Leseprobe Hinter den Fassaden von Versailles Mätressen, Flöhe und Intrigen am Hof des Sonnenkönigs

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Leseprobe Hinter den Fassaden von Versailles Mätressen, Flöhe und Intrigen am Hof des Sonnenkönigs
Leseprobe

                                    William Ritchey Newton
                                    Hinter den Fassaden von
                                    Versailles
                                    Mätressen, Flöhe und
                                    Intrigen am Hof des
                                    Sonnenkönigs

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Seiten: 240

Erscheinungstermin: 27. Juli 2020

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Der Name »Versailles« steht für Glanz, Luxus und absolute Macht. Seit
Jahrhunderten lassen sich die Menschen von dem imposanten Schloss der
französischen Könige faszinieren. Das Leben hier schien frei von allen
Mühen des Alltags. Doch weit gefehlt: Was sich am Hof jenseits der
rauschenden Bälle abspielte und was es bedeutete, den Hofstaat mit allem
Lebensnotwendigen zu versorgen, enthüllt der Versailles-Experte William
Ritchey Newton. Eine höchst amüsante Kulturgeschichte.

                    Autor
                    William Ritchey Newton
                    WILLIAM RITCHEY NEWTON, geboren 1945 in New
                    York, ist Historiker und Frankreichs führender
                    Versailles-Experte. Nach der Promotion arbeitete er
                    mehrere Jahre als Verlagslektor, bevor er sich ganz
                    der Forschung widmete. Seine Bücher über das
                    Schloss von Versailles wurden in Frankreich vielfach
                    ausgezeichnet, u. a. von der Académie française.
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                              William Ritchey Newton
                         Hinter den Fassaden von Versailles
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                           William Ritchey Newton

                    Hinter den Fassaden
                       von Versailles
                           Mätressen, Flöhe und Intrigen
                            am Hof des Sonnenkönigs

                                 Aus dem Französischen
                                     von Lis Künzli

                                         Anaconda
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                      Die Originalausgabe erschien 2008 unter dem Titel
                              Derrière la façade bei Perrin, Paris.
                                 Copyright © 2008 by Perrin
                                      Deutsche Ausgabe:
                   Copyright © 2010 by Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin
               Erschienen im Propyläen Verlag in der Übersetzung von Lis Künzli

                  Die Übersetzung wurde gefördert durch das Centre national
                 du livre – ministère français chargé de la culture. Cet ouvrage
                     est publié avec le soutien du Centre national du livre –
                ministère français chargé de la culture. Für die fachliche Beratung
                      bei der Übersetzung danken wir Leonard Horowski.

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                   Umschlagmotiv: Porte à deux battants, vers 1725, France,
                   bois peint et doré, 365 x 177 / © Photo Les Arts décoratifs,
                                       Paris / Jean Tholance
                       Umschlaggestaltung: dyadesign, www.dya.de, nach
                     der Titelgestaltung der französischen Originalausgabe
                         Satzeinrichtung dieser Ausgabe: www.paque.de
                       Druck und Bindung: GGP Media GmbH, Pößneck
                                    ISBN 978-3-7306-0894-4
                                     www.anacondaverlag.de
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                                  Für meinen Freund
                                Philippe Cocâtre-Zilgien
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                                               inhalt

           Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .    9

           1. Wohnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .      13
              Das standesgemäße Quartier . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                13
              Kammern, Verschläge und Dachstuben . . . . . . . . . . .                        20
              Wer bekommt das schönste Appartement? . . . . . . . .                           24
              Umzüge und kein Ende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .              27
              Die »schrecklichen Zustände« im Grand Commun . .                                33

           2. Essen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   40
              Wie man bei Hofe speiste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .              40
              Die tables d’hôte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .       46
              Glücklich, wer eine Küche hat . . . . . . . . . . . . . . . . . .               50
              Der hungrige Hofstaat von Versailles . . . . . . . . . . . . .                  55
              Galadiners und Prachtbuffets . . . . . . . . . . . . . . . . . .                59

           3. Wasser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .    66
              Die Springbrunnen des Königs . . . . . . . . . . . . . . . . .                  66
              Das Trinkwasser wird knapp . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                70
              »Das Baden ist überflüssig und äußerst schädlich« . .                           77
              Die Sitzbäder Ludwigs XV. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .               80
              Nachttöpfe und Leibstühle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .               85
              »Die Leute p … in alle Winkel« . . . . . . . . . . . . . . . . .                88

           4. Heizung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92
              Der frierende Hofstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92
              Die »falschen« Kamine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100
              Feuer – eine ständige Gefahr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108
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                 Die Feuerwehr von Versailles . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111

              5. Beleuchtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .        117
                 Viel Licht und viel Schatten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .           117
                 Der Kerzenhandel des Kardinals . . . . . . . . . . . . . . . .                 123
                 Im Spiegel der Eitelkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .           128
                 Der Spiegelstreit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .      134
                 Wer hat die größten Fenster? . . . . . . . . . . . . . . . . . . .             140
                 Doppelfenster und Jalousien . . . . . . . . . . . . . . . . . . .              146

              6. Großreinemachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .            154
                 Parkettbohner und Auskehrer . . . . . . . . . . . . . . . . . .                154
                 Ofenmacher und Schornsteinfeger . . . . . . . . . . . . . . .                  164
                 Die Fensterputzer von Versailles . . . . . . . . . . . . . . . .               167
                 Der Gestank des Hofes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .            169
                 Die Erfindung des Sieur Voil . . . . . . . . . . . . . . . . . . .             173
                 Die Ratten von Versailles . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .          178

