LAUDATIO AUF DAN MCCRUM - LUDWIG ERHARD STIFTUNG

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LAUDATIO AUF DAN MCCRUM - LUDWIG ERHARD STIFTUNG
Laudatio auf Dan McCrum

25. Juni
2021
Ludwig-Erhard-Preis für Wirtschaftspublizistik

Frank Schäffler

Laudatio auf Dan McCrum
Der Ludwig-Erhard-Preis für Wirtschaftspublizistik 2020 ging an Dan McCrum,
Journalist bei der „Financial Times“. Die Übergabe des Preises konnte im letzten
Jahr nicht stattfinden und wurde nun gleichzeitig mit der Verleihung des Ludwig-
Erhard-Preises für Wirtschaftspublizisitik 2021 an Prof. Dr. Wolfgang Reitzle,

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Laudatio auf Dan McCrum

Chairman of the Board of Directors, Linde plc, nachgeholt. Frank Schäffler MdB,
Mitglied der Ludwig-Erhard-Stiftung, hielt die Laudatio auf Dan McCrum, der per
Video aus London live zugeschaltet war.

                          ES GILT DAS GESPROCHENE WORT.
          Eine Video-Aufzeichnung der Rede von Frank Schäffler finden Sie hier.

Dear Mr McCrum, sehr geehrte Damen und Herren,

der Wirecard-Skandal ist beispiellos in der deutschen Wirtschaftsgeschichte und in seiner
Fülle fast unbegreiflich. Ein Start-up bei München wird in kurzer Zeit zum Dax-Konzern mit
einem Börsenwert von über 20 Milliarden Euro und kollabiert dann vollständig in sich
selbst. Lassen Sie mich deshalb erst einige Worte zum Hintergrund verlieren, bevor ich
näher auf die Leistung von Mr McCrum eingehe.

Ende der Neunziger Jahre gegründet, war der Wirecard-Konzern 2018 an der Börse mehr
wert als die Aktien der Lufthansa. Für Wirecard musste bezeichnenderweise die
altehrwürdige Commerzbank den Dax verlassen. „FinTech schlägt Großbank“, schwärmte
damals die Wirtschaftspresse. Aschheim in Bayern, der Sitz der Wirecard AG, galt als die
deutsche Antwort auf das Silicon Valley.

Heute, etwas über ein Jahr nach der Insolvenz der Wirecard, wissen wir, dass die
Erfolgsstory vor allem eine Lügengeschichte war. Tausende Anleger wurden getäuscht. Die
Altersvorsorge von vielen Bürgern wurde vernichtet. Neben der enormen kriminellen
Energie des Managements und den Verfehlungen der Wirtschaftsprüfer ist dafür auch ein
eklatantes Behördenversagen verantwortlich. Eine Mischung aus industriepolitischer
Abstiegsangst, stümperhafter Aufsicht durch die Bafin und einem Amigo-System ehemaliger
und aktiver Politiker, die sich ihre Kontakte vergolden ließen, hat zu dem kollektiven
Staatsversagen in der Causa Wirecard geführt.

Besonders schwer wiegt in meinen Augen der Verdacht der Selbstbereicherung seitens der
Politik und der zuständigen Behörden. Die Kanzlerin selbst setzte sich auf Zutun ihres
ehemaligen Verteidigungsministers, Karl-Theodor zu Guttenberg, für die Wirecard in China
ein. Ein SPD-Abgeordneter im Berliner Parlament war nebenberuflich als Lobbyist für die
Wirecard AG zuständig. Dutzende Beschäftigte der Bafin haben private Finanzgeschäfte mit
Wirecard-Bezug getätigt. Ein Mitarbeiter der Wertpapieraufsicht wurde sogar wegen des

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Laudatio auf Dan McCrum

Verdachts auf Insiderhandel bei der Staatsanwaltschaft Stuttgart angezeigt.

Zwar mussten der Präsident der Finanzaufsicht Bafin sowie seine Stellvertreterin nach
Bekanntwerden des möglichen Insiderhandels zurücktreten. Und auch der Chef der
Wirtschaftsprüferaufsicht APAS und der Präsident der Deutschen Prüfstelle für
Rechnungslegung haben schlussendlich ihre Posten geräumt. Von politischer
Verantwortung für dieses Versagen fehlt aber bis heute jede Spur. Dabei hat der Wirecard-
Untersuchungsausschuss gezeigt, dass Warnsignale bei den staatlichen Institutionen teils
Jahre vor der Insolvenz eingingen, ohne Gehör zu finden.

