Straßen der Zerstörung - Eine Analyse der Straßenbauprojekte im brasilianischen Amazonasgebiet - WWF Deutschland
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Herausgeber: WWF Deutschland, Frankfurt am Main Stand: Oktober 2007, 1. Auflage Autor: Peter Hirschberger, 4con forestconsulting Redaktion und Kontakt: Roberto Maldonado, WWF Produktion: Natascha S. Schuck, WWF Layout: Astrid Ernst, Text- und Webdesign, Bremen © 2007 WWF Deutschland, Frankfurt am Main Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des Herausgebers Titelfoto: Unter dem Motto „3 Euro retten seine Welt“ startete der WWF im Herbst 2007 eine große Kampagne zur Rettung des Jaguars und des Amazonas-Regenwalds. (c) SelectNY. Berlin
Inhalt Abbildungsverzeichnis ........................................................................................................................ 4 Abkürzungen ....................................................................................................................................... 5 Zusammenfassung ............................................................................................................................... 6 1 Einführung ........................................................................................................................................ 8 2 Berechnungsgrundlage .................................................................................................................. 11 3 Historische Entwicklung ............................................................................................................... 13 3.1 Das offizielle Straßennetz ..................................................................................................... 13 3.2 Straßen und sozio-ökonomische Entwicklung ...................................................................... 13 3.3 Illegale Straßen ...................................................................................................................... 14 3.4 Straßen und Entwaldung ....................................................................................................... 16 4 Aktuelle und zukünftige Entwicklung .......................................................................................... 18 4.1 Aktuelle Straßenbaumaßnahmen (neue Straßen und zu teerende Straßen) ........................... 18 4.2 Langfristige Auswirkungen ................................................................................................... 21 4.3 Die Alternative: Straßenbau ohne Regenwaldzerstörung ..................................................... 22 4.4 Fallbeispiel BR 163 Cuiabá - Santarém ................................................................................ 24 4.5 Nachhaltige Waldnutzung zum Schutz des Regenwaldes ..................................................... 25 4.6 Fallbeispiel BR 319 Manaus – Porto Velho .......................................................................... 27 4.7 Weitere geplante Straßen ....................................................................................................... 29 5 Ausblick und Empfehlungen ......................................................................................................... 31 6 Literaturverzeichnis ...................................................................................................................... 33 WWF Deutschland 3
Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Die Entwaldungsfront dringt von Osten und Süden immer tiefer in das unberührte Herz des Amazonas ................................................................................. 8 Abbildung 2: Karte der illegalen Straßen im Amazonasregenwald ............................................... 15 Abbildung 3: Der Zusammenhang zwischen Straßennetz und Entwaldung .................................. 16 Abbildung 4: Karte der derzeit geplanten Straßenbaumaßnahmen im brasilianischen Amazonasgebiet .............................................................................. 18 Abbildung 5: Abhängigkeit zwischen Entwaldung und Entfernung zur nächsten asphaltierten Straße .................................................................................................. 