11 WIEN HAT GEWÄHLT - DIE ALTERNATIVE BLOG

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                    WIEn Hat gewählt

Herausgegeben von
                      November 2020
                      Einzelheft: 2,50 Euro
                      Abonnement: 17 Euro
                      P.b.b., Verlagspostamt 1040
                      02Z031242 M, Kd.-Nr: 0 021 012 558
11 WIEN HAT GEWÄHLT - DIE ALTERNATIVE BLOG
TERMINE

Meilensteine in der Gleichbehandlung                       Theorieansätzen in der Bildungstätigkeit österrei-
Vortrag von Sandra Konstatzky, Juristin,                   chischer Gewerkschaften (in der späten Habsbur-
Leiterin der Gleichbehandlungsanwaltschaft                 germonarchie, in der Ersten und Zweiten Republik)
                                                           wissenschaftlich auseinanderzusetzen und dabei auch
Seit dem EU-Beitritt Österreichs gelten die einschlägi-    die Zusammenhänge mit der ökonomischen Situation
gen Gleichbehandlungsrichtlinien. Im Jahr 2000 erwei-      und der politischen Kultur herzustellen.
terte sich das Spektrum über das Geschlecht hinaus.        Dies soll in einer Reihe von öffentlichen wissenschaftli-
Heute gilt in den Mitgliedsstaaten ein umfassendes         chen Workshops und Arbeitsgesprächen (unter Einbezie-
Diskriminierungsverbot auch hinsichtlich ethnischer        hung österreichischer und internationaler Expertinnen
Zugehörigkeit, Religion und Weltanschauung, Alter,         und Experten) geschehen.
sexueller Orientierung und Behinderung. Im Jahr 2000       Die Ergebnisse dieser Arbeitsgespräche werden zeitnah
wurde auch die Notwendigkeit von Gleichbehandlungs-        zu den Veranstaltungen publiziert.
stellen erwähnt. Die Gleichbehandlungsanwaltschaft
stellt heute eine wesentliche Institution im Kampf gegen   Donnerstag, 19. November 2020, 16:00–19:00
Diskriminierung und für die Förderung von Gleichstel-      IWK – www.iwk.ac.at | Berggasse 17, 1090 Wien
lung dar.

Mittwoch, 11. November 2020, 19:00                         Schule und Schulpolitik in Österreich im 21. Jahrhundert
Depot, Breite Gasse 3, 1070 Wien                           Präsentation
In Kooperation mit der Österreichischen
Gesellschaft für Politische Bildung                        Im Rahmen eines Innovationslabors im Masterstudien-
                                                           gang PUBLIC MANAGEMENT an der Fachhochschule
                                                           Campus Wien wurden im Sommersemester 2018 und im
Demokratie im Ausnahmezustand                              Sommersemester 2019 in kleinen Arbeitsgruppen Ideen
Buchpräsentation und Gespräch                              zu einer neuen Schule (einer Schule, in die wir alle
                                                           gerne gegangen wären und die wir künftigen Generati-
Demokratie ist systemrelevant. Die Coronakrise zeigt       onen von Kindern wünschen) entwickelt. Die Arbeits-
Stärken und Schwächen von demokratischen Systemen          ergebnisse dieser Innovationslabors werden präsentiert,
auf, so auch in Österreich. Tamara Ehs vermittelt in       sollen weiter diskutiert und im Rahmen des Arbeitskrei-
sieben Lektionen, was es braucht, um Demokratie            ses SCHULE zu einem systematischen Konzept gestaltet
krisenfest zu machen. Notsituationen wird es auch in       werden.
Zukunft geben, doch ein Abwägen zwischen Sicherheit
und Freiheit darf in keiner Krise aufgegeben werden.
Freiheitsrechte sind nicht etwas, was der Staat gewährt,   Donnerstag 03. Dezember 2020, 15:00–18:00
sondern etwas, das er gewährleistet! Was braucht es,
                                                           IWK – www.iwk.ac.at | Berggasse 17, 1090 Wien
damit selbst in einem Ausnahmezustand demokratische
Grundrechte gewahrt werden?

Tamara Ehs: Krisendemokratie. Sieben Lektionen aus         Menschenrechte in Europa: Testfall Roma
der Coronakrise. Mandelbaum Verlag, Wien 2020.             Geh denken!
                                                           Mirjam Karoly, Politologin, Österreichischer
Dienstag, 17. November 2020, 19.00                         Volkgruppenbeirat für Roma, Romano Centro
Depot, Breite Gasse 3, 1070 Wien
                                                           An die 12 Millionen Roma leben in Europa, sie zählen
                                                           zu den größten Minderheiten. Dennoch sind sie von
Gewerkschaften in Österreich nach 1945 I                   Rassismus und struktureller Diskriminierung betroffen.
Workshop | Theorie und Praxis der gewerkschaftlichen       2011 hat die EU den Rahmen für Nationale Strategien
Bildungsarbeit in Österreich                               zur Integration der Roma beschlossen. Wie steht es um
                                                           die internationalen und nationalen Bemühungen vor
Theoretische Begründung für gewerkschaftliche              dem Hintergrund der gegenwärtigen Debatte um eine
Organisationsweisen, die Vertretung der Interessen         Fortführung von Maßnahmen zur sozialen Inklusion
arbeitender Menschen und die damit zusammenhängen-         von Roma post-2020?
den Bildungstätigkeiten werden selten zum Gegenstand
universitärer und außeruniversitärer Forschung.            Donnerstag, 10. Dezember 2020, 19:00
Daher wird versucht, sich kontinuierlich und systema-      Depot, Breite Gasse 3, 1070 Wien
tisch mit zum Teil verdrängten und verschütteten

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Alternative 11 2020

                 INDEX

s. 4 – 5 KURZMELDUNGEN aus der Arbeitswelt                                                                       Editorial
s. 6		 KOLUMNE Veronika Litschel		                                                                               von Renate Vodnek

THEMA
s. 7 – 8		Linke Mehrheit, anyone?
s. 9		    Pass Egal Wahl | Moria

INTERNATIONAL                                                                                  Die Wahlen in Wien sind geschlagen – zu Redaktions-
s. 10 		 EU-Mercosur-Leak                                                                      schluss dauern die Koalitionsverhandlungen noch an. Es
s. 11		      Große Konzerne,                                                                   ist also noch nicht klar, ob SPÖ-Grün, SPÖ-ÖVP oder
		 kleiner Steuerbeitrag?                                                                      SPÖ-Neos kommt. Was klar ist, dass immer weniger
                                                                                               Wiener*innen wahlberechtigt sind: rund 30 Prozent durften
COMIC                                                                                          ihre Stimme nicht abgeben. Nur bei der Pass-egal Wahl
s. 12 / 13		 MUCH                                                                              von SOS Mitmensch, da sind alle in Wien lebende
                                                                                               Menschen gleich(wahl)berechtigt. Mehr dazu findet sich
ARBEITSMARKT                                                                                   im Blattinneren.
s. 14 – 17		 AMS Frauenprogramm
                                                                                               Corona lässt uns auch im Herbst nicht los – und auch
GEWERKSCHAFT UND BETRIEB                                                                       die Situation am Arbeitsmarkt bleibt angespannt.
                                                                                               Besonders betroffen dabei sind wie so oft die Frauen. Ina
s. 18 – 19		 Corona im Herbst                                                                  Freudenschuß und Nadja Bergmann analysieren die Situation
s. 20 – 21		 Roadmap Gesundheit 2020                                                           und die Gleichstellungswirkung der unterschiedlichen
s. 22		      Reformvorschläge für mobile                                                       AMS-Angebote.
		 Pflege und Betreuung                                                                        Corona zeigt die Probleme im Gesundheitsbereich: chro-
                                                                                               nische Unterfinanzierung, schlechte Arbeitsbedingungen
MAGAZIN                                                                                        und Entlohnung. Die UG Arbeitsgruppe Gesundheit,
                                                                                               Pflege und Soziales hat sich die Roadmap Gesundheit 2020
s. 23		 Filmvorstellung
                                                                                               angeschaut und stellt fest: diese kann nur ein erster Schritt
s. 24   REZENSION Unerhörte Nachrichten.                                                       in Richtung einer grundlegenden Neufassung des Gesund-
                                                                                               heits- und Krankenpflegegesetzes sein.

                                                                                               Abschließend möchte ich auf unser Kino-Gewinnspiel
                                                                                               hinweisen: Wir verlosen 2 x 2 Karten für den Film „Now“,
                                                                                               der demnächst in den Kinos läuft. Zur Teilnahme bitte ein
                                                                                               Mail an auge@ug-oegb.at schreiben.

