LAG - MAGAZIN KOLONIALISMUSAUFARBEITUNG IN BERLIN 29. APRIL 2020 - LERNEN AUS DER GESCHICHTE
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LaG - Magazin Kolonialismusaufarbeitung in Berlin 29. April 2020
Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis Zur Diskussion Berliner Erinnerungslandschaft, postkolonial.........................................................................5 Berlin dekolonisieren. Das Afrika-Haus präsentiert die Dauerausstellung „Berlin - ein post- kolonialer Gedächtnisraum“....................................................................................................9 Das Humboldt-Forum im Berliner Schloss – Ein Symbol des Fortwährens kolonialer und absolutistischer Herrschaft ....................................................................................................14 Empfehlung Fachbuch Kolonialismus-Debatte.............................................................................................................17 Black Berlin.............................................................................................................................19 Empfehlung Unterrichtsmaterialien Neuengammer Studienhefte. Verflechtungen. Koloniales und rassistisches Denken und Handeln im Nationalsozialismus. .........................................................................................22 Empfehlung Web Stadt neu lesen.........................................................................................................................26 Lern- und Erinnerungsort Afrikanisches Viertel...................................................................28 Empfehlung Bildungsträger Berlin Postkolonial.................................................................................................................30 Magazin vom 29.04.2020 2
Einleitung Liebe Leser*innen, Stadtbezirk Mitte. In beiden Fällen setzen wir begrüßen Sie zur aktuellen Ausgabe des sich auch Schwarze Aktivist*innen seit Jah- LaG-Magazins zur Kolonialismusaufarbei- ren und bisher vergeblich für Umbenennun- tung in Berlin. Warum Berlin? Die Stadt gen der Straßennamen ein (s. hierzu auch war seit 1701 preußische Hauptstadt und einen älteren Artikel von Christian Kopp auf war zwischen 1871 und 1945 Hauptstadt LaG: White Myths – Black History. Der Fall des Deutschen Reiches. Hier fand vom 15. der Berliner „Mohrenstaße“). November 1884 bis zum 26. Februar 1885 Es gibt also ausreichend viele Gründe sich die sogenannte Afrika-Konferenz, auch be- mit dem Thema Kolonialismus in Berlin zu kannt als Kongo-Konferenz, statt. Sie diente befassen, zumal die sogenannte Aufarbei- den damaligen Weltmächten zur Verständi- tung zwiespältig ist. Zu selten und zu wenig gung über die Aufteilung und Ausbeutung haben die Stimmen aus der Schwarzen Com- Afrikas. Bernhard von Bülow, formulierte munity ein Gewicht bei Entscheidungen, ge- als Staatssekretär des Auswärtigen Amtes rade auch in Fragen der Restitution geraub- die imperialen Träume des Kaiserreiches ter Kulturgüter. Exemplarisch hierfür steht in einer berühmt-berüchtigten Reichstags- die Diskussion um das Humboldt-Forum. rede am 6. Dezember 1897: „Die Zeiten, wo Auch eine Aufarbeitung des Völkermords der Deutsche dem einen seiner Nachbarn an Nama und Herero steht zumindest im die Erde überließ, dem anderen das Meer öffentlichen Diskurs eher am Anfang. Wir und sich selbst den Himmel reservierte (...) hoffen mit diesem Magazin Lehrkräfte und diese Zeiten sind vorüber“ und weiter „Wir politische Bildner*innen ein wenig zu moti- wollen niemanden in den Schatten stellen, vieren, die Thematik im Unterricht oder in aber wir verlangen auch unseren Platz an Seminaren aufzugreifen. der Sonne.“ Für eine solche imperiale Tra- In einem einleitenden Aufsatz gibt Reinhart dition stehen in Berlin noch etliche Stra- Kößler einen Überblick zur Erinnerungspo- ßennamen, auch wenn die Bülowstraße als litik über den deutschen Kolonialismus an- Teil des sogenannten Generalszuges (Gnei- hand der Berliner Erinnerungslandschaft. senau-, Yorck-, Bülow-, Kleist und Tauent- Joachim Zeller stellt die Ausstellung des zienstraße bis hin zum Kurfürstendamm) Berliner Afrika-Hauses vor und stellt sie in nicht nach dem oben genannten von Bülow den historischen Zusammenhang. benannt wurde, sondern nach dem preußi- schen General Friedrich Wilhelm Bülow von Mit der oben bereits erwähnten Problematik Dennewitz. des Humboldt-Forums im Berliner Stadt- schloss als Teil des historischen Ensembles Deutlicher auf den deutschen Kolonialismus der Straße Unter den Linden beschäftigt verweist das Afrikanische Viertel im Berli- sich Ingolf Seidel. ner Wedding oder die ein rassistisches Ste- reotyp symbolisierende „Mohren“straße im Wir danken den externen Autoren für ihre Magazin vom 29.04.2020 3
Einleitung Beiträge. In eigener Sache Die Corona-Pandemie wirkt sich auch auf unsere Arbeit aus. Förderanträge, von de- nen wir abhängig sind, können nicht immer zeitgerecht erstellt werden, sodass wir ge- nügend Vorlauf zur Erarbeitung eines Ma- gazins haben. Wir haben dafür vollstes Ver- ständnis, müssen aber in der Folge ein für den Mai geplantes LaG-Magazin verschie- ben. Es wird voraussichtlich im Monat Juli erscheinen. Entsprechend unserer Planung erscheint dann am 24. Juni das nächste Magazin. Es stellt die Arbeit des Brandenburger Ver- eins Opferperspektive – Solidarisch gegen Rassismus,Diskriminierung und rechte Ge- walt vor, der unter anderem in der Bera- tungsarbeit von Opfern rechter Gewalt und rassistischer Diskriminierung tätig ist. Ihre LaG-Redaktion Magazin vom 29.04.2020 4
Zur Diskussion Berliner Erinnerungsland- für ein Kolonialdenkmal wurden freilich schaft, postkolonial nicht verwirklicht. Von Reinhart Kößler Die relativ kurze Zeit, die das deutsche Kolo- nialreich währte, hatte einschneidende Fol- Kolonialismus in Berlin – gen. Für die Kolonisierten bedeutete sie über verwobene Geschichte viele Jahre rücksichtslose Gewaltausübung, Berlin spielte für den Kolonialismus eine um den immer wieder aufflammenden Wi- zentrale Rolle. Das ging weit über seine derstand zu brechen – oder wie im Fall der Stellung als Hauptstadt des gut dreißig Jah- in Namibia ab 1911 offiziell so bezeichneten re währenden deutschen Kolonialreiches „Buschmannjagden“ in Namibia einfach in Afrika, Ozeanien und China hinaus. Im diejenigen Menschen zu eliminieren, die Reichkanzler-Palais in der Wilhelmsstraße den Kolonisatoren als Arbeitskräfte nicht tagte 1884/1885 die Kongo-Konferenz, auch geeignet erschienen. Aus dem Gewaltge- bekannt als Berliner Afrika-Konferenz. Auf schehen ragen der 1904-08 in Namibia ver- ihr handelten die „Mächte“ unter Ausschluss übte Völkermord an Ovaherero und Nama jeglicher afrikanischer Vertretung die Mo- hervor. Bei