Lieferklima-Report 2023 - Was hilft wirklich gegen Lieferengpässe bei Arzneimitteln? - Techniker Krankenkasse
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Zentrale Botschaften • Lieferengpässe sind ein ernst zu nehmendes Problem, • Die TK entwickelt gemeinsam mit der Universität das gelöst werden muss. Hamburg ein datenbasiertes Frühwarnsystem. • Es sind verschiedene Gründe für Engpässe bekannt, • Data Science und Machine Learning können sinnvoll insbesondere On-Demand-Delivery und geografische eingesetzt werden, um in den Daten Muster für Produkt- Konzentration von Herstellung. und Wirkstoffengpässe zu identifizieren und zukünftige • Unter anderem empfiehlt die TK als Lösung, Rabatt- Engpässe vorherzusagen. verträge zu Lieferverträgen weiterzuentwickeln. • Um Produktengpässe genau vorauszusagen, werden jedoch mehr Daten, beispielsweise entlang der Supply • Die Produktengpassquote liegt im Schnitt bei etwa Chain, benötigt. 0,5 Prozent, stieg 2022 aber auf 0,7 Prozent. Für • Prognosen und Stresstests für Lieferengpässe lassen sich 99,3 Prozent aller Arzneimittel wurden keine Engpässe mithilfe von Modellen durchführen, die auf Frühindikatoren gemeldet. 2022 waren in der GKV 99,5 Prozent der und typische Marktdynamiken trainiert werden. Wirkstoffe mit mindestens 50 Prozent der Produkte lieferbar. • Höhere Preise allein helfen nicht. Sie müssen auf Basis • Generika sind häufiger von Lieferengpässen betroffen, von Vertragsausschreibungen unmittelbar an mehr zunehmend jedoch auch der Patentmarkt. Leistung gekoppelt sein. • Rabattfreie Arzneimittel sind doppelt so häufig von • Sinnvolle Anreize für mehr Liefersicherheit belohnen Lieferengpässen betroffen wie Rabattarzneimittel. bevorratende Lagerhaltung und die Diversifikation von • Produktengpässe haben nur selten Auswirkungen auf die Lieferketten. Versorgung. In fast allen Fällen bleibt eine Therapie durch wirkstoffidentische oder zumindest wirkstoffähnliche Arzneimittel möglich. • Insbesondere im März und April 2022 bestand am deutschen Markt ein drohender Wirkstoffengpass im Hinblick auf tamoxifenhaltige Arzneimittel. • Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und weitere zuständige Institutionen haben kurzfristige Maßnahmen in die Wege geleitet, sodass die Versorgungssicherheit gewährleistet werden konnte. • Verpflichtende Lagerhaltung und ein Frühwarnsystem hätten den Engpass rechtzeitig und ohne Verunsicherung der Patientinnen und Patienten verhindern können. • Das Fallbeispiel Tamoxifen hilft, konkrete Anforderungen an ein datenbasiertes Frühwarnsystem zu formulieren.
Vorwort Im Dezember 2022 wurde in den Nachrichten von Liefereng- pässen bei Fiebersäften und Antibiotika berichtet. Bei vielen Menschen wuchs die Sorge, sich selbst oder ihre Kinder nicht mehr mit Medikamenten versorgen zu können. Der Grund, warum die Belieferung mit Antibiotika und Fiebersäften der extrem hohen Nachfrage nicht hinterherkam: Auf die ohnehin teils angespannte Liefersituation bei Arzneimitteln traf eine sehr starke Krankheitswelle. Dr. Jens Baas Vorsitzender des TK-Vorstands Auch wenn die Situation Ende 2022 außergewöhnlich war, ist völlig unstrittig, dass die sichere Versorgung mit Medika- menten oberste Priorität haben muss. Es darf nicht sein, dass wichtige Arzneimittel nicht oder nur mit großem Auf- wand zu bekommen sind. Das Bundesgesundheitsministe- Vieles deutet zum aktuellen Zeitpunkt darauf hin, dass die rium wollte nach den Schlagzeilen im Dezember das Thema Belieferung mit Medikamenten in den nächsten Monaten Arzneimittelversorgung zügig angehen und hat im Februar wieder zuverlässiger wird. Dies ist dann jedoch nicht der 2023 einen Gesetzesentwurf zur Bekämpfung von Liefer- Initiative des Gesetzgebers zu verdanken, sondern einer ge- engpässen und zur Verbesserung der Versorgung mit Arz- nerellen Entspannung der globalen Lieferketten, von der neimitteln vorgelegt. auch die Pharmahersteller profitieren werden. Problematisch an den Plänen des Gesetzgebers ist, dass er im Kern auf eine Dies haben wir zum Anlass genommen, in dem vorliegenden pauschale Preiserhöhung für Arzneimittel setzt, ohne dafür Report der Techniker Krankenkasse (TK) die Situation der Lie- Gegenleistungen von der Industrie einzufordern, um die ferengpässe genauer zu analysieren. Der Report zeigt, dass Liefersicherheit auch tatsächlich zu erhöhen. Obwohl dies es im zweiten Halbjahr 2022 einen erheblichen Anstieg von für die Versichertengemeinschaft zu erheblichen Mehrkos- gemeldeten Lieferengpässen gab. Allerdings führten diese ten – bei ohnehin schon sehr hohen Ausgaben für Arzneimit- nur sehr selten zu Schwierigkeiten in der Versorgung. Patent- tel – führen wird, bietet dieses „Gießkannenprinzip“ nicht freie Arzneimittel waren deutlich häufiger betroffen als pa- genug Anreize, robustere Lieferketten aufzubauen. tentgeschützte Arzneimittel. Die Daten veranschaulichen außerdem, dass die Rabattverträge – anders als häufig dar- Auch bei einer kurzfristigen Entspannung der Liefersituation gestellt – die Lieferfähigkeit von Arzneimitteln stärken. Medi- werden wir das Problem also weiterhin genau im Auge behalten kamente, die nicht unter Rabattvertrag stehen, haben ein müssen. Die TK entwickelt deswegen gemeinsam mit der Uni- doppelt so hohes Risiko für Lieferengpässe wie Medikamente versität Hamburg ein Frühwarnsystem für Lieferengpässe. mit Rabattvertrag. Die Verträge zwischen den Krankenkassen Potenzielle Schwachstellen in der Versorgung sollen auf diese und den Herstellern schaffen für alle Beteiligten Planbarkeit Weise so früh wie möglich erkannt werden, um bei drohenden über Abgabemengen und Umsätze, häufig beinhalten sie Engpässen rechtzeitig entsprechende Maßnahmen treffen zu auch bereits Lieferverpflichtungen. können. Um die Versorgungssicherheit zu erhöhen, sollten jene Ei- genschaften in Rabattverträgen weiter ausgebaut werden, welche die Lieferfähigkeit erhöhen. Beispielsweise indem die Diversifikation von Lieferketten bei den Ausschreibungen begünstigend berücksichtigt wird oder der Produktionss- tandort Auswirkungen auf die Vergabe haben kann. Ein Kon- zept zur Weiterentwicklung von Lieferverträgen stellen wir Dr. Jens Baas ebenfalls in diesem Report vor. Vorsitzender des TK-Vorstands
Inhalt 1 Einleitung 4 Entwicklung eines datenbasierten Frühwarnsystems 2 Lieferengpässe – Daten und Definitionen 25 Datenquellen und Datenverfügbarkeit 9 Begriffsdefinitionen 28 Konzeption eines datenbasierten Frühwarnsystems 11 BfArM-Datenbank 11 Produktengpässe 5 Fazit: Vom Rabattvertrag zum Liefervertrag 15 Wirkstoff- und Therapieengpässe 18 Limitationen der BfArM-Engpassdatenbank 6 Literaturverzeichnis 3 Fallbeispiel Tamoxifen 7 Abbildungsverzeichnis 20 Deskriptive Darstellung 21 Maßnahmen zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit 23 Identifikation eines Wirkstoffengpasses und zusätzlicher Importarzneimittel Lieferklima-Report 2023 – Was hilft wirklich gegen Lieferengpässe bei Arzneimitteln? – Herausgeber: Techniker Krankenkasse, Unternehmenszentrale, Bramfelder Straße 140, 22305 Hamburg, tk.de; Geschäftsbereich Innovation und ambulante Versorgung, Fachbereich Arzneimittel; Autoren: Tim Steimle, Prof. Dr. Martin Spindler, Dr. Dan Dammann, Dr. Sandra Guetg, Oliver Ihnen, Raffael Kamalow, Sina Kappel, Jan Löhr; Gestaltung: The Ad Store GmbH, Hamburg; Grafik: Dennis Maibom; Bilder: Getty Images. © Techniker Krankenkasse. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Einwilligung der TK. Die enthaltenen Informationen wurden sorgfältig recherchiert. Für eventuelle Änderungen oder Irrtümer können wir keine Gewähr übernehmen. Stand: Februar 2023.
