Liebe Leserinnen und Leser, Research for Rare

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Liebe Leserinnen und Leser, Research for Rare
Gemeinsam zu Diagnose und Therapie                                                                                              Dezember 2019

Interview: Prof. Lerche, Forschungsverbund TREAT-ION
Portrait:     Forschungsverbund mitoNET
Paper of the Month: Artificial intelligence in nephropathology * SSBP1 mutations cause mtDNA depletion underlying a complex optic
                    atrophy disorder * Management of Tamm-Horsfall Protein for Reliable Urinary Analytics * Mutations in SMARCB1
		                  and in in other Coffin-Siris syndrome genes lead to various brain midline defects

Liebe Leserinnen und Leser,                                                                          Verbünde (aktuelle Förderung)

seit 2003 fördert das Bundesministeri-                der Koordinierungsstelle gewählt. Frau         Netzwerk für Menschen mit Erkrankungen mit
um für Bildung und Forschung (BMBF)                   Franke-Rupp wird weiterhin die Koordi-         gestörter DNA Reparatur (ADDRess)
                                                                                                     Prof. Dr. med. Christian Kratz
Forschungsverbünde für seltene Erkran-                nierungsstelle managen, mit Verstärkung        Medizinische Hochschule Hannover
kungen an der Schnittstelle zwischen                  durch Frau Dr. Corinna Schultheis. Be-
Grundlagenforschung und Klinik. Das Pro-              sonderer Dank gilt an dieser Stelle Prof.      Erforschung von autoimmunen Enzephalitiden
gramm ist äußerst erfolgreich: die bislang            Christoph Klein, der als Koordinator des       (CONNECT GENERATE)
                                                                                                     PD Dr. med. Frank Leypoldt
geförderten Forschungsverbünde haben                  PID-NET von 2011 – 2019 auch Sprecher
                                                                                                     Universitätsklinikum Kiel
entscheidend zum Fortschritt in ihrem je-             der Koordinierungsstelle war und in dieser
weiligen Gebiet beigetragen und sind inter-           Zeit hervorragende Arbeit geleistet hat.       Deutsches Netzwerk für die Erforschung und
national äußerst sichtbar und anerkannt.                                                             Therapieoptimierung von Patienten mit Multi-
                                                      In der aktuellen Ausgabe erhalten Sie          Organ-Autoimmunerkrankungen (GAIN)
                                                                                                     Prof. Dr. med. Bodo Grimbacher
Einige Verbünde haben 2019 die Höchst-                Einblick in die Arbeit der Forschungs-         Universitätsklinikum Freiburg
dauer von drei Finanzierungsperioden                  verbünde Treat-ION und mitoNET sowie
erreicht und wurden daher in die „Verste-             Kurzzusammenfassungen aktueller Pub-           Deutsches Netzwerk für RASopathieforschung
tigung“ entlassen. Wir wissen alle, wie               likationen aus den Verbünden.                  (GeNeRARe)
                                                                                                     Prof. Dr. med. Martin Zenker
schwierig dieser Prozess der Verstetigung
                                                                                                     Universitätsklinikum Magdeburg
ist und wollen die Alumni-Verbünde weiter             Auch auf internationaler Ebene hat sich
begleiten und aus der post-BMBF-Phase                 einiges getan. So hat das Thema seltene        Translationales Netzwerk zu hereditären
berichten lassen.                                     Erkrankungen nun erstmals Erwähnung            intrahepatischen Cholestasen (HIChol)
                                                                                                     Prof. Dr. med. Verena Keitel-Anselmino
                                                      gefunden sowohl in einer politischen Er-
                                                                                                     Universitätsklinikum Düsseldorf
Wo etwas endet, beginnt etwas Neu-                    klärung der Vereinten Nationen über die
es: für die Förderperiode 2019 bis 2022               universelle Grundversorgung (Universal         Deutsches Netzwerk für mitochondriale
werden wieder 11 Forschungsverbünde                   Health Coverage, UHC), als auch im             Erkrankungen (mitoNET)
neu oder weiter gefördert. Diese sind                 Jahresbericht 2019 des Büros des Hoch-         Prof. Dr. med. Thomas Klopstock
                                                                                                     Universitätsklinikum München (LMU)
in der rechten Spalte aufgeführt; unter               kommissars für Menschenrechte der UN
www.research4rare.de stellen sie sich vor.            (OHCHR) an den UN-Wirtschafts- und So-         Entwicklung von Früherkennungs- und Behand-
                                                      zialrat (ECOSOC). Dies gibt den Lobbyor-       lungsstrategien für junge Menschen mit Prädispo-
Ein Novum: das mitoNET ist nach drei                  ganisationen, die wesentlich zu diesem Er-     sition für myeloische Neoplasien (MyPred)
                                                                                                     Dr. med. Miriam Erlacher
Jahren Förder-Pause „wiedereingestie-                 folg beigetragen haben, die Möglichkeit,
                                                                                                     Universitätsklinikum Freiburg
gen“ und erhält seit Mai 2019 BMBF-Fi-                die Rechte von Menschen mit seltenen
nanzierung für die dritte Förderperiode.              Erkrankungen im Gesundheitswesen               Netzwerk für frühkindliche zystische
Das Beispiel gibt Hoffnung für andere Ver-            verstärkt einzufordern.                        Nierenerkrankungen (NEOCYST)
bünde, die ihre drei Förderperioden noch                                                             Prof. Dr. med. Martin Konrad
                                                                                                     Universitätsklinikum Münster
nicht ausgeschöpft haben.                             Diese sowie weitere spannende Entwick-
                                                      lungen stellen wir Ihnen heute in unserem      Netzwerk für die seltene Nierenerkrankung
Weitere hervorragende Nachrichten:                    Newsletter vor.                                Idiopathische FSGS (STOP-FSGS)
Unsere Koordinierungsstelle für die For-                                                             Prof. Dr. med. Marcus Moeller
                                                                                                     Universitätsklinik RWTH Aachen
schungsverbünde für seltene Erkrankun-                Mit den besten Grüßen,
gen (Research4Rare) wird vom BMBF                                                                    Translationale Forschung zur hereditären
für weitere drei Jahre gefördert, vom                                                                spastischen Paraplegie (TreatHSP.net)
01.10.2019 bis 30.09.2022. Beim Jahres-                                                              PD Dr. med. Rebecca Schüle
treffen der Forschungsverbünde im April                                                              Universitätsklinikum Tübingen
2019 wurde Prof. Thomas Klopstock, der                                                               Neue Therapien für neurologische Ionenkanal-
Koordinator des mitoNET, zum neuen                                                                   und Transporterstörungen (Treat-ION)
Sprecher des Sprecherrats und Leiter                  Ihr Prof. Dr. Thomas Klopstock                 Prof. Dr. med. Holger Lerche
                                                                                                     Universitätsklinikum Tübingen
Research for Rare ist das Netzwerk der Forschungsverbünde für seltene Erkrankungen. Gefördert wird
das Netzwerk vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). Im Zentrum der wissen-
schaftlichen Aktivitäten der Verbünde steht der von einer seltenen Erkrankung betroffene Patient.
Unter www.research4rare.de finden Sie weitere Informationen.
Liebe Leserinnen und Leser, Research for Rare
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Interview

