LEFÖ-IBF TÄTIGKEITSBERICHT 2017 - INTERVENTIONSSTELLE FÜR BETROFFENE DES FRAUENHANDELS

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LEFÖ-IBF TÄTIGKEITSBERICHT 2017 - INTERVENTIONSSTELLE FÜR BETROFFENE DES FRAUENHANDELS
LEFÖ-IBF
TÄTIGKEITSBERICHT 2017
  INTERVENTIONSSTELLE
  FÜR
  BETROFFENE
  DES
  FRAUENHANDELS
IBF - Interventionsstelle für Betroffene
des Frauenhandels

Lederergasse 35/12-13
Telefon +43.1.796 92 98
Fax +43.1.796 92 98-21
Mail ibf@lefoe.at
www.lefoe.at

Büroöffnungszeiten
Mo, Di, Fr: 09:00 – 14:00
Do: 14:00 – 19:00

Herausgeberinnen
LEFÖ - Beratung, Bildung und Beglei-
tung für Migrantinnen
Der Verein LEFÖ - Beratung, Bildung
und Begleitung für Migrantinnen setzt
sich seit 1985 intensiv gegen struktur-
elle Verletzungen und Missachtungen
von Frauenrechten und für das Sicht-
barmachen und Benennen von Gewalt
ein.

Grafik und Layout Vlatka Frketić
Inhalt

         5       Einleitung
         7       Allgemeines
         8       Definition und Kontext
         9       Empowerment und Angebote
         11      Empowerment und Intervention
         14      Kritische Analysen und Interventionen
         16      Nationale und internationale Kooperation
         18      Zahlen und Interpretationen
         26 Laufende Tätigkeiten
         30 Herausforderungen

Straftatbestand „Menschenhandel“          Gründung von LEFÖ – Lateinamerikanische
wird als §217 ins StGB eingefügt          exilierte Frauen in Österreich

             1975                                            1985
2600
Frauen und Mädchen

LEFÖ organisiert erstes Seminar zu   Arbeitsgruppe vom BMI zu „Frauenhandel“
Frauenhandel                         wird eingeführt

           1995
5

Einleitung                                     Am 1.1.1998 wurde die LEFÖ – IBF, nach lang-
                                               jähriger politischer Arbeit von LEFÖ, die
                                               bereits Anfang der 90er die Situation von
                                               Betroffenen des Frauenhandels in Öster-
                                               reich thematisierte, eröffnet. In diesen 20
                                               Jahren beriet, begleitete und unterstützte
                                               LEFÖ – IBF um die 2600 Frauen und Mäd-
                                               chen. Im Zentrum dieser Arbeit steht im-
                                               mer die Frau als die Akteurin mit ihren
                                               Bedürfnissen, Problemen und Wünschen.
                                               Ein wesentliches Qualitätsmerkmal von
                                               LEFÖ, als feministische Migrantinnenorga-
   „Unsere Erfahrung zeigt uns, dass           nisation, ist die stetige Auseinandersetzung
  Frauenhandel keine „neutrale“ Pro-           mit antirassistischer Praxis und gesellschaft-
  blematik ist, und unser Engagement           licher Partizipation. Das Beratungs- und Be-
  für die Betroffenen stellt uns auf           treuungskonzept der LEFÖ – IBF gründet sich
    die Seite dieser Frauen. Deshalb           auf dem Verständnis der Anerkennung von
    sind Organisationen wie unsere -           und Solidarität mit Betroffenen des Frauen-
   LEFÖ -, die direkt mit den Frauen           handels. Dies bedeutet die Stimmen von Be-
 arbeiten und deren Probleme und Be-           troffenen aktiv in der täglichen Arbeit mitein-
  dürfnisse genau kennen und berück-           zubeziehen.
              sichtigen, so wichtig.“
 Mag.a Cristina Boidi Mitbegründerin           Im Folgenden möchte ich in Retrospekti-
   und langjährige Koordinatorin von           ve Veränderungen, Gleichstand und Erfolge
                                LEFÖ           kurz darstellen:

                                               Mit der Eröffnung der LEFÖ – IBF wurde auch
                                               der Aufenthalt für Opfer des Menschenhan-
                                               dels im österreichischen Gesetz verankert.
                                               Die Forderung nach Aufenthalt war demnach
                                               ein historisches Momentum für LEFÖ – IBF
                                               mit dem Wissen, dass eine qualitätsvolle Op-
                                               ferschutzbetreuung erst mit einer psychoso-
Liebe Leserinnen und Leser! Liebe Kollegin-    zialen Stabilisierung durch einen gesicherten
nen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und       Aufenthalt angeboten werden kann. 2009
Herren!                                        wurde ein Rechtsanspruch auf diesen Aufent-
                                               halt, der an ein laufendes Straf- oder Zivilver-
Der folgende Tätigkeitsbericht, welcher an-    fahren gebunden ist, eingeführt, gleichzeitig
lässlich des 20-jährigen Jubiläums der LEFÖ-   die Möglichkeit aufgrund der persönlichen Si-
Interventionsstelle für Betroffene des Frau-   tuation einen Aufenthalt als Opfer von Men-
enhandels (LEFÖ – IBF) entstand, stellt den    schenhandel zu erhalten abgeschafft. Auch
Werdegang von LEFÖ – IBF vor. Auch anhand      2018 beschäftigt uns die systematische Um-
dessen beschreiben wir Veränderungen im        setzung dieses Aufenthaltes weiterhin, denn
Bereich von Frauenhandel in Österreich, die    nach 20-jähriger Arbeit bestätigt sich weiter-
wir begleiteten oder auch beeinflussten, so-   hin, dass dieser eine Notwendigkeit für die
wie die Schwerpunkte im Jahr 2017.             psychische Gesundheit ist.

                                               1. Konferenz zu Frauenhandel in Wien
                                               (European Conference on Trafficking
Publikation „Frauenhandel“                     in Women)

    1996
6

    Im Jahr 2017 betreute LEFÖ – IBF Betroffene     sich im Schnittpunkt unterschiedlicher Diskri-
    von Frauenhandel mehrheitlich aus den Be-       minierungen ab: Frauen werden gehandelt,
    reichen: Sexarbeit, Hausarbeit, andere For-     weil sie strukturell weniger Zugang zu Rech-
    men der Arbeitsausbeutung und Ehe.              ten und Gleichstellung haben.

       –– 327 betroffene Frauen und Mädchen         Frauen werden gehandelt, weil sie in Armut
       –– 48 davon in der Schutzwohnung 1           leben und ihnen ein besseres Leben verspro-
                                                    chen wird und sie sich dafür verantwortlich
       –– 23 davon in der Schutzwohnung 2           fühlen, dass ihre Kinder ein besseres Leben
       –– 11 in der Übergangswohnung                haben sollen, als sie. Sie werden auch gehan-
                                                    delt, weil sie einer Minderheit angehören, die
                                                    wiederum strukturell ausgegrenzt ist oder
    Im Jahr 1998 im Gegensatz dazu wurden           aber, weil sie vor (sexualisierter) Gewalt flie-
    49 Frauen betreut: davon 33 in der Schub-       hen und sie das sehr verletzbar macht; und
    haft und nur zwei in der Notwohnung.            sie werden auch gehandelt, weil sie zu jung
    Dies zeigt die enormen Erfolge in der Identi-   oder zu alt sind.
    fizierung von Betroffenen des Frauenhandels.
    Die Kooperationen konnten von einigen we-       LEFÖ – IBF wird auch weiterhin alle An-
    nigen – von Anfang an die Wiener Kriminal-      strengungen unternehmen, einen quali-
    polizei – auf ein großes stabiles Netzwerk      tätsvollen Opferschutz in Österreich an-
    ausgebaut werden, auch dank der Task Force      zubieten, rechtliche Entwicklungen zu
    Menschenhandel, deren Mitglied wir seit         beobachten und sich für die Rechte von Be-
    Gründung im Jahr 2004 sind. Denn diese Ko-      troffenen des Frauenhandels einzusetzen.
    operationen sind die Basis des Erkennens von    Wir möchten uns bei den langjährigen Weg-
    betroffenen Frauen und Mädchen und damit        begleiterInnen, KooperationspartnerInnen,
    die Reduktion der Dunkelziffer. Dies bedeu-     bei den FördergeberInnen und bei den Auf-
    tet auch, dass wir als anerkannte Opferschut-   traggeberInnen herzlich für die gute Koope-
    zeinrichtung, unseren Beitrag zur Identifi-     ration und gemeinsame Weiterentwicklung
    zierung von Betroffenen leisten können, um      bedanken.
    so sicherzustellen, dass Frauen Zugang zu
    Schutz und zu international anerkannten         Und zum Abschluss, möchten wir uns bei all
    Rechten bekommen.                               jenen Frauen bedanken, die uns ihr Vertrauen
                                                    über die letzten 20 Jahren geschenkt haben,
    Die Unterstützung beim Recht auf Entschädi-     an derer Seite wir gekämpft, geweint und ge-
    gung wurde systematisch Teil unserer Arbeit     lacht haben.
    auch durch die Veränderung in der Strafpro-
    zessordnung und der Implementierung der         Evelyn Probst
    Prozessbegleitung im Jahr 2006. Trotz ver-      für die LEFÖ - Interventionsstelle für
    mehrten Zusprüchen an Entschädigungen im        Betroffene des Frauenhandels
    Strafverfahren, gibt es weiterhin kaum Aus-
    zahlungen an Geschädigte, da immer noch
    die Exekution von den Opfern selbstständig
    in die Hand genommen werden muss. Im Er-
    mittlungsverfahren wird oft nichts beschlag-
    nahmt, daher müssen die Opfer im Nachhi-
    nein am zivilrechtlichen Weg exekutieren.
    Frauenhandel ist eine Menschenrechtsver-
    letzung, die sich aus unterschiedlichsten Fa-
    cetten zusammensetzt. Frauenhandel bildet

