Langfristperspektiven der öffentlichen Finanzen in der Schweiz
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www.efv.admin.ch Langfristperspektiven der öffentlichen Finanzen in der Schweiz
Bericht über die Langfristperspektiven der öffentlichen Finanzen in der Schweiz 2 Impressum Herausgeber Eidg. Finanzverwaltung EFV Bundesgasse 3 3003 Bern E-Mail info@efv.admin.ch Website www.efv.admin.ch Cette publication existe également en français. La presente pubblicazione è disponibile anche in lingua italiana. This brochure is also available in English. Autoren W. Weber, P. A. Bruchez, C. Colombier, D. Gerber Bern, April 2008
Bericht über die Langfristperspektiven der öffentlichen Finanzen in der Schweiz 3 Executive Summary In den kommenden Jahrzehnten wird sich die wird für diese Indikatoren das Konzept der Finan- Struktur der schweizerischen Bevölkerung stark zierungslücke (Fiscal Gap) verwendet, das interna- verändern. Die geburtenstarken Jahrgänge – die tional weit verbreitet ist. Der Fiscal Gap gibt an, sog. Baby-Boom-Generation – werden in den um wie viel der Budgetsaldo heute permanent kommenden 20 Jahren in Pension gehen. Gleich- verbessert werden müsste, damit am Ende des zeitig ist die Geburtenrate stark gesunken und die betrachteten Zeithorizonts ein bestimmter Schul- Lebenserwartung steigt weiter an, sodass sich das denstand nicht überschritten wird. Verhältnis zwischen der älteren und der jüngeren Generation immer mehr verschiebt. Diese Verän- Das Ergebnis der Analysen zeigt, dass die Staats- derung der demografischen Struktur hat auch ausgaben in den drei genannten Bereichen bis Auswirkungen auf die Finanzen der öffentlichen 2050 in Relation zum BIP gemäss den Projekti- Haushalte. onen um 5,0 Prozentpunkte ansteigen werden. Diese Zunahme liegt ungefähr im Rahmen ande- Aus diesem Grund ist eine vermehrt langfristige rer europäischer Länder. Ohne Gegenmassnah- Optik in der Finanzpolitik notwendig. Internatio- men nimmt dabei die Verschuldung gemessen an nal wird diesem Anliegen zunehmend Rechnung der Schuldenquote von Bund, Kantonen und Ge- getragen. Organisationen wie die EU, der IWF meinden unter Berücksichtigung der Vermögens- oder die OECD, aber auch Länder wie Grossbri- position der Sozialwerke von heute knapp 50 Pro- tannien oder Deutschland führen regelmässig zent des BIP auf rund 130 Prozent des BIP zu. Die Langfristanalysen für die öffentlichen Finanzen demografischen Auswirkungen schlagen sich in durch. Der Zweck solcher Studien besteht darin, den öffentlichen Haushalten ab 2025 immer stär- die Öffentlichkeit auf einen notwendigen Hand- ker nieder, was zu kontinuierlich steigenden Fehl- lungsbedarf aufmerksam zu machen, damit früh- beträgen und damit zu einem steilen Anstieg der zeitig Reformmassnahmen diskutiert und einge- Verschuldung bis zum Ende der betrachteten Zeit- leitet werden können. periode führt. Der Bericht über die Langfristperspektiven der öf- Für den Fiscal Gap werden zwei Varianten berech- fentlichen Finanzen der Schweiz stellt eine Ge- net. In der ersten Variante wird als Grenzwert für samtschau über die Entwicklung der Haushalte die Verschuldung die Schuldenquote im Jahr des Bundes, der Kantone, der Gemeinden und 2003, d.h. 49 Prozent des BIP verwendet. Der Fis- der Sozialwerke (AHV, IV, ALV) bis 2050 dar. Die- cal Gap beläuft sich dabei auf 1,4 Prozent des BIP. ser Zeithorizont wurde gewählt, da sich der Die zweite Variante bezieht sich auf den (nomi- Grossteil der Auswirkungen der veränderten De nellen) Schuldenstand 2003, d.h. 216 Milliarden mografie erst bis dahin in den öffentlichen Haus- Franken, was im Zeitverlauf eine abnehmende halten niedergeschlagen haben wird. Ausgehend Schuldenquote impliziert. Da dieser Grenzwert für von den heute geltenden gesetzlichen Rege- die Verschuldung im Jahr 2050 strenger ist als bei lungen werden für den entsprechenden Zeitraum der ersten Variante, fällt der Fiscal Gap höher aus Projektionen der Einnahmen und der Ausgaben und beträgt 2,0 Prozent des BIP. Die zweite Vari- der drei Staatsebenen und der Sozialwerke er- ante entspricht der Philosophie der Schulden- stellt. Die Ausgaben in den Bereichen Alterssiche- bremse auf Bundesebene, die bekanntlich eine rung/IV, Gesundheit und Langzeitpflege werden nominelle Konstanthaltung der Verschuldung dabei explizit modelliert, da diese von den demo- über den Konjunkturzyklus hinweg anstrebt. Bei grafischen Veränderungen am stärksten betroffen der Ermittlung des durch den Fiscal Gap angege- sind. Die übrigen Ausgaben (exkl. Zinszahlungen) benen Korrekturbedarfs wird davon aus wie auch die Einnahmen werden jeweils mit dem gegangen, dass der Budgetsaldo ab dem Jahr BIP fortgeschrieben. Die Gesamtschau umfasst 2010 permanent im entsprechenden Ausmass neben den Ausgaben- und Einnahmenprojekti- verbessert wird. Falls eine Verbesserung erst spä- onen Indikatoren, welche die Nachhaltigkeit der ter erfolgt, fällt der Korrekturbedarf entsprechend Finanzpolitik messen. Im vorliegenden Bericht höher aus.
