LEFÖ-IBF TÄTIGKEITSBERICHT 2017 - INTERVENTIONSSTELLE FÜR BETROFFENE DES FRAUENHANDELS
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IBF - Interventionsstelle für Betroffene des Frauenhandels Lederergasse 35/12-13 Telefon +43.1.796 92 98 Fax +43.1.796 92 98-21 Mail ibf@lefoe.at www.lefoe.at Büroöffnungszeiten Mo, Di, Fr: 09:00 – 14:00 Do: 14:00 – 19:00 Herausgeberinnen LEFÖ - Beratung, Bildung und Beglei- tung für Migrantinnen Der Verein LEFÖ - Beratung, Bildung und Begleitung für Migrantinnen setzt sich seit 1985 intensiv gegen struktur- elle Verletzungen und Missachtungen von Frauenrechten und für das Sicht- barmachen und Benennen von Gewalt ein. Grafik und Layout Vlatka Frketić
Inhalt 5 Einleitung 7 Allgemeines 8 Definition und Kontext 9 Empowerment und Angebote 11 Empowerment und Intervention 14 Kritische Analysen und Interventionen 16 Nationale und internationale Kooperation 18 Zahlen und Interpretationen 26 Laufende Tätigkeiten 30 Herausforderungen Straftatbestand „Menschenhandel“ Gründung von LEFÖ – Lateinamerikanische wird als §217 ins StGB eingefügt exilierte Frauen in Österreich 1975 1985
2600 Frauen und Mädchen LEFÖ organisiert erstes Seminar zu Arbeitsgruppe vom BMI zu „Frauenhandel“ Frauenhandel wird eingeführt 1995
5 Einleitung Am 1.1.1998 wurde die LEFÖ – IBF, nach lang- jähriger politischer Arbeit von LEFÖ, die bereits Anfang der 90er die Situation von Betroffenen des Frauenhandels in Öster- reich thematisierte, eröffnet. In diesen 20 Jahren beriet, begleitete und unterstützte LEFÖ – IBF um die 2600 Frauen und Mäd- chen. Im Zentrum dieser Arbeit steht im- mer die Frau als die Akteurin mit ihren Bedürfnissen, Problemen und Wünschen. Ein wesentliches Qualitätsmerkmal von LEFÖ, als feministische Migrantinnenorga- „Unsere Erfahrung zeigt uns, dass nisation, ist die stetige Auseinandersetzung Frauenhandel keine „neutrale“ Pro- mit antirassistischer Praxis und gesellschaft- blematik ist, und unser Engagement licher Partizipation. Das Beratungs- und Be- für die Betroffenen stellt uns auf treuungskonzept der LEFÖ – IBF gründet sich die Seite dieser Frauen. Deshalb auf dem Verständnis der Anerkennung von sind Organisationen wie unsere - und Solidarität mit Betroffenen des Frauen- LEFÖ -, die direkt mit den Frauen handels. Dies bedeutet die Stimmen von Be- arbeiten und deren Probleme und Be- troffenen aktiv in der täglichen Arbeit mitein- dürfnisse genau kennen und berück- zubeziehen. sichtigen, so wichtig.“ Mag.a Cristina Boidi Mitbegründerin Im Folgenden möchte ich in Retrospekti- und langjährige Koordinatorin von ve Veränderungen, Gleichstand und Erfolge LEFÖ kurz darstellen: Mit der Eröffnung der LEFÖ – IBF wurde auch der Aufenthalt für Opfer des Menschenhan- dels im österreichischen Gesetz verankert. Die Forderung nach Aufenthalt war demnach ein historisches Momentum für LEFÖ – IBF mit dem Wissen, dass eine qualitätsvolle Op- ferschutzbetreuung erst mit einer psychoso- Liebe Leserinnen und Leser! Liebe Kollegin- zialen Stabilisierung durch einen gesicherten nen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Aufenthalt angeboten werden kann. 2009 Herren! wurde ein Rechtsanspruch auf diesen Aufent- halt, der an ein laufendes Straf- oder Zivilver- Der folgende Tätigkeitsbericht, welcher an- fahren gebunden ist, eingeführt, gleichzeitig lässlich des 20-jährigen Jubiläums der LEFÖ- die Möglichkeit aufgrund der persönlichen Si- Interventionsstelle für Betroffene des Frau- tuation einen Aufenthalt als Opfer von Men- enhandels (LEFÖ – IBF) entstand, stellt den schenhandel zu erhalten abgeschafft. Auch Werdegang von LEFÖ – IBF vor. Auch anhand 2018 beschäftigt uns die systematische Um- dessen beschreiben wir Veränderungen im setzung dieses Aufenthaltes weiterhin, denn Bereich von Frauenhandel in Österreich, die nach 20-jähriger Arbeit bestätigt sich weiter- wir begleiteten oder auch beeinflussten, so- hin, dass dieser eine Notwendigkeit für die wie die Schwerpunkte im Jahr 2017. psychische Gesundheit ist. 1. Konferenz zu Frauenhandel in Wien (European Conference on Trafficking Publikation „Frauenhandel“ in Women) 1996
6 Im Jahr 2017 betreute LEFÖ – IBF Betroffene sich im Schnittpunkt unterschiedlicher Diskri- von Frauenhandel mehrheitlich aus den Be- minierungen ab: Frauen werden gehandelt, reichen: Sexarbeit, Hausarbeit, andere For- weil sie strukturell weniger Zugang zu Rech- men der Arbeitsausbeutung und Ehe. ten und Gleichstellung haben. –– 327 betroffene Frauen und Mädchen Frauen werden gehandelt, weil sie in Armut –– 48 davon in der Schutzwohnung 1 leben und ihnen ein besseres Leben verspro- chen wird und sie sich dafür verantwortlich –– 23 davon in der Schutzwohnung 2 fühlen, dass ihre Kinder ein besseres Leben –– 11 in der Übergangswohnung haben sollen, als sie. Sie werden auch gehan- delt, weil sie einer Minderheit angehören, die wiederum strukturell ausgegrenzt ist oder Im Jahr 1998 im Gegensatz dazu wurden aber, weil sie vor (sexualisierter) Gewalt flie- 49 Frauen betreut: davon 33 in der Schub- hen und sie das sehr verletzbar macht; und haft und nur zwei in der Notwohnung. sie werden auch gehandelt, weil sie zu jung Dies zeigt die enormen Erfolge in der Identi- oder zu alt sind. fizierung von Betroffenen des Frauenhandels. Die Kooperationen konnten von einigen we- LEFÖ – IBF wird auch weiterhin alle An- nigen – von Anfang an die Wiener Kriminal- strengungen unternehmen, einen quali- polizei – auf ein großes stabiles Netzwerk tätsvollen Opferschutz in Österreich an- ausgebaut werden, auch dank der Task Force zubieten, rechtliche Entwicklungen zu Menschenhandel, deren Mitglied wir seit beobachten und sich für die Rechte von Be- Gründung im Jahr 2004 sind. Denn diese Ko- troffenen des Frauenhandels einzusetzen. operationen sind die Basis des Erkennens von Wir möchten uns bei den langjährigen Weg- betroffenen Frauen und Mädchen und damit begleiterInnen, KooperationspartnerInnen, die Reduktion der Dunkelziffer. Dies bedeu- bei den FördergeberInnen und bei den Auf- tet auch, dass wir als anerkannte Opferschut- traggeberInnen herzlich für die gute Koope- zeinrichtung, unseren Beitrag zur Identifi- ration und gemeinsame Weiterentwicklung zierung von Betroffenen leisten können, um bedanken. so sicherzustellen, dass Frauen Zugang zu Schutz und zu international anerkannten Und zum Abschluss, möchten wir uns bei all Rechten bekommen. jenen Frauen bedanken, die uns ihr Vertrauen über die letzten 20 Jahren geschenkt haben, Die Unterstützung beim Recht auf Entschädi- an derer Seite wir gekämpft, geweint und ge- gung wurde systematisch Teil unserer Arbeit lacht haben. auch durch die Veränderung in der Strafpro- zessordnung und der Implementierung der Evelyn Probst Prozessbegleitung im Jahr 2006. Trotz ver- für die LEFÖ - Interventionsstelle für mehrten Zusprüchen an Entschädigungen im Betroffene des Frauenhandels Strafverfahren, gibt es weiterhin kaum Aus- zahlungen an Geschädigte, da immer noch die Exekution von den Opfern selbstständig in die Hand genommen werden muss. Im Er- mittlungsverfahren wird oft nichts beschlag- nahmt, daher müssen die Opfer im Nachhi- nein am zivilrechtlichen Weg exekutieren. Frauenhandel ist eine Menschenrechtsver- letzung, die sich aus unterschiedlichsten Fa- cetten zusammensetzt. Frauenhandel bildet Gründung von LEFÖ-IBF (LEFÖ-Interventions- LEFÖ organisiert Ost-West-Konferenz zu stelle für Betroffene von Frauenhandel) Frauenhandel in Wien 1998
