Legionellen in der Trinkwasserinstallation - Verfasser: Wilfried Ebster
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Vorwort 3 Trinkwasser ist eines der wichtigsten Lebensmittel für den Menschen Jeder, der mit der Gewinnung, Verteilung oder Verwen- gesucht. Sie haben sich seit 7 Jahren eingehend mit den dung dieses Gutes befasst ist, hat deshalb strenge Gesetze, auf dem Markt befindlichen Herstellersystemen aus- Verordnungen und Regelwerke zu beachten, um Schaden einandergesetzt und die bei der GEWOFAG entwickelte an Leib und Leben zu verhindern. Problemlösung in Versuchsanlagen erprobt. Tatsache ist, dass sich unter bestimmten Vorausset- Das Entwicklungsziel war von Anfang an darauf ge- zungen in Trinkwasserinstallationen Legionellen an- richtet, die Schutzmaßnahmen nicht nur auf Neuanlagen siedeln und vermehren können. In der Literatur wird zu beschränken. Auch in bestehenden Anlagen sollte die berichtet, dass in Deutschland jährlich etwa 6.000 bis GEWOFAG-Legionellenschaltung problemlos und ohne 10.000 Menschen an einer Legionellen-Pneumonie er- großen Aufwand nachgerüstet werden können. kranken, wobei über 1.000 Todesfälle zu verzeichnen Die vorliegende Druckschrift bietet einen umfassen- sind [20]. den Überblick über die Problematik der Legionellen in Hotels, Krankenhäuser, Altenheime, aber auch die der Trinkwasserinstallation und über die Funktions- und Wohnungswirtschaft sehen sich mehr und mehr mit Wirkungsweise der GEWOFAG-Legionellenschaltung, der Problematik der Legionellen in Rohrleitungen kon- für die als kostengünstige, fast wartungsfreie Anlage frontiert, denn an den Entnahmestellen muss Wasser zwischenzeitlich für die Bundesrepublik Deutschland jederzeit in hygienisch einwandfreiem Zustand zur Ver- und die USA Patente erteilt wurden. fügung stehen. Von der Industrie werden derzeit Apparate zur Ver- minderung des Legionellenwachstums angeboten, deren Beschaffung für die Wohnungsgesellschaften und -genossenschaften sehr kostenaufwendig wäre. Dipl.-Ing. Otmar Petz, Mitarbeiter der GEWOFAG – unter der Federführung Technischer Vorstand GEWOFAG von Herrn Ebster – haben deshalb nach einer kosten- günstigen und wirkungsvollen Lösung des Problems München, November 2004
4 Inhalt 1 Gesetzliche Grundlagen 6 3 Möglichkeiten zur Verminderung bzw. Vermeidung einer 1.1 Gesetz zur Verhütung und Bekämp- Kontamination mit Legionellen 18 fung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz – 3.1 Desinfektion 18 IfSG 2000) (Auszug) 6 3.1.1 Chlorung 18 1.2 Verordnung über die Qualität von Wasser für den menschlichen 3.1.2 Physikalische Verfahren 19 Gebrauch (Trinkwasserverordnung – TrinkwV 2001) (Auszug) 6 3.1.3 Temperaturverhalten von Legionellen 19 2 Grundlegendes über Legionellen 10 3.1.4 Permanenttemperatur oder Haltetemperatur 19 2.1 Historie 10 3.1.5 Thermische Desinfektion 20 2.2 Was sind Legionellen? 11 2.2.1 Beschreibung von Biofilmen in 4 Regelwerke 22 Wasserversorgungsanlagen 11 4.1 VDI 6023 „Hygienebewusste Planung, 2.2.2 Züchtung von Legionellen 14 Ausführung, Betrieb und Instand- haltung von Trinkwasseranlagen“ 2.2.3 Besondere Fähigkeiten von Legionellen 14 (Auszug) 22 2.2.4 Legionellen in technischen Systemen 15 4.2 DVGW-Arbeitsblatt W 551 „Trinkwasser- erwärmungs- und Leitungsanlagen; 2.2.5 Intrazelluläre Vermehrung von Technische Maßnahmen zur Verminde- Legionellen in Protozoen (Amöben) rung des Legionellenwachstums“ und Makrophagen (Fresszellen des (Auszug) 23 menschlichen Abwehrsystems) 15 4.3 DVGW-Arbeitsblatt W 553 „Bemessung 2.2.6 Infektion des Menschen mit von Zirkulationssystemen in zentralen Legionellen und die Risikofaktoren 16 Trinkwassererwärmungsanlagen“ (Auszug) 25 2.2.7 Behandlung an Legionellose erkrankter Menschen 17 4.3.1 Hydraulischer Abgleich 26
Inhalt 5 5 GEWOFAG-Legionellenschaltung 28 7.4.1.1 Kleiner Kreislauf; Desinfektion des Trinkwassererwärmers mit 65°C mit 5.1 Aufbau 30 jederzeitiger Entnahmemöglichkeit durch Nutzer 43 5.2 Funktionsprinzip 30 7.4.1.2 Großer Anlagenkreislauf; 5.3 Beispiel einer ausgeführten Anlage 32 Trinkwarmwasser-Normalbetrieb 43 7.4.2 Technische Maßnahmen 44 6 Patentschriften 34 7.4.2.1 Zentrale thermische Mischventile 44 7 Maßnahmen für 7.4.2.2 Dezentrale thermische Mischbatterien 44 den gefahrlosen Betrieb 36 7.4.2.3 Einhebelmischbatterien mit 7.1 Unbenutzte Rohrleitungsabschnitte / mechanischer Begrenzung 44 Stagnation 36 7.2 Korrosionsrisiko der Rohrleitungen 37 8 Verzeichnisse und Impressum 46 7.2.1 DIN 50930-3 „Korrosion metallischer 8.1 Literaturverzeichnis 46 Werkstoffe im Innern von Rohr- leitungen, Behältern und Apparaten 8.2 Weitere Literaturhinweise 47 bei Korrosionsbelastung durch Wässer; Beurteilung der Korrosionswahr- 8.3 Abbildungsverzeichnis 48 scheinlichkeit feuerverzinkter Eisen- werkstoffe“ (Auszug) 37 8.4 Tabellenverzeichnis 50 7.2.1.1 Korrosionserscheinungen 37 8.5 Impressum 50 7.2.1.2 Einfluss von Konstruktion, Verarbeitung und Betriebsbedingungen 40 7.3 Ungenügende Wärmedämmung 41 7.4 Verbrühungsschutz 43 7.4.1 Organisatorische Maßnahmen 43
6 Gesetzliche Grundlagen 1 Gesetzliche Grundlagen 1.1 Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung Unter Trinkwasser im Sinne der Trinkwasserverordnung von Infektionskrankheiten beim Menschen versteht man Wasser, das zum Kochen, zur Zubereitung (Infektionsschutzgesetz – IfSG 2000, Auszug) von Speisen und Getränken, zur Körperpflege und -reini- gung, zur Reinigung von Gegenständen, die bestim- Das Infektionsschutzgesetz [41], das am 01.01.2001 in mungsgemäß mit Lebensmitteln in Berührung kommen Kraft trat, soll die Infektion von Menschen mit Krank- und zur Reinigung von Gegenständen, die bestimmungs- heitserregern verhindern (IfSG § 1 (1)). Zu den melde- gemäß nicht nur vorübergehend mit dem menschlichen pflichtigen Krankheitserregern zählen beispielsweise Körper in Kontakt kommen, verwendet wird. die Erreger von Cholera, Milzbrand, Typhus, Pest, Wasserversorgungsanlagen sind alle Anlagen, ein- Ebola, Gelbfieber und neuerdings auch Legionellen schließlich des Leitungsnetzes und Wassererwärmers, (IfSG §§ 6, 7). die Trinkwasser von der Trinkwasserquelle bis hin zur Bei Maßnahmen zur Verhütung übertragbarer Krank- Entnahmestelle des Verbrauchers transportieren. Die heiten können auch Grundrechte, wie beispielsweise das Anlagen können dabei unterteilt werden in: Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 Abs. 1 GG), oder das Recht der Freiheit einer Person ■ Wasserversorgungsanlagen im Verantwortungsbereich (Artikel 2 Abs. 2 Satz 2 GG), z.B. durch Quarantäne, des Wasserversorgungsunternehmens (WVU). Sie eingeschränkt werden (u.a. IfSG §§ 16 und 30). erstrecken sich von der Trinkwasserquelle über Die Anforderungen, die an Wasser für den mensch- etwaige Aufbereitungsanlagen bis hin zum Haupt- lichen Gebrauch zu stellen sind, regelt u.a. § 37 IfSG: wasserzähler in einem Gebäude. „Wasser für den menschlichen Gebrauch muss so beschaf- ■ Wasserversorgungsanlagen innerhalb eines Gebäu- fen sein, dass durch seinen Genuss oder Gebrauch eine des, im Verantwortungsbereich des Hauseigentümers. Schädigung der menschlichen Gesundheit, insbesondere Sie erstrecken sich vom Hauptwasserzähler bis zu durch Krankheitserreger, nicht zu besorgen ist.