      Gründung von LEFÖ-IBF (LEFÖ-Interventions-       LEFÖ organisiert Ost-West-Konferenz zu
      stelle für Betroffene von Frauenhandel)          Frauenhandel in Wien

           1998
7

        Allgemeines                                    LEFÖ – IBF wird vom Bundesministerium für
                                                       Justiz mit der Durchführung von psychoso-
                                                       zialer und juristischer Prozessbegleitung für
                                                       Frauen und Kinder bundesweit gefördert.

                                                       Sprachen
                                                       Amharisch, Arabisch, Albanisch, Bilen, Bulga-
                                                       risch, Bosnisch/Kroatisch/Serbisch, Calabar,
                                                       Diola, Englisch, Edo, Efik, Farsi, Französisch,
                                                       Fujian, Griechisch, Hausa, Hebräisch, Hindi,
                                                       Hochsprache Chinesisch (Mandarin), Ibo,
                                                       Indonesisch, Ischian, Italienisch, Japanisch,
        Zielgruppe                                     Ki-nyarwanda, Kiswahili, Kirundi, Kurdisch,
                                                       Litauisch, Luxemburgisch, Malaysisch, Mon-
            –– Migrantinnen, die durch Gewalt, Dro-
                                                       golisch, Pigin, Polnisch, Punjabi, Romanes,
               hung, Ausnützung ihrer starken Ab-
                                                       Rumänisch, Russisch, Slowakisch, Spanisch,
               hängigkeit oder durch Täuschung zur
                                                       Tagalog, Tigre, Tigrinya, Tschechisch, Tschet-
               Ausübung der Prostitution in Öster-
                                                       schenisch, Türkisch, Ukrainisch, Ungarisch,
               reich angehalten werden.
                                                       Urdu, Vietnamesisch, Wolof, Yoruba
            –– Migrantinnen, die durch Heiratshan-
               del nach Österreich gebracht wurden
               und unter Bedingungen der Ausbeu-
               tung leben müssen.
            –– Migrantinnen, die in andere ausbeute-
               rische und sklavenähnliche Arbeitsbe-
               dingungen (wie z.B. in die Haushalts-
               arbeit) gehandelt wurden.

        LEFÖ – IBF als Opferschutzeinrichtung ist im
        Sicherheitspolizeigesetz (SPG) vorgesehen
        und wird vom Bundesministerium für Inneres
        und dem Bundesmini­sterium für Frauen und
        Gesundheit beauftragt.

                                                          1. Fachseminar für Polizei- und Gendarmerie-
Der Aufenthalt für Opfer von Frauenhandel                 Bedienstete zu „Frauenhandel- Bekämpfung,
wird erstmals gesetzlich verankert                        Prävention, Opferschutz“

         1998
8

        Definition und                                 dieses zu verwirklichen müssen folgende Fak-
                                                       toren gegeben sein: der Vorsatz der Ausbeu-
                                                       tung und der Prozess des Handels, das heißt

        Kontext                                        u.a. Anwerbung, Transport oder Aufnahme
                                                       und zuletzt die Aspekte Täuschung, Drohun-
                                                       gen oder andere Gewaltanwendungen.

                                                       Ein strafrechtlicher Kontext differenziert
                                                       scharf zwischen TäterInnen und Opfer und
                                                       verlangt Eindeutigkeit der Beweise. Die tat-
                                                       relevanten Wahrnehmungen müssen nach-
                                                       vollziehbar sein, doch betroffene Frauen
                                                       vermitteln diese oft schwer, aufgrund von
                                                       Traumatisierungen oder Angst. Dazu können
                                                       Vorurteile den Blick verstellen und in der frei-
                                                       en Beweiswürdigung möglicherweise den Aus-
                                                       gang des Verfahrens bestimmen. Aus diesen
        LEFÖ bezieht sich auf das Konzept Frauen-      Gründen ist es zum Zwecke eines adäquaten
        handel, um sowohl die Ausbeutung im Kon-       Opferschutzes von erheblicher Bedeutung,
        text von Migration als auch die spezifische    dass das Erlebte der Frauen im Mittelpunkt
        Situation von Frauen ins Zentrum zu stellen.   steht. Die strafrechtliche Verfolgung der Tä-
        Entgegen einer landläufigen Vorstellung        terInnen allein wird der Komplexität der er-
        werden Frauen in vielen verschiedenen Bran-    lebten Gewalt bei Weitem nicht gerecht. Das
        chen und Bereichen gehandelt: Tourismus,       Unterstützungs- und Begleitungsangebot
        Landwirtschaft, Gastronomie, Reinigungs-       muss beim subjektiven Erleben der Frauen
        gewerbe, Textilproduktion, Lebensmittelher-    anknüpfen, setzt dabei Parteilichkeit mit
        stellung, etc. – oder aber im Rahmen des       den betroffenen Frauen voraus und hat die
        Haushalts, der Ehe, der Bettelei und zum       unterschiedlichsten Diskriminierungserfah-
        Zweck der sexuellen Ausbeutung.                rungen zu berücksichtigen. Dabei steht der
                                                       Schutz vor weiterer Gewalt und Ausbeutung
        Frauenhandel als Konzept beschreibt einen      im Vordergrund. Das oberste Ziel ist, mit den
        Ausschnitt des Lebens von Frauen, in dem       betroffenen Frauen und Mädchen einen Weg
        sie physische und psychische Gewalt erleben    in ein würdevolles, unabhängiges und selbst-
        oder erlebt haben und bezieht sich auf das     bestimmtes Leben zu finden.
        strafrechtliche Delikt Menschenhandel. Um

                 Außerhalb der Öffnungszeiten ist die LEFÖ – IBF via Mobiltelefon zu
                 erreichen für
                     –– in den Notwohnungen betreuten Frauen

                     –– Frauen, die nicht in den Schutzwohnungen untergebracht sind, aber
                        von LEFÖ – IBF betreut werden

                     –– die Polizei bundesweit

Einführung des 24h-Bereitschafts-                               EU: „Brüsseler Erklärung zu Prävention
dienstes in der LEFÖ-IBF                                        und Bekämpfung von Menschenhandel“

         2001                                                                     2003
9

Empowerment                                      der Übergangswohnung. Eine weitere ist die
                                                 psychosoziale Beratung: Psychosoziale Inter­
                                                 ventionen können ausschließlich dann wirk-

und                                              sam werden, wenn eine relativ sta­bile Lebens-
                                                 grundlage inkl. Aufenthalt der Betroffenen
                                                 gegeben ist. Gerade was Aufenthaltsfragen

Angebote
                                                 betrifft, sind die Unterstützungsmöglichkei-
                                                 ten seitens LEFÖ – IBF jedoch limitiert und
                                                 bedürfen einer angemessenen Rechtspraxis
                                                 des Gesetzgebers und der zuständigen Be-
                                                 hörden.