21 Abbildung 6: Entwicklung der Entwaldungsrate in Brasilien unter verschiedenen Szenarien ...... 22 Abbildung 7: Schutzgebiete im brasilianischen Amazonasgebiet 2006 ........................................ 23 Abbildung 8: Auswirkungen der Asphaltierung der BR 163 ......................................................... 25 Abbildung 9: Der zur nachhaltigen Nutzung ausgewiesene Forstdistrikt entlang der BR 163 ..... 26 Abbildung 10: Auswirkungen der Asphaltierung der BR 319 ......................................................... 28 Abbildung 11: Karte der in Zukunft geplanten Straßenbaumaßnahmen im brasilianischen Amazonasgebiet .............................................................................. 30 4 WWF Deutschland
Abkürzungen ARPA Amazon Region Protected Areas Programme BNDES Brasilianische Nationalbank für wirtschaftliche und soziale Entwicklung BR Brasilianische Bundesstraße CDES Conselho de Desenvolvimento Econômico e Social CITES Washingtoner Artenschutz-Übereinkommen CSR Centro de Sensoriamento Remoto, Belo Horizonte DFS Distritos Florestais Sustentáveis FAO Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (Food and Agriculture Organization) FSC Forest Stewardship Council IIRSA Integration der regionalen Infrastruktur in Südamerika IMAZON Amazon Institute of People and the Environment INPE Instituto Nacional de Pesquisas Espaciais, Nationales Institut für Weltraumforschung PAC Plan zur Beschleunigung des Wachstums PRODES Projekt der brasilianischen Weltraumbehörde INPE zur Schätzung der Entwaldung im brasilianischen Amazonasgebiet durch Satellitenbeobachtung RTRS Roundtable on Responsible Soy UFMG Föderale Universität von Minas Gerais WWF Deutschland 5
Zusammenfassung Der Amazonas-Regenwald, der ursprünglich allein in in Peru und La Paz in Bolivien gebaut, von Manaus Brasilien etwa 410 Millionen Hektar bedeckte, ist bereits über Boa Vista zwei weitere nach Caracas in Venezuela um 17 Prozent geschrumpft. Ursachen dafür sind, groß- und Georgetown in Guyana25. teils illegal ausgeführt, Holzeinschlag und die Umwand- lung in Rinderweiden und Sojaplantagen. Straßen sind Laut renommierten Wissenschaftlern12 wird allein in bei dieser Entwicklung ein Schlüsselinstrument, denn Brasilien bis zum Jahr 2050 mindestens die Hälfte des die Produkte müssen zu den nationalen und internatio- Amazonasregenwaldes unwiederbringlich verloren sein, nalen Absatzmärkten transportiert werden. Das Straßen- wenn die Zerstörung weiter so voranschreitet wie bisher. netz im Amazonasgebiet wurde bereits auf über 110.000 Voraussetzung dafür ist der Straßenbau und die darauf Straßenkilometer ausgebaut17. Das brachte aber in der folgende unkontrollierte Erschließung weiterer Regen- Vergangenheit keineswegs die erhofften sozio-ökono- waldgebiete durch illegale Straßen. Mehr als 80 Prozent mischen Verbesserungen für die Amazonasregion18, der Regenwaldvernichtung finden im Umkreis von fünf stattdessen erreichte die Entwaldung immer wieder neue km entlang von legalen und illegalen Straßen statt. Rekordwerte, besonders im Einzugsgebiet der Straßen. Führt die brasilianische Regierung die Straßenbaumaß- Hinzu kommt ein gewaltiges Netz an illegal, meist von nahmen wie geplant durch, ohne Maßnahmen für den Holzfällern errichteten Straßen, welches das offizielle an Schutz des Amazonasregenwaldes zu ergreifen, hätte Länge um das vierfache übertrifft. Diese illegalen Stra- dies die Zerstörung von 170 Millionen Hektar Tropen- ßen ermöglichen die unkontrollierte Besiedelung und wald zur Folge. Die Entwaldungsrate würde wieder an- Brandrodung selbst in entlegenen und besonders schüt- steigen und erst in den 2040er Jahren abnehmen, wenn zenswerten Regionen. Über 80 Prozent der gerodeten kaum noch Waldfläche vorhanden wäre, die zerstört Waldfläche befindet sich in weniger als fünf km Entfer- werden kann. Dies würde die weltweiten Anstrengungen nung zur nächsten offiziellen oder illegalen Straße20. zum Klimaschutz zunichte machen! Der Nationale Logistik- und Verkehrsplan25 Brasiliens Die Erhaltung des Amazonasregenwaldes ist für den sieht vor, allein in der Planungsregion Amazonas (diese globalen Klimaschutz von erheblicher Bedeutung. umfasst nicht das gesamte brasilianische