“ einem Wohnungswasserzähler bei Mehrfamilien- Mit § 38 Abs. 1 IfSG wird auf die Trinkwasserver- häusern bzw. bis zur Entnahmestelle bei selbstge- ordnung – TrinkwV – verwiesen, die die dazu nötigen nutzten Einfamilienhäusern. Bei Wohnungsleerstand Anforderungen an das Trinkwasser regelt. in Mehrfamilienhäusern erweitert sich der Verant- Zuwiderhandlungen gegen das Infektionsschutz- wortungsbereich des Hauseigentümers bis zu den gesetz können mit einer Geldbuße bis zu 25.000 € bei Entnahmestellen in leerstehenden Wohnungen. Ordnungswidrigkeiten (vorsätzlicher oder fahrlässiger ■ Wasserversorgungsanlagen innerhalb einer Wohnung Verstoß gegen das IfSG) oder mit einer Gefängnisstrafe in einem Mehrfamilienhaus im Verantwortungs- bis zu 5 Jahren bei Straftaten (vorsätzlicher Verstoß bereich des Wohnungsnutzers. Sie erstrecken sich gegen das IfSG mit Verbreitung von im IfSG genannten vom Wohnungswasserzähler bis zur Entnahmestelle. Krankheitserregern) geahndet werden. Der Nutzer ist im eigenen Gesundheitsinteresse ver- pflichtet, bei Betriebsunterbrechungen aufgrund längerer Abwesenheit (> 3 Tage) Vorsorgemaßnah- 1.2 Verordnung über die Qualität von Wasser men zur Vermeidung eines gesundheitsgefährden- für den menschlichen Gebrauch den Legionellenwachstums zu treffen ([40] bzw. (Trinkwasserverordnung – TrinkwV 2001, Auszug) Kapitel 7.1). Die neue Trinkwasserverordnung [42] trat am 01.01.2003 Das gesundheitsbewusste Verhalten des Wohnungsnut- in Kraft und soll die menschliche Gesundheit vor den zers setzt voraus, dass ihm eine verpflichtende Anleitung nachteiligen Einflüssen, die sich aus der Verunreini- zum Betrieb der Wohnungstrinkwasseranlage ausgehän- gung von Trinkwasser ergeben, durch Gewährleistung digt wird. seiner Genusstauglichkeit und Reinheit ... schützen Dass Trinkwasser frei von Krankheitserregern, genuss- (TrinkwV § 1). tauglich und rein ist, gilt als erfüllt, wenn bei der Wasser- Sie erfasst erstmals auch die Wasserversorgungsanlagen gewinnung, der Wasseraufbereitung und der Verteilung innerhalb des Gebäudes bis zur letzten Entnahmestelle. die allgemein anerkannten Regeln der Technik eingehalten
8 Gesetzliche Grundlagen werden und das Wasser den Anforderungen der §§ 5 wenn die anerkannten Regeln der Technik eingehalten bis 7 TrinkwV entspricht (§ 4 (1) TrinkwV). werden. Dazu dürfen Krankheitserreger im Sinne des § 2 (1) Trinkwasseranlagen dürfen nicht mit Nichttrink- Infektionsschutzgesetz nicht in Konzentrationen ent- wasseranlagen verbunden werden. Die Leitungen unter- halten sein, die eine Schädigung der menschlichen Ge- schiedlicher Versorgungssysteme müssen beim Einbau sundheit besorgen lassen sowie die in den Anlagen zur dauerhaft unterschiedlich farblich gekennzeichnet wer- TrinkwV festgelegten Grenzwerte nicht überschreiten den. Entnahmestellen von Nichttrinkwasser müssen (§§ 5, 6 und 7 TrinkwV). ebenfalls dauerhaft als solche gekennzeichnet werden Die festgesetzten Grenzwerte müssen an den Stellen (§ 17 TrinkwV). eingehalten werden, die der Entnahme von Trinkwasser Für die Überwachung von Anlagen, aus denen dienen, beispielsweise an den Entnahmestellen (Aus- Wasser bereitgestellt wird, das für die Öffentlichkeit laufarmaturen) im häuslichen Bereich. bestimmt ist, ist das Gesundheitsamt zuständig (§ 18 Werden die Grenzwerte nicht eingehalten, müssen (1) TrinkwV). die kontaminierten Anlagen unverzüglich saniert wer- Die Beauftragten des Gesundheitsamtes sind befugt, den. Das Gesundheitsamt kann zudem anordnen, dass zur Verhütung drohender Gefahren Grundstücke, Räu- die betreffenden Anlagen stillgelegt werden, wenn eine me und Einrichtungen auch außerhalb der üblichen Gefährdung der menschlichen Gesundheit zu befürch- Betriebs- oder Geschäftszeiten zu betreten, auch wenn ten ist (§ 9 TrinkwV). sie zugleich Wohnzwecken dienen. Das Grundrecht der Zur Aufbereitung des Trinkwassers dürfen nur Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 (1) GG) vom Bundesministerium für Gesundheit zugelassene wird insoweit eingeschränkt. Stoffe und Verfahren angewandt werden (§ 11 (1) Zu den zur Verfügung stehenden Unterlagen gehö- TrinkwV). ren neben Untersuchungsprotokollen auch die dem Wenn aus einer Wasserversorgungsanlage Wasser neuesten Stand entsprechenden technischen Pläne der für die Öffentlichkeit abgegeben wird, beispielsweise in Wasserversorgungsanlage (§ 18 (2) TrinkwV). Schulen, Kindergärten, Krankenhäusern, Gaststätten, Die Eigentümer und Betreiber einer Wasserver- Hotels, Mehrfamilienhäusern oder sonstigen Gemein- sorgungsanlage (auch die Mieter!) sind verpflichtet, schaftseinrichtungen, müssen die Errichtung, die In- die die Überwachung durchführenden Personen bei betriebnahme, bauliche Veränderungen, Stilllegungen der Erfüllung ihrer Aufgabe zu unterstützen (§ 18 (3) und Wiederinbetriebnahmen dem Gesundheitsamt TrinkwV). gemeldet werden (§ 13 TrinkwV). Zuwiderhandlungen werden nach den §§ 73 bis 75 Anlagen, die zur Entnahme oder Abgabe von Nicht- des Infektionsschutzgesetzes geahndet, Ordnungswid- trinkwasser bestimmt sind und die im Haushalt zusätz- rigkeiten mit bis zu 25.000 € Bußgeld und Straftaten lich zu Trinkwasseranlagen installiert werden, wie bei- mit bis zu 5 Jahren Gefängnis. spielsweise Regenwasseranlagen, müssen der zuständigen Eine Straftat begeht, wer vorsätzlich oder fahrlässig Behörde bei Inbetriebnahme gemeldet werden. Soweit Nichttrinkwasser als Trinkwasser für die Öffentlichkeit solche Anlagen bereits betrieben werden, ist die Anzeige zur Verfügung stellt oder abgibt (§ 24 (1) TrinkwV). unverzüglich vorzunehmen (§ 13 (3) TrinkwV). Ordnungswidrig handelt (§ 25 TrinkwV), wer vor- Betreiber von Hausinstallationen haben das Wasser sätzlich oder fahrlässig u.a. auf Anordnung der zuständigen Behörde oder bei Kenntnis über mögliche Verunreinigungen des Trink- ■ einer vollziehbaren Anordnung zuwiderhandelt. wassers zu untersuchen oder untersuchen zu lassen ■ eine Anzeige nicht, nicht richtig, nicht vollständig und das Gesundheitsamt über diese Maßnahmen zu oder nicht rechtzeitig erstattet. informieren. Die Zugabe von etwaigen Aufbereitungs- ■ eine Untersuchung oder Sofortmaßnahme nicht, stoffen und deren Menge muss den betreffenden Ver- nicht richtig, nicht vollständig, nicht rechtzeitig oder brauchern (z.B. Mietern) unverzüglich durch Aushang nicht in der vorgeschriebenen Weise durchführt oder oder sonstige schriftliche Mitteilung bekannt gegeben durchführen lässt. werden (§§ 14 und 16 TrinkwV). ■ einen Aufbereitungsstoff oder dessen Menge im Für den Bau von Trinkwasseranlagen verwendete Wasser nicht, nicht richtig, nicht vollständig, nicht Materialien (Rohrleitungen, Apparate etc.) dürfen keine in der vorgeschriebenen Weise oder nicht rechtzei- Stoffe in Konzentrationen abgeben, die die Eigenschaf- tig bekannt gibt. ten des Wassers als Trinkwasser beispielsweise durch ■ die Beauftragten des Gesundheitsamtes nicht unter- Überschreiten von Grenzwerten oder durch Beeinträch- stützt oder eine Auskunft nicht, nicht richtig, nicht tigung des Geschmacks aufheben. Dies gilt als erfüllt, vollständig oder nicht rechtzeitig erteilt.