              7. Wäsche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   183
                 Die Laken des Königs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .           183
                 Der Streit um die Waschhäuser . . . . . . . . . . . . . . . . .                189
                 Der Kampf der Waschweiber . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                191

              8. Leben bei Hofe – Ein Resümee . . . . . . . . . . . . . . . .                   200
                 Hinter den Fassaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .          200
                 Das Appartement der Familie Saulx-Tavannes . . . . . .                         205
                 Im Wandel der Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .         213

              Exkurs zum Schluss: Die Livre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217

              Quellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .        219
              Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .       220
              Bildnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .    237
              Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .      238
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                                         Vorwort

           Ludwig XIV. ist der Versailler Spiegeltrick aufs Schönste gelun-
           gen. Der Adel des Reiches, die europäischen Höfe und die fran-
           zösische Bevölkerung waren bis zum Herbst 1789 davon über-
           zeugt, dass sich der Schlüssel zur Macht in Versailles befand.
           Historiker erschlossen die Hofrituale mit Hilfe von Louis de
           Rouvroy, Herzog von Saint-Simon, dem es in seinen geistreichen
           Memoiren gelang, die Leser fünfzig Seiten lang mit dem Tabu-
           rett-Zeremoniell in Atem zu halten, als würde die Ordnung der
           Welt davon abhängen, welchen Platz die Herzogin, seine Ge-
           mahlin, dabei einnahm. Andere haben sich bei ihren Beschrei-
           bungen etwa des Empfangs des Gesandten von Genua oder der
           Aufnahme des Marquis von Dangeau in den Orden unserer lie-
           ben Frau vom Berge Karmel noch des geringsten Statisten an-
           genommen. Es herrschte Einigkeit darüber, dass die Bälle, die
           öffentlichen Soupers und die Feste vom Überfluss des Reiches
           Zeugnis ablegten. Selbst ein Zuschauer, dem der Prunk eines
           Ludwig XIV. zuwider war, musste anerkennen, dass das Zere-
           moniell, das der große König zelebrierte, eines Byzanz würdig
           gewesen wäre und dass dessen Anblick besser als jeder militäri-
           sche Sieg dazu geeignet war, Bedienstete und Höflinge in Schach
           zu halten. Man muss sich einmal bildlich vorstellen, dass das
           Publikum bereits seit einer Stunde zusammengeströmt war,
           wenn der Türsteher mit dem Ausruf an den Gardensaal klopfte:
           »Meine Damen und Herren, à la viande du Roi – zum Fleisch des
           Königs!«, mit anderen Worten »zu Tisch«, denn für den glanz-
           vollsten aller Könige kam, genau wie für den Löwen, nur
           »Fleisch« in Frage, und so stand das Wort stellvertretend für
           sämtliche Speisen.

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              Der Hofstaat begleitete den Inhaber der Legitimität und der
              Machtinsignien bei allen öffentlichen Angelegenheiten. Vor
              dem nef, dem goldenen Tafelaufsatz in Form eines Schiffes, der
              beim grand couvert, wenn der König in aller Öffentlichkeit mit
              »großem Gedeck« speiste, auf dem Anrichtetisch stand, zogen
              auch die höchsten Herren den Hut, und die Damen machten
              einen Knicks. Sich diesen Utensilien überhaupt nähern oder gar
              mit den Bechern, Karaffen, Tellern, Servietten oder Stühlen
              hantieren zu dürfen, war mit sozialem Aufstieg gleichzusetzen,
              hieß, seinen Rang innerhalb der Gesellschaft und damit das
              Stückchen der königlichen Autorität zu markieren, dessen man
              sich erfreute.
                 Eine derart kodifizierte Karriereleiter erscheint in unserer
              demokratischen Welt heute kaum denkbar. Und doch ist sie
              nichts anderes als eine Spielart der seit jeher und in allen Ge-
              sellschaften existierenden Distinktion. Eine ererbte Position,
              Kultiviertheit und Gewandtheit im Auftreten nahmen dabei
              den Platz unserer modernen »Schlüsselqualifikationen« ein.
              Die Gabe, auf sich aufmerksam zu machen, vom Herrscher
              wahrgenommen und angehört zu werden, war zu allen Zeiten
              gefragt: Sie ermöglichte dem Einzelnen, in die »Mechanik« der
              Macht einzugreifen und einen gewissen Einfluss geltend zu ma-
              chen. In Versailles bedeutete dies, ständig Präsenz zu zeigen,
              permanent anwesend zu sein. Nur so konnte man einen der
              stets umkämpften Plätze bei Hofe erobern oder verteidigen,
              auch wenn man dafür zahlreiche Unannehmlichkeiten auf sich
              nehmen musste.

              Eigenartigerweise sind die Spuren dieser Gesellschaft heute
              kaum mehr sichtbar. Zwar besuchen Tausende von Touristen
              die königlichen Gemächer, auch die privaten Räume, zu denen
              vor der Französischen Revolution einzig die Vertrauten des
              Monarchen Zutritt hatten. Die Unterkünfte der Höflinge je-
              doch verschwanden in den 1830er Jahren, als der Bürgerkönig
              Louis Philippe die Nord- und Südflügel in das Musée d’His-
              toire de France, das historische Nationalmuseum, verwandeln
              ließ. In der Dritten Republik verstärkte sich diese Entwicklung,

