VVENC UND VVDEC: FRAUNHOFER HHI STELLT OFFENE, OPTIMIERTE IMPLEMENTIERUNGEN DES NEUEN VIDEOKODIER STANDARDS H.266/VVC BEREIT

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VVENC UND VVDEC: FRAUNHOFER HHI STELLT OFFENE, OPTIMIERTE IMPLEMENTIERUNGEN DES NEUEN VIDEOKODIER STANDARDS H.266/VVC BEREIT
32 Forschung & Entwicklung _ Beiträge                                                                               Dezember 2020 FKT

                                  VVENC UND VVDEC:
FORSCHUNG

                            FRAUNHOFER HHI STELLT OFFENE,
                            OPTIMIERTE IMPLEMENTIERUNGEN
                               DES NEUEN VIDEOKODIER­
                             STANDARDS H.266/VVC BEREIT
                                                 ADAM WIECKOWSKI, BENJAMIN BROSS, DR. DETLEV MARPE

                         Einleitung                                                     gegenüber VTM wurde erst kürzlich in formalen VVC Verifi-
                                                                                        cation Tests offiziell bestätigt.
                         Komprimierte Videodaten machen heute den mit
                         Abstand größten Anteil an Bits im Internet so-                 Versatile Video Coding
                         wie im mobilen Datenverkehr aus. Dabei ist die
                         Tendenz weiter steigend. Im Juli 2020 wurde der                Bei der Entwicklung des neuen VVC-Standards standen zwei
                         neue Videokodierstandard Versatile Video Coding                wesentliche Ziele im Vordergrund. Als erstes sollte VVC eine
                         (H.266/VVC) verabschiedet. H.266/VVC wurde                     deutliche Steigerung der Kodiereffizienz gegenüber HEVC
                                                                                        ermöglichen. Die erst kürzlich veröffentlichten Ergebnisse
                         gemeinsam von ITU-T und ISO/IEC entwickelt und
                                                                                        der formalen subjektiven Verification Tests bestätigen eine
                         soll helfen, alle zukünftigen Herausforderungen im             Bitrateneinsparung zwischen 40 und 50 Prozent bei gleicher
                         Bereich der Videoübertragung zu meistern.                      subjektiver Qualität.
                                                                                            Das zweite Ziel steckt bereits im Namen des neuen Stan-
                                                                                        dards und heißt Vielseitigkeit (Englisch: Versatility/versatile).
                                                                                        So sollte bereits die erste Version des Standards ein breites