Bericht über die Langfristperspektiven der öffentlichen Finanzen in der Schweiz 4 Die Erstellung von Projektionen über mehrere men rechtzeitig beschlossen und umgesetzt wer- Jahrzehnte ist mit einer hohen Unsicherheit be- den. Nur so können die bestehenden Sozialwerke haftet. Es muss deshalb mit Nachdruck darauf langfristig gesichert und künftige Generationen hingewiesen werden, dass der vorliegende Bericht nicht übermässig belastet werden. Wird hingegen keine eigentlichen Prognoseaussagen erhält. Die zugewartet, so sind später weit drastischere Langfristperspektiven sind vielmehr «wenn- Massnahmen erforderlich, um nicht in eine dro- dann»-Aussagen (wenn die Politik nicht ändert, hende Schuldenspirale zu geraten. Ein zu langes dann könnte sich eine Finanzierungslücke in Hinauszögern notwendiger Reformen würde un- einem bestimmten Ausmass ergeben) zu verste- seren Sozialstaat gefährden und die Solidarität hen. Um der hohen Unsicherheit Rechnung zu zwischen den Generationen überstrapazieren. In tragen, wurden zudem für wichtige makroökono- den kommenden Jahrzehnten ist zudem mit wei- mische Annahmen Sensitivitätsanalysen durch teren, in diesem Bericht nicht berücksichtigten geführt. Diese zeigen, dass der Fiscal Gap bei Faktoren wie beispielsweise dem Klimawandel einem höheren Wachstum der Arbeitsproduktivi- und der Verknappung der natürlichen Ressourcen tät merklich geringer ausfällt, während alternative zu rechnen, die beträchtliche Auswirkungen auf Annahmen hinsichtlich des Zinssatzes einen weni- Wirtschaft und Gesellschaft wie auch auf die öf- ger starken Einfluss haben. fentlichen Finanzen haben können. Es muss daher unterstrichen werden, dass für die staatlichen Insgesamt ist festzuhalten, dass die durch die zu- Haushalte noch weitere, wenn auch schwer quan- nehmende Alterung unserer Gesellschaft entste- tifizierbare Risiken bestehen, die zu zusätzlichen henden Probleme für die öffentlichen Haushalte Belastungen führen können. bewältigt werden können, falls Reformmassnah-
Bericht über die Langfristperspektiven der öffentlichen Finanzen in der Schweiz 5 Inhaltsverzeichnis 1. Einführung 7 2. Langfristige Trends 9 2.1. Demografie 9 2.2. Wirtschaftsentwicklung 11 2.3. Übrige Trends 13 3. Methodik 15 3.1. Definition der Nachhaltigkeit und Konzept des Fiscal Gap 15 3.2. Projektion der Ausgaben und Einnahmen 16 4. Ergebnisse 19 4.1. Demografieabhängige Ausgaben 19 4.2. Verschuldung und Fiscal Gap 21 4.3. Bedeutung des Basisjahrs 23 4.4. Sensitivitätsanalysen 23 Exkurs: Öffentlich-rechtliche Vorsorgeeinrichtungen 26 5. Internationaler Vergleich 29 6. Fazit 30 Literatur 31
Bericht über die Langfristperspektiven der öffentlichen Finanzen in der Schweiz 7 1. Einführung Angesichts der Tatsache, dass gesunde öffentliche sentlichen Auswirkungen der Alterung der Gesell- Finanzen eine wichtige Voraussetzung für eine schaft niedergeschlagen haben werden. Zudem gedeihliche wirtschaftliche Entwicklung sind, ha- entspricht dieser Zeithorizont auch demjenigen ben insbesondere die absehbaren Herausforde- der Bevölkerungsszenarien des Bundesamtes für rungen der Demografie zu einem verstärkten In- Statistik. Für die Erarbeitung dieser Projektionen teresse an der längerfristigen Entwicklung der öf- sind Annahmen zur demografischen Entwicklung fentlichen Finanzen geführt. und zu den relevanten makroökonomischen Grössen notwendig. In den kommenden Jahrzehnten wird sich die Struktur der schweizerischen Bevölkerung stark Ausgehend von den Ausgaben- und Einnahmen- verändern. Die geburtenstarken Jahrgänge – die projektionen wird ein Indikator, welcher die Nach- sog. Baby-Boom-Generation – werden in den haltigkeit der Finanzpolitik misst, berechnet. Da- kommenden 20 Jahren in Pension gehen. Gleich- bei wird das Konzept der Finanzierungslücke (Fis- zeitig ist die Geburtenrate stark gesunken und die cal Gap) verwendet, das international weit ver- Lebenserwartung steigt weiter an, sodass sich das breitet ist. Der Fiscal Gap gibt an, um wie viel der Verhältnis zwischen der älteren und der jüngeren Budgetsaldo heute permanent verbessert werden Generation immer mehr verschiebt. Diese Verän- müsste, damit am Ende des betrachteten Zeithori- derung der demografischen Struktur hat u.a. zonts ein bestimmter Schuldenstand nicht über- auch Auswirkungen auf die Finanzen der öffent- schritten wird. Der Fiscal Gap wird von der über lichen Haushalte. So werden insbesondere die den Projektionszeitraum getroffenen Annahmen Ausgaben für die Alterssicherung/IV und für Ge- zur BIP- und Zinsentwicklung wesentlich beein- sundheit, die gegenwärtig zusammen rund 15% flusst. Da solche Annahmen über einen längeren des BIP betragen, deutlich stärker zunehmen als Zeitraum mit grosser Unsicherheit verbunden die gesamtwirtschaftliche Wertschöpfung. sind, werden Sensitivitätsanalysen durchgeführt, die aufzeigen, wie stark der Fiscal Gap auf alter- In verschiedenen Bereichen, insbesondere bei der native Annahmen zu BIP-Wachstum und Zinssatz AHV, wurde die längerfristige Entwicklung in ver- reagiert. Ebenso wie die Projektionen muss der schiedenen Studien analysiert. Hingegen fehlte Fiscal Gap mit der notwendigen Zurückhaltung bis jetzt eine Gesamtschau über alle öffentlichen ausgelegt werden. Haushalte. Diese Lücke will der vorliegende Be- richt schliessen. Neben den drei Staatsebenen Der Bericht über die Langfristperspektiven der öf- sind auch die Sozialwerke AHV/IV/EO und AlV ein- fentlichen Finanzen der Schweiz fokussiert sich geschlossen. Die Gesamtschau dient in erster Li- auf die von der Demografie beeinflussten Aufga- nie der Information der Öffentlichkeit und als benbereiche des Staates. Im Gesundheitswesen Grundlage für die Ausarbeitung von Entwick- haben wir auch nicht-demografiebedingte Ein- lungsszenarien gemäss Artikel 8 der Finanzhaus- flüsse einbezogen. Zudem bestehen weitere wich- haltsverordnung (FHV), welche erstmalig im Rah- tige Faktoren bzw. Trends, welche die öffentlichen men des Berichts zum Legislaturfinanzplan 2009- Finanzen längerfristig beeinflussen, jedoch in die- 2011 für das Gesundheitswesen vorgelegt wer- sem Bericht nicht berücksichtigt werden können, den. Im Sinne einer Bestandesaufnahme wird da die Auswirkungen auf die Finanzen noch mit versucht, die längerfristigen Auswirkungen der weit höheren Unsicherheiten verbunden sind als heutigen Politik abzuschätzen (sog. «no-policy- die Folgen der Demografie. Als Beispiele zu nen- change»-Annahme) und einen allfälligen Hand- nen ist etwa der Klimawandel, das durch die Glo- lungsbedarf aufzuzeigen. Ausgehend von den balisierung erhöhte Risiko von Epidemien oder die heute geltenden gesetzlichen Regelungen wer- zunehmende Verknappung wichtiger Ressourcen den Projektionen der Einnahmen und der Ausga- wie Erdöl. Es ist daher zu unterstreichen, dass ne- ben der drei Staatsebenen und der Sozialwerke ben der Demografie zukünftig auch mit anderen mit dem Zeithorizont 2050 erstellt. Dieser Hori- Faktoren zu rechnen ist, welche ein erhebliches, zont wurde gewählt, da sich bis 2050 die we wenn auch heute noch nicht quantifizierbares
Bericht über die Langfristperspektiven der öffentlichen Finanzen in der Schweiz 8 zusätzliches Risiko für die öffentlichen Haushalte Der vorliegende Bericht ist wie folgt aufgebaut: darstellen könnten. In diesem Sinne bleibt das im Im zweiten Kapitel werden die relevanten langfris- Rahmen dieses Berichts skizzierte Bild unvollstän- tigen Trends dargestellt. So wird das den Projekti- dig. onen zugrunde liegende Demografieszenario des Bundesamtes für Statistik und die Annahmen zur Der demografische Wandel betrifft alle Industrie- wirtschaftlichen Entwicklung dargestellt. Schliess- länder in einem mehr oder weniger ausgeprägten lich werden die oben bereits erwähnten Faktoren Ausmass. Um den finanzpolitischen Handlungs- und Trends diskutiert, die wir in unserem Zahlen- bedarf aufzuzeigen, stellen immer mehr Länder in werk nicht berücksichtigen konnten. Das dritte regelmässigen Abständen Langfristperspektiven Kapitel beschreibt das Konzept des Fiscal Gap, für ihre Haushalte auf. So hat beispielsweise die geht auf die Definition der Nachhaltigkeit im Zu- EU im Jahr 2006 eine Analyse zu den Auswir- sammenhang mit den öffentlichen Finanzen ein kungen der demografischen Veränderungen auf und diskutiert die verwendete Methodik bei der die Haushalte der Mitgliedsländer mit Zeithorizont Erstellung der Projektionen. Das vierte Kapitel 2050 publiziert. Für die Schweiz haben insbeson- zeigt auf, wie sich die demografieabhängigen dere der Internationale Währungsfonds, aber Ausgaben in den Bereichen Alterssicherung und auch inländische Experten die Ausarbeitung von Invalidenversicherung, Gesundheit, Langzeitpfle- Langfristperspektiven in regelmässigen Abstän- ge und Bildung bis 2050 entwickeln. Anschlies- den empfohlen, damit frühzeitig auf den notwen- send werden der Fiscal Gap und die Entwicklung digen Handlungsbedarf aufmerksam gemacht der Bruttoverschuldung präsentiert. In Sensitivi- und Reformmassnahmen eingeleitet werden kön- tätsanalysen wird aufgezeigt, wie der Fiscal Gap nen. Solche Korrekturen in den demografiesensi- auf alternative Annahmen bezüglich des Zins- tiven Bereichen benötigen für ihre Umsetzung viel satzes und der Entwicklung der Arbeitsproduktivi- Zeit. Aus diesem Grund ist eine Verstärkung der tät reagiert. Das fünfte Kapitel schliesslich ver- langfristigen Sichtweise dringend geboten. Damit gleicht die Ergebnisse für die Schweiz mit den dies in systematischer Weise geschieht, ist vorge- Ländern der EU. sehen, den Bericht über die Langfristperspektiven ca. alle vier Jahre aufzudatieren.