7 Allgemeines LEFÖ – IBF wird vom Bundesministerium für Justiz mit der Durchführung von psychoso- zialer und juristischer Prozessbegleitung für Frauen und Kinder bundesweit gefördert. Sprachen Amharisch, Arabisch, Albanisch, Bilen, Bulga- risch, Bosnisch/Kroatisch/Serbisch, Calabar, Diola, Englisch, Edo, Efik, Farsi, Französisch, Fujian, Griechisch, Hausa, Hebräisch, Hindi, Hochsprache Chinesisch (Mandarin), Ibo, Indonesisch, Ischian, Italienisch, Japanisch, Zielgruppe Ki-nyarwanda, Kiswahili, Kirundi, Kurdisch, Litauisch, Luxemburgisch, Malaysisch, Mon- –– Migrantinnen, die durch Gewalt, Dro- golisch, Pigin, Polnisch, Punjabi, Romanes, hung, Ausnützung ihrer starken Ab- Rumänisch, Russisch, Slowakisch, Spanisch, hängigkeit oder durch Täuschung zur Tagalog, Tigre, Tigrinya, Tschechisch, Tschet- Ausübung der Prostitution in Öster- schenisch, Türkisch, Ukrainisch, Ungarisch, reich angehalten werden. Urdu, Vietnamesisch, Wolof, Yoruba –– Migrantinnen, die durch Heiratshan- del nach Österreich gebracht wurden und unter Bedingungen der Ausbeu- tung leben müssen. –– Migrantinnen, die in andere ausbeute- rische und sklavenähnliche Arbeitsbe- dingungen (wie z.B. in die Haushalts- arbeit) gehandelt wurden. LEFÖ – IBF als Opferschutzeinrichtung ist im Sicherheitspolizeigesetz (SPG) vorgesehen und wird vom Bundesministerium für Inneres und dem Bundesministerium für Frauen und Gesundheit beauftragt. 1. Fachseminar für Polizei- und Gendarmerie- Der Aufenthalt für Opfer von Frauenhandel Bedienstete zu „Frauenhandel- Bekämpfung, wird erstmals gesetzlich verankert Prävention, Opferschutz“ 1998
8 Definition und dieses zu verwirklichen müssen folgende Fak- toren gegeben sein: der Vorsatz der Ausbeu- tung und der Prozess des Handels, das heißt Kontext u.a. Anwerbung, Transport oder Aufnahme und zuletzt die Aspekte Täuschung, Drohun- gen oder andere Gewaltanwendungen. Ein strafrechtlicher Kontext differenziert scharf zwischen TäterInnen und Opfer und verlangt Eindeutigkeit der Beweise. Die tat- relevanten Wahrnehmungen müssen nach- vollziehbar sein, doch betroffene Frauen vermitteln diese oft schwer, aufgrund von Traumatisierungen oder Angst. Dazu können Vorurteile den Blick verstellen und in der frei- en Beweiswürdigung möglicherweise den Aus- gang des Verfahrens bestimmen. Aus diesen LEFÖ bezieht sich auf das Konzept Frauen- Gründen ist es zum Zwecke eines adäquaten handel, um sowohl die Ausbeutung im Kon- Opferschutzes von erheblicher Bedeutung, text von Migration als auch die spezifische dass das Erlebte der Frauen im Mittelpunkt Situation von Frauen ins Zentrum zu stellen. steht. Die strafrechtliche Verfolgung der Tä- Entgegen einer landläufigen Vorstellung terInnen allein wird der Komplexität der er- werden Frauen in vielen verschiedenen Bran- lebten Gewalt bei Weitem nicht gerecht. Das chen und Bereichen gehandelt: Tourismus, Unterstützungs- und Begleitungsangebot Landwirtschaft, Gastronomie, Reinigungs- muss beim subjektiven Erleben der Frauen gewerbe, Textilproduktion, Lebensmittelher- anknüpfen, setzt dabei Parteilichkeit mit stellung, etc. – oder aber im Rahmen des den betroffenen Frauen voraus und hat die Haushalts, der Ehe, der Bettelei und zum unterschiedlichsten Diskriminierungserfah- Zweck der sexuellen Ausbeutung. rungen zu berücksichtigen. Dabei steht der Schutz vor weiterer Gewalt und Ausbeutung Frauenhandel als Konzept beschreibt einen im Vordergrund. Das oberste Ziel ist, mit den Ausschnitt des Lebens von Frauen, in dem betroffenen Frauen und Mädchen einen Weg sie physische und psychische Gewalt erleben in ein würdevolles, unabhängiges und selbst- oder erlebt haben und bezieht sich auf das bestimmtes Leben zu finden. strafrechtliche Delikt Menschenhandel. Um Außerhalb der Öffnungszeiten ist die LEFÖ – IBF via Mobiltelefon zu erreichen für –– in den Notwohnungen betreuten Frauen –– Frauen, die nicht in den Schutzwohnungen untergebracht sind, aber von LEFÖ – IBF betreut werden –– die Polizei bundesweit Einführung des 24h-Bereitschafts- EU: „Brüsseler Erklärung zu Prävention dienstes in der LEFÖ-IBF und Bekämpfung von Menschenhandel“ 2001 2003
9 Empowerment der Übergangswohnung. Eine weitere ist die psychosoziale Beratung: Psychosoziale Inter ventionen können ausschließlich dann wirk- und sam werden, wenn eine relativ stabile Lebens- grundlage inkl. Aufenthalt der Betroffenen gegeben ist. Gerade was Aufenthaltsfragen Angebote betrifft, sind die Unterstützungsmöglichkei- ten seitens LEFÖ – IBF jedoch limitiert und bedürfen einer angemessenen Rechtspraxis des Gesetzgebers und der zuständigen Be- hörden. „20 Jahre LEFÖ – IBF stehen für mindestens 20 Jahre einschlägi- ge Expertise, für bedingungslo- Die konzeptuelle Ausarbeitung des Bera- ses professionelles Engagement tungskonzepts der LEFÖ – IBF ist ein durch- und Einsatz für Betroffene von gehender Prozess, der sich seit 1998 an poli- Frauenhandel, für Durchsetzungs- tische und rechtliche Situationen angepasst willen und Durchhaltekraft, um gestaltet. Die Beratung und Betreuung wird ausgebeutete Frauen zu schützen an die individuellen Bedürfnisse der Frauen und ihnen zu ihrem Recht zu ver- und Mädchen angepasst. Die Bedürfnisse der helfen. Dafür einzutreten und es Betroffenen sind der Dreh- und Angelpunkt durchzusetzen ist in den letz- bei der Entwicklung von neuen Handlungs- ten Jahren nicht wirklich leich- optionen. Ein Qualitätsmerkmal dieser Ar- ter geworden in Anbetracht der beit zeigt sich an der betroffenenorientierten neuen globalen Herausforderun- Kommunikation und Muttersprachlichkeit gen - auch wenn längst erwiesen der Beraterinnen der LEFÖ – IBF, sowie dem ist, dass der umfassende Schutz Ansatz des Empowerments. Wenn das mut- der Opfer, der zentrale Punkt in tersprachliche Angebot nicht möglich ist, einem wirkungsvollen Kampf gegen Frauenhandel ist. Diese Arbeit wird mit geschulten Übersetzerinnen gear- auf Basis der universellen Men- beitet oder die Beratung in einer der Mutter- schenrechte, die allen zu Gute sprache in Verständnis und Ausdruck gleich- kommen soll, die sie brauchen, wertigen Sprache geführt. Die verschiedenen darf keinesfalls den sogenannten Säulen des Angebotes basieren hierzu auf staatlichen Sicherheitsinteres- ressourcenorientiertem Arbeiten. Im Zent- sen zum Opfer fallen.