-Forums maßgeblich eingebun-            alismus-Debatte: Bestandsaufnahme und
den, so dass der Blick auf das Großprojekt      Konsequenzen (Aus Politik & Kultur 17),
zuerst deutlich weniger kritisch als in den     Berlin 2019. Die Publikation kann auf der
vorherigen Kapiteln ausfällt. Nichtsdesto-      Seite des Deutschen Kulturrats kostenlos
trotz weisen im zweiten Teil des Kapitels       heruntergeladen werden.
mehrere Beiträge auf die anfänglich zurück-
haltende Auseinandersetzung mit dem kolo-
nialen Erbe hin. Zum Schluss der Publikati-

                                                         Magazin vom 29.04.2020 18
Empfehlung Fachbuch

Black Berlin                                    afrikanischen Diasporaleben zusammen
                                                und benennt insbesondere Momente der
Von Lucas Frings                                Selbstbestimmung, wie J.C. Nayo Bruce aus
In ihrem Sammelband haben Oumar Diallo,         Togo, der mit einer eigenen Völkerschau
Geschäftsführer des Afrika-Hauses in Ber-       durch Europa reiste, die Weigerung von He-
lin, und der Historiker Joachim Zeller 30       rero und Nama auf der „Ersten Deutschen
Beiträge zur Geschichte afrikanischen und       Kolonialausstellung“ 1896 in stereotypisie-
afrodeutschen Lebens in Berlin zusammen-        renden Trachten aufzutreten oder die mög-
gebracht. Die Texte von Künstler*innen,         liche Begründung der Berliner Kaffeehaus-
Afrikanist*innen,       Schriftsteller*innen,   kultur durch einen Monsieur Olivier.
Historiker*innen und Aktivist*innen teilen      Als Kontrast zur Arbeit im Dienstleistungs-
sich zum einen chronologisch in Kapitel zu      bereich und in künstlerischen Feldern ist
Menschen afrikanischer Herkunft bis 1918,       Holger Stoeckers Beitrag über afrikanische
afrikanisches Leben zwischen 1918 und 1945      Sprachlektoren interessant. Wenn auch zah-
und afrodeutscher Geschichte nach 1945 so-      lenmäßig eine kleine Gruppe, nahmen sie
wie Porträts Schwarzer Deutscher. Neben         an Universitäten und Kolonialinstituten mit
Artikeln, die einen Überblick über einen be-    ihrer guten Ausbildung und umfangreichem
stimmten Zeitabschnitt geben, finden sich       Kenntnis afrikanischer Sprachen eine wich-
viele Biographien, Vorstellungen von Initia-    tige Rolle ein. Dennoch erfuhren sie trotz
tiven und Vereinen oder Texte über aktuelle     Anerkennung auch Diskriminierung am Ar-
politische Debatten. Nicht alle können an       beitsplatz und wurden erst recht ab 1933 zu
dieser Stelle Berücksichtigung finden.          Studienobjekten degradiert. Stoecker ist es
Joachim Zeller nimmt im ersten Beitrag die      gelungen, eine Reihe von Biographien der
Berlin-Brandenburgische Kolonialgeschich-       Lektoren zu recherchieren. Auch wenn sie in
te von der Gründung der Stützpunktkolo-         der Regel nach wenigen Jahren in ihr Her-
nie Großfriedrichsburg im heutigen Ghana        kunftsland zurückgeschickt wurden, blieben
1683 bis zum Ende des Ersten Weltkrieges        einige länger in Deutschland, manche von
in den Blick. Die ersten Afrikaner in Berlin    ihnen überlebten sogar den Nationalsozia-
– zumeist verschleppt – wurden als Militär-     lismus, wie Bonifatius Folli aus Togo, dem
musiker eingesetzt. Ende des 19. Jahrhun-       1939 aus Furcht vor „deutschlandfeindlicher
derts kamen weitere PoC nach Deutschland,       Propaganda“ (S.80) die Ausreise verweigert
als Bedienstete und Künstler*innen, aber        wurde.
auch zur Ausbildung.                            Eine Übersicht über den zweiten zeitlichen
Insbesondere für die exotisierend-rassis-       Block, 1918-1945, gibt Marianne Bechhaus-
tischen Völkerschauen wurden in den Ko-         Gerst. Durch den Verlust der deutschen Ko-
lonien Darsteller*innen angeworben. Zel-        lonien wurde die Lage von Afrikaner*innen,
ler trägt eine Vielzahl von Zeugnissen des      insbesondere Arbeitslosen, in Berlin