Lieferklima-Report 2023 – Einleitung 6 1 Einleitung • Lieferengpässe sind ein ernst zu nehmendes Problem, durch eine geografisch verteilte Menge von Herstellern. Drit- das gelöst werden muss. tens die Redundanz von Lieferketten, also die zeitgleiche • Es sind verschiedene Gründe für Engpässe bekannt, Existenz verschiedener Lieferketten für das gleiche Produkt. insbesondere On-Demand-Delivery und geografische Konzentration der Hersteller. Dem Bericht zufolge werden Lieferketten im Allgemeinen an- • Unter anderem empfiehlt die TK als Lösung, Rabatt- fällig durch zu geringe inländische Produktionskapazitäten, verträge zu Lieferverträgen weiterzuentwickeln. ökonomische Fehlanreize und eine zu kurzfristig ausgerichtete Gewinnfokussierung der Hersteller. Außerdem beeinflusst Die Öffentlichkeit treibt die Sorge vor Medikamentenmangel eine zu starke geografische Konzentration von Vorleistungen um. Die Meldungen über die steigende Zahl von Liefereng- die Robustheit negativ. Außerdem wird betont, dass eine pässen bei Antibiotika, Fiebersäften, Krebsmedikamenten mangelnde internationale Koordination zwischen Staaten und weiteren Arzneimitteln verunsichern viele Menschen. Die entlang der Lieferketten ebenfalls nachteilig ist. Zu Arznei- Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA, mitteln decken sich diese Aussagen zu großen Teilen mit den 2020) berichtete bereits 2020 von einer Vervierfachung der Ursachenanalysen und Lösungsvorschlägen für Lieferausfäl- Lieferausfälle im Vergleich zu 2018. Demnach ist auf 18 Millio- le aus anderen Quellen wie dem Gutachten der US-amerika- nen Rezepten ein Lieferausfall dokumentiert – bei 650 Millionen nischen Food and Drug Administration (FDA) von 2019 (Drug Verordnungen insgesamt. Der Präsident der Bundesapothe- Shortages Task Force, FDA, 2019) und einem Gutachten des kerkammer (BAK) Thomas Benkert bemerkte bei der Eröffnung Spitzenverbands der Krankenkassen (GKV-SV) aus 2020 des pharmacon 2023 richtigerweise: „Leidtragende der Liefer- (Vogler und Fischer, 2020). engpässe sind zunächst die Patientinnen und Patienten, die ihre benötigten Arzneimittel nicht bekommen und umgestellt Zusammenfassend sind folgende Ursachen für instabile werden müssen.“ Lieferketten bekannt: • Global verteilte und komplexe Lieferketten Doch was genau verursacht Lieferengpässe, und wie wirkt • Fehlende ökonomische Anreize für robuste Lieferketten man ihnen entgegen? Das Problem ist vielseitig und darf ge- • On-Demand-Delivery ohne kurzfristige Anpassungs- rade aufgrund seiner Bedeutsamkeit nicht zu oberflächlich möglichkeit betrachtet werden. Instabile Lieferketten sind ein globales • Geografische Konzentration von Vorleistungen und Phänomen und in vielen Branchen weit verbreitet. Immer öf- Herstellung ter fehlen neben Arzneimitteln auch Technologieprodukte, • Unattraktive Bedingungen für Markteintritte von Herstellern Autos, Lebensmittel oder weitere Güter. Die Problemursa- chen sind also in unterschiedlichsten Märkten präsent mit In den letzten Jahren sind die rechtlichen Rahmenbedingun- verschiedenen Zulieferstrukturen, Ressourcenbedarfen und gen für die Arzneimittelversorgung in der gesetzlichen Kran- Kundenbedürfnissen. kenversicherung mehrfach angepasst worden. Nach Gröhes Pharmadialog von 2016 folgte das Arzneimittelversorgungs- Auch die USA sind seit vielen Jahren von Lieferengpässen stärkungsgesetz (AMVSG) von 2017, das Gesetz für mehr betroffen. Deswegen hat das Weiße Haus im Juni 2021 einen Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV) von 2019 Report über Problemquellen und mögliche Lösungen zu als und das Gesetz für einen fairen Kassenwettbewerb in der prioritär anzusehenden Produkten, zu denen auch Medikamen- gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-FKG) von 2020. Nun te zählen, veröffentlicht (The White House, 2021). Robuste wird mit dem Gesetzesentwurf des Bundesministeriums für Arzneimittellieferketten werden hier anhand von drei Kriteri- Gesundheit (BMG) für ein Arzneimittel-Lieferengpassbe- en definiert: Erstens die Fähigkeit, hochqualitative Produkte kämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz (ALBVVG) für den heimischen Markt zu produzieren. Zweitens die Diver- vom 14. Februar 2023 ein weiteres Maßnahmenpaket auf den sifikation von Lieferketten für Medikamente, beispielsweise Weg gebracht.