Bericht über die Langfristperspektiven der öffentlichen Finanzen in der Schweiz 9 2. Langfristige Trends 2.1. Demografie Das BFS hat im Rahmen der Demografieszenarien Die Struktur der Bevölkerung ändert sich indessen 2005-2050 drei Basisszenarien A, B und C berech- merklich. Der Anteil der Bevölkerung im Rentenal- net. Die Projektionen in diesem Bericht stützen ter wächst deutlich. Insbesondere die Zahl der Per- sich auf die Daten des mittleren Basisszenarios (A- sonen über 80 Jahre steigt stark an (vgl. Grafik 1). 00-2005) ab. Dieses geht von einer Geburtenrate So dürfte sich deren Zahl im Vergleich zu 1991 bis von 1,40, einem Anstieg der Lebenserwartung bis 2050 fast vervierfachen. Die junge Generation 2050 auf 85 Jahre bei den Männern und auf 89,5 hingegen nimmt zahlenmässig leicht ab. Jahre bei den Frauen sowie einer Nettoimmigrati- on von 15 000 Personen pro Jahr aus. Die Gesamtbevölkerung nimmt gemäss dem mitt- leren Basisszenario bis ca. 2020 noch leicht zu, um dann ungefähr konstant zu bleiben. Grafik 1: Entwicklung der Bevölkerungsstruktur (1991 = 100) 400 350 300 250 200 150 100 50 0 2000 2010 2020 2030 2040 2050 0–20 Jahre 21–64 Jahre 65–80 Jahre über 80 Jahre Während heute auf eine über 65-jährige Person nis auf nahezu eins zu zwei im Jahr 2045 und vier Personen im erwerbsfähigen Alter kommen bleibt dann mehr oder weniger stabil (siehe Gra- (Altersquotient 25 %), verändert sich das Verhält- fik 2).
Bericht über die Langfristperspektiven der öffentlichen Finanzen in der Schweiz 10 Grafik 2: Altersquotienten 70 % 60 % 50 % 40 % 30 % 20 % 10 % 0% 2010 2020 2030 2040 2050 Altersquotient effektiver Altersquotient Der effektive Altersquotient setzt die Zahl der Entwicklung der erwerbstätigen Bevölkerung um- Renterinnen und Rentner in Bezug zur effektiv gerechnet in Vollzeitäquivalente. erwerbstätigen Bevölkerung. Grafik 3 zeigt die Grafik 3: Erwerbsbevölkerung in VZÄ 4 000 000 3 900 000 3 800 000 3 700 000 3 600 000 3 500 000 3 400 000 2010 2020 2030 2040 2050 Das mittlere Basisszenario des BFS geht davon den über 55-Jährigen ein Anstieg der Erwerbs- aus, dass die Erwerbsbevölkerung bis 2015 noch quote unterstellt, womit angenommen wird, dass zunehmen und ab 2020 abnehmen wird. In Be- die Rücktritte aus dem Erwerbsleben aufgrund zug auf die Erwerbsquoten wird unterstellt, dass von Frühpensionierungen und anderer Gründe in diese bei den 15-24-Jährigen wegen der höheren diesen Alterskohorten im Vergleich zu heute Immatrikulationsraten auf der Stufe Sekundar II künftig geringer ausfallen werden. Angesichts der (Maturität) und auf der Tertiärstufe gegenüber absehbaren Verknappung des Faktors Arbeit er- heute etwas zurückgeht. Demgegenüber wird bei scheint diese Annahme plausibel.
Bericht über die Langfristperspektiven der öffentlichen Finanzen in der Schweiz 11 2.2. Wirtschaftsentwicklung Für die Erstellung der Ausgaben- und Einnahmen- mischen Grössen im Rahmen dieses Berichts we- projektionen wie für die Berechnung des Fiscal nig geeignet zu sein, da ein solcher eine Vielzahl Gap müssen Annahmen zu wichtigen makroöko- von Informationen und Hypothesen benötigen nomischen Grössen getroffen werden. Für die Fi- würde. In Anlehnung an internationale Gepflo- nanzplanperiode werden die im Finanzplan fest- genheiten beschränken wir uns daher auf die gelegten Eckwerte verwendet1. Angesichts der Festlegung der Annahmen aufgrund der Entwick- Tatsache, dass sich die betrachtete Periode über lung in der Vergangenheit und von Plausibilitätsü- einen Zeitraum von knapp 50 Jahren erstreckt, berlegungen. Für die Erarbeitung dieses Berichts erscheint uns ein komplexer Ansatz, wie z.B. ein sind wir von folgenden Annahmen ausgegangen: berechenbares allgemeines Gleichgewichtsmo- dell, zur Ermittlung der relevanten makroökono- Wachstumsrate der Arbeitsproduktivität: 1 Prozent Realzins: 2 Prozent Teuerung: 1½ Prozent 1 Es wurden die volkswirtschaftlichen Eckwerte gemäss dem Bericht zur Legislaturfinanzplanung vom 23.1.2008 verwen- det: 2008 2009 2010 2011 BIP (real) 1,9 % 1,5 % 1,5 % 1,5 % Zinsen (lgfr.) 3,5 % 3,5 % 3,5 % 3,5 % Teuerung 1,2 % 1,5 % 1,5 % 1,5 %
Bericht über die Langfristperspektiven der öffentlichen Finanzen in der Schweiz 12 Grafik 4: Wachstumsrate des realen BIP 2,0 % 1,5 % 1,0 % 0,5 % 0,0 % 2010 2020 2030 2040 2050 Das reale BIP-Wachstum ergibt sich aus der Ent- Die Annahme von 2 Prozent für den realen (Lang- wicklung der Erwerbsbevölkerung ausgedrückt in frist) Zinssatz entspricht ungefähr dem Mittelwert Vollzeitäquivalenten und der Arbeitsproduktivität. der realen Rendite für 10-jährige Bundesobligati- Wie in Grafik 4 ersichtlich ist, führt das abneh- onen im Zeitraum 1990-2007. Hinsichtlich des mende Arbeitsangebot dazu, dass das Wirt- Zinssatzes werden ebenfalls Sensitivitätsanalysen schaftswachstum längerfristig etwas tiefer ist als durchgeführt. die Zunahme der Arbeitsproduktivität. Die Annah- me von einem jährlichen Wachstum der Arbeits- Es ist zu beachten, dass die Teuerung den Fiscal produktivität von 1 Prozent entspricht ungefähr Gap nicht beeinflusst2. Dennoch benötigen wir dem langfristigen Durchschnitt. Diese Annahme bei der Erstellung der Einnahmen- und Ausgaben- beeinflusst die Analyse massgeblich. Aus diesem projektionen eine Annahme zur Teuerung. Wir Grund zeigen wir im Rahmen der Sensitivitätsana- gehen dabei von einem jährlichen Preisauftrieb lysen auf, wie sich der Fiscal Gap für den Zeithori- von 1½ Prozent aus. Dieser Wert befindet sich zont 2050 und die Schuldenquote bei alterna- innerhalb des Bereichs, den die SNB heute mit tiven Annahmen bezüglich des Produktivitäts- Preisstabilität gleichsetzt. wachstums entwickeln. Wir gehen im Weiteren davon aus, dass sich die Reallöhne an der Entwicklung der Arbeitsproduk- tivität orientieren und unterstellen damit Vertei- lungsneutralität zwischen Kapital und Arbeit. 2 Für die Berechnung des Fiscal Gap werden die Ausgaben und die Einnahmen des Staates, jeweils in Relation zum BIP ausgedrückt, verwendet. Da die Teuerung damit im Zähler (Einnahmen bzw. Ausgaben) wie auch im Nenner (BIP) ein- fliesst, hat sie keinen Einfluss auf die Höhe des Fiscal Gap.