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           als dort, wo sich einst Küche, Offices und Keller befanden, der
           Kongress tagte – die außerordentliche Sitzung von National-
           versammlung und Senat, bei der die Verfassung verabschiedet
           oder abgeändert und bis 1958 der Präsident gewählt wurde.
           Die Symbolik der Macht hat überlebt, doch kann man sich
           heute nur noch schwer vorstellen, dass ihre Architektur an die
           Stelle eines Labyrinths von Appartements getreten ist, in dem
           der Hofstaat und das Dienstpersonal des Grand Roi zu leben
           versuchten.
              Dieses Buch ist ein Versuch, ein Universum zu rekonstruie-
           ren, das gänzlich verschwunden ist. Dank der umfangreichen
           Korrespondenz und der Berichte des Generaldirektors der
           Königlichen Bauten und des Schlossgouverneurs können wir
           jedoch die Probleme des täglichen Lebens, die Bemühungen,
           sich wohnlich einzurichten, die Machtspiele um Einfluss und
           Vergünstigungen, aber auch tatsächliche Bedrängnisse nach-
           vollziehen. Was dabei zum Vorschein kommt, ist die Kehrseite
           der schönen Fassade dieser 226 Appartements, in die sich ein
           gutes Tausend Leute hineindrängte, von denen manche im An-
           kleideraum ihrer Herren oder auf Pritschen schlafen mussten.
           Schaut man sich die Aufzeichnungen über den Komfort in Be-
           zug auf Wasser, Heizung, Nahrung an, erhält man Einblicke in
           ein sonderbar erscheinendes Schlossleben, in dem die Erobe-
           rung einer gewissen Position tägliche Opfer und eine Form von
           Askese erforderte, die viele zunehmend weniger zu ertragen
           bereit waren.
              Dabei kommen auch die ständigen Konflikte unter Herr-
           schenden, Höflingen und Händlern ans Licht. Sind Geld und
           zu verteilende Ämter ausreichend vorhanden, erscheint die hö-
           fische Gesellschaft von Versailles als strahlendes Zentrum
           Frankreichs. Fehlt eine der beiden Ingredienzien, dann erstarrt
           das Reich, und die Klagen über die unwürdigen Unterkünfte,
           unbezahlten Rechnungen und den Verfall der Gebäude häufen
           sich, wie zum Beispiel am Ende der Herrschaft Ludwigs XV.,
           nach dem Desaster des Siebenjährigen Krieges oder in den Jah-
           ren nach 1780, als die Finanzen erschöpft waren und Ludwig
           XVI. seinen Generaldirektor für Finanzen, den Genfer Bankier

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              Jacques Necker, mit einer umfassenden Steuer- und Finanzre-
              form beauftragte, die die Ausgaben des Hofes in allen Berei-
              chen stark einschränkte. Der Spiegel wurde trüb, und der je-
              weilige Herrscher sah sich gezwungen, ihm wieder neuen
              Glanz zu verleihen. Dabei aber musste immer den Machtver-
              hältnissen, dem Zeitgeist, dem Geschmack sowie den gesell-
              schaftlichen Entwicklungen Rechnung getragen werden.
                 So formierte sich unter den drei Herrschern, deren Regie-
              rungszeit dieses Buch umfasst, ein erbitterter Kampf, wenn
              auch mit stumpfem Florett – Etikette und gute Sitten verpflich-
              ten. Die königlichen Ambitionen blieben stets die gleichen: das
              Verteilen von Auszeichnungen oder Degradierungen, um die
              Repräsentanten der Macht an der kurzen Leine zu halten. Äu-
              ßere Form und Diskurs änderten sich jedoch mit der Zeit.
                 Das ganze 18. Jahrhundert hindurch war der Hof von Ver-
              sailles durch unüberbrückbare Gegensätze geprägt: Hinter der
              Fassade fand man zugleich Größe und Misere, Pracht und
              Elend, schönen Schein und Alltagsprobleme unter einem Dach
              vereint. Es wurde ein Schauspiel der Macht aufgeführt, das bis
              zum bitteren Ende durchgehalten wurde, auch wenn die Zu-
              schauerzahlen abnahmen, die Gebäude verfielen und die Infra-
              struktur baufällig wurde. Wie im Theater interessiert sich das
              Publikum – damals wie heute – vor allem für die prächtige
              »Hofseite«; wir wollen nun einmal die weniger repräsentative
              »Gartenseite« erkunden und einen Blick hinter die unvermeid-
              lichen Kulissen von Versailles werfen.

                                            Springfield, Tennessee, August 2008

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                                     1. Wohnen

                           Das standesgemäße Quartier

           Als erstes wollen wir uns der Wohnsituation bei Hofe widmen,
           spielte die Unterkunft doch für das persönliche Befinden wie für
           die Markierung der eigenen Position eine entscheidende Rolle.
              Wer in höfischen Diensten stand, hatte auch Anspruch auf
           eine Wohnung; man durfte vom König erwarten, dass er seine
           militärischen und zivilen Beamten unterbrachte. Die Glück-
           lichsten unter ihnen verfügten über eine Wohnung im Schloss
           selbst, die anderen wurden in unterschiedlichen königlichen
           Gebäuden in der Umgebung beherbergt. Man konnte aber
           auch eine Entschädigung in Form von Geld erhalten, die es
           einem ermöglichte, sich in der Stadt eine Unterkunft zu suchen.
           Direkt im Schloss zu wohnen war aber natürlich so prestige-
           trächtig, dass alles, was Rang und Namen hatte, es jedem an-
           deren Ort vorzog, auch den eigenen Stadtvillen, so prächtig
           diese auch sein mochten.
              Der riesige Palast, den wir heute bestaunen, war ursprüng-
           lich nur ein Landpavillon, in dem Ludwig XIII. gelegentlich die
           Nacht verbrachte, wenn er in den umliegenden Wäldern der
           Jagd nachging. Später ließ der König sich auf dem Hügel, der
           den Sumpf überragte, eine Residenz bauen, die jedoch so be-
           scheiden war, dass ein Memoirenschreiber sie als »Karten-
           schloss« herabwürdigte. Ludwig XIV., der die kleine Gentil-
           hommière erbte, brachte zahlreiche Erweiterungen und
           Verschönerungen an. Südlich des Ehrenhofs wurde ein Flügel
           mit Stallungen errichtet, der – bald zu einem Wohntrakt umge-
           baut – unter dem Namen »Alter Flügel« bekannt wurde. Trotz
           zahlreicher Umgestaltungen existiert er noch heute, während
           der Pavillon, der zur Stadtseite ausgerichtet ist, unter Ludwig