IMPRESSUM
Medieninhaber, Verleger Alternative und Grüne GewerkschafterInnen
(AUGE/UG) Herausgeberin Unabhängige GewerkschafterInnen im ÖGB
(UG/ÖGB) Redaktion Renate Vodnek, Layout Stefanie Hintersteiner

Alle 1040, Belvederegasse 10/1, Telefon (01) 505 19 52-0, Fax (01) 505 19 52-22,
E-Mail für Abonnement auge@ug-oegb.at, Redaktion alternative@ug-oegb.at,
Internet www.ug-oegb.at, Bankverbindung (14 000) Kto.Nr. 00 110 228 775,
BIC BAWAATWW, IBAN AT30 1400 0001 1022 8775.
Dass namentlich gezeichnete Beiträge nicht unbedingt der Meinung der
Redaktion oder des Herausgebers oder der Herausgeberin entsprechen müssen,
versteht sich von selbst. Titel und Zwischentitel fallen in die Verantwortung der
Redaktion, Cartoons in die Freiheit der Kunst. Textnachdruck mit Quellenangabe
gestattet, das Copyright der Much-Cartoons liegt beim Künstler.
DVR 05 57 021. ISSN 1023-2702

                                   In diesem Magazin werden folgende Schriften verwendet:
                                                                                                                                                   3
                                   Share / Linux Libertine / Linux Biolinum / Sansus
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Kurzmeldungen                                    Alternative 11 2020

Kurzmeldungen aus der Arbeitswelt
 AUGE/UG Betriebsrats-Vernetzung                                Bei unserem Treffen hat sich gezeigt, dass
           Home-office                                        Betriebsrät*innen hier in einem Spannungsverhält-
                                                              nis stehen und es wichtig ist, Arbeitnehmer*innen
Im Oktober fand die Betriebsrat-Vernetzung zum                gut zu informieren und zu schützen. Wir haben
Thema Home-Office & mobiles Arbeiten in den                   diskutiert, welche (rechtlichen) Forderungen wir
Räumlichkeiten des ÖGB statt. Auf Basis der Er-               diesbzgl. an die Politik haben und welche zentralen
fahrungen während des Lockdowns haben die Be-                 Fragen in Betriebsvereinbarungen oder Kollektiv-
triebsrät*innen der AUGE/UG gemeinsam darüber                 verträgen geregelt werden müssen.
diskutiert, wie die Arbeit von zuhause gestaltet
werden soll und welche Risiken sie birgt.                           Mayr-Melnhof: Protest gegen
   Denn es hat sich gezeigt, dass ortsunabhängi-
                                                                       StandortschlieSSung
ges Arbeiten auch abseits von Corona im Trend
liegt - aber nicht bei allen. Gerade für Arbeitneh-           Der Kartonhersteller Mayr-Melnhof will seinen
mer*innen die keine passende Arbeitssituation in              Standort in Hirschwang in Niederösterreich noch
ihrem Zuhause vorfinden, Betreuungspf lichten                 2020 schließen. Trotz Rekordergebnisse in den letz-
haben, neu im Betrieb sind oder für ihre Arbeit               ten Jahren: So wurden 2018 und 2019 jeweils 10
auf den Austausch mit Kolleg*innen angewiesen                 Millionen Euro an Dividende ausgeschüttet. 2018
sind, ist Home-Office keine praktikable Lösung.               wurde der Standort sogar konzernweit als „Werk
Zudem erhöht sich die Gefahr, dass länger - und               des Jahres“ ausgezeichnet. Dem Management ist
häufig auch außerhalb der vereinbarten Arbeits-               die gute Performance aber offenbar egal und damit
zeiten - gearbeitet wird. Die Abgrenzung zwischen             verlieren 150 Arbeitnehmer*innen den Arbeitsplatz.
Arbeit und Privatleben fällt schwerer und führt vor              Mitte Oktober fand aus Protest gegen die Stand-
allem bei Frauen* oft zu mehr Belastung. Auch die             ortschließung eine öffentliche Betriebsversammlung
Auswirkungen auf die psychische Gesundheit von                vor der Wiener Konzernzentrale zeitgleich zur Auf-
Arbeitnehmer*innen war in unserer Diskussion ein              sichtsratssitzung statt. Einen ersten Erfolg brachte
großes Thema - Stichwort Vereinsamung. Soziale                die öffentliche Betriebsversammlung bereits am
Kontakte werden mit Home-Office deutlich redu-                Vorabend. Betriebsrat und Gewerkschaft konnten in
ziert. Auch Betriebsratsarbeit und Arbeitskämpfe              der fünften Verhandlungsrunde eine Einigung über
werden erschwert, wenn Kolleg*innen nicht mehr                einen Sozialplan inklusive einer Arbeitsstiftung und
im Betrieb, in der Kantine, am Gang oder eben im              einem Vorruhestandsmodell für die Beschäftigten
Betriebsratsbüro angetroffen werden.                          auf den Weg bringen.
   Dennoch gibt es auch positive Seiten: Anfahrtswe-             Klaudia Frieben von der Produktionsgewerkschaft
ge fallen weg und Privat- und Berufsleben lassen sich         PRO-GE und Karl Dürtscher von der Gewerkschaft
mitunter besser in Einklang bringen, die zeitliche            der Privatangestellten, Druck, Journalismus, Papier
und örtliche Souveränität der Arbeitnehmer*innen              (GPA-djp) forderten Mayr-Melnhof auf, notwendige
steigt. Und das gefällt vielen Arbeitnehmer*innen.            Investitionen für das angrenzende Verpackungswerk
   Aber Achtung! Auch Arbeitgeber*innen wittern               Neupack durchzuführen, um die Zukunft dieses
Vorteile, die wiederum oft zu Lasten der Beschäf-             Werkes zu sichern und damit auch für Arbeitsplätze
tigten gehen. So können zahlreiche Kosten dadurch             zu sorgen.
auf die Arbeitnehmer*innen abgewälzt werden:
Heizung, Strom, (mobile) Arbeitsgeräte, Klimaan-                         MAN muss in Steyr bleiben!
lage, Kantine, Kaffeeküche, Versicherung - um nur
einige zu nennen. Überwachung, Leistungs- und                 Etwa 5.000 Menschen protestierten Mitte Oktober
Verhaltenskontrollen können für Chefs und Che-                am Steyrer Stadtplatz gegen die Schließung des
finnen mitunter ebenso erleichtert werden. Viele              profitablen MAN-Standortes. Rund 2.400 Arbeitneh-
Arbeitgeber*innen sehen darin die Möglichkeit sich            merInnen sind unmittelbar betroffen, dazu kommen
Kosten für die entsprechenden Räumlichkeiten zu               tausende Beschäftigte bei Zulieferern
ersparen und wollen Mitarbeiter*innen daher kein                 Große Empörung und Zorn über Management
Büro bzw. keinen fixen Arbeitsplatz mehr zur Ver-             und Eigentümer waren spürbar, schließlich ist der
fügung stellen.                                               Standortsicherungsvertrag für Steyr noch kein Jahr
                                                              alt.

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11 WIEN HAT GEWÄHLT - DIE ALTERNATIVE BLOG
Alternative 11 2020                                Kurzmeldungen

  Entsetzen nach Kündigungen bei                               die letzte Runde erneut ohne Ergebnis unterbrochen.
   Swarovski via GroSSbildschirm                               Die Arbeitgeber sind nicht einmal bereit, die In-
                                                               f lationsrate abzugelten. Auch eine Corona-Prämie
Die Kündigungsmethoden des Kristallkonzerns Swa-               wird abgelehnt. Deshalb berufen die Gewerkschaf-
rovski haben es in sich: Mitarbeiter*innen sollen via          ten PRO-GE und GPA-djp am 19. Oktober eine Be-
Großbildschirmen von ihrer Kündigung erfahren                  triebsrät*innen-Konferenz ein. (Ergebnisse nach
haben. Üblicherweise gibt es für Kündigungen keine             Redaktionsschluss)
Formvorschriften, wie sie ausgesprochen werden                     Zwar sei die Branche mit dem Geschäftsrückgang
müssen. Aber das bedeutet nicht, dass eine Vor-                in der Gastronomie konfrontiert, der Privatkonsum
gehensweise, die rechtlich in Ordnung ist, nicht               lasse aber die Brauereien gut durch die Coronakrise
moralisch verwerf lich ist. Auch datenschutzrecht-             kommen. Die nächste Verhandlungsrunde wurde
lich ist es bedenklich, wenn Kündigungen vor dem               für den 23. November vereinbart.
versammelten Team verkündet werden, betont
ÖGB-Arbeitsrechtsexperte Michael Trinko.                               300 Euro Corona-Prämie für
                                                                         Beschäftigte in privater
           Brauer-KV: vierte                                                 Kinderbetreuung
        Verhandlungsrunde ohne
                                                               Die Gewerkschaften GPA-djp und vida konnten
         Ergebnis unterbrochen                                 bei den Verhandlungen rund um den Mindestlohn-
                                                               tarif für Beschäftigte in privaten Kindergärten,
Die rund 3.500 Brauerei-Beschäftigten kämpfen                  angestellte Tageseltern und KinderbetreuerInnen
nun bereits seit vier Verhandlungsrunden um einen              in Kindergruppen eine Corona-Prämie in der Höhe
Kollektivvertragsabschluss. Mitte Oktober wurde                von 300 Euro erreichen.

