Lebensschutz - Lebendige Gemeinde
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Das Magazin der ChristusBewegung 1 | 2022 Lebensschutz Seite 4 Seite 8 Seite 12 Seite 16 Zum Leben Lebensschutz Das Leben schützen Bericht von der geschaffen am Anfang und am Dr. Friedemann Kuttler Frühjahrssynode Prof. Dr. Wilfried Sturm Ende des Lebens Bischofswahl Thomas Rachel, MdB www.lebendige-gemeinde.de
2 Termine · Inhalt Te r m i n e Inhalt april 4 Titelthema Zum Leben geschaffen 18.–23.4. Spring, GemeindeFerienFestival, Evang. Allianz, Willingen Prof. Dr. Wilfried Sturm 28.4.–21.7. Gemeindeakademie, Epheserbrief, Albrecht-Bengel-Haus, Tübingen 8 Titelthema Lebensschutz am Anfang 30.4. Frauentag, Christusbund, Friolzheim 30.4. Familientag, DIPM, Lonsingen und am Ende des Lebens 30.4. W EITES LAND Kick-Off Forum, Gnadauer Verband, Aktuelle kirchliche und politische CVJM Stuttgart Herausforderungen Thomas Rachel, MdB mai 1.5. Saronstag, Süddeutscher Gemeinschaftsverband, Haus Saron, Wildberg 12 Positionen und Dialog Das Leben schützen 1.5. Jugendtag, DIPM, Lonsingen Dr. Friedemann Kuttler 1.5. Israel-Freundestreffen, Zedakah, Maisenbach 6.–8.5. Lonsinger Missionstage, DIPM, Lonsingen 13.–15.5. TeenagerMissionsTreffen TMT, Bad Liebenzell 14 Interview »Kein Kind darf verloren gehen, schon gar nicht 14.5. Lobpreisabend, Diakonissenmutterhaus Aidlingen aus finanziellen Gründen« 15.5. Frühlingsmissionsfest, DMG, Buchenauerhof Gespräch mit Martin und Erika Schmid 21.5. Christlicher Pädagogentag, CVJM-Zentrum, Walddorfhäslach 21.+22.5. KinderMissionsFeste, Liebenzeller Mission 16 Zwischenruf Frieden beginnt am Gartenzaun 22.5. Schönblick, Jahresfest, Die Apis, Schwäbisch Gmünd Dr. Friedemann Kuttler 22.5. Stuttgarter Konferenz für Weltmission, Coworkers, 22.5. Liederhalle SV Gebetstag per Zoom 17 Landessynode Synode aktuell wählt neuen Landesbischof 25.–29.5. Christival, Erfurt juni 21 eranstaltungen V Rückblicke auf die JUMIKO und die 5.6. PfingstMissionsfest, Liebenzeller Mission Tagung für Kirchengemeinderäte 6.6. ER:FÜLLt, LGV-Pfingsttreffen 6.6. Tag der weltweiten Kirche, Stuttgart 16.6. Christustag in Württemberg, Baden und Bayern 23 Aus den Bezirken 16.6. Jubiläum: 70 Jahre Christus-Bewegung und 50 Jahre Synodaler Gesprächskreis 19.6. Jahreskonferenz, Ev. Missionsschule Unterweissach 25.6. 11. Aidlinger Seminartag, Diakonissenmutterhaus Aidlingen 25.+26.6. Landesmissionsfest, Crailsheim 26.6. Israelkonferenz, Evangeliumsdienst für Israel 26.6. Jahresfest, Bruderhaus Diakonie, Reutlingen Impressum Herausgeber und Bezugsadresse juli Lebendige Gemeinde. ChristusBewegung in Württemberg e. V. 1.-3.7. ounited weekend, Jugendtreffen, Christusbund, Y Saalstraße 6 Friolzheim 70825 Korntal-Münchingen Telefon 0711/83 46 99 2.+3.7. Freundestreffen, OM, Deetken-Mühle, Mosbach Telefax 0711/8 38 80 86 3.7. Worship Symphony, Christliche Musikakademie, info@lebendige-gemeinde.de facebook.com/lebendige-gemeinde Nürnberg twitter.com/lebendigemeinde 8.-9.7. Landessynode, Sommertagung Weitere Exemplare können nachbestellt werden. 23.+24.7. Jahresfest Gustav-Adolf-Werk, Erscheinungsweise: vierteljährlich Bietigheim Spendenkonto Lebendige Gemeinde. ChristusBewegung in Württemberg e. V. Weitere Termine finden Sie auch online unter BW-Bank 2 356 075 (BLZ 600 501 01) www.lebendige-gemeinde.de/veranstaltung/ IBAN: DE 87 6005 0101 0002 356075 BIC SOLADEST
Editorial 3 Liebe Leserinnen und Leser, als wir im Redaktionsteam dieses Magazin geplant haben, haben wir nie damit gerechnet, wie sich unsere Welt zwi- schenzeitlich verändern wird. Der Krieg in der Ukraine macht uns fassungslos und macht Angst. Da schickt ein Ag- gressor mutwillig Menschen in den Krieg und in den Tod. Es scheint, als ob dem Kreml Menschenleben gleichgültig sind. Da erweitert sich unser Engagement für den Lebensschutz auf einer anderen Ebene: unser Einsatz für den Frieden. Was bedeutet Frieden schaffen? Im Heft werde ich dazu Stellung nehmen und Sie finden ein Friedensgebet, das Sie gerne auch in Ihren Gemeinden verwenden dürfen. Die Fragen des Lebensschutzes werden in Deutschland kon- trovers diskutiert. Im Magazin vertieft Prof. Dr. Wilfried Sturm die Frage nach der Würde und Schutzwürdigkeit des Menschen aus theologischer Sicht. Thomas Rachel, Mitglied des Rates der EKD und Mitglied des Deutschen Bundesta- ges zeigt uns die Diskussionslage innerhalb der EKD und der Politik auf. Ich bin sehr dankbar, dass wir mit Thomas Rachel ein Ratsmitglied haben, das fundiert und aus Über- zeugung für den Lebensschutz am Anfang und am Ende des Lebens eintritt. Ganz bewusst möchten wir auf Hilfsange- bote hinweisen, die Schwangeren helfen, sich für das Leben und für ihr Kind zu entscheiden. Selten wurde eine Tagung der Landessynode so öffentlich verfolgt wie die Frühjahrssynode. Die Landessynode hat Dekan Ernst-Wilhelm Gohl zu unserem neuen Landes bischof gewählt. Unsere Mitglieder der Landessynode wer- den in diesem Magazin auch wieder ausführlich berichten. Der Krieg in der Ukraine überschattet unseren Alltag. Die Gedanken drehen sich jeden Tag um diesen Krieg. Meine Augen sind wie gebannt. In dieser Gebanntheit begegnen mir Verse aus Psalm 25: »Meine Augen sehen stets auf den HERRN; denn er wird meinen Fuß aus dem Netze ziehen. Wende dich zu mir und sei mir gnädig; denn ich bin einsam und elend. Die Angst meines Herzens ist groß; führe mich Wir danken allen, die durch ihre Spende aus meinen Nöten!« Es geht nicht darum, die Augen vom die kostenlose Verteilung dieses Magazins Leid der Welt abzuwenden, sondern sehenden Auges das ermöglichen. Wir bitten um vollständige und deutliche Angabe der Anschrift bei Leid dieser Welt, unsere eigene Angst vor Gott zu bringen. Überweisungen, damit wir Spenden- Auf den zu sehen, der der Friede ist, nämlich Jesus Christus. quittungen übersenden können. Wir sind ganz auf die Gaben der Freunde angewiesen. Redaktion Dieter Abrell, Steffen Kern, Renate Klingler, Ihr Dr. Friedemann Kuttler, Ute Mayer, Traugott Messner, Claudius Schillinger, Andreas Schmierer Gesamtgestaltung Grafisches Atelier Arnold, 72581 Dettingen Druck und Postzeitungvertrieb Dr. Friedemann Kuttler, Druckerei C. Maurer, 73312 Geislingen Vorsitzender ChristusBewegung Lebendige Gemeinde Titelbild: iStock.com/David Ziegler Fotos ohne Bildnachweis: ©Lebendige Gemeinde oder ©privat