Amazonas- Allein in den Bäumen sind etwa 120 Milliarden gebiet) 3,8 Milliarden EuroI in den Ausbau der Stra- Tonnen Kohlenstoff gespeichert - das entspricht dem ßenverkehrsinfrastruktur zu investieren. Dies schließt 15 fachen der jährlichen globalen Treibhausgasemis- sowohl den Neubau als auch die Wiederherstellung und sionen. Schon jetzt trägt die Zerstörung der Wälder Asphaltierung sowie den Ausbau bestehender Straßen mit 20 Prozent bis 25 Prozent - mehr als der gesamte mit ein. Besonders kritisch werden aus ökologischer Transportsektor - zum weltweiten CO2-Ausstoß bei. Sicht unter anderem die Asphaltierung der Transamazô- Brasilien hat den vierthöchsten Kohlendioxidausstoß nica (BR 320), der BR 163 von Cuiabá nach Santarém weltweit, davon stammen mehr als 70 Prozent aus der und der BR 319 von Manaus nach Porto Velho gesehen. Regenwaldzerstörung. Die Straßenbaumaßnahmen werden die Entwaldung nicht nur entlang der Straßen steigern. Zum einen Neben einer Senkung des Energieverbrauchs in den können sie durch die verbesserten Absatzmöglichkei- Industrieländern, vor allem durch eine höhere Effizienz, ten die Umwandlung zu landwirtschaftlichen Flächen sollte daher der Schutz der Regenwälder, allen voran im Bogen der Entwaldung am östlichen und südlichen des Amazonas, bei den Klimaschutzverhandlungen Rand des Amazonasbeckens vorantreiben. Zum ande- für die Periode ab 2012, nach Auslaufen des Kyoto- ren werden die aus diesem Gebiet bekannten ökologi- Protokolls, angemessen berücksichtigt und geeignete schen und sozialen Probleme wie Landrechtskonflikte, Finanzierungsinstrumente geschaffen werden. Der moderne Sklaverei und Entwaldung in das Herz des Stern-Report hat aufgezeigt, dass die ein äußerst Amazonasregenwaldes getragen, wenn ausgebaute kosteneffizienter Weg ist, das Klima zu schützen und Straßen den Zustrom von Siedlern erleichtern21. Als Teil sowohl die Biodiversität als auch die Lebensgrundlagen eines Gesamtkonzeptes sollen die Baumaßnahmen eine von Millionen Menschen zu erhalten. Der Schutz des durchgehend asphaltierte Straßenverbindung von der Amazonasregenwaldes ist von globaler Bedeutung – für Atlantik- bis zur Pazifikküste ermöglichen, mit Auswir- Klima, Natur und den Menschen selbst. kungen auch in den Nachbarstaaten. Von Porto Velho aus werden drei Transportrouten nach Lima und Cuzco Werden alle nötigen Maßnahmen zum Schutz des Ama- zonasregenwaldes getroffen, können 100 Millionen I 9,8 Milliarden Reais; Wechselkurs vom 2.10.2007: 1 Real = 0,3876 Euro Hektar Tropenwald bis 2050 selbst bei Durchführung 6 WWF Deutschland
der Straßenbaumaßnahmen gerettet und die Freisetzung auf nachhaltige Waldnutzung gefördert und mit ande- von 17 Milliarden Tonnen Kohlenstoff, über die Hälfte ren Sektoren wie Landwirtschaft, Energie und Touris- der befürchteten Emissionen, vermieden werden. Vor mus vernetzt29. Satellitengestützte Monitoringsysteme allem aber würde sich der Trend umkehren und die werden aufgebaut, um den Schutz des Regenwaldes zu Entwaldungsrate bis 2050 stetig abnehmen. überwachen und die Entwaldung zu kontrollieren31. Nut- zungskonzessionen für Waldflächen werden langfristig, Ein solches Szenario ist optimistisch, aber nicht unrea- über 40 Jahre hinweg, vergeben, um eine nachhaltige listisch. Es gibt bereits einige positive Anzeichen dafür, Nutzung auch wirtschaftlich interessant zu machen31. dass die bereits eingeleiteten Maßnahmen, wie etwa die Schaffung von 20 Millionen Hektar neuer Schutzgebie- Im Zusammenspiel mit dem wachsenden Druck der te in den letzten beiden Jahren, die Entwaldung zu- internationalen Absatzmärkte, eine ökologisch und mindest verlangsamen konnte. Laut vorläufigen, noch sozial verantwortungsvolle Landbewirtschaftung mit ungenauen Berechnungen ist die Entwaldungsrate in Zertifikaten wie FSCIII bei Holz oder RTRSIV bei Soja Brasilien, nachdem sie 2004 mit 2,72 Millionen Hektar nachzuweisen, und der wachsenden Bedeutung der den zweithöchsten Wert erreicht hatte, im vergangenen Regenwälder für den globalen Klimaschutz könnte Jahr auf den niedrigsten Stand seit Beginn der Messun- die Kombination aus Schutzgebieten und nachhaltiger gen zurückgegangen – allerdings bedeutet das immer Entwicklung die Regenwälder entlang der BR 163 