Lieferklima-Report 2023 – Einleitung 7 Eine zentrale Forderung des Gesetzesentwurfs sind höhere politischen Entscheidungen anderer Länder und wird anfällig Preise für den patentfreien Markt. Denn in der öffentlichen für geostrategische Kalküle. Als Antwort auf dieses politische Debatte wird von einem starken Kostendruck auf Generika- Risiko ist die Standortförderung eine logische Konsequenz. hersteller berichtet. So beklagen Generikahersteller die gerin- Sie soll durch entsprechende Vorkehrungen bei der Vergabe ge Rentabilität von Fiebersäften und fordern mehr Geld zur von Rabattverträgen erreicht werden. Behebung der Engpässe (siehe beispielsweise SZ, 2023). Und tatsächlich werden die meisten Lieferengpässe bei Arzneimit- Ebenfalls an Rabattverträge gekoppelt werden sollen Vorga- teln im patentfreien Markt beobachtet (siehe Kapitel 2). Um ben zur Lagerhaltung von Arzneimitteln an die Hersteller, Produktionskosten zu sparen, wurden die Lieferketten in die- wodurch Lieferengpässen von kürzerer Dauer effektiv entge- sem Segment immer risikobereiter aufgestellt, bis hin zur gengewirkt werden kann. Auf Basis dieser Vorgaben können On-Demand-Lieferkette, welche für viele Generika heute All- die Rabattverträge zu Lieferverträgen weiterentwickelt werden tag ist. Dadurch sind die Lieferketten zunehmend störungs- und effektiv zur Versorgungssicherheit beitragen. Bislang anfällig geworden. Die Industrie hat mit dieser risikobereiten nicht im Gesetzesentwurf berücksichtigt, aber im Rahmen Strategie hohe Gewinne erwirtschaftet. Laut Unternehmens- des Vergabeverfahrens für solche Lieferverträge sinnvoll, berichten erreichen einschlägige Generikahersteller auf diese wäre zusätzlich der Einsatz eines Ratingsystems für die Lie- Weise Umsatzrenditen von durchschnittlich etwa 13 Prozent, fertreue und Qualität von Herstellern. So könnten Hersteller auch Margen von über 30 Prozent sind zu finden. Demnach mit robusten Lieferketten bevorzugt werden. Unverständlich wäre es ein Trugschluss zu glauben, dass weniger Kosten- ist, warum laut des Gesetzesentwurfs die Kinderarzneimittel druck automatisch zu mehr Liefersicherheit führen würde. von den neuen Lagerhaltungspflichten und Anreizen für Di- Denn obwohl bereits heute hohe Renditen erwirtschaftet versifikation ausgenommen werden sollen. werden, ist die Liefertreue der Hersteller nicht immer gege- ben. Damit höhere Preise zur Problemlösung beitragen, Ferner attestieren die verschiedenen Quellen zu Ursachen von müssen sie unmittelbar an mehr Leistung der Hersteller ge- Lieferengpässen eine mangelhafte Datenlage und Transparenz koppelt werden. Ansonsten bleiben die Hersteller bei der über Lieferketten bei Arzneimitteln. Eine zentrale Forderung kostenminimalen On-Demand-Lieferkette und erwirtschaften muss daher lauten, die Transparenz entlang der pharmazeu- mit höheren Preisen einfach noch höhere Renditen. Daher tischen Supply-Chain zu verbessern. Dieses Ziel kann mit fordert die TK die Weiterentwicklung von Rabattverträgen zu verschiedenen Instrumenten erreicht werden. Ein wichtiges Lieferverträgen, welche die richtigen Anreize für die Hersteller Instrument, welches ein aktives Liefermanagement zur op- setzen und ein aktives Lieferantenmanagement ermöglichen timierten Versorgung ermöglichen würde, wäre ein daten- (siehe Kapitel 5). basiertes Frühwarnsystem für Lieferengpässe. Dafür sind transparente Daten über die Lagerbestände der Hersteller Eine weitere Maßnahme aus dem Gesetzesentwurf betrifft essenziell. Darüber hinaus sollten die Meldepflichten zu Liefer- die Förderung von Produktionsstandorten in der EU. Tatsäch- engpässen für Hersteller verschärft werden. Dies sollte nicht lich ist davon auszugehen, dass China und Indien den Großteil nur – wie im Gesetzesentwurf vorgesehen – gegenüber dem der Arzneimittel-Lieferketten kontrollieren. So zeigt eine vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) Verband Forschender Arzneimittelhersteller (vfa) beauftrag- gelten, sondern auch gegenüber Liefervertragspartnern. te Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW Consult, 2022), dass 68 Prozent aller Wirkstoffhersteller in Asien angesiedelt sind. Hierdurch ist die Versorgung abhängig von
Lieferklima-Report 2023 – Einleitung 8 Sinnvolle Maßnahmen für robustere Lieferketten aus Sicht ausgeprägten Erkältungswelle betroffen. In Frankreich oder der TK: auch Großbritannien veröffentlichten die Behörden Hinweise • Mehr Transparenz über Pharmalieferketten herstellen zur Anwendung von Tabletten, um die vergriffenen Antibio- • Verschärfte Meldepflichten für Pharmahersteller tikasäfte für Kinder zu ersetzen (SPS, 2022; ANSM, 2022, • Weiterentwicklung von Rabattverträgen zu Lieferverträgen 2023). Dies unterstreicht die Notwendigkeit von internatio- • Entwicklung eines Frühwarnsystems für Lieferengpässe naler Kooperation bei diesem Thema. • Aufbau von Lagerbeständen • Förderung der EU-Produktionsstandorte und Förderung Der vorliegende Report soll im Folgenden aufzeigen, welche von internationaler Kooperation Auswirkungen Lieferausfälle auf die Versorgung hatten. Zudem • Ratingsystem für Liefertreue und Qualität von Herstellern sollen anhand des Fallbeispiels Tamoxifen charakteristische Muster aus den Routinedaten der Krankenkassen identifiziert Offen bleibt, inwiefern nationale Rahmenbedingungen rele- werden (siehe Kapitel 3). Diese Einblicke helfen dabei, ein daten- vante Auswirkungen auf einen global vernetzten Pharma- basiertes Frühwarnsystem für Arzneimittelengpässe zu kon- markt entfalten können. Lieferengpässe sind ein globales zipieren. Denn einerseits besteht der Arbeitsauftrag an das Phänomen. So waren neben Deutschland auch andere Länder BfArM, ein Frühwarnsystem für Lieferengpässe zu entwickeln. von fehlenden Kinderarzneien im Winter 2022 betroffen. Die Andererseits müssen auch die Einzelkassen das Liefermanage- fehlenden Fiebersäfte werden von der US-amerikanischen ment gegenüber ihren Vertragspartnern optimieren. Deswegen Aufsicht mit erhöhter Nachfrage aufgrund von unüblich vie- plant die TK in Zusammenarbeit mit der Universität Hamburg len Atemwegsinfekten in Verbindung gebracht. Die deutsche die Entwicklung eines solchen Frühwarnsystems für Liefer- Aufsicht (BfArM, 2022a) weist im Dezember 2022 ebenfalls engpässe von Arzneimitteln, um die Versorgung der Versi- auf eine erhöhte Nachfrage hin. Dies deckt sich mit Rekord- cherten so sicher wie möglich zu gestalten (siehe Kapitel 4). krankmeldungsraten im Jahr 2022, getrieben von unerreicht vielen Fällen von Atemwegsinfekten bei GKV-Versicherten der TK (2022), DAK-Gesundheit (2022) und den AOKs (2023). Dabei waren nach Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI, 2023) seit den Herbstferien 2022 besonders Kinder von einer