                                                                                                                5
11 WIEN HAT GEWÄHLT - DIE ALTERNATIVE BLOG
Alternative 11 2020

                                                         KOLUMNE Veronika Litschel

Gesellschaftlicher Rückbau mit Corona

Hat es im Frühjahr nach einer vorrübergehenden Ausnahmesituation ausgesehen,
wird zunehmend eine neue Normalität daraus. Der Herbst und die damit ver-
bundenen Erkältungswellen verschärfen die Lage weiter. Statt einem höf lichen
oder fröhlichen „Gesundheit“ beim Niesen, kommen seltsame Blicke, stille
Vorwürfe der Gefährdung. Das ist die individuelle Ebene und die macht müde.
Verbunden mit der eigenen Unsicherheit über Ansteckung, drohenden Jobverlust,
Unplanbarkeit.

Soziologische Studien über die Folgen stehen noch aus, aber einiges ist auch ohne
diese absehbar. Denn Maßnahmen, die Folgen von COVID-19 abfedern sollen,
deuten zumeist in eine gleiche Richtung. Die Bewältigung der Herausforderungen
hat vielfach „privat“ zu passieren. Zwar ist geregelt, mit wie vielen Personen
zugleich die Freizeit verbracht werden darf, Arbeitnehmer_innen-Schutz im
Home-Office lässt aber neben anderem weiter auf sich warten. Fragen des Ver-
sicherungsschutzes, der Arbeitszeit, der Doppelbelastung, der Nutzung privater
Ressourcen, das alles verbleibt in einer Grauzone. Für Arbeitnehmer_innen,
die nicht ortsungebunden arbeiten, erschweren sich die Arbeitsbedingungen.
Unter Maske wird es heiß, der Kopf wird warm, es ist anstrengend. Die Zusam-
menarbeit ist schwieriger, weil die Kommunikation anders funktioniert. Hohe
Flexibilität ist gefragt, um Ausfälle von Kolleg_innen, sei es wegen Krankheit
oder Betreuungspf lichten, kurzfristig und schnell zu kompensieren. Und über
allem hängt das Damoklesschwert des drohenden Jobverlusts.

Natürlich wäre es möglich jetzt andere Prioritäten zu setzen, die Chance zu
nutzen, dort zu verändern, wo es schon lange nicht gut funktioniert. Stattdessen
zeichnet sich der Rückbau hart erkämpfter Verbesserungen ab. Wer verlieren
wird ist absehbar. Vor allem die Frauen. Auch wenn die gesetzten Maßnahmen
vor der hand nicht spezifisch mit Frauen zu tun haben, sind sie geschlechts-
blind. Die Regierung-Agenda ist ein konservativer Rückbau mit neoliberaler
Schlagseite. Und mit einer gewissen Häme Frauen gegenüber. Ein Beispiel: Z

                                                                                     •
um wiederholten Mal wird die Abschaffung der Hacklerregelung gefordert.
Unter anderem mit der Argumentation, dass diese Frauen und „vor allem die
Mütter“ (Zitat Aschbacher) benachteiligt. Grundsätzlich in der Analyse nicht
falsch, das Ergebnis ist aber zynisch.

Der Mix zwischen Politik für (große) Unternehmen und Verunsicherung von
Arbeitnehmer_innen schafft eine Einschränkung der Handlungsmacht von
Lohnabhängigen. Ein Schelm, wer da an Zufall glaubt. Die Vorgabe der sozialen
Distanzierung, um die Ansteckungszahlen in den Griff zu bekommen, erschwert
Organisation, Solidarität und Widerstand. Die Bewältigung all der Auswir-
kungen wird in den privaten Bereich verschoben, das trifft immer Frauen. Die
Errungenschaften der Gleichstellung sind zarte Pf lanzen in der nach wie vor
einzementierten gesellschaftlichen Arbeitsteilung und schnell wieder verblüht.
Das geht nicht mit einem Knall, sondern schleichend, aber nachhaltig. Daher
und trotz Müdigkeit und stetiger Wiederholung: Gleichstellung zu erkämpfen
nutzt immer allen und darauf dürfen wir nie vergessen.

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11 WIEN HAT GEWÄHLT - DIE ALTERNATIVE BLOG
Alternative 11 2020                                        Thema

Linke Mehrheit,
anyone?
Notizen zur Wien-Wahl 2020
Sagen wir's wie es ist: Es gibt nur eine
Koalitionsvariante die eine lebenswerte
Stadt - für alle - im Blick hat. Doch zuerst
eine Analyse der Wahlergebnisse.

Implosion - Das rechtsextreme Lager ist kollabiert. Die    Führende Rolle im rechten Lager. Die ÖVP kam mit
FPÖ kommt auf 7,11 % - das ist ein Minus von 23,7 %.       20,4 % noch knapp über die 20-%-Marke, das ist ein
Ein historisches Minus. Auch das Team HC hat nicht         Plus von 11,2 Prozentpunkten. Die Zahl ihrer Abgeord-
punkten können – mit 3, 3 % haben sie die 5-%-Hürde        neten stieg von sieben auf 22. Natürlich ist dies dem
verfehlt um in den Gemeinderat einzuziehen.                katastrophalen FPÖ-Wahlergebnis geschuldet. Bei der
                                                           Nationalratswahl kam die ÖVP in Wien allerdings auf
Das ist erstmal gut. Das ist gut, weil die Rechten         25 %, das heißt da wäre noch Luft nach oben gewesen,
damit über weniger Ressourcen verfügen – weniger           rechnete man die Implosion der FPÖ mit ein.
Geld, weniger Ämter, weniger Redezeit.
   Dies ist aber als Zeitfenster zu begreifen! Ein Zeit-   Im Wahlkampf hörte man oft: Seine Partei wird
fenster das es zu nutzen gilt, um der FPÖ endlich          trotz, nicht wegen Blümel zulegen. Die Wahlmotiv--
langfristig den Nährboden zu entziehen. Denn es war        forschung von SORA zeigt: Ein gutes Viertel der
nicht der Verdienst linker Programme und Visionen,         Befragten, d ie fü r d ie ÖV P sti m mten, gab das
die zu diesem Absturz geführt haben.                       Partei-Programm als wichtigsten Grund an. Als zweit-
                                                           wichtigsten Grund, Spitzenkandidat Blümel. Allein,
Rote Kernthemen, aber kein Häupl. Mit einem Plus           geglaubt hat niemand, dass Blümel nach Wien geht.
von zwei Prozentpunkten im Vergleich zur Gemein-           Die ÖVP setze ihre rechts-konservative Einstellung
deratswahl 2015 kommt die SPÖ auf 41,6 % und ist           im Wiener Wahlkampf fort. Gerne benutze man da
damit Wahlsiegerin.                                        Wordings der FPÖ, wie etwa Gernot Blümel: „2015
   Spannend ist, dass in absoluten Zahlen die SPÖ          darf sich nicht wiederholen“. Oder Leonhard Wassi,
von tausenden Menschen weniger als noch 2015 unter         Obmann der Jungen ÖVP in Floridsdorf, der sich bei
Amtsvorgänger Michael Häupl gewählt wurde. Im              der Wahldiskussion der Gewerkschaftsjugend nicht
Jahr 2015 machten noch fast 330.000 Wiener_innen           zu schade war, den Macheten-Sager von Strache und
ihr Kreuz bei den Roten, am vergangenen Sonntag            Nepp zu borgen.
nur knapp über 300.000. Die FPÖ wählten gut 200.000
Personen weniger als noch 2015, Neos, ÖVP und Grüne         Erfolgskurs der Grünen setzt sich fort. Mit 14,8 % und
verzeichnen in Prozent wie auch in einzelnen Stimmen        einem Plus von 2,9 % der Stimmen haben die Grünen
ein Plus. Dies hat mit der Wahlberechtigung und mit         das historisch beste Ergebnis bei den Wien-Wahlen
der sinkenden Wahlbeteiligung zu tun.                       erreicht. Mit 16 Mandaten – ein Plus von 6 Mandaten
                                                           – gehen sie gestärkt aus der Wahl hervor.
Wie ein Bürgermeister Ludwig nun nach seinem ersten            Damit konnte der grüne Juniorpartner in einer Ko-
Wahlerfolg tickt, wird sich zeigen. Im Wahlkampf            alition in Krisenzeiten dazu gewinnen. Das Mittragen
war Ludwig neben roten Kernthemen wie sozialer              der menschenverachtenden ÖVP-Politik – Stichwort
Wohnbau und ein gutes Gesundheitssystem bei anderen         Moria – auf Bundesebene hat den Grünen in Wien
linken Themen eher verhalten: Stichwort Integration         nicht geschadet. Es stellt sich die Frage: Ist es den
und Moria. Bei der Puls24-Elefantenrunde hat sich           Wähler_innen zu wenig wichtig, muss es erst sickern
Ludwig demonstrativ dazu nicht geäußert. Aus folgen-        oder wurde ihnen die fehlende Durchsetzungskraft
den Gründen: Bei den Flächenbezirken ist bei diesem         geglaubt!?
Thema nichts zu holen. Häupl wäre wohl nicht still             Die Botschaft „Wer in Wien Rot-Grün will, muss
gewesen. Da vermisst man die launige Häupl-Haltung.         Grün wählen“ ist bei den Wähler_innen auf jeden Fall