“ rum steht, dass Frauen dazu ermächtigt wer- Dr.in Helga Konrad, ehem. Frauenmi- den, ein selbstbestimmtes und unabhängiges nisterin; Internationale Konsulentin Leben zu führen und sich ihre Entscheidungs- für den Kampf gegen Menschenhandel; möglichkeiten (wieder) anzueignen. Koordinatorin der ‚Regional Imple- mentation Initiative on Preventing & Eine dieser Säulen ist die 24-Stunden-Betreu- Combating Human Trafficking‘. ung in der Schutzwohnung 1 oder das betreu- te Wohnen in der Schutzwohnung 2 sowie in Einführung eines OSZE Sonderbeauftragten und Koordinators für die Bekämpfung des Menschen- handels zur Unterstützung der teilnehmenden Hertha-Firnberg-Anerkennungspreis Staaten für LEFÖ 2003 2004
10 Die Beratung von LEFÖ – IBF ist eine ganz- –– Unterstützung bei der Durchsetzung heitliche Beratung, die die psychische, sozia- von sozial- und arbeitsrechtlichen le, gesundheitliche und rechtliche Situation Ansprüchen der Betroffenen miteinbezieht. Diese wird –– Unterstützung bei der Lebensplanung mit Empowerment-Strategien mit einem und Bleibeberatung gendersensiblen und transkulturellen Ansatz umgesetzt. oder Ein Grundsatz der Beratung ist, dass die Ent- –– Rückkehrvorbereitungen in Zusam- scheidung darüber, wo die Betroffene ihre menarbeit mit Behörden und Or Zukunft sieht, allein bei der Betroffenen ganisationen in den Herkunftsländern selbst liegt. Dazu stellt LEFÖ – IBF unterstüt- zend emotionale, materielle und rechtliche Ressourcen bereit. Dies ist eine mittelfris- Alle diese Angebote sind unentgeltlich, an- tige Strategie, die die Betroffene dabei un- onym und vertraulich. Frauen und Mädchen terstützt, ihre Handlungsfähigkeit (wieder) können angepasst an ihren Wünschen ent- herzustellen, sodass sie sich stabilisieren und scheiden, welches dieser Angebote sie an- informierte Entscheidungen über ihre nähere nehmen wollen. Im Betreuungsprozess wird Zukunft treffen kann. Dieser Prozess beruht gemeinsam regelmäßig evaluiert, wie das An- auf Einvernehmen und ist nicht auf Bera- gebot an die individuelle Situation angepasst tungsgespräche beschränkt, sondern ermög- werden kann. licht aktive Unterstützung und Intervention in Kooperation mit anderen Institutionen. Ein wichtiger Teilbereich in der sozialen Un- terstützung sind Aktivitäten jenseits einer „Ich verstehe endlich, dass ich direkten Verwertung, wie etwa sportliche leben, atmen, mich freuen kann Aktivitäten, zum Beispiel Tanzen, oder Ent- und bin allen dankbar, die dabei spannungstechniken wie Yoga, musische Be- sind in schwierigen Momenten. schäftigungen wie Zeichnen, oder aber der Sie bringen uns zurück Zugang zu kulturellen Aktivitäten, zu Muse- ins Leben und lehren uns weiter en und zur Bibliothek. Im Jahr 2017 konnten zu leben.“ wir mit langjährig aufgebauten Netzwerken Klientin, von 2012-2015 in der und neuen Angeboten vieles davon anbieten. Betreuung der LEFÖ – IBF Die weiteren Angebote der LEFÖ – IBF für betreute Frauen sind –– psychosoziale und juristische Prozess- begleitung –– Gewährleistung medizinischer und ärztlicher Versorgung Strafrechtsänderungsgesetz: Straftatbestand „Men- Strafprozessreformgesetz: Aufwer- schenhandel“ erfasst nun neben sexueller Ausbeutung tung der Rechtsstellung von Opfern im auch andere Ausbeutungsformen --> §217 „grenzüber- Strafverfahren (z.B. Prozessbegleitung) schreitender Prostitutionshandel“ tritt in Kraft 2004
11 Empowerment haltstitel §57 des Asylgesetzes (AsylG) „Be- sonderer Schutz“ erteilt. Dieser legt fest, dass Opfern von Menschenhandel ein Aufenthalt und von zumindest einem Jahr zugesprochen werden muss. Dieser wird verlängert, wenn alle Vorrausetzungsbedingungen gegeben Intervention sind. Für den Erhalt des befristeten Aufenthalts muss eine Ermittlungsbehörde den Opfer- bzw. ZeugInnenstatus bestätigen. Daher ist eine betroffene Frau verpflichtet, eine Anzei- ge zu erstatten. Laut Gesetz muss der Auf- enthalt von Amtswegen bei jedem negativen Asylverfahren oder beim Zurückweisen des Subsidiären Schutzes geprüft werden. Zudem soll über den Aufenthalt in sechs Wo- chen entschieden werden, da die Wartezeit extrem belastend ist. Real müssen Frauen al- Zugang zu Aufenthalt und lerdings oft sehr lange warten, da diese Frist Anmeldebescheinigung überschritten werden darf. Als sehr positiv bewerten wir, dass wir im Im Rahmen der rechtlichen Beratung werden Jahr 2017 Frauen betreut haben, welche im Fragen des rechtmäßigen Aufenthalts in Ös- Dublin-Verfahren waren, aber aufgrund eines terreich geklärt und besprochen. Hinsichtlich laufenden Strafverfahrens einen Aufenthalt des fremdenrechtlichen Status können die nach §57 erhielten. Dies ist ein deutliches Si- Klientinnen von LEFÖ – IBF in zwei Gruppen gnal, dass Österreich den Opferschutz sicher- geteilt werden: EU-Bürgerinnen und Dritt- stellt und die Rechte der Betroffenen wahr- staatsangehörige. Bei EU-Bürgerinnen unter- nimmt. scheiden sich sowohl Aufenthalts- als auch soziale Rechte von denen der Drittstaatsan- Im Berichtsjahr wurde der Aufenthaltstitel gehörigen - in für unser Angebot relevanter „Besonderer Schutz“ für 20 Frauen beantragt, Weise. 15 Frauen bekamen ihn. Von acht beantrag- ten Aufenthaltsverlängerungen „Besonderer In Österreich wurde mit dem Fremdengesetz Schutz“ nach §59 wurden im Jahr 2017 vier 1997 erstmals ein Aufenthaltstitel für Betrof- positiv abgeschlossen. Da diese Zahlen je- fene des Menschenhandels eingeführt. Seit- doch auch Anträge der beiden vergangenen her wurden die Voraussetzungen für die Er- Jahre inkludiert, bedeutet dies, dass vom Jahr teilung des Titels mehrmals novelliert. In der 2017 noch einige offen sind. Vergangenheit regelte §69a des Niederlas- sungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG) den EU-Bürgerinnen benötigen keinen Aufent- befristeten Aufenthalt mit dem Titel „Beson- haltstitel, aber eine Anmeldebescheinigung, derer Schutz“ für Opfer im strafrechtlichen die an eine Versicherung und an ein Einkom- Sinne und ZeugInnen von Menschenhandel. men gebunden ist. Seit 1. Jänner 2014 wird vom Bundesamt für Im Jahr 2013 wurde geregelt, dass auch EU-Bür- Fremdenwesen und Asyl (BFA) der Aufent- gerinnen, die als Opfer von Frauenhandel Einrichtung der Task Force Menschenhandel (TF-MH) unter Leitung desBundesministeriums Mitgliedschaft von LEFÖ-IBF bei Task für Europa, Integration und Äußeres (BMEIA) Force Menschenhandel 2004