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prekärer. Zum Teil wurden ihnen ihr Sta-      im Jahr darauf die Herausgabe der Zeitung
tus als „Deutscher Schutzbefohlener“ aber-    „afro look“ (in der Erstausgabe noch „Onkel
kannt und versucht sie in ihr Herkunftsland   Tom’s Faust“). In ihrem Beitrag fokussiert
abzuschieben, wo jedoch die neuen Koloni-     Kantara die Gründungszeit der ISD (heute
almächte sie als Deutsche, die zum Teil im    „Initiative Schwarzer Menschen in Deutsch-
Ersten Weltkrieg gekämpft hatten, diskri-     land e.V.) bundesweit und das Zusammen-
minierten. Die verbleibenden afrikanischen    spiel mit „afro look“. In der Zeitung fand
und Schwarzen Deutschen politisierten sich    sich für viele Menschen ein Raum, um die
zunehmend und waren in Gruppen wie der        eigene afrodeutsche Identität zu entdecken
„Liga gegen die Kolonialgreuel und Unter-     und zu verhandeln, zu der auch die Frage
drückung“ organisiert. Spannend ist, wie      nach Begrifflichkeiten gehört: „Sagen wir
Bechhaus-Gerst die ambivalente Haltung        besser ‚Afrodeutsche’ oder ‚Schwarze Deut-
des nationalsozialistischen Regimes ihnen     sche’? Es war eine emotionale und oft hit-
gegenüber aufzeigt. Einerseits wurde ihnen    zige Diskussion.“ Einen festgelegten inhalt-
viele Rechte, wie Reisen ins Ausland oder     lichen Schwerpunkt hatte die Zeitung nicht
dauerhafter Aufenthalt, abgesprochen. An-     bzw. dieser änderte sich, Beiträge über afro-
dererseits wurden sie im Hinblick auf eine    deutsche Geschichte oder rassistische Me-
mögliche Rückgewinnung der Kolonien von       diendarstellungen fanden sich genauso wie
rassistischer Agitation ausgenommen; eine     Gedichte oder Texte zur Vernetzung. Eine
systematische Verfolgung fand nicht statt.    fehlende Kontinuität in der Redaktion und
Nach anfänglichem Ausschluss vom Ar-          finanzielle Probleme sorgten jedoch für die
beitsmarkt konnten Schwarze Deutsche und      Einstellung im Dezember 1999.
Afrikaner*innen in Berlin in „Afrika-Schau-   Im vierten Kapitel „Schwarze Deutsche. Por-
en“ und Filmen eine Anstellung finden. Die    träts und Interviews“ werden bis vor kur-
nationalsozialistischen Machthaber erlaub-    zem oder heute in Berlin lebende Menschen
ten dies, auch weil durch eine Beaufsichti-   vorgestellt. Neben der Dichterin May Ayim
gungspflicht der anstellenden Unternehmen     und dem Herero-Aktivisten Israel Kaunat-
eine gewisse Kontrolle sichergestellt war.    jike werden acht weitere Berliner*innen in
1986 erschien der Sammelband „Farbe be-       Kurzporträts gewürdigt. Etwa der Musiker
kennen“, zur Geschichte schwarzer Men-        Jean Paul Musungay, der im Berliner Afri-
schen in Deutschland und mit biographi-       ka Haus auftritt, Assibi Wartenberg, die im
schen Beiträgen afrodeutscher Frauen.         Wedding ein Restaurant führt und sich über
Jeannine Kantara bezeichnet die Veröffent-    den von ihr mitgegründeten Deutsch-Togo-
lichung als eines der zentralen Ereignisse    ischen Freundeskreis für eine bessere ge-
des „Berliner Frühlingserwachen“ (S.165),     sundheitliche Versorgung im Togo einsetzt
zu dem auch die Gründung der „Initiative      oder Dawit Shanko, der als Schuhputzer in
Schwarze Deutsche“ (ISD) in Hessen und        Addis Abeba aufwuchs, zum Studium nach

                                                       Magazin vom 29.04.2020 20
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Dresden kam und sich heute mit einem Ver-                                      Literatur
ein für die Schuhputzer*innen in seiner Ge-    Diallo, Oumar/ Zeller, Joachim (Hg.): Black
burtsstadt einsetzt.                           Berlin. Die deutsche Metropole und ihre af-
Im Sammelband „Black Berlin“ kommen            rikanische Diaspora in Geschichte und Ge-
Migrations- und Integrationspolitik im da-     genwart, Berlin 2014. 2.Aufl, 17€.
mals und heute, das Verhandeln von Iden-
titäten, Rassismus und Diskriminierungen
zur Sprache, gepaart mit Einblicken in das
Leben von Afrikaner*innen und Schwarzen
Deutschen in Berlin. Den Herausgebern ist
in der Zusammenstellung der Beiträge ein
informativer und gleichsam einfühlsamer
Überblick über die gegenseitigen Verbin-
dungen und Einflüsse der Stadt Berlin und
ihrer Bewohner*innen gelungen. Perspek-
tiven und Handlungsoptionen der Betroffe-
nen stehen dabei durchgehend im Vorder-
grund.
Die Quellenlage über die afrikanische Dia-
spora und das Leben Schwarzer Deutscher
in Berlin bis 1945 ist bedauernswerterweise
eher dünn, insbesondere im Hinblick auf
Selbstzeugnisse. Die Autor*innen dieses
Sammelbandes haben dafür bemerkenswert
viele Geschichten und Biographien aufbe-
reitet. Einzelne Personen, wie der Zugfüh-
rer Martin Dibobe, werden in mehreren
Beiträgen erwähnt, oftmals allerdings aus
unterschiedlichen Perspektiven. Mit dem
Bogen vom 17. Jahrhundert zum Blick auf
und von Menschen, die weitab von großer
Bekanntheit oder Geschichtsbüchern im
heutigen Berlin leben, zeigt „Black Berlin“,
dass die Stadt eine afrikanische und afro-
deutsche Geschichte und Gegenwart hat, die
sich äußerst divers gestaltet bzw. von ihren
Bewohner*innen mitgestaltet wird.