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Thema                                            Alternative 11 2020

angekommen. Denn es zeigt sich, Ludwig ist offen-           und einen Rechtsanspruch auf Einbürgerung für hier
sichtlich kein Garant dafür.                                geborene oder lange hier lebende Menschen, damit bei
                                                            der nächsten Wien-Wahl wieder mehr als die Hälfte
Neben der Covid19-Pandemie, scheinen die Wiener_innen       der Wohnbevölkerung zur Wahlurne geht!
das Ziel die Klimakrise zu bewältigen nicht aus den
Augen verloren zu haben. In einer Runde der Chef-           Koalitionspoker. Bürgermeister Ludwig hat mehrere
redakteur_innen im ORF wurde kontrovers über die            Optionen der Zusammenarbeit: Eine Fortsetzung von
Spitzenkandidat_innen diskutiert. Bei einem Punkt war       Rot-Grün, Rot-Türkis oder Rot-Pink. Laut Umfragen ist
man sich einig: Niemand hat so Themen gesetzt wie           Rot-Grün die beliebteste Variante bei den Wiener_innen.
Birgit Hebein. Die zusätzlichen Radwege, eine autofreie     Doch schon während des Wahlkampfes gab es einige
Stadt, der Pool am Gürtel – am Thema Klimahauptstadt        Zeichen der SPÖ an die Neos. Man framte sie als „nicht
Wien kam man nicht vorbei. Das wünschenswerte               so neoliberal“ wie im Bund und lobte das Engagement
langfristige Ziel ist es, die Klimafrage mit der sozialen   in der Bildung. Allein: Die Agenden liegen in Wien
Frage zu verbinden – ob das bei den Wähler_innen            seit jeher in SPÖ-Hand. Kaum vorstellbar, dass die
schon angekommen ist, darf bezweifelt werden.               Roten bereit wären, hier Zugeständnisse zu machen.
                                                            Abgesehen davon scheint es absurd, dass gerade die SPÖ
Die Grünen Wien ließen im Wahlkampf mit einer ihrer         Wien vergisst, wofür die Neos stehen: für knallharte
Hauptforderungen aufhorchen: eine 35-Stunden-Woche          neoliberale Politik, die sie nach den Interessen der
für alle 65.000 Beschäftigten der Stadt Wien. Durch         Unternehmen und Konzerne ausrichten. Vergessen
die Arbeitszeitreduktion würden auch zusätzliche 7000       auch die problematische „Kammerjäger“-Kampagne
Arbeitsplätze mitten in der Corona-Krise geschaffen         der Neos zur Abschaffung der Arbeiterkammer. Den
werden. Es wäre ein visionärer Meilenstein, wenn            Gewerkschafter_innen innerhalb der SPÖ müssen die
Wien mit der Arbeitszeitverkürzung vorangeht.               Haare zu Berge stehen bei diesem Säbelrasseln.
                                                               Wird hier (nur) versucht die Regierungsbeteiligung
Ein neues Projekt – Links. Es gibt ein spannendes           der Grünen teurer zu machen? Vielleicht.
neues Projekt am Polithimmel: Links. Den Sprung                Die SPÖ sollte sich nicht verzetteln mit dem Koali-
über die 5-%-Hürde in den Gemeinderat haben sie             tionspoker, das kann nach hinten losgehen. Soziales,
nicht geschafft. Man darf gespannt sein, wie sie sich       Klimaschutz, Wohnen, Bildung, die lebenswerte Stadt
entwickeln. Die erreichten 2 % sind ein Achtungserfolg.     für alle – die inhaltlichen Überschneidungen liegen
  Auf Bezirksebene haben sie nun 23 Bezirksrät_innen.       klar auf der Hand und die Visionen für Wien ergänzen
Die Kommunikation von Links ist zu szene-lastig und         sich.
programmatisch braucht es noch mehr, als rot-grün              Die Medien berichten am laufenden Band darüber,
auf die Finger zu schauen, auch um eine tatsächliche        wer sich im Rathaus wie gut versteht und was das
Diskursverschiebung nach links zu schaffen.                 bedeuten kann. Dazu bleibt zu sagen: Persönliche
                                                            Befindlichkeiten sollten draußen bleiben, wo Politik
Beteiligung der Wohnbevölkerung in Wien erstmals            gemacht wird. Wenn die Möglichkeit da ist, eine linke
unter 50 %. Mit knapp 30 % liegen die Nicht-Wahl-           Koalition herzustellen, ja, dann sollte man das auch
berechtigten deutlich vor den Nicht-Wähler_innen            gefälligst tun.
(24,4%). Noch nie in der Geschichte der Zweiten
Republik musste der Wiener Gemeinderat seine Macht
auf einer dünneren Wähler_innen-Basis legitimieren.                        Karin Stanger ist Gewerkschafterin,
   Von den 1,6 Millionen Einwohner_innen im Wahl-                          Feministin und Antifaschistin. Sie ist
alter gaben nur 739.485 ihre Stimme ab. Hauptgrund                         Bundesvorständin der AUGE/UG und
                                                                           arbeitet im Bundesbüro der AUGE/UG
dafür ist der wachsende Anteil der Menschen, die                           als Politische Referentin.
aufgrund ihrer Staatsbürgerschaft von Wahlen aus-
geschlossen sind. Dieser Anteil hat sich in den letzten
30 Jahren verdreifacht. Die Politik muss hier gegen-
steuern: Es braucht eine Senkung der Einbürgerungs-
hürden, Möglichkeiten zu Doppelstaatsbürgerschaften

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Rekordbeteiligung bei Wiener Pass Egal Wahl

Die Pass Egal Wahl findet immer parallel zu
den Wiener Bezirks- und Gemeinderatswah-
len statt, um aufzuzeigen dass die offizielle
Wien-Wahl eine unvollständige Wahl ist.
Ein Drittel der Bevölkerung im Wahlalter
darf nicht teilnehmen.

Bei der von SOS Mitmensch durchgeführten
Wahl können alle, unabhängig von ihrem
Pass, ihre Stimme abgeben. Die Wiener Pass
Egal Wahl hat dieses Jahr mit einer Rekord-
beteiligung geendet. Trotz Einschränkungen
durch die Corona-Pandemie gaben mehr als

                                                                                                                      Grafik www.sosmitmensch.at
1.500 Wiener*innen ohne österreichischen
Pass ihre Stimme ab. Hinzu kamen über
1.000 Solidaritätsstimmen von Menschen
mit österreichischer Staatsbürgerschaft. Es
nahmen Wiener*innen mit Pässen aus 86
Ländern an der Wahl teil. Am stärksten
vertreten waren Menschen mit deutschen,
afghanischen, türkischen, syrischen und
italienischen Pässen.