Neue Therapien für neurologische Ionenkanal- und
Transporterstörungen (Treat-ION)
Herr Professor Lerche, was sind Ionenka-                                                                4-Aminopyridin, ein bereits zugelassenes
nal- und Transporterstörungen?                                                                          Arzneimittel, das spezifisch diese Gruppe
Bei Ionenkanälen und Transportern handelt                                                               von Kanälen blockiert. Wir haben mit der
es sich um Proteine in den Zellmembranen                                                                Therapie bei einzelnen Patienten begonnen.
von Nervenzellen, die für den Ionenaus-                                                                 Einige der bislang behandelten Patienten
tausch über die Membran und somit für die                                                               mit häufigen Anfällen, die auf herkömmliche
elektrische Erregbarkeit der Zellen verant-                                                             Antiepileptika nicht ansprachen, wurden an-
wortlich sind. Defekte in Genen, die für Ka-                                                            fallsfrei. Fast alle Patienten verbesserten
näle oder Transporter kodieren, können den                                                              sich hinsichtlich Aufmerksamkeit, Motorik,
Ionenfluss über der Membran verändern,                                                                  Sprache und sozialer Interaktion. Wir ha-
dadurch die elektrische Erregbarkeit der                                                                ben ganz ähnliche Prinzipien bei anderen
Nervenzellen beeinflussen und eine erhöh-                                                               Ionenkanaldefekten entdeckt, denen wir in
te oder verminderte Erregbarkeit einzelner                                                              dem neuen Verbund nachgehen werden.
Nervenzellen, Nervenzellgruppen oder gan-
zer Netzwerke auslösen. Solche Störungen                                                                Was planen Sie in der neuen Förderpe-
                                                                Prof. Dr. Holger Lerche
können zu neurologischen Erkrankungen                                                                   riode?
                                                 Koordinator Treat-ION, Universitätsklinikum Tübingen
führen, wie genetisch bedingten Epilepsi-                                                               Mit dem neuen Förderprojekt Treat-ION
en, Migräne, Autismus oder episodischen                                                                 erhoffen wir uns mit einem Netzwerk
und chronischen Ataxien. Aufgrund grund-         ren, welche ein neues Krankheitsspektrum               aus Klinikern und Wissenschaftlern in
sätzlich verwandter pathophysiologischer         innerhalb der Gruppe der entwicklungsbe-               ganz Deutschland seltene neurologische
Mechanismen dieser Erkrankungen gelten           dingten und epileptischen Enzephalopathien             ­Ionenkanal- und Transportererkrankungen
oft ähnliche therapeutische Prinzipien, die      definieren. Diese schweren frühkindlichen               früher zu erkennen und daher auch früher
krankheitsübergreifend angewendet werden         Epilepsien sind mit Entwicklungsstörungen,              behandeln zu können. Das Hauptziel dieser
können.                                          Intelligenzminderung und weiteren neu-                  Förderperiode ist es, die Kenntnisse aus
                                                 ropsychiatrischen Symptomen verbunden.                  genetischen und pathophysiologischen Stu-
Wie viele Menschen sind davon betroffen?                                                                 dien für noch mehr individualisierte Thera-
Die sogenannten Kanalopathien sind sehr          Interessanterweise konnten wir für die be-              piemöglichkeiten zu nutzen. Mit Hilfe von
seltene Erkrankungen und weisen geschätzt        troffenen Patienten einen Genotyp-Phäno-                Zell-, Tier- und humanen Modellen möchten
eine Prävalenz von 35:100.000 auf, wir spre-     typ-Zusammenhang herstellen. Die von uns                wir neue verfügbare Behandlungsmöglich-
chen also von annähernd 30.000 Betroffe-         gefundenen KCNA2-Mutationen beeinträch-                 keiten zum einen gezielt in Datenbanken
nen in Deutschland. Die betroffenen Patien-      tigen die Funktionalität des Kaliumkanals auf           suchen (nicht alle solche Therapien liegen
ten und ihre Familien leiden dabei unter einer   unterschiedliche Arten: Bei einigen Patien-             auf der Hand, es gibt aber viele Medika-
hohen Krankheitsbelastung. Die Symptome          ten ist der Kaliumfluss stark eingeschränkt.            mente, deren spezifische Wirkung man
der Patienten reichen von vorübergehen-          Diese Patienten zeigten eine milde geistige             über Datenbanken herausfinden kann),
den oder permanent andauernden Gang­             Behinderung und entwickelten ab dem Klein-              und zum zweiten diese Medikamente in
störungen, schwerer Parese, Episoden mit         kindalter fokale epileptische Anfälle, die sich         Experimenten testen. Der Fokus liegt auf zu-
Bewusstseinsverlust, epileptischen Anfällen      bis zum Jugendalter meist wieder verlor. Die            gelassenen und damit bereits verfügbaren
bis hin zu schweren Schmerzen.                   zweite Gruppe von Patienten zeigte hinge-               Medikamenten. Vorteil dieses sogenannten
                                                 gen eine stark gesteigerte Kanalfunktion,               „drug repurposing“ ist es, dass wir von dem
Sie haben von 2011-2015 bereits einen            welche mit anhaltender generalisierter Epi-             bereits vorhandenen Wissen über solche
Forschungsverbund zu Ionenkanaler-               lepsie mit früherem Beginn sowie schwe-                 Medikamente profitieren können.
krankungen mit BMBF-Förderung gelei-             reren Entwicklungsproblemen einhergeht.
tet. Was haben Sie bisher erreicht?              Eine dritte Gruppe trägt Muta­tionen, die
Im letzten Forschungsverbund konnten wir         sowohl einen Funktionsverlust, als auch ei-
eine Reihe weiterer Gene identifizieren, in      nen Funktionsgewinn bewirkten; sie zeigten
denen Mutationen genetische Epilepsien           interessanterweise den schwersten Phäno-               Kontakt:
verursachen. Durch funktionelle Untersu-         typ mit schweren Entwicklungsproblemen,                Prof. Dr. Holger Lerche
chungen der unterschiedlichen Gendefekte         generalisierten und fokalen Epilepsien mit             Zentrum für Neurologie
konnte der pathophysiologische Mechanis-         teilweise neonatalem Beginn.                           Hertie-Institut für klinische Hirnforschung
mus defekter Ionenkanäle besser verstan-                                                                Abteilung Neurologie mit Schwerpunkt Epilep-
den werden und Hinweise auf Therapie­            Hat Ihnen die bisherige Arbeit geholfen,               tologie
optionen geben. Ein Beispiel hierfür ist das     die Erkrankungen besser zu verstehen?                  Universitätsklinikum Tübingen
Gen KCNA2, welches für den spannungsab-          Aus unseren Erkenntnissen ergibt sich un-              Hoppe-Seyler-Straße 3, 72076 Tübingen
hängigen Kaliumkanal KV1.2 kodiert. In die-      mittelbar eine neue, individuelle Therapie-            Tel: +49 7071 29 80466
sem Kanal konnten wir mehrere Mutationen         möglichkeit für die schwerer betroffenen                Fax +49 7071 29 4488
identifizieren und funktionell charakterisie-    Patienten mit gesteigerter Kanalfunktion:               E-Mail: holger.lerche@uni-tuebingen.de
Liebe Leserinnen und Leser, Research for Rare
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Portrait