4 Titelthema DIE MITTE Die Würde und Schutzwürdigkeit des Menschen Geht es um das Thema Lebensschutz, so ist damit in der V Die Menschenwürde ist universal gültig, sie Regel auch die Frage nach der Menschenwürde1 angespro- gilt allen Menschen ohne Unterschied. chen. Sie gilt als die Wurzel, aus der die Grundrechte des V Die Menschenwürde ist bedingungslos gül- Menschen und damit auch sein Recht auf Leben erwach- tig. Sie ist nicht abhängig von irgendwelchen sen. »Der Begriff der Menschenwürde ist für die Men- Eigenschaften, Fähigkeiten oder Leistungen. schenrechte etwas Ähnliches wie das Nächstenliebegebot Sie ist daher unverlierbar, sie kann dem Men- für die verschiedenen Gebote der Bibel« (Heinrich Bedford- schen nicht aberkannt werden. Strohm).2 Insofern stellt die Menschenwürde in unserer V Zur Würde des Menschen gehört es, dass er Gesellschaft ein Höchstgut dar, das nicht zuletzt durch niemals Mittel zum Zweck werden darf. Jede den ersten Artikel des Grundgesetzes geschützt wird. Dort Instrumentalisierung des Menschen, z. B. zu heißt es: »Die Würde des Menschen ist unantastbar. Versuchszwecken oder zur Erreichung »höhe- Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller rer Ziele« ist damit ausgeschlossen. staatlichen Gewalt.« V Die Menschenwürde bildet die Basis für das Auch wenn der Begriff »Menschenwürde« teilweise un- Grundrecht des Menschen auf Leben. Aus der terschiedlich interpretiert wird, gibt es doch so etwas wie Universalität und Bedingungslosigkeit der einen roten Faden, der sich durch die verschiedenen Defi- Menschenwürde resultiert die prinzipielle nitionen von Menschenwürde hindurchzieht. Vier Kenn- Schutz-Würdigkeit alles menschlichen Lebens zeichen seien genannt: – ohne Wenn und Aber! Zum geschaffen © iStock.com/FadCamera
Titelthema 5 Gott gibt dem Menschen in all seiner Bedürftigkeit Anteil an seiner eigenen Ehre und Herrlichkeit. Insofern ist die Würde des Menschen ein Abglanz der Würde Gottes. DAS FUNDAMENT Die Gottebenbildlichkeit des Menschen als Begründung der Menschenwürde Wer oder was begründet die Würde des Menschen? Be- ihm Gott selbst aufgesetzt hat: »Mit Ehre und trachten wir sie aus biblisch-theologischer Perspektive, so Herrlichkeit hast du ihn gekrönt.« Im Hebräi- kommt zwar der Begriff »Menschenwürde« selbst in der Bi- schen steht für »Ehre« das Wort kabod, das im bel nicht ausdrücklich vor, wohl aber die Sache, wofür er Alten Testament auch für die Ehre Gottes ge- steht. Immer wieder spricht die Bibel von der Einzigartig- braucht wird. Gott gibt dem Menschen in all keit und besonderen Stellung des Menschen, aus der die Un- seiner Bedürftigkeit Anteil an seiner eigenen verfügbarkeit und Schutzwürdigkeit menschlichen Lebens Ehre und Herrlichkeit. Insofern ist die Würde resultiert. Diese sachliche Entsprechung hat ihren letzten des Menschen ein Abglanz der Würde Gottes. Grund nicht im Menschen, sondern in Gott. Ihre Wurzel Seit dem Sündenfall sicher nur noch in gebro- liegt in der Gottebenbildlichkeit des Menschen, wie sie im chener Form, aber deshalb nicht aufgehoben, Schöpfungsbericht in 1. Mose 1,27 angesprochen wird: wird doch auch der sündige Mensch immer »Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bil- noch als Ebenbild Gottes bezeichnet (vgl. Jak de Gottes schuf er ihn.« Manche Ausleger denken bei dem 4,9). Im Gegenteil: Ist Jesus das wahre und Wort »Bild« an eine Statue. Im Alten Orient haben Könige vollkommene Ebenbild Gottes (Kol 2,15; Hebr oft Statuen von sich aufrichten lassen, die den König reprä- 1,3), so verknüpft sich mit dem Glauben an Je- sentierten. Entsprechend könnte man den Menschen auch sus Christus die Hoffnung auf die Umgestal- als einen Repräsentanten Gottes in dieser Welt verstehen. tung in sein Bild (Röm 8,29; 1. Kor 15,49; vgl. Das hieße aber, wer sich am Menschen vergreift, vergreift 1. Joh 3,2), d. h. für die Glaubenden steht das sich letzten Endes an Gott (vgl. Spr 14,31). In 1. Mose 9,6 diesseitige Leben in seiner ganzen Unvollkom- wird daher die Unantastbarkeit des menschlichen Lebens menheit und Gebrochenheit unter der Verhei- ausdrücklich mit der Gottebenbildlichkeit des Menschen ßung seiner Vollendung in der zukünftigen begründet, d. h. in der Unantastbarkeit und Unverfüg Welt Gottes (1. Kor 15,42–44; Phil 3,20f.; Offb barkeit des menschlichen Lebens spiegelt sich letztlich 21,4f.). die Unantastbarkeit und Unverfügbarkeit Gottes wider. Von der Gottebenbildlichkeit des Menschen und seiner Damit eröffnet sich eine weitere Dimension Würde spricht indirekt auch Psalm 8,4–6. Dort wird uns zu- der Würde des Menschen: Sie besteht in dem nächst die Schwachheit und Hilflosigkeit des Menschen vor Preis, den Gott in seinem Sohn Jesus Christus Augen gestellt: »Wenn ich sehe die Himmel, deiner Finger für die Errettung der Menschen bezahlt hat. Er Werk, den Mond und die Sterne, die du bereitet hast: was hat sie – um mit Paulus zu sprechen – »durch ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, und des Menschen sein eigenes Blut erworben« (Apg 20,28) bzw. Kind, dass du dich seiner annimmst?« Was ist der Mensch »teuer erkauft« (1. Kor 6,20). Die Tatsache, angesichts des gewaltigen Universums – ein Staubkorn! dass die Möglichkeit der Errettung durch Je- Aber dann fährt David fort: »Du hast ihn wenig niedriger sus Christus allen Menschen unterschiedslos gemacht als Gott, mit Ehre und Herrlichkeit hast du ihn offensteht (vgl. 1. Tim 2,4), verleiht dem Men- gekrönt.« Was für eine Spannung! Auf der einen Seite ist schen zusätzlich eine Würde, die ebenso wie der Mensch hilfsbedürftig wie ein kleines Kind, auf der an- seine Bestimmung zur Gottebenbildlichkeit deren Seite trägt er eine Krone wie ein König.3 Es ist keine nicht an Volkszugehörigkeit, Geschlecht oder Krone, die er sich selbst aufgesetzt hätte oder die ihm an- gesellschaftliche Stellung gebunden ist (vgl. dere Menschen aufgesetzt hätten – es ist eine Krone, die Gal 3,28).