Wahlgewinnerin ist die SPÖ, vor den Grünen,     Moria: Nicht einmal
gefolgt von LINKS. Das Ergebnis der Wahl        ein Akt der Nächstenliebe
ist nicht repräsentativ für die Gesamtheit
der Wiener*innen ohne österreichischen          Moria hat gebrannt, ganz egal warum, ob Brandstiftung dafür
Pass. Das Wahlergebnis steht vielmehr stell-    verantwortlich war oder nicht, Fakt ist: Über 13.000 Menschen
vertretend für das politische Stimmungsbild     haben ihr letztes Dach über dem Kopf verloren. Es fehlt an allem,
jener Menschen, die bereit sind, aktiv ein      was es braucht, um überleben zu können, Wasser, Nahrung,
Zeichen für eine inklusivere Demokratie         Kleidung. Schon lange sprechen wir nicht mehr von Sicherheit
zu setzen.                                      und Zuflucht, sondern von Missständen und unerträglichen
                                                Zuständen. Aber zumindest gab es noch ein Dach. Auch dieses
Die Pass Egal Wahl zeigt, dass es erhebliches   ist jetzt weg. Menschen irren auf der Insel herum, in Lesbos
Interesse an politischer Beteiligung von        spitzt sich die Lage immer mehr zu.
Menschen ohne österreichischen Pass gibt.         Unerheblich ist warum diese Menschen geflüchtet sind, sie
Es ist hoch an der Zeit, dass die Türe zu       brauchen jetzt unseren Anstand, von unserem Wohlstand etwas
demokratischer Beteiligung für die Betrof-      abzugeben. Nicht weil wir gütig sind, sondern weil es ihnen
fenen geöffnet wird.                            zusteht. Um das zu verstehen, braucht es schon etwas mehr. Aber
                                                um nachvollziehen zu können, dass unschuldige Kinder und
Es braucht dringend ein Umdenken der Poli-      Jugendliche, die nicht einmal selbst die Entscheidung getroffen
tik, weg von Ausgrenzung und Spaltung hin       haben zu flüchten, in diesem Elend festsitzen und wir es in der
zu einer Demokratie, die alle hier lebenden     Hand haben, zumindest einigen von ihnen, da raus zu helfen,
Menschen mit einschließt.                       braucht es nur einen Akt der Nächstenliebe und Güte, zumindest
                                                dazu sollte die ÖVP und ihre Vertreter*innen in der Lage sein.
                Renate Vodnek                     Liebe ÖVP Vertreter*innen, setzen Sie ein Zeichen und zeigen Sie,
                                                dass zumindest noch etwas Menschlichkeit in ihnen vorhanden ist.

                                                                  Vera Koller, Vorsitzende der unabhängigen
                                                                  Gewerkschafter*innen im ÖGB

                                                                                                                 9
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International                                 Alternative 11 2020

EU-Mercosur-LeaK
Ein gefährliches Handelsabkommen, das nicht unserer Zeit entspricht
Greenpeace liegt das bisher geheim gehaltene             unserer Erde. Der Handel mit Produkten aus Südame-
Verhandlungsdokument des EU-Mercosur*-Assozi-            rika ist schon jetzt zu stark mit der Zerstörung natür-
ierungsabkommens vor. Es gibt Einblicke in eine          licher Regenwälder verbunden. Anstatt diese traurige
demokratisch fragwürdige und veraltete Art der           Entwicklung weiter anzuheizen, müssen die Wälder
Handelspolitik. Wichtige Herausforderungen unserer       unserer Erde in Zukunft besser geschützt werden.
Zeit, wie Klima- und Umweltschutz, werden deutlich        Ernsthafte Bedenken wirft das Assoziierungsab-
hinter Profit- und Handelsinteressen gestellt.           kommen auch hinsichtlich mangelnder demokratischer
                                                         Prozesse auf. Der Text schafft eigene Gremien-Struk-
Seit 2019 wird heftig über den EU-Mercosur-Pakt          turen, die die Befugnis hätten, relevante Teile des
diskutiert. Der Ma ngel a n Tra nspa renz und die        Abkommens auch im Nachhinein zu ändern. Dabei
Geheimniskrämerei um das Assoziierungsabkommen,          könnten aufgrund unk la rer Formulierungen die
das die Rechte und Pflichten der VertragspartnerInnen    demokratisch legitimierten Kontrollen des Europä-
definiert, warf bisher viele Fragen auf. Ausgerechnet    ischen Parlaments und der nationalen Parlamente
das Kapitel „Handel und Nachhaltige Entwicklung“         ausgehebelt werden.
ist explizit vom Sanktionsmechanismus des Han-              Dass die Regeln der globalen Handelspolitik heut-
dels-Abkommens ausgenommen. Der Rest des gesamten        zutage durch internationale Verträge Vorrang vor
Assoziierungsabkommens folgt nun dieser Linie.           nationalen Gesetzen haben und sich über normale
   Klima- und Umweltschutz sind die wichtigsten The-     demokratische Entscheidungsprozesse hinwegsetzen
men unserer Zeit. Doch anstatt klare und verbindliche    können, ist stark zu kritisieren. Welchen Wert hat
Regelungen zum Schutz unserer Erde zu treffen und        das Pariser Klimaschutzabkommen überhaupt noch,
Umweltzerstörung sanktionierbar zu machen, setzt man     wenn man seine Wirksamkeit und Umsetzung von den
auf ablenkende und schöne Worthülsen. Der Vertrag        Regelungen globaler Wirtschaftsabkommen abhängig
begrüßt zwar das Pariser Klimaschutzabkommen,            macht?
sieht aber in Klima- und Umweltschutz dennoch kein          Der EU-Mercosur-Pakt zeigt starke Mängel in den
„essential element“. Nur bei Verstößen gegen „essen-     Bereichen Klima- und Umweltschutz, Demokratie
tial elements“ können Vertragsparteien sofortige und     und Transparenz und wird durch eine verzerrte
angemessene Sanktionsmaßnahmen ergreifen, die bis        Prioritätensetzung die drängenden Probleme unserer
zur vollständigen Aussetzung des Abkommens reichen       Zeit wie soziale Ungerechtigkeit, fortschreitende
können. Während Profit- und Handelsinteressen un-        Naturzerstörung und Erderhitzung nicht adressieren
ter solcher Androhung von Sanktionsmechanismen           können. Auf Basis dieser Erkenntnisse ist klar, dass
geschützt werden, werden Klima- und Umweltschutz         der EU-Mercosur-Pakt nicht beschlossen werden darf!
eben nicht als “essential element” behandelt. Dadurch
können Vergehen gegen Klima und Umwelt einfach           Erschienen auf greenpeace.at, gekürzt
ungestraft bleiben!                                      *Mercosur steht für: Mercado Comun de sur – Gemeinsamer
   Der EU-Mercosur-Pakt hätte einen direkten nega-       Südamerikanischer Markt und ist ein Staatenbündnis von
tiven Einf luss auf die artenreichsten Lebensräume       Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay

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Alternative 11 2020                                  International

GroSSe Konzerne,
kleiner Steuerbeitrag?
Das gehört geändert!
Auch multinationale Konzerne sollen endlich faire           - Die Steuertricks der Konzerne, die Möglichkeiten
Gewinnsteuern bezahlen. Daher müssen sich die                zur Steueroptimierung und der schädliche Steuer-
FinanzministerInnen jetzt auf OECD-Ebene rasch auf           wettbewerb der Nationalstaaten zusammen führen zu
einen weltweiten Mindeststeuersatz bei der Körper-           weltweiten Einnahmenverlusten von knapp 200 Mrd.
schaftsteuer einigen! Noch nie standen die Chancen           US-Dollar jährlich für die öffentlichen Haushalte.
besser, dass dieser historische Schritt gelingt und es       Das entspricht knapp 10% der weltweiten Körper-
hier einen echten Meilenstein gibt.                          schaftsteuereinnahmen.
                                                            - Niedrige Steuern für multinationale Konzerne ver-
Was wollen wir?                                              schieben die Steuern hin zu ArbeitnehmerInnen und
 - Ein weltweiter effektiver Mindeststeuersatz               den kleinen und mittleren Unternehmen (KMU), die
  für Konzerngewinne                                         einen immer größeren Beitrag zum Ausgleich leisten
                                                             müssen.
 - Ei n i nternationa l a k kord iertes, ei n heitliches
  Regelwerk für die Ermittlung des Mindeststeuersatzes,    Die Corona-Krise verschärft die Lage!
  auf Basis der OECD-Vorschläge
                                                           Durch COVID-19 wird diese Schief lage noch einmal
 - Mehr Transparenz bei der Besteuerung multinati-         dramatisch verstärkt: Steuereinnahmen werden (zu-
  onaler Konzerne, deswegen muss auch das „public          mindest 2020) weltweit einbrechen. Die milliarden-
  Country by Country Reporting“ endlich umgesetzt          schweren Hilfspakete müssten aber mit zusätzlichen
  werden                                                   Mitteln finanziert werden. Dazu kommt: Multinationale
                                                           Konzerne profitieren aufgrund ihrer Größe oft überpro-
Warum wir das wollen!                                      portional von den staatlichen Hilfsprogrammen – und
Multinationale Konzerne zahlen                             darüber hinaus auch vielfach von der Krise selbst (vom
immer weniger Gewinnsteuern!                               Onlinehandel bis zu den Streamingplattformen). Wer
                                                           mit Steuergeld gerettet wird, muss in Zukunft auch
Die Regelungen für die internationale Unternehmens-        einen fairen Beitrag leisten.
besteuerung sind nicht mehr zeitgemäß. Immer noch
versuchen auch EU-Staaten mit niedrigen Steuersätzen       Was uns ein Mindeststeuersatz
und Steuerdumping Unternehmen anzulocken. Gleich-          für Konzerne bringt
zeitig werden die Steuertricks der Unternehmen immer       Wenn ein einheitlicher, effektiver Mindeststeuersatz
aggressiver.                                               für Konzerne OECD-weit eingeführt würde,
Die Probleme sind schon lange bekannt, aber die Politik
hat das lange ignoriert. Mittlerweile wissen wir aber:      … könnten die weltweiten jährlichen Körperschaft-
                                                             steuereinnahmen um bis zu 4%, also um bis zu 100
 - Multinationale Konzerne zahlen im Durchschnitt um         Mrd. USD jährlich steigen
  30% weniger Körperschaftsteuer, als Unternehmen,          … würden sich diese Mehreinahmen – mit Ausnahme
  die ausschließlich lokal tätig sind.                       von den Steueroasen – annähernd gleich auf alle
 - Die Steuerbelastung der Unternehmen der digitalen         Staaten verteilen.
  Wirtschaft ist mit knapp 9,5% nicht einmal halb           … würden Gewinnverlagerungen signifikant einge-
  so hoch wie die Steuerbelastung der traditionellen         schränkt und Steueroasen effizient ausgetrocknet
  Wirtschaft mit 23,2%.                                      werden
 - Multinationale Konzerne verschieben jährlich knapp       …könnte der Steuerbeitrag von ArbeitnehmerInnen
  40% ihrer Gewinne in Niedrigsteuerländer und Steu-         und kleinen und mittleren Unternehmen (KMU)
  ersümpfe. Österreich alleine verliert dadurch rund         gesenkt werden
  1 Mrd € an Steuereinnahmen pro Jahr.
                                                            …könnte mehr Geld in Bildung und die Schaffung
 - 40% aller globalen Investments (Foreign Direct            von Arbeitsplätzen investiert werden
  Investments) sind reines Phantomkapital, das nur der
  Steuervermeidung multinationaler Konzerne dient.         https://arbeiterkammer.at/konzernezurkasse