                        P    arallel zur Entwicklung der VVC-Standardspezifikation in
                             Textform wurde eine Referenzimplementierung in Soft-
                         ware gepflegt, das sogenannte VVC Test Model (VTM). Das
                                                                                        Spektrum an Anwendungen effizienter als je zuvor unterstüt-
                                                                                        zen. Dazu gehören die Kodierung von Computer-generiertem
                                                                                        Video (zum Beispiel im Bereich Gaming, Bildschirminhalte
                         VTM wurde während der Standardisierungsphase genutzt,          für Videokonferenzen oder Remote-Desktop-Anwendun-
                         um neu vorgeschlagene Technologien im Hinblick auf Ko-         gen), immersive Anwendungen wie 360-Grad-Video sowie
                         diereffizienz und Komplexität zu erproben. Die Entwicklung     Verbesserungen für adaptives Streaming mit wechselnden
                         der Kodiereffizienz (Bitratenreduktion) sowie der Enkoder-/    Bildauflösungen.
                         Dekoderkomplexität (Laufzeit) für die verschiedenen Versio-        Beide Ziele werden durch den Einsatz neuer Algorithmen
                         nen von VTM gegenüber der HEVC-Referenzsoftware (HM) ist       erreicht, wobei VVC genauso wie seine Vorgänger H.265/
                         in Abbildung  1 dargestellt.                                   HEVC und H.264/AVC auf einem hybriden, blockbasierten
                             Es ist zu sehen, dass neben der Kodiereffizienz (grüne     Kodieransatz beruht. Dabei wird jedes Videobild in kleinere
                         Kurve) auch die Enkoder-/Dekoderkomplexität (graue bzw.        Blöcke aufgeteilt, die jeweils entweder mittels Intra- (im Bild)
                         schwarze Kurve) gestiegen ist. Hierbei ist zu bemerken, dass   oder Inter-Bild-Prädiktion (mithilfe von Bewegungskompen-
                         der Anstieg für den Dekoder deutlich moderater ausfällt, wo-   sation) prädiziert werden. Der daraus resultierende Prädik-
                         bei diese Asymmetrie für alle Anwendungen im Broadcast-        tions- oder Restfehler wird mithilfe von Transformation und
                         oder Streamingbereich durchaus beabsichtigt ist. Getreu        Quantisierung statistisch dekorreliert und zusammen mit
                         dem Paradigma „einmal Enkodieren und mehrfach Dekodie-         allen weiteren Daten zur Partitionierung und Prädiktion mit-
                         ren“ (engl. encode once, decode many times), verfügen End-     hilfe von Entropiekodierung in einen standard-konformen
                         geräte wie Smartphones oder Fernsehgeräte typischerwei-        Bitstrom geschrieben. Während im Großen und Ganzen kei-
                         se nur über einen Dekoder. Dahingegen kommen Enkoder           ner der Bausteine wie Prädiktion und Transformation neu ist,
                         oftmals nur in leistungsstärkeren Rechnern, zum Beispiel in    wurden diese jedoch methodisch erweitert und verbessert.
                         Sendezentren oder in der Cloud, zum Einsatz.                   Im Folgenden sind lediglich die neuen VVC-Algorithmen kurz
                             Nur zwei Monate nach der Fertigstellung des neuen          aufgeführt. Diese sind durch ihre Komplexität für die im Wei-
                         Standards hat das Fraunhofer Heinrich-Hertz-Institut im        teren diskutierten VVC-Implementierungen relevant.
                         September 2020 seine optimierten Implementierungen ei-         • Bi-Directional Optical Flow (BDOF): Ermöglicht eine de-
                         nes VVC-Enkoders (VVenC) und eines VVC-Dekoders (VVdeC)            koderseitige Verfeinerung der Bewegungskompensation
                         veröffentlicht. Diese sind seitdem auf der Plattform GitHub        basierend auf dem Modell des optischen Flusses.
                         als Quelltext frei verfügbar. Sie bringen neben erheblichen    • Decoder-side Motion Vector Refinement (DMVR): Er-
                         Beschleunigungen gegenüber der VTM-Referenzsoftware                laubt ebenfalls eine dekoderseitige Bewegungsverfei-
                         enkoderseitig zusätzlich noch Optimierungsoptionen im              nerung, allerdings durch zusätzliche Suche mittels Block
                         Hinblick auf die subjektiv wahrgenommene Bildqualität. Die         Matching.
                         höhere subjektive Qualität bei gleicher Bitrate von VVenC      • Affine motion model: Ermöglicht die Erweiterung der
VVENC UND VVDEC: FRAUNHOFER HHI STELLT OFFENE, OPTIMIERTE IMPLEMENTIERUNGEN DES NEUEN VIDEOKODIER STANDARDS H.266/VVC BEREIT
FKT Dezember 2020                                                                           Forschung & Entwicklung _ Beiträge              33

                                                                                                                                                  FORSCHUNG
                                                                                                           Abbildung 1: Progression der Kodie-
                                                                                                           reffizienz sowie Enkoder- und Deko-
                                                                                                           derkomplexität des VVC-Testmodells
                                                                                                           (VTM) während der Standardentwick-
                                                                                                           lung gegenüber des HEVC-Testmo-
                                                                                                           dells (HM).