weit höherer Bevölkerungszahl dalitäten aus, unter denen in den folgenden als in Namibia überstieg die Anzahl der Op- Jahren der Kontinent fast vollständig aufge- fer des Maji-Maji-Krieges in Tanzania und teilt wurde. Dieser Raubzug wurde mit dem danach der rücksichtslosen Kampagne des Anspruch bemäntelt, man wolle dem Skla- Schutztruppen-Kommandeurs Lettow-Vor- venhandel vor allem im Kongo-Becken ein beck dieses Verbrechen noch bei weitem. Ende setzen. Lettow-Vorbecks Truppe paradierte 1919 Deutschlands afrikanisches Kolonialreich „ungeschlagen“ durchs Brandenburger Tor. umfasste die heute unabhängigen Staaten Kurz danach wandte er sich gegen Aufstän- Namibia (Deutsch-Südwestafrika), das kon- dische in Deutschland, etwa im Hamburger tinentale Tanzania, Rwanda und Burundi „Sülze-Aufstand“. Es ließ sich schon damals (alle Deutsch-Ostafrika) sowie den Großteil erkennen, dass koloniale Formen der Unter- des heutigen Kamerun und Togo. In Berlin werfung in die Kolonialmetropole zurück- fanden diese Eroberungen auch sehr bald schlugen. sichtbaren Niederschlag: Straßen wurden Für Deutschland markiert die Kolonialherr- nach vorgeblichen Kolonialhelden benannt, schaft auf drei Erdteilen sinnfällig den Be- die oft blutige Unterwerfungsfeldzüge ge- ginn der „Weltpolitik“ und des Kampfes für führt hatten; das Afrikanische Viertel im einen „Platz an der Sonne“ (Bernhard von Norden des Wedding plante man als sinn- Bülow), demnach jener Gewaltgeschichte, fällige Darstellung des Kolonialreichs mit die in Faschismus und Holocaust münde- nach Personen, vor allem aber nach Orten te. Auch wenn er nur vergleichsweise kurz und Flüssen benannten Straßen. Planungen währte, war der deutsche Kolonialismus Magazin vom 29.04.2020 5
Zur Diskussion daher keineswegs eine „Episode“, als den und die Beharrlichkeit derer, die sich mit ihn manche Historiker immer noch herun- dem jahrzehntelangen Beschweigen nicht terspielen. Es handelt sich vielmehr für ein abfinden konnten. Wenn Deutschland ge- Beispiel jener verwobenen Geschichte. Auch legentlich als „Erinnerungsweltmeister“ be- wenn es um drastische Machtgefälle geht, zeichnet wird, so muss immer wieder gesagt lassen sich die Prozesse nicht auf den na- werden, dass vermutlich die Mehrheit erst tionalen Rahmen reduzieren. Wir sind auf mühsam überzeugt werden musste. Und globale Zusammenhänge verwiesen, und diese Überzeugungen bleiben immer um- insbesondere war das Geschehen in den Ko- kämpft, müssen stets aufs Neue aktualisiert lonialmetropolen wie Deutschland untrenn- werden. bar mit kolonialen Verhältnissen verknüpft. Besucher*innen aus Namibia, die ich öfter Deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert in die Mitte Berlins begleite, sind in der Re- lässt nicht außerhalb dieses Verflechtungs- gel beeindruckt und stellen dann wohl die zusammenhangs verstehen. naheliegende Frage: „And what about us?“ Postkoloniale Leere Damit wird unmittelbar deutlich, dass es In der offiziellen deutschen Erinnerungspo- in der in mancher Hinsicht als einzigartig litik und konkret in der Erinnerungsland- zu bezeichnenden Erinnerungslandschaft schaft Berlins findet dieser Zusammenhang der deutschen Hauptstadt eine Lücke gibt. bis heute keine Entsprechung. Vor allem Diese Lücke ist klaffend und unübersehbar, das Ensemble am Tiergarten in der Nähe wenn man einmal dafür sensibilisiert ist. des Brandenburger Tors verweist nach- Freilich trifft dies für den Großteil des Pub- drücklich und öffentlichkeitswirksam auf likums nicht zu. die Verbrechen des Nationalsozialismus. Der deutsche Kolonialismus ist im öffent- Tourist*innen kommen am Holocaust- lichen Bewusstsein so wenig präsent, dass Mahnmal nicht vorbei, die Erinnerungsstät- noch Anfang 2020 ein ehemaliger Außen- ten für die ermordeten Sinti und Roma so- minister sagen konnte, Deutschland sei ko- wie Schwule und Lesben sind eher versteckt, lonial wenig belastet und könne daher eine aber immerhin präsent, jene für die Opfer Vermittlungsrolle etwa in Libyen spielen. der Euthanasie und die Topographie des Die Episode belegt einmal mehr, dass die Terrors nicht weit entfernt. Der Anspruch, Periode der deutschen Kolonialherrschaft das Gedenken an „Auschwitz“ sei heute nach Phasen der aggressiven Kolonialpro- deutsche Staatsräson tritt hier in Stein und paganda und auch noch des Kolonialrevisi- Beton auch repräsentativ in Erscheinung. Es onismus in den 1920er und 1930er Jahren darf nicht übersehen werden, dass diese Si- nach 1945 einer Amnesie verfallen ist. tuation nicht als spontane Reaktion auf die Koloniale Amnesie bedeutet nicht, dass die unaussprechlichen Verbrechen und Schre- koloniale Vergangenheit völlig aus dem ko- cken zustande kam, sondern durch den Mut gnitiven Bereich ausgeschieden wäre. Sie Magazin vom 29.04.2020 6
Zur Diskussion wird seit einigen Jahren sogar verstärkt Von der Marginalisierung erforscht und dementsprechend gibt es in ins Zentrum einer Fachöffentlichkeit auch Wissen darü- Ein solches singuläres Ereignis hat freilich ber. Dieses Wissen wird freilich im öffentli- keine dauerhafte Wirkung auf die Berliner chen Diskurs allenfalls episodenhaft thema- Erinnerungslandschaft. Sucht man dort tisiert. nach Verweisen auf die koloniale Vergan- Bruchstellen kolonialer Amnesie genheit Deutschlands in Afrika, so wird Seit 2004, als der hundertste Jahrestag des man genau an zwei Stellen fündig. Diese Völkermords in Namibia und kurz darauf Stellen befinden sich am Rand öffentlicher des Maji- Maji-Krieges in Ostafrika erstaun- Aufmerksamkeit. Der Fund gelingt nur auf- lich viel Aufmerksamkeit auch in Deutsch- grund genauer Information und Sensibili- land erregten, hat es immer wieder solche sierung. Viele Passant*innen werden auf der Episoden gegeben. In erster Linie standen Westseite der Wilhelmsstraße die schmale sie im Zusammenhang mit der Repatriie- Stele übersehen, die dort an die Berliner Af- rung deportierter menschlicher Überreste rika-Konferenz erinnert. Sie steht vor dem an Namibia, vor allem von der Charité. Dies authentischen Ort, wo einmal das Reichs- geschah 2011, 2014 und 2018, jeweils unter kanzler-Palais stand. Auch gibt sie Auskunft großer Medienöffentlichkeit. Die Repatriie- über das Geschehene. Allerdings ist sie völ- rung 2011 wurde von einer großen namibi- lig unauffällig, und nur diejenigen werden schen Delegation begleitet, der zahlreiche sie finden, die ausdrücklich danach suchen. Nachfahren von Opfern des Völkermordes Das auf private Initiative 2005 aufgestellte angehörten. Es entstanden Beziehungen mit Denkmal kann den Ort also zwar markie- Angehörigen der deutschen Zivilgesellschaft ren, es stellt aber keine Intervention in den und besonders auch der Afro-Deutschen Straßenraum dar, die aktiv zum Innehalten Gemeinschaft. In