                                                        Magazin vom 29.04.2020 21
Empfehlung Unterrichtsmaterial

Neuengammer Studienhefte.                        somit eine einheitliche Arbeitsgrundlage für
Verflechtungen. Koloniales und                   die Multiplikator*innen. Ebenso wichtig ist
rassistisches Denken und                         die Erläuterung historischer Begrifflichkei-
Handeln im 				                                  ten, wie etwa „Neger“ oder „Mischling“. Die-
Nationalsozialismus.                             se werden eingeordnet und problematisiert,
                                                 so dass sensibel mit den bereitgestellten his-
Von Tanja Kleeh
                                                 torischen Materialien umgegangen werden
In der Reihe der „Neuengammer Studienhef-        kann.
te“ der KZ-Gedenkstätte Neuengamme ist
                                                 Zielgruppe    des    Studienheftes    sind
Anfang 2019 das Heft „Verflechtungen. Ko-
                                                 „Multiplikator*innen der schulischen und
loniales und rassistisches Denken und Han-
                                                 außerschulischen Bildungsarbeit mit Ziel-
deln im Nationalsozialismus. Voraussetzun-
                                                 gruppen ab 16 Jahren“ (S.4). Herausgear-
gen – Funktionen – Folgen“ erschienen. Das
                                                 beitet werden sollen – wie im Titel bereits
Studienheft ist in fünf Kapitel unterteilt. Zu
                                                 deutlich wird – die Verflechtungen zwischen
Beginn steht die Hinführung zum Thema so-
                                                 Kolonialismus und Nationalsozialismus.
wie die Überlegungen der Verfasser*innen,
                                                 Diesem Aspekt wird, so die Verfasser*innen,
die zur Entstehung der Bildungsmaterialien
                                                 bisher in der Bildungsarbeit wenig bis kei-
führten. Angeschlossen sind vier inhaltliche
                                                 ne Aufmerksamkeit geschenkt. Doch gerade
Module, jeweils versehen mit didaktischem
                                                 das nationalsozialistische Deutschland als
Kommentar,       Hintergrundinformationen,
                                                 postkolonialer Staat ist von kolonialen Denk-
Aufgaben sowie Materialien. Zum Abschluss
                                                 mustern beeinflusst gewesen, die „wenn-
des Heftes findet sich ein Glossar.
                                                 gleich in teilweise veränderter Form und mit
                       Aufbau des Heftes         veränderten Funktionen und Folgen, auch
In das Glossar aufgenommen sind Begriffe         nach 1933 deutsche Selbst- und Fremd-
aus den Modulen eins bis fünf, die einer Er-     wahrnehmung und staatliches Handeln“
klärung oder Definition bedürfen. Zur bes-       (S.4) beeinflussten. Um in der Bildungsar-
seren Übersicht wurden diese in den Texten       beit den Zugang zur Thematik zu ermögli-
mit blauer Schriftfarbe gekennzeichnet. In-      chen, werden im Studienheft entsprechend
nerhalb des Glossars sind einzelne Begriffe      „Impulse zu verflechtungsgeschichtliche[n]
ebenfalls blau, wodurch Querverweise ent-        Ansätze[n] in der Bildungsarbeit“ und „An-
stehen. Ein besonders schneller Überblick        regungen für eine multiperspektivische und
entsteht hier in der Onlineversion des Stu-      inklusiv Erinnerungskultur“ (S.4) geboten.
dienheftes mittels verlinkter Querverweise.      Für Multiplikator*innen steht zu Beginn
Zu den Glossarinhalten zählen beispiels-         eine Einführung in die Thematik, was auch
weise die Rassismusdefinition und die Er-        die Auseinandersetzung mit Begrifflichkei-
läuterung des Kolonialismuskonzeptes. Die        ten wie Rassismus bedeutet. Dabei wird im
Verfasser*innen des Studienheftes schaffen       Studienheft auf eine weite Definition von

                                                           Magazin vom 29.04.2020 22
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