Deutsches Netzwerk für
mitochondriale Erkrankungen
“Any symptom, any organ, any age”                                                                     Derzeit wird zudem an einem globalen Re-
                                                                                                      gister gearbeitet (Förderung über das E-Ra-
Dieses Zitat von A. Munnich (1996) beschreibt                                                         re-Projekt GENOMIT).
die extreme Heterogenität und Komplexität
mitochondrialer Erkrankungen am besten:                                                               Die mitoNET-Biomaterialbank, angesiedelt
es kann jedes Organ in jedem Alter betroffen                                                          an der TU München, enthält bereits über
sein, es gibt eine unzählige Vielfalt an Symp-                                                        7.500 Proben. Auch diese soll mit einem
tom-Konstellationen.                                                                                  global repository verknüpft werden, um das
                                                                                                      Wissen über die diversen mitochondrialen
Zu den klassischen mitochondrialen Erkran-                                                            Erkrankungen und der ihnen zugrundeliegen-
kungen zählen die Chronisch Progressive                                                               den Mechanismen noch besser erforschen
Externe Ophthalmoparese (CPEO), die mit                                                               zu können.
hängenden Augenlidern und einer Schwäche
der äußeren Augenmuskeln einhergeht, die                                                              Im Teilprojekt mitoGENE wurden in den letz-
Lebersche Hereditäre Optikus-Neuropathie                     Prof. Dr. Thomas Klopstock               ten Jahren mittels Exomsequenzierung mehr
(LHON), die zur Sehminderung bis hin zur          Koordinator mitoNET, Universitätsklinikum München   als 40 neue Krankheitsgene identifiziert. In
Erblindung führt sowie die Mitochondriale                                                             der neuen Förderphase sollen mittels RNA-
Enzephalomyopathie mit Laktat-Azidose und                                                             und Whole Genome-Sequenzierungen wei-
Schlaganfall-ähnlichen Ereignissen (MELAS),       Insgesamt finden sich somit unter dem Ober-         tere Gendefekte erkannt und damit die dia-
eine schwere multisystemische Erkrankung.         begiff der mitochondrialen Erkrankungen mehr        gnostische Unsicherheit bei den betroffenen
                                                  als 300 einzelne Syndrome, jedes für sich ge-       Patienten gelöst werden.
Diese klassischen Erkrankungen beruhen            nommen selten, zusammen aber ca. 1 von
auf Mutationen der mitochondrialen DNA            4.000 Menschen betreffend.                          Weitere Teilprojekte in der neuen Förderpha-
(mtDNA) selbst. Von den ca. 1.500 Proteinen,                                                          se beschäftigen sich mit der funktionellen
die für Struktur und Funktion der Mitochondri-    Das seit 2009 etablierte Verbundprojekt             Validierung gefundener Sequenzvarianten,
en erforderlich sind, sind aber nur 13 mtDNA-     mitoNET hat sich zum Ziel gesetzt, die Grund-       mit der Untersuchung molekularer Pathome-
codiert. Die überwiegende Zahl an Eiweißen        lagenforschung zu mitochondrialen Erkran-           chanismen mittels Proteomics, mit der Identi-
wird nukleär codiert und die entsprechenden       kungen weiter voranzutreiben und eine bes-          fikation möglicher Biomarker über Metabolo-
Proteine dann über einen speziellen Mecha-        sere Diagnostik und Therapie mitochondrialer        mics, sowie mit der Evaluation von tragbaren
nismus in die Mitochondrien importiert. Derzeit   Erkrankungen zu erreichen.                          Aktivitätsmonitoren als neue Endpunkte für
sind bereits mehr als 300 nukleäre Gendefekte                                                         klinische Studien.
identifiziert, die größtenteils einem autosomal   Förderung durch das BMBF
rezessiven Erbgang folgen.                        Das Bundesministerium für Bildung und For-          Die Forschungsergebnisse des Netzwerks
                                                  schung (BMBF) hatte das mitoNET zunächst            wurden in bisher über 150 Publikationen
                                                  im Zeitraum 2009 – 2015 gefördert. Durch            veröffentlicht. Das mitoNET hat in den letz-
                                                  seine sehr gute Verstetigung nach 2015 ist          ten Jahren wesentlich zu Fortschritten der
                                                  es dem Netzwerk gelungen, 2019 erneut im            mitochondrialen Medizin beigetragen. Auch
                                                  Förderprogramm des BMBF zu translations-            in Zukunft ist das Ziel, die Diagnostik und
                                                  orientierten Verbundvorhaben im Bereich der         Therapie mitochondrialer Erkrankungen zu
                                                  seltenen Erkrankungen aufgenommen zu wer-           verbessern und das Leben der betroffenen
                                                  den. Zur nachhaltigen Entwicklung des Netz-         Patienten zu erleichtern.
                                                  werks außerhalb der Förderung durch das
                                                  BMBF trug u.a. der eigens gegründete Verein
                                                  mitoNET e.V. mit seinen Fördermitgliedschaften
                                                  sowie die Einwerbung von EU-Drittmitteln für das
                                                  Projekt GENOMIT bei, das auf internationalem        Kontakt:
                                                  Level ähnliche Ziele wie das mitoNET verfolgt.      Prof. Dr. Thomas Klopstock
                                                                                                      Friedrich-Baur-Institut
                                                  In der jetzigen dritten Förderphase (2019-          an der Neurologischen Klinik und Poliklinik
                                                  2022) mit sieben Teilprojekten kann das             Klinikum der Universität München
                                                  mitoNET auf seine bewährte Infrastruktur            Ziemssenstraße 1a, 80336 München
                                                  und weitreichende Vor-Ergebnisse aufbauen:          Tel.: +49 089 4400-57400
                                                  u. a. wurde ein Patientenregister aufgebaut,        E-Mail: thomas.klopstock@med.uni-muenchen.de
                                                  das mittlerweile über 1.500 Patienten enthält,      Web: www.mitoNET.org
                                                  inklusive Verlaufsdaten.
Liebe Leserinnen und Leser, Research for Rare
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Aus den Verbünden