12 identifiziert wurden, sofort eine Anmeldebe- Zugang zu Fortbildung und scheinigung bekommen sollen. 2017 wurden dem Arbeitsmarkt sechs Anmeldebescheinigungen beantragt und davon drei erteilt. In dem Berichtsjahr hat sich gezeigt, dass das Verfahren zur Im Jahr 2017 bekamen fünf Frauen, die wir Ausstellung der wenigen Anmeldebescheini- dabei begleitet haben, eine Beschäftigungs- gungen nicht beschleunigt werden konnte. bewilligung. Einige Frauen konnten selb- ständig ArbeitgeberInnen finden, die für sie Die Stadt Wien hat dies zum Anlass genom- die Beschäftigungsbewilligung beantragten. men eine veränderte Bestimmung in das Lan- Alle Frauen konnten Deutschkurse in unter- des- Mindersicherungsgesetz aufgenommen, schiedlichsten Niveaus besuchen und diese welche am 1.2.2018 in Kraft tritt. positiv abschließen. Funktionierende psychosoziale Unterstüt- Ein großer Erfolg der nachhaltigen Interven- zungsstrukturen müssen sich unter anderem tion zugunsten der Rechte von Frauen ist die in Form eines Aufenthaltes oder einer Anmel- Unterstützung von Frauen durch das AMS. debescheinigung manifestieren. Frauen mit Aufenthalt werden durch indivi- duelles Coaching bei der Arbeitssuche unter- “Now I have my documents. It stützt. Sie können vom AMS geförderte Fort- help me in understanding more bildungen besuchen, die an ihre individuellen Deutsch. It has given me joy and Bedürfnisse angepasst sind. Damit ist eine peace. It helped me to integrate langjährige Forderung von LEFÖ – IBF imple- more in the society. It has giv- mentiert worden. en me hope of a better future.” Klientin, seit 2016 in LEFÖ – IBF Betreuung Zugang zum Recht auf Strafverfol- gung und Entschädigung: Psycho- Zugang zu medizinischer soziale und juristische Prozessbe- Versorgung gleitung LEFÖ – IBF bietet – wie in der Strafprozess- Im Gegensatz zu Drittstaatsangehörigen sind ordnung vorgesehen – bundesweit Prozess- EU-Bürgerinnen vom Zeitpunkt des Erstkon- begleitung für alle betroffenen Frauen und taktes mit LEFÖ – IBF bis zur Erlangung ei- Kinder an. Menschenhandel im strafrechtli- ner Anmeldebescheinigung bzw. Beginn bei chen Kontext findet sich in Österreich in ver- einer Arbeitsstelle nicht krankenversichert, schiedenen Paragraphen wieder: §104a Men- d.h. die medizinische Versorgung ist nur im schenhandel, §217 Grenzüberschreitender Rahmen der Notfallmedizin gewährleistet. Prostitutionshandel, aber auch §116 FPG Aus- Karitative Einrichtungen und die notwendige beutung eines Fremden. Immer wieder zeigt Netzwerkarbeit der LEFÖ – IBF ermöglichen sich, dass die Komplexität des Verbrechens diese wichtigen Behandlungen. intensive Arbeit nach sich zieht. Verfahren werden eingestellt, obwohl damit aus Sicht der Betroffenen ihrem Recht auf Strafverfol- gung nicht nachgegangen wird. Mitgliedschaft von LEFÖ-IBF in der La Strada – Plattform 1. Auftragsvertrag 2005 2005 - 2013
13 Psychosoziale und juristische Prozessbeglei- Erfolge des sicheren Wohnens tung dient dazu, jenen Opfern, die durch die erlittene Straftat einer besonderen emotio- Es zeigt sich, dass manche Frauen und Mäd- nalen Belastung ausgesetzt sind oder waren, chen nach der Phase der ersten Stabilisierung eine umfassende Vorbereitung auf das Ver- das Sicherheitstraining sehr schnell anneh- fahren und den damit verbundenen Belas- men und selbständig auf ihren Schutz ach- tungen zu ermöglichen. Zugleich sollen ihre ten können. Dabei erleben diese dann eine prozessualen Rechte mit Bedachtnahme auf 24-Stunden-Betreuung als einschränkend und die persönliche Betroffenheit gewahrt wer- eher belastend, wobei die zeitweise Anwe- den. Die psychosoziale Prozessbegleitung senheit einer Beraterin/Betreuerin weiterhin umfasst neben der Vorbereitung der Betrof- unterstützend ist. Durch die Umstellung auf fenen auch die Begleitung zur Einvernah- ein dreistufiges System in den Schutzwoh- me bei der Kriminalpolizei und Gericht. Erst nungen im Jahr 2017, konnte das Konzept der durch die Rechtsvertretung im Rahmen der Ermächtigung erstmals neu umgesetzt wer- Prozessbegleitung und die Anerkennung der den. So lag der Fokus bei der Unterstützung Rechte, die in der Strafprozessordnung vor- in der Schutzwohnung, welche vormittags gesehen sind, wurden einige Verfahren posi- und nachmittags betreut wird, auf dem Stär- tiv im Sinne der Betroffenen beendet. ken der Wohngemeinschaft und darauf das wechselseitige Lernen zu fördern. Ein großer Erfolg waren 2017 die partizipativen Reflexi- Mediation und Entschädigung onsrunden, welche in allen von LEFÖ – IBF betreuten Schutzwohnungen stattfanden. Im vergangenen Jahr erhielten Betroffene, Angeleitet von einer Mitarbeiterin wurden welche in diplomatischen Haushalten aus- Themen wie z.B. die Situation in Österreich, gebeutet wurden, durch die Mediation des Rassismus, Zukunftswünsche, Imaginationen BMEIA den entgangenen Lohn ausbezahlt. zu Europa, etc. in Gruppen bearbeitet. Die Als positiv bewerten wir die Strukturen, wel- Möglichkeit zur Reflexion, sowie auch das che das BMEIA für Hausangestellte aufge- wechselseitige Lernen wurden mit großem baut hat. Die proaktive Informationsweiter- Interesse angenommen. Die dort angestoße- gabe und Kontrolle der ArbeitgeberInnen nen Themen wurden oftmals von den Frauen und die Informationsveranstaltungen für Ar- und Mädchen (häufig nach einer alleinigen beitnehmerInnen stellen sicher, dass Arbeits- Reflexionsperiode) Wochen später in den Be- rechte von Hausangestellten in Österreich ratungen erneut aufgegriffen. einen zentralen Stellenwert haben. Überdies bestärkt das kohärente Auftreten von NGO, Kontrollbehörde und Strafbehörde dieses Bild. Ebenso die außergerichtliche Mediati- on, die die Ansprüche des zum entgangenen „Ich gehe in die Schule, habe Lohn beinhaltet hat, bewertet LEFÖ – IBF als ein Dach über den Kopf und ich positiv. Obwohl die betroffenen Frauen nur kenne meine Rechte.“ Klientin, von 2013-2017 in der Betreuung der LEFÖ das Monatsgehalt erhielten, ihnen der Urlaub – IBF oder aber auch die anteiligen Sonderzahlun- gen nicht ausgezahlt wurden, wurde den aus- ländischen Diplomaten klargemacht, dass Österreich internationale Bestimmungen im Kontext von Menschenhandel ernst nimmt und dies systematisch umsetzt. Ebenso im Sinne eines präventiven Charakters. Österreich wird Vertragspartei des Zusatzproto- kolls zur Verhütung, Bekämpfung und Bestra- Österreich wird Vertragspartei des Übereinkom- fung des Menschenhandels, insbesondere des mens des Europarats zur Bekämpfung des Men- Frauen- und Kinderhandels schenhandels (Inkrafttreten in 2008) 2005