den folgenden Jahren ent- und Nachdenken auffordern würde. Ohne wickelte sich aus wiederholten Besuchen ein einen speziellen Hinweis laufen die Leute Aktionszusammenhang. Als Ovaherero und daran vorbei. Noch klarer ist dieser Sach- Nama in ihrer traditionellen Kleidung und verhalt beim Afrika-Stein auf dem Neuen mit der Forderung nach eigenständiger Ver- Garnisonsfriedhof. Dieser durch seine teils tretung bei den seit 2015 laufenden Regie- bombastisch kriegerisch gestalteten Grab- rungsverhandlungen zwischen Namibia und stätten an sich bemerkenswerte Ort ist heu- Deutschland auf einer Demonstration durch te den meisten eher durch die am Rand, am die Straße Unter den Linden zogen, vorbei Columbiadamm gelegene Moschee geläufig. am Reiterstandbild des Alten Fritz, bedeu- Den Afrika-Stein finden nur Kundige an der tete dies eine neuartige, unmittelbare Form entfernten Friedhofsmauer. Es handelt sich postkolonialer Präsenz im Herzen von Ber- im Kern um einen Gedenkstein für im Na- lin. mibischen Krieg 1903-08 gefallene deutsche Magazin vom 29.04.2020 7
Zur Diskussion Soldaten, zusätzlich mit einem Aufsatz zum über den Gedenkort an der Neuen Wache Gedenken an das Afrika-Korps im Zweiten sowie aktuell über das aus postkolonialer Weltkrieg. Nach längeren Auseinanderset- Sicht schwer belastete Humboldt-Forum im zungen mit dem Bezirksamt Neukölln wur- nachgebauten Berliner Schloss verspricht de 2009 vor diesen Stein eine Platte gelegt, ein Denkmalsprojekt auch eine öffentliche die den Umriss Namibias zeigt und an den Auseinandersetzung, die weiter dazu beitra- Krieg von 1903-08 erinnert, allerdings auf gen kann, die noch immer vorherrschende amtliche Weisung ohne den Völkermord zu koloniale Amnesie zumindest zu relativie- benennen. ren. Beide Orte werden für öffentliche Ereignisse genutzt: Alljährlich Ende Februar findet seit 2006 hier der Gedenkmarsch zur Erinne- rung an die afrikanischen Opfer von Sklave- rei, Kolonialismus und Rassismus statt. Die Über den Autor: Auseinandersetzung um die Änderung des Reinhart Kößler ist Sozialwissenschaftler und lebt in Berlin im Ruhestand. Zuletzt war er diskriminierenden Namens „Mohrenstra- Direktor des Arnold-Bergstraesser-Instituts ße“, die hier auf die Wilhelmsstraße trifft, ist in Freiburg i.B. Langjährige Beschäftigung mit namibisch-deutscher Erinnerungspolitk, eng mit diesen Aktivitäten verbunden. Am u.a. Namibia and Germany. Negotiating the Afrika-Stein finden vor allem bei Besuchen Past (2015); Völkermord- und was dann? Die Politik der deutsch-namibischen Ver- aus Namibia zeremoniell ausgestaltete öf- gangenheitsbearbeitung (2017, mit Henning fentliche Ereignisse statt. Melber). Die zentrale Erinnerungslandschaft Berlins wird dadurch so wenig verändert wie durch den seit längerem institutionalisierten Aus- bau des Afrikanischen Viertels zum postko- lonialen Erinnerungsort. Ein angemessenes Denkmal wurde 2016 im Koalitionsvertrag für den Berliner Senat erstmals vorgesehen, allerdings vorbehaltlich einer Koordinie- rung mit der Bundesebene. Eine Realisie- rung steht demnach aus. Die Dringlichkeit eines solchen Vorhabens besteht ungeach- tet der institutionellen Hürden, solange der staatlichen Prägung der Erinnerungs- landschaft zumal an zentralen Stellen der Hauptstadt Bedeutung zugemessen wird. Angesichts zurückliegender Debatten, etwa Magazin vom 29.04.2020 8
Zur Diskussion Berlin dekolonisieren. Theateraufführungen veranstaltet werden, Das Afrika-Haus präsentiert die rund um die Geschichte, Politik, Literatur Dauerausstellung „Berlin - ein und Philosophie Afrikas sowie die afrika- postkolonialer nisch-europäischen Beziehungen. Gegrün- Gedächtnisraum“ det wurde es von Oumar Diallo, der aus dem westafrikanischen Guinea stammt. Träger Von Joachim Zeller des mittlerweile seit über 25 Jahren beste- Wer war Georg Adolf Christiani? Wohl weni- henden Afrika-Hauses (www.afrikahaus- ge könnten diese Frage beantworten, selbst berlin.de) ist der ebenfalls von Oumar Dial- Fachleute würden vermutlich nur mit der lo ins Leben gerufene gemeinnützige Verein Achsel zucken. Doch jetzt gibt es die Mög- Farafina e.V. Der Name Farafina bedeutet lichkeit, sich über diesen Menschen und die in der Sprache der grenzüberschreitenden mit ihm verbundene Geschichte zu infor- westafrikanischen Sprache Malinke ‚Afrika’. mieren. Möglich ist dies im Afrika-Haus in Das Wort steht für die Gemeinschaft im Zu- der Bochumer Straße im Stadtteil Moabit sammenleben verschiedener Bevölkerungs- der Bundeshauptstadt. Dort ist seit kurzem gruppen. So versteht sich der Verein als die Ausstellung „Berlin - ein postkolonialer Mittler zwischen Menschen verschiedener Gedächtnisraum“ zu sehen. Gewidmet ist Herkunft, Sprache und Kultur. Der Fokus sie Georg Adolf Christiani. Nach allem was des Afrika-Hauses richtet sich auf Integra- bekannt ist, war er der erste Afrikaner, der tion, entwicklungspolitische und transkul- nachweislich in Berlin gelebt hat. Mit dem turelle Bildungsarbeit. Farafina setzt sich Namen Ebnu kam er im Jahr 1678 nach Ber- besonders auch für Empowerment der Men- lin und wurde 1681 in Spandau auf den Na- schen mit afrikanischen Wurzeln, Toleranz men Georg Adolf Christiani getauft. Nicht und gesellschaftliche Teilhabe ein und en- auszuschließen ist, dass Ebnu aus dem gagiert sich gegen jegliche Form von Rassis- heutigen Ghana stammte, wo im Jahr 1683 mus und Fremdenfeindlichkeit. die kurbrandenburgisch-preußische Stütz- Das neueste Projekt des Afrika-Hauses ist punktkolonie Großfriedrichsburg gegrün- die im Jahr 2019 eröffnete Dauerausstellung det wurde. Damit sind die beiden zentralen zur deutschen Kolonialgeschichte, mit dem Themen der neu eingerichteten Ausstellung besonderen Fokus auf die (post-)koloniale benannt, nämlich die afrikanische Diaspora Metropole Berlin. Die auf großen Stelltafeln in Berlin und der deutsche Kolonialismus, präsentierte, sich an ein breites Publikum der weiter zurückreicht, als dies gemeinhin richtende Ausstellung spannt einen Bogen bekannt ist. von mehreren hundert Jahren. Den Beginn Das Afrika-Haus ist ein interkulturelles Be- markieren die frühen, von deutscher Seite gegnungszentrum, in dem Konzerte, Lesun- unternommenen Expansionsversuche nach gen, Vorträge, Konzerte, Ausstellungen und Übersee. Dazu gehört die Statthalterschaft Magazin vom 29.04.2020 9