10 Grundlegendes über Legionellen 2 Grundlegendes über Legionellen 2.1 Historie liegender Krankenhäuser, an den folgenden Tagen wur- den noch weitere 72 Erkrankungen gezählt. Alle hatten Während der Zeit vom 21. bis zum 24. Juli 1976 kamen sich im Bellevue-Stratford oder in der unmittelbaren etwa 4.400 Veteranen der „American Legion“ zu ihrem Umgebung aufgehalten. Von diesen insgesamt 221 an alljährlichen Treffen im Bellevue-Stratford-Hotel an der Legionellose Erkrankten starben 34 trotz intensiver Pflege Broad-Street in Philadelphia, Pennsylvania, USA, zusam- und Behandlung mit Antibiotika. men, um Kontakte und Freundschaften zu pflegen. In der folgenden Zeit wurde intensiv und mit immen- Doch bereits nach wenigen Tagen erkrankten einige sen finanziellen Mitteln der amerikanischen Regierung von ihnen mit Fieber und Husten und zeigten anschlie- nach der Ursache dieser mysteriösen Krankheit geforscht. ßend Symptome einer schweren Lungenentzündung Schließlich fand der Epidemiologe Joseph Mc’Dade in unbekannter Ursache. Bereits 10 Tage später lagen 149 Abstrichpräparaten vom Lungengewebe Verstorbener der Kongressteilnehmer auf den Intensivstationen um- Bakterien, die sich in den folgenden Untersuchungen Tabelle 1 | Mikroorganismen Azellulär Prokaryonten Eukaryoten Viren Bakterien Pilze Protozoen ■ Keine lebenden Zellen, ■ Vollständige Zellen ■ Vollständige Zellen Diese früher zu den „ein- lediglich „Bauplan“ ■ Eigener Stoffwechsel ■ Eigener Stoffwechsel zelligen Tieren“ (daher (DNA, RNA) ■ Selbständige Vermehrung (durch Teilung) ■ Selbständige auch der Name) gestellten ■ Dadurch kein Stoff- ■ Genetische Information (DNA) nicht in Vermehrung Organismen werden wechsel typischem, abgeteilten Zellkern, deshalb ■ Genetische Information heute den Mikroorganis- ■ Dadurch keine selb- als „Prokaryonten“ bezeichnet. (DNA) in typischem, men zugeordnet. ständige Vermehrung ■ Bakterien können gelöste organische von biologischer ■ Eigener Stoffwechsel möglich Substanzen in (Bakterien-) Biomasse Doppelmembran ■ Eigene Vermehrung ■ Nur „Hülle“ mit transformieren. abgeteiltem Zellkern ■ Zellkern mit DNA „Kontakt“-Molekülen ■ Bakterien sind in unserer Umwelt für den (= „Eukaryot“) ■ Ernähren sich über- ■ Brauchen lebende Abbau organischer Substanzen bis zu ■ Als Einzelzellen (Hefe- wiegend durch Auf- Zellen zur Vermehrung den mineralischen Grundstoffen (Salzen) pilze, eventuell Pseudo- nahme und Verdauen unerlässlich. myzel) oder als aus von Bakterien ■ Bakterien sind für den Menschen lebens- Fäden (Hyphen, aus ■ Verbreitung im Umfeld wichtig. einzelnen Zellen zu- des Menschen ■ Ein ungeheuer kleiner Teil aller Bakterien sammengesetzt, oder ■ Vereinzelt pathogene kann dem Menschen Schaden zufügen schlauchförmige Arten (pathogen sein). Riesenzellen ohne Ab- ■ Nur ein sehr kleiner Anteil von den in unse- teilungen) zusammen- rer Umwelt vorhandenen Bakterien kann gesetztes Pilzgeflecht auf nährstoffreichen Nährmedien im mikro- (Myzel) der sogenann- biologischen Labor gezüchtet werden. ten „Fadenpilze“. Desinfektion Unter „Desinfektion“ versteht man das gezielte Abtöten von krankmachenden (pathogenen) Mikroorganismen. „Desinfektion“ ist ein Begriff, der nur für Mikroorganismen gilt. „Desinfektion“ ist kein absoluter Vorgang, apathogene (harmlose) Mikro- organismen (z.B.: Sporenbildende Bakterien aus der Erde) können diese Maßnahme eventuell überdauern. „Desinfektions- mittel“ sind Stoffe mit denen eine Desinfektion erreicht werden kann. Mit physikalischen oder chemischen Verfahren wird eine „Desinfektion“ erreicht wenn: ■ Die Mindestkonzentration an allen Stellen, an denen desinfiziert werden soll, erreicht wird. ■ Die Mindesteinwirkzeit an eben diesen Stellen eingehalten wird. Die „Zugabe“ eines „Desinfektionsmittels“ ist noch keine „Desinfektion“!