Lieferklima-Report 2023 – Lieferengpässe – Daten und Definitionen 9 2 Lieferengpässe – Daten und Definitionen • Die Produktengpassquote liegt im Schnitt bei etwa Engpässe kann es auf verschiedenen Ebenen geben, beispiels- 0,5 Prozent, stieg 2022 aber auf 0,7 Prozent. Für weise auf Produkt-, Wirkstoff- oder Therapieebene. Umso 99,3 Prozent aller Arzneimittel wurden keine Engpässe breiter die Definition der betroffenen Ebene gefasst ist, des- gemeldet. 2022 waren in der GKV 99,5 Prozent der to größer ist auch die Gefahr für die Versorgung. Die kleinste Wirkstoffe mit mindestens 50 Prozent der Produkte Ebene, auf der üblicherweise über Lieferengpässe berichtet lieferbar. wird, befasst sich mit Engpässen auf der Produktebene. Auf • Generika sind häufiger von Lieferengpässen betroffen, dieser Ebene werden beispielsweise Engpassmeldungen aus zunehmend jedoch auch der Patentmarkt. der pharmazeutischen Industrie an das BfArM übermittelt. • Rabattfreie Arzneimittel sind doppelt so häufig von Über die Pharmazentralnummer der Arzneimittel sind in den Lieferengpässen betroffen wie Rabattarzneimittel. Meldungen einzelne Produkte eindeutig identifizierbar. Auch • Produktengpässe haben nur selten Auswirkungen auf die der Gesetzesentwurf des BMG (2023) konstatiert, dass „[…] Versorgung. In fast allen Fällen bleibt eine Therapie durch nicht jeder Lieferengpass zu einer Einschränkung der medi- wirkstoffidentische oder zumindest wirkstoffähnliche zinischen Versorgung (Versorgungsengpass) [führt], da häu- Arzneimittel möglich. fig geeignete Alternativen zur Verfügung stehen.“ Einschrän- kungen in der Arzneimittelversorgung stellen normalerweise Begriffsdefinitionen Lieferengpässe einzelner Arzneimittel ein größeres Problem als Engpässe auf der Produktebene dar. werden schnell als Beeinträchtigung der Versorgungssicher- An dieser Stelle werden die Definition sowie die Nutzung der heit der betroffenen Patientinnen und Patienten wahrgenom- Begrifflichkeit unübersichtlich. Während der Gesetzesentwurf men. Die Verunsicherung der Betroffenen ist besonders groß, eine Versorgungseinschränkung als automatische Konsequenz wenn die besuchte Apotheke das gewohnte Arzneimittel von Engpässen suggeriert, werden offizielle Versorgungseng- nicht beschaffen kann. In den meisten Fällen ist die Versorgung pässe des BMG normalerweise nur für einen Wirkstoff be- mit dem benötigten Wirkstoff jedoch gewährleistet, wenn kannt gegeben und nicht für ganze Wirkstofffamilien. Um die auch möglicherweise nicht mit dem Produkt des gewohnten verschiedenen Engpässe klar voneinander abzugrenzen, Herstellers oder durch die bevorzugte Apotheke. Der Begriff werden Lieferengpässe im Folgenden in drei Kategorien un- der (Arzneimittel-)Lieferengpässe wird von verschiedenen terteilt. Abbildung 1 ist eine Übersicht der Kategorien zu ent- Beteiligten genutzt, sei es in den Medien, der Politik oder in nehmen. Analog zur Lieferengpassliste des BfArM wird als der Kommunikation von Verbänden oder Krankenkassen. Aller- kleinste Ebene der Lieferengpässe die Produktebene gewählt. dings ist die Bezugsgröße nicht immer gleich. Undifferenziert Sobald ein Hersteller eine Arzneimittelpackung nicht ausrei- von Lieferengpässen zu sprechen, würde zu kurz greifen und chend liefern kann, entsteht ein Produktengpass. Solange der Komplexität des Themas nicht gerecht werden. der Hersteller aber noch andere Packungsgrößen oder Dar- reichungsformen verfügbar hat oder es noch weitere liefer- fähige Hersteller mit Arzneimitteln mit diesem Wirkstoff gibt, kann der Wirkstoffbedarf weiterhin gedeckt werden.
Lieferklima-Report 2023 – Lieferengpässe – Daten und Definitionen 10 Begriffsdefinitionen Engpass ist nicht gleich Engpass Produktengpass Wirkstoffengpass Therapieengpass Definition Einzelne Produkte innerhalb eines Der Gesamtbedarf an Abgabemenge Der Gesamtbedarf an Abgabemenge Wirkstoffs sind nicht ausreichend eines Wirkstoffs kann nicht ausrei- innerhalb einer Wirkstofffamilie kann verfügbar. chend gedeckt werden. nicht ausreichend gedeckt werden. Betrachtungsebene Pharmazentralnummer (PZN) Anatomisch-Therapeutisch-Chemi- Anatomisch-Therapeutisch-Chemi- sches Klassifikationssystem (sieben- sches Klassifikationssystem (fünf- stellig, ATC-7) bzw. dreistellig, ATC-5 bzw. ATC-3) Abbildung 1: Definition von verschiedenen Eskalationsstufen im Bereich der Liefer- und Versorgungsengpässe. Kann der Bedarf nach einem Wirkstoff hingegen nicht mehr Versorgung, um das Vertrauen zu stärken und Hamstereffekten durch die Hersteller gedeckt werden, so wird von einem Wirk- vorzubeugen. Wenn es über den Wirkstoffengpass hinaus zu stoffengpass (auf Ebene des siebenstelligen ATC)1 gesprochen. Engpässen bei ganzen Wirkstofffamilien kommt, ist von einem Bei einem Wirkstoffengpass muss die Arzneimitteltherapie Therapieengpass zu sprechen. In diesen Fällen besteht die von Patientinnen und Patienten jedoch nicht notwendiger- Gefahr, dass die Therapie gefährdet ist, da der Bedarf auch weise gefährdet sein. In den meisten Fällen kann die Versor- über Wirkstoffe mit ähnlicher therapeutischer Wirkung nicht gung, üblicherweise nach Rücksprache mit den behandelnden gedeckt werden kann. Im weiteren Verlauf dieses Kapitels Ärztinnen und Ärzten, auch über einen Wirkstoff der gleichen wird eine Auswertung für die verschiedenen Engpasskatego- Wirkstofffamilie (fünfstelliger ATC) sichergestellt werden. rien vorgenommen, um deren Häufigkeit zu ermitteln. Dafür Eine wichtige Aufgabe der Apotheken ist in diesen Fällen nicht wird zunächst die BfArM-Datenbank beschrieben, welche nur die Versorgung der Betroffenen mit den benötigten Wirk- eine Übersicht zu Produktengpässen darstellt. stoffen, sondern auch die Aufklärung über die aktuelle Situa- tion sowie die getroffenen Maßnahmen zur Sicherstellung der 1 Amtliche Klassifikation für pharmakologische Wirkstoffe (BfArM, 2023c). Wirkstoffe wurden hier über den siebenstelligen ATC definiert.