Preisverleihung an Teams des CMT-NET

Für jüngste Erfolge in der Erforschung einer seltenen Erkran-
kung des peripheren Nervensystems erhielten Dr. rer. nat.
Robert Fledrich und Dr. med. Ruth Martha Stassart von der
Universität Leipzig den Dr. Holger Müller Preis 2018

Die im BMBF-Forschungsverbund Charcot-Marie-Tooth engagierten           Targeting myelin lipid metabolism as a potential therapeutic
Wissenschaftler Dr. rer. nat. Robert Fledrich (Institut für Anatomie    strategy in a model of CMT1A neuropathy
der Universität Leipzig und Max-Planck-Institut für Experimentelle      Fledrich R, Abdelaal T, Rasch L, Bansal V, Schütza V, Brügger
Medizin) und Dr. med. Ruth Martha Stassart (Oberärztin der Abtei-       B, Lüchtenborg C, Prukop T, Stenzel J, Rahman RU, Hermes D,
lung Neuropathologie der Universität Leipzig und Max-Planck-Insti-      Ewers D, Möbius W, Ruhwedel T, Katona I, Weis J, Klein D, Martini
tut für Experimentelle Medizin) und ihre Teams haben eine mögliche      R, Brück W, Müller WC, Bonn S, Bechmann I, Nave KA, Stassart
Behandlung der Charcot-Marie-Tooth-Erkrankung, kurz CMT1A,              RM, Sereda MW.
entdeckt. Die Krankheit galt bislang als unheilbar.                     Nat Commun. 2018 Aug 2;9(1):3025

Etwa 30.000 Patienten leiden in Deutschland an der Charcot-Ma-
rie-Tooth-Erkrankung. Sie ist die häufigste vererbliche Erkrankung
des peripheren Nervensystems, gilt aber mit einer Häufigkeit von
1:5000 als seltene Erkrankung. Aufgrund eines Gendefektes (der
Verdopplung des Gens für das periphere Myelinprotein „PMP22“)
entwickeln die be­trof­fen­en Patienten eine langsam fortschreitende
Nervenschädigung, die zu Geh­schwie­rig­keiten bis hin zur Rollstuhl-
gebundenheit und zu Sensibilitätsstörungen wie Taub­heit, Kribbeln
und Schmerzen führt. Die ersten Symptome können bereits im
Kin­des­alter auftreten. Obwohl der zugrundeliegende Gendefekt
der CMT1A Erkrankung bereits seit 25 Jahren bekannt ist, sind
die Erkrankungsmechanismen nach wie vor wenig verstanden und
therapeutische Optionen für Patienten bisher nicht verfügbar.

In ihrer aktuellen Forschungsarbeit fanden die Leipziger Wissen-
schaftler Dr. Fledrich und Dr. Stassart mit Hilfe von genetisch
veränderten Nagetiermodellen heraus, dass die Gliazellen des
peripheren Nervensystems, die Schwannzellen, in der CMT1A
Erkrankung während der Ent­wick­lung einen Defekt des Fettstoff-
wechsels aufweisen. Schwannzellen ummanteln normalerweise die
Nervenfasern mit einer fettreichen Isolationsschicht, dem Myelin,
was die schnelle Weiterleitung elektrischer Impulse sicherstellt.
In der CMT1A Erkrankung, so konnten die Wissenschaftler nun
zeigen, ist die Myelinproduktion in Folge des defekten Fettstoff-
wechsels gestört, was zu einer Beeinträchtigung der Nervenfunktion
führt. In Experimenten mit an CMT1A erkrankten Ratten konnten
Fledrich und Stassart nachweisen, dass sich die Myelinproduktion
der Schwannzellen durch Verabreichung von Lecithin verbessern
lässt. Lecithin ist ein Nahrungsergänzungsmittel und wird aus Soja
oder Eigelb gewonnen. Die Wissen­schaftler arbeiten nun daran,
die neu gewonnenen Erkenntnisse aus dem CMT1A Tiermodell für
Patienten nutzbar zu machen. Die Ergebnisse der Studie sind sehr
vielversprechend und lassen sich möglicherweise auch auf andere
ähnliche Er­krankungen übertragen.
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Aus den Verbünden

Paper of the Month
Jeden Monat kürt Research for Rare eine Publikation aus dem Kreis der Forschungsverbünde und verfasst eine Kurzzusammenfassung.
Diese können Sie gesammelt hier einsehen: Paper