Grundlegendes über Legionellen 11 tatsächlich als die Erreger dieser Erkrankung heraus- stellten. [1] Im Gedenken an die verstorbenen „Legionäre“ der „American Legion“ wurde das wegen des Hervorrufens einer schweren Lungenentzündung sogenannte „lungen- liebende“ Bakterium als „Legionella pneumophila“ wis- senschaftlich registriert (gehört damit zur Familie der „Legionellaceae“, einziges Genus „Legionella“, insgesamt 49 verschiedene Spezies mit > 60 Serogruppen). [2] Nach Bekanntwerden dieser neuentdeckten Bakterien- art wurden nochmals einige andere, bisher ungeklärte Fälle neu bearbeitet. Dabei ließ sich gesichert feststellen, dass bereits im Jahre 1957 in Austin, Minnesota, USA, 78 Menschen an der „Legionärskrankheit“ erkrankten, wovon 2 starben. Weiterhin wurden noch 81 Fälle aus 1965 in Washington D.C. und 10 Fälle aus 1973 in Beni- dorm, Spanien, als von Legionellen ausgelöste Lungen- entzündungen bestätigt. [3] Abb. 2 | Typische Erscheinungsform von Legionella pneumo- Weitere 20 Erkrankungen, die bereits 1974 im Belle- phila (SG1) nach 3 Tagen Wachstum auf Legionellen-Nährboden vue-Stratford-Hotel, Philadelphia, auftraten, wurden (G.V.P.C.) Markierung mit FITC, Fluoreszenzmikroskop, 860x. © Tiefenbrunner ebenfalls auf Legionellen zurückgeführt. Somit waren dort bereits zwei Jahre früher legionellenbedingte Er- krankungen ausgebrochen. stoffbedarf durch die Aufnahme energiereicher organi- Das Bellevue-Stratford-Hotel wurde seit Auftreten scher Substrate decken. Diese Aufnahme in die Bakte- der Legionellen-Epidemie von Kunden gemieden und rienzelle erfolgt ausschließlich durch aktives Durch- zwischenzeitlich abgerissen. [4] schleusen von kleinen Stücken dieser zumeist großen Der bisher größte Ausbruch von Legionellose mit 240 organischen Moleküle durch die Zellmembrane. Die Erkrankten fand 1999 in den Niederlanden („Blumen- dazu notwendige Zerkleinerung großer Nährstoffmole- schau-Epidemie“) statt, die mit 24% höchste Letalität küle (Zucker, Fette, Proteine) erfolgt außerhalb des (Verstorbene zu Anzahl Erkrankter) trat 1985 bei einer Organismus durch spezielle, von dieser Zelle produzierte Epidemie im Krankenhaus von Stafford (UK) auf. [5] [9] und nach außen abgegebene Wirkstoffe (vergleichbar „chemischen Scheren“). Dies ist auf nährstoffreichen Nährmedien im Labor auch für einzelne Bakterien kein 2.2 Was sind Legionellen? Problem, im extrem nährstoffarmen Milieu des Trink- wassers (Wasser für den menschlichen Gebrauch) bei- Legionellen sind Bakterien. Bakterien werden gemein- spielsweise müssten jedoch von einer einzelnen Zelle sam mit den drei weiteren großen Gruppen (Viren, Pilze, viel zu viele dieser Wirkstoffe abgegeben werden, um Protozoen) zu den „Mikroorganismen“ zusammenge- ein Nährstoffmolekül zu erreichen. Einzelne frei lebende fasst. Im Lichtmikroskop stellen sich Legionellen als (planktonische) Bakterienzellen von Bakterienarten, die sporenlose stäbchenförmige Zellen dar (Spore: Dauer- wir im Labor auf Nährmedien züchten können, können form bestimmter Bakterienspezies mit erhöhter Resis- sich deshalb im Trinkwasser nicht vermehren. Sie ver- tenz gegen physikalische oder chemische Einflüsse), die mehren sich in wandständigen kolonieartigen Verbän- bei der Färbung nach „Gram“ negativ erscheinen. Ihre den, die ab 1992 im wissenschaftlichen Sprachgebrauch Zellgröße kann stark schwanken. Auf den Legionellen- allgemein als „Biofilme“ bezeichnet werden. [6] Nährmedien bei der Vermehrung im Labor sind sie bis etwa 2µ lang (0,2µ Durchmesser), können aber auch 2.2.1 Beschreibung von Biofilmen in Riesenzellen bis 20µ Länge und 0,9µ Durchmesser aus- Wasserversorgungsanlagen bilden. Besonders klein sind sie in den Phagosomen (Verdauungsbläschen) von Amöben bzw. anderen Pro- Biofilme bestehen somit aus Bakterienzellen, die mit- tozoen (0,2µ Länge). [4] (Abb. 2) einander in Verbindung stehen und vollständig oder Legionellen sind weder chemo- (Energie aus chemi- teilweise in eine von diesen Zellen selbst produzierte schen Reaktion, z.B. Knallgasbakterien) noch photoauto- (extrazelluläre) polymere organische Masse aus Poly- trophe Organismen und müssen deshalb ihren Nähr- sacchariden (EPS) eingebettet sind (Tiefenbrunner et
12 Grundlegendes über Legionellen al., 1997). Zumindest ein Teil dieser Strukturen ist für Flüssigkeiten oder Gase durchlässig oder wird von Ka- nälen durchzogen. Neben den Bakterienzellen können auch abiotische Bestandteile (Kalk, Eisen usw.) als Par- tikel in diese Strukturen eingebaut werden und dienen als zusätzlicher mechanischer Schutz bzw. als Schutz gegen chemische Einflüsse (z.B. drastische Verminde- rung der Wirkung des „freien“ Chlors (DPD1)). Bio- filme sind nie gleichmäßig ausgebildet und unterliegen ständigen Veränderungen. Funktionsgemeinschaften gleichartiger oder unterschiedlicher Bakterien in Bio- filmen sind wesentlich leistungsfähiger als eine gleich- Abb. 5 | Schematische Darstellung eines Biofilmes in nähr- stoffarmem Trinkwasser. © Tiefenbrunner artige Gruppe zusammengelagerter planktonischer (einzelner) Zellen. Biofilme können typische Stoffwech- selaktivitäten mit manchmal nachhaltigen Auswirkun- gen, von Geruchsbildung bis zur Korrosion metallischer Leitungsteile, zeigen [6]. Biofilme bieten Protozoen (z.B.: Amöben) vor allem Nahrungsgrundlage aber auch Schutz, wobei neben den vitalen Hauptformen- Trophozoiten, die als Legionellenwirte dienen können (siehe Abb. 3), immer auch wesentlich widerstands- Abb. 6 | Dem Schema in Abbildung 5 vergleichbare Biofilm- strukturen aus einer Trinkwasserleitung, Raster-Elektronen- mikroskop, 2.000x. © Tiefenbrunner Abb. 3 | Acanthamöben (überwiegend Trophozoiten mit zwei Zysten) auf Nährmedium mit Futterbakterien (Klebsiellen). Lichtmikroskop, Phasenkontrast, 480x. © Tiefenbrunner Abb. 7 | Biofilm aus einer Trinkwasserleitung (warm). Raster- Elektronenmikroskop 10.000x. © Tiefenbrunner fähigere Dauerformen (Zysten) die von Legionellen nicht infiziert werden können (siehe Abb. 4), vorliegen. Die Menge der für die Legionellenvermehrung in Frage kommenden Protozoen hängt letztlich von ihrer Ernäh- rungsgrundlage, den Biofilmen, ab. Eine Maßnahme, die Biofilme als die Nahrungsgrundlage der Amöben- Abb. 4 | Zysten von Acanthamöben aus Speicherschlamm. wirte zerstört, kann damit erfolgreich zur Bekämpfung Lichtmikroskop, Phasenkontrast, 480x. © Tiefenbrunner der Legionellen eingesetzt werden.