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Arbeitsmarkt                                    Alternative 11 2020

Das Frauenprogramm des
AMS als eine Antwort auf
die Corona-Krise?
Untersuchungen zeigen, dass spezifische Bera-              Wiedereinsteigerinnen besonders stark betroffen
tungs- und Weiterbildungsangebote des Arbeits-
marktservice (AMS) für Frauen größere Effekte              Weiters lässt sich feststellen, dass die Corona-Ar-
erzielen als andere, vergleichbare AMS-Angebote.           beitslosigkeit vor allem bei der verletzlichen Gruppe
Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Arbeits-               der Wiedereinsteigerinnen stark verbreitet ist. Dabei
losigkeit sollten auf diesen Erfahrungen aufbauen.         handelt es sich um beim AMS arbeitslos gemeldete
                                                           Personen mit Kinderbetreuungspf lichten, die weniger
Frauenspezifische Angebote in Zeiten der Krise             als ein Jahr seit dem Ende der Karenz erwerbstätig
                                                           waren. Im April 2020 stieg die Anzahl der Wiederein-
Deutlicher als in früheren Krisen sind Frauen von der      steigerinnen unter den Arbeitslosen um 45 Prozent
coronabedingten Arbeitslosigkeit stark betroffen. Auch     im Vergleich zum Vorjahr. Auch im Juli 2020 ist die
medial wurde über diese Aspekte relativ ausführlich        Zahl der arbeitslosen Wiedereinsteigerinnen um 43
bzw. für österreichische Verhältnisse überraschend         Prozent höher als im Vorjahreszeitraum.
oft berichtet.
   Wie konkret diesen Umbrüchen in der Arbeitswelt         Gerade bei Wiederei nsteiger i n nen besteht d ie
begegnet werden kann, ist gerade Gegenstand vielfäl-       Gefahr – wie Erfahrungen auch aus früheren Krisen
tiger Auseinandersetzungen. Umfassende Ansätze für         zeigen –, dass schwierige arbeitsmarktpolitische
den Arbeitsmarkt – etwa eine Arbeitsmarktoffensive,        Rahmenbedingungen zu einem Rückzug aus dem
konjunkturelle Maßnahmen, eine öffentliche Beschäf-        Arbeitsmarkt führen können. Dies trifft vor allem
tigungspolitik – werden diskutiert. Frauenpolitische,      Frauen in ländlichen Regionen mit weniger gut aus-
aber auch frauenspezifische Ansätze dürfen dabei           gebauten Kinderbetreuungsangeboten bzw. Frauen
nicht aus dem Blick genommen werden.                       aus Branchen mit schwierigen Arbeitsbedingungen.
   Dieser Beitrag möchte anhand aktueller Daten und        Längerfristige negative Auswirkungen auf ein zu-
einer kürzlich abgeschlossenen Studie zeigen, dass         künftiges eigenständiges Erwerbseinkommen werden
vor allem dort, wo spezifische Bedürfnisse unter-          ausgeblendet bzw. müssen in Kauf genommen werden.
schiedlicher Gruppen von Arbeitslosen berücksichtigt       Für Deutschland liegt hierzu eine erste Auswertung
werden, diese auch tatsächlich in höherem Ausmaß           vor, die zeigt, dass es vor allem Frauen mit kleinem
von Maßnahmen profitieren.                                 Einkommen sind, die ihre Jobs aufgeben, um dem

Das Gesicht der coronabedingten Arbeitslosigkeit

Aktuelle Untersuchungen haben gezeigt, dass die soge-
nannte „Corona-Arbeitslosigkeit“ ein anderes Gesicht
hat als herkömmliche konjunkturbedingte negative
Entwicklungen am Arbeitsmarkt. Mit Beginn des Lock-
downs im April erreichte die Arbeitslosigkeit einen
historischen Höchststand von 571.000 Menschen. Lag
traditionell die Arbeitslosenquote bei Männern immer
etwas höher als bei Frauen, hat sich das Verhältnis seit
April umgekehrt. Während die Männer-Arbeitslosigkeit
bereits im März ihren Höhepunkt erreicht hatte (und
seither auch wieder sinkt), kehrte sich der Trend bei
den Frauen erst mit April um.

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Alternative 11 2020                                    Arbeitsmarkt

Partner mit dem höheren Einkommen noch stärker              im April 2020 verringerte sich der Bestand auf rund
als zuvor „den Rücken freizuhalten“.                        58.000 Arbeitslose im Juli 2020. Die Arbeitslosigkeit lag
                                                            im Juli damit um 39 Prozent höher als im Jahr davor.
Anstieg bei höher gebildeten Frauen stärker als                Bedarfsgerechte Antworten auf die in der Coro-
bei höher gebildeten Männern                                na-Pandemie arbeitslos gewordenen Menschen sollten
                                                            auf diese Spezifika eingehen und berücksichtigen, dass
Eine geschlechtsspezifische Auswertung der Coro-            die betroffenen Personen branchenspezifische Lösungen
na-Arbeitslosigkeit nach Bildungsabschlüssen macht          brauchen, zum Teil bereits höher qualifiziert sind und
zudem deutlich, dass die Erwerbsarbeitslosigkeit bei        oftmals Betreuungspf lichten zu bewältigen haben.
höher qualifizierten Frauen (akademische Ausbildung,
höhere Ausbildung, die mit Matura abschließt) deutlich      Gleich stel lu n gsw i rk u n g u ntersch ied l icher
stärker angestiegen ist als bei den höher qualifizierten    AMS-Angebote
Männern. Der Trend wurde bereits im April 2020 sicht-
bar und setzte sich im Verlauf des Jahres bis heute fort.
                                                      Vor diesem Hintergrund ist es besonders wichtig, Er-
                                                      kenntnisse aus arbeitsmarktpolitischen Interventionen
                                                      für diese Ausnahmesituation aufzubereiten, mit einem
                                                      Fokus auf jene Zielgruppen, die es am Arbeitsmarkt
                                                      auch ohne Corona-Krise nicht wirklich einfach haben.
                                                      Eine aktuelle Studie, auf die wir in diesem Zusammen-
                                                      hang eingehen wollen, beschäftigte sich im Auftrag
                                                      des AMS mit der Gleichstellungswirkung arbeitsmarkt-
                                                      politischer AMS-Angebote. Sie wurde im Jahr 2020
                                                     „vor Corona“ von L&R Sozialforschung durchgeführt.
                                                         Die Gleichstellungwirkung der AMS-Maßnahmen
                                                      (wie Beratungen, Weiterbildungen, Ausbildungen)
                                                      wurde dabei entlang der Entwicklung der Erwerbs-
                                                      integration, Arbeitszeit, Einkommen, Qualifikation,
                                                      Positionierung am Arbeitsmarkt und Vereinbarkeit von
                                                      Beruf und Familie betrachtet. Kurz zusammengefasst,
                                                     zeigte die Wirkungsanalyse, dass die TeilnehmerInnen
Auch die Branche macht einen Unterschied              zwar insgesamt von den Angeboten profitierten, etwa
                                                      indem sie danach häufiger in Beschäftigung waren.
In den Branchen Tourismus/Gastgewerbe und Handel Bestehende geschlechtsspezifische Schief lagen – etwa
gibt es einen hohen Frauenanteil bei den Beschäf- Einkommensunterschiede oder die unterschiedliche
tigten. Diese Branchen waren besonders von den Arbeitszeitverteilung – bleiben aber bestehen.
Lockdown-Maßnahmen betroffen und werden sich
wohl erst mittelfristig davon erholen. Zwar kam es Vor allem dort, wo „frauenspezifisch“ draufsteht,
im Sommer im Tourismus zu einer Halbierung der werden Frauen unterstützt
Arbeitslosenzahlen auf rund 51.000 Personen, doch
lag die Branchen-Arbeitslosigkeit im Juli immer noch In der Studie wurden neben den allgemeinen AMS-Maß-
um 86 Prozent höher als im Jahr davor.                nahmen auch die Frauenberufszentren und der frau-
   Im Handel erfolgte der Abbau der Arbeitslosigkeit enspezifische Kurs „Wiedereinstieg mit Zukunft“ auf
deutlich schleppender: Von fast 70.000 Arbeitslosen ihre Gleichstellungswirkung hin untersucht.