Paper of the Month Oktober 2019                                         Paper of the Month September 2019
Artificial intelligence in nephropathology                              SSBP1 mutations cause mtDNA depletion underlying a com-
Nature Reviews Nephrology 2019 Oct 9. [Epub ahead of print]             plex optic atrophy disorder
Peter Boor                                                              The Journal of Clinical Investigation 2019 Sep 24. [Epub ahead of print]
                                                                        Del Dotto V, Ullah F, Di Meo I, Magini P, Gusic M, Maresca A, Caporali L, Pa-
Der diskutierte Aufsatz wurde im Rahmen des Forschungsverbunds          lombo F, Tagliavini F, Baugh EH, Macao B, Szilagyi Z, Péron C, Gustafson MA,
STOP-FSGS erarbeitet. Die Nephropathologie ist ein komplexes,           Khan K, La Morgia C, Barboni P, Carbonelli M, Valentino ML, Liguori R, Shashi
hochtechnisches und diagnostisch anspruchsvolles Spezialfach            V, Sullivan JA, Nagaraj S, El-Dairi M, Iannaccone A, Cutcutache I, Bertini E,
der Pathologie und eine entscheidende Komponente für Diagno-            Carrozzo R, Emma F, Diomedi-Camassei F, Zanna C, Armstrong M, Page MJ,
severfahren in der Nephrologie. Die Nephropathologie befasst sich       Boesch S, Wortmann SB, Kopajtich R, Stong N, Sperl W, Davis E, Copeland WC,
hauptsächlich mit einer großen Anzahl verschiedener seltener bis        Seri M, Falkenberg M, Prokisch H, Katsanis N, Tiranti V, Pippucci T, Carelli V.
sehr seltener Krankheiten, für die es eine Reihe quantitativer und
semi-quantitativer Scoringsysteme gibt. Diese Systeme sollen die        Das “Single strand binding protein 1“ (SSBP1) ist ein Schlüssel-
Vorhersagekraft in Bezug auf den Krankheitsverlauf oder die Be-         protein für die Replikation der mitochondrialen DNA (mtDNA).
handlungsentscheidungen verbessern, stellen jedoch einen zusätz-        Zusammen mit der DNA-Polymerase POLG und der Helikase
lichen Arbeitsaufwand für die abnehmende Anzahl von Nephropa-           Twinkle bildet es das „minimale“ Replisom. Die Komponenten des
thologen dar und haben häufig eine schlechte Reproduzierbarkeit,        mitochondrialen Replisoms sowie der „salvage pathways“, die eine
die ihre Nützlichkeit einschränkt.                                      ausgewogene Verfügbarkeit von Nukleotiden gewährleisten, haben
Die jüngsten Technologieentwicklungen (z.B. whole slide scanner,        eine zweifache Bedeutung.
Rechenpower und Speicherkapazität) ermöglichen eine effektive           Erstens sind diese Proteine für die Replikation von mtDNA ver-
Digitalisierung der Pathologie - weg von den Mikroskopen hin zu         antwortlich, eine in den letzten Jahren viel diskutierte Aufgabe,
Computerbildschirmen und vollständig digitalen Arbeitsabläufen.         und stellen somit entscheidende Faktoren für die Biologie dieser
Dies eröffnet enorme Möglichkeiten für die digitale Bildanalyse.        Organellen dar. Und zweitens hat sich in den letzten 3 Jahrzehnten
Besonders vielversprechend für die Pathologiediagnostik sind            herausgestellt, dass die meisten dieser Proteine auch humanpatho-
hierbei Entwicklungen der künstlichen Intelligenz und vor allem         logische Bedeutung haben. Demnach haben Mutationen in diesen
das Deep Learning.                                                      Genen das Potenzial, die mtDNA-Replikation zu beeinträchtigen,
In dem hervorgehobenen Artikel erörtert der Autor die jüngsten          was zur Depletion mitochondrialer DNA führt und meist sehr schwe-
Entwicklungen bei der Anwendung von Deep Learning in der                re und tödliche Erkrankungen des Kindesalters hervorruft.
Nephropathologie. Die Grundkonzepte des Deep Learning und               Ebenso können allelische Mutationen in den gleichen Genen mit
insbesondere die für die Bilder verwendete Rechenarchitektur, die       der Zeit auch zu einer Anhäufung von mtDNA-Fehlern in post-mito-
sogenannten Convolutional Neural Networks, werden diskutiert.           tischem Gewebe führen, insbesondere zu multiplen mtDNA-De-
Eine beispielhaft aufgeführte Anwendung ist die Automatisierung         letionen in Muskeln und im Gehirn. Bei solchen Erkrankungen
von Routineaufgaben in der quantitativen Pathologie. Dies könnte        handelt es sich um spät einsetzende Phänotypen, die von einer
zukünftig eine erhebliche Zeitersparnis erzielen sowie eine repro-      chronisch-progressiven externen Ophthalmoplegie (CPEO) domi-
duzierbare quantitative Pathologie als Grundlage für die aus der        niert werden und unter Umständen auch mit einer Multisystembe-
Gewebehistologie abgeleitete Präzisionsmedizin bereitstellen. Es        teiligung verbunden sein können.
werden auch andere Anwendungen besprochen, wie die Vorher-              Obwohl SSBP1 eines der ersten untersuchten Schlüsselproteine
sage molekularer Veränderungen (in der Onkopathologie), die für         ist, fehlte es seit rund 30 Jahren in der Liste der Gene, die mit
Pathologen bisher nicht möglich waren.                                  den mitochondrialen Erkrankungen aus der Gruppe der „mtDNA
Die gegenwärtig noch zahlreichen Einschränkungen in diesem              maintenance defects“ assoziiert sind. Die vorliegende Arbeit (und
neuen Forschungsbereich werden ebenfalls angesprochen. Dazu             weitere Veröffentlichungen in der gleichen Journal-Ausgabe) zeigt,
zählen auch die mangelnde Erklärbarkeit der Modelle und die feh-        dass eine Erkrankung aus dem Formenkreis der Optikus-Atro-
lenden annotierten Datensätze zum Trainieren und Entwickeln von         phien sowie eine Transplantations-pflichtige Niereninsuffizienz
Deep Learning-Modellen. Der Bildungsbedarf für eine neue Ge-            bei Erwachsenen mit dominanten und bei Kindern mit rezessiven
neration von Pathologen wird diskutiert.                                SSBP1-Mutationen auftreten kann.
Schließlich fasst der Aufsatz die künstliche Intelligenz in der digi-   Die aktuelle Studie wurde in internationaler Zusammenarbeit und
talen Pathologie als bahnbrechende Entwicklung zusammen, die            mit mitoNET-Partnern durchgeführt. Die Forschungsarbeit umfass-
die Art und Weise, wie Pathologie durchgeführt wird, verändern          te Untersuchungen von Patienten-Geweben und Fibroblasten-Zellli-
wird. Diese Methode bleibt dennoch, wie auch andere Techniken           nien, sowie in-vitro-Experimente. Die Autoren verdeutlichen mit den
(z.B. die molekulare Pathologie) ein Teil der Pathologie und kann       Ergebnissen, dass die identifizierten SSBP1-Mutationen zu einer
nur von oder zusammen mit Pathologen angewendet und inter-              reduzierten Effizienz der mtDNA-Replikation und einer teilweisen
pretiert werden.                                                        mtDNA-Depletion führen. Dies bedingt in den meisten Fällen eine
                                                                        funktionelle Beeinträchtigung der Mitochondrien.