    translatorischen Bewegungskompensation auf affine Be-     tuelle Version ist nun mit dem finalen VVC-Standard konform
    wegung wie Rotation, Scherung und Parallelstreckung.      und erlaubt eine sehr gut skalierende Parallelisierung. Diese
•   Luma Mapping with Chroma Scaling (LMCS): Ermöglicht       enthält zudem strukturelle sowie algorithmische Optimie-
    eine adaptive Anpassung des Dynamikbereichs.              rungen, die im Folgenden anhand diverser empirisch ermit-
•   Adaptive Loop Filter (ALF): Zusätzlicher, adaptiver In-   telter Daten näher erklärt werden sollen.
    Loop-Filter zur Verbesserung des Rekonstruktionssig-          In Abbildung  2 sind die Dekoder-Laufzeiten für fünf
    nals.                                                     Sekunden lange Ultra High-Definition (UHD) Videosequen-
•   Deblocking Filter (DBF): Der von HEVC und anderen Stan-   zen dargestellt, die jeweils in der Referenzimplementierung
    dards bekannte Deblocking Filter wird in VVC mit feine-   VTM-10 sowie in der optimierten Implementierung VVdeC
    rer Granularität (4x4 Block-Raster) angewandt.            von jeweiligen Komponenten in Anspruch genommen wer-
•   Adaptive Motion Vector Resolution (AMVR): Ermöglicht      den. Vor allem durch eine entschlackte Softwarestruktur
    die Signalisierung der Bewegungsvektoren mit einer        und eine Optimierung der Sample-Operationen konnten
    adaptiven Auflösung mit Genauigkeiten von 1/4 eines       viele Teile des Dekoders beschleunigt werden. Letztere
    Bildpunktes bis 4 Bildpunkte.                             konnten vor allem durch den umfangreichen Einsatz von
•   Symmetric Motion Vector Difference (SMVD): Erlaubt es,    Vektorisierung mit Single-Instruction Multiple-Data (SIMD)
    bei Bi-Prädiktion aus zwei Richtungen nur einen Bewe-     erreicht werden (z. B. Advanced Vector Extensions – AVX2).
    gungsvektor explizit zu übertragen. Unter der Annahme     Im Gegensatz zu früheren Referenzimplementierungen wie
    symmetrischer Bewegung wird dieser dann verwendet         HM für HEVC oder JM für AVC, enthält VTM eine ganze Reihe
    um den Vektor der anderen Richtung herzuleiten.           laufzeitoptimierter Algorithmen. Das betrifft vor allem die
•   Merge plus Motion Vector Difference (MMVD) und Geo-       Interpolationsfilter und ALF. Wie in Abbildung  2 zu sehen ist,
    metric Partitioning Mode (GPM) sind weitere Algorith-     konnten diese in VTM bereits optimierten Routinen in VVdeC
    men, die es ermöglichen, den von HEVC bekannten Mer-      noch einmal um das Zweifache beschleunigt werden.
    ge-Modus zur effizienten Kodierung von Bewegungsin-           Der VVdeC-Dekoder kann das Dekodieren sehr effizient
    formationen adaptiv weiter zu verfeinern.                 über mehrere Rechenkerne eines modernen Prozessors ver-
                                                              teilen. So können je nach Rechenleistung, Anzahl der Kerne
VVdeC Software Dekoder                                        sowie Bitrate des Videos UHD-Videosignale mit bis zu 60 Bil-
Das Fraunhofer HHI hat die Arbeiten an einem optimierten      dern pro Sekunde (frames per second – fps) dekodiert wer-
Softwaredekoder schon früh während der Standardentwick-       den. Im Abbildung  3 sind die erreichten Dekodiergeschwin-
lung aufgenommen (siehe. FKT 8–9 2019, S. 60–63). Die ak-     digkeiten für UHD-Videos auf einer modernen Workstation