Die Aufdeckung des Betrugs verdanken wir daher nicht etwa unseren Behörden, sondern
vor allem dem heute hier zu ehrenden Journalisten der Financial Times Dan McCrum,
welcher zusammen mit seiner Kollegin Stefania Palma gegen alle Widerstände Wirecard –
quasi im Alleingang – zu Fall gebracht hat. Ende 2014 hörte McCrum zum ersten Mal von
möglichen Ungereimtheiten bei Wirecard. Im parlamentarischen Untersuchungsausschuss
Wirecard sagte er, dass ihn ein Shortseller darauf aufmerksam gemacht habe, der ihm
sagte: „Möchten Sie etwas über ein paar deutsche Gangster erfahren?“ Nach intensivem
Studium der Bilanzen veröffentlicht er ein Jahr später in der Financial Times den ersten
Text zu dem Unternehmen. Er beginnt folgendermaßen: „Wirecard ist ein wenig bekanntes
deutsches Technologieunternehmen mit einem Aktienwert von 5 Milliarden Euro – und
zugleich ein Rätsel. Es bietet Zahlungsdienste an, besitzt eine Münchner Bank und tätigt
Millionen von Online-Kreditkartenzahlungen hinter den Kulissen auf bekannten Websites.“

Es folgt eine ganze Artikelserie, die McCrum „House of Wirecard“ nennt. Es war wohl die
spannendste Episode in seiner bisherigen Karriere. Das damals wenig bekannte
Technologieunternehmen hat im Zuge der Recherchen längst traurige Berühmtheit erlangt.
Innerhalb der Financial Times sprechen Sie vom Projekt „Ahab“ – benannt nach dem
Kapitän aus dem bekannten Roman „Moby Dick“, welcher völlig besessen den weißen Wal
jagt.

Doch nicht nur McCrum jagt die Wirecard, er wird in der Zeit auch selbst zum Gejagten. Die
Wirecard überwacht, bespitzelt und verfolgt ihn juristisch. Heute wissen wir, dass das
Unternehmen systematisch versucht hat, seine unliebsame Berichterstattung zu
unterbinden. Jahr für Jahr wurden von der Wirecard AG Millionen für Lobbyisten,
Privatdetektive und Medienanwälte für solch Zwecke ausgegeben. Im Internet werden sogar
die Namen und Adressen von McCrums Familie veröffentlicht und Verschwörungstheorien
über diese verbreitet. Seine Frau wäre eine PR-Beraterin für einen Wirecard-Konkurrenten,
heißt es dort unter anderem.

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Laudatio auf Dan McCrum

Den traurigen Höhepunkt der Verleumdungskampagne leitet allerdings die Bafin ein.
McCrum und seiner Kollegin Stefania Palma wird vorgeworfen, sich mit Leerverkäufern
abgesprochen zu haben, um von nach unten manipulierten Aktienkursen der Wirecard zu
profitieren. Nicht nur die Staatsanwaltschaft in Deutschland, auch die Financial Times
ermittelt fortan gegen ihn. Gleichzeitig erlässt die Bafin ein Leerverkaufsverbot für
Wirecardaktien in Deutschland – ein bis dahin einmaliger Vorgang, der lediglich auf einen
Hinweisgeber von Wirecard selbst an die Münchner Staatsanwaltschaft und von dort an die
Bafin beruhte. Dan McCrum wird stundenlang von Anwälten aus dem eigenen Haus befragt
und muss seine gesamte Kommunikation offenlegen. „Wurdest du schon verhaftet?“ fragen
seine Kollegen, wenn Dan McCrum ihnen auf dem Flur begegnet.