Zur Diskussion der Welser im heutigen Venezuela im Jahr Die Besucher*innen können sich darüber 1528. Diese frühneuzeitliche Expansionsge- informieren, dass das Deutsche Reich von schichte Europas in der Folge der portugie- 1871 durch seine expansive Politik nicht sischen Erkundungsfahrten entlang der af- mehr nur eine kontinentale Großmacht, rikanischen Westküste unter Heinrich dem sondern gar eine „Weltmacht“ zu sein be- Seefahrer und der „Entdeckung“ Amerikas anspruchte. Das deutsche Kolonialprojekt durch Christopher Kolumbus im Epochen- war wie der europäische bzw. angloameri- jahr 1492 führte zu dem, was heute (koloni- kanische Kolonialimperialismus jener Tage ale) Globalisierung vor der Globalisierung durch Weltmachtansprüche, wirtschaftspo- genannt wird. Im Verlauf dieses Prozesses litisches Dominanzstreben, nationales Pres- kam es zur Durchsetzung des europazentri- tige und einen rassistisch-sozialdarwinis- schen kapitalistischen Weltmarktes und der tisch unterfütterten Überlegenheitsdünkel transatlantischen Erweiterung des Handels gegenüber dem „Rest der Welt“ geprägt. mit versklavten Afrikaner*innen. In dem zum Zentrum des deutschen Koloni- Dazu gehört der erste kurbrandenburgisch- alimperialismus avancierten Berlin entstand preußische Kolonisationsversuch, der Ende seinerzeit eine Infrastruktur von kolonialen des siebzehnten Jahrhunderts unter Kur- Verwaltungseinrichtungen, wissenschaftli- fürst Friedrich Wilhelm an der westafrika- chen Institutionen, Missionsgesellschaften nischen Küste unternommen wurde. 1682 bis hin zu Verbänden der Koloniallobby. waren die ersten, unter dem roten Adler der Kolonialwarenhäuser boten Erzeugnisse aus Hohenzollern segelnden Schiffe an der so den Kolonien zum Verkauf an. Das Völker- genannten Goldküste gelandet. Über seine kunde-Museum (heute Ethnologisches Mu- Kolonie Großfriedrichsburg beteiligte sich seum) der Reichshauptstadt füllte sich – wie Brandenburg-Preußen nicht nur am Han- viele weitere Museen im Deutschen Reich – del mit Gold und Elfenbein, sondern auch mit den in den Kolonien „erworbenen“ Ob- mit Sklav*innen. Um die 20.000 versklavte jekten und Kunstwerken. Menschen soll die Brandenburgisch-Africa- Natürlich fehlt auch nicht eines der zent- nische Compagnie nach Amerika verschifft ralen Ereignisse der deutschen – und dar- haben, eine Tatsache, die Preußen-Fans über hinaus der europäischen – Kolonial- mitunter nur ungern zur Kenntnis nehmen. geschichte, das in Berlin stattgefunden hat, Der bei Princes Town im heutigen Ghana nämlich die berüchtigte Kongo-Konferenz liegende vollständig erhaltene Festungsbau von 1884/85. Auf ihr wurden die völker- Großfriedrichsburg gehört heute als Mahn- rechtlichen Modalitäten zur Aufteilung Afri- mal zum Weltkulturerbe der Unesco. kas unter den europäischen Kolonialmäch- Der Schwerpunkt der Ausstellung liegt auf ten festgelegt. Viele Afrikaner sprechen aus der Zeit der Überseeherrschaft des wilhelmi- diesem Grund von einer Berlinisation des nischen Kaiserreichs (1884/85 - 1918/19). afrikanischen Kontinents und die Kongo- Magazin vom 29.04.2020 10
Zur Diskussion Konferenz gilt ihnen als ein Menetekel für Kolonien. Die Dibobe-Petition gilt heute als die Fremdbestimmung und Ausbeutung ih- eines der ersten Dokumente des kollektiven res Kontinents. Widerstands der afrikanischen Diaspora in Ein besonderes Anliegen die Ausstellung ist Deutschland gegen Kolonialismus und Ras- es, die kolonisierten Völker nicht einseitig sismus. als Opfer der kolonialen Fremdherrschaft Mit dem Ersten Weltkrieg und dem Ver- der Weißen zu betrachten, sondern auch ihre trag von Versailles, als das Deutsche Reich Handlungsspielräume und ihren Wider- zwangsweise dekolonisiert und gewisserma- stand hervorzuheben. So wird beispielhaft ßen zu einer postkolonialen Nation in einer auf wichtige Aufstände und Befreiungskrie- immer noch kolonialen Weltordnung wur- ge verwiesen, wie den Boxerkrieg in China de, ist die Ausstellung keinesfalls beendet. (1900/01), den Deutsch-Herero-Krieg und Sie wird fortgesetzt mit der Geschichte des Deutsch-Nama-Krieg in Deutsch-Südwest- Kolonialrevisionismus in den 1920er und afrika (1904-08), den Maji-Maji-Krieg in 1930er Jahren. Die verlorengegangenen Deutsch-Ostafrika (1905-07), die Mpa- Kolonien blieben noch lange Gegenstand wmanku-Kriege in Kamerun (1904) oder die schweifender Phantasien und nostalgischer Sokeh-Rebellion auf Ponape (1910/11). Sie Verklärung. Der sich in den 1920er Jahren alle zeugen von dem Ringen um Identitäts- formierende „Kolonialismus ohne Kolo- behauptung und dem Willen der kolonisier- nien“ sollte den Status- und Machtverlust ten Völker, das Joch der Fremdherrschaft kompensieren, den die Deutschen hatten abzuschütteln. hinnehmen müssen. Nicht zuletzt wird die Geschichte der afri- Brandaktuelle Themen, wie die Initiativen kanischen Diaspora beleuchtet, die auch zur Umbenennung kolonialer Straßenna- auf Grund des kolonialen Engagements men, die Repatriierungen von menschli- des Deutschen Reiches entstand. Einer der chen Gebeinen an die vormaligen Kolonien, berühmtesten Persönlichkeiten unter den die Rückgabe von Objekten aus naturkund- Schwarzen Berlinern war der aus Douala/ lichen Sammlungen bis hin zu der gegen- Kamerun stammende Martin Quane a Dibo- wärtig kontrovers geführten Debatte um be. Er arbeitete einige Jahre als Zugführer die koloniale Raubkunst im zukünftigen bei den Berliner Verkehrsbetrieben. 1919 Humboldt Forum in Berlin-Mitte runden wandte er sich in einer an die Weimarer die Präsentation ab. Dem Humboldt Forum Nationalversammlung gerichteten Einga- kommt dabei eine besondere Bedeutung zu, be gegen den Bruch der Völker- und Men- ist es doch der postkoloniale Ort in Deutsch- schenrechte in den deutschen Überseege- land, der im Entstehen begriffen ist. Folgt bieten. Er und seine Mitstreiter forderten man den Verlautbarungen der Verantwort- „Gleichberechtigung und Selbstständigkeit“ lichen, so handelt es sich bei dem Vorhaben für die Menschen in und aus den deutschen um das „wichtigste kulturpolitische Projekt Magazin vom 29.04.2020 11
Zur Diskussion in Deutschland am Beginn des 21. Jahrhun- sind allenthalben wahrzunehmen, und zwar derts“. Nicht weniger als ein „Weltkultur- nicht nur vonseiten der rechtspopulisti- museum“ neuen Formats, ein „Ort des Di- schen und -extremistischen AfD, die einen alogs der Kulturen der Welt“ soll entstehen. regelrechten Kulturkampf gegen ein weltof- Die Ausstellung im Afrika-Haus schließt fenes, liberales Kulturleben führt. sich dagegen der in den letzten Jahren ge- Davon abgesehen ist in der Bundeshaupt- äußerten Kritik an und nimmt eine klare Po- stadt – wie in anderen Städten Land auf sition zum Humboldt Forum ein: In dieser Land ab – einiges in Bewegung gekommen. feudalistischen Herrschaftsarchitektur des Im August 2019 beschloss das Berliner Ab- rekonstruierten Stadtschlosses könne man geordnetenhaus, die „Entwicklung eines keine „ethnologischen Objekte“ ausstellen, gesamtstädtischen Aufarbeitungs- und Er- die koloniale Gier in die vormalige „Koloni- innerungskonzepts zur Geschichte und zu almetropole“ Berlin gebracht hat. Gefordert den Folgen des Kolonialismus des Landes werden Restitutionen von