Grundlegendes über Legionellen 13 Abb. 8 | Einzelne Bakterien nach 4 Tagen in einer Trinkwasser-Stichleitung (35°C). Aufsicht, Confokales Lasermikroskop, 680x. © Tiefenbrunner Abb. 9 | Gleiche Probe wie Abbildung 8 aber um 90° gedreht. Bereits nach 4 Tagen in nährstoffarmen Trinkwasser ist eine räumliche Ausbildung dieser Mikrokolonien (beginnender Biofilm) erkennbar. Confokales Lasermikroskop, 680x. © Tiefenbrunner Die räumliche Struktur von Biofilmen in Trinkwasser- leitungen zeigt prinzipiell zwei deutlich unterscheidbare Abschnitte, einen dünnen klar strukturierten Basisfilm und einen locker ausgebildeten und wesentlich mächtige- ren Oberflächenfilm. Der Oberflächenfilm ist teilweise oder zur Gänze beweglich und kann zwischen hügel-, säulen- oder pilzförmigen Strukturen aus Bakterienzel- len und den von diesen Zellen produzierten Schleimen (EPS) Hohlräume oder Bereiche mit deutlich geringerer Dichte aufweisen. Neben (Stoff-)Diffusion im Bereich der kompakten Strukturen ist durch diese Kanäle (Hohl- Abb. 10 | Biofilmdetail mit sehr dichtem (alten) Basisfilm und raumsysteme) aktiver Stofftransport möglich. Die Ab- weiterwachsendem Oberflächenfilm (nur geringfügige EPS- bildungen 5, 6 und 7 verdeutlichen den Aufbau eines Bedeckung der einzelnen Bakterienzellen). Raster-Elektronen- mikroskop, 10.000x, Prof. Ch. Pfaller. © Tiefenbrunner bereits länger bestehenden Biofilmes. Die Struktur eines vier Tage alten Biofilms auf einer glatten Glasoberfläche (Flowzelle gespeist von einer zirkulierenden Edelstahl- leitung der Versuchsanlage Thaur) ist in den Abbildun- gen 9 und 10 dargestellt. Die mit dem Confocalen Laser- mikroskop durchgeführte Untersuchung zeigt im oberen Teil eine Gruppe kleiner einzelner Bakterienzellen in Aufsicht. Im darunter liegenden Bildteil ist diese Stelle um 90° gedreht und auf die x12 Ebene projiziert darge- stellt und verdeutlicht, dass hier bereits räumliche EPS- Strukturen bis zur zehnfachen Ausdehnung der Einzel- zellen ausgebildet wurden. Wenn sich diese Anfänge zu stabilen Mikrokolonien mit entsprechender Biomasse Abb. 11 | Massiver Biofilm mit ebenso massiven jüngeren weiterentwickeln und letztlich in die massiven Verbände „Aufwüchsen“. Raster-Elektronenmikroskop, 3.000x, Prof. Ch. Pfaller. © Tiefenbrunner der in den Abbildungen 10 und 11 dargestellten Biofilme
14 Grundlegendes über Legionellen übergehen wird die Entfernung dieser Gebilde bzw. die Abtötung der darin eingebetteten Mikroorganismen immer schwieriger und aufwändiger [7] [8] [18]. Die Abbildungen 12, 13, 14 und 15 zeigen Biofilme in ver- schiedenen Rohrleitungsmaterialien. 2.2.2 Züchtung von Legionellen Legionellen können in dazu berechtigten bakteriologi- schen Labors heute relativ einfach aus Wasserproben, von Luftfiltern oder aus Schlämmen angezüchtet und anschließend weitervermehrt werden. Die dazu verwen- deten Nährmedien enthalten neben einer allgemeinen Grundlage aus Hefeextrakt, Glycin, Ketoglutarat und Eisenphosphat, L-Cystein, einen zur Legionellenvermeh- rung unbedingt notwendigen Wachstumsfaktor. Eine günstige Vermehrungstemperatur liegt zwischen 30°C und 36°C, Wachstum wurde aber bereits zwischen 21°C und 42°C nachgewiesen. Die Zeit zwischen zwei Zell- teilungen unter optimalen Laborbedingungen wurde mit 1,5 bis 3 Stunden ermittelt, d.h., Legionellen wachsen vergleichsweise langsam (das Darmbakterium E. coli kann sich innerhalb von 15-20 min teilen) und müssen viel länger als andere aus dem gleichen Umfeld stam- mende Mikroorganismen bebrütet werden; 4 bis 5 Tage bis zur Ausbildung sichtbarer Kolonien, 10 Tage um si- cher das Wachstum ausschließen zu können. Um dabei ein Überwachsen der sich entwickelnden Legionellen- kolonien durch sogenannte „Begleitbakterien“ zu ver- hindern, werden den Nährmedien zusätzlich Hemm- stoffe (Cycloheximid, Vancomycin und Polymyxin B) zugesetzt. Spezielle sporenbildende Bakterien sowie verschiedene Pseudomonaden, darunter Stämme von Pseudomonas aeruginosa, werden jedoch nicht oder nicht ausreichend gehemmt (u.U. große abgerissene Biofilmstücke) und können das Wachstum und damit den Nachweis von Legionella species behindern. Dies soll dem Techniker erklären, warum zusätzliche Maß- nahmen wie Säurebehandlung (pH 2,2, 1-5 min) oder Erwärmung (50°C, 30 min) als Vorbehandlung bei stark mit Pseudomonaden kontaminierten Proben notwendig sind oder warum aus mehreren parallelen 1 ml Ansätzen (nach ISO 0,5 ml Ausstriche) u.U. mehr Legionellen nachgewiesen werden können als aus der filtrierten 100 ml oder 1.000 ml Probe. [7] 2.2.3 Besondere Fähigkeiten von Legionellen Von oben nach unten: Legionellen haben die besondere Fähigkeit entwickelt, Abb. 12 | Große innere Oberfläche (Biofilme) eines verzink- ten Stahlrohres. Abb. 13 | Vergrößerung dieser Oberflächen sich intrazellulär (innerhalb lebender Zellen) vermehren (Biofilme) durch Eisenbakterien. Abb. 14 | Vergrößerung der zu können. Diese Fähigkeit unterscheidet sie von allen Innenoberfläche (Biofilme) eines hartgelöteten Kupferrohres. anderen in unserer natürlichen Umwelt verbreiteten Bak- Abb. 15 | Biofilme in einem PE-X-Rohr. © Tiefenbrunner terien. Legionellen vermehren sich hier ausschließlich
Grundlegendes über Legionellen 15 keine erfolgreiche Weitergabe mit anschließender Wei- tervermehrung erfolgt. Zudem sind nur etwa die Hälfte Acanthamoeba aller Legionellen-Spezies überhaupt befähigt, sich in Menschen zu vermehren (menschenpathogen). Hartmannella 2.2.5 Intrazelluläre Vermehrung von Legionellen in Protozoen (Amöben) und Makrophagen Abb. 16 | Schematische Darstellung von typischen im Trink- (Fresszellen des menschlichen Abwehrsystems) wasser vorkommenden Amöben. © Tiefenbrunner Sowohl Amöben als auch die von weißen Blutkörper- in Protozoen (einzellige Mikro-Organismen, die sich chen abstammenden Makrophagen besitzen keine loka- normalerweise durch Aufnahme und Verdauen von Bak- lisierbaren Nahrungsaufnahmebereiche. Bakterien, die terien ernähren (siehe Abb. 3 und 16)) und werden intra- aktiv an die Zellaußenseite dieser Organismen angela- zellulär mit diesen Organismen bzw. deren Dauerformen gert werden, werden über den Mechanismus der Phago- (Zysten, siehe Abb. 4) in Böden, Grund- und Oberflä- zytose aufgenommen. Dabei zieht sich unterhalb der chenwässern verbreitet [15] [16] [21]. Auf diesem Wege Bakterien die Protozoen- bzw. Makrophagenoberfläche gelangen sie auch in wasserführende technische Systeme. immer tiefer ein, bis die vergleichsweise kleinen Bakte- Breimann hatte bereits 1990 gezeigt [21], dass sich Legio- rienzellen völlig im Inneren liegen. Danach schließt nellen in natürlichen (Protozoen-haltigen) Trinkwasser- sich die Protozoenoberfläche und die Bakterien sind in proben vermehren konnten, nicht jedoch in denselben einem Bläschen (Phagosom) eingeschlossen. Bei „nor- Proben nach einer Filtration über 0,45 µ Filter. Andere malen Futterbakterien“ würde jetzt ein weiteres kleines amerikanische Wissenschaftler behaupten, dass sie Legio- Bläschen (Lysosom) an das Phagosom andocken und nellen in einer gemeinsamen Kultur mit