                                                   „20 Jahre LEFÖ – IBF stehen für
                                                   mindestens 20 Jahre einschlägi-
                                                   ge Expertise, für bedingungslo-
Die konzeptuelle Ausarbeitung des Bera-             ses professionelles Engagement
tungskonzepts der LEFÖ – IBF ist ein durch-         und Einsatz für Betroffene von
gehender Prozess, der sich seit 1998 an poli-     Frauenhandel, für Durchsetzungs-
tische und rechtliche Situationen angepasst         willen und Durchhaltekraft, um
gestaltet. Die Beratung und Be­treuung wird        ausgebeutete Frauen zu schützen
an die individuellen Bedürfnisse der Frauen       und ihnen zu ihrem Recht zu ver-
und Mädchen angepasst. Die Bedürfnisse der        helfen. Dafür einzutreten und es
Betroffenen sind der Dreh- und Angelpunkt           durchzusetzen ist in den letz-
bei der Entwicklung von neuen Handlungs-          ten Jahren nicht wirklich leich-
optionen. Ein Qualitätsmerkmal dieser Ar-           ter geworden in Anbetracht der
beit zeigt sich an der betroffenenorientierten      neuen globalen Herausforderun-
Kommunikation und Muttersprachlichkeit             gen - auch wenn längst erwiesen
der Beraterinnen der LEFÖ – IBF, sowie dem         ist, dass der umfassende Schutz
Ansatz des Empowerments. Wenn das mut-            der Opfer, der zentrale Punkt in
tersprachliche Angebot nicht möglich ist,         einem wirkungsvollen Kampf gegen
                                                    Frauenhandel ist. Diese Arbeit
wird mit geschulten Übersetzerinnen gear-
                                                   auf Basis der universellen Men-
beitet oder die Beratung in einer der Mutter-
                                                    schenrechte, die allen zu Gute
sprache in Verständnis und Ausdruck gleich-
                                                    kommen soll, die sie brauchen,
wertigen Sprache geführt. Die verschiedenen       darf keinesfalls den sogenannten
Säulen des Angebotes basieren hierzu auf           staatlichen Sicherheitsinteres-
ressourcenorientiertem Arbeiten. Im Zent-                   sen zum Opfer fallen.“
rum steht, dass Frauen dazu ermächtigt wer-       Dr.in Helga Konrad, ehem. Frauenmi-
den, ein selbstbestimmtes und unabhängiges       nisterin; Internationale Konsulentin
Leben zu führen und sich ihre Entscheidungs-      für den Kampf gegen Menschenhandel;
möglichkeiten (wieder) anzueignen.                 Koordinatorin der ‚Regional Imple-
                                                 mentation Initiative on Preventing &
Eine dieser Säulen ist die 24-Stunden-Betreu-            Combating Human Trafficking‘.
ung in der Schutzwohnung 1 oder das betreu-
te Wohnen in der Schutzwohnung 2 sowie in

Einführung eines OSZE Sonderbeauftragten und
Koordinators für die Bekämpfung des Menschen-
handels zur Unterstützung der teilnehmenden                     Hertha-Firnberg-Anerkennungspreis
Staaten                                                         für LEFÖ

       2003                                                                  2004
10

     Die Beratung von LEFÖ – IBF ist eine ganz-              –– Unterstützung bei der Durchsetzung
     heitliche Beratung, die die psychische, sozia-             von sozial- und arbeitsrechtlichen
     le, gesundheitliche und rechtliche Situation               Ansprüchen
     der Betroffenen miteinbezieht. Diese wird               –– Unterstützung bei der Lebensplanung
     mit Empowerment-Strategien mit einem                       und Bleibeberatung
     gendersensiblen und transkulturellen Ansatz
     umgesetzt.                                          oder

     Ein Grundsatz der Beratung ist, dass die Ent-           –– Rückkehrvorbereitungen in Zusam-
     scheidung darüber, wo die Betroffene ihre                  menarbeit mit Behörden und Or­
     Zukunft sieht, allein bei der Betroffenen                  ganisationen in den Herkunftsländern
     selbst liegt. Dazu stellt LEFÖ – IBF unterstüt-
     zend emotionale, materielle und rechtliche
     Ressourcen bereit. Dies ist eine mittelfris-        Alle diese Angebote sind unentgeltlich, an-
     tige Strategie, die die Betroffene dabei un-        onym und vertraulich. Frauen und Mädchen
     terstützt, ihre Handlungsfähigkeit (wieder)         können angepasst an ihren Wünschen ent-
     herzustellen, sodass sie sich stabilisieren und     scheiden, welches dieser Angebote sie an-
     informierte Entscheidungen über ihre nähere         nehmen wollen. Im Betreuungsprozess wird
     Zukunft treffen kann. Dieser Prozess beruht         gemeinsam regelmäßig evaluiert, wie das An-
     auf Einvernehmen und ist nicht auf Bera-            gebot an die individuelle Situation angepasst
     tungsgespräche beschränkt, sondern ermög-           werden kann.
     licht aktive Unterstützung und Intervention
     in Kooperation mit anderen Institutionen.

     Ein wichtiger Teilbereich in der sozialen Un-
     terstützung sind Aktivitäten jenseits einer            „Ich verstehe endlich, dass ich
     direkten Verwertung, wie etwa sportliche                leben, atmen, mich freuen kann
     Aktivitäten, zum Beispiel Tanzen, oder Ent-           und bin allen dankbar, die dabei
     spannungstechniken wie Yoga, musische Be-                sind in schwierigen Momenten.
     schäftigungen wie Zeichnen, oder aber der                       Sie bringen uns zurück
     Zugang zu kulturellen Aktivitäten, zu Muse-            ins Leben und lehren uns weiter
     en und zur Bibliothek. Im Jahr 2017 konnten                                 zu leben.“
     wir mit langjährig aufgebauten Netzwerken                   Klientin, von 2012-2015 in der
     und neuen Angeboten vieles davon anbieten.                        Betreuung der LEFÖ – IBF

     Die weiteren Angebote der LEFÖ – IBF für
     betreute Frauen sind

        –– psychoso­ziale und juristische Prozess-
           begleitung
        –– Gewährleistung medizinischer und
           ärztlicher Versor­gung

                                                       Strafrechtsänderungsgesetz: Straftatbestand „Men-
Strafprozessreformgesetz: Aufwer-                      schenhandel“ erfasst nun neben sexueller Ausbeutung
tung der Rechtsstellung von Opfern im                  auch andere Ausbeutungsformen --> §217 „grenzüber-
Strafverfahren (z.B. Prozessbegleitung)                schreitender Prostitutionshandel“ tritt in Kraft

             2004
11

     Empowerment                                       haltstitel §57 des Asylgesetzes (AsylG) „Be-
                                                       sonderer Schutz“ erteilt. Dieser legt fest, dass
                                                       Opfern von Menschenhandel ein Aufenthalt

     und                                               von zumindest einem Jahr zugesprochen
                                                       werden muss. Dieser wird verlängert, wenn
                                                       alle Vorrausetzungsbedingungen gegeben

     Intervention
                                                       sind.

                                                       Für den Erhalt des befristeten Aufenthalts
                                                       muss eine Ermittlungsbehörde den Opfer-
                                                       bzw. ZeugInnenstatus bestätigen. Daher ist
                                                       eine betroffene Frau verpflichtet, eine Anzei-
                                                       ge zu erstatten. Laut Gesetz muss der Auf-
                                                       enthalt von Amtswegen bei jedem negativen
                                                       Asylverfahren oder beim Zurückweisen des
                                                       Subsidiären Schutzes geprüft werden.

                                                       Zudem soll über den Aufenthalt in sechs Wo-
                                                       chen entschieden werden, da die Wartezeit
                                                       extrem belastend ist. Real müssen Frauen al-
     Zugang zu Aufenthalt und                          lerdings oft sehr lange warten, da diese Frist
     Anmeldebescheinigung                              überschritten werden darf.

                                                       Als sehr positiv bewerten wir, dass wir im
     Im Rahmen der rechtlichen Beratung werden         Jahr 2017 Frauen betreut haben, welche im
     Fragen des rechtmäßigen Aufenthalts in Ös-        Dublin-Verfahren waren, aber aufgrund eines
     terreich geklärt und besprochen. Hinsichtlich     laufenden Strafverfahrens einen Aufenthalt
     des fremdenrechtlichen Status können die          nach §57 erhielten. Dies ist ein deutliches Si-
     Klientinnen von LEFÖ – IBF in zwei Gruppen        gnal, dass Österreich den Opferschutz sicher-
     geteilt werden: EU-Bürgerinnen und Dritt-         stellt und die Rechte der Betroffenen wahr-
     staatsangehörige. Bei EU-Bürgerinnen unter-       nimmt.
     scheiden sich sowohl Aufenthalts- als auch
     soziale Rechte von denen der Drittstaatsan-       Im Berichtsjahr wurde der Aufenthaltstitel
     gehörigen - in für unser Angebot relevanter       „Besonderer Schutz“ für 20 Frauen beantragt,
     Weise.                                            15 Frauen bekamen ihn. Von acht beantrag-
                                                       ten Aufenthaltsverlängerungen „Besonderer
     In Österreich wurde mit dem Fremdengesetz         Schutz“ nach §59 wurden im Jahr 2017 vier
     1997 erstmals ein Aufenthaltstitel für Betrof-    positiv abgeschlossen. Da diese Zahlen je-
     fene des Menschenhandels eingeführt. Seit-        doch auch Anträge der beiden vergangenen
     her wurden die Voraussetzungen für die Er-        Jahre inkludiert, bedeutet dies, dass vom Jahr
     teilung des Titels mehrmals novelliert. In der    2017 noch einige offen sind.
     Vergangenheit regelte §69a des Niederlas-
     sungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG) den          EU-Bürgerinnen benötigen keinen Aufent-
     befristeten Aufenthalt mit dem Titel „Beson-      haltstitel, aber eine Anmeldebescheinigung,
     derer Schutz“ für Opfer im strafrechtlichen       die an eine Versicherung und an ein Einkom-
     Sinne und ZeugInnen von Menschenhandel.           men gebunden ist.