Kulturgütern aus Berlins“ auf den Weg zu bringen. Zum an- Afrika und anderen Kontinenten. deren ist Anfang des Jahres 2020 eine auf Oumar Diallo gehört mit seinem mittlerwei- die Dauer von fünf Jahren angelegte „Ini- le zur Institution gewordenen Afrika-Haus tiative für postkoloniales Erinnern in der zu jenen zivilgesellschaftlichen Akteuren, Stadt“ gestartet worden. Geplant sind Aus- die ihren Beitrag dazu leisten wollen, die De- stellungen, Veranstaltungen, Festivals und kolonialisierung Berlins voran zu bringen. künstlerische Interventionen im Stadtraum Er verweist darauf, dass eine wirkliche De- sowie eine Web-Kartierung kolonialer Orte kolonialisierung, die den Namen verdient, in Berlin, in Deutschland und in den vor- neben den politischen und sozialökonomi- maligen deutschen Kolonien. Koordiniert schen Prozessen auch Wissensarchive und werden sollen die Vorhaben durch das zivil- Mentalitäten umfasst, um nicht zuletzt den gesellschaftliche Bündnis „Decolonize Ber- „kolonialen Blick“ auf Afrika zu überwin- lin“. Senat und Bund werden für das Projekt den. Erreicht werden kann dies nur durch zusammen 3 Millionen Euro zur Verfügung ein dialogisches Erzählen, eine inklusive stellen. In Zusammenarbeit mit dem Bund Geschichtsschreibung und integrativ ge- strebt die Landesregierung auch die Errich- prägte Erinnerungskultur, die die Stimmen tung einer zentralen Gedenkstätte als Lern- der Opfer und Täter und ihrer Nachfahren, und Erinnerungsort an und die Städtepart- von Weißen und Schwarzen, einschließt. Die nerschaft zwischen Berlin und Windhoek Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit soll weiter ausgebaut werden. bietet nicht zuletzt den Anlass dafür, über Der Aktivist Oumar Diallo wird sich weiter das Selbstverständnis der bundesdeutschen in dieser Sache engagieren. Er will die He- Gesellschaft als Migrationsgesellschaft rausforderungen in unserer globalisierten nachzudenken. Die Widerstände dagegen Welt annehmen und hält es mit dem Motto, Magazin vom 29.04.2020 12
Zur Diskussion das Johann Wolfgang von Goethe in einem Briefwechsel mit Friedrich Schiller treffend ausdrückte: „Jeden Tag erwarte ich einen neuen Weltbürger in meinem Hause, den ich doch gerne freundlich empfangen möchte.“ Goethe erwartete die Weltbürger in seinem Hause in Weimar, Oumar Diallo empfängt sie in seinem Berliner Afrika-Haus. Über den Autor: Joachim Zeller, Dr., Historiker in Berlin. Zuletzt erschien von ihm: „Deutschland postkolonial? Die Gegenwart der imperialen Vergangenheit“ (Mitherausgeber, 2018, 2. Aufl. 2020) Magazin vom 29.04.2020 13
Zur Diskussion Das Humboldt-Forum im Reiterstandbild von Friedrich, der gerne Berliner Schloss – Ein Symbol der Große genannt wird, gehört. Die Straße des Fortwährens kolonialer und Unter den Linden steht also für eine mon- absolutistischer Herrschaft archistische Tradition par excellence. Die Nationalsozialisten haben schließlich noch Von Ingolf Seidel eine Verlängerung bis zur Schlossbrücke Am 12. Juni 2013 erfolgte die Grundstein- hinzugefügt. An der Kontinuität änderte legung des Humboldt-Forums in Berlin, die 1947 erfolgte Umbenennung des Kaiser- gelegen an einer Achse der Stadt, die vom Franz-Joseph-Platzes, Ort auch der natio- Brandenburger Tor bis an die Museumsin- nalsozialistischen Bücherverbrennungen, sel reicht. Einer Achse, deren Ursprung im in Bebelplatz wenig. Eine Chance mit dieser kurfürstlichen Reitweg Johann Georgs aus Tradition und dem ihr innewohnenden Na- dem Jahr 1573 zu finden ist, der mit dem tionalismus symbolisch zu brechen wurde Weg den nahegelegenen Tiergarten mit dem im Zuge des Wettbewerbs um die Errich- Stadtschloss, der Residenz der Hohenzol- tung eines Denkmals für die ermordeten lern, verbinden wollte. Seinen etwas mick- Juden Europas vertan. Der Künstler Horst rigen Charakter verlor dieser Weg, als er Hoheisel hatte als Teil seines Wettbewerbs- zuerst von Friedrich I. zu einer Magistrale beitrages vorgeschlagen das Brandenbur- ausgebaut wurde. Aus ihr wurde eine Allee ger Tor zu zermahlen und die Überreste auf mit Linden, an der die Akademien der Küns- dem dann ehemaligen Grundriss zu ver- te sowie der Wissenschaft gebaut wurden streuen. Für Hoheisel war damit die Frage und die in der westlichen Verlängerung bis verbunden, ob sich Deutschland angesichts zum Charlottenburger Schloss reichte. der Shoah von einem herausragenden na- Einen weiteren Ausbau erfuhr die Straße ab tionalen Symbol verabschieden würde. Das dem Jahr 1740 durch Friedrich II., der das Ergebnis ist bekannt. Palais des Prinzen Heinrich, späterer bauli- Eine zweite Möglichkeit des Bruchs wird cher Ausgangspunkt für die Humboldt-Uni- mit dem Wiederaufbau des Stadtschlosses, versität, das Opernhaus, die St. Hedwigs- auch bekannt als Berliner Schloss, nicht nur Kathedrale und die Königliche Bibliothek vergeben. Vielmehr wird hier eine Tradition in errichten ließ. Aus der Zeit dieses preußi- von Gewaltgeschichte erneuert, die mit der schen Königs stammt auch das Brandenbur- Straße und dem historischen Ort des Schlos- ger Tor, mit dem der Klassizismus als hege- ses verbunden ist. Manifest wird dies in der monialer preußischer Baustil Einzug hielt. baulichen Ausführung. So heißt es auf der Die Reihe lässt sich fortsetzen über den Webseite des Projekts „Humboldt Forum im dritten Friedrich, der Karl Friedrich Schin- Berliner Schloss“ im Entwurf des Architek- kel den östlichen Teil der Achse gestal- ten Franco Stella würden sich „historische ten ließ, wozu das noch heute stehende Schönheit auf selbstverständliche Weise Magazin vom 29.04.2020 14
Zur Diskussion mit der Gegenwart, gestalterisch, technisch und Kunst, Wissenschaft und Geschichte und städtebaulich“ verbinden. In der Tat. mehrere Räume“ füllten. In ihnen sollten Nur wird der architektonische Problemcha- die weißen Besucher*innen „die gesamte rakter des ehemaligen Barockbaus, der für Welt durch das Betrachten, Ordnen oder absolutistische Herrschaft steht, außer Acht Ausprobieren der unterschiedlichen Samm- gelassen. lungsgegenstände ergründen können“. Die Auch das Konzept des Humboldt-Forums Provenienz der gezeigten Objekte, die viel- will solche Traditionslinien fortführen. So fach Raubgut aus der Kolonialzeit sind, wird sollen „die Visionen der ehemaligen Berliner schlicht ausgeblendet. Kunstkammer im Berliner Schloss wieder Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung spürbar“ werden, heißt es auf der Webprä- Preußischer Kulturbesitz, hat bereits 2011 senz. Angeknüpft wird explizit an die fürst- das Nutzungskonzept unter dem Titel „Das lichen Kunst- und Wunderkammern mit Humboldt-Forum: Soviel Welt mit sich ver- einer Idee, die Geschichte nicht als diskon- binden als möglich“ vorgestellt. Auf die For- tinuierlich im Sinne Walter Benjamins fasst