                                                                                                              Abbildung 2: Durchschnittliche
                                                                                                              Verarbeitungsdauer einzelner
                                                                                                              Dekoderkomponenten für 5s
                                                                                                              lange UHD Sequenzen auf einem
                                                                                                              modernen Rechner mit AVX2-Un-
                                                                                                              terstützung (IF = Interpolations-
                                                                                                              filter, MIDER= Herleitung der
                                                                                                              Bewegungsinformationen, SAO =
                                                                                                              Sample Adaptive Offset Filter).
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34 Forschung & Entwicklung _ Beiträge                                                                                          Dezember 2020 FKT

                                                                                                         Idealerweise würde ein Enkoder alle Möglichkeiten aus-
                                                                                                    probieren und jene Kombination wählen, die bei gegebener
FORSCHUNG

                                                                                                    Rate die beste Qualität liefert. Dieser Brute-Force-Ansatz ist
                                                                                                    aber nicht praktikabel, weshalb üblicherweise verschiede-
                                                                                                    ne Heuristiken verwendet werden, die den Parameterraum
                                                                                                    deutlich einschränken, ohne viel an Effizienz einzubüßen. Die
                                                                                                    vielen Freiheitsgrade erlauben es auch, einen Enkoder an-
                                                                                                    wendungsspezifisch zu optimieren. Für Video-on-Demand-
                                                                                                    Anwendungen kann ein Enkoder viele Möglichkeiten testen
                                                                                                    und somit auf Kosten der Laufzeit die Kodiereffizienz stei-
                                                                                                    gern. Bei Videokonferenzen oder Live-Streaming/-Broadcas-
                                                                                                    ting hingegen muss ein Enkoder den Suchraum aufgrund von
                                                                                                    Realzeitanforderungen und Latenz auf Kosten der Effizienz
                                                                                                    einschränken.
                                                                                                         Im Allgemeinen, aber auch bei VVC im Speziellen, kann
                                                                                                    man – vereinfacht gesagt – zwischen zwei Arten von Kodier­
                                                                                                    algorithmen unterscheiden. Die einen, beispielsweise die
                                Abbildung 3: Dekodiergeschwindigkeit in Abhängigkeit von der        dekoderseitige Verfeinerung der Bewegungsvektoren mit
                                Anzahl der genutzten Rechenkerne (Threads) sowie der Videobitrate   BDOF oder DMVR, werden implizit angewandt und können
                                auf einer modernen Workstation.                                     pro Bild oder pro Videosequenz eingeschaltet werden. Die
                                                                                                    anderen haben einen deutlich größeren Parameter- bzw.
                                                                                                    Suchraum. Das beinhaltet die Blockaufteilung, die für je-
                                                                                                    des Bild ermittelt und signalisiert werden muss, oder die
                                mit Core-i9-9980XE Prozessor für verschiedenen Bitraten             Intra-Prädiktionsmodi und Parameter zur Bewegungskom-
                                und Anzahl von parallel genutzten Rechenkernen (Threads)            pensation, die für jeden einzelnen Block explizit signalisiert
                                abgebildet.                                                         werden. In letzterem Fall muss der Enkoder pro Block ent-
                                    Die dargestellten Zahlen zeigen zum einen, dass der De-         scheiden, ob der spezifische Algorithmus angewandt werden
                                koder ziemlich gut über die Anzahl der Kerne skaliert. Zum          soll, was zu Komplexitätssteigerungen führt. Deswegen ist
                                anderen wird auch bei höheren Bitraten deutlich, dass die           die enkoderseitige Komplexität von VVC weniger von der
                                Optimierung noch nicht abgeschlossen ist. Hier muss VVdeC,          Komplexität der einzelnen Algorithmen bestimmt (wie im
                                speziell was die Softwarestruktur und die Speicherzugriffe          Falle des Dekoders), sondern vielmehr von der Anzahl an
                                betrifft, noch weiter verbessert werden, um auch flüssiges          möglichen Enkoderentscheidungen, also dem zugrunde ge-
                                Abspielen von UHD-Videos auf weniger leistungsstarken               legten Suchraum. Bei VVC ist dieser Suchraum sehr hochdi-
                                Rechnern zu ermöglichen.                                            mensional, was zur Folge hat, dass die potenziell hohe Bitra-
                                                                                                    tenreduktion mit einer ebenfalls deutlich erhöhten Enkoder-
                                VVenC Software Enkoder                                              komplexität einhergeht. Dies ist in der anfangs diskutierten
                                Neben den Arbeiten am optimierten Dekoder VVdeC haben               Abbildung  1 gut zu erkennen.
                                die Forscher des Fraunhofer HHI zusätzlich eine optimierte               Für die Entwicklung des Enkoders haben die HHI-For-
                                Enkoder-Implementierung namens VVenC entwickelt. Im                 scher mit einem sehr einfachen Grundgerüst angefangen.
                                Gegensatz zum Dekoder, der das Video aus komprimierten              Dieses wurde nach und nach um weitere in VVC verfügba-
                                VVC-Bitströmen streng nach Standard parst und dekodiert,            re Algorithmen ergänzt, wobei zuerst diejenigen integriert
                                hat eine Enkoderimplementierung viel mehr Freiheiten.               wurden, die eine hohe Kodiereffizienz bei vergleichsweise
                                Grundsätzlich bietet jeder Videokompressionsstandard vie-           geringer Laufzeit aufwiesen. Darüber hinaus wurden die
                                le Möglichkeiten, ein Video zu kodieren. Das fängt an mit der       VTM-Suchalgorithmen in VVenC dahingehend optimiert oder
                                Wahl der Partitionierung und setzt sich fort über die Anzahl        durch neue oder angepasste Algorithmen ersetzt, die ein
                                der Prädiktions- und Transformationsmodi bis hin zu den             noch besseres Verhältnis zwischen Laufzeit- und Effizienz­
                                umfangreichen Parametern der Filter.                                steigerung erreichen.