     Seit 1. Jänner 2014 wird vom Bundesamt für        Im Jahr 2013 wurde geregelt, dass auch EU-Bür-
     Fremdenwesen und Asyl (BFA) der Aufent-           gerinnen, die als Opfer von Frauenhandel

Einrichtung der Task Force Menschenhandel
(TF-MH) unter Leitung desBundesministeriums           Mitgliedschaft von LEFÖ-IBF bei Task
für Europa, Integration und Äußeres (BMEIA)           Force Menschenhandel

     2004
12

     identifiziert wurden, sofort eine Anmeldebe-   Zugang zu Fortbildung und
     scheinigung bekommen sollen. 2017 wurden       dem Arbeitsmarkt
     sechs Anmeldebescheinigungen beantragt
     und davon drei erteilt. In dem Berichtsjahr
     hat sich gezeigt, dass das Verfahren zur       Im Jahr 2017 bekamen fünf Frauen, die wir
     Ausstellung der wenigen Anmeldebescheini-      dabei begleitet haben, eine Beschäftigungs-
     gungen nicht beschleunigt werden konnte.       bewilligung. Einige Frauen konnten selb-
                                                    ständig ArbeitgeberInnen finden, die für sie
     Die Stadt Wien hat dies zum Anlass genom-      die Beschäftigungsbewilligung beantragten.
     men eine veränderte Bestimmung in das Lan-     Alle Frauen konnten Deutschkurse in unter-
     des- Mindersicherungsgesetz aufgenommen,       schiedlichsten Niveaus besuchen und diese
     welche am 1.2.2018 in Kraft tritt.             positiv abschließen.

     Funktionierende psychosoziale Unterstüt-       Ein großer Erfolg der nachhaltigen Interven-
     zungsstrukturen müssen sich unter anderem      tion zugunsten der Rechte von Frauen ist die
     in Form eines Aufenthaltes oder einer Anmel-   Unterstützung von Frauen durch das AMS.
     debescheinigung manifestieren.                 Frauen mit Aufenthalt werden durch indivi-
                                                    duelles Coaching bei der Arbeitssuche unter-
          “Now I have my documents. It              stützt. Sie können vom AMS geförderte Fort-
         help me in understanding more              bildungen besuchen, die an ihre individuellen
      Deutsch. It has given me joy and              Bedürfnisse angepasst sind. Damit ist eine
      peace. It helped me to integrate              langjährige Forderung von LEFÖ – IBF imple-
      more in the society. It has giv-              mentiert worden.
       en me hope of a better future.”
         Klientin, seit 2016 in LEFÖ – IBF
                                 Betreuung
                                                    Zugang zum Recht auf Strafverfol-
                                                    gung und Entschädigung: Psycho-
     Zugang zu medizinischer                        soziale und juristische Prozessbe-
     Versorgung                                     gleitung
                                                    LEFÖ – IBF bietet – wie in der Strafprozess-
     Im Gegensatz zu Drittstaatsangehörigen sind    ordnung vorgesehen – bundesweit Prozess-
     EU-Bürgerinnen vom Zeitpunkt des Erstkon-      begleitung für alle betroffenen Frauen und
     taktes mit LEFÖ – IBF bis zur Erlangung ei-    Kinder an. Menschenhandel im strafrechtli-
     ner Anmeldebescheinigung bzw. Beginn bei       chen Kontext findet sich in Österreich in ver-
     einer Arbeitsstelle nicht krankenversichert,   schiedenen Paragraphen wieder: §104a Men-
     d.h. die medizinische Versorgung ist nur im    schenhandel, §217 Grenzüberschreitender
     Rahmen der Notfallmedizin gewährleistet.       Prostitutionshandel, aber auch §116 FPG Aus-
     Karitative Einrichtungen und die notwendige    beutung eines Fremden. Immer wieder zeigt
     Netzwerkarbeit der LEFÖ – IBF ermöglichen      sich, dass die Komplexität des Verbrechens
     diese wichtigen Behandlungen.                  intensive Arbeit nach sich zieht. Verfahren
                                                    werden eingestellt, obwohl damit aus Sicht
                                                    der Betroffenen ihrem Recht auf Strafverfol-
                                                    gung nicht nachgegangen wird.

     Mitgliedschaft von LEFÖ-IBF in
     der La Strada – Plattform                          1. Auftragsvertrag

               2005                                       2005 - 2013
13

    Psychosoziale und juristische Prozessbeglei-      Erfolge des sicheren Wohnens
    tung dient dazu, jenen Opfern, die durch die
    erlittene Straftat einer besonderen emotio-       Es zeigt sich, dass manche Frauen und Mäd-
    nalen Belastung ausgesetzt sind oder waren,       chen nach der Phase der ersten Stabilisierung
    eine umfassende Vorbereitung auf das Ver-         das Sicherheitstraining sehr schnell anneh-
    fahren und den damit verbundenen Belas-           men und selbständig auf ihren Schutz ach-
    tungen zu ermöglichen. Zugleich sollen ihre       ten können. Dabei erleben diese dann eine
    prozessualen Rechte mit Bedachtnahme auf          24-Stunden-Betreuung als einschränkend und
    die persönliche Betroffenheit gewahrt wer-        eher belastend, wobei die zeitweise Anwe-
    den. Die psychosoziale Prozessbegleitung          senheit einer Beraterin/Betreuerin weiterhin
    umfasst neben der Vorbereitung der Betrof-        unterstützend ist. Durch die Umstellung auf
    fenen auch die Begleitung zur Einvernah-          ein dreistufiges System in den Schutzwoh-
    me bei der Kriminalpolizei und Gericht. Erst      nungen im Jahr 2017, konnte das Konzept der
    durch die Rechtsvertretung im Rahmen der          Ermächtigung erstmals neu umgesetzt wer-
    Prozessbegleitung und die Anerkennung der         den. So lag der Fokus bei der Unterstützung
    Rechte, die in der Strafprozessordnung vor-       in der Schutzwohnung, welche vormittags
    gesehen sind, wurden einige Verfahren posi-       und nachmittags betreut wird, auf dem Stär-
    tiv im Sinne der Betroffenen beendet.             ken der Wohngemeinschaft und darauf das
                                                      wechselseitige Lernen zu fördern. Ein großer
                                                      Erfolg waren 2017 die partizipativen Reflexi-
    Mediation und Entschädigung                       onsrunden, welche in allen von LEFÖ – IBF
                                                      betreuten Schutzwohnungen stattfanden.
    Im vergangenen Jahr erhielten Betroffene,         Angeleitet von einer Mitarbeiterin wurden
    welche in diplomatischen Haushalten aus-          Themen wie z.B. die Situation in Österreich,
    gebeutet wurden, durch die Mediation des          Rassismus, Zukunftswünsche, Imaginationen
    BMEIA den entgangenen Lohn ausbezahlt.            zu Europa, etc. in Gruppen bearbeitet. Die
    Als positiv bewerten wir die Strukturen, wel-     Möglichkeit zur Reflexion, sowie auch das
    che das BMEIA für Hausangestellte aufge-          wechselseitige Lernen wurden mit großem
    baut hat. Die proaktive Informationsweiter-       Interesse angenommen. Die dort angestoße-
    gabe und Kontrolle der ArbeitgeberInnen           nen Themen wurden oftmals von den Frauen
    und die Informationsveranstaltungen für Ar-       und Mädchen (häufig nach einer alleinigen
    beitnehmerInnen stellen sicher, dass Arbeits-     Reflexionsperiode) Wochen später in den Be-
    rechte von Hausangestellten in Österreich         ratungen erneut aufgegriffen.
    einen zentralen Stellenwert haben. Überdies
    bestärkt das kohärente Auftreten von NGO,
    Kontrollbehörde und Strafbehörde dieses
    Bild. Ebenso die außergerichtliche Mediati-
    on, die die Ansprüche des zum entgangenen             „Ich gehe in die Schule, habe
    Lohn beinhaltet hat, bewertet LEFÖ – IBF als         ein Dach über den Kopf und ich
    positiv. Obwohl die betroffenen Frauen nur        kenne meine Rechte.“ Klientin, von
                                                       2013-2017 in der Betreuung der LEFÖ
    das Monatsgehalt erhielten, ihnen der Urlaub
                                                                                     – IBF
    oder aber auch die anteiligen Sonderzahlun-
    gen nicht ausgezahlt wurden, wurde den aus-
    ländischen Diplomaten klargemacht, dass
    Österreich internationale Bestimmungen im
    Kontext von Menschenhandel ernst nimmt
    und dies systematisch umsetzt. Ebenso im
    Sinne eines präventiven Charakters.