Doch die aufgeblähten Bilanzen lassen sich nicht ewig vertuschen. Nach einer
Sonderprüfung muss Wirecard am 18. Juni 2020 schließlich öffentlich eingestehen, dass ihr
1,9 Milliarden Euro fehlen. Die sogenannten Treuhandkonten waren eine Täuschung. Eine
Woche später meldet das Unternehmen bereits Insolvenz an. Der ehemalige CEO der
Wirecard, Markus Braun, sitzt mit anderen Vorstandsmitgliedern mittlerweile in der
Untersuchungshaft. Das vermeintliche Mastermind hinter dem Betrug, Jan Marsalek, ist
untergetaucht. Der weiße Wal ist McCrum schlussendlich doch ins Netz gegangen.

Lieber Dan McCrum, mit Ihrem Engagement, hinweg über viele Widerstände und immer mit
einer Bedrohung im Rücken, haben Sie sich nicht nur um Ihren Beruf – den des Journalisten
–, sondern auch um die Marktwirtschaft verdient gemacht. Denn eine Marktwirtschaft
funktioniert nur dann, wenn diese auf Rechtsstaatlichkeit beruht und Fehlleistungen,
Betrügereien und Verbrechen auch entdeckt, verfolgt und geahndet werden. Letztlich
basiert darauf auch das Vertrauen in Unternehmen und generell in das Unternehmertum.

Der Namensgeber dieser Stiftung, die Sie heute ehrt, Ludwig Erhard, hat es so formuliert:
„Eine Volkswirtschaft kann auf die Dauer nur gedeihen, wenn sie sich in der Erfüllung ihres
Dienstes am Menschen vor dem eigenen Volk und vor der Welt bewährt. Der materielle
Erfolg ist gebunden an die Wirkungskraft im Geistigen und Sittlichen – ohne sie bleibt alles
Materielle fragwürdig und flüchtig.“ Es ist also ein moralischer Imperativ, den Erhard hier
anspricht.

Daher ist der Ruf nach einem starken Staat nicht die richtige Antwort. Auch nicht, dass die
Privatwirtschaft in ein noch engeres Korsett gepresst werden soll. Der Wirecard-Betrug
zeigt eindrucksvoll, dass wir eben nicht unbedingt ein Problem mit zu wenigen Regeln und
Vorschriften haben, sondern ein Problem mit der Kontrolle ebendieser Regeln. Der Fall
Wirecard und die investigativen Recherchen von Dan McCrum haben die Konsequenzen
dieses Staatsversagens aufgedeckt.

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Laudatio auf Dan McCrum

Die Arbeit von Dan McCrum hat eindrucksvoll gezeigt, was passiert, wenn der
Korporatismus von Staat und Wirtschaft zu einer Korrumpierung der staatlichen
Institutionen führt. Die Finanzaufsicht erstattet Anzeige gegen den Journalisten, der
kritische Artikel publiziert, geht aber gleichzeitig den Indizien gegen die Wirecard nicht
umfassend nach. Der Staat und seine Institutionen stellten sich damit zunächst auf die Seite
der Betrüger. Nur dank des eindrucksvollen Durchhaltevermögens von Dan McCrum war es
am Ende möglich, dass dieser Betrug aufgedeckt werden konnte. Dan McCrum ist ein
herausragender Vertreter eines investigativen Journalismus, der der Wahrheit auf den
Grund gehen will. Ein Mensch, der sich über Widerstände hinwegsetzt, eigenverantwortlich
für seine Überzeugungen einsteht und dabei höchst integer agiert.

Darüber hinaus zeigt er uns allen eindrucksvoll, dass der Staat nicht funktioniert, wenn wir
– die Bürger – nicht wachsam bleiben. Das ist keine Aufgabe nur von Einzelnen, sondern von
uns allen. Nur so kommen wir unserer Vorstellung von einer Gesellschaft näher, welche die
Freiheit der Menschen als höchstes Gut betrachtet. Dan McCrum hat mit seiner Recherche
dazu einen beeindruckenden Beitrag geleistet.

In diesem Sinne möchte ich Ihnen im Namen der hier Anwesenden und der gesamten
Ludwig-Erhard-Stiftung ausdrücklich danken: Thank you, Mister McCrum!

Die digital übertragene Preisverleihung fand am 24. Juni 2021 in der Hessischen
Landesvertretung in Berlin statt. Hier geht es zur Dokumentation der Preisverleihung mit
Fotos, Videos und Redebeiträgen.

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