noch den Verlust von 960.000 Hektar Amazonasregen- großteils erhalten26. Auf den gesamten Amazonasraum wald, dies entspricht der Fläche Zyperns. angewandt könnten bis 2050 knapp 60 Prozent der pro- gnostizierten Regenwaldzerstörung vermieden werden Die brasilianische Regierung unter Lula da Silva be- und vor allem die Entwaldungsrate stetig und langfris- ginnt, die Grundvoraussetzung für einen erfolgreichen tig gesenkt werden12. Schutz des Regenwaldes zu schaffen – die Einhaltung der bestehenden Gesetze im Amazonasraum durchzu- Das kann aber nur gelingen, wenn keine neuen Straßen setzen und Rechtsstaatlichkeit herzustellen. Zur Kon- in den bisher weitgehend intakten Nord-Westteil des trolle und Eindämmung der Entwaldung im Amazonas Amazonas und andere große, unzerschnittene Regen- sollen laut Plan der Regierung unter Einbindung der waldblöcke getrieben werden12. Der Schutz dieser Wäl- Bevölkerung Landrechte festgelegt und Landnutzungs- der durch ihre Abgeschiedenheit würde verloren gehen planungen durchgeführt werden. Weitere Kernpunkte und neue Entwaldungsfronten würden aufgerissen, die sind die Förderung nachhaltiger Waldnutzungsformen, mit allen zuvor beschriebenen Gegenmaßnahmen nicht eine verbesserte Nutzung bereits gerodeter Flächen und aufzuhalten wären. Eine solche Befürchtung ist leider eine strategische Planung bei Infrastrukturprojekten. nicht abwegig, da im Nationalen Straßenverkehrsplan34 noch 2002 eine Art „Amazonasring“ geplant war, der Als Pilotprojekt wurde die BR 163 ausgewählt, die von entlang der nördlichen und westlichen Grenze des Cuiabá in das 1.780 Kilometer nördlichere Santarém brasilianischen Amazonasgebietes verlaufen sollte, führt und bald durchgehend asphaltiert sein soll. Ohne mit einigen Querverbindungen. Stattdessen müssen in Gegenmaßnahmen könnte das Gebiet bis 2050 weit- einem gesamtplanerischen Ansatz für den Amazonas- gehend entwaldet sein, wenn entlang der BR 163 drei raum solche großflächigen, intakten Regenwaldblöcke Entwaldungsfronten zusammentreffen. Ein weiteres unzerschnitten bewahrt werden, um den Amazonasre- Pilotprojekt für einen natur- und sozialverträglichen genwald insgesamt zu erhalten. Unter einer kritischen Infrastrukturausbau soll die BR 319 von Manaus nach Flächengröße - Experten sprechen von 70 Prozent der Porto Velho werden. Die geplante Erneuerung und As- ursprünglichen Größe - könnten der Wasserkreislauf phaltierung würde in diesem dünn besiedelten Gebiet zusammenbrechen und weite Teile des Amazonasbe- mit wenigen Schutzgebieten die Entwaldung deutlich ckens zu Savanne und Buschland werden. Mit seiner erhöhen, die gerodete Waldfläche könnte sich bis 2050 gewaltigen Fläche erzeugt nämlich der Amazonas- im Vergleich zu 2003 verzehnfachen12, 26. regenwald drei Viertel seines Regens selbst. Auf Beschluss des Präsidenten wurde das Einzugs- II Distritos Florestais Sustentáveis gebiet der BR 163 im Februar 2006 als erste Nach- Das Zertifikat des Forest Stewardship Council (FSC) ge- III haltige Waldentwicklungszone (DFS)II ausgewiesen. währleistet, dass Holz und Papierprodukte aus einer verant- wortungsvollen Waldbewirtschaftung stammen. Außerhalb der drei bestehenden Nationalparks wird Der Roundtable on Responsible Soy (RTRS) entwickelt IV die sozioökonomische Entwicklung mit Schwerpunkt Kriterien für eine verantwortungsvolle Sojaproduktion WWF Deutschland 7
1 Einführung Seit Anfang der 1950er Jahre ist es Ziel des Brasi- weise degradiert. Von 2003 bis 2007 wurden jährlich im lianischen Staates, die wirtschaftliche Entwicklung Durchschnitt knapp 1,9 Millionen Hektar Amazonas- des Amazonasraums zu fördern, der, so wie er 1953 Regenwald vernichtet3 - das entspricht 3,6 Hektar oder politisch definiert wurde, mit 520 Millionen Hektar 4,5 Fussballfeldern pro Minute! immerhin 61 Prozent der Landesfläche einnimmt. Besonders das Militärregime, das Brasilien von 1964 Die stärksten Waldverluste erfolgen entlang einer bis 1985 regierte, trieb die Wirtschaftsentwicklung des bogenförmigen „Entwaldungsfront“ am südlichen und Amazonas voran, indem sie private Wirtschaftszweige, südöstlichen Rand des Amazonasregenwalds, in den zu Beginn Landwirtschaft, gefolgt von Bergbau, mit Bundesstaaten Maranhao, Mato Grosso, Para