Flavobacterium Verdauungsenzyme abgeben. Nicht so bei Legionellen, breve ohne L-Cystein Wuchsstoffzugabe züchten konn- sie blocken alle Zerstörungsversuche ab und beginnen, ten und vermuten, dass auch andere saprophytische Bak- sich im von verschiedenen Zellstrukturen (darunter das terien (die wir möglicherweise routinemäßig gar nicht zelleigene Transportsystem ER) schützend umgebenen züchten können) in technischen Systemen diesen Stoff Phagosom zu vermehren. Die Legionellen vermehren produzieren und damit Legionellen das Wachstum in Bak- sich in dieser „replikativen Phase“ in Abhängigkeit von teriengemeinschaften (Biofilmen) auch außerhalb von der Umgebungstemperatur unterschiedlich schnell und Protozoen ermöglichen [22]. Ein weiterer Nachweis für zeigen eine relativ große unbewegliche Stäbchenform diese Möglichkeit wurde jedoch bis heute nicht erbracht. (1-2 µ). Die Eukaryontenzelle (Amöbe) sorgt dabei für die Bereitstellung von Nährstoffen (ER) und vergrößert 2.2.4 Legionellen in technischen Systemen laufend das Phagosom. Die Abbildung 17 zeigt eine Man darf sich nicht vorstellen, dass Legionellen den neuen Lebensraum „technische Systeme in Großgebäu- den“ aktiv in einer geplanten strategischen Aktion „er- obert“ haben. Es ist sicherlich rein zufällig „passiert“, und es ist auch keineswegs ein für sie günstiges System, nicht vergleichbar mit ihren natürlichen Lebensräumen (Oberflächenwässer, Grundwässer usw.). Es wird immer wieder behauptet, dass das massive Auftreten von Legio- nellen in Gebäuden im Zusammenhang mit Energie- sparmaßnahmen und den damit verbundenen techni- schen Änderungen, vor allem der Absenkung der Warm- wassertemperaturen, steht. Dies könnte für Mittel- und Nordeuropa zutreffen, in mediterranen Bereichen (Süd- europa) hat sich z.B. bei den Warmwassertemperaturen in den Sommermonaten wohl kaum etwas verändert. [9] [10] [11] [17] [29] Der Mensch ist für Legionellen sicherlich ein „Fehl- Abb. 17 | Ultradünnschnitt einer Acanthamöbe mit unterschied- wirt“ der das plötzliche Ende ihrer Verbreitung bedeutet, lich großen Vakuolen, in denen sich Legionellen vermehren. Elektronenmikroskop, 3.000x. © Tiefenbrunner da von Mensch zu Mensch (im Gegensatz zu Protozoen)
16 Grundlegendes über Legionellen elektronenmikroskopische Aufnahme eines Schnittes durch eine Amöbe, die mehrere solcher Phagosome mit sich vermehrenden (teilenden) Legionellen besitzt. Die Abbildung 18 zeigt eine vergleichbare Aufnahme im Lichtmikroskop. Sind die Vorräte der Wirtszelle an Nähr- stoffen (vor allem an Aminosäuren) weitgehend auf- gebraucht, bewirkt dies die Induktion des „virulenten Phänotyps“, d.h. die Legionellen wechseln in die zweite, die „virulente oder infektiöse Phase“. Die Bakterienzellen sind in diesem Stadium kleiner, plumper und zeigen gut erkennbare Bläschen mit Speicherstoffen (siehe Abb. 19). Sie entwickeln ebenfalls Bewegungsorganellen (Geißeln), mit denen sie sich bis zum Verbrauch der gespeicherten Energie (ca. 12 h) aktiv fortbewegen können. Die Stra- Abb. 18 | Mit sich massiv vermehrenden Legionellen (FITS- tegie ist klar, sie bereiten sich darauf vor, die erschöpfte markierte, gelb fluoreszierende Antikörper) infizierte Acanth- Zelle zu verlassen und einen neuen Wirt aufzusuchen. amöbe (mit Evans Blue rot angefärbt). Fluoreszenzmikroskop mit UV- und Normallicht, 1.000x. © Tiefenbrunner In dieser infektiösen Phase sind Legionellen weitge- hend unempfindlich gegenüber osmotischen Schocks, verschiedenen Bioziden bzw. Antibiotika und wirken zytotoxisch [13] [14] [15] [16] [17]. Die Abbildung 20 zeigt die große Anzahl der aus einer Amöbe freigesetz- ten Legionellen. 2.2.6 Infektion des Menschen mit Legionellen und die Risikofaktoren Für eine Infektion mit Legionellen sind zumindest drei grundlegende Voraussetzungen erforderlich: ■ Eine Legionellenspezies, die für den Menschen pathogen ist. ■ Diese Bakterien müssen in einem aktiven (virulenten) Zustand sein. ■ Ein Mensch (Wirt), der die Infektion nicht Abb. 19 | Ultradünnschnitt einer Acanthamöbe mit großer, von Legionellen erfüllter Vakuole. Virulenter Phänotyp, erkennbar verhindern kann. an den Speicherkörperchen (durch Pfeile markiert). Elektronen- mikroskop, 3.000x. © Tiefenbrunner Es bestehen grundsätzlich zwei Arten der Erkrankung durch Legionellen, die harmlose Form des Pontiac-Fie- bers und die schwere Verlaufsform der Legionellose. [19] [20] Das Krankheitsbild des Pontiac-Fiebers ist dem eines grippalen Infekts ähnlich, tritt nach einer kurzen Inku- bationszeit (Zeit zwischen Aufnahme der Erreger und Ausbruch der Erkrankung, ab 36 h) auf und klingt nach 3 bis 4 Tagen ohne Behandlung ab. Die Erkrankungs- wahrscheinlichkeit ist vergleichsweise hoch, die Letalität null. Möglicherweise gehen unzählige Fehlstunden am Arbeitsplatz (schätzungsweise bis zu 20.000 Erkrankun- gen pro Jahr) auf das Konto dieser Erkrankung. Beson- ders auffällig ist, dass trotz der Ausbildung von nachweis- baren Antikörpern gegen Legionellen von am Pontiac- Abb. 20 | Austreten der vermehrten Legionellen (FITC-Fluores- Fieber Erkrankten der Erreger zumeist nicht gezüchtet zenzantikörper markiert) aus einer zerstörten Amöbe (nicht angefärbt). © Tiefenbrunner werden konnte.
Grundlegendes über Legionellen 17 Typische Symptome einer Erkrankung an Pontiac-Fieber: heitsbehörden ermöglicht, entsprechende Maßnahmen nach den Epidemiegesetzen zu ergreifen (Legionellose ■ Hohes Fieber ist eine meldepflichtige Erkrankung), d.h., Ursachen zu ■ Kopf-, Glieder- und Muskelschmerzen erkennen und gezielt beheben zu lassen. Typische Symp- ■ Übelkeit tome einer Legionellen-Pneumonie (Legionellose) sind: ■ Eventuell Durchfall ■ Teilweise Schüttelfrost ■ Rasch extrem hohes Fieber ■ Kopf-, Glieder- und Muskelschmerzen Bei der schweren Verlaufsform weiß man, dass die Infek- ■ Übelkeit, Durchfall, Schüttelfrost tion durch Einatmen von mit Legionellen beladenen ■ Husten, Atemnot Aerosolen erfolgt. Legionellen, die bis in die Lungenbläs- ■ Häufig Seh-, Hör-, Gleichgewichts- und chen gelangen, werden vom menschlichen Abwehrsystem Sprachstörungen erkannt und bekämpft. Als erste „Immunantwort“ des Wir- ■ Zumeist Nierenfunktionsschwäche tes werden Fresszellen (weiße Blutkörperchen, Makro- (auch Nierenversagen) phagen) in die Alveolen entsandt, um die „Fremdkörper“ ■ Mögliche Atemlähmung aufzunehmen und abzutransportieren bzw. zu verdauen. Nach der Aufnahme von Legionellen passiert nun etwas 2.2.7 Behandlung an Legionellose völlig Unerwartetes. Diese Bakterien lassen sich nicht erkrankter Menschen nur nicht verdauen, sondern vermehren sich relativ schnell in den Fresszellen, wie sie es in ihren natürlichen Ein Teil der Beschwerden wird hauptsächlich durch Wirten, den Protozoen, generell (aber sicherlich lang- Stoffwechselprodukte der Legionellen verursacht, wel- samer) auch tun. Verschiedene epidemiologische Studien che die Stoffwechselzentren des menschlichen Körpers zeigen, dass eine kompetente Immunantwort eines ge- (Leber, Nieren) schädigen. Deshalb ist es besonders sunden Menschen jedoch ausreicht, um nicht