             Abbildung 4: Durchschnitt-
                liche Zeit pro Bild in der
                 Enkodersuche. VTM-10
               wurde in einer Konfigura-
            tion benutzt, die die gleiche
              Menge an Kodierwerkzeu-
             gen wie VVenC unterstützt.
                   Für VvenC-VTM-comp
             wurde VVenC mit gleichem
             Suchalgorithmus gesteuert
              (MVD – Bewegungsvektor-
                      differenzensuche).
VVENC UND VVDEC: FRAUNHOFER HHI STELLT OFFENE, OPTIMIERTE IMPLEMENTIERUNGEN DES NEUEN VIDEOKODIER STANDARDS H.266/VVC BEREIT
FKT Dezember 2020                                                                                                         Forschung & Entwicklung _ Beiträge          35

                                                                                                                                                                             FORSCHUNG
Abbildung 5: Verhältnis von Laufzeit- und Bitratendifferenz für VVenC bei unterschiedlichen Presets mit und ohne Parallelisierung im Ver-
gleich zum HM-16.22 HEVC-Referenzenkoder. Zusätzlich sind die Ergebnisse des VTM-10 VVC-Referenzenkoders sowie des libAOM AV1-En-
koders bei unterschiedlichen Presets abgebildet. Die Bitratendifferenzen basieren auf Messungen von Bitrate vs. PSNR.