                                                                                                                 15
Arbeitsmarkt                                    Alternative 11 2020

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                                                                               Bei einer Gegenüberstellung der Wirkung der Program-
                                                                               me von Frauenberufszentren und sonstigen vergleich-
                                                                               baren AMS-Angeboten für arbeitslose Frauen zeigten
                                                                               sich deutliche positive Wirkungen: Absolventinnen des
                                                                               Programms „Wiedereinstieg mit Zukunft“ verzeichne-
                                                                               ten im Jahr danach ein Plus von 84 Beschäftigtentagen,
                                                                               bei vergleichbaren anderen Programmen waren es nur
                                                                               66 Tage. Auch Teilnehmerinnen an den Angeboten der
Foto Alexis Brown

                                                                               Frauenberatungszentren waren mehr Tage beschäftigt
                                                                               als Teilnehmerinnen an vergleichbaren anderen Be-
                                                                               ratungen (66 Tage gegenüber 54 Tagen).
                                                                                  Die Angebote wirken besser und auch die Teilneh-
                                                                               merinnen sind zufriedener. Das mag daran liegen, dass
                     Frauenspezif ische AMS-Angebote wie die Frauen-           dort spezifische Rahmenbedingungen adressiert werden
                     berufszentren oder der Wiedereinsteigerinnenkurs          und auf die konkrete Situation besser eingegangen
                     bauen darauf auf, dass Arbeitslosigkeit (auch) durch      wird. Auch Arbeitsmarktexpertin Hof bauer weist in
                     gesel lscha ftl iche Ra h menbed i ng u ngen, w ie z.B.   ihrer Analyse auf dieses Faktum hin und argumentiert,
                     Diskriminierung am Arbeitsmarkt oder fehlende             dass diese genaue Zuspitzung der Angebote auf die
                     Kinderbetreuungseinrichtungen, ausgelöst wird. Qua-       Bedürfnisse der jeweiligen Zielgruppe auch für andere
                     lifizierungen allein befähigen die betroffenen Personen   Angebote sinnvoll wäre.
                     somit nicht, eine existenzsichernde Arbeitsstelle zu
                     finden. Ebenso wichtig ist es, arbeitslosen Frauen        Mögliche Erkenntnisse aus verschiedenen
                     individuelle Hilfestellungen bei besonderen Prob-         Ansätzen speziell für weibliche Arbeitsuchende
                     lemlagen (z.B. alleinerziehend, von Gewalt betroffen,
                     Branchen-Lohnstrukturen) anzubieten.                       Die Entwicklung der Arbeitslosenzahlen zeigt, dass
                        So wird im Programm „Wiedereinstieg mit Zu-             die Frauenarbeitslosigkeit hartnäckig hoch bleibt und
                     kunft“ die Kinderbetreuungssituation explizit mit          spezielle Zielgruppen besonders betroffen sind – etwa
                     der Kundin bearbeitet, und bei Bedarf werden auch          Wiedereinsteigerinnen.
                     Kinderbetreuungsplätze vermittelt. Berichten Frauen           Diese werden vor allem von spezifischen Program-
                     von sozialen Problemen werden diese an spezialisierte      men gut erreicht. Um zu verhindern, dass sich diese
                     Beratungsstellen weitergeleitet. Qualifizierungen im       Frauen langfristig vom Arbeitsmarkt zurückziehen,
                     Rahmen der Frauenberufszentren und des Programms           ist es zentral, im Rahmen der arbeitsmarktpolitischen
                    „Wiedereinstieg mit Zukunft“ werden so angeboten, dass      Interventionen auch entsprechende Erkenntnisse und
                     eine Teilnahme auch für Menschen mit Betreuungs-           Ansätze für Frauen bzw. spezifische Zielgruppen zu
                     pflichten möglich ist. Im Rahmen der Karriereberatung      integrieren und den Zugang zu diesen Angeboten
                     werden sozioökonomische Strukturen in die Analyse          sicherzustellen.
                     der bisherigen Erwerbsbiografie miteinbezogen.                In der von der Bundesregierung ins Leben gerufenen
                                                                               „Corona-Arbeitsstiftung“, die zusätzliche Budgetmittel
                                                                                von rund 700 Millionen Euro für die Weiterbildung
                                                                                von arbeitslosen Menschen freimacht, sind prinzi-

                    16
Arbeitsmarkt

piell frauenfördernde Maßnahmen vorgesehen.
Flexible Kinderbetreuungsa ngebote bei den
Weiterbildungsinstituten, die Möglichkeit, Wei-
                                                        Kurzer Einwurf – just say
terbildungen auch in Teilzeit zu besuchen, sowie
                                                        Um es kurz zusammenzufassen: Die Maßnahmen des
eine sanfte Steuerung der Ausbildungsplätze in
                                                        AMS für Frauen wirken, sind erfolgreich und wichtig.
zukunftsfähige Berufe (mit existenzsicherndem
                                                        Auch wenn über einzelne Ausgestaltungen treff lich
Einkommen) könnten mit der Weiterbildungs-
                                                        gestritten werden kann und muss, natürlich auch
offensive verwirklicht werden und Chancen für
                                                        gestritten wird. Die teilweise unüberwindliche Hür-
Wiedereinsteigerinnen bieten.
                                                        de für Frauen liegt also weder an ihrem Geschlecht,
                                                        noch an ihren Fähigkeiten, Interessen oder anderen
   Klar ist aber auch, dass frauenspezifische Kur-      individuellen Gründen. Problematisch sind die immer
se und Programme zwar einen Anstoß zu einer             gleichen Schranken, an denen Frauen scheitern. Lernen
besseren Arbeitsmarktintegration von Frauen             sie Berufe, in denen ihr Geschlecht unterrepräsentiert
geben können, insgesamt aber in der Krise die           ist, finden sie mitunter keine Anstellung, weil die
gesellschafts- und arbeitsmarktpolitischen Un-          Betriebe „nicht auf Frauen eingestellt sind“, begin-
gleichgewichte noch stärker zum Tragen kom-             nend von Sanitäranlagen über die bedarfsorientierte
men als sonst. Deswegen sind eine öffentliche           Organisation von Arbeitszeiten und Arbeitsabläufen
Beschäftigungspolitik sowie mehr Mittel für             bis hin zu Argumenten bezüglich des Betriebsklimas.
eine innovative aktive Arbeitsmarktpolitik, vor         Haben sie eine Erwerbstätigkeit (in welcher Position
allem auch eine deutliche Erhöhung der Mittel           auch immer) erreicht, hängt über ihnen häufig der
für das arbeitsmarktpolitische Frauenprogramm           Generalverdacht des Ausfalls bezüglich bestehender
des AMS, nötig.                                         oder unterstellt kommender Betreuungspflichten. Nicht
                                                        zuletzt scheitert die partnerschaftliche Aufteilung der
               Ina Freudenschuß arbeitet in der Frau-   unbezahlten Arbeit immer wieder am Lohngefälle, auf
               enabteilung des AMS Österreich und       der höhere (meist) männliche Einkommen ist schwerer
               betreibt in einem Redaktionskollektiv    zu verzichten.
               den Polit-Blog reflektive.at
                                                        A l les kei ne neu en E rken nt n i s s e. Ja h r z e h nt e
               Nadja Bergmann ist Projektleiterin       gebetsmühlenartig vorgebracht, nach dem verständ-
               bei L&R Sozialforschung mit den For-     nisvollen Nicken folgt das Schulterzucken ohne Kon-
               schungsschwerpunkten Gleichstellung      sequenzen. Dafür kann das AMS nichts und es ist auch
               und Arbeitsmarkt.                        nicht seine Aufgabe, hier strukturell gegenzusteuern.
                                                        Es spricht auch nicht gegen die Maßnahmen des AMS,
               Zunächst erschienen                      ganz im Gegenteil.
               auf https://awblog.at
                                                        • Beate Beranek