6 Titelthema DIE RÄNDER Gefährdungen der Menschenwürde Die Achtung und Respektierung der Men- bestimmten Entwicklungsstand. Es besteht darin, dass Gott schenwürde ist keineswegs unangefochten, mit dem Menschen eine Beziehung eingeht (Ps 8,5: »dass du sondern sie ist in mehrfacher Weise gefährdet. seiner gedenkst«), sich seiner annimmt und ihn in seine Ge- Das betrifft besonders den Anfang und das meinschaft ruft. »Damit wird Personsein von Eigenschaf- Ende des Lebens. An dieser Stelle seien exem- ten unabhängig und die Würde des Menschen unverlierbar; plarisch zwei Gefährdungen genannt: sie umschließt den menschlichen Lebensbogen von der Ver- schmelzung von Samen- und Eizelle bis zum endgültigen Die Unterscheidung zwischen Stillstand von Herz und Kreislauf (Michael Herbst).«6 Mensch und Person Die erste Gefährdung ist die Unterscheidung Die Gleichsetzung von Menschenwürde zwischen Mensch und Person. Sie findet sich und Selbstbestimmung u. a. bei dem australischen Philosophen und Eine zweite Gefährdung der Bedingungslosigkeit der Men- Ethiker Peter Singer. Für ihn gehört jeder schenwürde besteht in der Gleichsetzung von Menschen- Mensch zwar biologisch gesehen zur Gattung würde und Selbstbestimmung. In der Sterbehilfedebatte »Homo sapiens«, aber er ist damit nicht au- bzw. in der Debatte um den assistierten Suizid geht es im- tomatisch eine Person. Den Begriff Person mer wieder um die Frage: Wie sieht menschenwürdiges Ster- gebraucht Singer im Sinne »eines rationalen ben aus? Dabei wird argumentiert, es gehöre zur Würde des und selbstbewussten Wesens«4. Dazu gehören Menschen, sein Lebensende selbstbestimmt gestalten zu auch Eigenschaften wie Autonomie, Empfin- können (so auch das Bundesverfassungsgericht in seinem dungsfähigkeit oder die Fähigkeit, sich in Ver- Urteil vom 26. Februar 2020 zur Aufhebung des Verbots gangenheit und Zukunft denken zu können. der geschäftsmäßigen Beihilfe zur Selbsttötung). Zu einem Für Singer resultiert daraus ein abgestufter verhängnisvollen Fehlschluss führt diese Argumentation, Wert des menschlichen Lebens. Er ist da- wenn daraus abgeleitet wird, ein Mensch müsse die Mög- von abhängig, in welchem Grad dieses Leben lichkeit haben, gegebenfalls mit Hilfe Dritter sein Leben zu über die Eigenschaften einer Person verfügt. beenden, um einem als unwürdig empfundenen Zustand Z. B. schlägt Singer im Blick auf die Abtrei- der Hilflosigkeit und des Kontrollverlusts zuvorzukommen. bungsdiskussion vor, »dem Leben eines Fötus Die Menschenwürde wird in diesem Fall reduziert auf ein keinen größeren Wert zuzubilligen als dem Wesenmerkmal des autonomen Menschen, der frei über Leben eines nichtmenschlichen Lebewesens sein Leben verfügt (einmal ganz abgesehen davon, dass das auf einer ähnlichen Stufe der Rationalität, Recht auf selbstbestimmtes Sterben noch lange kein Recht des Selbstbewusstseins, der Bewusstheit, der auf ein bestimmtes Sterben bedeutet). Empfindungsfähigkeit usw. Da kein Fötus eine Nun gilt es – bei aller Bejahung der gottgewährten Frei- Person ist, hat kein Fötus denselben Anspruch heit des Menschen zu eigenständiger Entscheidung und auf Leben wie eine Person.«5 In eine ähnliche verantwortlicher Lebensgestaltung7 (vgl. das Grundrecht Richtung gehen Argumentationen, die in auf freie Entfaltung der Persönlichkeit) – das Schlagwort einem Embryo lediglich das Potenzial einer vom »selbstbestimmten Sterben« kritisch zu reflektieren: menschlichen Person sehen wollen, dessen Sterben bedeutet ja gerade den »bevorstehenden Verlust Verwirklichung von günstigen Entwicklungs- aller und jeder Möglichkeit von Selbstbestimmung«8. Das bedingungen abhängt. Sterbenmüssen erinnert uns daran, dass wir nicht Herr Biblisch betrachtet ist jedoch das Person- über unser Leben sind, sondern dass unser Leben abhän- sein des Menschen nicht abhängig von einem gig ist von einer Instanz, über die wir nicht verfügen. Gott ist der Herr über Leben und Tod (vgl. 5. Mose 32,39; 1. Sam 2,6; Ps 90,3) und es ist eine Gnade, dass wir Men- Biblisch betrachtet ist schen sein dürfen und nicht Gott sein müssen. »Den Men schen zum Herrn über Leben und Tod machen, heißt das Personsein des ihn prinzipiell überfordern (Robert Spaemann).«9 Damit Menschen nicht abhängig eröffnet sich eine ganz andere und neue Dimension der Selbstbestimmung: Warum sollte es nicht auch ein bewuss von einem bestimmten ter Akt der Selbstbestimmung sein, wenn ein Mensch vertrauensvoll sein Leben in die Hand dessen legt, der Entwicklungsstand. ihm das Leben geschenkt hat, und ihm die Entschei Es besteht darin, dass Gott dung über den Zeitpunkt des Todes überlässt? Ihm, der in Jesus Christus seine Liebe zu uns Menschen unter mit dem Menschen eine Beweis gestellt hat (vgl. Joh 3,16; Röm 5,8; Tit 3,4)? Beziehung eingeht …
7 DIE GRENZFÄLLE AUF DEN PUNKT GEBRACHT Konflikte und Grauzonen Nicht »Schichtsalat«, sondern »Kinderwurst« Es kann äußerste Grenzfälle geben, in Nicht »Schichtsalat«, sondern »Kinderwurst« – was ist damit ge- denen unter Umständen Leben gegen Le- meint? Für Peter Singer und andere zerfällt der Mensch in un- ben abgewogen werden muss, z. B. wenn terschiedliche Lebensphasen, bildlich gesprochen in »Schichten«, Ärzte in Katastrophenfällen oder we- vergleichbar mit einem Schichtsalat, bei dem man verschiedene gen Mangels an Intensivbetten darüber Zutaten fein säuberlich getrennt aufeinanderschichtet. Auf den entscheiden müssen, welche Patienten Menschen bezogen: Da gibt es die »Schicht« des Emb- bevorzugt behandelt werden. Letzteres ryos, die »Schicht« des Neugeborenen, die »Schicht« ein Szenario, das immer wieder im Zu- des erwachsenen Menschen, die »Schicht« des sammenhang mit der Corona-Pandemie Menschen am Lebensende. Je nach Lebenspha- in Betracht gezogen wurde. Oder wenn se und gesundheitlicher Entwicklung verfügt eine Fortsetzung der Schwangerschaft der Mensch über ein unterschiedliches Maß an das Leben der Mutter gefährden personalen Eigenschaften und je nachdem be- würde.10 Oder wenn siamesische misst sich die Schutzwürdigkeit seines Lebens. Zwillinge ungetrennt beide nur Ganz anders das biblische Denken. Da gleicht eine geringe Lebenserwartung das menschliche Leben einer Kinderwurst. Egal, hätten, eine Trennung jedoch wo ich sie aufschneide – an jeder Stelle begegnet den Tod des einen Zwillings mir das fröhliche Gesicht, dass die gesamte Wurst bedeuten würde. Man mag hier durchzieht. Das heißt übertragen: Hier besitzt der in echte Dilemmata geraten, in Mensch in jedem Stadium seines Lebens eine gleich- denen das Schuldigwerden un- bleibende und unverlierbare Würde, auch der Mensch, vermeidlich erscheint – und doch der aufgrund von Krankheit oder Behinderung oder ei- dürfen wir gerade darin mit der Gna- nes Unfalls in seinen Fähigkeiten eingeschränkt ist, auch de Gottes rechnen, die größer ist