Bericht über die Langfristperspektiven der öffentlichen Finanzen in der Schweiz 13 Die relevanten makroökonomischen Grössen wer- gramme finanzieren zu können ohne die Wirt- den der Einfachheit halber im Zeitablauf als kons- schaft übermässig zu strapazieren. tant angenommen. Es bestehen kaum Anhalts- punkte dafür, auf welche Weise die Arbeitspro- Dieser erste Bericht beschränkt sich auf die Quan- duktivität und der Realzins durch den demogra- tifizierung der demografischen Entwicklung, des fischen Wandel beeinflusst werden. Erschwerend Produktivitätswachstums sowie der nicht-demo- kommt noch hinzu, dass die Zinsentwicklung grafischen Trends (zusätzlich zum Demografiet- massgeblich von globalen Faktoren beeinflusst rend) im Gesundheitswesen. Daneben gibt es wird. Schliesslich muss festgehalten werden, dass aber noch weitere Trends, die sich stark auf die mit unserem vereinfachten Ansatz Rückkoppe- öffentlichen Finanzen, sowohl ausgabenseitig lungseffekte vom Staatshaushalt hin zu den ma- (Einsatz öffentlicher Gelder zur Verhinderung kroökonomischen Grössen unberücksichtigt blei- oder Behebung der Folgen zum Beispiel des Kli- ben. Ebenso sind Rückwirkungen einer abneh- mawandels) als auch einnahmenseitig (zum Bei- menden Erwerbsbevölkerung und damit einer spiel über das reale BIP3), auswirken können. Als Verknappung des Faktors Arbeit auf die Arbeits- ein Beispiel ist der Klimawandel4 zu nennen. Zum produktivität und die Lohnentwicklung ausge- Zeitpunkt der Erstellung dieses Berichts standen klammert. jedoch Daten für diese Trends nicht so ausrei- chend zur Verfügung5, dass eine Berücksichtigung 2.3. Übrige Trends dieser Trends möglich gewesen wäre. Dieser Bericht konzentriert sich lediglich auf die Die Konzentration auf drei Trends führt wahr- Analyse der Nachhaltigkeit der öffentlichen Finan- scheinlich zu einer Unterschätzung der künftigen zen. Damit stellt der vorliegende Bericht keine Herausforderungen im Bereich der öffentlichen umfassende Analyse der nachhaltigen Entwick- Finanzen. Die nicht berücksichtigten Trends schei- lung von Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt nen sich insgesamt eher negativ auf die öffent- dar. Allerdings ist die Nachhaltigkeit der öffentli lichen Finanzen auszuwirken. Es ist vorgesehen, chen Finanzen eine wichtige Voraussetzung für den Bericht über die Langfristperspektiven sowie insbesondere eine sozial und ökologisch nachhal- die Entwicklungsszenarien in regelmässigen Ab- tige Entwicklung, da diese nur möglich ist, wenn ständen zu aktualisieren. Welche Trends in spä- der Staat langfristig über die nötigen Mittel ver- teren Versionen berücksichtigt werden, muss zu fügt, um die entsprechenden staatlichen Pro- diesem Zeitpunkt jedoch offen bleiben. 3 In diesem Bericht werden Sensitivitätsanalysen mit verschie- denen Annahmen über die BIP-Entwicklung durchgeführt. Beim Szenario «geringes Wachstum» steigt die Produktivität jährlich um 0,5%, beim Basisszenario um 1%. Diese Differenz kann gewisse Auswirkungen von Trends einschliessen, die nicht explizit berücksichtigt werden. 4 Siehe u.a.: OcCC (2007). Im UVEK Bericht über die zukünf- tige Klimapolitik der Schweiz sind einige Angaben zur Auswir- kung der Klimaänderung auf die Schweizer Wirtschaft quanti- fiziert (Erwartungen und Fehlermarge). 5 Die Wirkung dieser Trends ist in der Regel nicht quantifiziert. Auch wenn Daten vorhanden sind, wie beim Klimabericht des UVEK, werden eher die Auswirkungen auf die Schweizer Wirt- schaft als auf die öffentlichen Finanzen quantifiziert.
Bericht über die Langfristperspektiven der öffentlichen Finanzen in der Schweiz 15 3. Methodik EFV/ÖT 03.03.2008 3.1. Definition der Nachhaltigkeit und Der Fiscal14Gap wird jeweils in Prozent des BIP an- Konzept des Fiscal Gap gegeben. Er besagt, in welchem Ausmass heute Welche Trends in späteren Versionen berücksichtigt werden, muss die diesem zu Staatsfinanzen permanent verbessert werden müssen, damit am Ende der Periode ein bestimm- Zeitpunkt jedoch offen bleiben. Der Begriff der Nachhaltigkeit (langfristige Tragfä- tes Niveau für die Verschuldung nicht überschrit- higkeit, engl. sustainability) im Zusammenhang ten wird. Ob diese Korrektur auf der Ausgaben- 3. Methodik mit der langfristigen Entwicklung der Finanzpoli- und/oder auf der Einnahmenseite erfolgt, wird tik wurde zu Beginn der neunziger Jahre in die dabei offen gelassen. Im Weiteren bleiben allfäl- wirtschaftspolitische Diskussion eingebracht. All- lige Rückwirkungen auf makroökonomische 3.1. Definition der Nachhaltigkeit und Konzept gemein formuliert des Fiscaldann ist eine Finanzpolitik Gap Grössen unberücksichtigt. Wenn beispielsweise nachhaltig, Der Begriff der Nachhaltigkeit wenn die (langfristige intertemporale Tragfähigkeit, Budgetres- engl. der Fiscal sustainability) im Zu-Gap mit Zeithorizont 2050 1,5 Prozent triktion des Staates über einen unendlichen Zeit- des BIP beträgt, so müssen die Rechnungssaldi sammenhang mit der langfristigen Entwicklung horizont erfüllt ist. Dieseder Finanzpolitik bedeutet, dass die wurde heu- zu Beginn der drei der Staatsebenen und der Sozialwerke ab tige Verschuldung durch neunziger Jahre in die wirtschaftspolitische künftige Diskussion ÜberschüsseAllgemein eingebracht. 2010formu- bis 2050 im Niveau um 1,5 % des BIP (ca. gedeckt sein muss. In der praktischen Umsetzung 7,5 Mrd. Fr. im Jahr 2010) verbessert werden, was liert ist eine Finanzpolitik dann nachhaltig, wird meistens wenn die intertemporale ein begrenzter Zeithorizont ver-Budgetrestriktion einen erheblichen Überschuss implizieren würde. des Staates über einen unendlichen wendet. Es wirdZeithorizont erfülltGap ein sog. Fiscal ist.berechnet, Diese bedeutet, in dass müssten M.a.W. die die sich in den nächsten Jahr- den die Haushaltsprojektionen sowie der Zinssatz zehnten abzeichnenden demografiebedingten heutige Verschuldung durch künftige Überschüsse gedeckt sein6 muss. In der prakti- und das Wirtschaftswachstum einfliessen . Im Mehrausgaben mit einer Kumulierung von Über- schen Umsetzung wird meistensWeiterenein mussbegrenzter ein NiveauZeithorizont verwendet. Es für die Verschuldung wird ein schüssen, d.h. einer Senkung der Verschuldung, vorgegeben werden, das gerade noch