     Abbildung 4 zeigt die Laufzeiten für verschiedene                                       dierwerkzeuge von VVC benutzt, für die jedoch die oben
VVC-Enkodieraspekte in der VTM-Referenzsoftware (VTM-                                        diskutierten, angepassten Suchalgorithmen genutzt werden.
10.0) in VVenC mit den gleichen Suchalgorithmen wie in                                       In der langsamsten Konfiguration werden viele der schnel-
VTM (VVenC-VTM-comp) sowie in VVenC mit optimierten                                          len Entscheidungsalgorithmen abgeschwächt sowie weitere
Suchalgorithmen (VVenC medium). Hier ist zu bemerken,                                        Werkzeuge dazu genommen, um in etwa auf die Kodier­
dass die ersten beiden Konfigurationen aufgrund der glei-                                    effizienz von VTM zu kommen. In Abbildung 5 sind die Lauf-
chen Enkoderentscheidungen die gleiche Kodiereffizienz                                       zeiten sowie Kodiereffizienz durch Bitrateneinsparung bei
aufweisen. VVenC in der „medium“-Konfiguration hingegen                                      gleichem Peak-Signal-to-Noise-Ratio (PSNR) der vier Presets
ist deutlich schneller, weist aber, wie im nächsten Abschnitt                                von VVenC gegenüber der HEVC-Referenzsoftware HM dar-
beschrieben, eine etwas geringere Kodiereffizienz auf. Es ist                                gestellt. Man sieht, dass die langsamste Konfiguration (slow)
sehr deutlich zu erkennen, wo VVenC gegenüber VTM-10                                         die gleichen hohen Rateneinsparungen wie VTM bei unge-
Laufzeit einsparen kann. Der Unterschied zwischen VTM und                                    fähr der Laufzeit von HM erzielt.
VVenC-VTM-comp zeigt lediglich die verbesserte Implemen-                                          Die zweitlangsamste Einstellung (medium) bietet dreifa-
tierung des jeweiligen Algorithmus in VVenC, wobei viele                                     che Beschleunigung gegenüber HM, behält jedoch weiter-
Optimierungen aus dem Dekoder übernommen wurden. Der                                         hin noch einen Großteil der VTM-Gewinne. Darüber hinaus
Vergleich von VVenC-VTM-comp zu VVenC medium zeigt,
wieviel Laufzeit eingespart werden kann, wenn bei gleicher
Implementierung zusätzlich noch der Suchalgorithmus an-
gepasst wird. Die angepassten Suchalgorithmen betreffen
                                                                                                                  ADAM WIECKOWSKI
vor allem die Bewegungskompensation und Blockaufteilung
(wobei letzteres in der Abbildung nicht direkt erkennbar ist,                                                    ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Projektleiter am
                                                                    Quelle: Fraunhofer HHI

weil sich dieses auf alle Suchbereiche auswirkt).                                                                Fraunhofer HHI. Er leitet die Entwicklungsarbeiten an den
     Gerade durch die Vielzahl neuer Möglichkeiten der Dar-                                                      optimierten VVC-Software-Implementierungen VVenC
stellung von Bewegungsvektordifferenzen (MVD inklusive                                                           und VVdeC.
SMVD, Affine MVD, AMVR) sowie Merge-Modi (Merge inklusi-                                                            https://www.hhi.fraunhofer.de/
ve MMVD und GPM, Affine Merge) ist der Suchraum in diesem
Bereich sehr groß. Durch neue Algorithmen können Entschei-
dungen in VVenC in diesem Bereich schon sehr früh getrof-
fen werden, was die Laufzeit für VVenC medium effektiv                                                            BENJAMIN BROSS
reduziert. Weitere Bestandteile der Enkodierung, bei denen                                                       ist Leiter der Gruppe "Videokodiersysteme" am Fraunho-
                                                                    Quelle: Fraunhofer HHI

durch die optimierte Suche in VVenC medium die Laufzeit si-                                                      fer HHI und Editor der HEVC- und VVC-Standards. Seine
gnifikant reduziert wurde, sind die Quantisierung sowie ALF.                                                     Veröffentlichungen zu H.265/HEVC wurden mehrfach
     Neben der erwähnten medium Konfiguration bietet                                                             ausgezeichnet.
VVenC drei weitere vorkonfigurierte Presets: slow, fast und
                                                                                                                    https://www.hhi.fraunhofer.de/
faster. Jedes dieser Presets stellt einen anderen Operations-
punkt bezüglich Laufzeit und Kodiereffizienz dar. So werden
in den Presets „faster“ und „fast“ nur eine grundlegende,
etwas eingeschränkte Blockaufteilung sowie Algorithmen,                                                           DR.-ING. DETLEV MARPE
für die keine Entscheidungen getroffen werden müssen,
angeschaltet. Beide Konfigurationen sind vor allem durch                                                         ist Leiter der Abteilung „Videokodierung und Maschinel-
                                                                    Quelle: Fraunhofer HHI