derung nach einem Moratorium wie sie von oder die eine kritische Auseinandersetzung der Initiative No Humboldt 21! formuliert statt Rekonstruktion erfordert, sondern in- wurde gingen weder Parzinger, noch der dem Historie emotionalisiert und ideologi- Bund oder das Land Berlin, als Finanzgeber siert wird. ein. Dabei ist schon der Name der Stiftung, Ab der geplanten Eröffnung im Jahr 2021 der Parzinger vorsteht fragwürdig. Handelt – der Eröffnungstermin ist durchaus frag- es sich bei Raubgut um preußischen Kultur- lich – sollen im Humboldt-Forum Dauer- besitz bzw. wie rassistisch ist eine Kultur, ausstellungen der Sammlungen des Eth- die sich darauf bruchlos beruft? nologischen Museums, des Museums für Im Dezember 2017 wandten sich Mnya- Asiatische Kunst (Staatliche Museen zu ka Sururu Mboro und Christian Kopp für Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbe- Berlin Postkolonial in einem offenen Brief sitz), die Berlin Ausstellung (Stadtmuseum an Angela Merkel, der von 60 Initiativen Berlin und Kulturprojekte Berlin) und das und Verbänden unterzeichnet wurde. Sie Humboldt Labor (Humboldt-Universität zu orientierten sich am Beispiel des französi- Berlin) gezeigt werden. Zusammen mit der schen Präsidenten Macron, der unter dem Museumsinsel soll eine einzigartige „Kon- Eindruck der kritischen Debatte formuliert zentration an Objekten und Kunstwerken“ hatte, eine „zeitweilige oder dauerhafte geschaffen werden. Die Gewalt- und Kolo- Rückgabe des afrikanischen Erbes“ zu er- nialgeschichte findet auf der Webseite keine möglichen. Ähnliches wird von der Bundes- Erwähnung. Stattdessen ist die Rede davon, kanzlerin erwartet. Mboro und Kopp zeigen dass im Berliner Stadtschloss „einheimische die Problematik auf, dass „nicht nur franzö- wie nicht-europäische Objekte aus Natur sische Museen und Privatsammlungen im Magazin vom 29.04.2020 15
Zur Diskussion Zuge der Kolonisierung in den Besitz von sogenannte „Afrikanische Viertel“ im Be- hunderttausenden Kulturobjekten und von zirk Wedding gehören. Auch ein Besuch im zehntausenden menschlichen Gebeinen aus Afrika-Haus , dessen Ausstellung in diesem allen Regionen Afrikas gekommen (sind, LaG-Magazin vorgestellt wird, bietet eine IS). (...) Die Menge an menschlichen Gebei- andere Perspektive. nen aus Afrika ist so groß, dass die Museen angeblich auch 100 Jahre nach ihrer Aneig- nung noch immer nicht ermitteln konnten, von wo und auf welche Art und Weise sie in die Sammlungen gelangt sind.“ Die Reaktion von Hermann Parzinger auf diesen Brief war eindeutig und überheblich. Er unterstellt in einem Artikel in der FAZ vom 25. Januar 2018 der Initiative fehlendes Verständnis der „Komplexität von Provenienzforschung“ und versteigt sich sogar zum Vorwurf des „Populismus“. Mboro und Kopp antworten in einem Debattenbeitrag auf der Webseite von No Humboldt 21 ! indem sie Parzinger „postkolonialen Hochmut“ vorwerfen und seine Haltung auf den Punkt bringen: „Her- mann Parzingers Beitrag macht deutlich, dass der Stiftungspräsident gar keine Vor- stellung von der historischen Verantwor- tung hat, die auf seinen Schultern liegt.“ Es ist nicht anzunehmen, dass, nachdem die Kritik an der Rekonstruktion des Stadt- schlosses und am Humboldt-Forum über Jahre ignoriert wurde, das Projekt zu die- sem späten Zeitpunkt noch grundsätzlich infrage gestellt wird. Gleichzeitig ist zu er- warten und zu befürchten, dass es ein Publi- kumsmagnet, auch für Klassenfahrten wird. Lehrkräften ist statt eines Besuches zu emp- fehlen die Angebote von Berlin Postkoloni- al in Anspruch zu nehmen, zu denen auch Stadtführungen durch Berlin-Mitte und das Magazin vom 29.04.2020 16
Empfehlung Fachbuch Kolonialismus-Debatte Auch im Bezug auf das Humboldt-Forum gibt es Vorschläge, etwa ein Gedenken an die Von Lucas Frings Opfer des Kolonialismus im Humboldt-Fo- Im Format „Aus Politik & Kultur“ versam- rum in Hermann Parzingers angedachtem meln Olaf Zimmermann und Theo Geißler Zehn-Punkte-Plan oder Jürgen Zimmerers seit 2018 Beiträge der gleichnamigen Zei- Idee das Forum, entsprechend des Raub- tung des Deutschen Kulturrates, zu mono- charakters der Benin-Bronzen, in „Benin- thematischen Bänden. Ein knappes Jahr Forum“ umzubenennen. Neben den oft sehr vor der geplanten Eröffnung des Humboldt- kurzen Texten wirken Gabriele Schulz’ Zu- Forum erschien im Oktober 2019 Ausgabe sammenfassung der Bundestagsdebatte zu 17 „Kolonialismus-Debatte: Bestandsauf- Sammlungsgut, Kirsten Kappert-Gonthers nahme und Konsequenzen“. Die 59 Zei- Beitrag zur aktuellen Kolonialismusdebat- tungsbeiträge, zwischen 2016 und 2019 in te oder Brigitte Freiholds Forderung nach „Politik & Kultur“ erschienen, widmen sich einer Bundesstiftung zur Aufarbeitung der der Geschichte und den Nachwirkungen des Kolonialzeit mit zwei bis vier Seiten schon Kolonialismus sowie der Rolle der Museen, lang. insbesondere des Humboldt-Forums (dazu Im zweiten Kapitel rücken die Museen in auch Ingolf Seidels Beitrag in diesem Heft) den Blickpunkt. Wiebke Ahrndt und There- in dieser Debatte. sa Brüheim besprechen die 2018 und 2019 Die Texte des ersten Kapitel „Kolonialismus erschienen Leitfäden des Deutschen Muse- – Postkolonialismus – Dekolonisation“ be- umsbunds zum Umgang mit Sammlungsgut stehen überwiegend aus Forderungen und aus kolonialen Kontexten. Im aktualisierten Vorschlägen, wie mit dem kolonialen Erbe Leitfaden wurden dabei die Empfehlun- insbesondere im Museumskontext umge- gen zu Provenienzforschung, Digitalisie- gangen werden kann. rung und Zusammenarbeit mit Herkunfts- gesellschaften um die Perspektiven von Von mehreren Autor*innen werden dabei Expert*innen aus letzteren erweitert. Dabei eine Einbindung und Einmischung der Zi- werden die klassischen Museumsaufgaben vilgesellschaft, eine Stärkung der Proveni- Sammeln, Bewahren, Forschen, Vermitteln enzforschung, eine weltweit zugängliche Da- um Rückgabe erweitert, die Verpflichtung tenbank der Objekte samt Provenienz und bei rechtlich oder ethisch nicht vertretbarer die Restitution von Kulturgütern gefordert. Erwerbungsgeschichte, soweit gewünscht, Olaf Zimmermann und Gabriele Schulz be- Sammlungsteile an die Herkunftsgesell- zeichnen dabei die Debatte um Museumsbe- schaften zurückzugeben. stände als Katalysator für eine Beendigung kolonialer Tradition durch eine politische Dieser Aspekt spielt vor allem für ethnolo- und wirtschaftliche Gleichberechtigung af- gische Museen und Sammlungen eine Rol- rikanischer Länder. le, deren Geschichte und Lage in weiteren Magazin vom 29.04.2020 17