14 Kritische handels an strafbaren Handlungen nicht strafrechtlich zu verfolgen. Die Beteiligung an strafbaren Handlungen sind unmittelba- Analysen re Folgen davon, dass sie dem Verbrechen des Menschenhandels ausgesetzt waren. Des Weiteren muss es nach dem Non-Punishment und auf nationaler Ebene möglich sein, von einer Bestrafung abzusehen. Auch in der Europa- ratskonvention ist festgelegt, dass Opfer für Interventionen ihre Beteiligung an strafbaren Taten insofern nicht zu bestrafen sind, als sie dazu gezwun- gen wurden. Im Österreichischen Strafrecht ist dafür der „entschuldigbare Notstand“ laut §10 vorgesehen. Es stellt sich die Frage, ob dieser ausreichend ist oder ob es einen spe- ziellen Paragraphen braucht, der auf die ein- zigartige Situation von Opfern dieses straf- rechtlichen Deliktes eingeht. Wir begrüßen die Klarstellung im Erlass des BMJs zur An- wendung der Nicht Bestrafung im Strafrecht. Auch zeigen sich Fortschritte in der Anwen- dung der Nicht Bestrafung im Verwaltungs- recht: Trotzdem hoffen wir auf die Broschüre, Non-Punishment die zur Erläuterung dienen soll. (Nicht Strafbarkeit) „Es ist die Aufgabe eines demo- kratischen, den Menschenrech- Betroffene von Menschenhandel begehen ten verpflichteten europäischen oftmals straffällige Taten aufgrund des Staates, für rechtliche Rah- Drucks durch TäterInnen. LEFÖ – IBF hat sich menbedingungen zu sorgen. Sol- von Anbeginn gegen eine Kriminalisierung che Rahmenbedingungen mit Leben der Betroffenen eingesetzt. Zum Schutz der zu erfüllen, liegt aber oft an Opfer fordert LEFÖ – IBF aus diesem Grund der Zivilgesellschaft. Genau das seit jeher die Durchführung eines „Non-Punis- ist LEFÖ in den letzten 20 Jah- hment“ von den nationalen GesetzgeberIn- ren in unvergleichlicher Weise nen. Es soll eine Bestrafung von Betroffenen gelungen: Mit wenigen Mitarbei- von Menschenhandel für Straftaten, die sie terinnen, die – zusammengenom- im Rahmen ihrer Menschenhandelsgeschich- men - aber mit dem kulturellen te getätigt haben, verhindert werden. In Art. Hintergrund fast aller Länder 8 der EU Richtlinie 2011/36/EU zur Verhütung dieser Welt vertraut zu sein und Bekämpfung von Menschenhandel und schienen, konnte LEFÖ einer min- zum Schutz von Opfern wird dies unter dem destens 4-stelligen Zahl von Gesichtspunkt „Verzicht auf Strafverfolgung Frauen dabei helfen, wieder Fuß und Straffreiheit von Opfern“ verankert. Mit- zu fassen, Hoffnung zu schöpfen und ein neues Leben zu gliedstaaten sind verpflichtet diese Bestim- beginnen.“ mungen umzusetzen. Es sind Maßnahmen zu Dr.in Elisabeth Tichy-Fisslberger, treffen, um sicherzustellen, dass die zuständi- Koordinatorin der Task Force Men- gen nationalen Behörden die Befugnis haben schenhandel 2009-2017 die Beteiligung von Opfern des Menschen- Prozessbegleitungsauftrag Prozessbegleitung wird ausdrücklich vom BMJ in der StPO verankert 2005 2006
15 Zwangskontexte von Frauen Bei Frauen aus China, welche in Österreich und Mädchen ausgebeutet werden, sehen wir die Heraus- forderung, dass diese oftmals aus Angst vor Abschiebung keine Unterstützung vor Ort Die Beratung und Betreuung der LEFÖ – IBF suchen. Gleichzeitig kehren Betroffene aus basiert auf einem interkulturellen Ansatz, China teilweise freiwillig zurück nach China, mit dem Ziel Frauen und Mädchen zu stärken. allerdings ohne jegliche Unterstützung in An- Wie bereits im Vorjahr, waren wir auch 2017 spruch zu nehmen und begeben sich damit intensiv mit der Lebenssituation von Frauen potentiell wieder in die Hände von Ausbeute- aus den Herkunftsländern Nigeria und China rInnen. Hierfür sehen wir diverse zusammen- beschäftigt. Im Folgenden möchten wir auf wirkende Faktoren: mangelnde Selbstidentifi- die besonderen Zwangskontexte dieser zwei zierung als Betroffene von Menschenhandel, Gruppen eingehen und gleichzeitig aufzei- Angst vor der gesellschaftlichen Abwertung gen, dass Frauenhandel dennoch immer ei- und vor chinesischen Behörden. ner Logik folgt: gewaltvolle Kontrolle über Menschen mit dem Zweck diese auszubeu- In der Beratung hat es eine große Bedeutung ten, um möglichst viel Profit zu generieren. diese individuellen Zwangskontexte mitein- zubeziehen. Gleichzeitig lässt sich von allen Viele der Frauen aus Nigeria, die nach Europa betroffenen Frauen und Mädchen, die wir in gehandelt wurden, werden in unterschiedli- den letzten 20 Jahren beraten und begleitet chen Ländern der EU ausgebeutet. In diesem haben, sagen, dass individuelle Abhängig- Zusammenhang kommt es häufig vor, dass keitsverhältnisse durch andere situationsspe- sich Frauen vor der Reise einem Ju Ju-Ritual zifische Vulnerabilitäten verstärkt werden. unterziehen müssen. Ju Ju wird hierbei als Die persönliche Abhängigkeit wird im straf- Kontrollmechanismus eingesetzt, basierend rechtlichen Kontext so definiert, dass diese auf nigerianischen Glaubenssystemen. LEFÖ auf einer wirtschaftlichen oder sonstigen – IBF wurde in den letzten 20 Jahren immer Gründen gegebenen Überlegenheit einer wieder mit Ju Ju, Voodoo und anderen persön- Person gegenüber dem Opfer basiert. Kont- lichen Zwangskontexten konfrontiert. Hin- rolle kann demnach durch das Wegnehmen sichtlich der Beratung und Betreuung heißt des Reisepasses ausgeübt werden sowie auch dies: Frauen und ihre jeweiligen Zwangskon- über ein Ju Ju Ritual. Beiden gemein ist die texte wahrnehmen, ernst nehmen und sie bei Tatsache, dass eine persönliche Beziehung der Dekonstruktion dieser unterstützen. zwischen TäterInnen und Opfer hergestellt wird. Es werden Abhängigkeitsverhältnisse LEFÖ – IBF sieht einen positiven Prozess dar- konstruiert, welche den Betroffenen vermit- in, dass die Auswirkungen des Ju Ju-Schwures teln, dass diese nicht durchbrechbar sind. auch von der Polizei ernst genommen wer- den. Gerade bei Einvernahmen merken Frau- en, dass ihre individuelle Geschichte im Zu- „LEFÖ has make me understand so sammenhang mit Ju Ju miteinbezogen wird. many things in life most espe- Dies zeigt sich ebenso im Rahmen eines EU cially not to do things against Projekts, durch das das österreichische Bun- my wishes. And I have also deskriminalamt einen intensiven Austausch learnt to be bold, self-depend- mit der Exekutive in Nigeria aufgebaut hat. ant and confident, and I also Durch diese Entwicklungen wird die Glaub- believe that I can be the woman würdigkeit der Frauen nicht aufgrund der eu- that I want to be no matter the rozentrischen Perspektive auf Ju Ju oder an- situation of life.” dere Religionen und Rituale in Frage gestellt. Klientin, seit 2017 in Betreuung der LEFÖ-IBF 2017 Film „Kurz davor ist es passiert“ (Regisseurin: Anja Salomonowitz; Supervision und Unter- stützung von LEFÖ) Eröffnung der Übergangswohnung 2006 2007