an Legio- wichtig, so rasch wie möglich mit der richtigen Anti- nellose zu erkranken. [12] [23] biotikatherapie zu beginnen. Nach etwa drei Tagen sinkt Erkranken kann damit theoretisch jeder, die typische bei unbehandelter oder falsch behandelter Legionellose Zielgruppe der schweren Verlaufsform sind aber generell die Überlebenschance dramatisch ab. [9] ältere Menschen und solche, deren Abwehrmechanismen, Früher wurden Legionellen-Pneumonien häufig mit die normalerweise die Lunge vor Infektionen schützen, anderen schweren Lungenentzündungen verwechselt, geschädigt sind. Die dominanten Risikofaktoren sind: die ähnliche Symptome aufzeigen. Dies kann gefährlich sein, da bei Verabreichung von Betalactam Antibiotika ■ Rauchen (z.B.: Penicillin, Cephalosporin), gegen die Legionellen ■ extremer Alkoholkonsum auf Grund der Bildung von Betalactamasen weitgehende ■ Emphyseme und andere chronische Lungenerkran- Resistenzen zeigen, keine ausreichende Hemmung des kungen Legionellenwachstums erfolgt. In den Protokollen der ■ Iatrogene Immunsuppression (gezieltes Herabsetzen im Bellevue-Stratford Hotel in Philadelphia an Legio- der Wirksamkeit oder gänzliches Ausschalten des nellose Erkrankten zeigte z.B. die mit Penicillin behan- Immunsystems bei Transplantationen) einschließ- delte Patientengruppe (man versuchte in Unkenntnis lich zytotoxischer Chemotherapie. des Erregertyps verschiedene Antibiotika bei Patienten- gruppen gezielt einzusetzen) eine Sterbewahrschein- Wenn eine Infektion nicht verhindert werden kann, ein lichkeit von > 30%. [23] Fall, der also äußerst selten vorkommt, tritt die Erkran- Gute Erfolge erzielt man bei rechtzeitiger Anwendung kung nach zwei bis zehn Tagen Inkubationszeit ein und sogenannter Makrolid-Antibiotika (z.B.: Erytromycin, verläuft noch immer bei > 10% der Erkrankten tödlich. Rifampacin) in der für die Bekämpfung von Legionellen Diese lange Inkubationszeit führt vor allem bei Touristen erhöhten Konzentration. Zur Vermeidung nosokomialer dazu, dass die Erkrankung z.T. erst nach Rückkehr aus Legionellosen (im Krankenhaus erworbener Legionel- dem Urlaubsland oder Weiterreise in ein anderes Land losen) werden bei atypischen Pneumonien prinzipiell eintritt bzw. erkannt wird. Die Kenntnis über Erkran- und unmittelbar auch gegen Legionellen wirksame Anti- kungen ausländischer Touristen wird im europäischen biotika (zusätzlich) dem Erkrankten verabreicht. Eine Legionellen-Netzwerk (EWGLINET) gesammelt und wesentliche Verbesserung der Diagnostik von Legionel- dem jeweiligen Referenzlabor bzw. den jeweiligen Ge- len (zeitmäßig) wurde durch die Harn-Antigen-Nach- sundheitsbehörden der EU-Mitgliedsländer und auch weismethode erreicht, mit der innerhalb von zwei Stun- der Schweiz gemeldet. Dadurch wird es den Gesund- den eine Bestätigung oder ein Ausschluss erfolgen kann.
18 Möglichkeiten zur Verminderung bzw. Vermeidung einer Kontamination mit Legionellen 3 Möglichkeiten zur Verminderung bzw. Vermeidung einer Kontamination mit Legionellen 3.1 Desinfektion entgegenzuwirken [28]. Eine Hyperchlorung bedingt immer eine (im Verhältnis zur thermischen Desinfek- Unter „Desinfektion“ versteht man generell das gezielte tion jedoch zumeist kürzere) Betriebssperre der Anlage Abtöten von Krankheitserregern. Für die Praxis der mit anschließendem sorgfältigem Spülen zur Wieder- Trinkwasseruntersuchung heißt dies, dass in der Pro- inbetriebnahme. bemenge von 250 ml nach Desinfektion keine Krank- heitserreger (bzw. Indikatororganismen) nachweisbar Permanentchlorung sein dürfen. Für industrielle Verfahren wurde definiert, Darunter versteht man die Zugabe von desinfizierend dass eine „Desinfektion“ dann nachgewiesen ist, wenn wirkendem Chlor zur Aufrechterhaltung eines vorgege- eine Abnahme der pathogenen Mikroorganismen um benen Chlorüberschusses. Sofern vom Haustechniker fünf Zehnerpotenzen erreicht wird. in Abstimmung mit der Gesundheitsbehörde keine hö- „Desinfektion“ ist kein absoluter Prozess (wie z.B. heren Werte (z.B.: 0,6 mg/l) festgelegt werden, beträgt die zur Sterilität (= völlig frei von vermehrungsfähigen diese Konzentration 0,3 mg/l (DPD1). Die Permanent- Mikroorganismen) führende Sterilisation); verschie- chlorung erfordert eine kontinuierliche Überwachung denste apathogene Mikroorganismen (z.B. sporenbil- der Chlorkonzentration im behandelten System mit dende Bakterien aus der Erde) können diese Maßnah- einer ebenso sensiblen Dosiertechnik. Die nach heuti- me überdauern. gem Stand der Technik eleganteste Methode zur Perma- Für Trinkwassersysteme sind sowohl chemische als nentchlorung von gebäudeinternen Trinkwasserinstal- auch physikalische Maßnahmen zur Desinfektion ein- lationen (Wasser für den menschlichen Gebrauch) ist setzbar. Dabei muss nicht nur auf die Wirksamkeit ge- die Erzeugung von Unterchloriger Säure (HOCl) aus genüber planktonischen (einzelnen) Mikroorgansimen, den im Trinkwasser enthaltenen Chloridionen durch sondern vor allem auch auf in Biofilmen bzw. Biofilm- Elektrolysezellen. Dieses auch „Elektrolytische Desin- aggregaten (oder Protozoenwirten wie bei Legionellen) fektion“ genannte Verfahren kann sowohl über die ZLT vorhandene Pathogene geachtet werden. Bei der „che- (Zentrale Leittechnik) des Gebäudes als auch über eine mischen“ Desinfektion liegen derartige, auch gegen in Modemverbindung vom Hersteller bzw. Servicebetrieb Biofilmen oder Protozoenzysten eingeschlossene patho- überwacht und eingestellt werden. gene Mikroorganismen wirksame Konzentrationen um Die Permanentchlorung bietet den Vorteil, vor Ort mindestens eine, zumeist zwei Zehnerpotenzen über den an verschiedenen Stellen des Systems durch die Messung erlaubten Maximalwerten im Trinkwasser. Zur Desin- des freien und gebundenen Chlors einen einfachen Über- fektion von Trinkwasser sind derzeit Chlor (hauptsäch- blick über die Verhältnisse innerhalb einzelner Rohr- lich nicht als Gas sondern als Natrium- oder Calzium- stränge zu erhalten. Eine Permanentchlorung erfordert hypochlorit eingesetzt), Ozon und Chlordioxid zuge- jedoch auf jeden Fall eine vorausgehende thermische lassen. [5] [7] [24] [25] [26] [27] oder/und chemische Desinfektion, um nicht nur gegen planktonische Bakterien sondern auch gegen den Auf- 3.1.1 Chlorung bau von Biofilmen wirksam zu werden. Eine Permanent- chlorung (0,3 mg/l) kann u.U. auch eingesetzt werden, Hyperchlorung zur Inaktivierung von Biofilmen um die Intervalle zwischen chemischen oder thermi- Darunter versteht man eine kurzfristige Anwendung schen Desinfektionen zu verlängern. („Schock-Chlorung“) mit (anorganischem) Chlor (Na- Für Chlordioxid gelten ähnliche Überlegungen, wobei trium- oder Calziumhypochlorit) bei Konzentrationen von einzelnen Anbietern solcher Desinfektionssysteme an freiem Chlor von 15 mg/l über 24 h oder 50 mg/l auf eine u.U. geringere Konzentration bei der „Schock- über 12 h im Kaltwasser. Bei Warmwasser ist der ver- Behandlung“ und auf eine etwas geringere Metallkor- stärkten Zehrung durch höhere Anfangskonzentrationen rosion verwiesen wird (bisher jedoch ohne Nachweis).