Österreich wird Vertragspartei des Zusatzproto-
kolls zur Verhütung, Bekämpfung und Bestra-         Österreich wird Vertragspartei des Übereinkom-
fung des Menschenhandels, insbesondere des          mens des Europarats zur Bekämpfung des Men-
Frauen- und Kinderhandels                           schenhandels (Inkrafttreten in 2008)

     2005
14

     Kritische                                         handels an strafbaren Handlungen nicht
                                                       strafrechtlich zu verfolgen. Die Beteiligung
                                                       an strafbaren Handlungen sind unmittelba-

     Analysen                                          re Folgen davon, dass sie dem Verbrechen
                                                       des Menschenhandels ausgesetzt waren. Des
                                                       Weiteren muss es nach dem Non-Punishment

     und
                                                       auf nationaler Ebene möglich sein, von einer
                                                       Bestrafung abzusehen. Auch in der Europa-
                                                       ratskonvention ist festgelegt, dass Opfer für

     Interventionen
                                                       ihre Beteiligung an strafbaren Taten insofern
                                                       nicht zu bestrafen sind, als sie dazu gezwun-
                                                       gen wurden. Im Österreichischen Strafrecht
                                                       ist dafür der „entschuldigbare Notstand“ laut
                                                       §10 vorgesehen. Es stellt sich die Frage, ob
                                                       dieser ausreichend ist oder ob es einen spe-
                                                       ziellen Paragraphen braucht, der auf die ein-
                                                       zigartige Situation von Opfern dieses straf-
                                                       rechtlichen Deliktes eingeht. Wir begrüßen
                                                       die Klarstellung im Erlass des BMJs zur An-
                                                       wendung der Nicht Bestrafung im Strafrecht.
                                                       Auch zeigen sich Fortschritte in der Anwen-
                                                       dung der Nicht Bestrafung im Verwaltungs-
                                                       recht: Trotzdem hoffen wir auf die Broschüre,
     Non-Punishment                                    die zur Erläuterung dienen soll.
     (Nicht Strafbarkeit)
                                                         „Es ist die Aufgabe eines demo-
                                                           kratischen, den Menschenrech-
     Betroffene von Menschenhandel begehen                ten verpflichteten europäischen
     oftmals straffällige Taten aufgrund des                Staates, für rechtliche Rah-
     Drucks durch TäterInnen. LEFÖ – IBF hat sich         menbedingungen zu sorgen. Sol-
     von Anbeginn gegen eine Kriminalisierung            che Rahmenbedingungen mit Leben
     der Betroffenen eingesetzt. Zum Schutz der           zu erfüllen, liegt aber oft an
     Opfer fordert LEFÖ – IBF aus diesem Grund          der Zivilgesellschaft. Genau das
     seit jeher die Durchführung eines „Non-Punis-       ist LEFÖ in den letzten 20 Jah-
     hment“ von den nationalen GesetzgeberIn-             ren in unvergleichlicher Weise
     nen. Es soll eine Bestrafung von Betroffenen        gelungen: Mit wenigen Mitarbei-
     von Menschenhandel für Straftaten, die sie           terinnen, die – zusammengenom-
     im Rahmen ihrer Menschenhandelsgeschich-             men - aber mit dem kulturellen
     te getätigt haben, verhindert werden. In Art.         Hintergrund fast aller Länder
     8 der EU Richtlinie 2011/36/EU zur Verhütung           dieser Welt vertraut zu sein
     und Bekämpfung von Menschenhandel und              schienen, konnte LEFÖ einer min-
     zum Schutz von Opfern wird dies unter dem              destens 4-stelligen Zahl von
     Gesichtspunkt „Verzicht auf Strafverfolgung         Frauen dabei helfen, wieder Fuß
     und Straffreiheit von Opfern“ verankert. Mit-       zu fassen, Hoffnung zu schöpfen
                                                                  und ein neues Leben zu
     gliedstaaten sind verpflichtet diese Bestim-
                                                                               beginnen.“
     mungen umzusetzen. Es sind Maßnahmen zu
                                                          Dr.in Elisabeth Tichy-Fisslberger,
     treffen, um sicherzustellen, dass die zuständi-
                                                          Koordinatorin der Task Force Men-
     gen nationalen Behörden die Befugnis haben                        schenhandel 2009-2017
     die Beteiligung von Opfern des Menschen-

             Prozessbegleitungsauftrag                          Prozessbegleitung wird ausdrücklich
             vom BMJ                                            in der StPO verankert

                2005                                                2006
15

       Zwangskontexte von Frauen                        Bei Frauen aus China, welche in Österreich
       und Mädchen                                      ausgebeutet werden, sehen wir die Heraus-
                                                        forderung, dass diese oftmals aus Angst vor
                                                        Abschiebung keine Unterstützung vor Ort
       Die Beratung und Betreuung der LEFÖ – IBF        suchen. Gleichzeitig kehren Betroffene aus
       basiert auf einem interkulturellen Ansatz,       China teilweise freiwillig zurück nach China,
       mit dem Ziel Frauen und Mädchen zu stärken.      allerdings ohne jegliche Unterstützung in An-
       Wie bereits im Vorjahr, waren wir auch 2017      spruch zu nehmen und begeben sich damit
       intensiv mit der Lebenssituation von Frauen      potentiell wieder in die Hände von Ausbeute-
       aus den Herkunftsländern Nigeria und China       rInnen. Hierfür sehen wir diverse zusammen-
       beschäftigt. Im Folgenden möchten wir auf        wirkende Faktoren: mangelnde Selbstidentifi-
       die besonderen Zwangskontexte dieser zwei        zierung als Betroffene von Menschenhandel,
       Gruppen eingehen und gleichzeitig aufzei-        Angst vor der gesellschaftlichen Abwertung
       gen, dass Frauenhandel dennoch immer ei-         und vor chinesischen Behörden.
       ner Logik folgt: gewaltvolle Kontrolle über
       Menschen mit dem Zweck diese auszubeu-           In der Beratung hat es eine große Bedeutung
       ten, um möglichst viel Profit zu generieren.     diese individuellen Zwangskontexte mitein-
                                                        zubeziehen. Gleichzeitig lässt sich von allen
       Viele der Frauen aus Nigeria, die nach Europa    betroffenen Frauen und Mädchen, die wir in
       gehandelt wurden, werden in unterschiedli-       den letzten 20 Jahren beraten und begleitet
       chen Ländern der EU ausgebeutet. In diesem       haben, sagen, dass individuelle Abhängig-
       Zusammenhang kommt es häufig vor, dass           keitsverhältnisse durch andere situationsspe-
       sich Frauen vor der Reise einem Ju Ju-Ritual     zifische Vulnerabilitäten verstärkt werden.
       unterziehen müssen. Ju Ju wird hierbei als       Die persönliche Abhängigkeit wird im straf-
       Kontrollmechanismus eingesetzt, basierend        rechtlichen Kontext so definiert, dass diese
       auf nigerianischen Glaubenssystemen. LEFÖ        auf einer wirtschaftlichen oder sonstigen
       – IBF wurde in den letzten 20 Jahren immer       Gründen gegebenen Überlegenheit einer
       wieder mit Ju Ju, Voodoo und anderen persön-     Person gegenüber dem Opfer basiert. Kont-
       lichen Zwangskontexten konfrontiert. Hin-        rolle kann demnach durch das Wegnehmen
       sichtlich der Beratung und Betreuung heißt       des Reisepasses ausgeübt werden sowie auch
       dies: Frauen und ihre jeweiligen Zwangskon-      über ein Ju Ju Ritual. Beiden gemein ist die
       texte wahrnehmen, ernst nehmen und sie bei       Tatsache, dass eine persönliche Beziehung
       der Dekonstruktion dieser unterstützen.          zwischen TäterInnen und Opfer hergestellt
                                                        wird. Es werden Abhängigkeitsverhältnisse
       LEFÖ – IBF sieht einen positiven Prozess dar-    konstruiert, welche den Betroffenen vermit-
       in, dass die Auswirkungen des Ju Ju-Schwures     teln, dass diese nicht durchbrechbar sind.
       auch von der Polizei ernst genommen wer-
       den. Gerade bei Einvernahmen merken Frau-
       en, dass ihre individuelle Geschichte im Zu-       „LEFÖ has make me understand so
       sammenhang mit Ju Ju miteinbezogen wird.            many things in life most espe-
       Dies zeigt sich ebenso im Rahmen eines EU          cially not to do things against
       Projekts, durch das das österreichische Bun-            my wishes. And I have also
       deskriminalamt einen intensiven Austausch          learnt to be bold, self-depend-
       mit der Exekutive in Nigeria aufgebaut hat.           ant and confident, and I also
       Durch diese Entwicklungen wird die Glaub-          believe that I can be the woman
       würdigkeit der Frauen nicht aufgrund der eu-       that I want to be no matter the
       rozentrischen Perspektive auf Ju Ju oder an-                   situation of life.”
       dere Religionen und Rituale in Frage gestellt.   Klientin, seit 2017 in Betreuung der
                                                                               LEFÖ-IBF 2017

Film „Kurz davor ist es passiert“ (Regisseurin:
Anja Salomonowitz; Supervision und Unter-
stützung von LEFÖ)                                                 Eröffnung der Übergangswohnung

    2006                                                             2007
16

          Nationale                                         So war die erste offizielle öffentliche Ver-
                                                            anstaltung der LEFÖ – IBF im Jahr 1998 die
                                                            „Ost-West-Konferenz zu Frauenhandel“ in

          und                                               Wien, die das Zusammenbringen von Exper-
                                                            tInnen sowie zur Sensibilisierung anderer
                                                            MultiplikatorInnen als Ziel hatte.