Lieferklima-Report 2023 – Lieferengpässe – Daten und Definitionen 11 BfArM-Datenbank Um bei Arzneimittellieferengpässen Hierbei muss beachtet werden, dass die Meldekriterien 2017 Transparenz zu schaffen und den Informationsfluss zu ver- umfassend angepasst wurden, sodass die Meldungen seitdem bessern, führt das BfArM eine Datenbank mit Meldungen der auf einer veränderten Grundlage erfolgen. Außerdem geht das pharmazeutischen Industrie über Lieferunfähigkeiten. Da die BfArM aufgrund intensivierter Abstimmungen im Jour fixe be- Meldungen auf Produktebene erfolgen, ermöglicht die Liste ziehungsweise seit Juli 2020 im Beirat zu Liefer- und Versor- eine umfassende Übersicht zu Produktengpassmeldungen gungsengpässen sowie der Einbindung aller relevanten Akteure für Humanarzneimittel (ohne Impfstoffe) in Deutschland. Die auch von einem verbesserten Meldeverhalten aus. Das BfArM Meldungen erfolgen durch die pharmazeutischen Unternehmen folgert, dass aktuellere Meldezahlen entsprechend nicht mit und basieren auf der im Pharmadialog im Jahr 2016 erklärten den Meldungen aus früheren Jahren verglichen werden können Selbstverpflichtung zur Meldung von Lieferengpässen für (BfArM, 2023b). In der Konsequenz würde ein entsprechender versorgungsrelevante2 Arzneimittel. Die vereinbarten Melde- Abgleich zur voreiligen Schlussfolgerung führen, dass Liefer- kriterien wurden im Jahr 2020 vom Beirat zu Liefer- und engpässe über die Zeit zugenommen hätten. Versorgungsengpässen bestätigt. Produktengpässe Zunächst werden die auf der BfArM-Liste Das BfArM definiert eine Lieferunfähigkeit als eine „über vo- gemeldeten Produktengpässe ausgewertet. Ausgehend da- raussichtlich 2 Wochen hinausgehende Unterbrechung einer von, dass der Meldeprozess über die Jahre verbessert wurde, Auslieferung im üblichen Umfang oder eine deutlich vermehr- wird eine historische Betrachtung erst ab 2021 dargestellt, te Nachfrage, der nicht angemessen nachgekommen werden um etwaige Trends nicht mit verändertem Meldeverhalten zu kann“ (BfArM, 2023a). Die Selbstverpflichtung umfasst Wirk- vermischen. Als Produktengpassquote (PE-Quote) wird die stoffe, welche vom BfArM als versorgungsrelevant angesehen Anzahl der zum jeweiligen Zeitpunkt auf der BfArM-Liste mit werden oder bei welchen eine kritische Anzahl an Zulas- Produktengpass gemeldeten Arzneimittel im Verhältnis zu al- sungsinhabern, endfreigebenden Herstellern oder Wirkstoff- len abgaberelevanten Arzneimitteln definiert.3 herstellern unterschritten ist, Arzneimittel mit gesetzlicher Meldeverpflichtung an Krankenhäuser, Arzneimittel mit einem Die PE-Quote über alle Wirkstoffe schwankt bis zum Herbst Marktanteil von über 25 Prozent, Arzneimittel der Substitutions- 2022 zwischen 0,4 und 0,6 Prozent und erreicht im Dezember ausschlussliste sowie Wirkstoffe, bei welchen in der Vergangen- 2022 mit 0,7 Prozent ihren Höchstwert (Abbildung 2). Vergli- heit bereits ein Versorgungsmangel eingetreten ist (BfArM, chen mit dem historischen Verlauf ist dies ein hoher Wert und 2023b). spiegelt sich im aktuell gesteigerten öffentlichen Interesse zu Lieferengpässen wider. Die Produktengpassliste des BfArM führt eine Historie von über zehn Jahren auf. Diese ermöglicht die Darstellung der Entwicklung von Engpassmeldungen über die Jahre hinweg. 2 Als versorgungsrelevant gelten laut BfArM (2023b) Wirkstoffe, wenn sie dem aktuellen Therapiestandard entsprechen, wenn sich bei Nichtverfügbarkeit die Prognose der betroffenen Patientinnen und Patienten verschlechtern würde, wenn die zu behandelnde Krankheit lebensbedrohlich ist oder Patientinnen und Patienten bei fehlender Behandlung schwer geschädigt würden, der Wirkstoff verschreibungspflichtig und für die Gesamtbevölkerung relevant sei. 3 Alle Arzneimittel auf Einzelproduktebene mit Abgaben in der Datenbank von INSIGHT Health im Jahr 2022. Als Arzneimittel sind hier und im weiteren Verlauf die einzelnen Produktpackungen gemeint, welche durch ihre Pharmazentralnummer identifiziert werden können.
Lieferklima-Report 2023 – Lieferengpässe – Daten und Definitionen 12 Verlauf Produktengpassquote Verlauf Produktengpassquote 0,8% 0,7% 0,6% 0,5% 0,4% 0,3% Jan. 21 Mär. 21 Mai. 21 Jul. 21 Sep. 21 Nov. 21 Jan. 22 Mär. 22 Mai. 22 Jul. 22 Sep. 22 Nov. 22 Quote insgesamt Mittelwert 2021-2022 Abbildung 2: Lieferunfähige Produkte, anteilig an allen Arzneimitteln. Quelle: BfArM (2023e) und INSIGHT Health, eigene Darstellung. Trotz der üblichen Schwankungen fällt auf, dass die PE-Quote In der öffentlichen Diskussion wird das Thema der Lieferun- seit Herbst 2021 einen steigenden Trend annimmt, seit dem fähigkeiten häufig als ein Problem der generischen Wirkstoff- zweiten Quartal 2022 über dem Mittelwert der Jahre 2021 hersteller beschrieben. Abbildung 3 beschreibt den Verlauf und 2022 liegt und seit Herbst 2022 Höchstwerte annimmt. der PE-Quote von Generika im Vergleich zu nicht generischen Eine PE-Quote von 0,7 Prozent bedeutet im Umkehrschluss Arzneimitteln im Verhältnis zu ihrem jeweiligen Gesamtmarkt. allerdings auch, dass dem BfArM selbst zu historischen Im Zeitverlauf wird deutlich, dass Produktengpässe im gene- Höchstwerten für 99,3 Prozent aller Arzneimittel keine Eng- rischen Marktsegment tatsächlich häufiger auftreten. Der pässe gemeldet wurden. grundsätzliche Eindruck wird durch die Auswertung der Eng- passmeldungen an das BfArM also bestätigt. Produktengpassquote nach Marktsegment Produktengpassquote nach Marktsegment 1,0% 0,9% 0,8% 0,7% 0,6% 0,5% 0,4% 0,3% 0,2% 0,1% 0,0% Jan. 21 Mär. 21 Mai. 21 Jul. 21 Sep. 21 Nov. 21 Jan. 22 Mär. 22 Mai. 22 Jul. 22 Sep. 22 Nov. 22 generisch nicht-generisch Abbildung 3: Lieferunfähige Generika vs. Nichtgenerika anteilig am jeweiligen Gesamtmarkt. Quelle: BfArM (2023e) und INSIGHT Health, eigene Darstellung. Allerdings erkennt man im Verlauf der PE-Quoten, dass Liefer- Der Referentenentwurf des BMG (2023), welcher die Grundlage engpässe kein rein generisches Problem sind. Die PE-Quote für ein Gesetzespaket zur Vermeidung von Arzneimitteleng- der nicht generischen Arzneimittel steigt im Zeitablauf kon- pässen legen soll, fokussiert sich hinsichtlich der Ursachen- tinuierlich und hat sich seit Anfang 2021 verdoppelt. Im Gegen- suche vor allem auf patentfreie Arzneimittel. Es wird notwendig satz dazu verläuft die PE-Quote der Generika relativ konstant sein, auch für patentierte Arzneimittel verbesserte Rahmen- und mit Ausnahme des Dezembers 2022 ohne einen erkenn- bedingungen zu schaffen, um Lieferengpässe so gut wie baren Wachstumstrend. Dies passt zur Einschätzung der möglich vermeiden oder ihre Folgen abmildern zu können. Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO), dass auch Arzneimittel mit Patentschutz regelmäßig von Lieferengpässen betroffen seien (Deutsche Apotheker Zeitung, 2023).