und Ron- Steuervergünstigungen in die nördlichen Bundesstaaten donia. Rinderweiden und Sojaplantagen dringen von lockte1. Mit dem Entwicklungsplan des Militärs begann hier immer weiter in das intakte Herz des Amazonas auch der Bau von Straßen wie der Transamazônica oder vor. Rinderzucht ist quer durch die Region die vorherr- der BR 163 von Cuiabá zum Amazonashafen Santarém, schende Landnutzungsform auf entwaldeten Flächen. um die Produkte aus dem Amazonasgebiet abzutrans- Zwischen 1990 und 2003 wuchs die Zahl der Rinder portieren und Siedler aus dem Dürre geplagten Nord- im brasilianischen Amazonasgebiet von 26,6 Millionen osten des Landes in das großteils noch menschenleere auf 64 Millionen, ein Zuwachs um 140 Prozent. Der Amazonasgebiet zu bringen. Die aktuellen sozialen und Großteil des Fleisches, im Jahr 2000 waren es 87 Pro- ökologischen Probleme sind eine Folge dieser Politik. zent, wird in die südlicheren Bundesländer und in das Ausland exportiert4. Der Amazonas-Regenwald bedeckte allein in Brasilien ursprünglich etwa 4,1 Millionen Quadratkilometer; Seit einigen Jahren hat der Sojaanbau immer mehr eine mittlerweile ist er auf 3,4 Millionen Quadratkilome- Führungsrolle bei der Zerstörung des Amazonasregen- ter geschrumpft. Damit sind bereits 17 Prozent dieses walds eingenommen5. So wurden 2003 in Matto Gros- einmaligen Lebensraumes unwiederbringlich verloren2. so, dem brasilianischen Bundesstaat mit der höchsten Weitere 17 Prozent der Waldfläche sind schätzungs- Sojaproduktion, bereits 23 Prozent der Wälder direkt Abbildung 1: Die Entwaldungsfront dringt von Osten und Süden immer tiefer in das unberührte Herz des Amazonas. Quelle: INPE 8 WWF Deutschland
in Ackerflächen umgewandelt. Dabei war eine direkte sterben. Dadurch werden die verbleibenden Waldreste Korrelation zwischen Entwaldungsrate und dem Preis anfälliger für Feuer8. Normalerweise wäre dies nicht für Soja festzustellen6. Insgesamt wuchs die Fläche im problematisch, denn Waldbrände im Amazonasgebiet brasilianischen Amazonasgebiet, auf der mechanisierte sind so gut wie nie auf natürliche Ursachen zurück zu Landwirtschaft betrieben wurde, von 2001 bis 2004 führen. Tropische Gewitterstürme werden von heftigen um 3,6 Millionen Hektar, während im selben Zeit- Regenfällen begleitet, so dass eine Entzündung durch raum über 9,3 Millionen Hektar Regenwald vernichtet Blitzeinschlag äußerst unwahrscheinlich ist9. Um das wurden6. Gleichzeitig werden die Rinderzüchter durch Holz mit Traktoren und LKWs abtransportieren zu die mechanisierte Landwirtschaft von den Rändern des können, werden jedoch Straßen und Rückegassen in Amazonasregenwaldes immer mehr in dessen Herz den Regenwald geschlagen, auf denen Siedler nachzie- getrieben. Ein Indikator für diesen Landnutzungs- hen können - landlose Kleinbauern ebenso wie Grilei- wechsel sind die Grundstückspreise, die beispielsweise ros - Großgrundbesitzer, die sich in einem Klima der entlang der BR-163, die Cuiabá und Santarém verbin- Gesetzlosigkeit und fehlender Rechtsstaatlichkeit ganze det, allein zwischen November 2001 und Februar 2002 Landstriche widerrechtlich aneignen. Die Waldbrände um 29 Prozent bei Weideland und 250 Prozent bei Wald oder Hotspots sind ein auf Satellitenaufnahmen gut er- anstiegen4. kennbarer Indikator dafür, wo gerade Regenwald durch Brandrodung in Acker- und Weideland umgewandelt Der Wegbereiter für diese Entwicklung ist der selektive wird. Nahezu 28 Prozent der Fläche des brasilianischen Holzeinschlag, der jährlich weitere 1 bis 2 Millionen Amazonasgebietes wird durch menschliche Eingriffe Hektar des brasilianischen Amazonaswaldes beein- in Verbindung mit Feuer verändert8. Trockenheit und trächtigt. Ein erheblicher Teil des Holzes - Schätzun- Dürreperioden, die sich durch den Klimawandel noch gen gehen von bis zu 80 Prozent aus - wird illegal verschärfen werden, liefern die idealen Rahmenbedin- eingeschlagen, doch selbst der legale Einschlag ist gungen, weshalb die Zahl der Brandherde im Spätsom- noch lange nicht nachhaltig. Beim selektiven Holzein- mer stark ansteigt, mit einem Höhepunkt im September. schlag in den Tropen werden gezielt wertvolle, auf den Ein intakter Regenwald würde jedoch selbst nach einer internationalen