Empfehlung Fachbuch Texten thematisiert wird. on werden die Vorschläge zum Umgang mit Mit der Verbindung von Kolonialismus und kolonialem Sammlungsgut des Deutschen christlicher Mission setzt sich das spannend Kulturrats und der Kultusminister*innen aufgebaute dritte Kapitel auseinander. Auf von Bund und Ländern dokumentiert und Texte zur Geschichte dieser wechselseitigen nebeneinandergestellt, die inhaltlich den Beziehung folgen Interviews mit den Leitern Forderungen im ersten Kapitel ähneln. des Evangelischen und des Berliner Missi- Die Herausgeber legen mit „Kolonialismus- onswerks und der Leiterin eines ehemaligen Debatte. Bestandsaufnahme und Konse- Missionskollegs, in denen nach der heutigen quenzen“ eine umfangreiche Vielstimmig- Definition von Mission und dem Umgang keit von Perspektiven auf Sammlungspraxen mit der historischen Verantwortung gefragt und Museumskonzeption vor. Die Veröf- wird. fentlichung bietet sehr unterschiedlichen In vier weiteren Beiträgen wird das Han- Autor*innen eine Plattform, was in der deln, die Nachwirkung und ethische Ver- Kontrastierung zum einen die inhaltlichen tretbarkeit von christlicher Mission in China Argumente vermittelt, zum anderen auch und Tansania diskutiert, allerdings nur in die politischen Standpunkte deutlich macht. einem Text wirklich kritisch kommentiert. Der Raum für geschichts- und kulturpoliti- In vielen Texten bereits zuvor implizit und sche Forderungen aus verschiedenen Diszi- explizit verhandelt, widmet sich das vier- plinen und Hintergründen im ersten Kapitel te Kapitel ausschließlich dem „Ringen um wird der Debatte gerecht, deren Sammlung das Humboldt Forum“. Unter anderem mit ist eine Stärke des Bandes. Ob zu Kontrover- dem ehemaligen Direktor des British Muse- sität auch gehört, dass Marc Jongen von der um Neil MacGregor, Kulturstaatsministerin AfD einen kurzen Text schreiben und die Monika Grütters und dem Chefkurator der Agenda seiner Partei verbreiten kann, darf Berlin-Ausstellung im Humboldt-Forum angezweifelt werden. Wo hingegen auch Paul Spies kommen an dieser Stelle meh- eine Diskussion gelingt, wie im vierten Ka- rere Schwergewichte deutscher und inter- pitel, bietet die Publikation einen weiteren nationaler Kulturpolitik zu Wort. Mehrere Mehrwert für die Leser*innen. der Autor*innen sind in die Konzeption des Zimmermann, Olaf/ Geißler ,Theo: Koloni- Humboldt-Forums maßgeblich eingebun- alismus-Debatte: Bestandsaufnahme und den, so dass der Blick auf das Großprojekt Konsequenzen (Aus Politik & Kultur 17), zuerst deutlich weniger kritisch als in den Berlin 2019. Die Publikation kann auf der vorherigen Kapiteln ausfällt. Nichtsdesto- Seite des Deutschen Kulturrats kostenlos trotz weisen im zweiten Teil des Kapitels heruntergeladen werden. mehrere Beiträge auf die anfänglich zurück- haltende Auseinandersetzung mit dem kolo- nialen Erbe hin. Zum Schluss der Publikati- Magazin vom 29.04.2020 18
Empfehlung Fachbuch Black Berlin afrikanischen Diasporaleben zusammen und benennt insbesondere Momente der Von Lucas Frings Selbstbestimmung, wie J.C. Nayo Bruce aus In ihrem Sammelband haben Oumar Diallo, Togo, der mit einer eigenen Völkerschau Geschäftsführer des Afrika-Hauses in Ber- durch Europa reiste, die Weigerung von He- lin, und der Historiker Joachim Zeller 30 rero und Nama auf der „Ersten Deutschen Beiträge zur Geschichte afrikanischen und Kolonialausstellung“ 1896 in stereotypisie- afrodeutschen Lebens in Berlin zusammen- renden Trachten aufzutreten oder die mög- gebracht. Die Texte von Künstler*innen, liche Begründung der Berliner Kaffeehaus- Afrikanist*innen, Schriftsteller*innen, kultur durch einen Monsieur Olivier. Historiker*innen und Aktivist*innen teilen Als Kontrast zur Arbeit im Dienstleistungs- sich zum einen chronologisch in Kapitel zu bereich und in künstlerischen Feldern ist Menschen afrikanischer Herkunft bis 1918, Holger Stoeckers Beitrag über afrikanische afrikanisches Leben zwischen 1918 und 1945 Sprachlektoren interessant. Wenn auch zah- und afrodeutscher Geschichte nach 1945 so- lenmäßig eine kleine Gruppe, nahmen sie wie Porträts Schwarzer Deutscher. Neben an Universitäten und Kolonialinstituten mit Artikeln, die einen Überblick über einen be- ihrer guten Ausbildung und umfangreichem stimmten Zeitabschnitt geben, finden sich Kenntnis afrikanischer Sprachen eine wich- viele Biographien, Vorstellungen von Initia- tige Rolle ein. Dennoch erfuhren sie trotz tiven und Vereinen oder Texte über aktuelle Anerkennung auch Diskriminierung am Ar- politische Debatten. Nicht alle können an beitsplatz und wurden erst recht ab 1933 zu dieser Stelle Berücksichtigung finden. Studienobjekten degradiert. Stoecker ist es Joachim Zeller nimmt im ersten Beitrag die gelungen, eine Reihe von Biographien der Berlin-Brandenburgische Kolonialgeschich- Lektoren zu recherchieren. Auch wenn sie in te von der Gründung der Stützpunktkolo- der Regel nach wenigen Jahren in ihr Her- nie Großfriedrichsburg im heutigen Ghana kunftsland zurückgeschickt wurden, blieben 1683 bis zum Ende des Ersten Weltkrieges einige länger in Deutschland, manche von in den Blick. Die ersten Afrikaner in Berlin ihnen überlebten sogar den Nationalsozia- – zumeist verschleppt – wurden als Militär- lismus, wie Bonifatius Folli aus Togo, dem musiker eingesetzt. Ende des 19. Jahrhun- 1939 aus Furcht vor „deutschlandfeindlicher derts kamen weitere PoC nach Deutschland, Propaganda“ (S.80) die Ausreise verweigert als Bedienstete und Künstler*innen, aber wurde. auch zur Ausbildung. Eine Übersicht über den zweiten zeitlichen Insbesondere für die exotisierend-rassis- Block, 1918-1945, gibt Marianne Bechhaus- tischen Völkerschauen wurden in den Ko- Gerst. Durch den Verlust der deutschen Ko- lonien Darsteller*innen angeworben. Zel- lonien wurde die Lage von Afrikaner*innen, ler trägt eine Vielzahl von Zeugnissen des insbesondere Arbeitslosen, in Berlin Magazin vom 29.04.2020 19
Empfehlung Fachbuch prekärer. Zum Teil wurden ihnen ihr Sta- im Jahr darauf die Herausgabe der Zeitung tus als „Deutscher Schutzbefohlener“ aber- „afro look“ (in der Erstausgabe noch „Onkel kannt und versucht sie in ihr Herkunftsland Tom’s Faust“). In ihrem Beitrag fokussiert abzuschieben, wo jedoch die neuen Koloni- Kantara die Gründungszeit der ISD (heute almächte sie als Deutsche, die zum Teil im „Initiative Schwarzer Menschen in Deutsch- Ersten Weltkrieg gekämpft hatten, diskri- land e.V.) bundesweit und das Zusammen- minierten. Die verbleibenden afrikanischen spiel mit „afro look“. In der Zeitung fand und Schwarzen Deutschen politisierten sich sich für viele Menschen ein Raum, um die zunehmend und waren in Gruppen wie der eigene afrodeutsche Identität zu entdecken „Liga gegen die Kolonialgreuel und Unter- und zu verhandeln, zu der auch die Frage drückung“ organisiert. Spannend ist, wie nach Begrifflichkeiten gehört: „Sagen wir Bechhaus-Gerst die ambivalente Haltung besser ‚Afrodeutsche’ oder ‚Schwarze Deut- des nationalsozialistischen Regimes ihnen sche’? Es war eine emotionale und oft hit- gegenüber aufzeigt. Einerseits wurde ihnen zige Diskussion.