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              XVIII. durch den Architekten Dufour – nach dem der Pavillon
              benannt ist – vor allem deshalb neu gebaut wurde, um den Al-
              ten Flügel mit dem Nordflügel des Hofs in Symmetrie zu set-
              zen. In den 1660er Jahren errichtet, um Küchen und Offices –
              Räume in unmittelbarer Nähe zur Küche, in denen man gewisse
              Speisen zubereitete und aufbewahrte – aufzunehmen, wurde er
              bald zu Wohnungen umgestaltet, und als sich der Hof 1682 in
              Versailles niederließ, bezog der Intendant der Domäne und der
              Stadt darin Quartier. 1719 wurde seine Charge zu einem Gou-
              verneursamt erhoben, seither hieß der Flügel Aile du Gouver-
              nement. Ab 1760 bekamen jedoch die Mauern Risse, und der
              Gouverneur musste ihn verlassen. Der Pavillon wurde 1771
              weitgehend abgerissen, von dem Ersten Hofarchitekten Lud-
              wigs XVI., Ange Jacques Gabriel, umgebaut und nach ihm Aile
              Gabriel benannt.
                 Bei den Erweiterungen und Verschönerungen durch Ludwig
              XIV. wurde im Zentralbau des Schlosses die Struktur der Ori-
              ginalarchitektur beibehalten: rote Backsteinmauern, an den
              Ecken Hausteinbänder und Schieferdächer. Ein zweites Ge-
              bäude aus Quadersteinen umschloss das erste vollständig. Im
              Norden befanden sich die großen Staatsappartements; im Wes-
              ten führte beim ersten Entwurf eine Terrasse auf die Gärten
              hinaus, die aber schließlich durch den Spiegelsaal ersetzt wurde,
              während im Süden die Appartements der Königin eingerichtet
              wurden. Als der Südflügel, auch »Prinzenflügel« genannt, voll-
              endet war, verlegte Ludwig XIV. seinen Hof vollständig nach
              Versailles. 1689 wurde die lange Fassade zum Garten durch
              einen Nordflügel ergänzt. Beide waren dazu bestimmt, die Hof-
              würdenträger – Beamte aus dem hohen Adel, die am französi-
              schen Königshof Dienst taten – aufzunehmen. Denn tatsäch-
              lich hatten die hohen Herren beim Lever und Coucher, dem
              zeremoniellen Aufstehen oder Zubettgehen des Königs, oder
              auch bei der Toilette der Königin eine dienende Funktion. Ja
              sie buhlten geradezu um diese käuflich erwerbbaren Hofämter,
              die sie symbolisch an das monarchische Zeremoniell banden,
              während die eigentliche Arbeit von einer großen Schar Beamter
              aus dem niederen Adel verrichtet wurde.

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           Unter Ludwig XIV. ließen sich die Inhaber der höheren Ämter
           Privathäuser auf einem Terrain errichten, das ihnen der König
           zur Verfügung stellte. Die Wohnprobleme, die vor dem Bau des
           Nord- und Südflügels bestanden, beschrieb der Anwalt Ma-
           rais, der zur Zeit der Régence tätig war, so: »Unter der Herr-
           schaft Ludwigs XIV., der stets in Versailles weilte, zählte der
           Hof nur wenige Frauen, da ein Mann von Rang seine Ehefrau
           in Versailles nicht in einem Gasthaus oder einem möblierten
           Zimmer untergebracht hätte, wohingegen es für die Herzöge,
           die Häuser besaßen, leichter war, ihre Frauen bei sich zu ha-
           ben.«1
              Die Inhaber niederer Ämter wohnten in einem Nebenge-
           bäude des Schlosses, dem Grand Commun, einem weitläufigen
           Bau, der im Erdgeschoss die Schlossküchen und die Speisesäle
           des Haushalts von König und Königin sowie auf vier weiteren
           Stockwerken Unterkünfte jeder Größe bis hin zu einfachen Ver-
           schlägen beherbergte. Dort zu wohnen wurde von manchen als
           nicht besonders schmeichelhaft empfunden, da es ja eigentlich
           ein Wirtschaftsgebäude war, wenn dessen Nähe zum Schloss
           auch praktisch war. Doch trotz seiner Größe vermochte der
           Grand Commun nicht sämtliche Beamte aufzunehmen, die ein
           Anrecht auf eine Unterkunft am Hof hatten. Es mussten weitere
           Gebäude gekauft oder angemietet werden: das Hôtel de Duras
           in der Rue de la Chancellerie, die drei Wohntrakte des Hôtel des
           Louis in der Rue de l’Orangerie und schließlich das Hôtel de
           Nyert in der Rue Saint-François. Die Beamten und das Personal
           bestimmter Dienstbereiche wie des großen und kleinen Mar-
           stalls oder der Jägerei verfügten über Wohnungen direkt an
           ihrem Arbeitsort.