Märkten nachgefragte Holzarten gefällt. längeren Trockenperiode nicht brennen8. Baumarten wie Mahagoni sind durch Übernutzung be- reits so gefährdet, dass sie bereits in das internationale Die Brandrodungen und die damit verbundene Artenschutzabkommen CITES aufgenommen und Han- Landumwandlung haben schwerwiegende Auswir- delsbeschränkungen erlassen wurden. Zudem verur- kungen auf das Weltklima und finden deshalb auch in sacht selektiver Holzeinschlag in den Tropen beträcht- den internationalen Bemühungen zum Klimaschutz liche Kollateralschäden. Pro verwerteten Baum werden vermehrt Beachtung. Die Änderung der Landnutzung, im Amazonas 27 weitere Bäume mit über zehn cm vor allem durch Entwaldung, verursacht mehr als ein Brusthöhendurchmesser beschädigt, 40 m Straße neu Viertel des globalen Ausstosses von Treibhausgasen gebaut und in das geschlossene Kronendach eine Lücke und damit mehr als der gesamte Transportsektor10. von 600 m² gerissen. Mit dem Holzeinschlag geht eine Werden die Treibhausgasemissionen aus der Landnut- Degradierung der Wälder einher, der Urwald verliert zungsänderung, also der Entwaldung, mit eingerechnet, seine besonderen Eigenschaften und Funktionen. Die hat Brasilien den vierthöchsten Kohlendioxidausstoß Fläche der Primär- und Urwälder, die in Brasilien jähr- weltweit, hinter den USA, China und Indonesien11, das lich durch Degradierung verschwinden, übersteigt laut ebenfalls eine extrem hohe Entwaldungsrate aufweist. FAO mit fast 3,5 Millionen Hektar noch den jährlichen Die Kohlenstoffmenge, die allein in den Bäumen des Nettowaldverlust7. Wiederaufforstungen und Plantagen Amazonasregenwaldes gebunden ist, entspricht den können Urwälder in ihren einzigartigen Eigenschaften gegenwärtigen weltweiten Treibhausgasemissionen nicht ersetzen, auch wenn in mancher Statistik beides von 15 Jahren12. Der Stern-Report weißt ausdrücklich gegeneinander aufgerechnet wird. darauf hin, dass ein Drosseln der weltweiten Entwal- dung ein äusserst kostengünstiger Weg wäre, um den Mit der Degradierung durch Holzeinschlag steigt auch Ausstoss von Treibhausgasen zu verringern10. Eine die Brandanfälligkeit der Wälder. Beim Holzeinschlag Reihe tropischer Länder setzt sich dafür ein, dass in den bleiben die Äste und nicht verwertbares Holz zurück. Klimaschutzverhandlungen für die Periode ab 2012, Durch die Lücken im Kronendach dringt das Sonnen- nach dem Auslaufen des Kyoto-Protokolls, Finanzie- licht bis auf den Boden, trocknet den Rest aus und rungsinstrumente für den Schutz der Regenwälder auf- bringt den Schatten gewohnten Unterwuchs zum Ab- genommen werden. Insgesamt kann der Klimawandel WWF Deutschland 9
jedoch nur durch eine Senkung des Energieverbrauchs Das Hauptziel des brasilianischen Präsidenten Lula da vor allem in den Industrieländern in einem akzeptablen Silva während seiner Regierungszeit ist die Bekämp- Rahmen gehalten werden. fung der Armut. Hiezu soll das Wirtschaftswachstum bis zu Jahr 2022 um mindestens sechs Prozent jähr- Gleichzeitig verschärft jedoch die weltweite Nachfrage lich steigen. Gleichzeitig soll die soziale Ungleichheit nach Biokraftstoffen den Druck auf die letzten verblie- abgebaut und die Einkommensunterschiede innerhalb benen Regenwälder. Dabei können Biokraftstoffe, für der brasilianischen Gesellschaft verringert werden. Die die Tropenwälder gerodet werden, dadurch weitaus Nationalbank für wirtschaftliche und soziale Entwick- mehr Treibhausgasemissionen verursachen als die fos- lung (BNDES) stellt in den nächsten zehn Jahren etwa silen Kraftstoffe, die dadurch ersetzt werden. In Bra- 250 Milliarden Euro zur Verfügung, um den Ausbau silien soll für die Biodiesel-Produktion gentechnisch der Industrie und Infrastruktur zu fördern, mit Schwer- verändertes Soja verwendet werden, das damit auch an punkt auf den nördlichen Landesteil, das Amazonasge- die schlechteren Wachstumsbedingungen im Amazonas biet14. Koordiniert wird die wirtschaftliche und soziale angepasst werden könnte. Im Bundesstaat Mato Gros- Entwicklung durch das Conselho de Desenvolvimento so, der im südlichen Teil des Amazonas liegt, errichtet Econômico e Social (CDES). Erstmals in der brasilia- beispielsweise die US-amerikanische Firma Archer Da- nischen Geschichte