Rabattverträge Die TK schließt Rabattverträge mit pharmazeuti- schen Herstellern über ausgewählte Arzneimittel. Die Rabattverein- barungen erfolgen freiwillig als Selektivverträge (§ 130a Abs. 8, § 130c SGB V). Rabattverträge bedeuten für die TK günstigere Preise und für die pharmazeutischen Hersteller planbare, sichere Mengen. Das System funktioniert, da Apotheken gemäß § 129 SGB V vorrangig rabattierte Arzneimittel abgeben müssen. In Sonderfäl- len, beispielsweise bei Dringlichkeit, pharmazeutischen Bedenken oder Nichtverfügbarkeit, können sie auf ein anderes preisgünsti- ges Produkt ausweichen. Durch Setzen des Aut-idem-Kreuzes kann Generische Arzneimittel werden vor allem aufgrund der Ra- die ärztliche Person die Apotheke zur Abgabe eines bestimmten battverträge medial häufig als Treiber für Lieferengpässe auf- Produktes beauftragen, sofern medizinische Gründe dafür geführt. Als ein Vorschlag zur Verbesserung der Liefersituation vorliegen. von Arzneimitteln in Deutschland werden Einschränkungen bei Der Abschluss von Rabattverträgen unterliegt dem Vergaberecht. der Vergabe von Generikarabattverträgen diskutiert. Die meisten Rabattpreise basieren auf Angeboten der Hersteller (europaweite Ausschreibungen). Die TK erstattet zunächst der Generische Arzneimittel weisen insgesamt einen höheren An- Apotheke den offiziellen Preis in voller Höhe. Im Nachgang werden anhand der abgerechneten Rezepte die abgegebenen Mengen teil an den Produktengpassmeldungen auf der BfArM-Liste auf. ermittelt und Rabattabrechnungen an die Vertragspartner Dabei ist der vertragsfreie Markt häufiger von Engpässen versendet. Die Pharmahersteller übermitteln die Rückzahlungen betroffen als der Vertragsmarkt (Abbildung 4). Daher ver- an die TK. wundert es, dass der Fokus der vorgeschlagenen Maßnah- men auf dem Vertragsmarkt liegt. In der gesamten Betrachtungsperiode liegt die Quote für den Dies ist unter anderem der größeren Planbarkeit zu verdan- vertragsfreien Markt deutlich höher. Darüber hinaus sind die ken, welche die Rabattverträge sowohl Herstellern als auch Schwankungen hier auch größer, während die PE-Quote für Krankenkassen bieten. Rabattverträge tragen also maßgeb- rabattierte Arzneimittel vergleichsweise konstant verläuft. lich zur Stabilisierung der Versorgung bei und sind als Teil der Angaben der Bundesregierung unterstützen diese Auswer- Lösung von Lieferengpässen unentbehrlich. Im Gegensatz tung und sehen den Unterschied zwischen beiden Märkten zum vertragslosen Zustand enthalten Rabattverträge außer- noch deutlicher (Deutscher Bundestag, 2022). Diese Er- dem Klauseln zur Lieferfähigkeit und die Krankenkassen soll- kenntnis wird unter anderem durch eine Auswertung des ten auf dieser Basis ein aktives Liefermanagement betreiben Verbands der Ersatzkassen (vdek, 2019) und ein Gutachten dürfen, um die Versorgung mit Rabattarzneimitteln sicherzu- des GKV-SV (2020) gestützt, welche ebenfalls überwiegend stellen. Der medial intensiv diskutierte Lieferengpass von Lieferengpässe im vertragsfreien Markt erkennen beziehungs- Kinderfiebersäften betraf beispielsweise nahezu ausschließ- weise keine Zusammenhänge zwischen Lieferunfähigkeiten lich den vertragsfreien Markt. und Rabattverträgen feststellen können. Produktengpassquote nach Rabattstatus Produktengpassquote nach Rabattstatus 2,2% 1,7% 1,2% 0,7% 0,2% Jan. 21 Mär. 21 Mai. 21 Jul. 21 Sep. 21 Nov. 21 Jan. 22 Mär. 22 Mai. 22 Jul. 22 Sep. 22 Nov. 22 Rabattmarkt vertragsfreier Markt Abbildung 4: Produktengpassquote Rabattmarkt vs. vertragsfreier Markt, anteilig am jeweiligen Gesamtmarkt (beides für Generika). Quelle: BfArM (2023e) und INSIGHT Health, eigene Darstellung.
Mythos Beim Einpartnermodell wird der ganze Markt von nur einem Hersteller beliefert. Rabattverträge für Arzneimittelwirkstoffe können im Einpartner- oder Mehrpartnermodell ausgeschrieben werden. Je nach Modell erhält entweder maximal oder mindestens ein pharmazeutischer Hersteller den Zuschlag. Es gibt in Deutschland circa 100 unabhängige gesetzliche Krankenkassen und somit für jeden Wirkstoff bis zu 100 individuelle Verträge, selbst wenn jede Krankenkasse für den jeweiligen Wirkstoff Eine immer wieder angeregte Änderung in Rabattvertrags- einen Rabattvertrag mit nur einem Hersteller schließt. Dazu kommen Nebenmärkte wie beispielsweise die Versicherten der privaten vorgaben besteht darin, das Einpartnermodell einzuschrän- Krankenversicherung oder Krankenhäuser. ken und verpflichtende Mehrfachvergaben vorzuschreiben. Dieser Vorstoß begründet sich vor allem durch die Annahme, dass im Falle eines Produktengpasses des jeweiligen Partners kein anderer Hersteller die Marktnachfrage bedienen könne. Beispielsweise spricht Pro Generika (2021) in diesem Zusam- Auf Austauschgruppenebene4 betrachtet werden nur sieben menhang von einer gefährlichen Marktverengung. Prozent aller Rabattvertragsarzneimittel GKV-weit von nur einem Hersteller je Austauschgruppe beliefert, wohingegen Diese Schlussfolgerung greift zu kurz und würde nur gelten, 57 Prozent aller Rabattvertragsarzneimittel GKV-weit von wenn es für einen Wirkstoff nur einen Rabattvertrag mit nur fünf oder mehr Herstellern je Austauschgruppe beliefert wer- einem Hersteller für die ganze GKV gäbe. Durch die Vielzahl den (Quelle: INSIGHT Health). Bei Wirkstoffen, bei denen die TK an Krankenkassen kann eine ebenso große Vielzahl an Ra- nur einen Rabattvertragspartner hat, werden aktuell 88 Pro- battverträgen mit verschiedenen Zuschlagsempfängern ver- zent der GKV-weiten Packungen von mindestens zwei ver- einbart werden, da die überwiegende Mehrheit der Kranken- schiedenen Rabattvertragspartnern geliefert. Über ein Drit- kassen individuelle Verträge schließt. In Abbildung 5 ist tel der Packungen werden immer noch von mindestens zehn ersichtlich, dass dieses Bild auch durch eine Auswertung der verschiedenen Herstellern bereitgestellt. Eine durch Einpart- Datenbank INSIGHT Health gestützt wird: Bei den generischen nermodelle induzierte Verengung im Rabattvertragsmarkt ist Packungen, welche unter Vertragsbindung abgegeben wur- folglich nicht wahrscheinlich. Vielmehr gibt es eine erkennba- den, waren für den entsprechenden Wirkstoff am häufigsten re Anbietervielfalt, welche durch die Ausschreibungen der sechs verschiedene Rabattpartner (GKV-weit) vorhanden. unterschiedlichen Kassenarten gefördert wird. Anteil Packungen in Prozent % 30 25 20 15 10 5 % Anzahl Rabattpartner GKV-weit Abbildung 5: Anzahl Rabattpartner GKV-weit (für den abgegebenen Wirkstoff) für im Jahr 2021 abgegebene generikafähige Packungen. Quelle: INSIGHT Health, eigene Darstellung. 4 Arzneimittel werden Gruppen zugeordnet und können innerhalb dieser Gruppe gegen ein anderes Arzneimittel ausgetauscht werden. Als austauschbar gelten Arzneimittel, wenn sie die Aut-idem-Kriterien nach § 129 (1) SGB V erfüllen i. V. m. den Regelungen des Rahmenvertrags nach § 129 (2) SGB V. Danach sind Arzneimittel grundsätzlich austauschbar, wenn folgende Merkmale identisch sind: Wirkstoff, Darreichungsform, Wirkstärke, Packungsgröße, Anwendungsgebiet. Im Einzelfall sind Rückausnahmen (Aut-idem-Ausschlussliste, Anlage VII Arzneimittelrichtlinie Teil 2) definiert, ebenso Erweiterungen auf ähnliche Darreichungsformen (Teil 1) oder beispielsweise Überschneidungen von Anwendungsgebieten.