als un- der Mensch, der die Fähigkeit zu einer selbstbestimmten Le- sere Schuld. bensgestaltung verloren hat oder über sie als Embryo oder Fötus Auch wird man in der Praxis immer noch gar nicht verfügt. Es geht hier nicht um eine eigene Würde wieder auf Grauzonen stoßen, in denen des Menschen, es geht hier sozusagen um eine fremde Wür der Unterschied zwischen Töten und de, um eine Würde, die dem Menschen von außen, von Gott Sterbenlassen zu verschwimmen droht, her, zugesprochen wird. Sie ist die Grundlage für die Schutz- z. B. in der Frage des Verzichts auf in- würdigkeit des menschlichen Lebens – ohne Wenn und Aber! V tensivtherapeutische Maßnahmen bzw. ihrer Einstellung. Verantwortliche Ent- scheidungen können hier trotz Ähnlich- der autor: keit der Fälle unterschiedlich ausfallen. Dr. Wilfried Sturm Hier kann es hilfreich sein, sich klar- ist Professor für Systematische Theologie zumachen, dass die Respektierung von in pastoraler Praxis und Dekan für S tudium Würde und Lebensrecht nicht gleichbe- und Lehre an der IHL – Internationale deutend ist mit der Verlängerung des Le- Hochschule Liebenzell. Er ist Pfarrer der bens um jeden Preis. Im Gegenteil: »Der Evangelischen Landeskirche Württemberg. künstlichen Verlängerung des Lebens um jeden Preis und der absichtlichen Herbeiführung des Todes liegt, auch wenn sie in vielfacher Hinsicht ent gegengesetzten Absichten entsprin 1 er Begriff »Menschenwürde« ist hier in einem universalen Sinn verstanden im Unterschied zu einer D gen, eine verwandte Einstellung zu individuellen Würde, die z. B. auf Alter, Lebensleistung, Amt, Auszeichnung oder innerer Haltung beruht. 2 H . Bedford-Strohm: Menschenrechte und Menschenwürde in der Perspektive Öffentlicher Theologie, grunde« (Eberhard Schockenhoff). 11 in: International Journal of Orthodox Theology 2/3 (2011), 5. Beides Mal geht es um ein Verfügen 3 Vgl. Oswald Bayer: Was ist der Mensch?, in: ders.: Freiheit als Antwort. Zur theologischen Ethik, Tübingen 1995, 78f. wollen über menschliches Leben, ent- 4 Peter Singer: Praktische Ethik, Stuttgart 32013, 142 (in Anlehnung an das Oxford Dictionary). weder durch gezielte Verkürzung oder Fötus meint den menschlichen Embryo ab der 9. Schwangerschaftswoche. durch Ignorierung seiner von Gott ge 5 Ebd., 246. setzten Grenze. Dagegen steht das 6 Michael Herbst: Gentechnik – Frevel oder Fortschritt? Ethische Fragen zum Einsatz der Gentechnik in der Medizin, Theologische Beiträge 28/5 (1997), 277f. Bekenntnis in Psalm 31,6: »Meine Zeit 7 Vgl. M. Herbst: »… denn ich möchte lieber tot sein als leben«. Ein kritischer Beitrag zur gegenwärtigen steht in deinen Händen.« Debatte über den assistierten Suizid, in: Theologische Beiträge 52 (2021), 195f. 8 Eilert Herms: Hingabe. Sterben als wesentliche Phase des menschlichen Lebens und sein Vollzug in christlicher Lebensgewissheit, in: Franz Josef Borman / Gian Domenico Borasio (Hg.): Sterben. Dimensionen eines anthropologischen Grundphänomens, Berlin / Boston 2012, 547. 9 Robert Spaemann: Verantwortung für die Ungeborenen (1988), in: ders., Grenzen 374. 10 Vgl. Tatjana Hörnle u. a.: Triage in der Pandemie, Tübingen 2021. 11 E . Schockenhoff: Ethik des Lebens. Grundlagen und neue Herausforderungen, Freiburg i.Br. 2013, 544.
8 Titelthema Lebensschutz am Anfang und am Ende des Lebens Aktuelle kirchliche und politische Herausforderungen G von thomas rachel mdb ott ist ein Freund des Le- bens«, so lautet der Titel einer bekannten Gemein- samen Erklärung des Rates der Evangelischen Kirche in Deutsch- land (EKD), der katholischen Deutschen Bischofskonferenz und weiterer Kirchen von 1989. Darin heißt es unmissverständlich, es gebe »keinen Grund, die Aussagen über Gottesebenbildlichkeit bzw. Würde des Menschen nicht auch auf das vorgeburtliche menschli- che Leben zu beziehen oder ihm den Anspruch gleichen Schutzes wie für das geborene Leben zu verweigern. (…) Gottes Annahme des ungeborenen menschlichen Lebens verleiht ihm menschliche Würde. Daraus folgt die Verpflich- tung, dass auch die Menschen das ungeborene menschliche Leben annehmen und ihm den Schutz Bild: © iStock.com/Vladimir Zotov gewähren sollen, der der mensch- lichen Person gebührt.«1 Dass die großen Kirchen bei den grundle- genden Fragen des Schutzes der Menschenwürde – am Anfang wie am Ende des Lebens – so klar und deutlich eine gemeinsame theo-
Titelthema 9 logisch-ethische Grundsatzposi- dass es bereits bei den Debatten tion beziehen konnten, war auch zur Strafrechtsreform der 1970er- schon damals keineswegs selbst- Jahre berechtigte Befürchtungen verständlich. gab, »die Entpönalisierung (Ent- Bereits 1976 war es zu einer ers- strafung, nicht mehr unter Strafe ten Reform des bundesdeutschen stellen) durch das staatliche Recht Abtreibungsrechtes gekommen, werde in ihrer Wirkung auf das ge- eine weitere sollte dann – nach sellschaftliche Bewusstsein einer der Wiedervereinigung – 1992 moralischen Anerkennung gleich- folgen. Massive gesellschaftliche kommen«2. Polarisierungen und politische Kontroversen beim Thema »Ab- Ein Umdenken in der Kirche? treibung« dominierten über zwei Jahrzehnte hinweg die öffentli- Auch in manchen Diskussionen chen Debatten. Eine allgemeine innerhalb unserer evangelischen Befriedung in Bezug auf diese so Kirche zeichnet sich leider eine existenziell bedeutsame, ethisch gewisse Kehrtwende im Sinne ei- © Janko Ferlic on Unsplash komplexe und verfassungsrecht- ner ethischen Neubewertung der lich anspruchsvolle Fragestellung Regelung zum Schwangerschafts gelang erst 1995 durch die soge- konflikt ab. Es gibt auch hier seit nannte »Beratungsregelung«. geraumer Zeit eine durchaus spür- bare Akzentverschiebung, weg von Kein »Recht« auf Abtreibung der Betonung des Schutzes und Würdecharakters des ungebore- Ausgerechnet dieser hart errunge Gottes Annahme des nen menschlichen Lebens hin zum ne Schwangerschaftskompromiss Fokus auf Fragen der sogenannten ungeborenen mensch wird nun aber seit geraumer Zeit »sexuellen Selbstbestimmung« und wieder massiv infrage gestellt. lichen Lebens verleiht ihm der Gleichstellungspolitik. Bereits Ohne unmittelbar erkennbaren menschliche Würde. 