Kommentar von:                                                          Kommentar von:
Prof. Dr. Peter Boor, Universitätsklinikum Aachen                       Dr. Holger Prokisch, Technische Universität München
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Aus den Verbünden

Paper of the Month August 2019                                              Paper of the Month Juli 2019
Management of Tamm-Horsfall Protein for Reliable Urinary                    Mutations in SMARCB1 and in other Coffin-Siris syndrome
Analytics                                                                   genes lead to various brain midline defects
Xu X, Barreiro K, Musante L, Kretz O, Lin H, Zou H, Huber TB, Holthofer H   Filatova A, Rey LK, Lechler MB, Schaper J, Hempel M, Posmyk R,
Proteomics Clin Appl. 2019 Aug 19 [Epub ahead of print]                     Szczaluba K, Santen GWE, Wieczorek D, Nuber UA
                                                                            Nat Commun. 2019 Jul 4;10(1):2966.
Im Urin enthaltene extrazelluläre Vesikel (uEVs) sind kleine (30–
400nm im Durchmesser), von einer Phospholipid–Doppelmembran                 Das Coffin-Siris-Syndrom ist eine vermutlich viel zu selten diag-
umgebene Strukturen, die aktiv von allen Zelltypen des Nephrons             nostizierte, komplexe Entwicklungsstörung mit unterschiedlichen
und der ableitenden Harnwege sezerniert werden. Sie haben ihren             Symptomen und verschiedenen zugrundeliegenden genetischen
Ursprung entweder im endosomalen Kompartiment oder direkt von               Veränderungen, die spontan auftreten. Typisch sind eine generelle
Evaginationen der Zellmembran. Die Vielzahl unterschiedlicher               Verzögerung der Entwicklung, eine Minderung der Intelligenz und
uEVs, die man im Urin nachweisen kann, stellen eine Moment-                 ein reduziertes Sprachvermögen. Die Betroffenen zeigen auch
aufnahme pathophysiologischer Prozesse in der Niere und im                  körperliche Auffälligkeiten: Sie sind klein, haben unter anderem
gesamten Körper dar, da EVs in der Niere aus der systemischen               dichte Augenbrauen, einen breiten Nasenrücken, tief angesetzte
Blutzirkulation gefiltert werden.                                           Ohren, einen breiten Mund und charakteristische Veränderungen
Somit stellt die Analyse der uEVs einen vielversprechenden Ansatz           an den Finger- und Zehennägeln. Viele Betroffene leiden auch
dar, um dynamische molekulare Informationen zu frühen patholo-              unter Epilepsie, haben Augen- oder Herzprobleme oder andere
gischen Veränderungen unterschiedlicher (renaler) Erkrankungen,             organische Symptome.
Voraussagen zu ihrem Verlauf oder dem Ansprechen auf Therapie               Professorin Ulrike Nuber von der TU Darmstadt hat anhand eines
zu erlangen. In diesem Zusammenhang hat eine Arbeitsgruppe                  Mausmodells gezeigt, welche strukturellen Veränderungen bei
des STOP-FSGS Konsortiums ein robustes, standardisiertes Pro-               dieser Entwicklungsstörung im Gehirn möglich sind und zusammen
tokoll zur Isolation von uEVs etabliert, da ein solches bislang nicht       mit klinischen Kollegen nachgewiesen, dass solche Veränderun-
verfügbar war.                                                              gen auch tatsächlich bei den Betroffenen vorhanden sind, und
Insbesondere Tamm–Horsfall Protein (THP; Uromodulin), das häu-              zwar in unterschiedlichem Ausmaß. Das von dem Forscherteam
figste und glykanreiche Glykoprotein im Urin, kann eine große Men-          zusammen mit dem BMBF-geförderten Forschungsnetzwerk Chro-
ge von uEVs binden. THP stellt daher eine störende Kontamination            matin-Net erarbeitete Wissen wird helfen, die klinische Diagnose-
bei der Durchführung von Urinanalysen dar. In der vorliegenden              stellung zu verbessern und liefert möglicherweise Ansatzpunkte
Studie wurden uEVs mittels hydrostatischer Filtrationsdialyse (HFD)         für eine Behandlung.
isoliert und mit einer definierten Harnstofflösung behandelt, um die        Nuber wollte mit dem Mausmodell klären, was genau passiert,
Freisetzung von uEVs zu optimieren. Dieses Protokoll garantiert             wenn ein Gen verändert wird, dessen Protein-produkt zu einem
gegenüber gängigen Verfahren eine Anreicherung von isolierten               Komplex gehört, der die DNA für das Ablesen der Gene freiräumt.
uEVs, wobei gleichzeitig die Kontamination signifikant reduziert            Es war bekannt, dass Mutationen in diesem Gen zu Krebs und
wurde, wie transmissions-elektronenmikroskopische, Western                  Entwicklungsstörungen führen können. Nuber und ihr Team beob-
blot und Proteom-Analysen zeigten.                                          achteten, dass Mäuse, bei denen die Aktivität des SMARCB1-Gens
Laut der Autoren erfüllt das Verfahren die Anforderungen eines              in Gehirnstammzellen gedrosselt ist, markante Verände-rungen im
klinischen Forschungslabors und erlaubt eine schnelle und einfache          Gehirn zeigten. Zum einem war das Gehirn der Tiere viel zu klein,
Probenaufarbeitung zur weiteren Analyse. Das Management der                 zum anderen zeigte es auffällige Mittelliniendefekte. Bei vielen
THP Kontamination kann einfach in jeglichen uEVs Isolierungspro-            Mäusen waren etwa die Nervenfaserbündel, die rechte und linke
zess integriert werden und bietet erhebliche Vorteile bei verschie-         Gehirnhälfte miteinander verbinden, unterentwickelt oder fehlten
densten nachfolgenden Analyseverfahren.                                     ganz. Viele Mäuse hatten zudem krankhafte Veränderun-gen im
In Anbetracht der zunehmenden Bedeutung von uEVs als Biomar-                Kleinhirn und in der Mitte des Vorderhirns. Außerdem war die Struk-
ker renaler und systemischer Erkrankungen ist das hier im Detail            tur, welche die Gehirnflüssigkeit produziert, zu groß.
beschriebene Protokoll von breitem Interesse.                               Da SMARCB1-Mutationen bereits als krankheitsverursachende
                                                                            Veränderung beim Coffin-Siris-Syndrom bekannt sind, bat Nuber
                                                                            Professor Dagmar Wieczorek, Direktorin des Instituts für Human-
                                                                            genetik an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und Pro-
                                                                            jektleiterin im Chromatin-Net, sowie weitere Wissenschaftler, die
                                                                            MRT-Scans von Betroffenen noch einmal mit Blick auf die neuen
                                                                            Erkenntnisse auszuwerten. Die detaillierte Analyse zeigte, dass
                                                                            die Betroffenen ein ähnliches Spektrum an strukturellen Verände-
                                                                            rungen aufweisen, was in diesem Ausmaß vorher nicht bekannt
                                                                            gewesen ist.
                                                                            Durch die Erkenntnisse aus dem Mausmodell wissen die Ärzte nun,
                                                                            nach was sie auf den MRT-Scans genau suchen müssen. Dies ist
                                                                            ein ganz wichtiges Zusatzwissen für die Diagnostik. Die Mäuse
                                                                            mit der gedrosselten Aktivität des SMARCB1-Gens sind auch ein
                                                                            wichtiges Tiermodell, um mögliche Therapieansätze zu testen.