Lieferklima-Report 2023 – Lieferengpässe – Daten und Definitionen 15 Trotzdem liegt die PE-Betroffenheit im Einpartnermodell über den einzelnen Hersteller planbarer sind als bei einem Mehr- der des Mehrpartnermodells (1,07 Prozent gegenüber 0,61 partnermodell. Eine gezielte und bedarfsgerechte Bevorra- Prozent im Dezember 2022, gemessen an ihrem jeweiligen tung, welche im Referentenentwurf (BMG, 2023) angedacht Gesamtmarkt). Arzneimittel, die im Einpartnermodell gelie- ist, fällt im Einpartnermodell also leichter. fert werden, tauchen aber auch grundsätzlich mit höherer Wahrscheinlichkeit auf der BfArM-Liste auf, da sie häufiger die Insofern gilt für das favorisierte Mehrpartnermodell stets die Marktanteilsschwelle zur Meldeverpflichtung überschreiten. Einschränkung „sofern möglich“, da jeweils nach aktueller Trotzdem machen diese Arzneimittel im Dezember 2022 nur Marktsituation anhand einer Einzelfallbewertung durch die knapp 15 Prozent der angezeigten Produktengpässe aus. ausschreibende Kasse eine Abwägung der Anzahl der Zu- schlagsränge (ein bis drei Partner) erfolgen muss. Die TK setzt Während die Versorgungsrelevanz des Einpartnermodells in dieses Zielbild bereits seit mehreren Jahren erfolgreich um. der Praxis nicht von großer Bedeutung ist und Produkteng- pässe nicht vorrangig durch diese Vertragsform verursacht Wirkstoff- und Therapieengpässe Der Lieferengpass- werden, ist die finanzielle Relevanz für die Versichertenge- datenbank des BfArM waren zum Stichtag 20. Dezember 2022 meinschaft immens. Schätzungsweise beträgt der Anteil des rund 140 Wirkstoffe (siebenstelliger ATC) zu entnehmen, für Einpartnermodells der Einzelkassen am Gesamtvolumen der die mindestens ein Hersteller einen bestehenden Produkt- Rabatteinsparungen in der GKV 27 Prozent. Hieraus ergibt engpass gemeldet hatte. In fast 90 Prozent der Fälle boten sich ein GKV-weiter Einsparverlust von über 1,4 Milliarden Euro, weitere Anbieter wirkstoffidentische Alternativen an, für die sofern alle Rabattverträge für diese sie keinen Engpass mitgeteilt hatten. Wirkstoffe entfielen. Bei Neuausschrei- Die Liste weist beispielsweise für den bung im Mehrpartnermodell ist zwar mit signifikanten Einbußen bei den Rabatt- Produktengpässe Wirkstoff Oxycodon mehr als zehn Ein- träge von zwei Herstellern auf. In der erlösen zu rechnen, da das einzelne phar- mazeutische Unternehmen im Sinne der haben nur selten Lauer-Taxe5 sind für diesen Wirkstoff über 400 Arzneimittel von mehr als zehn Auktionstheorie weniger Anreize für hohe Rabattgebote hat. Der finanzielle Auswirkungen auf Anbietern gelistet, sodass trotz der Produktengpässe einzelner Hersteller Ausfall ließe sich jedoch schätzungsweise auf 0,8 bis 1 Milliarde Euro eindämmen. die Versorgung. kein Wirkstoffengpass zu befürchten war. Nur in wenigen Fällen (rund zehn Prozent) hatten alle Anbieter für einen Grundsätzlich ist die konsequente Mehrpartnervergabe in Ra- Wirkstoff einen Engpass gemeldet, wobei in nur rund vier battausschreibungen, wo immer es möglich ist, am geeig- Prozent der Fälle tatsächlich alle zugehörigen Produkte be- netsten, die Vielfalt von Anbietern im Markt zu fördern. Ein- troffen waren. Eine Analyse des Anteils an Produkten eines partnerverträge sind in wettbewerbsreichen Marktsegmenten Wirkstoffes, welche nicht in der BfArM-Lieferengpassdaten- weder für die Anbietervielfalt noch für die Liefersicherheit bank gelistet waren, zeigt, dass bei rund 92 Prozent der Pro- förderlich. Nichtsdestotrotz bleibt es notwendig, Rabattver- duktengpässe für mehr als 50 Prozent der wirkstoffidenti- träge auch im Einherstellermodell ausschreiben zu können, schen Produkte keine Produktengpässe gemeldet waren damit Vereinbarungen auch in bereits verengten Märkten (Abbildung 6). Im Jahr 2022 war von allen in der GKV abge- abschließbar sind. Rabattverträge können auch schon in gebenen Wirkstoffen (Quelle: INSIGHT Health) demnach bei Märkten mit nur einem Anbieter sinnvoll eingesetzt werden, 99,5 Prozent für mindestens 50 Prozent der Produkte kein da nur durch die Vertragsbindung verpflichtende Lagerkontin- Engpass gemeldet. gente vereinbart werden können. Zudem hat das Einpartner- modell den Vorteil, dass die benötigten Abgabemengen für 5 Datenbank mit Arzneimittelinformationen.
Lieferklima-Report 2023 – Lieferengpässe – Daten und Definitionen 16 Kumulative Anzahl der Wirkstoffe der BfArM-Liste pro Anteil lieferbarer Arzneimittel 100 Anzahl Wirkstoffe in Prozent 80 60 40 20 5 0 0.0 0.2 0.4 0.6 0.8 1.0 Anteil Arzneimittel nicht auf BfArM-Liste Abbildung 6: Kumulatives Histogramm der Anzahl der Wirkstoffe, welche auf der BfArM-Liste vertreten sind, nach Anteil lie- ferbarer Arzneimittel. Bei rund 4 Prozent der Wirkstoffe waren alle Produkte eingeschränkt lieferbar (Anteil Arzneimittel nicht auf BfArM-Liste = 0). Bei rund 8 Prozent der Wirkstoffe waren mehr als 50 Prozent aller Produkte eingeschränkt lieferbar (gestricheltes Fadenkreuz). Bei 100 Prozent der Wirkstoffe waren mehr als 0 Prozent der Produkte eingeschränkt lieferbar (Anteil Arzneimittel nicht auf BfArM-Liste = 1.) Quelle: BfArM (2023e) und TK-Abrechnungsdaten, eigene Darstellung. In Anbetracht der intensiven medialen Berichterstattung BfArM-Datenbank ausgewertet. Ein Wirkstoffengpass wird über die Engpassmeldungen bei einigen Kinderarzneimitteln festgestellt, wenn die Abgabemenge in Tagesdosen (defined im Dezember 2022 wurden die Produktengpassmeldungen daily dose, DDD) eines Wirkstoffs in einem Monat deutlich mit Blick auf Therapiesicherheit bei Arzneimitteln mit An- unter der erwarteten Abgabemenge des Wirkstoffs für diesen wendung bei Kindern untersucht. Von den am 20. Dezember Monat liegt. Da Trendabweichungen auch andere Ursachen 2022 rund 140 Wirkstoffen mit Produktengpässen haben haben können, wie zum Beispiel eine geringere Nachfrage des 20 Wirkstoffe mindestens eine Austauschgruppe, die einen Wirkstoffs aufgrund von Substitutionen durch neuere Wirk- nennenswerten Anteil mit Anwendung bei Kindern aufweist stoffe, wird hier nur bei gleichzeitigem Vorliegen einer Eng- (über 30 Prozent Anwendung bei unter Zwölfjährigen nach passmeldung in der BfArM-Datenbank für ein oder mehrere den Apothekenabrechnungsdaten der TK aus 2022). Bei nur Produkte dieses Wirkstoffs von einem Wirkstoffengpass ge- 2 dieser 20 Wirkstoffe hatten alle verfügbaren Hersteller einen sprochen. Um monatliche Schwankungen sowie Trends über Wirkstoffengpass gemeldet, bei allen anderen Wirkstoffen die Jahre auszugleichen, wurde die