als sog. Fiscal Gap berechnet, in den die Haushaltsprojektionen sowie der Zinssatz und nach- in einer Anfangsphase antizipierend kompensiert haltig betrachtet 6 wird. Leider vermag die ökono- werden. das Wirtschaftswachstummische einfliessen Theorie . Im keine Weiteren optimale muss ein Niveau Verschuldung an- für die Ver- schuldung vorgegeben werden, zugeben. dasDaher gerade wirdnoch eine Finanzpolitik als nachhaltig betrachtetNeben vielfach wird. dem Lei- Fiscal Gap-Ansatz wird in verschie- dann als nachhaltig bezeichnet, wenn die absolu- denen Studien die sog. Generationenbilanz für der vermag die ökonomische Theorie keine optimale Verschuldung anzugeben. Da- te Verschuldung oder die Schuldenquote am Ende die Beurteilung der Nachhaltigkeit der Finanzpoli- her wird eine Finanzpolitikdervielfach dann als betrachteten nachhaltig Periode bezeichnet, nicht höher ist als zuwenn die absolu- Die Generationenbilanz beruht auf tik verwendet. Beginn. Die EU verwendet für die Berechnung des derselben theoretischen Basis, fokussiert sich je- te Verschuldung oder die Schuldenquote am Ende der betrachteten Periode nicht Fiscal Gap einen Grenzwert von 60 Prozent des doch wie die Bezeichnung bereits suggeriert auf höher ist als zu Beginn. Die EU verwendet für die Berechnung BIP wie er in den sog. «Maastrichter Kriterien» des Fiscal Gap einen intergenerationelle Verteilungsaspekte, während aufgeführt ist. Grenzwert von 60% des BIP wie er in den sog. „Maastrichter Kriterien“ aufgeführt ist. der Fiscal Gap-Ansatz die Optik der öffentlichen Haushalte wiedergibt. Bei der Erstellung von Ge- nerationenbilanzen müssen wesentlich mehr An- Der Fiscal Gap wird jeweils in Prozent des BIP angegeben. Er besagt, in welchem nahmen getroffen werden als bei der Berechnung Ausmass heute die Staatsfinanzen permanent 6 Zur Berechnung verbessert des Fiscal Gap werden f λ,T entsprechend einermüssen, Ziel- damit des am Fiscal Gap. Zudem sind für eine Gene schuld für den Zeithorizont T gleich λ mal nominelle Aus- rationenbilanz weit mehr Informationen erforder- gangsschuld wird folgende Formel verwendet: lich. Für die vorliegende Fragestellung (Stabilisie- 6 rung der Verschuldung) erscheint der Fiscal Gap- Zur Berechnung des Fiscal Gap f Ȝ,T entsprechend einer Zielschuld für den Zeithorizont T gleich Ȝ Ansatz daher als geeigneter. mal nominelle Ausgangsschuld wird folgende Formel verwendet: T § PB · § O · ¨¨1 ¸¸ B0 ¦ ¨ j ¸ M ¨ M ¸ © T ¹ j 1© j ¹ f O ,T T §Y · ¦ ¨ j¸ ¨ ¸ j 1 ©M j ¹ ijj ist der Aktualisierungsfaktorφzwischen Ausgangszeitpunkt ist der Aktualisierungsfaktor und Ausgangszeitpunkt zwischen Periode t, B0 die nominelle Aus- gangsschuld, PBj der Primärüberschuss j und Periode und t, BYjdie das nominelle nominelle AusBIP zur Zeit j.PB der Pri- gangsschuld, 0 j märüberschuss und Yj das nominelle BIP zur Zeit j. O:\Fr-daten\ZRW\DL\OE_Langfristperspektive\text\01Langfristperspektiven_öffentlFinanzen_d.doc
Bericht über die Langfristperspektiven der öffentlichen Finanzen in der Schweiz 16 3.2. Projektion der Ausgaben und BSV verwendete die gleiche Methode wie für sei- Einnahmen ne periodisch veröffentlichten Prognosen8, aber unter Einbezug unserer makroökonomischen An- nahmen (namentlich Übereinstimmung des Real- Die Vorgehensweise bei der Erstellung der Projek- lohnwachstums mit unseren Produktivitätswachs- tionen entspricht weitgehend derjenigen der EU7. tumsraten für das Basisszenario und die Sensitivi- Die Resultate sind daher vergleichbar. tätsanalysen) und mit Projektionen bis 2050. Die vom BSV in Preisen des Jahres 2007 ausgedrück- Die Berechnungen für den Bund stützen sich auf ten Zahlen sind für diesen Bericht in nominale das Zahlenwerk des Legislaturfinanzplans 2009- Grössen umgewandelt worden. Weiter haben wir 2011. Während der Legislaturfinanzplan eine Er- zusätzlich die Zinsen der AHV berechnet (Aktiv höhung der Mehrwertsteuer für die Finanzierung oder Passivzinsen). der IV vorsieht, wurde diese im Rahmen des vor- liegenden Berichts nicht berücksichtigt, da diese Bei der AHV berechnet das BSV die Rentensumme Erhöhung von Parlament und Volk noch nicht be- gestützt auf die Bestände nach Alter und Ge- schlossen worden ist. Aus demselben Grund blie- schlecht gemäss den Demografieszenarien des ben die Vorruhestandsleistungen im Rahmen der BFS sowie unter Berücksichtigung der schweize- AHV und das Rentenalter 65 für Frauen unbe- rischen, ausländischen und im Ausland lebenden rücksichtigt. Bei den Kantonen und Gemeinden Anspruchsberechtigten. Diese Renten werden wurden die Zahlen der Finanzstatistik für das Jahr nach dem Mischindex angepasst: die Teuerung 2005 als Grundlage verwendet. wird vollständig berücksichtigt, die Reallohnent- wicklung aber nur zur Hälfte Die Durchschnitts- Detaillierte Projektionen der Ausgaben auf allen quoten der Beitragszahlenden (Anzahl beitrags- Staatsebenen inkl. Sozialversicherungen wurden zahlende Personen im Verhältnis zur gesamten in denjenigen Bereichen vorgenommen, die am Bevölkerung) und die durchschnittlichen Beiträge stärksten vom demografischen Wandel betroffen werden nach Nationalität, Geschlecht und Alter sind. Es sind dies die Alterssicherung, die Invali- ermittelt. Das BSV berechnet die Einnahmen des denversicherung, die Gesundheit, die Langzeit- AHV-Fonds durch Addition dieser Beiträge mit pflege und in einem vermindertem Mass die Bil- den übrigen Beiträgen, wie die Beiträge der öf- dung. fentlichen Hand. Die Projektionen der Ausgaben und der Einnah- Die IV wird aus Beiträgen von Arbeitnehmern und men der AHV und der IV wurden vom Bundesamt Arbeitgebern sowie durch Zuwendungen des für Sozialversicherung (BSV) durchgeführt. Das Bundes, welcher rund 38 Prozent der Ausgaben der IV bezahlt, finanziert. Die Ausgaben der IV hängen massgeblich von den Renten ab. Ihr An- 8 Siehe insbesondere den vom BSV 2006 Zur Erfüllung des Postulats Baumann herausgegebenen «Bericht über die Ent- wicklung der Sozialversicherungen 2030» oder die jüngsten Finanzperspektiven auf der Homepage des BSV. Entsprechend der unterstellten «no-policy-change»-Annahme wurde bei 7 European Commission (2006a) und European Commission den BSV-Projektionen für diesen Bericht die 11. AHV-Revision (2006b) nicht berücksichtigt.