die Softwarestruktur und die Komplexität dieser Basisalgo-                                                       les Lernen” am Fraunhofer HHI. 2015 wurde er zum IEEE
rithmen beschränkt. Das heißt, weitere Beschleunigungen                                                          Fellow ernannt.
sind nur noch durch eine verbesserte Struktur und Imple-                                                            https://www.hhi.fraunhofer.de/
mentierungen der Algorithmen ohne Suche möglich. In der
„medium“ Konfiguration werden eine Vielzahl weiterer Ko-
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36 Forschung & Entwicklung _ Beiträge                                                                             Dezember 2020 FKT

                                                          beinhaltet VVenC einige rein enkoderseitige Optimierungen,         Eine weitere Beschleunigung von Enkodern kann durch
                                                          wie eine bewegungsoptimierte Vorfilterung, die weder in HM     Parallelisierung erzielt werden. Für VVenC ist diese in der ak-
FORSCHUNG

                                                          noch in VTM angeschaltet sind. In der Grafik sind zusätzlich   tuellen Version sehr einfach gehalten, ermöglicht jedoch für
                                                          fünf Arbeitspunkte des AV1-Enkoders (Version libaom v-2.0)     UHD eine fast vierfache Beschleunigung bei sechs Threads
                                                          unter weitgehend angepassten und somit vergleichbaren          oder eine dreifache Beschleunigung für UHD und HD bei
                                                          Kodierbedingungen dargestellt. Obwohl VVC erst im Juli         vier Threads. Die erreichte Kodiergeschwindigkeit ist abhän-
                                                          2020 fertiggestellt wurde und der AV1-Enkoder über zwei        gig von der verwendeten CPU-Architektur und soll hier nicht
                                                          Jahre massiv optimiert wurde, ermöglicht die erste Version     weiter im Detail diskutiert werden.
                                                          von VVenC bereits bei ähnlicher Laufzeit eine deutlich hö-
                                                          here Bitrateneinsparung.                                       Zusammenfassung
                                                              Während sich der PSNR zur Entwicklung von Kodieral-        Lediglich zwei Monate nach der Fertigstellung des VVC-Stan-
                                                          gorithmen durchaus als ein valides Maß objektiver Video-       dards hat das Fraunhofer HHI im September 2020 optimierte
                                                          qualität etabliert hat, zählt am Ende doch die subjektiv       Implementierungen von VVC-Enkoder- und -Dekodersoft-
                                                          wahrgenommene Bildqualität. VVenC enthält daher zur Stei-      ware (VVenC und VVdeC) frei verfügbar auf GitHub veröf-
                                                          gerung der subjektiv wahrgenommenen Qualität die Option        fentlicht. Diese zeigen, dass VVC nicht nur auf dem Papier
                                                          einer psychovisuellen Optimierung. Diese wird durch eine       und für das PSNR-Qualitätsmaß ausgezeichnete Ergebnisse
                                                          Adap­tion der Quantisierungsschrittweite auf Basis der lo-     liefert, sondern auch großes Potenzial für praktische Anwen-
                                                          kalen zeitlichen und örtlichen Signalaktivität mithilfe des    dungen mit hoher subjektiver Qualität bei kleinen Bitraten
                                                          am Fraunhofer HHI entwickelten XPSNR-Modells ermög-            aufweist. Während der Softwaredekoder noch etwas Arbeit
                                                          licht. Durch die Nutzung dieser Optimierung hat VVenC im       braucht, um auch auf älteren Geräten Live-Dekodierung zu
                                                          medium Preset bei formalen subjektiven Tests zur Verifizie-    ermöglichen, kann der VVenC-Enkoder jetzt schon einge-
                                                          rung der Kodiereffizienz von VVC sogar besser als das VTM      setzt werden, um das große Potenzial von VVC in praktischen
                                                          abgeschnitten und dies bei ungefähr 110-fach schnellerer       Anwendungen zu erproben.
                                                          Laufzeit.