Abgabemenge für jeden waren Alternativprodukte anderer Hersteller im Markt, sodass Wirkstoff linear trendkorrigiert und über die Abweichung vom es in diesen Fällen beim Produktengpass blieb. Diese zwei nicht Median mit den Abgabemengen des jeweiligen Wirkstoffs im verfügbaren Wirkstoffe Phenoxymethylpenicillin-Benzathin gleichen Monat der anderen Jahre verglichen. Für die obere und Trimethoprim werden von jeweils nur einem pharmazeu- und untere Grenze der erwarteten Abgabemenge wird als tischen Unternehmen hergestellt. Es waren für zwei von drei Schätzer für die Standardabweichung (SD*) die mittlere ab- Arzneimitteln beziehungsweise für 3 von 14 Arzneimitteln solute Abweichung (MAD) mit einer Konstanten multipliziert des jeweiligen Herstellers Produktengpässe gemeldet. Die und die Grenze bei 3 SD* gezogen. Nichtverfügbarkeit der Wirkstoffe musste in akuten Fällen durch die Abgabe von therapeutisch ähnlichen Wirkstoffen Der Anteil an Wirkstoffmonaten (beobachteter Wirkstoff in (fünfstelliger ATC) ausgeglichen werden. Auf diese Weise beobachtetem Monat) mit außerordentlich geringen Abga- konnte ein Therapieengpass verhindert werden. bemengen (Abgabemengen unter 3 SD* der erwarteten Abgabemenge) liegt für Wirkstoffmonate ohne angezeigten Um das Zusammenspiel zwischen gemeldeten Produkteng- Produktengpass bei 1,4 Prozent und für Wirkstoffmonate mit pässen und Beeinträchtigungen der Therapiesicherheit weiter angezeigtem Produktengpass bei 3,6 Prozent. In 96,4 Prozent zu untersuchen, wurden über INSIGHT Health Abgabedaten aller Lieferengpassfälle entspricht die Abgabemenge des der GKV in Deutschland im Zeitraum von Ende 2015 bis Wirkstoffs auf siebenstelliger ATC-Ebene trotz angezeigtem Herbst 2022 sowie angezeigte Produktengpässe gemäß der Produktengpass der erwarteten Abgabemenge. Somit bestand
Lieferklima-Report 2023 – Lieferengpässe – Daten und Definitionen 17 kein Wirkstoffengpass. Bei einer Produktengpassquote von ATC-Ebene würde sich eine Therapieengpassquote von null 0,7 Prozent ergibt dies eine Wirkstoffengpassquote von Prozent ergeben. Dieser Wert besitzt aber nur eingeschränkte 0,027 Prozent. Hinsichtlich eines Therapieengpasses auf Aussagekraft, da auf der dreistelligen ATC-Ebene für einige fünfstelliger ATC-Ebene ergibt sich eine Engpassquote von Krankheiten nicht alle Alternativen therapeutisch sinnvoll ein- 0,019 Prozent. Bei einer Erweiterung der Definition der gesetzt werden können. Wirkstofffamilie von fünfstelligem ATC auf die dreistellige Produktengpässe kommen selten vor, Wirkstoffengpässe sehr selten Keine gemeldete Lieferunfähigkeit Produktengpass Wirkstoffengpass Abbildung 7: Relative Engpassbetroffenheit
Lieferklima-Report 2023 – Lieferengpässe – Daten und Definitionen 18 Insgesamt summierten sich die Einschränkungen im Jahr Arzneimittel sich noch auf dem Markt befinden und ist hier 2022 auf 0,008 Prozent der abgegebenen DDD6 . Aus dieser von den Statusmeldungen der pharmazeutischen Industrie Analyse lässt sich schließen, dass beim Großteil aller Einträge abhängig7. Darüber hinaus kann die Liste nur dann als Hilfs- auf der BfArM-Liste eine wirkstoffidentische Versorgung mit mittel zur frühzeitigen Maßnahmenentwicklung genutzt wer- einem Arzneimittel eines anderen Anbieters möglich war. den, wenn die pharmazeutische Industrie etwaige Probleme Darüber hinaus kann ein Wirkstoffengpass in einigen Fällen frühzeitig meldet. Für Erstmeldungen, die zum 1. Januar 2023 durch das Ausweichen auf Arzneimittel derselben Wirkstoff- noch lieferunfähig waren, liegt das Meldedatum für diese familie abgefangen werden, um die Therapie weiter gewähr- Erstmeldung jedoch im Durchschnitt knapp zwei Wochen leisten zu können. Abbildung 7 beschreibt die relative Engpass- nach Beginn des Lieferengpasses. Hier wäre ein stringenteres betroffenheit je Kategorie. Es wird ersichtlich, dass Engpässe Meldeverhalten wünschenswert, da sowohl die Abstimmung kein häufiges Problem darstellen. Sobald ein Therapieeng- zur Maßnahmenentwicklung als auch der Zeitpunkt bis zum pass auftritt, stellt sich dies jedoch als ernst zu nehmendes Einsetzen eines Effekts Zeit in Anspruch nehmen und hiermit Problem dar, weshalb die TK weiter bestrebt ist, Maßnahmen so früh wie möglich gestartet werden sollte, um die Arznei- zu treffen, um Engpässe künftig noch besser vermeiden zu mittelversorgung nicht zu gefährden. können (siehe Kapitel 4 und 5). Limitationen der BfArM-Engpassdatenbank Die Liefer- engpassliste des BfArM ist ein hilfreiches Instrument für einen zentralen Überblick über die Lieferfähigkeit versorgungsrele- vanter Arzneimittel, kann aber nicht als vollständige Daten- bank betrachtet werden und müsste hierfür kontinuierlich weiterentwickelt werden. Die Aussagekraft der BfArM-Liste hängt wie bei jeder anderen Datenbank von ihrer Datenqualität ab. Da die Selbstverpflichtung nicht alle Wirkstoffe umfasst, könnten einige Lieferengpässe zu nicht versorgungsrelevanten Arzneimitteln ungemeldet bleiben. Das BfArM hat ferner auch keine Informationen darüber, welche Mengen der betroffenen 6 Die fehlenden Mengen wurden anhand der Differenz zur unteren Grenze der erwarteten Abgabemenge abgeschätzt. 7 Die Abhängigkeit von den Eintragungen der pharmazeutischen Industrie betrifft sowohl das generelle Melden eines Produktengpasses als auch eine korrekte Eintragung aller entsprechenden Spalten der Liste. Bei der Betrachtung der Liste fällt auf, dass in über 50 Prozent der Einträge die Spalte für die Pharma- zentralnummer (PZN) nicht mit einer PZN, sondern einem „*“ als Platzhalter gefüllt ist, welcher laut BfArM dafür steht, dass eine Altdatenübernahme nicht möglich sei. Daher wurden für die Analysen die fehlenden PZN zu den gemeldeten Arzneimittelbezeichnungen nachgetragen. Hierbei wurde eine repräsenta- tive Auswahl auf Basis der beobachteten Datenmuster in den vollständig vorliegenden Meldungen berücksichtigt (Imputation der durchschnittlichen Anzahl an PZN pro Zeile bei Zeilen mit PZN-Eintrag). Dies kann im Einzelfall dazu geführt haben, dass PZN in der Analyse fälschlicherweise als lieferunfähig geführt wurden und die eigentlich lieferunfähige PZN keinen Eintrag erhält. Für Zählungen und Vergleiche je Markt oder Arzneimittelstatus dürfte die Verzerrung jedoch vernachlässigbar sein. Bei ab 2021 startenden Engpassmeldungen sind nur noch circa 10 Prozent der Fälle betroffen. Je aktueller die Einträge werden, desto seltener ist der Platzhalter gesetzt worden.
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