16 Nationale So war die erste offizielle öffentliche Ver- anstaltung der LEFÖ – IBF im Jahr 1998 die „Ost-West-Konferenz zu Frauenhandel“ in und Wien, die das Zusammenbringen von Exper- tInnen sowie zur Sensibilisierung anderer MultiplikatorInnen als Ziel hatte. internationale Die kritische Analyse der rechtlichen und politischen Realität in der Bekämpfung des Kooperation Frauen- bzw. Menschenhandels und die In- tervention im Sinne des Opferschutzes und Opferrechte, kann nur durch nationale Ko- operation gelingen. 2004 wurde folglich die nationale Task Force zur Bekämpfung des Menschenhandels gegründet. Diese setzte sich anfänglich aus verschiedenen Abteilun- gen des Außenministeriums, des Innenminis- teriums, des Ministeriums für soziale Sicher- heit, Generationen und Konsumentenschutz, des Ministeriums für Gesundheit und Frauen, der OSZE Task Force gegen Menschenhandel Nationale und internationale Kooperatio- sowie des Bundeskriminalamtes und LEFÖ – nen waren von Anbeginn der LEFÖ – IBF ein IBF zusammen. Bis heute ist LEFÖ – IBF ak- erklärtes Ziel: „Die Interventionsstelle arbei- tives Mitglied und nimmt an verschiedenen tet mit anderen NGOs in Österreich und im Arbeitsgruppen, wie der Arbeitsgruppe zu Ausland zusammen, um Informationen aus- Kinderhandel und Arbeitsgruppe Arbeitsaus- zutauschen, die Betreuung von Frauen zu beutung, teil. Das fortlaufende Ziel der LEFÖ koordinieren, sowie Migrantinnen in den Hei- – IBF als Mitglied der Task Force ist es, Betrof- matländern über Gewaltprävention zu infor- fene von Frauenhandel zentral zu berücksich- mieren.“ 1 tigen und Entwicklungen und die Ausgestal- tung der Vorschläge oder Maßnahmen auf deren Interesse hin zu überprüfen. Nationale Kooperation Die Netzwerkarbeit mit anderen feminis- tischen Frauen- und Mädchenberatungs- stellen, welche bis heute anhält, bestärkt Das Stärken nationaler Kooperationen mit uns gegenseitig und stellt frauenpolitische verschiedenen Ministerien, Behörden sowie Forderungen in den Mittelpunkt. Auch mit Polizei und anderen NGOs wurde seit 1998 anderen Vereinen und Initiativen pflegt mit dem Ziel verfolgt, die Situation der von LEFÖ – IBF engen Kontakt. LEFÖ – IBF betreuten Frauen und Mädchen zu verbessern. Das Auftreten Die LEFÖ – IBF hat bisher und wird immer die Rechte, Be- dürfnisse und Forderungen der Betroffenen des Frauenhandels ins Zentrum stellen. 1 Tätigkeitsbericht LEFÖ – IBF 1998 Definition des Begriffs „Opfer“ wird Mitgliedschaft von LEFÖ-IBF bei GAATW (Global erstmalig in die StPO eingefügt Alliance Against Traffic in Women) 2008
17 Internationale bekämpfen und Betroffenen den Zugang zu Opferschutz und Opferrechten zu vereinfa- Kooperation chen ist transnationales Handeln zentral. Auf internationaler Ebene sind folgende “The problem of human trafficking Netzwerke zu betonen, in denen LEFÖ – IBF has not shown any signs of di- langjährig mitwirkt: sappearing. And looking at the state of the world, it might Seit 2004 ist LEFÖ – IBF Mitglied von Global only get worse. The anti-traffi- Alliance Against Traffick in Women (GAATW), cking community has gotten big- das 1994 gegründet wurde und weltweit über ger perhaps not surprisingly 80 Organisationen umfasst. Ein umfassend- what we hear now is a cacophony es Prinzip der GAATW ist folgendes: “GAATW of voices, ideas and proposed supports the sharing of knowledge, working solutions: Quantify the prob- experiences and working methodologies lem, include the private sector amongst its members, in order to enhance and look for technological so- the effectiveness of collective anti-traffick- lutions, the ‘experts’ tell us. ing activities.”2 Diese und andere Ziele un- So loudly and so often that even terstützt LEFÖ – IBF von Beginn an und ist the strongest start to doubt seit 2015 als European Board Member tätig. their work. That is why I salute Seit 2005 ist LEFÖ – IBF Teil der La Strada In- LEFÖ’s quiet courage and steady ternational Anti-Trafficking NGO Plattform, determination. They continue to welche ein Netzwerk europäischer NGOs keep women and their work at the im Bereich Menschenhandel ist. LEFÖ – IBF centre. They do all they can so that rights violations are reme- ist seit Oktober 2017 im Vorstand. Auch im died by the state and non-sta- deutschsprachigen Raum findet seit der te actors. And most importantly, Gründung der Interventionsstelle ein enger they listen and consult the wo- Austausch mit NGOs aus der Schweiz und men who have been trafficked and Deutschland statt. Hier ist vor allem der take measures in consultation Koordinierungskreis gegen Frauenhandel with them. Stay strong and keep und Gewalt an Frauen (KOK) zu nennen, der up your excellent work, LEFÖ. We seit 2005 aktiv NGOs aus Deutschland, der at the International Secretariat Schweiz und Österreich zusammenbringt. of GAATW are immensely proud to have you as a member organizati- LEFÖ – IBF nahm 2017 – wie auch die Jahre on.“ zuvor – an der NGO Plattform gegen Men- Bandana Pattanaik MA MA, Internatio- schenhandel der Europäischen Kommission nal Coordinator GAATW-IS aktiv teil. Die internationale Vernetzung dient dem Erfahrungsaustausch und dem gemeinsa- men Handeln im Sinne der Durchsetzung der Rechte der Betroffenen im internationalen Recht. Um Menschenhandel erfolgreich zu GAATW: http://gaatw.org/about-us/basic-principles 2 Projekt COMP.ACT (Fortsetzungsprojekt, IBF Leiterin Evelyn Probst ist Teil der EU- seit Oktober 2017: „Justice at Last“) Expert*innengruppe gegen Menschenhandel 2008