          internationale                                    Die kritische Analyse der rechtlichen und
                                                            politischen Realität in der Bekämpfung des

          Kooperation
                                                            Frauen- bzw. Menschenhandels und die In-
                                                            tervention im Sinne des Opferschutzes und
                                                            Opferrechte, kann nur durch nationale Ko-
                                                            operation gelingen. 2004 wurde folglich die
                                                            nationale Task Force zur Bekämpfung des
                                                            Menschenhandels gegründet. Diese setzte
                                                            sich anfänglich aus verschiedenen Abteilun-
                                                            gen des Außenministeriums, des Innenminis-
                                                            teriums, des Ministeriums für soziale Sicher-
                                                            heit, Generationen und Konsumentenschutz,
                                                            des Ministeriums für Gesundheit und Frauen,
                                                            der OSZE Task Force gegen Menschenhandel
          Nationale und internationale Kooperatio-          sowie des Bundeskriminalamtes und LEFÖ –
          nen waren von Anbeginn der LEFÖ – IBF ein         IBF zusammen. Bis heute ist LEFÖ – IBF ak-
          erklärtes Ziel: „Die Interventionsstelle arbei-   tives Mitglied und nimmt an verschiedenen
          tet mit anderen NGOs in Österreich und im         Arbeitsgruppen, wie der Arbeitsgruppe zu
          Ausland zusammen, um Informationen aus-           Kinderhandel und Arbeitsgruppe Arbeitsaus-
          zutauschen, die Betreuung von Frauen zu           beutung, teil. Das fortlaufende Ziel der LEFÖ
          koordinieren, sowie Migrantinnen in den Hei-      – IBF als Mitglied der Task Force ist es, Betrof-
          matländern über Gewaltprävention zu infor-        fene von Frauenhandel zentral zu berücksich-
          mieren.“ 1                                        tigen und Entwicklungen und die Ausgestal-
                                                            tung der Vorschläge oder Maßnahmen auf
                                                            deren Interesse hin zu überprüfen.

          Nationale Kooperation                             Die Netzwerkarbeit mit anderen feminis-
                                                            tischen Frauen- und Mädchenberatungs-
                                                            stellen, welche bis heute anhält, bestärkt
          Das Stärken nationaler Kooperationen mit          uns gegenseitig und stellt frauenpolitische
          verschiedenen Ministerien, Behörden sowie         Forderungen in den Mittelpunkt. Auch mit
          Polizei und anderen NGOs wurde seit 1998          anderen Vereinen und Initiativen pflegt
          mit dem Ziel verfolgt, die Situation der von      LEFÖ – IBF engen Kontakt.
          LEFÖ – IBF betreuten Frauen und Mädchen
          zu verbessern. Das Auftreten Die LEFÖ – IBF
          hat bisher und wird immer die Rechte, Be-
          dürfnisse und Forderungen der Betroffenen
          des Frauenhandels ins Zentrum stellen.

          1
           Tätigkeitsbericht LEFÖ – IBF 1998

Definition des Begriffs „Opfer“ wird                Mitgliedschaft von LEFÖ-IBF bei GAATW (Global
erstmalig in die StPO eingefügt                     Alliance Against Traffic in Women)

 2008
17

Internationale                                        bekämpfen und Betroffenen den Zugang zu
                                                      Opferschutz und Opferrechten zu vereinfa-
Kooperation                                           chen ist transnationales Handeln zentral.

Auf internationaler Ebene sind folgende                “The problem of human trafficking
Netzwerke zu betonen, in denen LEFÖ – IBF                has not shown any signs of di-
langjährig mitwirkt:                                     sappearing. And looking at the
                                                           state of the world, it might
Seit 2004 ist LEFÖ – IBF Mitglied von Global            only get worse. The anti-traffi-
Alliance Against Traffick in Women (GAATW),             cking community has gotten big-
das 1994 gegründet wurde und weltweit über                 ger perhaps not surprisingly
80 Organisationen umfasst. Ein umfassend-               what we hear now is a cacophony
es Prinzip der GAATW ist folgendes: “GAATW                of voices, ideas and proposed
supports the sharing of knowledge, working                solutions: Quantify the prob-
experiences and working methodologies                   lem, include the private sector
amongst its members, in order to enhance                 and look for technological so-
the effectiveness of collective anti-traffick-          lutions, the ‘experts’ tell us.
ing activities.”2 Diese und andere Ziele un-           So loudly and so often that even
terstützt LEFÖ – IBF von Beginn an und ist                 the strongest start to doubt
seit 2015 als European Board Member tätig.             their work. That is why I salute
Seit 2005 ist LEFÖ – IBF Teil der La Strada In-         LEFÖ’s quiet courage and steady
ternational Anti-Trafficking NGO Plattform,             determination. They continue to
welche ein Netzwerk europäischer NGOs                  keep women and their work at the
im Bereich Menschenhandel ist. LEFÖ – IBF               centre. They do all they can so
                                                       that rights violations are reme-
ist seit Oktober 2017 im Vorstand. Auch im
                                                         died by the state and non-sta-
deutschsprachigen Raum findet seit der
                                                       te actors. And most importantly,
Gründung der Interventionsstelle ein enger
                                                        they listen and consult the wo-
Austausch mit NGOs aus der Schweiz und                  men who have been trafficked and
Deutschland statt. Hier ist vor allem der                 take measures in consultation
Koordinierungskreis gegen Frauenhandel                  with them. Stay strong and keep
und Gewalt an Frauen (KOK) zu nennen, der              up your excellent work, LEFÖ. We
seit 2005 aktiv NGOs aus Deutschland, der              at the International Secretariat
Schweiz und Österreich zusammenbringt.                  of GAATW are immensely proud to
                                                       have you as a member organizati-
LEFÖ – IBF nahm 2017 – wie auch die Jahre                                             on.“
zuvor – an der NGO Plattform gegen Men-               Bandana Pattanaik MA MA, Internatio-
schenhandel der Europäischen Kommission                              nal Coordinator GAATW-IS
aktiv teil.

Die internationale Vernetzung dient dem
Erfahrungsaustausch und dem gemeinsa-
men Handeln im Sinne der Durchsetzung der
Rechte der Betroffenen im internationalen
Recht. Um Menschenhandel erfolgreich zu

GAATW: http://gaatw.org/about-us/basic-principles
2

Projekt COMP.ACT (Fortsetzungsprojekt,              IBF Leiterin Evelyn Probst ist Teil der EU-
seit Oktober 2017: „Justice at Last“)               Expert*innengruppe gegen Menschenhandel

      2008
18

     Zahlen und                                        sich deutlich positiv, da die Minderjährigen
                                                       weiterhin in der 24- Stunden Betreuung blei-
                                                       ben konnten und Frauen, nach dem ersten

     Interpre-                                         Sicherheitstraining und einer Stabilisierung,
                                                       in ein loseres betreutes Wohnen ziehen konn-
                                                       ten. Dies verdeutlicht sich in den Zahlen, da

     tationen
                                                       sich die Aufenthaltsdauer der Frauen in der
                                                       24-Stunden betreuten Wohnung insgesamt
                                                       verkürzt hat. 55 % der betroffenen Frauen
                                                       waren zwischen 19 und 35 Jahre alt, was an
                                                       den Zahlen der letzten Jahre anknüpft. In den
                                                       Schutzwohnungen wurden insgesamt sechs
                                                       Kinder von betroffenen Frauen mitbetreut.
                                                       Im Gegensatz zum letzten Jahr haben sich die
                                                       Zuweisungen der Frauen und Mädchen verän-
                                                       dert. Waren es in den letzten Jahren konstant
                                                       50 % Zuweisungen durch die Polizei, so ist 2017
                                                       diese Zahl gesunken. Dies ist darauf zurück-
     Im Jahr 2017 wurden 327 Frauen und Mädchen        zuführen, dass der Erstkontakt durch nicht-
     beraten und betreut. Dies bedeutet im Ver-        staatliche Organisationen um 53 % gestiegen
     gleich zu 2016 einen realen Anstieg von 13,5      ist. Hier wurde LEFÖ – IBF vor allem verstärkt
     Prozent. Von den 327 betreuten Frauen und         von Organisationen kontaktiert, welche im
     Mädchen waren ca. 65 % Drittstaatsangehö-         Bereich Flucht, Migration und Asyl arbeiten.
     rige. Im vergangenen Jahr ist demnach der
     Anteil von Drittstaatsangehörige gestiegen.         „Keine Behörde oder Institution
     Der Anteil der betreuten EU-Bürgerinnen, be-        kann Menschenhandel alleine be-
     zogen auf den Gesamtanstieg der betreuten           kämpfen. Die langjährige Zusam-
     Frauen und Mädchen, ist von 61 % auf 35 %           menarbeit mit LEFÖ – IBF zeigt,
     gesunken. Frauen aus dem Herkunftsland              dass ein starker und qualitäts-
     Bulgarien haben sich in der Betreuung und          voller Opferschutz einen zentra-
     Beratung von LEFÖ – IBF mehr als halbiert.           len Stellenwert bei der Krimi-
     Waren Frauen aus Rumänien die letzten Jah-          nalitätsbekämpfung innehat. Ein
     re die größte Gruppe der Betreuten, so ist         gemeinsames Auftreten vermittelt
     diese 2017 nun die zweitgrößte Gruppe, wäh-          Opfern, dass Menschenhandel in
     rend die Anzahl der Frauen aus Nigeria sich           Österreich ernstgenommen wird
     ungefähr verdreifacht haben. Die Zahlen zu          und sie nun in Sicherheit sind.
     der Art der Ausbeutung knüpfen an den letz-        Nur durch diese Kooperation kön-
     ten Jahren an und sind bereits über eine län-        nen Opfer dahingehend bestärkt
     gere Zeit gleichbleibend. 65 % aller betreuten     werden, ihre Rechte einzufordern
     Frauen und Mädchen wurden in Bereichen              und mit den Strafverfolgungsbe-
     der sexuellen Ausbeutung gehandelt.                   hörden zu kooperieren, in dem
                                                         sie eine Aussage gegen die Men-
     23 % der Betreuten in der 24-Stunden be-                        schenhändler machen.“
     treuten Wohnung waren unter 18 Jahre alt,          Chefinspektorin Eva Plank-Sandhofer,
                                                       Bundeskriminalamt Joint Operational
     was ein Anstieg im Vergleich zu 2016 um
                                                         Office zur Bekämpfung von Menschen-
     18 % ist. Durch die Umstellung auf ein drei-
                                                                      handel und Schlepperei
     stufiges System des sicheren Wohnens zeigt