           Die Hauptsorge jedes Höflings war es, eine seinem Rang, sei-
           nen Ämtern, seiner Familie und seinen Bedürfnissen entspre-
           chende Unterkunft zu ergattern. Da weder das Schloss noch die
           königlichen Gebäude in der Stadt dafür ausreichten, bot der
           Gouverneur den Beamten des Königshauses und dem Personal,
           das dem Dauphin und den Söhnen und Töchtern Frankreichs
           diente, die noch zu jung waren, um eine Haushaltung mit

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              einem eigenem Budget zu führen, eine Kompensation in Form
              von Geld an. Die Entschädigungen für die Unterkünfte der Be-
              amten der anderen Haushalte wie jene der Dauphine oder der
              Mesdames de France wurden von der königlichen Schatzkam-
              mer übernommen.2
                 In der Stadt zu wohnen war sehr unpopulär: Die Mieten wa-
              ren hoch und die Entfernung vom Schloss beträchtlich. So fand
              man sich nur unwillig mit dieser Lösung ab. Das mittlere Ge-
              halt eines Beamten, der par quartier, also ein Quartal pro Jahr,
              diente, belief sich auf 300 Livres, was kaum ausreichte, um ein
              möbliertes Zimmer oder eine bescheidene Wohnung zu mieten.
              Das traf für viele niedere Beamte zu, die ihre jeweilige Charge
              – ein Amt auf Lebenszeit, das jedoch nicht vererbbar war – we-
              gen des sozialen Prestiges und der damit verbundenen Steuer-
              erleichterung kauften. Da sie zum Teil nur einige Tage pro Wo-
              che tätig waren, lebten sie die übrige Zeit zu Hause, oft in der
              Ile-de-France oder in Paris. Die meisten Gesellschaftsdamen
              verbrachten jeweils nur kurze Zeit am Hof, da sie nicht mehr
              als eine von drei Wochen Dienst taten, so dass eine noch so mit-
              telmäßige Unterkunft im Schloss nicht von größerem Nachteil
              war. Für zahlreiche Höflinge stellte ihr »Quartal« vor allem
              eine angenehme Abwechslung dar, um der Langweile des länd-
              lichen Lebens zu entkommen. Zugleich bedeutete es einen Pres-
              tigegewinn, wenn ihre Abreise und Rückkehr in der Sonntags-
              messe verkündet wurden.
                 Der Polizeikommissar von Versailles schätzte, dass zu Beginn
              der Herrschaft Ludwigs XIV. kaum fünfzig Bewohner ein
              chambre garnie, ein möbliertes Zimmer, zur Vermietung an-
              boten. Im Jahr 1724 waren es bereits vierhundert, die profes-
              sionellen Hoteliers noch nicht eingerechnet. Er schrieb dies
              gleichzeitig der großen Nachfrage wie der Verlockung eines
              einträglichen Nebenverdienstes zu: »Als der König […] sich in
              Versailles niederließ, sind ihm zahlreiche Personen gefolgt. Die
              Mieten stiegen daraufhin beträchtlich, und die hohen Preise
              haben die meisten Bewohner veranlasst, ein möbliertes Zim-
              mer zu vermieten, um sich an den Mieten zu bereichern, so
              dass man königliche Beamte, Bedienstete, normale Bürger, so-

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           gar Schuster, Bäcker, Flickschuster, Lakaien, Frauen im Wit-
           wenstand bis hin zu ihren Söhnen findet, die alles dafür tun,
           um möblierte Zimmer vermieten.«3 Der Kommissar empfahl,
           die Tarife während der Regierungszeit des Sonnenkönigs ge-
           setzlich zu regeln, und tatsächlich wurden sie den Gastwirten
           von Versailles 1735 per Verordnung diktiert: 2 Sols pro Tag für
           ein nicht tapeziertes Zimmer mit einem Bett; 4 Sols für zwei
           Betten. Ein tapeziertes Zimmer wurde für 4 Sols pro Tag ver-
           mietet, eins mit zwei Betten für 8 Sols.
             Diese Tagessätze aber wurden nur von den eher bescheidenen
           Einrichtungen angewandt. Die Zahlen, die im Budget von
           Monsieur de Beauregard du Mesnil, dem Königlichen Leibgar-
           disten und Ritter des Ludwigsordens, genannt werden, schei-
           nen eine glaubwürdigere Vergleichsgröße zu sein. Beauregard
           du Mesnil zahlte dem Ehepaar Martin, Speisewirte in der Rue
           d’Anjou, für seine Unterkunft 20 Livres im Monat, also mehr
           als 13 Sols pro Tag, dazu 3 Livres täglich für die Mahlzeiten.
           Ein anderer Leibwächter mietete ein Doppelzimmer für durch-
           schnittlich 36 Sols pro Tag.4
             Neben diesen zum Teil registrierten, zum Teil illegalen Un-
           terkünften gab es in Versailles noch eine ganze Reihe weiterer
           Übernachtungsmöglichkeiten. Die Stadt zählte ungefähr hun-
           dertzwanzig Wirtshäuser für Gäste jeglichen Standes. Unter
           Ludwig XIV. konnten hochrangige Persönlichkeiten im Écu de
           France auf der Place du Marché oder im Roi-de-Pologne in der
           Rue de la Dauphine absteigen. Die vornehmste Einrichtung in
           der Mitte des 18. Jahrhunderts war das Hôtel de Fortisson in
           der Rue des Bons-Enfants, in der Nummer 34 der heutigen Rue
           du Peintre-Lebrun. Der Eigentümer, ein ehemaliger Vizemajor
           der Chevauleger-Garde, vermietete kleine Wohnungen und
           Zimmer an Hofleute, darunter an den Duc de Croÿ. Ausschlag-
           gebend für die Einstufung einer Unterkunft war die Nähe zum
           Schloss. Zuunterst standen Einrichtungen in größerer Entfer-
           nung wie jene, die von einem gewissen Marcoux in der Rue
           Bel-Air geführt wurde und während des Sommers 1782 Schrei-
           ber, Schneidergesellen, Tischler, Terrassenarbeiter, Maurer und
           sogar einen Last- und einen Sackträger beherbergte. Ein Sieur