                                                          NEUER MASTERSTUDIENGANG
                                                          „DIGITALE TECHNOLOGIEN“ AN FH SÜDWESTFALEN

                                                          D     ie Fachhochschule Südwestfalen in Soest bietet zum
                                                                Sommersemester 2021 den neuen Masterstudiengang
                                                          "Digitale Technologien" an, der sich mit den Schwerpunkten
                                                                                                                         gesteuerten Fabrik oder in der automatisierten Landwirt-
                                                                                                                         schaft zu überdenken. Mit seiner interdisziplinären Ausrich-
                                                                                                                         tung ist der Masterstudiengang "Digitale Technologien" für
                                                          Big Data, künstliche Intelligenz und IT-Sicherheit befasst.    Studenten aus verschiedenen Fachrichtungen interessant.
                                                          Die digitale Zukunft stelle sowohl Entwickler als auch An-     So werden Bachelor-Absolventen der Agrarwirtschaft, des
                                                          wender vor neue Herausforderungen, heißt es in Soest. Die      Maschinenbaus, des Wirtschaftsingenieurwesens ebenso
                                                          technische Realisierung der Digitalisierung über Hardware      wie Absolventen interdisziplinärer Studiengänge mit techni-
                                                          und Software muss entwickelt und permanent optimiert           scher, design- oder managementorientierter Ausrichtung auf
                                                          werden. Wirtschaftliche Prozesse ändern sich durch Digita-     die Herausforderungen einer immer stärker digitalisierten
                                                          lisierung maßgeblich und müssen demzufolge neu definiert       Zukunft vorbereitet. Das Studium verknüpft fachspezifische
                                                          und kompetent gesteuert werden. Nicht zuletzt ist auch die     Anwendungen mit Kompetenzen für die digitale Arbeitswelt
                                                          Rolle des Menschen in einer durch künstliche Intelligenz       und IT-Wissen. Absolventen werden aber nicht zu IT-Spe-
                                                                                                                         zialisten ausgebildet, sie sind aufgrund ihres technischen
                                                                                                                         Hintergrunds vielmehr in der Lage, Digitalisierungs-Techno-
                                                                                                                         logien adäquat einzusetzen, die Ergebnisse anwendbar ein-
                                                                                                                         zuordnen und die Möglichkeiten und Grenzen zu verstehen.
                                                                                                                         Das mache den Studiengang "Digitale Technologien" an der
                                                                                                                         Fachhochschule Südwestfalen einzigartig, teilt die Fach-
                                                                                                                         hochschule mit
                                                                                                                              Im Masterstudium werden Kenntnisse aus den Berei-
                                                                                                                         chen Big Data, IT-Netzwerke und IT-Sicherheit, maschinelles
                                                                                                                         Lernen, Arbeitswelt 4.0 und digitale Geschäftsmodelle ver-
       Quelle: Shutterstock/Phonlamai Photo

                                                                                                                         mittelt. Individuell können bereits zu Beginn des Studiums
                                                                                                                         Schwerpunkte gewählt werden, wie beispielsweise Additive
                                                                                                                         Fertigung, Automatisierung, Simulation, Interaktionsdesign,
                                                                                                                         E-Business/Online-Marketing oder Smart Farming. Die Re-
                                                                                                                         gelstudienzeit beträgt drei bzw. vier Semester je nach Vor-
                                                                                                                         kenntnissen. Berufstätige können "Digitale Technologien"
                                                                                                                         auch parallel zum Beruf studieren. In der Regel verlängert
                                                                                                                         sich dadurch die Gesamtstudiendauer.
                                                                                                                            www.fh-swf.de/soest
VVENC UND VVDEC: FRAUNHOFER HHI STELLT OFFENE, OPTIMIERTE IMPLEMENTIERUNGEN DES NEUEN VIDEOKODIER STANDARDS H.266/VVC BEREIT
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