                                                                                                               17
Gewerkschaft & Betrieb                        Alternative 11 2020

Corona im Herbst
                                                         Regelungen ausgearbeitet sein sollen und die Sozial-
                                                         partner Verhandlungen aufgenommen haben. Dabei ist
                                                         grundsätzlich Folgendes auseinander zu halten: Es ist
                                                         zu begrüßen, wenn es die Arbeitsministerin auf ihre
Pünktlich zu Schulbeginn sind die Zahlen weiter          Agenda schreibt, Rahmenbedingungen für Home-Office
gestiegen. Die erste Krankheitswelle ist vorbei,         zu erarbeiten. Diese Rahmenbedingungen kommen
jeder kennt mittlerweile jemanden der/die Test-          jedoch für die coronabedingte Arbeit zu Hause zu spät.
erfahrungen gemacht hat. Menschen, die es sich           Für die jetzt notwendige Form des Home-Office ist es
finanziell leisten können, lassen sich privat testen,    dringend notwendig zumindest für ein Minimum an
jene mit geringeren finanziellen Möglichkeiten,          Rechtssicherheit zu sorgen und den Unfallversiche-
oder sonstigem Zwang den offiziellen Weg über            rungsschutz auszudehnen. Betriebsrät*innen ist derzeit
1450 einzuschlagen, kennen die zermürbenden              anzuraten Betriebsvereinbarungen nur befristet abzu-
Zeiten zwischen Erstanruf, Testung und Ergebnis.         schließen und nur auf die jetzige Situation anzupassen
Und zu befürchten ist, dass Menschen in prekären         und sich für die darüber hinaus gehenden Regelungen
Situationen überhaupt davor zurück schrecken             zum mobilen Arbeiten Zeit zu lassen.
Symptome zu melden.
                                                         Corona und Betreuung
Die Ampel soll uns Orientierung bringen, hätte es
in der geplanten Form wohl auch getan, aber nach         Die Möglichkeit Sonderbetreuungszeit mit dem
Ungerechtigkeitsgefühlen und Verstimmungen der Län-      Arbeitgeber zu vereinbaren wurde bis 28.02.2021
der, wurde alles wieder verändert. Nach anfänglichen     verlängert. Von 1.10.2020 – 28.02.2021 können weitere
Chaoszuständen in den Schulen, hat sich zumindest        3 Wochen an Sonderbetreuungszeit vereinbart werden
dort die Situation etwas entspannt und die Kinder        und dafür gibt es einen Anspruch auf Vergütung der
nehmen es sowieso gelassen. Die Empfehlungen lauten,     Hälfte des Entgelts. Berücksichtigt werden dabei auch
dort wo möglich die Arbeit wieder ins Home-Office        Schulschließungen infolge von Ferien oder schulfreier
zu verlagern, die Maskenpflicht gilt im Handel, in       Tage. Darüber hinaus kann weiterhin bei Bedarf Pfle-
der Gastronomie und überall dort in geschlossenen        gefreistellung genommen werden bzw. ein persönlicher
Räumen, wo noch kein fixer Sitzplatz eingenommen         Verhinderungsgrund vorliegen.
wurde. Auf Auslandsreisen soll, wenn nicht unbedingt
notwendig, verzichtet werden und privat sollen wir       Corona und Veranstaltungen
uns so gut wie möglich einschränken.
                                                         Veranstaltungen sind mittlerweile grundsätzlich wie-
Corona und Home-Office                                   der an strengere Vorgaben gebunden. Die zulässigen
                                                         Höchstzahlen wurden herabgesetzt und die Masken-
Nachdem die Empfehlung lautet, wieder vermehrt           pflicht erhöht. Ausnahmen gibt es für sich aus dem
auf Home-Office umzustellen, ist das Thema wieder        Arbeitsverfassungsgesetz ergebende Zusammenkünfte,
mehr in den Fokus gerückt. Ministerin Aschbacher hat     sowie Erleichterungen bei Zusammenkünften zur be-
voller Enthusiasmus angekündigt, dass bis März 2021      ruflichen Aus- und Weiterbildung.

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Alternative 11 2020                           Gewerkschaft & Betrieb

Corona und Arbeitsmarkt                                    Corona-Kurzarbeit III

Die Situation am Arbeitsmarkt ist weiterhin angespannt,    Das Modell Kurzarbeit wurde angepasst und kann ab
vor allem bei Jugendlichen, Arbeitslosen bis 25 und bei    1. Oktober für maximal sechs Monate in Anspruch
den Älteren. Die Verschärfung ist sicher auch Corona       genommen werden.
bedingt, jedoch nicht ausschließlich darin begründet.         Die Nettoersatzrate ist weiterhin zwischen 80 und
Auch durch die Transformation am Arbeitsmarkt und          90 Prozent, Lehrlinge erhalten ihre volle Lehrlingsent-
durch den notwendigen Strukturwandel ergeben sich          schädigung. Ebenso gilt auch in Kurzarbeit III weiterhin
schon lang bekannte Schwierigkeiten für manche             ein Kündigungsschutz. Das bedeutet, dass Arbeitneh-
Branchen. Dieser Transformationsprozess wurde lange        mer*innen mindestens ein Monat nach Kurzarbeitsende
ignoriert - im Sinne von Augen zu und durch und die        weiterbeschäftigt werden müssen.
Kosten sollen die anderen tragen - wurde starr versucht
an bestehenden Bedingungen festzuhalten. Wie uns die       Neu ist die sogenannte Entgeltdynamik. Eine Erhöhung
jüngsten Beispiele wieder gnadenlos vor Augen führen,      des Einkommens aufgrund einer kollektivvertraglichen
ist die Profitgier von Konzernen ungebrochen. Zuerst       Erhöhung muss berücksichtigt werden. Gearbeitet
wurde Kurzarbeitsförderung kassiert, nicht weil die        werden kann in Kurzarbeit grundsätzlich in einem
Unternehmen knapp vor dem Ruin standen, sondern            Ausmaß zwischen 30 und 80 Prozent. Hinzu kommt ab
weil es kurzfristig Ausfälle gab. Die Konzerne schreiben   Oktober auch eine Aus- und Weiterbildungspflicht für
Gewinne, Dividenden und Boni werden ausgezahlt, aber       Arbeitnehmer*innen. Vereinbarungen zur Ausbildungs-
nach der Devise warum Geld und Förderungen nicht           kostenrückerstattung sind während der Kurzarbeit III
nehmen, wenn sie einem angeboten werden, wurde             nicht zulässig.
kassiert. Auch auf Vertragstreue kann man sich nicht
verlassen und leider wird es weiterhin schändlich          Unternehmen, die Lehrlinge zur Kurzarbeit III anmel-
unterlassen, staatliche Gelder und Förderungen an          den, müssen die ordnungsgemäße Lehrlingsausbildung
bestimmte Bedingung zu knüpfen. Während Klein- und         sicherstellen. Unterstützen können hier Ausbildungsver-
Mittelunternehmer, Kulturschaffende… ihre Existenz         bünde mit anderen Lehrbetrieben, eine überbetriebliche
verlieren, sichern sich große Konzerne Renditen in         Lehrausbildung oder Lehrwerkstätten. Schlussendlich
den nächsten Jahren.                                       müssen Unternehmen, die Kurzarbeit anmelden wollen,
   Dies ist nicht hinzunehmen, dringend braucht es         ihre wirtschaftliche Betroffenheit belegen. Diese wird
die Verknüpfung von staatlichen Geldern an die Er-         durch Dritte, etwa Steuerberater*innen, überprüft.
füllung von Bedingungen wie den Erhalt von Arbeits-
plätzen und die Einhaltung von Sozial-, Umwelt- und
Gleichstellungsstandards. Außerdem eine verpflicht-                        Vera Koller, Vorsitzende der unabhängigen
ende Einbindung von Betriebsrät*innen bei dermaßen                         Gewerkschafter*innen im ÖGB
schwerwiegenden Unternehmensentscheidungen wie
Dividenden oder Standortverlagerungen, verbunden
mit einem Vetorecht bei Managemententscheidungen,
die Auswirkungen auf die Beschäftigten haben.

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