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              Meunier hatte zur gleichen Zeit in der Rue des Récollets hinter
              dem Grand Commun eine etwas gehobenere Kundschaft: einen
              königlichen Beamten aus Port-au-Prince, einen Anwalt aus Pa-
              ris, einen ehemaligen Leibgardisten und mehrere Kunden, die
              sich selbst als »Edelleute« oder »Bürger von Paris« bezeichne-
              ten.
                 Zur Luxuskategorie gehörte das Hôtel des Ambassadeurs,
              das Mademoiselle Gournail in der Rue de la Chancellerie – in
              der heutigen Nummer 18 – führte und das nur Edelleute
              aufnahm. An der Spitze der Pyramide stand ein Sieur Delroc,
              Eigentümer des Hôtel le Juste, das 1682 in der Rue Vieux-
              Versailles an der Stelle der heutigen Nummer 6 eröffnet wurde.
              Er hatte sogar die Ehre, Kaiser Joseph II. zu empfangen. Tat-
              sächlich hatte der Monarch, der inkognito reiste, die Gast-
              freundschaft seiner Schwester Marie-Antoinette ausgeschla-
              gen, die sich nun gezwungen sah, die garçons du garde-meuble
              der Krone auszuschicken, um sein Appartement zu möblieren.5

              Zur Kundschaft der Gastwirte gehörten viele Reisende, die ne-
              ben Kost und Logis einen Stall für ihr Pferd brauchten. Die
              Weinhändler und Schankwirte boten neben der Unterkunft
              auch Verpflegung. Unter Ludwig XV. ist die Eröffnung von
              Gasthöfen und Cafés durch Limonadenschenke zu verzeichnen,
              die unter Ludwig XIV. noch praktisch unbekannt waren. Diese
              Lokalitäten waren in der Regel hübsch dekoriert und boten
              Branntwein, Likör und Kräutertees an. Der Wert der Möbel,
              die niedrige Anzahl Betten pro Zimmer sowie die Lage dieser
              Häuser – die Hälfte von ihnen war in der Pfarrei Saint-Louis
              angesiedelt – lassen vermuten, dass manche der quartalsweise
              dienenden Beamten, die der Baufälligkeit des Grand Commun
              überdrüssig waren oder ihre Dienstappartements den Gesell-
              schaftsdamen der Prinzessinnen überlassen mussten, hier ihren
              Wohnsitz aufgeschlagen haben.6
                Als für diese Beamten nach der Finanzreform von 1780 an
              keiner Speisetafel des Hofes mehr Platz war, wurde ihnen eine
              Entschädigung von 5 Livres pro Tag zugestanden, um in der
              Stadt zu essen. Ihre Lage wurde dadurch erheblich erschwert.

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           Bei 300 Livres für die Dienstunterkunft, dazu 5 Livres pro Tag
           für die Versorgung mit Essen, insgesamt also 750 Livres für
           neunzig Tage – etwas mehr als 8 Livres pro Tag –, zahlten in den
           letzten Jahren des Hofs von Versailles viele aus eigener Tasche
           drauf. Viele kleine Beamte, die am Hof Karriere machen woll-
           ten, kauften zu diesem Zweck mehrere Ämter, sei es in aufein-
           anderfolgenden Quartalen, sei es, dass sie in ein und demselben
           Haus mehrere Ämter gleichzeitig wahrnahmen. Sie hofften,
           durch diese kostspielige Investition schnell die Karriereleiter zu
           erklimmen und sich ein gewisses Prestige und steigende Einnah-
           men zu sichern. Ein Koch konnte sich von Januar bis April als
           potager – »Küchengärtner«, der sich um das Suppengemüse
           kümmerte – anstellen lassen, dann von Juli bis Oktober als
           maître queux – »Küchen- und Bratmeister«. Wurde er nach sei-
           nem Quartal in der Speiseküche des Königs noch in den Dienst
           des Dauphins versetzt, lebte er das ganze Jahr am Hof. Dasselbe
           galt für diejenigen, die als Kammerdiener des Königs und der
           Königin angestellt waren, insbesondere als das Haus der Köni-
           gin Maria Leszczynska – der polnischen Prinzessin und Ehefrau
           Ludwigs XV. – eingerichtet wurde und gewisse treue Diener des
           Königs umsonst oder zu solch reduzierten Preisen Chargen er-
           hielten, dass sie mit ihrem Erwerb ein ausgezeichnetes Geschäft
           machten. Diese »Berufsbeamten« brauchten eine gewisse
           Sicherheit, vor allem wenn sie eine Familie zu versorgen hatten;
           und wenn sie keine Unterkunft in einem der königlichen Ge-
           bäude fanden, bestand die beste Lösung im Kauf eines Hauses
           in der Stadt.
              Der König stellte großzügig Grundstücke zur Verfügung, un-
           ter der einzigen Bedingung, dass sie bebaut werden müssten.
           Zu Beginn wurden die besten Plätze mit der Auflage vergeben,
           die Fassaden einheitlich zu gestalten. Das Grundstück für das
           Hôtel des Herzogs von Saint-Simon in der Nummer 38 der
           Avenue de Saint-Cloud wurde dem Vater des Memoirenschrei-
           bers im Jahr 1685 überlassen, der Vertrag dazu im folgenden
           Jahr unterzeichnet. Es handelte sich um einen Halbpavillon mit
           Toreinfahrt in einen Innenhof, mit Kutschenhaus, Stallungen,
           Gebäuden, Garten und Hinterhof.7 Der größte Teil des soge-