2018 hatte beispielsweise »chris- Handlungsdruck, aber mit wach- mon«-Chefredakteurin Ursula Ott sender Emotionalität, mehren sich Daraus folgt die Verpflich- für Aufmerksamkeit gesorgt, als Stimmen aus Gesellschaft, Politik tung, dass auch Menschen sie die wegen Verstoßes gegen das und sogar Kirche, die nicht nur das ungeborene mensch Werbeverbot zur Zahlung einer eine Streichung des Werbeverbo Geldstrafe verurteilte Frauenärz- tes für Abtreibungen (§ 219a StGB) liche Leben annehmen und tin Kristina Hänel, verteidigte. Ott für längst überfällig halten, son- ihm den Schutz gewähren forderte ebenfalls die Abschaffung dern auch gleich die komplette sollen, der der mensch von § 219a StGB, und zwar mit der Streichung des § 218 StGB for- Begründung, dass wer über »le- dern. Der konsensstiftende Geist, lichen Person gebührt. gale« Abtreibungen informieren der bis heute bewährten gesetzli- Aus der Erklärung der EKD wolle, schließlich auch nicht län- chen Regelungen wird in manchen »Gott ist ein Freund des Lebens«, 1989 ger »drangsaliert« werden solle. Kreisen der Gesellschaft offen- Während sich die EKD mehrfach sichtlich nicht mehr wahrgenom- gleichermaßen unverzichtbaren für die Aufrechterhaltung »des men oder zum Teil bewusst und Blickes auf die existenzielle Not- Verbots werbender Handlungen« wider besseres Wissen als »Recht« situation einer ungewollt schwan- für Schwangerschaftsabbrüche als auf Abtreibung missdeutet. geren Frau und aufgrund des da- einem wichtigen »Baustein im Dass Schwangerschaftsabbruch raus resultierenden, womöglich Schutzkonzept für das ungebore- als solcher verfassungsrechtlich nicht auflösbaren Grundkonflik- ne Leben« ausgesprochen hat und nach wie vor als rechtswidrig ein- tes zwischen zwei ebenbürtig zu auch der ehemalige EKD-Ratsvor gestuft wird und strafbewehrt schützenden Verfassungsgütern sitzende Heinrich Bedford-Strohm bleibt, ist immer weniger im all- kann – unter klar bestimmten das jüngst noch einmal bekräftigt gemeinen Bewusstsein. Es ent- rechtlichen Voraussetzungen – die hat, gibt es in unserer Kirche mitt- spricht aber der Werteordnung straffreie Ausnahme von der ge- lerweile auch völlig andere Stim- unseres Grundgesetzes, dass das setzlichen Regel resultieren. Der men. Die Gruppe der »Frauen in menschliche Leben von Beginn an katholische Moraltheologe Eber- der EKBO« (Evangelische Kirche vollumfänglich als schutzwürdig hard Schockenhoff erinnerte in Berlin-Brandenburg-schlesische zu betrachten ist. Aufgrund des diesem Zusammenhang daran, Oberlausitz) forderte vor Kurzem
10 Titelthema sowohl die ersatzlose Streichung lition 2019 beschlossene Gesetz Nach Urteil: Neue Debatte des § 219 StGB als auch des § 218 zur »Verbesserung der Informati- um »Sterbehilfe« StGB. Abtreibung, so die EKBO- on über einen Schwangerschafts- Frauen, dürfe nicht länger »krimi- abbruch« (DS 19/7693) hat hier Doch nicht nur bezogen auf den nalisiert« werden und sei vielmehr übrigens schon längst Abhilfe und Anfang, sondern auch auf das Ende als eine »medizinische Dienstleis- Transparenz geschaffen. Gerade des menschlichen Lebens gibt es tung« einzustufen. Die Kirchen- vor diesem Hintergrund und in gegenwärtig wieder neue politi leitung der EKBO ließ, nach einer Anbetracht der wieder steigen- sche Debatten, die den Kern un- kritischen Pressenachfrage, dazu den Abtreibungszahlen (jährlich serer christlichen Grundüberzeu lediglich verlauten: »Die EKBO ist über 100.000!) kann von einem gungen vom Menschen als Ge- froh und dankbar über eine Frau- bestehenden Informationsdefizit schöpf Gottes betreffen und uns enversammlung, die sich zu gleich- betroffener Frauen in unserem in die gesellschaftspolitische Ver- stellungspolitischen und frauen- Land nicht wirklich ernsthaft aus- antwortung rufen. politischen Themen positioniert.« gegangen werden. Es ist vielmehr Das Bundesverfassungsgericht In solchen Äußerungen zeigt offenkundig, dass die Forderung (BVG) hat den Gesetzgeber vor sich ein bedenklicher Bewusst- nach Abschaffung von § 219 StGB zwei Jahren dazu aufgefordert, seinswandel auch in der Kirche lediglich als politischer Türöffner eine gesetzliche Neuregelung für in Bezug auf die fundamentale für die vollständige Abschaffung den assistierten Suizid zu schaf- Bewertung sowohl der zentralen des § 218 StGB dient. fen. Diese Entscheidung des BVG, ethischen Grundfragen als auch Die gesetzlichen Regelungen zum die die Schaffung einer hinrei- der konkreten existenziellen Gü- Schwangerschaftsabbruch sind chenden gesetzlichen Grundlage terabwägungen beim Schwan- nach Jahrzehnten erbitterten für die Wahrnehmung des »Rech- gerschaftskonflikt. Nicht wenige Ringens durch mühsame poli- tes auf selbstbestimmtes Sterben« solcher und ähnlicher aktueller tische und gesellschaftliche Be- fordert, hat gerade auch im Be- Stellungnahmen verzichten oben- friedungskompromisse errungen reich von Kirche und Theologie viel drein auch vollständig auf eine worden. Diese aufzukündigen Kopfschütteln und Verwunderun- eigene theologisch-ethische Be- wäre, auch mit Blick auf die Ver- gen ausgelöst. Sie hat besonders gründung. Das ist hoch problema- antwortung für die betroffenen auf all diejenigen irritierend und tisch, weil hier der Verdacht ge- Frauen und die ungeborenen Kin- verunsichernd gewirkt, die sich nährt werden könnte, man wäre der, weder ratsam noch förderlich. an dieser Stelle nur rein politisch Eine abgewogene und angemes- unterwegs, womöglich sogar ein- sene evangelische Positionierung seitig parteipolitisch motiviert. sollte deshalb wieder neu betonen: Hilfe zum Sterben in Form »Der Schutz des Lebens ist nicht von Assistenz zur Selbst- Kein Eingriff wie jeder andere nur eine individuelle, sondern tötung ist keine adäquate eine solidarische und öffentliche Demgegenüber sollte meines Er- Aufgabe und damit auch eine der Option kirchlich-diakoni- achtens wieder klargestellt wer- Rechtsordnung. Ziel des staatli- schen Handelns. den: Ein vollzogener Schwanger- chen Handelns muss es sein, den schaftsabbruch ist – gerade auch Schutz und die Förderung des aus einer wohlverstandenen evan- ungeborenen wie des geborenen gelischen Perspektive – eben kein menschlichen Lebens zu verbes- medizinischer Eingriff wie jeder sern und das allgemeine Bewusst- andere und keine bloße »medizi- sein von der Unverfügbarkeit an- nische Dienstleistung«. Eine Ab- deren menschlichen Lebens auch treibung kann vielmehr am Ende im vorgeburtlichen Stadium zu eines existenziell notvollen, äu- verstärken.«3 ßerst konfliktträchtigen und in der Regel psychisch wie körperlich 1 Gott ist ein Freund des Lebens – Herausfor ungemein schmerzvollen und be- derungen und Aufgaben beim Schutz des Lebens (Gemeinsame Erklärung), lastenden Entscheidungsprozes- Bonn/Hannover 1989, S. 45. ses stehen. 2 Eberhard Schockenhoff: Ethik des Lebens – Auch das Werbeverbot ist als kon- Grundlagen und neue Herausforderungen, Freiburg i. Br. 2009, S. 520. Der Autor bemerkt stitutiver Bestandteil des gesam- ebenfalls treffend: »Der Strafverzicht des Staates ten staatlichen Schutzkonzeptes trug nicht nur dazu bei, dass in der Bevölkerung für das ungeborene Leben zu ver- die Einsicht in den Unrechtscharakter der Abtrei- bung weiter abnahm. Er förderte auch das stehen. Das von der Großen Koa- Missverständnis, der demokratische Rechtsstaat anerkenne ein moralisches Recht der Frau auf Abtreibung, dessen Inanspruchnahme der Rang einer unantastbaren Gewissensentscheidung zukomme.« 3 Gott ist ein Freund des Lebens, S. 46.