Möglichkeiten zur Verminderung bzw. Vermeidung einer Kontamination mit Legionellen 19 Die Bildung von „Gebundenem Chlor“ bzw. AOX un- Tabelle 2 | Legionellenreduktion in Abhängigkeit von terbleibt. Temperatur und Zeit. Ozon ist zwar das stärkste Oxidationsmittel, hat aber Temperatur [°C] Zeit [min] Wirkung bei der Anwendung in mit Biofilmen kontaminierten Rohrleitungen einen gravierenden Nachteil gegenüber 55,0 19 Reduktion der Chlor bzw. Chlordioxid. Durch die extrem hohe Reak- 57,5 6 Legionellenanzahl um tionsgeschwindigkeit und der (generell bei der Trink- 60,0 2 je eine 10er-Potenz wasser- und Badewasseraufbereitung so wichtigen und 70,0 einige Sekunden (D-Wert) hoch eingeschätzten) Unfähigkeit, ozonierte Substanzen (vergleichbar chlorierten Substanzen, „Gebundenes Chlor“) zu bilden, ist das Eindringen und Wirksam- werden in massiven Biofilmen erschwert. Serogruppe 4 Serogruppe 6 Allen angeführten Oxidationsmitteln ist gemein- KBE / ML sam, dass sie nicht nur auf Mikroorganismen einwir- 1010 ken, sondern, im Gegensatz zu anderen Desinfektions- 109 70°C mitteln, die behandelten Strukturen auch weitgehend 108 107 abtragen. 106 105 104 Ionisierung 103 Dieses Verfahren (für das vor Ort keine direkte Mess- 102 methode existiert), über Elektroden Kupfer und Silber- 101 100 ionen in das Wasser abzugeben, ist derzeit nach Aussage des UBA (Berlin/Bad-Elster) nach Widerruf der Aus- 0 2 4 6 ZEIT / MIN nahmegenehmigung in Deutschland nicht zulässig. KBE / ML 3.1.2 Physikalische Verfahren 1010 109 60°C UV-Desinfektion 108 107 Der Unterschied der UV-Desinfektion zu allen anderen 106 hier aufgelisteten Verfahren ist die Beschränkung der 105 104 desinfizierenden Wirkung auf den Einbauort des Gerätes. 103 Hat das zu desinfizierende Wasser den Reaktorbehälter 102 verlassen, erfolgt keine weitere Einwirkung. Mikroorga- 101 100 nismen in partikulären Systemen (größere Biofilmstücke) können von den UV-Strahlen zumeist nicht erreicht 0 30 60 90 120 ZEIT / MIN werden. Die UV-Desinfektion ist das Mittel der Wahl Abb. 21 | Legionellenreduktion in Abhängigkeit von der Zeit um planktonische (einzelne im Wasser transportierte) bei 60°C und 70°C. Mikroorganismen abzutöten und kann auch unmittel- bar vor dem Verbrauch eingesetzt werden. Eine Wirk- samkeit gegenüber pathogenen Mikroorganismen in 3.1.4 Permanent- oder Haltetemperartur massiven Biofilmen ist nicht gegeben, d.h. es könnte hier maximal von einer „UV-Behandlung“ und nicht Bei einer Untersuchung des Warmwassers aus Hotel- von „UV-Desinfektion“ gesprochen werden. betrieben in 103 europäischen Städten [17] wurden erst ab einer Systemtemperatur von > 55°C keine Legionellen 3.1.3 Temperaturverhalten von Legionellen mehr nachgewiesen, wie die aus diesen Untersuchungs- ergebnissen zusammengestellte Abbildung 22 (siehe Tabelle 2 und Abb. 21 zeigen das Temperaturverhalten nachfolgende Seite) sehr klar zeigt. Das heute als Vor- planktonischer (nicht in Biofilmen oder Amöben aggre- aussetzung für die Vermeidung einer Kontamination von gierter, einzelner) Legionellen. Trinkwarmwasserleitungen mit Legionellen zugrunde Ab einer Temperatur von ca. 55°C beginnen Legio- gelegte Temperaturregime sieht ≥ 60°C am Austritt des nellen abzusterben und zwar je schneller, je höher die Speichers und ≥ 55°C am Eintritt der Zirkulationslei- Temperatur. Die Temperatur-Zeit-Paarungen sind nach tung in den Speicher vor (siehe Abschnitt 4, Regelwerke, [9] [26] etwa folgende: W551). Es wird dabei über (theoretisch) den gesamten
20 Möglichkeiten zur Verminderung bzw. Vermeidung einer Kontamination mit Legionellen Ergebnisse dieser Versuche zeigen eine völlig unerwartet Legionellen positiv (%) hohe Widerstandsfähigkeit der Amöbenzysten gegen- 100 100 über Warmwassertemperaturen. Bei 10% aller eingesetz- 80 ten Stämme war nach 1,5-stündiger Einwirkung von 80 60°C eine Kultur von Trophozoiten aus den exponierten 60 60 Zysten möglich. Bei 55°C betrug dieser Zeitraum bereits 40 acht Stunden und bei 50°C Warmwassertemperatur 40 waren nach 24 Stunden noch 50% der Zysten anzücht- 20 bar. Die Versuche bei 47°C Expositionstemperatur wur- 20 0 den nach 48 Stunden und einer Anzüchtungsrate von 0 > 80% abgebrochen. 35 40 45 50 55 60 65 70 Wassertemperatur (°C) Diese umfassenden Untersuchungen waren auch die wissenschaftliche Grundlage für die Temperaturfestle- Abb. 22 | Prozentangaben Legionella-positiver Trinkwasser- gung zur thermischen Desinfektion (> 70°C, 3-5 min). proben (warm) in Abhängigkeit von der Systemtemperatur in Großgebäuden aus 103 europäischen Städten. © Tiefenbrunner 3.1.5 Thermische Desinfektion Zeitraum ein Temperaturbereich im Trinkwarmwasser Die thermische Desinfektion, als kurzzeitige Einwirkung, eingehalten, der ein Überleben von Mikroorganismen ist von der Permanent- oder Haltetemperatur (60 bis verhindert. 55°C) des Leitungssystems zur Verhinderung des Wachs- Kurzzeitige Absenkungen spielen dabei keine Rolle, tums von Mikroorganismen zu unterscheiden. Sie muss da das gesamte System im Anschluss wieder auf die deshalb auch in einem Temperaturbereich von > 70°C Haltetemperatur ansteigt. Im Gegensatz dazu sind und einer Einwirkzeit von mindestens 3 bis 5 Minuten Systeme, die mit einer thermischen Desinfektion des an jeder einzelnen endständigen Zapfstelle erfolgen. Die Trinkwarmwassers mit unmittelbar anschließender Erfahrungen haben gezeigt, dass die dafür erforderliche Abkühlung auf mittelwarme Temperaturen (ca. 45°C) Heißwassermenge in Großgebäuden (auch abschnitts- im Leitungssystem arbeiten, bei derartigen Absenkun- weise) kaum vorrätig gehalten werden kann. In Hotels, gen, besonders jedoch bei Stillstandszeiten, Reparaturen Schulen usw. können dafür Zwischensaison- bzw. Ferien- usw. als problematisch zu bezeichnen. zeiten ausgewählt werden, wobei die thermische Des- Die bei der europaweiten Legionellenstudie gleichzei- infektion eines (unbewohnten) mittelgroßen Hotels tig mit den Legionellen aus Warmwasserproben isolier- (150 bis 200 Betten) etwa eine Woche in Anspruch ten Protozoen (Amöben) wurden auf ihre Temperatur- nimmt. Während einer thermischen Desinfektion ist toleranz untersucht. Die in Abbildung 23 dargestellten der zwangsweisen Erwärmung des Kaltwassersystems durch verstärktes Spülen entgegenzuwirken. Mit einer thermischen Desinfektion ist immer auch ein weiter Temperaturtoleranz (%) 100 erhöhtes Risiko von Verbrühungen gegeben, das weiter- gehende Sicherheitsmaßnahmen erfordert [29]. 100 75 75 50 50 25 25 0 50°C 55°C 0 60°C 10 15 30 45 1 1,5 2 4 8 12 24 48 Zeit (min/h) Abb. 23 | Temperaturtoleranz von Amöbenzysten, isoliert aus Großgebäuden. © Tiefenbrunner
Sie können auch lesen