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              nannten Hirschpark-Viertels wurde aufgeteilt und an commen-
              saux übergeben, an Beamte, die Anspruch darauf hatten, vom
              König verpflegt zu werden.8 Die neuen Inhaber eines solchen
              Brevets – einer Ernennungsurkunde, in der die jeweiligen
              Pflichten des Empfängers sowie die finanziellen Rahmenbedin-
              gungen geregelt waren – mussten dem König eine bescheidene
              Immobiliensteuer in Form eines Bodenzinses entrichten, dazu
              die Parzelle mit einer Mauer oder einer Hecke umschließen und
              den Straßenrand pflastern lassen. Ließen sie nicht bauen, konn-
              ten sie ihre Konzession nach Ablauf einer bestimmten Frist,
              meist nach einem Jahr, wieder verlieren. Viele von ihnen hatten
              jedoch Schwierigkeiten, die Auflagen zu erfüllen, so dass das
              Viertel im 18. Jahrhundert noch immer schwach besiedelt war.
              Die Ambitioniertesten ließen Gebäude errichten, von denen sie
              das Erdgeschoss selbst bewohnten und in den oberen Stock-
              werken Wohnungen und Zimmer vermieteten. Manche von ih-
              nen hatten so offenbar regelrechte Investitionsobjekte geschaf-
              fen.

                                Kammern, Verschläge und
                                    Dachstuben

              Die meisten Unterkünfte der hohen Dienerschaft befanden sich
              im Grand Commun. Neben großen Privatappartements gab es
              auch Gemeinschaftswohnungen, in denen Beamte, die dieselbe
              Funktion innehatten, jeweils über ein eigenes Zimmer verfüg-
              ten und sich ein Vorzimmer sowie einen Aufenthaltsraum teil-
              ten, während ihre Diener in eigens eingezogenen Zwischenge-
              schossen untergebracht waren. Die besten dieser Wohnungen
              im Grand Commun trugen die Nummern 85 und 86 und lagen
              in der nordwestlichen Ecke des zweiten Stockwerks. Sie waren
              den Edelleuten des Königs vorbehalten. Ein Korps von 36 Be-
              amten, von denen in jedem Quartal jeweils neun dienten, teil-
              ten sich zehn durch sechs Kamine beheizte Zimmer mit zehn
              Zwischengeschossen für die Bediensteten. Da die meisten Mie-

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           ter alle drei Monate wechselten, kümmerte sich ein Concierge,
           ein Hausmeister, um die Räumlichkeiten und vermietete den
           Bewohnern während ihres Aufenthalts am Hof Möbel und
           Wäsche.9
              Im Dachgeschoss unter dem stark geneigten Giebel teilten
           sich die Huissiers, die Türsteher des Königsaals, eine Unter-
           kunft mit einer sehr niedrigen Decke. 1778 beklagten sie sich
           über diese Unbequemlichkeit beim Generaldirektor der König-
           lichen Bauten, der seine Inspektoren beauftragte, einen Bericht
           zu verfassen, in dem zu lesen ist: »Die zwölf Türsteher des Kö-
           nigssaals, die im Quartal dienen, haben ihre Unterkunft im
           Grand Commun. Dort verfügen sie nur über ein Zimmer für je-
           weils drei Beamte. Sie haben Bittschriften verfasst, in denen sie
           eine Unterkunft einfordern, die ihnen gemäß ist und ihnen zu-
           steht, da es nicht der Schicklichkeit entspricht, zu dritt in einem
           Raum zu wohnen. Hieraus können Unannehmlichkeiten und
           Schwierigkeiten erwachsen, sei es in Bezug auf die unterschied-
           lichen Charaktere, sei es im Falle von Krankheit oder Unpäss-
           lichkeit, welche die anderen in Mitleidenschaft ziehen. Die
           Unterkunft, die sie bewohnen, ist unbequem. Die Fußböden
           drohen einzustürzen. Der Kamin hält weder Wind noch Regen
           stand. Durch die Balken, die dieses große Zimmer, oder um es
           besser zu sagen, diese riesige Dachstube durchqueren, dringt
           Wasser ins Zimmer, so dass besagte Balken zu modern anfangen
           und die Unterzeichnenden der Gefahr ausgesetzt sind, eines Ta-
           ges unter den Ruinen begraben zu werden. Unter diesen Um-
           ständen bitten sie Sie, Monsieur, untertänigst, eine Besichtigung
           anzuordnen, die nötigen Reparaturen einzuleiten und die Auf-
           teilung dieses Zimmers vorzunehmen, das einiger Verbesserun-
           gen bedarf.«10
              Die Inspektoren schlugen Abhilfe vor: »Diese Unterkunft be-
           findet sich im Dachgeschoss unter dem Gesperre und besteht
           nur aus einem einzigen Raum. […] Da die Herren Türsteher
           des Königssaals dieses selbe Zimmer, das groß genug ist, um ei-
           nige Unterteilungen vorzunehmen, in jedem Quartal zu dritt
           bewohnen, bitten sie den Herrn Generaldirektor, ihnen drei
           Wände einziehen zu lassen, damit sie an diesem Ort zwei Zim-