Titelthema 11 tötung und zur Sicherstellung der Freiverantwortlichkeit der Entscheidung zur Selbsttötung« vorgelegt, bei dem vor allem die staatliche Schutzpflicht für die betroffenen Menschen im Mit- telpunkt steht. Ich bin aus fester Überzeugung Mitunterzeichner dieses Antrages, weil mir die bis- her vorliegenden Gesetzesanträ- ge mangelhaft und inakzeptabel erscheinen. Es gilt verlässlich da- für Sorge zu tragen, dass der Ent- schluss zur Selbsttötung weder auf einer vorübergehenden Lebenskri- se, Einflussnahme Dritter, psychi scher Erkrankung oder mangeln- der Aufklärung und Beratung beruht. Und es geht darum, der möglichen gesellschaftlichen Nor- malisierung des assistierten Sui- zids wirksam entgegenzutreten. Dazu hat das BVG hinreichend Raum gelassen, der ausgenutzt © Donald Teel on Unsplash werden sollte. Deshalb sieht un- ser Gesetzesentwurf notwendige und unverzichtbare Kontroll- und Sicherungsmechanismen durch Beratungen und das Aufzeigen von Alternativen vor. Und des- halb ist selbstverständlich auch hier – ebenfalls ganz analog zum seit vielen Jahren immer wieder ein Regelfall bzw. eine Art Regel- Schwangerschaftskonflikt – flan- mit viel Herzblut für ein Verbot leistung medizinischer Grundver- kierend ein strafbewehrtes Verbot der organisierten Sterbehilfe und sorgung werden. Das Proprium für bestimmte Formen der Wer- für fürsorgliche und verantwort- (die besondere Eigentümlichkeit) bung der Hilfe für Selbsttötung liche Alternativangebote in der evangelischer Sterbebegleitung vorgesehen. Sterbebegleitung schwerstleiden- sollte daher auch weiterhin allein der Menschen engagiert haben. und ausschließlich im Leitbild »Gott ist ein Freund des Lebens«, bestmöglicher palliativmedizini- diese rettende und heilsame Per Ablehnung geschäftsmäßiger scher und hospizlicher Für- und spektive gilt es gerade in die aktu- Suizidbeihilfe seitens der EKD Seelsorge beim Sterben zum Aus- ellen politischen Debatten um den druck kommen. Hilfe zum Ster- Würdeschutz am Anfang wie am Aus guten theologisch-ethischen ben in Form von Assistenz zur Ende des menschlichen Lebens Gründen hat sich deshalb auch die Selbsttötung ist darum auch keine wieder neu, kraftvoll und über- EKD gegen organisierte bzw. ge- adäquate Option kirchlich-diako- zeugend mit einzubringen. V schäftsmäßige Beihilfe zum Sui nischen Handelns! zid ausgesprochen. Denn suizida- les Handeln ist immer ein zutiefst Neuer Gesetzentwurf der autor: zu bedauerndes, tragisches Schei- Thomas Rachel tern und allein schon deshalb Als fraktionsübergreifende ist Mitglied im Rat der EKD ein ethisch wie politisch letztlich Gruppe von Abgeordneten und Mitglied des Deutschen nicht vollständig regulierbarer des Deutschen Bundesta- Bundestages, kirchenpolitischer Grenzfall menschlicher Existenz. ges haben wir Ende Januar Sprecher der CDU/CSU-Bundes- Auch aus einer solchen Grenzsitu- einen neuen Gesetzesent- tagsfraktion, Bundesvorsitzen- ation – ähnlich wie beim Schwan- wurf zur »Strafbarkeit der ge- der des Evangelischen Arbeits- gerschaftsabbruch – darf niemals schäftsmäßigen Hilfe zur Selbst- kreises der CDU/CSU (EAK).
12 Positionen und Dialog Der Schutz des ungeborenen Lebens Im Jahr 2020 wurden knapp 100.000 Schwangerschaftsab- brüche vorgenommen.2 Eine POSITIONEN Zahl, die in ihrer Größen- UND ordnung nicht zu fassen ist, DIALOG aber ungefähr der Einwoh- nerzahl von Esslingen am Neckar, Ludwigsburg oder Reutlingen entspricht. Diese Zahl an Schwangerschafts- Das Leben abbrüchen ist seit 2012 relativ konstant, aber dennoch können wir uns nicht damit abfinden. Gera- schützen de weil wir uns für den Schutz des un- geborenen Lebens einsetzen und auch weiterhin einsetzen wollen, muss die Frage erlaubt sein, ob das, was wir von Dr. Friedemann Kuttler für den Lebensschutz tun, ausrei- D chend ist. Es ist gut, wenn wir uns er Einsatz für das Leben ist eine im politischen Umfeld für eine Stär- Kernaufgabe für Christinnen kung des Lebensschutzes einsetzen. Das und Christen. In den vergangenen ungeborene Leben braucht eine politische Jahren führte die gesellschaftliche Diskussion über Lobby. Die Regierungskoalition hat in ihrem Koaliti- den Lebensschutz zu einer immer stärkeren Libera- onsvertrag eine Stärkung der Selbstbestimmung der lisierung. Es war kein Tabu mehr, offen in Frage zu Frau festgeschrieben, die zur Folge haben soll, dass stellen, dass es Grenzen des Lebensschutzes gibt. Schwangerschaftsabbrüche »zu einer verlässlichen Welchen Wert hat das ungeborene Leben? Welchen Gesundheitsvorsorge«3 gehören. Für uns als Chris- Wert hat das Leben am Lebensende? Die gesell- tusBewegung ist hier ein Punkt erreicht, den wir schaftliche Diskussion geht weiter und erreicht auch nicht mitgehen und mittragen können. kirchliche Gremien. Es werden in diesen Diskussio- nen Positionen vertreten, die vor dem Hintergrund Die aktuelle Diskussion um die Abschaffung einer evangelischen Ethik befremden. Wenn die des §219a StGB Frage des assistierten Suizids zu einer Position wird, die Unterstützung findet. Oder wenn die Frage über Die Diskussion um die Abschaffung des §219a StGB die Abschaffung des § 219a StGB1 zu einer Position zeigt bereits eine unterschiedliche Gewichtung wird, die in kirchlichen Gremien Bejahung findet. Es der betroffenen Schutzgüter an. Denn die gesamte wäre durchaus möglich, dass diese Entwicklung als Rechtssystematik im Strafgesetzbuch zur Frage des gesellschaftliche Entwicklung angesehen wird, die Schwangerschaftsabbruches soll unterschiedliche nun eben auch im Raum der evangelischen Kirchen Schutzgüter in Einklang bringen. Zuvorderst ist angekommen ist und mit der es sich abzufinden gilt. hier das ungeborene Leben zu schützen. »Durch den Es wäre womöglich der einfachere Weg und ein Weg, Umstand, dass das Leben noch ungeboren ist, hat es der auf eine breite gesellschaftliche Akzeptanz tref- keine andere Wertqualität als das bereits geborene« fen würde. Aber kann die Frage nach dem Schutz des (BVerfGE 39, 37). Die anderen beiden Schutzgüter Lebens dem gesellschaftlichen Trend unterliegen? sind die Gesundheit der Schwangeren und auch die Oder braucht es nicht doch andere Maßstäbe, mit Entscheidungsfreiheit der Schwangeren. Insgesamt der diese Frage beantwortet werden soll? Wie gehen liegt in der derzeit geltenden Gesetzeslage ein Aus- wir als ChristusBewegung Lebendige Gemeinde mit gleich der unterschiedlichen Interessen vor. Der dieser Frage um, wenn wir auch die Nöte derjenigen Schutz des ungeborenen Lebens wird daher so hoch Menschen vor uns sehen, die mit den Fragen des Le- bewertet, dass es gegenüber den Schutzgütern der bensschutzes am eigenen Leib betroffen sind? Schwangeren nicht benachteiligt wird. Nun scheint