     Rechtsanspruch auf den Aufenthalt           Einführung Projekt FROM (Freiwillige Rückkehr von Opfern
     für Opfer wird gesetzlich verankert         des Menschenhandels) bis heute

        2009
19

   HERKUNFTSLAND 2017 (gesamt 327)

        Nigeria                                                                                                                                97

   andere EU                                                      45

    Rumänien                                                 42

             China                                 31

       Ungarn                                 26

   Philippinen                                26

        Europa                          22

 andere Asien                     16

 andere Afrika                   15
   Nord- und
  Südamerika           5

    unbekannt            2

                 0           10         20         30        40            50       60             70              80                     90           100

 Abb. 1

  30            14           13         9,5         8             8          7          5           5              1,5                    0,6
   %            %             %         %           %             %         %         %            %               %                       %
                                                                                                                    Nord- u. Südamerika
                                                    Ungarn

                                                                                    andere Asien
                             Rumänien

                                                                           Europa

                                                                                                                                           unbekannt
                                                                                                   andere Afrika
                                        China

                                                             Philippinen
                 andere EU
   Nigeria

 Abb. 2

Projekt ENPATES (European NGOs Plat-                                                                                Ausländerbeschäftigungsgesetz: Zugang
form Against Trafficking, Exploitation                                                                              zum Arbeitsmarkt für Betroffene des
And Slaveries)                                                                                                      Frauenhandels

  2010 - 2012                                                                                                                  2011
20

       Alter 2017 (gesamt 327)

                                                                                                                    Gesamtz. 327
      bis 16 Jahre
           17 bis 18
                            2

                                     6
                                                                                  %                 bis 16 Jahre         8
           19 bis 25                                               29                               17 - 18             20
           26 bis 35                                                         26                     19 - 25             96
           36 bis 45                                         15                                     26 - 35             84
           46 bis 55             4                                                                  36 - 45             50
           56 bis 65       0,6                                                                      46 - 55             12
       älter als 65        0,3                                                                      56 - 65              2
       unbekannt                                  16,5                                              älter als 65         1
                       0                 5        10          15   20       25         30           unbekannt           54
     Abb. 3
                                                                                                  Abb. 4

       Art der Betreuung 2017 (gesamt 384)
     300

     270           293

     240

     210
                                                                                                                   2,3

     180

     150                                                                                                   21,4
                                                                                  Schubhaft

                                                                                                                   %
     120
                                                                                  Schutzwohnungen
      90
                                                                                  Externe Klientinnen
      60
                                             82
                                                                                                                         76,3
      30
                                                         9
       0

     Abb. 5                                                               Abb. 6

     Publikation „Entschädigung für                                     EU nimmt die Richtlinie 2011/36/EU zur Verhütung
     Betroffene des Menschenhandels                                     und Bekämpfung des Menschenhandels und zum
     in Österreich“                                                     Schutz seiner Opfer an

           2011
21

         Art der Ausbeutung 2017 (gesamt 327)

           sexuelle                                            andere Formen der              andere Formen der
          Ausbeutung                    Haushalt                  Ausbeutung                  Arbeitsausbeutung                   Ehe

              65 %                       16 %                          8%                            5,5 %                        5%

       Abb. 7

                                                                                                  andere Formen
                              sexuelle                                  andere Formen
                                                      Haushalt                                    der Arbeitsaus-         Ehe
                             Ausbeutung                                 der Ausbeutung
                                                                                                     beutung

        Gesamtz. 327            214                       53                     27                     18                 15

       Abb. 8

         Aufenthaltskategorie 2017 (gesamt 327)
                                                   Drittstaatenange-
              Asylwerberin      EU Bürgerin                                  sonstiges             unbekannt        Österreicherin
                                                   hörige ohne Asyl

                  35 %             32 %                   21 %                   5%                    5%                2%

       Abb. 9

                                                               Drittstaatenan-
                         Asylwerberin       EU Bürgerin        gehörige ohne          sonstiges         unbekannt      Österreicherin
                                                                    Asyl
        Gesamtz. 327
                             114                104                 70                   15                  17               7

       Abb. 10

                                                                 Publikation „Qualitätsstandards einer Gefahrenanalyse
EU-Strategie zur Beseitigung des Menschen-                       und sicheren Rückkehr und Reintegration von Betroffe-
handels (Umsetzung 2012-2016)                                    nen des Menschenhandels“

  2011
22

      Kontaktaufnahme 2017 (gesamt 327)

                                                                   140
                         1
                                                                   120
                     8                   Familie                             128
                                                                   100
            9                            FreundInnen/
                                         Bekannte
                                                                    80
                                                                                   107

                     %
                                         staatliche
      11                                 Institutionen
                              39                                    60
                                         Frau selbst
                                                                    40
                                         nicht staatliche
            33                           Organisationen
                                                                                         36
                                                                    20                            28 27
                                         Polizei                                                          1
                                                                     0

     Abb. 11                                                       Abb. 12

      Kontaktaufnahme Schutzwohnung 1 2017 (gesamt 48)

                                                                   40
                 2       2                                         35
                                       Frau selbst                 30
            10                                                               31
                                       FreundInnen/
                                       Bekannte
                                                                   25

                     %                 staatliche Organisationen   20
       21
                             65
                                       nicht staatliche            15
                                       Organisationen

                                       Polizei
                                                                   10
                                                                                    10
                                                                    5
                                                                                              5     1     1
                                                                    0

     Abb. 13                                                       Abb. 14

           Projekt Qualifizierung am                               Projekt FINETUNES und Arbeitskreis
           Arbeitsmarkt                                            „Undokumentierte Arbeit“