18 Zahlen und sich deutlich positiv, da die Minderjährigen weiterhin in der 24- Stunden Betreuung blei- ben konnten und Frauen, nach dem ersten Interpre- Sicherheitstraining und einer Stabilisierung, in ein loseres betreutes Wohnen ziehen konn- ten. Dies verdeutlicht sich in den Zahlen, da tationen sich die Aufenthaltsdauer der Frauen in der 24-Stunden betreuten Wohnung insgesamt verkürzt hat. 55 % der betroffenen Frauen waren zwischen 19 und 35 Jahre alt, was an den Zahlen der letzten Jahre anknüpft. In den Schutzwohnungen wurden insgesamt sechs Kinder von betroffenen Frauen mitbetreut. Im Gegensatz zum letzten Jahr haben sich die Zuweisungen der Frauen und Mädchen verän- dert. Waren es in den letzten Jahren konstant 50 % Zuweisungen durch die Polizei, so ist 2017 diese Zahl gesunken. Dies ist darauf zurück- Im Jahr 2017 wurden 327 Frauen und Mädchen zuführen, dass der Erstkontakt durch nicht- beraten und betreut. Dies bedeutet im Ver- staatliche Organisationen um 53 % gestiegen gleich zu 2016 einen realen Anstieg von 13,5 ist. Hier wurde LEFÖ – IBF vor allem verstärkt Prozent. Von den 327 betreuten Frauen und von Organisationen kontaktiert, welche im Mädchen waren ca. 65 % Drittstaatsangehö- Bereich Flucht, Migration und Asyl arbeiten. rige. Im vergangenen Jahr ist demnach der Anteil von Drittstaatsangehörige gestiegen. „Keine Behörde oder Institution Der Anteil der betreuten EU-Bürgerinnen, be- kann Menschenhandel alleine be- zogen auf den Gesamtanstieg der betreuten kämpfen. Die langjährige Zusam- Frauen und Mädchen, ist von 61 % auf 35 % menarbeit mit LEFÖ – IBF zeigt, gesunken. Frauen aus dem Herkunftsland dass ein starker und qualitäts- Bulgarien haben sich in der Betreuung und voller Opferschutz einen zentra- Beratung von LEFÖ – IBF mehr als halbiert. len Stellenwert bei der Krimi- Waren Frauen aus Rumänien die letzten Jah- nalitätsbekämpfung innehat. Ein re die größte Gruppe der Betreuten, so ist gemeinsames Auftreten vermittelt diese 2017 nun die zweitgrößte Gruppe, wäh- Opfern, dass Menschenhandel in rend die Anzahl der Frauen aus Nigeria sich Österreich ernstgenommen wird ungefähr verdreifacht haben. Die Zahlen zu und sie nun in Sicherheit sind. der Art der Ausbeutung knüpfen an den letz- Nur durch diese Kooperation kön- ten Jahren an und sind bereits über eine län- nen Opfer dahingehend bestärkt gere Zeit gleichbleibend. 65 % aller betreuten werden, ihre Rechte einzufordern Frauen und Mädchen wurden in Bereichen und mit den Strafverfolgungsbe- der sexuellen Ausbeutung gehandelt. hörden zu kooperieren, in dem sie eine Aussage gegen die Men- 23 % der Betreuten in der 24-Stunden be- schenhändler machen.“ treuten Wohnung waren unter 18 Jahre alt, Chefinspektorin Eva Plank-Sandhofer, Bundeskriminalamt Joint Operational was ein Anstieg im Vergleich zu 2016 um Office zur Bekämpfung von Menschen- 18 % ist. Durch die Umstellung auf ein drei- handel und Schlepperei stufiges System des sicheren Wohnens zeigt Rechtsanspruch auf den Aufenthalt Einführung Projekt FROM (Freiwillige Rückkehr von Opfern für Opfer wird gesetzlich verankert des Menschenhandels) bis heute 2009
19 HERKUNFTSLAND 2017 (gesamt 327) Nigeria 97 andere EU 45 Rumänien 42 China 31 Ungarn 26 Philippinen 26 Europa 22 andere Asien 16 andere Afrika 15 Nord- und Südamerika 5 unbekannt 2 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 Abb. 1 30 14 13 9,5 8 8 7 5 5 1,5 0,6 % % % % % % % % % % % Nord- u. Südamerika Ungarn andere Asien Rumänien Europa unbekannt andere Afrika China Philippinen andere EU Nigeria Abb. 2 Projekt ENPATES (European NGOs Plat- Ausländerbeschäftigungsgesetz: Zugang form Against Trafficking, Exploitation zum Arbeitsmarkt für Betroffene des And Slaveries) Frauenhandels 2010 - 2012 2011
20 Alter 2017 (gesamt 327) Gesamtz. 327 bis 16 Jahre 17 bis 18 2 6 % bis 16 Jahre 8 19 bis 25 29 17 - 18 20 26 bis 35 26 19 - 25 96 36 bis 45 15 26 - 35 84 46 bis 55 4 36 - 45 50 56 bis 65 0,6 46 - 55 12 älter als 65 0,3 56 - 65 2 unbekannt 16,5 älter als 65 1 0 5 10 15 20 25 30 unbekannt 54 Abb. 3 Abb. 4 Art der Betreuung 2017 (gesamt 384) 300 270 293 240 210 2,3 180 150 21,4 Schubhaft % 120 Schutzwohnungen 90 Externe Klientinnen 60 82 76,3 30 9 0 Abb. 5 Abb. 6 Publikation „Entschädigung für EU nimmt die Richtlinie 2011/36/EU zur Verhütung Betroffene des Menschenhandels und Bekämpfung des Menschenhandels und zum in Österreich“ Schutz seiner Opfer an 2011
21 Art der Ausbeutung 2017 (gesamt 327) sexuelle andere Formen der andere Formen der Ausbeutung Haushalt Ausbeutung Arbeitsausbeutung Ehe 65 % 16 % 8% 5,5 % 5% Abb. 7 andere Formen sexuelle andere Formen Haushalt der Arbeitsaus- Ehe Ausbeutung der Ausbeutung beutung Gesamtz. 327 214 53 27 18 15 Abb. 8 Aufenthaltskategorie 2017 (gesamt 327) Drittstaatenange- Asylwerberin EU Bürgerin sonstiges unbekannt Österreicherin hörige ohne Asyl 35 % 32 % 21 % 5% 5% 2% Abb. 9 Drittstaatenan- Asylwerberin EU Bürgerin gehörige ohne sonstiges unbekannt Österreicherin Asyl Gesamtz. 327 114 104 70 15 17 7 Abb. 10 Publikation „Qualitätsstandards einer Gefahrenanalyse EU-Strategie zur Beseitigung des Menschen- und sicheren Rückkehr und Reintegration von Betroffe- handels (Umsetzung 2012-2016) nen des Menschenhandels“ 2011
22 Kontaktaufnahme 2017 (gesamt 327) 140 1 120 8 Familie 128 100 9 FreundInnen/ Bekannte 80 107 % staatliche 11 Institutionen 39 60 Frau selbst 40 nicht staatliche 33 Organisationen 36 20 28 27 Polizei 1 0 Abb. 11 Abb. 12 Kontaktaufnahme Schutzwohnung 1 2017 (gesamt 48) 40 2 2 35 Frau selbst 30 10 31 FreundInnen/ Bekannte 25 % staatliche Organisationen 20 21 65 nicht staatliche 15 Organisationen Polizei 10 10 5 5 1 1 0 Abb. 13 Abb. 14 Projekt Qualifizierung am Projekt FINETUNES und Arbeitskreis Arbeitsmarkt „Undokumentierte Arbeit“ 2012 - 2013 2012 - 2015
23 Fallbeispiele3 nationalem Recht ausgebeutet wird. Nach ei- nem Beratungsgespräch bei LEFÖ – IBF, direkt MARY im Anschluss an die Veranstaltung, entschied sich Mary, nicht mehr zu ihrer Arbeitsgebe- Mary, eine philippinische Staatsangehörige, rin zurückzukehren. Nachdem LEFÖ – IBF die begann im Juni 2013 ihre Tätigkeit als Haus- dafür zuständige Kontaktperson im BMEIA angestellte in einem diplomatischen Privat- deren Flucht aus dem Haushalt informiert, haushalt in Wien. Bereits vor ihrer Ankunft wendet sich das BMEIA an die ArbeitgeberIn- in Österreich erhielt Mary per Mail einen Ar- nen der Hausangestellten. beitsvertrag, welcher ihr ein Gehalt von rund 1200€, einen 9-Stunden-Arbeitstag sowie ei- Aufgrund der hervorragenden Zusammenar- nen freien Tag pro Woche garantierte. beit des BMEIAs mit LEFÖ – IBF gibt es ein standardisiertes Vorgehen in diesen Situatio- Als Mary in Österreich ankam wurde ihr mit- nen. Anschließend an das Gespräch des BMEI- geteilt, dass sie lediglich 500€ in bar bekom- As mit den ArbeitgeberInnen, welche in Ös- men würde, da vom restlichen Betrag die terreich diplomatische Immunität genießen, Kosten für Versicherung und öffentlichem entscheiden sich manche DiplomatInnen da- Verkehr sowie Steuern bezahlt werden wür- für, ihren ehemaligen Hausangestellten eine den. Des Weiteren wurde Mary informiert, Entschädigung zu bezahlen. Die Höhe der dass sie sich zusätzlich um das siebenjährige Entschädigung entspricht außerdem nicht Kind der Arbeitgeberin zu kümmern habe. dem tatsächlich entgangenen Lohn. Der Reisepass wurde ihr von der Arbeitgebe- rin abgenommen. Mary, welche ihr Kind in Wegen des psychischen