Positionen und Dialog 13 Schwangerschaftsabbrüche Als ChristusBewegung lehnen wir eine Änderung bzw. Liberalisierung der derzeit geltenden Regelun- sollen laut Koalitionsvertrag gen ab. Das ungeborene Leben ist ein von Gott gege- benes Leben, dessen Leben für uns unverfügbar ist. zu einer »verlässlichen Das ungeborene Leben ist bereits ein Mensch und Gesundheitsvorsorge« gehören. wird nicht erst zum Menschen. Aus diesem Grund ist das ungeborene Leben genauso zu schützen wie Für uns als ChristusBewegung bereits geborenes Leben. Das ungeborene Leben darf ist hier ein Punkt erreicht, den nicht zu einem beliebigen Objekt gemacht werden, über das einfach so verfügt werden darf oder mit wir nicht mitgehen können. dem Geschäfte gemacht oder angepriesen werden. Hilfen für Schwangere und Väter es eine Trendwende zu geben. Denn nun sollen Es wäre allerdings zu einfach, wenn wir nur auf der Schwangerschaftsabbrüche »zu einer verlässlichen politischen Ebene blieben. Es braucht auch den Blick Gesundheitsvorsorge«3 gehören. Das bedeutet aber für die Menschen, die an einen Schwangerschaftsab- nun, dass der Staat seine Schutzverpflichtung ge- bruch denken. Die Gründe für einen Abbruch sind genüber dem ungeborenen Leben als weniger wichtig vielfältig, aber in mancher Not kann geholfen wer- ansieht. Das ungeborene Leben tritt dann hinter die den. Eine pauschale Stigmatisierung von Menschen, anderen Schutzgüter zurück. Wenn jetzt das Werbe- die eine Schwangerschaft abbrechen, hilft nicht wei- verbot des §219a StGB fällt, dann wird suggeriert, ter. Es gilt, die Menschen und ihre Gründe wahrzu- dass ein Schwangerschaftsabbruch ein legales Mittel nehmen. Nur dann können wir konkret helfen. Wir ist und dass das ungeborene Leben nicht mehr die brauchen eine Stärkung von Beratung und Hilfen, gleichwertige Wertqualität wie ein geborenes Leben damit sich Menschen für das Leben und für ihr Kind hat. Der Regierungsentwurf zur Abschaffung des entscheiden. Gerade in diesem Bereich braucht es §219a StGB4 argumentiert damit, dass Frauen eine eine missionarische Diakonie, wie August Hermann sachliche Information über Ablauf und Methode des Francke sie gelebt hat. Der Glaube soll hier in der Schwangerschaftsabbruches öffentlich bereitgestellt Liebe tätig werden und nicht im Urteil gegenüber oder in einer öffentlichen Versammlung berichtet anderen. August Hermann Francke sagte, »dass der werden soll. Es kommt dann aber dazu, dass Ärztin- Glaube, der durch die Liebe tätig ist, eine höhere und nen und Ärzte nicht nur informieren, sondern impli- herrlichere Gabe sei als hohe Offenbarungen und zit auch für ihre Dienstleistung werben. In der Frage Entrückungen in den dritten Himmel.«6 Aber eben von Schwangerschaftsabbrüchen darf aber eine Ver- diese missionarische Diakonie ist das Feld, in dem es mischung von Information und Kommerzialisier ung um die Rechte und Pflichten, um die Würde des Men- nicht gegeben sein. Es muss weiterhin der Schutz des schen und um den Lebensschutz geht und in dem wir ungeborenen Lebens so hochgehalten werden, dass uns als Menschen innerhalb der ChristusBewegung Werbung für Schwangerschaftsabbrüche weiterhin einbringen. V unethisch und falsch sind. Eine Werbung oder Infor- mation konterkariert den Schutz des ungeborenen 1 Verbot der Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft. 2 https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Gesundheit/Schwangerschafts- Lebens, weil damit in der Öffentlichkeit der Eindruck abbrueche/Tabellen/03-schwangerschaftsabbr-rechtliche-begruendung-schwangerschafts- erweckt wird, dass ein Abbruch etwas völlig Norma- dauer_zvab2012.html (Stand: 03.03.22). les und Legales ist. Ein Abbruch ist aber nicht legal, 3 Koalitionsvertrag 2021–2025 »Mehr Fortschritt wagen« zwischen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP, S. 116: »Reproduktive Selbstbestimmung: Wir stärken das Selbstbestimmungsrecht sondern nur straffrei unter bestimmten Vorausset- von Frauen. Wir stellen Versorgungssicherheit her. Schwangerschaftsabbrüche sollen Teil zungen. Der Staat verlässt damit seine Rolle als An- der ärztlichen Aus- und Weiterbildung sein. Die Möglichkeit zu kostenfreien Schwanger- walt des ungeborenen Lebens. Denn welchen Schutz schaftsabbrüchen gehören zu einer verlässlichen Gesundheitsversorgung. Sogenannten Gehsteigbelästigungen von Abtreibungsgegnerinnen und Abtreibungsgegnern setzen wir genießt das ungeborene Leben, wenn die Werbung für wirksame gesetzliche Maßnahmen entgegen. Wir stellen die flächendeckende Versorgung den Abbruch plötzlich erlaubt ist? Im Zweifel wohl mit Beratungseinrichtungen sicher. Schwangerschaftskonfliktberatung wird auch künftig keinen mehr. Das ungeborene Leben hat als effekti- online möglich sein. Ärztinnen und Ärzte sollen öffentliche Informationen über Schwanger- schaftsabbrüche bereitstellen können, ohne eine Strafverfolgung befürchten zu müssen. ven Schutz gegenüber den Schutzgütern der Schwan- Daher streichen wir § 219a StGB.« geren lediglich die Kriterien des Verfahrens und die 4 https://www.bmj.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RegE_219a_StGB. pdf?__blob=publicationFile&v=2 (Stand: 03. 03.2022). Beratung der Mutter. Das ungeborene Leben wird 5 Vgl. BVerfGE 88, 203 (251f); 39, 1 (37). seiner Würde und auch seines Menschseins beraubt.5 6 Zitiert nach Kurt Heinbucher: Zukunft durch Umkehr, S. 20.
14 Interview »Kein Kind soll Herr Schmid, wie kam es zur Gründung des Notlagenfonds »Kind willkommen«? verloren gehen, Martin Schmid: Die Idee entstand aus einem Gebetskreis mit dem ört- lichen Pfarrer. Wir wollten uns ge- schon gar nicht sellschaftlich engagieren. Uns hat überrascht, dass bis zu 80 Prozent der Frauen, die eine Schwanger- aus finanziellen schaftskonfliktberatung aufsuchen, als Hauptproblem finanzielle Nöte aufführen. Diesen Betroffenen woll- ten wir helfen und fanden Unter- Gründen« stützer unter anderem in den badi- schen und württembergischen Lan- desbischöfen Ulrich Fischer und Frank Otfried July. Zunächst konn- Martin und Erika Schmid engagieren sich beim ten wir 50.000 Euro Startkapital Notlagenfonds »Kind willkommen« als Vorsitzender auftreiben: Je 10.000 Euro kamen von den Diakonischen Werken Ba- bzw. Geschäftsführerin. Sie schildern, wie es zur den und Württemberg, 30.000 von Einrichtung kam und wie der Verein ganz der CDU-Landtagsfraktion. Nach praktisch hilft. zwei Jahren waren die Gelder aller- dings verteilt. Hans-Michael Ben- der, Sohn des ehemaligen badi- schen Landesbischofs Julius Ben- der, schlug darauf vor, einen Verein zu gründen. Seit der Gründung im Herbst 2012 konnten wir bis Ende vergangenen Jahres 430.000 Euro sammeln. Wie helfen Sie konkret? Erika Schmid: Wir haben einen Flyer erstellt, der in vielen Kirchen- gemeinden ausliegt. Die eingehen- den Spenden gehen 1:1 paritätisch an die Diakonischen Werke Baden und Württemberg für deren Bera- tungsstellen. Zwar gibt es bereits Hilfsfonds des Bundes und des Landes, aber deren Antragsfristen reichen oft über die ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft hin- aus, in der eine Abtreibung straffrei möglich ist. Das ist für viele Frau- en für die Entscheidungsfindung zu spät. Hier können wir mit dem Notlagenfonds »Kind willkommen« helfen, ohne langwierige Antrags- verfahren. Woher kommen die Spenden? Erika Schmid: Wir haben bislang rund 120 Spender, dazu kommen fünf Stiftungen und rund 60 Kir- © Phtotocase/Vanda Lay