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              mer und ein Kabinett abteilen können, wohin sich jeder Ein-
              zelne zurückziehen kann. Da die zwei Fenster, die diesen gro-
              ßen Raum erhellen, sehr klein sind und nur ein recht düsteres
              Licht erlauben, bitten sie weiter, dass diese vergrößert werden
              möchten. Der Austausch der Eingangstür gegen einen Kamin
              sowie die neuen Aufteilungen können weder der Festigkeit des
              Gebäudes noch der Dekoration Abbruch tun mit Ausnahme
              des verlangten Kamins, für den möglicherweise zwei Böden
              und das Dach durchbohrt werden müssen.«11
                 Der Generaldirektor der Königlichen Bauten gab sein Einver-
              ständnis, und das große Gemeinschaftszimmer wurde wie vor-
              geschlagen aufgeteilt. Die neuen Zimmer waren kaum größer
              als die Zelle eines Schlafsaals. Ein Konflikt, der für die Schwie-
              rigkeiten des Zusammenleben exemplarisch ist, spielte sich zwi-
              schen dem dienstältesten Türsteher, der mit seinen 72 Jahren
              auf 27 Dienstjahre am Hof zurückblicken konnte, und einem
              seiner jungen Kollegen ab, der sich einen Spaß daraus machte,
              den alten Mann zu provozieren, indem er ihn heimlich durch
              ein Fenster des gemeinsamen Flurs beobachtete. Als der Dienst-
              älteste die Scheibe mit Papier verkleidet hatte, schlug der junge
              Mann sie kurzerhand ein. Ein Gemälde, das die Scheibe erset-
              zen sollte, wurde zerstört, ein Vorhang zerrissen. Am Ende die-
              ses Kleinkriegs klagte der Doyen, dass er sich durch die Zug-
              luft, die durch das Loch hereinkam, eine Erkältung zugezogen
              habe.12

              Der ständige Mieterwechsel schadete den Wohnungen, vor al-
              lem weil die jungen Militärs sich wenig um den Unterhalt ihrer
              provisorischen Kasernierung kümmerten. Wenn die Reparatur-
              arbeiten zu lange auf sich warten ließen, wurden die Zimmer
              rasch unbewohnbar. Selbst die Edelleute kannten dieses Pro-
              blem: 1778 waren ihre Unterkünfte in einem solch schlechten
              Zustand, dass nur die Hälfte der Quartalsbeamten dort woh-
              nen konnte. So wandten sie sich mit einer Bittschrift an den
              Generaldirektor der Königlichen Bauten: »Die Edelleute im
              Dienste des Königs haben die Ehre, Monsieur le Comte d’An-
              giviller darauf aufmerksam zu machen, dass ihr Dienst wäh-

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           rend jedes Quartals neun Personen erfordert und dass der Kö-
           nig sowohl ihnen als auch ihren Bediensteten seit jeher eine
           ständige Unterkunft in der dritten Etage des Grand Commun
           gewährt hat. Wenn die Verbesserung der Wohnsituation in der
           Stadt dazu geführt hat, dass lange Zeit vernachlässigt wurde,
           was ihnen durch ihr Amt von Rechts wegen zusteht, so sind nun
           aufgrund des derzeitigen Mangels und der hohen Preise einige
           Maßnahmen absolut unabdingbar geworden. Einzig fünf Ap-
           partements befinden sich im Zustande, bewohnt werden zu
           können, doch der Mangel kann durch das Zwischengeschoss
           behoben werden, das durch Ihre Anordnung vor zwei Jahren
           über ihrem Speisesaal errichtet wurde, was bereits eine Unter-
           kunft abgeben würde, sowie durch die Instandsetzung von drei
           unbewohnbaren Unterkünften im Zwischengeschoss, aus de-
           nen man nach dem Beispiel der Königlichen Kammerdiener mit
           Leichtigkeit Nutzen ziehen könnte.«13 Es brauchte sechs Jahre,
           um diese dringenden Reparaturen zu Ende zu führen!

           Die Beamtenkorps hatten im Allgemeinen einen »ordentlichen
           Vorsteher«, der das ganze Jahr über im Dienst stand und eine
           eigene Wohnung hatte. Zum ständigen Personal gehörte auch
           eine große Zahl von Kammerfrauen, die der Königin, der Dau-
           phine oder den Kindern von Frankreich dienten. Ganz gleich,
           ob ihre Ansprüche hoch oder eher bescheiden waren, stets setz-
           ten diese Damen ihr Ansehen – und manchmal ihren ganzen
           Charme! – ein, um die besten Wohnungen im Grand Commun
           zu bekommen; sie wollten dort ihre Familien unterbringen. Da
           die Hofbeamten oft die Töchter ihrer Kollegen heirateten, blie-
           ben viele, die ein Quartal lang dienten und während dieser Zeit
           Recht auf eine Unterkunftsentschädigung hatten, in der Woh-
           nung ihrer Frauen, die das ganze Jahr im Dienst standen. Sie
           wurden so gleich zweifach begünstigt.
             Das war jedoch nicht im Sinne des Gouverneurs von Schloss
           und Stadt, des jungen Comte de Noailles, der das Vermögen der
           Domäne schonen wollte und das klar zu verstehen gab: »Die
           Regel besagt, dass nur eine Unterkunft [in Form von Geld] ge-
           währt wird, auch wenn man mehrere Orte bewohnt.«14

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