Drucks durch die den Philippinen zurücklassen musste, baute Arbeitgeberin fiel es Mary sehr schwer, eine eine intensive emotionale Beziehung zu der Anzeige zu erstatten und die Verpflichtung, kleinen Tochter der Arbeitgeberin auf. Mary keinen Kontakt zur Tochter aufzunehmen, war gezwungen, 7 Tage die Woche 16 Stun- zu unterzeichnen. Die Arbeitgeberin schickte den zu arbeiten, ohne geregelten Pausen. Zu- ihr beispielsweise Fotos vom weinenden Kind sätzlich musste die Arbeitgeberin monatlich und schrieb vorwurfsvolle Nachrichten, dass an die Auszahlung des Lohns gebeten wer- Mary herzlos und eine schlechte Mutter sei, den, was für Mary zusätzlich belastend war. da sie nicht nur die Tochter der Arbeitgeberin, Das Bundesministerium für Europa, inter- sondern bereits ihr eigenes Kind in den Philip- nationale Angelegenheiten und Integration pinen zurückgelassen habe. Mary erstattete (BMEIA) veranstaltet einmal jährlich eine dennoch eine Anzeige gegen ihre frühere Ar- Veranstaltung in den Räumlichkeiten des Mi- beitgeberin, während in psychosozialen Bera- nisteriums zu dem sämtliche in Österreich in tungen das Trauma bearbeitet wurde. Doch Diplomatenhaushalten arbeitende Hausan- die Staatsanwaltschaft brach das Verfahren gestellte eingeladen werden, um diese über aufgrund der diplomatischen Immunität der ihre Rechte und Pflichte zu informieren. Bei Beschuldigten ab. Für Mary bedeutet dies, dieser Veranstaltung sind u.a. auch Mitarbei- dass sie keinerlei rechtliche Handhabe gegen terinnen von LEFÖ – IBF anwesend, um die ihre frühere Arbeitgeberin hat, solange diese Organisation vorzustellen und Unterstüt- Immunität in Österreich genießt. zungsmöglichkeiten für Betroffene von Men- schenhandel zu präsentieren. Mary nahm an Im Fall von Mary lagen zwischen der Flucht einer dieser Veranstaltung teil und begriff aus dem Haushalt und der Auszahlung einer erstmalig, dass sie nach internationalem und Entschädigung drei Jahre. Trotz des zu gerin- 3 Die hier angeführten Fallbeispiele zeigen verschiedene Aspekte in der Betreuung von Betroffenen des Frauenhandels. Allen gemein haben die Biographien dieser Frauen, dass sie Opfer von Betrug, Gewalt, Ausbeutung und Frauenhandel waren. Alle Namen wurden geändert. Sonderbestimmung für Opfer von Gründung „MEN VIA“, das Männergesundheitszentrum Menschenhandel (z.B. Recht auf Wien, zur Unterstützung für männliche Betroffene des Entschädigung) Menschenhandels. 2013
24 gen Umfangs der Entschädigung und der lan- Bundeskriminalamt insbesondere auch eine gen Wartezeit, welche weitere Unsicherheiten intensive Zusammenarbeit mit der Kinder- für die Betroffenen bedeutet, ist die Auszah- und Jugendhilfe (MA11) geboten. Ana zog in lung von Entschädigung essentiell. Die Be- die Schutzwohnung 1 ein, die von LEFÖ – IBF troffenen erhalten durch Entschädigungen zur Verfügung gestellt wird. Diese Unterbrin- Zugang zur Anerkennung der erlebten Men- gung ermöglicht eine 24-Stunden-Betreuung schenrechtsverletzung. Entschädigungen für Betroffene. Der Beratungsprozess erwies sind jedoch nicht nur aus Opferperspektive sich jedoch anfangs als sehr schwierig. Nach von größter Bedeutung. Durch die Zahlung mehrmaligen Regelverstößen in der Schutz- einer Entschädigung wird deutlich, dass die wohnung zog Ana in eine andere Wohnung, Ausbeutung von Hausangestellten nicht nur welche vom Jugendamt betreut wurde. Erst kriminell ist, sondern auch finanzielle Konse- nach ca. drei Monaten entwickelte sich ein quenzen hat. Dadurch wird Bewusstsein ge- stabiles Vertrauensverhältnis zu ihrer Bera- schaffen und präventiv gegen Ausbeutung terin bei LEFÖ – IBF. Auch der Auszug aus im Haushalt vorgegangen. der Schutzwohnung ermöglichte es, den Schwerpunkt des Betreuungsverhältnisses ANA auf die psychosoziale Beratung zu legen. Ana erschien pünktlich zu ihren Terminen, öffne- Ana ist in Rumänien geboren, wo sie auf- te sich LEFÖ – IBF und nach einer intensiven grund von dysfunktionalen Familienverhält- Krisenintervention konnten weitere Schritte nissen in verschiedenen Jugendheimen auf- in die Selbstständigkeit bearbeitet werden. wuchs. Bereits mit 15 Jahren wurde sie von Ana ist nun volljährig, wohnt in ihrer eigenen ihrem damaligen Freund, der eine kriminelle Wohnung und holt den Hauptschulabschluss Vergangenheit hatte, gezwungen sich zu pro- nach. stituieren. Er war ihre einzige Bezugsperson und es entwickelte sich ein starkes Abhän- Die beiden Täter wurden gemäß §104a StGB gigkeitsverhältnis. Während Anas Freund im (Menschenhandel) und §217 StGB (grenzüber- Gefängnis war, wurde sie im März 2016 von schreitender Prostitutionshandel) jeweils zu einem Bekannten ihres Freundes via Face- drei Jahren Haft verurteilt, der eine Ange- book kontaktiert. Dieser schlug Ana vor mit klagte unbedingt und der andere bedingt. ihm zu dessen Bruder nach Wien zu fahren, Weiters wurden Ana 4.000 € Schadenersatz um das Jugendheim in Ungarn zu verlassen zugesprochen. und in Österreich eine gute Arbeit finden zu können. In Wien warte bereits sein Bruder Die Geschichte von Ana zeigt, dass die psy- auf sie, der ihr eine Arbeit vermitteln kön- chosoziale Betreuung und Stabilisierung ne. Ihr Freund sowie seine Bekannten übten von Betroffenen von Frauenhandel ein sehr starken emotionalen Druck auf sie aus und individueller Prozess ist, der Zeit und Ge- nutzten ihre Verletzbarkeit aus. In Wien an- duld braucht. Vertrauen ist dabei die Basis, gekommen, wurde sie mit physischer und um gemeinsam eine erfolgreiche Beratung psychischer Gewalt erneut in die Prostitution und Stabilisierung erreichen zu können. Jede gezwungen. Die Täter bedrohten Ana, die ei- Frau hat andere Bedürfnisse, Stärken und Zie- ner ständigen Kontrolle unterstand. Das ge- le und es gibt unterschiedliche Formen mit samte Geld, das sie verdiente, wurde ihr so- dem Erlebten umzugehen. Deshalb steht ins- fort abgenommen. Zu diesem Zeitpunkt war besondere das Empowerment der Frauen im sie 16 Jahre alt. Nach einer Polizeikontrolle Vordergrund. Gemeinsam werden Strategien wurde Ana vom Bundeskriminalamt an LEFÖ erarbeitet, um das Erlebte zu verarbeiten, – IBF weitervermittelt. Bei minderjährigen sich auf das Strafverfahren vorzubereiten so- Betroffenen sind spezielle Schutzmaßnah- wie die eigenen Wünsche und Zukunftspläne men und neben der Kooperation mit dem umsetzen zu können. Projekt Towards Greater Accountability: Projekt LUCIA (Hilfe für die Betroffenen von Menschen- Participatory Monitoring of Anti-Trafficking handel und Kapazitätserweiterung in der Grenzregion Initiatives Ungarn-Österreich) 2013 - 2014
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