Interview 15 chengemeinden aus Baden und Württemberg. Über 1.700 Frauen und Familien konnten bisher un- terstützt werden. Pro Jahr sind das bis zu 200 Familien. Wozu werden die Spenden verwendet? Martin Schmid: Die Beraterinnen können Frauen schnell helfen, in- dem beispielsweise die Kosten für eine Babyausstattung, für eine Waschmaschine oder eine Mietkau- tion übernommen werden. Herzliche Einladung Welche Rückmeldungen haben zum Kongress »Leben.Würde« Sie erhalten? Erika Schmid: Wir erhalten jedes vom 21.–23. Oktober 2022 Jahr anonymisierte Fallbeispiele von den Beraterinnen. Ein Fallbei- auf dem Schönblick spiel möchte ich schildern: Eine Frau hatte bereits zwei erwachsene Wir lieben das Leben! Leben ist Zukunft! Würde ist unantastbar! Kinder und mit der Familienpla- Das Verbot jeglicher Beihilfe zum Suizid ist aufgehoben, das Geschäft nung abgeschlossen. Sie kam mit er- mit »Leihmütter«-Babys boomt, 100.000 Kinder werden jedes Jahr heblichen psychischen Problemen allein in Deutschland abgetrieben: Die im Grundgesetz verbriefte zur Beratung und man konnte ihr Menschenwürde ist nicht bei allen Menschen unantastbar. Der breit mit Geld aus dem Notlagenfonds aufgestellte, ökumenische Kongress bezieht Position für uneinge- eine psychologische Betreuung er- schränkten Lebensschutz. Ärzte, Biologen, Philosophen, Juristen, möglichen. Die Frau wurde dadurch Theologen, Politiker, Journalisten und Experten von Lebensrechts- aufgefangen und konnte sich auf organisationen geben Orientierung und neue Impulse. ihr Kind freuen. Der Kongress informiert über die aktuellen Debatten, zeigt Initia- tiven zum Handeln auf und gibt in Seminaren konkrete Tipps, wie Wie können Christen Sie unterstützen? auch Sie in Ihrem Alltag das Recht auf Leben unterstützen und Erika Schmid: Indem sie spenden. Lebensschützer sein können. Martin Schmid: Unser Motto lau- tet: »Kein Kind soll verloren gehen, Wir freuen uns auf Sie! schon gar nicht aus finanziellen Daniel Funk, Programmleitung Schönblick Gründen.« Dabei orientieren wir uns ganz an der Aussage Jesu: »Las- set die Kinder zu mir kommen!« Wir zeigen unter anderem in Kirchenge- meinden auf, dass es ein Geschenk ist, wenn ein Kind zur Welt kommt. Wir ermutigen Kirchengemeinden bei Taufen darauf hinzuweisen und um Spenden für die zu bitten, die Erika Schmid arbeitete als Grund- Spendenkonto sich auch aus finanziellen Gründen schullehrerin, Martin Schmid als Verein zur Förderung des Notlagenfonds schwertun, sich für ein Kind zu ent- Diplomingenieur. Sie leben im Ruhe- Kind willkommen DE 20 6405 0000 0100 0757 08 scheiden. stand in Lichtenstein-Unterhausen www.kind-willkommen.de Erika Schmid: Uns ist es wichtig, am Fuße der Schwäbischen Alb. dass wir keine Frauen verurteilen, Schmids haben drei erwachsene Beratungsstellen / Hilfeangebote die sich für einen Abbruch ent- Kinder und vier Enkelkinder. www.dww-schwangerenberatung.de scheiden oder das in Erwägung zie- Beide sind in der örtlichen Kirchen www .diakonie-wuerttemberg.de/abteilungen/ hen. Wir wollen vielmehr da helfen, gemeinde verwurzelt, Erika Schmid landkreis-und-kirchenbezirksdiakonie- wo es möglich ist. war viele Jahre Kirchengemeinde existenzsicherung/frauen/schwangeren-und- Das Interview führte rätin und leitete 20 Jahre den schwangerschaftskonfliktberatung Claudius Schillinger. Missionsfrauenkreis. www.diakonie-wuerttemberg.de/abteilungen/ landkreis-und-kirchenbezirksdiakonie- existenzsicherung/frauen/pua/
16 Zwischenruf Frieden beginnt am Gartenzaun D ie Bilder des Krieges aus der Ukraine machen fassungslos und sie machen mir Angst. Das unfassbare Leid der Menschen in der Ukraine macht mich tief be- troffen. Ich kann nicht verstehen, wie die Aggressoren im Kreml dazu in der Lage sind, selbst vor Krankenhäusern und anderen Schutzorten nicht Halt zu ma- chen. Die Bilder dieses Krieges haben sich tief in mir eingebrannt und ich bekomme sie nicht mehr aus meinem Kopf. Ich bin traurig, wütend, fühle mich hilflos und bin einfach nur geschockt. Ich gebe offen zu, dass mich selten ein Krieg so berührt hat wie dieser. Wenn in Deutschland friedensgebet plötzlich Soldatinnen und Soldaten an Außengrenzen ver- Herr Jesus Christus, Wohin sollen wir uns legt werden oder in befreundete Nachbarländer, dann spüre wenden mit unserer Empörung, mit unserer ich die Angst am eigenen Leib vor dem, was noch passie- ren kann. In den letzten Tagen hatte ich viele Gespräche Trauer, mit unserer quälenden Hilflosigkeit mit älteren Menschen, die mir berichten, dass in ihnen die angesichts des Krieges zwischen Russland Bilder der eigenen Kriegserlebnisse in Kindertagen wieder und der Ukraine und der anderen Kriege, die hochkommen. Sie erzählen mir von Flucht und Vertreibung derzeit toben? So viele Menschen, die in Ruhe von den Orten in der Ukraine, aus denen heute Menschen leben wollen, werden bedroht, werden aus zu uns flüchten. Es sind Menschen aus der Generation mei- ihrer Heimat vertrieben, werden getötet. Wir ner Großeltern, die in Bessarabien und anderen Gegenden sehen die Bilder derer, die um Angehörige in der Ukraine aufgewachsen sind. Sie müssen mitansehen, und um Freunde weinen. Wir hören hass wie heute aus denselben Orten, ja fast aus den gleichen Häu- sern Menschen gehen müssen, damit sie am Leben bleiben. erfüllte Parolen, die laut werden. Wir werden zerrissen von widersprüchlichen Gefühlen, Frieden darf kein Zufallsprodukt der Geschichte sein. Es auch von der Angst, was aus dem allen noch liegt eben an uns, uns für den Frieden einzusetzen – in der werden wird. Jesus Christus, wir bitten dich, Ukraine und an vielen anderen Orten. Es ist gut, wenn wir schenke den Mächtigen Einsicht. Schenke uns versammeln, um miteinander für Frieden zu beten. Es Weisheit, wie Frieden wieder gelingen kann. ist gut, wenn wir konkret helfen, indem wir Geld oder Dinge Schenke Mut, sich falsche Entscheidungen spenden, aber auch unsere Häuser und Wohnungen aufma- einzugestehen und Schritte aufeinander zu- chen, damit Menschen wieder einen sicheren Ort haben, an dem sie sein können. Aber damit Frieden beginnt und bleibt, zugehen. Wir bitten dich für die Menschen in reicht das allein nicht aus. Frieden beginnt bei mir und in der Ukraine und Russland, die unter dem Krieg der eigenen Familie. Frieden beginnt am Gartenzaun. Wie zu leiden haben, dass du ihnen beistehst. rede ich über andere? Braucht es immer die brutale Spra- Schaffe Frieden. Du bist der Herr dieser Welt, che, die sich über andere erhebt? Es ist nicht immer leicht, zu dir kommen wir mit allem, was uns bewegt. in der Familie, mit Kollegen oder Nachbarn Frieden zu ha- Wir bitten auch für uns, dass du uns Liebe für ben. Uns steht hier die Aufforderung des Apostel Paulus aus unsere Mitmenschen schenkst und auch den dem Brief an die Kolosser vor Augen: »Der Friede Christi, zu Mut und die Kraft, bei uns Frieden zu schaffen dem ihr auch berufen seid in einem Leibe, regiere in euren und Frieden zu halten. Herr Jesus Christus, wir Herzen.« Frieden beginnt in meinem eigenen Herzen. Das ist anstrengend, weil wir uns selbst korrigieren und korri- bitten dich um Frieden für diese Welt. AMEN. gieren lassen müssen. Es ist unsere dauernde Aufgabe und Verpflichtung als Eltern und Großeltern gegenüber unseren Kindern und Enkeln. Ich wünsche mir für meine Kinder, dass sie in Frieden und ohne Angst leben können. Aber damit dieser Wunsch möglich wird, muss ich bereit sein, mich für den Frieden einzubringen. Was bin ich bereit, für den Frieden zu tun? Auf was bin ich bereit zu verzichten, damit Frieden möglich ist? Es geht nicht, dass wir Frieden für uns wollen, aber dafür nichts tun. Frieden ist kein Selbstläufer und auch kein Zufallsprodukt. Wir leben hier in Frieden und das verpflichtet uns auch gegenüber den Menschen in der Ukraine und Russland, die unter den Folgen dieses Krieges zu leiden haben. Das muss uns Ansporn sein, anzufangen, Frieden zu schaffen – hier bei uns, aber auch weltweit. V Dr. Friedemann Kuttler © iStock.com/Diy13
Sie können auch lesen