wird in die Entscheidungsfindung niels Midland Company eine Fabrik, in der Biodiesel auch die Zivilgesellschaft mit einbezogen. Ein Schwer- aus Sojabohnen hergestellt werden soll13. Der dortige punkt der Entwicklungsplanung ist der Ausbau der Gouverneur Blairo Maggi ist gleichzeitig größter Soja- Infrastruktur, wie Straßen und Wasserwege. produzent. Auf Regierungsbeschluss sollen in Brasilien ab 2008 vier Prozent und ab 2013 fünf Prozent Biodie- sel dem fossilen Dieselkraftstoff beigemischt werden13. Zudem sind Ölpalmplantagen, die für die erschrecken- de Waldvernichtung in Südostasien verantwortlich sind, auch im Amazonasgebiet auf dem Vormarsch. 10 WWF Deutschland
2 Berechnungsgrundlage Im renommierten Wissenschaftsmagazin Nature wur- Gegenden geschaffen. Der WWF hat gemeinsam den 2006 die Hauptergebnisse einer Studie12 vorgestellt, mit der brasilianischen Regierung 1998 das Amazon in der die langfristigen Auswirkungen geplanter Stra- Region Protected Areas Programme (ARPA) ins Leben ßenbaumaßnahmen auf den Amazonasregenwald und gerufen, dessen Umsetzung vom WWF maßgeblich die Wirksamkeit verschiedener Schutzmaßnahmen mit mit gestaltet wird. Von 2002 bis zum Jahr 2012 sollen Hilfe einer Computersimulation untersucht wurden. 50 Millionen Hektar, eine Fläche so groß wie Spanien, Verschiedene Detailergebnisse sowie das Simulations- dauerhaft geschützt sein. Auf Flächen außerhalb der programm SimAmazonia selbst sind im InternetV online Schutzgebiete könnten sich mehr und mehr ökologisch verfügbar. Die Simulation wurde von einer Gruppe von und sozial verantwortungsvolle Nutzungsformen durch- Wissenschaftlern des Instituto de Pesquisa Ambiental setzen, wenn die internationalen Märkte Druck ausüben da Amazônia, des Woods Hole Research Center und und entsprechende Nachweise wie das FSC-Zertifikat dem Zentrum für Fernerkundung der Universität von verlangen. Zudem ist die Korruptionsbekämpfung Minas Gerais erstellt. eines der Hauptziele der brasilianischen Regierung. Dies schließt die Einführung der Rechtsstaatlichkeit im Das Simulationsprogramm baut auf empirischen Daten Amazonasgebiet und damit die Bekämpfung illegaler aus der Entwicklung der Vergangenheit auf. So werden Aktivitäten, wie sie bei Landrodungen und Holzein- beispielsweise gerodete Flächen, die mit dem Satelli- schlag häufig geschehen, mit ein. Den Raum, der dabei tensystems PRODES ermittelt wurden, geographisch geschaffen wird, will die Regierung mit nachhaltigen zugeordnet und anhand von Kartenmaterial die Entfer- Nutzungsformen besetzen. So wurde beispielsweise nung zur nächsten Straße gemessen. Aus diesen Daten bereits ein durch Entwaldung besonders gefährdetes Ge- läßt sich eine mathematische Funktion ableiten, die an- biet entlang der BR 163 bereits zur nachhaltigen Wald- gibt, wie viel Prozent der Fläche durchschnittlich gero- nutzung ausgewiesen, weitere Zonen sind in Planung. det sind in einer bestimmten Entfernung zur Straße. Um die Auswirkungen einer geplanten Straßenbaumaßnah- Die Computersimulation SimAmazonia ermöglicht me zu bestimmen, können die Ergebnisse dieser Funkti- deshalb zwei verschiedene Szenarien, ein „Business as on mit weiteren Faktoren gekoppelt werden. So ist die usual“-Szenario, in dem sich die bisherigen Trends der weitere Entwaldung selbstverständlich davon abhängig, Entwaldung fortsetzen, gebremst nur durch die schwin- wie viel Wald noch vorhanden ist, beziehungsweise wie dende Waldfläche, und ein „Governance“-Szenario, in viel Wald bereits gerodet wurde. Ein weiterer Faktor dem die oben beschriebenen Gegenmaßnahmen lang- ist, wo und in welcher Größe Schutzgebiete vorhanden fristig fortgeführt und wirksam werden. Daneben lassen sind, wie Nationalparks oder Indigenengebiete, welche sich verschiedene Zwischenstufen bilden, indem man die Entwaldung zumindest verlangsamen können. beispielsweise keine, beziehungsweise nur eine Stra- ßenbaumaßnahme durchführt. Mit dem Programm lässt Das Simulationsprogramm SimAmazonia ermöglicht sich also berechnen, wie effektiv eine Maßnahme oder Prognosen bis in das Jahr 2050. Es ist verständlich, ein Maßnahmenbündel dabei ist, die Regenwaldzerstö- dass man nicht davon ausgehen sollte, dass in diesem rung in einem bestimmten Gebiet