Kommentar: PD. Dr. Oliver Kretz, Universitätsklinikum Hamburg               Der Text ist mit freundlicher Genehmigung auf Basis einer Pressemit-
                                                                            teilung der TU Darmstadt entstanden.
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Neueste Entwicklungen

INTERNATIONAL

Aufnahme seltener Erkrankungen in den Jahresbericht an den                Mit Prof. Dr. Dres. H.c. Paul Kirchhof und Prof. Dr. Christiane
ECOSOC und in die politische Erklärung der Vereinten Natio-               Woopen konnten renommierte Experten aus den Bereichen Ver-
nen über die universelle Grundversorgung (Universal Health                fassungsrecht und Ethik als Unterstützer gewonnen werden. Key-
Coverage, UHC)                                                            note Speakerin war die bekannte britische Kinderrechtsaktivistin
Das Büro des Hochkommissars für Menschenrechte der Vereinten              Dr. Gerison Lansdown.
Nationen (OHCHR) hat in seinem 2019 veröffentlichten Jahres-              Ein wichtiges Resultat der Tagung war die Ausarbeitung eines Plä-
bericht an den Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen          doyers für die Achtung der Rechte kranker Kinder, in dem konkrete
(ECOSOC) auf Menschen hingewiesen, die mit einer seltenen                 Forderungen an Gesellschaft und Politik formuliert werden. Die Er-
Krankheit leben.                                                          gebnisse der Konferenz sollen zudem in einem Tagungsband ver-
Am 23. September wurde nun erstmals in einer politischen Erklärung        öffentlicht werden. Sämtliche Vorträge wurden videoaufgezeichnet
der Vereinten Nationen angeregt, Menschen mit einer seltenen              und stehen auf der Website www.kranke-kinder-haben-rechte.de
Erkrankung in die allgemeine Gesundheitversorgung aufzunehmen.            zur Verfügung.
Yann Le Cam, Chief Executive Officer of EURORDIS-Rare Diseases            Dr. Carolin Ruther, Dr. v. Haunersches Kinderspital am Klinikum der Uni-
Europe, betont: “This is the most important health-related text in        versität München
the 15 years of the 2030 Agenda for Sustainable Development. It
reinforces and creates a dynamic in almost all countries in the world
to increase the percentage of the population (including people with       Kommission Seltene Erkrankungen der Deutschen Gesell-
rare diseases) benefitting from health coverage, to enlarge the list of   schaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ)
care services covered, and to increase the percentage of healthcare       Die DGKJ hat im März 2019 eine Kommission Seltene Erkran-
expenses covered by public resources. The declaration gives us            kungen berufen, die sich sich mit dem besonderen Aspekt der
the most robust grounds to date to move towards a UN resolution           Seltenen Erkrankungen in der Kinder- und Jugendmedizin befasst.
on rare diseases.”                                                        Mitglieder sind: Prof. Dr. Reinhard Berner (Dresden), Prof. Dr. Helge
Zur Stellungnahme von EURORDIS, Rare Diseases International und dem       Hebestreit (Würzburg), Prof. Dr. Georg Hoffmann (Heidelberg) und
NGO Committee for Rare Diseases                                           Prof. Dr. Heiko Krude (Berlin), Sachverständige: Prof. Dr. Dagmar
                                                                          Wieczorek (Düsseldorf).

BUNDESWEIT
                                                                          Bericht von der Nationalen Konferenz zu Seltenen Erkran-
Der Koalitionsvertrag der Bundesregierung betont:                         kungen (NAKSE) der ACHSE e.V., 26./27.9.2019
„Wir werden Kinderrechte im Grundgesetz ausdrücklich verankern.           ACHSE, der Dachverband von und für Menschen mit Seltenen
Kinder sind Grundrechtsträger, ihre Rechte haben für uns Verfas-          Erkrankungen, und die Zentren für Seltene Erkrankungen haben
sungsrang. Wir werden ein Kindergrundrecht schaffen.“                     auf ihrer Konferenz im September 2019 die Patientenseite, Me-
                                                                          dizin, Wissenschaft, Forschung und Industrie erfolgreich zusam-
Am 29. & 30. April 2019 fand in Tutzing am Starnberger See der            mengebracht.
1. Deutsche Kindergesundheitsgipfel als Expertentagung zur                Es ist vorgesehen, diese Konferenz in zwei Jahren zu wieder-
Bedeutung der Kinderrechte für die Kindermedizin statt. Ausge-            holen, um die Vernetzung weiter zu fördern und den Anliegen
richtet wurde die Tagung von der Akademie für Politische Bildung          und Bedürfnissen von Menschen mit seltenen Erkrankungen an
gemeinsam mit Vertreterinnen und Vertretern der 37 deutschen              Forschung, Medizin und Pflege weiterhin eine Plattform zu bieten.
Universitätskinderkliniken sowie in Kooperation mit der National          Zur Konferenzbroschüre
Coalition Deutschland.
Die Veranstaltung griff das Vorhaben der Bundesregierung auf, die
Kinderrechte in dieser Legislaturperiode im Grundgesetz zu ver-
ankern. Betroffen von dieser Verfassungsänderung wäre auch die
Kindermedizin, die infolge des Strukturwandels im Gesundheitswe-
sen derzeit vor großen Herausforderungen steht. Die zunehmende
Ökonomisierung des Medizinsystems bedroht nicht nur eine kind-
gerechte medizinische Versorgung auf hohem Niveau, sondern
erschwert auch die Achtung und Umsetzung von Kinderrechten
im klinischen Alltag.
Im Mittelpunkt des 1. Deutschen Kindergesundheitsgipfels stand
daher die Frage nach den konkreten Folgen der geplanten Grund-
gesetzänderung insbesondere für eine Verbesserung der Situation
kranker Kinder in unserer Gesellschaft. Die Schirmherrschaft hatte
die Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für
Gesundheit, Sabine Weiss, MdB, übernommen.
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 Informationen
 Veranstaltungen
 Publikationen