Bericht über die Langfristperspektiven der öffentlichen Finanzen in der Schweiz 17 teil an den Gesamtausgaben steigt unter der Neu- Im Bereich des Gesundheitswesens werden die gestaltung des Finanzausgleichs und der Aufga- Projektionen in zwei Stufen erarbeitet. Ausge- benteilung zwischen Bund und Kanton (NFA) von hend von den Gesundheitsausgaben im Basisjahr rund 56 auf etwa 67 Prozent. Die Veränderung 2005 werden die Ausgaben nach Alterskohorten der Rentenausgaben selbst wird durch zwei Ent- und Geschlecht projiziert. Den internationalen wicklungen bestimmt: einerseits die Anpassung Gepflogenheiten folgend, werden die Projekti- der IV-Renten an den Mischindex (analog AHV) onen im Bereich der Langzeitpflege9 gesondert und andrerseits die Entwicklung des Rentenbe- erstellt. In einem zweiten Schritt erfolgen die Pro- standes. Für die Projektionen des Rentenbestands jektionen für die öffentlichen Ausgaben im Be- verwendet das BSV die nach Alter und Geschlecht reich Gesundheit, wobei die Ausgaben für die in- unterteilten Wahrscheinlichkeiten der jüngsten dividuelle Prämienverbilligung ebenfalls berück- Vergangenheit, invalid zu werden und aus dem sichtigt werden. Das in diesem Bericht verwende- Invalidenbestand auszutreten. Mit der Entwick- te Referenzszenario für das Gesundheitswesen lung der Alterskohorten gemäss BFS-Demogra- orientiert sich an den entsprechenden Arbeiten fieszenario wird dann die Dynamik des Rentenbe- der EU-Kommission10. Das Referenzszenario stands ausgehend vom neusten verfügbaren Be- nimmt an, dass die Hälfte der durch die bis 2050 stand mit Hilfe der projizierten Zu- und Abgänge weiter zunehmende Lebenserwartung gewon- ermittelt. Dabei wird die Wirkung der 5. IV-Revisi- nenen Lebenszeit in einem guten Gesundheitszu- on mit einem Rückgang der Zugänge um 15 Pro- stand verbracht werden kann. Zudem beeinflusst zent gegenüber der heutigen Situation veran- die Zunahme des gesamtwirtschaftlichen Einkom- schlagt. Durch die 5. IV-Revision wird sich der mens den Anstieg der Gesundheitsausgaben über Rentenbestand im Jahr 2050 auf 82 Prozent des Angebots- und Nachfrageeffekte überproportio- Standes vom Januar 2006 reduzieren, während nal. Neben den Auswirkungen des demogra- ohne Revision der Rentenbestand auf 108 Prozent fischen Wandels auf die Gesundheitsausgaben des heutigen Standes ansteigen würde. sollen die Projektionen die Effekte wichtiger nicht- demografischer Kostentreiber aufzeigen11. Bei den Ergänzungsleistungen zur AHV und IV wurde davon ausgegangen, dass sie sich im Bei den Ausgabenprojektionen im Bereich der Bil- Gleichschritt mit den AHV- bzw. IV-Ausgaben ent- dung wurden zunächst die potenziellen Einspa- wickeln. Ausgenommen davon sind die Ergän- rungen aufgrund abnehmender Schülerzahlen zungsleistungen zur AHV an Personen in Pflege ermittelt. Die Zahlen dazu vermitteln die Tabellen institutionen, die von den Kantonen finanziert 1 und 2. Da zum einen erhebliche Unsicherheit werden. Bei diesem Teil der Ergänzungsleistungen bezüglich der Realisierbarkeit dieser Einsparungen wurde unterstellt, dass sie proportional zu den besteht und andererseits solche Einsparungen Pflegeausgaben anwachsen. Sie sind entspre- insbesondere aus volkswirtschaftlicher Sicht mög- chend unter den öffentlichen Ausgaben im Be- licherweise wenig wünschenswert sind, wurde bei reich der Langzeitpflege aufgeführt. den Berechnungen des Fiscal Gap und bei der 9 Im Bereich der Langzeitpflege werden nur die Alterskohor- ten über 65 Jahre berücksichtigt. 10 European Commission (2006a) und European Commission (2006b) 11 Für den Bereich des Gesundheitswesens wurden im Rah- men der sog. Entwicklungsszenarien Projektionen mit unter- schiedlichen Annahmen bezüglich der verschiedenen Kosten- treiber durchgeführt (siehe Bericht zur Legislaturfinanzplanung 2009-2011). Für eine ausführliche Darstellung vgl. das Wor- king Paper Nr. 10 des Ökonomenteams der Eidg. Finanzver- waltung.
Bericht über die Langfristperspektiven der öffentlichen Finanzen in der Schweiz 18 Darstellung der Entwicklung der Verschuldung Die Ausgaben und die Einnahmen der Arbeitslo- (Grafiken 6 und 7) davon ausgegangen, dass sich senversicherung werden ebenfalls mit der Wachs- die Bildungsa usgaben wie die übrigen Ausgaben tumsrate des nominellen BIP fortgeschrieben. Da- mit dem BIP entwickeln. bei wird von der Annahme ausgegangen, dass sich dieses Sozialwerk langfristig im Gleichge- Bei den Zinszahlungen der öffentlichen Hand un- wicht befindet. terstellen wir bei den Kantonen aufgrund der Ver- gangenheitsentwicklung einen um 0,3 Prozent- Auf der Einnahmenseite wird die Hypothese punkte höheren Zinssatz als beim Bund. Bei den aufgestellt, dass die Einnahmenquote unter der Gemeinden gehen wir von einer Differenz von allgemein unterstellten «no-policy-change»-An- einem Prozentpunkt im Vergleich zum Bund aus. nahme konstant bleibt. Demzufolge steigen die Einnahmen der drei Staatsebenen mit dem nomi- Bei den übrigen Ausgaben, die beim Bund im Jahr nellen BIP. 2005 etwas über 60 Prozent, bei den Kantonen gut 40 Prozent und bei den Gemeinden 50 Pro- Die Analyse abstrahiert im Weiteren von der zent des Totals ausmachen, wurde die vereinfa- Schuldenbremse auf Bundesebene und analogen chende Annahme getroffen, dass diese mit dem Regelungen auf Kantons- und Gemeindeebene, nominellen BIP anwachsen, sodass deren Anteil damit die Finanzierungslücke aufgezeigt werden am BIP im Zeitverlauf konstant bleibt. Diese An- kann. nahme wird in den meisten derartigen Studien getroffen, da bei diesen Ausgaben der Einfluss des demografischen Wandels kaum quantitativ abgeschätzt werden kann.
Bericht über die Langfristperspektiven der öffentlichen Finanzen in der Schweiz 19 4. Ergebnisse 4.1. Demografieabhängige Ausgaben gaben in den von der Demografie am stärksten beeinflussten Bereichen erfassen zu können. Eine zum BIP überproportionale Ausgabenzunahme Die Ausgaben werden in diesem Bericht, wenn es bedeutet dann eine steigende finanzielle Bela- nicht anders ausgeführt ist, aufgrund der fol- stung der Haushalte. Im Jahr 2005 beliefen sich genden Überlegungen ausschliesslich im Verhält- die Ausgaben für Bildung, Altersicherung und IV, nis zum BIP angegeben. Das BIP stellt einen Indi- Gesundheit sowie Pflege der drei Staatsebenen kator für die Einkommensentwicklung der inlän und der Sozialwerke gemessen am BIP auf 20,6 dischen Volkswirtschaft dar. Die Ausgaben sollten Prozent. Gemäss Projektionen steigt dieser Wert im Verhältnis zum BIP ausgewiesen werden, um bis 2050 auf 25,0 Prozent. die Änderung der finanziellen Belastung der öf- fentlichen und privaten Haushalte durch die Aus- Grafik 5: Veränderung der Ausgaben für den Staat insgesamt (kumuliert, in Prozent des BIP) 3,0 % 2,5 % 2,0 % 1,5 % 1,0 % 0,5 % 0,0 % 2020 2030 2040 2050 Altersversicherung, IV Gesundheit Langzeitpflege Die Grafik 5 zeigt die Veränderung der Ausgaben der demografiebedingte Druck erheblich: Bis in den genannten Aufgabengebieten auf. Bis zum 2030 steigt der Mehrbedarf auf rund 2 und bis Jahr 2020 sind die Auswirkungen noch beschei- 2050 auf knapp 3 BIP-Prozentpunkte. In den Be- den. Die Ausgaben im Bereich der Alterssiche- reichen Gesundheit und Langzeitpflege entsteht rung/IV entwickeln sich nur leicht dynamischer als wegen des demografischen Wandels ebenfalls ein das BIP und steigen gegenüber 2005 um 0,5 Pro- steigender Mehrbedarf. Das Ausmass ist indessen zentpunkte des BIP an. Nach 2020 verstärkt sich nicht so gross wie bei der Alterssicherung/IV.