“ Einen festgelegten inhalt- viele Rechte, wie Reisen ins Ausland oder lichen Schwerpunkt hatte die Zeitung nicht dauerhafter Aufenthalt, abgesprochen. An- bzw. dieser änderte sich, Beiträge über afro- dererseits wurden sie im Hinblick auf eine deutsche Geschichte oder rassistische Me- mögliche Rückgewinnung der Kolonien von diendarstellungen fanden sich genauso wie rassistischer Agitation ausgenommen; eine Gedichte oder Texte zur Vernetzung. Eine systematische Verfolgung fand nicht statt. fehlende Kontinuität in der Redaktion und Nach anfänglichem Ausschluss vom Ar- finanzielle Probleme sorgten jedoch für die beitsmarkt konnten Schwarze Deutsche und Einstellung im Dezember 1999. Afrikaner*innen in Berlin in „Afrika-Schau- Im vierten Kapitel „Schwarze Deutsche. Por- en“ und Filmen eine Anstellung finden. Die träts und Interviews“ werden bis vor kur- nationalsozialistischen Machthaber erlaub- zem oder heute in Berlin lebende Menschen ten dies, auch weil durch eine Beaufsichti- vorgestellt. Neben der Dichterin May Ayim gungspflicht der anstellenden Unternehmen und dem Herero-Aktivisten Israel Kaunat- eine gewisse Kontrolle sichergestellt war. jike werden acht weitere Berliner*innen in 1986 erschien der Sammelband „Farbe be- Kurzporträts gewürdigt. Etwa der Musiker kennen“, zur Geschichte schwarzer Men- Jean Paul Musungay, der im Berliner Afri- schen in Deutschland und mit biographi- ka Haus auftritt, Assibi Wartenberg, die im schen Beiträgen afrodeutscher Frauen. Wedding ein Restaurant führt und sich über Jeannine Kantara bezeichnet die Veröffent- den von ihr mitgegründeten Deutsch-Togo- lichung als eines der zentralen Ereignisse ischen Freundeskreis für eine bessere ge- des „Berliner Frühlingserwachen“ (S.165), sundheitliche Versorgung im Togo einsetzt zu dem auch die Gründung der „Initiative oder Dawit Shanko, der als Schuhputzer in Schwarze Deutsche“ (ISD) in Hessen und Addis Abeba aufwuchs, zum Studium nach Magazin vom 29.04.2020 20
Empfehlung Fachbuch Dresden kam und sich heute mit einem Ver- Literatur ein für die Schuhputzer*innen in seiner Ge- Diallo, Oumar/ Zeller, Joachim (Hg.): Black burtsstadt einsetzt. Berlin. Die deutsche Metropole und ihre af- Im Sammelband „Black Berlin“ kommen rikanische Diaspora in Geschichte und Ge- Migrations- und Integrationspolitik im da- genwart, Berlin 2014. 2.Aufl, 17€. mals und heute, das Verhandeln von Iden- titäten, Rassismus und Diskriminierungen zur Sprache, gepaart mit Einblicken in das Leben von Afrikaner*innen und Schwarzen Deutschen in Berlin. Den Herausgebern ist in der Zusammenstellung der Beiträge ein informativer und gleichsam einfühlsamer Überblick über die gegenseitigen Verbin- dungen und Einflüsse der Stadt Berlin und ihrer Bewohner*innen gelungen. Perspek- tiven und Handlungsoptionen der Betroffe- nen stehen dabei durchgehend im Vorder- grund. Die Quellenlage über die afrikanische Dia- spora und das Leben Schwarzer Deutscher in Berlin bis 1945 ist bedauernswerterweise eher dünn, insbesondere im Hinblick auf Selbstzeugnisse. Die Autor*innen dieses Sammelbandes haben dafür bemerkenswert viele Geschichten und Biographien aufbe- reitet. Einzelne Personen, wie der Zugfüh- rer Martin Dibobe, werden in mehreren Beiträgen erwähnt, oftmals allerdings aus unterschiedlichen Perspektiven. Mit dem Bogen vom 17. Jahrhundert zum Blick auf und von Menschen, die weitab von großer Bekanntheit oder Geschichtsbüchern im heutigen Berlin leben, zeigt „Black Berlin“, dass die Stadt eine afrikanische und afro- deutsche Geschichte und Gegenwart hat, die sich äußerst divers gestaltet bzw. von ihren Bewohner*innen mitgestaltet wird. Magazin vom 29.04.2020 21
Empfehlung Unterrichtsmaterial Neuengammer Studienhefte. somit eine einheitliche Arbeitsgrundlage für Verflechtungen. Koloniales und die Multiplikator*innen. Ebenso wichtig ist rassistisches Denken und die Erläuterung historischer Begrifflichkei- Handeln im ten, wie etwa „Neger“ oder „Mischling“. Die- Nationalsozialismus. se werden eingeordnet und problematisiert, so dass sensibel mit den bereitgestellten his- Von Tanja Kleeh torischen Materialien umgegangen werden In der Reihe der „Neuengammer Studienhef- kann. te“ der KZ-Gedenkstätte Neuengamme ist Zielgruppe des Studienheftes sind Anfang 2019 das Heft „Verflechtungen. Ko- „Multiplikator*innen der schulischen und loniales und rassistisches Denken und Han- außerschulischen Bildungsarbeit mit Ziel- deln im Nationalsozialismus. Voraussetzun- gruppen ab 16 Jahren“ (S.4). Herausgear- gen – Funktionen – Folgen“ erschienen. Das beitet werden sollen – wie im Titel bereits Studienheft ist in fünf Kapitel unterteilt. Zu deutlich wird – die Verflechtungen zwischen Beginn steht die Hinführung zum Thema so- Kolonialismus und Nationalsozialismus. wie die Überlegungen der Verfasser*innen, Diesem Aspekt wird, so die Verfasser*innen, die zur Entstehung der Bildungsmaterialien bisher in der Bildungsarbeit wenig bis kei- führten. Angeschlossen sind vier inhaltliche ne Aufmerksamkeit geschenkt. Doch gerade Module, jeweils versehen mit didaktischem das nationalsozialistische Deutschland als Kommentar, Hintergrundinformationen, postkolonialer Staat ist von kolonialen Denk- Aufgaben sowie Materialien. Zum Abschluss mustern beeinflusst gewesen, die „wenn- des Heftes findet sich ein Glossar. gleich in teilweise veränderter Form und mit Aufbau des Heftes veränderten Funktionen und Folgen, auch In das Glossar aufgenommen sind Begriffe nach 1933 deutsche Selbst- und Fremd- aus den Modulen eins bis fünf, die einer Er- wahrnehmung und staatliches Handeln“ klärung oder Definition bedürfen. Zur bes- (S.4) beeinflussten. Um in der Bildungsar- seren Übersicht wurden diese in den Texten beit den Zugang zur Thematik zu ermögli- mit blauer Schriftfarbe gekennzeichnet. In- chen, werden im Studienheft entsprechend nerhalb des Glossars sind einzelne Begriffe „Impulse zu verflechtungsgeschichtliche[n] ebenfalls blau, wodurch Querverweise ent- Ansätze[n] in der Bildungsarbeit“ und „An- stehen. Ein besonders schneller Überblick regungen für eine multiperspektivische und entsteht hier in der Onlineversion des Stu- inklusiv Erinnerungskultur“ (S.4) geboten. dienheftes mittels verlinkter Querverweise. Für Multiplikator*innen steht zu Beginn Zu den Glossarinhalten zählen beispiels- eine Einführung in die Thematik, was auch weise die Rassismusdefinition und die Er- die Auseinandersetzung mit Begrifflichkei- läuterung des Kolonialismuskonzeptes. Die ten wie Rassismus bedeutet. Dabei wird im Verfasser*innen des Studienheftes schaffen Studienheft auf eine weite Definition von Magazin vom 29.04.2020 22
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