 Ausschreibung „Pre-clinical research        ERN-Webinars zu seltenen neurologi-             RE(ACT) Congress and IRDiRC Confe-
 to develop effective therapies for rare     schen und neuromuskulären Erkran-               rence: International Congress of
 diseases“                                   kungen (organisiert von den ERNs RND            Research on Rare and Orphan Diseases
                                             und EuroNMD)                                    11.-14.3.2020, Berlin
 Ausschreibung „Networking Support
 Scheme“                                     5. Rare Disease Symposium der Eva               The 10th European Conference on Rare
                                             Luise und Horst Köhler Stiftung. Digita-        Diseases & Orphan Products – ECRD
 Musterdatensatz 2020 zur Kodierung          lisierung: Chance oder Risiko?                  15./16.5.2020, Stockholm
 von Seltenen Erkrankungen                   27./28.2.2020, Berlin
                                                                                             IRDiRC-Report: State of Play of Research
                                                                                             in the Field of Rare Diseases: 2015-2018

Bisher geförderte Verbünde
                                            Ichthyosen (NIRK)                             Netzwerk für Neurologische und
Die folgenden Verbünde wurden im Zeit-
                                            Prof. Dr. Heiko Traupe,                       Ophthalmologische Ionenkanalerkran-
raum 2003 bis 2019 in einer oder mehreren   Universitätsklinikum Münster                  kungen (IonNeurONet)
Förderperioden vom Bundesministerium für                                                  Prof. Dr. Holger Lerche,
Bildung und Forschung (BMBF) gefördert.     Imprinting-Erkrankungen (Imprinting)          Universitätsklinikum Tübingen
Nähere Informationen erhalten Sie unter     Prof. Dr. Bernhard Horsthemke,
www.research4rare.de/alumni                 Universitätsklinikum Essen                    Neuronale Ceroid-Lipofuszinose
                                                                                          (NCL 2 TREAT)
Autoinflammatorische Syndrome bei           Kognitive chromatinbedingte Stö-              Prof. Dr. Braulke,
Kindern und Jugendlichen (AID-NET)          rungen (CHROMATIN-NET)                        Universitätsklinikum Hamburg - Eppendorf
Prof. Dr. Johannes Roth,                    Prof. Dr. André Reis,
Universitätsklinikum Münster                Universitätsklinikum Erlangen                 Primäre Immundefekte (PID-NET)
                                                                                          Prof. Dr. Christoph Klein,
Charcot-Marie-Tooth (CMT-NET)               Kongenitale uro-rektale Malformatio-          Universitätsklinikum München (LMU)
Prof. Dr. Michael W. Sereda,                nen (CURE Net)
Universitätsmedizin Göttingen (UMG)         Dr. E.Jenetzky (DKFZ), PD Dr. H.Reutter       Sarkome (TranSarNet)
                                            (Uniklinikum Bonn), N.Schwarzer (SOMA e.V.)   Prof. Dr. Heribert Jürgens,
Craniofaziale Entwicklungsstörungen                                                       Universitätsklinikum Münster
(FACE), Prof. Dr. Bernhard Zabel,           Leichtketten-(AL-) Amyloidose
Universitätsklinikum Freiburg               (GERAMY)                                      Skelettdysplasie-Netzwerk (Skelnet)
                                            PD Dr. Stefan Schönland,                      Prof. Dr. Bernhard Zabel
Deutsches Netzwerk für erbliche Bewe-       Universitätsklinikum Heidelberg               Universitätsklinikum Freiburg
gungsstörungen (GeNeMove)
Prof. Dr. J.B. Schulz,                      Leukodystrophien (Leukonet)                   Störungen der somatosexuellen Diffe-
Universitätsklinikum Göttingen              Prof. Dr. Volkmar Gieselmann,                 renzierung und Intersexualität
                                            Universität Bonn                              PD Dr. Ute Thyen,
Dystonien (DYSTRACT)                                                                      Universitätsklinikum Lübeck
Prof. Dr. Jens Volkmann,                    Motoneuronerkrankungen (MND-Net)
Universitätsklinikum Würzburg               Prof. Dr. Albert Ludolph, Prof. Dr. Jochen    Systemische Sklerodermie
                                            Weishaupt, Universitätsklinikum Ulm           Prof. Dr. Thomas Krieg,
Epidermolysis bullosa (EB-Net)                                                            Universitätsklinikum Köln
Prof. Dr. Leena Bruckner-Tuderman,          Muskeldystrophien (MD-NET)
Universitätsklinikum Freiburg               Prof. Dr. Maggie Walter,                      Zelluläre Verfahren für seltene Lunge-
                                            Universitätsklinikum München (LMU)            nerkrankungen (CARPuD)
Erbliche Netzhauterkrankungen (HOPE)                                                      Prof. Dr. Ulrich Martin,
Prof. Dr. Bernd Wissinger,                  Mitochondriale Erkrankungen (mitoNET)         Medizinische Hochschule Hannover
Universitätsklinikum Tübingen               Prof. Dr. Thomas Klopstock
                                            Universitätsklinikum München (LMU)
Erbliche Stoffwechselstörungen                                                            Impressum und Kontakt:
(METABNET), Prof. Dr. Udo Wendel,           Netzwerk für angeborene Störungen
Universitätsklinikum Düsseldorf             der Blutbildung (bmfs)                   Koordinierungssstelle der Forschungsverbünde
                                            Prof. Dr. Karl Welte, Medizinische Hoch- für seltene Erkrankungen
Genetische Modifikation des CTR-Gens        schule Hannover                          Friedrich-Baur-Institut an der Neurologischen
bei CF (GALENUS)                                                                          Klinik und Poliklinik
Prof. Dr. Joseph Rosenecker,                                                              Klinikum der Universität München
                                                                                          Ziemssenstraße 1a, 80336 München
Universitätsklinikum München (LMU)
                                                                                          Tel.: +49 089 4400-55126
                                                                                          E-Mail: Katja.Franke@med.uni-muenchen.de
                                                                                          www.research4rare.de
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