           2012 - 2013                                               2012 - 2015
23

 Fallbeispiele3                                           nationalem Recht ausgebeutet wird. Nach ei-
                                                          nem Beratungsgespräch bei LEFÖ – IBF, direkt
 MARY                                                     im Anschluss an die Veranstaltung, entschied
                                                          sich Mary, nicht mehr zu ihrer Arbeitsgebe-
 Mary, eine philippinische Staatsangehörige,              rin zurückzukehren. Nachdem LEFÖ – IBF die
 begann im Juni 2013 ihre Tätigkeit als Haus-             dafür zuständige Kontaktperson im BMEIA
 angestellte in einem diplomatischen Privat-              deren Flucht aus dem Haushalt informiert,
 haushalt in Wien. Bereits vor ihrer Ankunft              wendet sich das BMEIA an die ArbeitgeberIn-
 in Österreich erhielt Mary per Mail einen Ar-            nen der Hausangestellten.
 beitsvertrag, welcher ihr ein Gehalt von rund
 1200€, einen 9-Stunden-Arbeitstag sowie ei-              Aufgrund der hervorragenden Zusammenar-
 nen freien Tag pro Woche garantierte.                    beit des BMEIAs mit LEFÖ – IBF gibt es ein
                                                          standardisiertes Vorgehen in diesen Situatio-
 Als Mary in Österreich ankam wurde ihr mit-              nen. Anschließend an das Gespräch des BMEI-
 geteilt, dass sie lediglich 500€ in bar bekom-           As mit den ArbeitgeberInnen, welche in Ös-
 men würde, da vom restlichen Betrag die                  terreich diplomatische Immunität genießen,
 Kosten für Versicherung und öffentlichem                 entscheiden sich manche DiplomatInnen da-
 Verkehr sowie Steuern bezahlt werden wür-                für, ihren ehemaligen Hausangestellten eine
 den. Des Weiteren wurde Mary informiert,                 Entschädigung zu bezahlen. Die Höhe der
 dass sie sich zusätzlich um das siebenjährige            Entschädigung entspricht außerdem nicht
 Kind der Arbeitgeberin zu kümmern habe.                  dem tatsächlich entgangenen Lohn.
 Der Reisepass wurde ihr von der Arbeitgebe-
 rin abgenommen. Mary, welche ihr Kind in                 Wegen des psychischen Drucks durch die
 den Philippinen zurücklassen musste, baute               Arbeitgeberin fiel es Mary sehr schwer, eine
 eine intensive emotionale Beziehung zu der               Anzeige zu erstatten und die Verpflichtung,
 kleinen Tochter der Arbeitgeberin auf. Mary              keinen Kontakt zur Tochter aufzunehmen,
 war gezwungen, 7 Tage die Woche 16 Stun-                 zu unterzeichnen. Die Arbeitgeberin schickte
 den zu arbeiten, ohne geregelten Pausen. Zu-             ihr beispielsweise Fotos vom weinenden Kind
 sätzlich musste die Arbeitgeberin monatlich              und schrieb vorwurfsvolle Nachrichten, dass
 an die Auszahlung des Lohns gebeten wer-                 Mary herzlos und eine schlechte Mutter sei,
 den, was für Mary zusätzlich belastend war.              da sie nicht nur die Tochter der Arbeitgeberin,
 Das Bundesministerium für Europa, inter-                 sondern bereits ihr eigenes Kind in den Philip-
 nationale Angelegenheiten und Integration                pinen zurückgelassen habe. Mary erstattete
 (BMEIA) veranstaltet einmal jährlich eine                dennoch eine Anzeige gegen ihre frühere Ar-
 Veranstaltung in den Räumlichkeiten des Mi-              beitgeberin, während in psychosozialen Bera-
 nisteriums zu dem sämtliche in Österreich in             tungen das Trauma bearbeitet wurde. Doch
 Diplomatenhaushalten arbeitende Hausan-                  die Staatsanwaltschaft brach das Verfahren
 gestellte eingeladen werden, um diese über               aufgrund der diplomatischen Immunität der
 ihre Rechte und Pflichte zu informieren. Bei             Beschuldigten ab. Für Mary bedeutet dies,
 dieser Veranstaltung sind u.a. auch Mitarbei-            dass sie keinerlei rechtliche Handhabe gegen
 terinnen von LEFÖ – IBF anwesend, um die                 ihre frühere Arbeitgeberin hat, solange diese
 Organisation vorzustellen und Unterstüt-                 Immunität in Österreich genießt.
 zungsmöglichkeiten für Betroffene von Men-
 schenhandel zu präsentieren. Mary nahm an                Im Fall von Mary lagen zwischen der Flucht
 einer dieser Veranstaltung teil und begriff              aus dem Haushalt und der Auszahlung einer
 erstmalig, dass sie nach internationalem und             Entschädigung drei Jahre. Trotz des zu gerin-
 3
  Die hier angeführten Fallbeispiele zeigen verschiedene Aspekte in der Betreuung von Betroffenen des
 Frauenhandels. Allen gemein haben die Biographien dieser Frauen, dass sie Opfer von Betrug, Gewalt, Ausbeutung
 und Frauenhandel waren. Alle Namen wurden geändert.

Sonderbestimmung für Opfer von                    Gründung „MEN VIA“, das Männergesundheitszentrum
Menschenhandel (z.B. Recht auf                    Wien, zur Unterstützung für männliche Betroffene des
Entschädigung)                                    Menschenhandels.

     2013
24

     gen Umfangs der Entschädigung und der lan-       Bundeskriminalamt insbesondere auch eine
     gen Wartezeit, welche weitere Unsicherheiten     intensive Zusammenarbeit mit der Kinder-
     für die Betroffenen bedeutet, ist die Auszah-    und Jugendhilfe (MA11) geboten. Ana zog in
     lung von Entschädigung essentiell. Die Be-       die Schutzwohnung 1 ein, die von LEFÖ – IBF
     troffenen erhalten durch Entschädigungen         zur Verfügung gestellt wird. Diese Unterbrin-
     Zugang zur Anerkennung der erlebten Men-         gung ermöglicht eine 24-Stunden-Betreuung
     schenrechtsverletzung.      Entschädigungen      für Betroffene. Der Beratungsprozess erwies
     sind jedoch nicht nur aus Opferperspektive       sich jedoch anfangs als sehr schwierig. Nach
     von größter Bedeutung. Durch die Zahlung         mehrmaligen Regelverstößen in der Schutz-
     einer Entschädigung wird deutlich, dass die      wohnung zog Ana in eine andere Wohnung,
     Ausbeutung von Hausangestellten nicht nur        welche vom Jugendamt betreut wurde. Erst
     kriminell ist, sondern auch finanzielle Konse-   nach ca. drei Monaten entwickelte sich ein
     quenzen hat. Dadurch wird Bewusstsein ge-        stabiles Vertrauensverhältnis zu ihrer Bera-
     schaffen und präventiv gegen Ausbeutung          terin bei LEFÖ – IBF. Auch der Auszug aus
     im Haushalt vorgegangen.                         der Schutzwohnung ermöglichte es, den
                                                      Schwerpunkt des Betreuungsverhältnisses
     ANA                                              auf die psychosoziale Beratung zu legen. Ana
                                                      erschien pünktlich zu ihren Terminen, öffne-
     Ana ist in Rumänien geboren, wo sie auf-         te sich LEFÖ – IBF und nach einer intensiven
     grund von dysfunktionalen Familienverhält-       Krisenintervention konnten weitere Schritte
     nissen in verschiedenen Jugendheimen auf-        in die Selbstständigkeit bearbeitet werden.
     wuchs. Bereits mit 15 Jahren wurde sie von       Ana ist nun volljährig, wohnt in ihrer eigenen
     ihrem damaligen Freund, der eine kriminelle      Wohnung und holt den Hauptschulabschluss
     Vergangenheit hatte, gezwungen sich zu pro-      nach.
     stituieren. Er war ihre einzige Bezugsperson
     und es entwickelte sich ein starkes Abhän-       Die beiden Täter wurden gemäß §104a StGB
     gigkeitsverhältnis. Während Anas Freund im       (Menschenhandel) und §217 StGB (grenzüber-
     Gefängnis war, wurde sie im März 2016 von        schreitender Prostitutionshandel) jeweils zu
     einem Bekannten ihres Freundes via Face-         drei Jahren Haft verurteilt, der eine Ange-
     book kontaktiert. Dieser schlug Ana vor mit      klagte unbedingt und der andere bedingt.
     ihm zu dessen Bruder nach Wien zu fahren,        Weiters wurden Ana 4.000 € Schadenersatz
     um das Jugendheim in Ungarn zu verlassen         zugesprochen.
     und in Österreich eine gute Arbeit finden zu
     können. In Wien warte bereits sein Bruder        Die Geschichte von Ana zeigt, dass die psy-
     auf sie, der ihr eine Arbeit vermitteln kön-     chosoziale Betreuung und Stabilisierung
     ne. Ihr Freund sowie seine Bekannten übten       von Betroffenen von Frauenhandel ein sehr
     starken emotionalen Druck auf sie aus und        individueller Prozess ist, der Zeit und Ge-
     nutzten ihre Verletzbarkeit aus. In Wien an-     duld braucht. Vertrauen ist dabei die Basis,
     gekommen, wurde sie mit physischer und           um gemeinsam eine erfolgreiche Beratung
     psychischer Gewalt erneut in die Prostitution    und Stabilisierung erreichen zu können. Jede
     gezwungen. Die Täter bedrohten Ana, die ei-      Frau hat andere Bedürfnisse, Stärken und Zie-
     ner ständigen Kontrolle unterstand. Das ge-      le und es gibt unterschiedliche Formen mit
     samte Geld, das sie verdiente, wurde ihr so-     dem Erlebten umzugehen. Deshalb steht ins-
     fort abgenommen. Zu diesem Zeitpunkt war         besondere das Empowerment der Frauen im
     sie 16 Jahre alt. Nach einer Polizeikontrolle    Vordergrund. Gemeinsam werden Strategien
     wurde Ana vom Bundeskriminalamt an LEFÖ          erarbeitet, um das Erlebte zu verarbeiten,
     – IBF weitervermittelt. Bei minderjährigen       sich auf das Strafverfahren vorzubereiten so-
     Betroffenen sind spezielle Schutzmaßnah-         wie die eigenen Wünsche und Zukunftspläne
     men und neben der Kooperation mit dem            umsetzen zu können.

Projekt Towards Greater Accountability:           Projekt LUCIA (Hilfe für die Betroffenen von Menschen-
Participatory Monitoring of Anti-Trafficking      handel und Kapazitätserweiterung in der Grenzregion
Initiatives                                       Ungarn-Österreich)

2013 - 2014
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