Bericht über die Langfristperspektiven der öffentlichen Finanzen in der Schweiz 20 Tabelle 1: Demografieabhängige Ausgaben 2005 2050 Veränderung 2005-2050 (in BIP-%) (in BIP-%) (in PP des BIP) Alterssicherung/IV 10,3 13,1 2,8 Gesundheit 4,4 5,8 1,4 Langzeitpflege 0,5 1,4 0,8 Summe (o. Bildung) 15,2 20,2 5,0 Bildung 5,4 4,8 -0,6 Summe (inkl. Bildung) 20,6 25,0 4,4 Differenzen in den Summen sind auf Rundungen zurückzuführen Aufgrund von abnehmenden Schülerzahlen be- dert dargestellt ist. Dieser wird jedoch bei den steht bei den Bildungsausgaben zwar ein Entla- weiteren Ausführungen nicht mehr berücksichti- stungseffekt, der in den Tabellen 1 und 2 geson- gt. Tabelle 2: Demografieabhängige Ausgaben nach Staatsebenen 2005 2050 Veränderung 2005-2050 (in BIP-%) (in BIP-%) (in PP des BIP) Inkl. Bildungsausgaben: Bund 3,2 4,6 1,5 Kantone 7,1 8,4 1,2 Gemeinden 3,7 3,9 0,2 Sozialwerke* 6,7 8,1 1,4 Total 4,4 ohne Bildungsausgaben Bund 2,7 4,2 1,5 Kantone 4,0 5,5 1,6 Gemeinden 1,9 2,4 0,6 Sozialwerke* 6,7 8,1 1,4 Total 5,0 * ohne Beiträge des Bundes an Ausgaben AHV/IV Differenzen in den Summen sind auf Rundungen zurückzuführen Bei der Betrachtung der Ergebnisse für die einzel- vom demografischen Wandel stärker betroffen als nen Staatsebenen in Tabelle 2 ist zu beachten, die Kantone und Gemeinden. Bis 2050 erreicht dass die Angaben ohne Doppelzählungen ausge- der Mehrbedarf drei bzw. zwei Prozentpunkte des wiesen sind. Der Bund und seine Sozialwerke sind BIP.
Bericht über die Langfristperspektiven der öffentlichen Finanzen in der Schweiz 21 4.2. Verschuldung und Fiscal Gap nehmend, was die Verschuldung rapide ansteigen lässt. Dies zeigt, dass trotz einer bis 2025 wenig besorgniserregenden Entwicklung keine Entwar- Im Basisszenario steigt die Verschuldung der drei nung gegeben werden kann, da die demogra- Staatsebenen und der Sozialwerke von 48 Prozent fischen Effekte auf die öffentlichen Haushalte erst des BIP im Jahr 2005 auf 129 Prozent am Ende nachher zu wirken beginnen und die Implemen- des betrachteten Zeithorizonts im Jahr 2050 (sie- tierung von Reformmassnahmen in den Bereichen he Grafik 6). Bis 2020 sinkt die Schuldenquote Alterssicherung/IV, Gesundheit und Langzeitpfle- leicht. Ab 2025 verstärkt sich der demografiebe- ge sehr viel Zeit erfordert. dingte Druck auf die öffentlichen Haushalte zu- Grafik 6: Schuldenquote Staat insgesamt (in % des BIP) 140 % 120 % 100 % 80 % 60 % 40 % 20 % 0% 2010 2020 2030 2040 2050 Wird der Verlauf der Schuldenquoten nach der Anstieg insgesamt geringer ist. Dies unter der Staatsebenen unterschieden, so zeigt Grafik 7, Annahme, dass die Einnahmenquote über den dass diese beim Bund und seinen Sozialwerken gesamten Projektionszeitraum hinweg jeweils un- zusammengenommen am stärksten ansteigen, verändert bleibt. während bei den Kantonen und den Gemeinden
Bericht über die Langfristperspektiven der öffentlichen Finanzen in der Schweiz 22 Grafik 7: Schuldenquote nach Staatsebenen (in % des BIP) 80 % 60 % 40 % 20 % 0% -20 % 2010 2020 2030 2040 2050 Bund Kantone Gemeinden Sozialvers. Wie oben bereits dargelegt, zeigt der Fiscal Gap Korrektur schon ab dem Jahr 2010 erfolgt, was den Korrekturbedarf an, wenn die Verschuldung aufgrund der langen Vorlaufzeit für Reformmass- gemessen an der Schuldenquote oder dem (nomi- nahmen sehr optimistisch ist. Aus diesem Grund nellen) Schuldenstand am Ende des betrachteten zeigt Tabelle 3 auf, wie der Fiscal Gap ansteigt, Zeithorizonts einen bestimmten Wert nicht über- wenn die Korrekturmassnahmen erst zu einem schreiten soll12. Im Rahmen dieses Berichts er- späteren Zeitpunkt wirken bzw. wenn mit den streckt sich die Zeitperiode bis zum Jahr 2050. Als notwendigen Korrekturen zugewartet wird. So Grenzwert für die Verschuldung wird a) die Schul- fällt der Korrekturbedarf um rund die Hälfte hö- denquote im Jahr 2003, d.h. 49 Prozent des BIP her aus, wenn die notwendigen Massnahmen erst und b) der Schuldenstand 2003, d.h. 216 Milliar- 2020 statt 2010 zu wirken beginnen. Je später den Franken verwendet. Bei der Berechnung des diese Massnahmen greifen, desto drastischer fällt Fiscal Gap wurde jeweils angenommen, dass die der Korrekturbedarf aus. 12 Dabei stellt sich die Frage, in welchem Zusammenhang der Fiscal Gap und der demografiebedingte Anstieg der Staatsaus- gaben stehen. Dies hängt davon ab, wann die altersbedingten Mehrbelastungen anfallen. Falls sich beispielsweise dieser Anstieg von 5 Prozentpunkten des BIP vollumfänglich schon im Jahr 2010 niederschlagen würde, wäre der Fiscal Gap 5% des BIP. Je später sich diese Mehrbelastungen manifestieren, desto geringer fällt dabei der Fiscal Gap aus.
Bericht über die Langfristperspektiven der öffentlichen Finanzen in der Schweiz 23 Tabelle 3: Fiscal Gap Fiscal Gap Beginn der Budgetkorrekturen 2010 2020 2030 Ziel: Gleicher nominelle 2,0 % 2,9 % 4,7 % Stand Verschuldung 2050 wie 2003 für … Schuldenquote 1,4 % 2,0 % 3,3 % 4.3. Bedeutung des Basisjahrs Wie sich eine Änderung beim Ausgabenniveau oder bei den Einnahmen auf den Fiscal Gap aus- wirkt, ist leicht erkennbar. Würde sich die Kurve Grundsätzlich sollte davon ausgegangen werden, der Einnahmen um 1 % des BIP nach unten oder dass Szenarien bis zum Jahr 2050 unabhängig die der Ausgaben um 1 % nach oben verschie- von der Konjunkturlage des Basisjahres sind. Das ben, nähme der Fiscal Gap um 1 Prozentpunkt zu: würde aber bedeuten, dass bezüglich der Wirt- 3 % anstelle von 2 % des BIP, wenn die nomi- schaftslage im Basisjahr zwischen «transito nelle Schuld aller öffentlichen Haushalte im Jahr rischen» und «permanenten» Komponenten un- 2050 derjenigen im Jahr 2003 entsprechen soll. terschieden wird. Der Einfachheit halber ist diese Das lässt sich wie folgt erklären. Um ein Prozent Unterscheidung nicht vorgenommen worden. des BIP tiefere Einnahmen oder um ein Prozent Alle Entwicklungen, welche die Ausgangslage des BIP höhere Ausgaben erhöhen den Sanie- beeinflusst haben, gelten als permanent (ausser rungsbedarf, der besteht um das avisierte Schul- insofern, als bei der Formulierung der Hypothesen denziel zu erreichen, und damit den Fiscal Gap zu den makroökonomischen Eckwerten des Fi- um 1 Prozentpunkt. nanzplans eine Korrektur berücksichtigt wird). Das ist beispielsweise für die Variablen wichtig, 4.4. Sensitivitätsanalysen bei denen wir eine Entwicklung entsprechend dem BIP unterstellen: bestimmte Ausgaben sowie Bei den makroökonomischen Grössen wurden der Grossteil der Einnahmen. Wenn diese Ausga- Sensitivitätsanalysen hinsichtlich des Wachstums ben am Anfang einen ungewöhnlich tiefen oder der Arbeitsproduktivität und des Zinssatzes durch- die Einnahmen einen ungewöhnlich hohen Anteil geführt. Gegenüber dem Basisszenario (Wachs- am BIP darstellen, wären unsere Szenarien zu op- tum der Arbeitsproduktivität 1% p.a. und realer timistisch, da wir ja davon ausgehen, dass die An- Zinssatz 2%) wurden die beiden Grössen nach teile gleich bleiben. Weil diese Anteile je nach oben und unten um jeweils 0.5 Prozentpunkte Konjunktur variieren, beeinflusst die Konjunktur- variiert. Tabelle 4, 5 und 6 zeigen die Ergebnisse lage im Basisjahr unsere Resultate. Bei den Kanto- der Sensitivitätsanalysen. Der aufgeführte Fiscal nen und Gemeinden wird als Basisjahr 2005, bei Gap in Tabelle 4 bezieht sich auf die Schulden- der AHV und der IV wird als Basisjahr 2006 und quote im Jahr 2003 und auf den Zeithorizont beim Bund das letzte Jahr des Finanzplans 2011 2050 und geht davon aus, dass Korrekturmass- als Basisjahr herangezogen. Nach dem Jahresbe- nahmen ab 2010 greifen. richt 2007 der Kommission für Konjunkturfragen bestand Ende 2005 kein Output Gap, und 2006 übertraf das effektive BIP das potenzielle.
Bericht über die Langfristperspektiven der öffentlichen Finanzen in der Schweiz 24 Tabelle 4: Ergebnisse der Sensitivitätsanalysen: Fiscal Gap bezüglich der Schuldenquote in Prozent des BIP Zinssatz 1,5 2,0 2,5 0,5 – 2,0 – Produktivität 1,0 1,3 1,4 1,5 1,5 – 0,9 – Basisszenario Steigt das Wachstum der Arbeitsproduktivität, so sinkt der Gegenwert (d.h. der abdiskontierte nimmt der Fiscal Gap vor allem deswegen ab, weil Wert) künftiger Primärdefizite. Per saldo heben die Renten mit dem sog. Mischindex angepasst sich diese beiden gegenläufigen Effekte zufälli- werden. Während die Teuerung vollständig be- gerweise praktisch auf. rücksichtigt wird, partizipieren die AHV- und IV- Rentner nur zur Hälfte an der Reallohnentwick- In Tabelle 5 sind die Ergebnisse für den Fiscal Gap lung. Letztere entspricht dabei dem Wachstum bezüglich des nominellen Schuldenstands darge- der Arbeitsproduktivität. Der Zinssatz hingegen stellt. Im Zeitverlauf sinkt bei diesem Kriterium die hat weit geringere Auswirkungen auf den Fiscal Schuldenquote. Der Fiscal Gap fällt damit höher Gap. Steigt der Zinssatz, so steigen die Aufwen- aus als in Tabelle 4. Das Muster der Sensitivitätsa- dungen zur Bedienung der Schulden. Hingegen nalyse ist indessen dasselbe. Tabelle 5: Ergebnisse der Sensitivitätsanalysen: Fiscal Gap bezüglich des nominellen Schuldenstands in Prozent des BIP Zinssatz 1,5 2,0 2,5 0,5 – 2,5 – Produktivität 1,0 2,0 2,0 2,0 1,5 – 1,6 – Basisszenario
Bericht über die Langfristperspektiven der öffentlichen Finanzen in der Schweiz 25 Tabelle 6: Ergebnisse der Sensitivitätsanalysen: Stand der Schuldenquote 2050 in Prozent des BIP Zinssatz 1,5 2,0 2,5 0,5 – 173 – Produktivität 1,0 117 129 144 1,5 – 94 – Basisszenario Die Tabelle 6 zeigt den Stand der Schuldenquote Basisszenario, verdoppelt sich die Schuldenquote am Ende der betrachteten Zeitperiode. Selbst gegenüber dem Stand im Jahr 2003. wenn das Produktivitätswachstum höher ist als im
Bericht über die Langfristperspektiven der öffentlichen Finanzen in der Schweiz 26 Exkurs: Öffentlich-rechtliche Vorsorgeeinrichtungen Einleitung 2. Beiträge in die zweite Säule stellen die wichtigsten Lohnnebenkosten dar Vorsorgeeinrichtungen sind grundsätzlich in der Schweiz nach dem Kapitaldeckungsverfahren fi- Die Beiträge für die zweite Säule stellen für die nanziert. Dieses ist weit weniger dem demogra- öffentliche Hand als Arbeitgeber die grössten phischen Risiko ausgesetzt als nach dem Umlage- Lohnnebenkosten dar. verfahren finanzierte Altersvorsorgesysteme wie die AHV, weil jede Generation weitgehend ihre 3. Besonderheiten von öffentlich-recht- Leistungen selbst vorfinanziert. Es ist daher a prio- lichen Vorsorgeeinrichtungen ri nicht offensichtlich, wieso Vorsorgeeinrich- tungen des öffentlichen Sektors insbesondere die Einige rechtliche und wirtschaftliche Besonder- Leistungsprimatkassen mit Staatsgarantie im vor- heiten müssen bei der Beurteilung von Vorsorge- liegenden Bericht überhaupt zu betrachten sind. einrichtungen der öffentlichen Hand betrachtet Es können jedoch drei Gründe aufgeführt wer- werden. den, diese Thematik im Rahmen eines Exkurses zu behandeln, auch wenn die Vorsorgeeinrichtungen • Eigene Rechtsform grundsätzlich nicht dem Staatssektor zugeordnet Dem öffentlichen Sektor steht für die Errichtung sind: einer Vorsorgeeinrichtung neben den privatrecht- lichen Rechtsformen der Stiftung und der Genos- 1. Alterung hat auch Auswirkungen auf senschaft auch die Möglichkeit einer öffentlich- das Kapitaldeckungsverfahren rechtlichen Einrichtung offen. In den letzten Jah- ren wurden Vorsorgeeinrichtungen öffentlich- Die steigende Lebenserwartung führt bei gleich rechtlicher Körperschaften jedoch vermehrt in die bleibendem Rentenalter zu einer längeren Ren- Rechtsform einer privatrechtlichen Stiftung umge- tenbezugsdauer. Dies erfordert im Leistungspri- wandelt. Der Begriff «Einrichtung des öffentlichen mat ein entsprechend höheres Deckungskapital. Rechts» ist im BVG nicht näher erläutert und de- Seit einigen Jahren findet zudem eine Debatte ren Ausgestaltung ist daher den kantonalen bezüglich den Folgen der Alterung auf die lang- Rechtsordnungen überlassen (vgl. Art. 50 Abs. 2 fristigen Renditen der verschiedenen Anlagen und 51 Abs. 5 BVG). statt. Obschon ein «Asset Meltdown» durch den Eintritt der Baby-Boomer in den Ruhestand auf- • Teilkapitalisierung und Staatsgarantie grund der heutigen Erkenntnisse als wenig wahr- Gemäss Art. 69 Abs. 2 BVG kann «die Aufsichts- scheinlich erscheint, sind auf Grund der Alterung behörde Vorsorgeeinrichtungen von öffentlich- und Lebenszyklusüberlegungen Umschichtungen rechtlichen Körperschaften unter den vom Bun- in weniger volatile Anlagen plausibel13, was das desrat festgesetzten Bedingungen ermächtigen, Deckungskapital zusätzlich schmälert. vom Grundsatz der Bilanzierung in geschlossener Kasse abzuweichen.» Diese Ausnahmeregelung 13 Verschiedene Studien gehen von einem Rückgang der weltweit realen Kapitalerträge von maximal einem Prozent- punkt aus (vgl. Gerber, David S. und René Weber (2004): Ren- tenfinanzierung mit Risiken. In: Schweizer Bank, 10/2004). Empirische Evidenz für Schweizer Pensionskassen bestätigt den Einfluss der Altersstruktur auf den Aktienanteil von Vor- sorgeeinrichtungen (vgl. Gerber, David S. und René Weber (2007): Demography and investment behavior of pension funds: evidence for Switzerland. In: Journal of Pension Econo- mics and Finance; 313-337; November ).
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