im Amazonasraum langen Zeitraum weiterhin alles unverändert seinen zu verringern. Ebenso lässt sich berechnen, welche Lauf geht, also „Business as usual“. Gerade in den letz- Auswirkungen eine bestimmte Straßenbaumaßnahme ten Jahren mehren sich die Anzeichen, dass eine Kehrt- auf die Regenwaldfläche in ihrem Einzugsgebiet unter wende möglich ist. Die Entwaldungsrate in Brasilien verschiedenen Szenarien haben wird. ist, nachdem sie 2004 den zweithöchsten Stand nach dem Rekordwert 1995 erreichte, bis letztes Jahr um Die Szenarien sind konservativ gehalten, da sie weder fast die Hälfte zurückgegangen, von 2,7 Millionen die Walddegradierung durch Holzeinschlag und Brände Hektar auf 1,4 Millionen Hektar. Nach vorläufigen, noch die zusätzlichen Belastungen durch den Klima- noch ungenauen Berechnungen beträgt sie für 2006 / wandel beinhalten. Auch der Verlust anderer wertvoller 2007 960.000 Hektar. Dies wäre der niedrigste Stand, Ökosysteme wie Savannen ist nicht einbezogen. seit begonnen wurde, die Waldzerstörung mit Satelliten zu messen. Gleichzeitig wurden seit 2002 25 Mio. Hek- tar neuer Schutzgebiete in besonders gefährdeten V http://www.csr.ufmg.br/simamazonia/ WWF Deutschland 11
Vor allem aber muss darauf hingewiesen werden, dass Regionen des Amazonasgebietes bereits während der sich die simulierten Szenarien nur auf die derzeit ge- letzten Jahrzehnte geschah. Die Autoren des Nature- planten und in der Umsetzung befindlichen Straßenbau- Artikels weisen deutlich darauf hin, dass die prognos- maßnahmen beziehen. Diese finden ausschließlich in tizierte zukünftige Entwaldung steigt, wenn Straßen in Regionen statt, in denen es bereits mehr oder weniger bisher unerschlossenen Regionen gebaut werden12. starke Eingriffe durch den Menschen gegeben hat. So hat ein Teil der Waldfläche bereits seinen Primärwald- Analog zum Ablauf des Simulationsprogramms soll im charakter verloren, andere Flächen sind bereits gero- Folgenden die bisherige Entwicklung des Straßenbaus det. Der Schutz der verbliebenen Primärwälder sowie im Amazonas und dessen Auswirkungen auf Mensch anderer Flächen mit einem besonders hohen Schutzwert und Natur geschildert werden, um anschließend, auf- verbunden mit einer verantwortungsvollen Nutzung bauend auf den Erfahrungen aus der Vergangenheit, die der degradierten Wälder und gerodeten Flächen ist hier langfristigen Auswirkungen der derzeitigen Straßen- die ökologisch und sozial nachhaltigste Lösung. Diese baumaßnahmen unter den verschiedenen Szenarien zu Ergebnisse können keinesfalls auf den letzten großen beurteilen und schlussendlich Handlungsempfehlungen zusammenhängenden Regenwaldblock im Nordwest- daraus abzuleiten. teil des Amazonasgebietes und andere, noch nicht erschlossene Waldgebiete übertragen werden. Hier sind die Wälder noch weitestgehend intakt und durch ihre schwere Erreichbarkeit bestens geschützt. Ein Stra- ßenbau würde hier neue Entwaldungsfronten aufreißen und eine Welle weiterer Erschließungen - offiziell oder illegal - nach sich ziehen, so wie es in den anderen Über 80 Prozent der gerodeten Waldfläche befindet sich in weniger als fünf Kilometer Entfernung zur nächsten Straße. (c) Clóvis Miranda 12 WWF Deutschland
3 Historische Entwicklung 3.1 Das offizielle Straßennetz Knapp 95.000 Straßenkilometer sind nicht asphaltiert, davon fallen nochmals knapp 54.000 Kilometer in die Bis in die 60er Jahre des 20. Jahrhunderts waren die Kategorie „Leito Natural“, sie verlaufen in einem natür- Flüsse im Amazonasgebiet über größere Distanzen die lichen Flussbett. Zusätzlich befanden sich 2004 weitere einzigen Transportwege, noch heute spielen sie eine 35.490 Straßenkilometer im Planungsstadium. Auch maßgebliche Rolle in der Infrastruktur. Anfang der 70er bei den überregionalen Straßen, die unter die Nationale Jahre begann die damals herrschende Militärdiktatur Straßenverkehrsplanung fallen, sind von 15.322 Stra- mit der Erschließung des brasilianischen Amazonasge- ßenkilometer in der Nordregion nur 6.347 km asphal- bietes durch Straßen. Den Anfang machte die Transa- tiert. Mit 8.975 km sind auch hier mehr als die Hälfte mazônica, offiziell als BR 230 bezeichnet. Am 8. Ok- der Straßen nicht geteert. Davon waren 2004 allerdings tober 1970 gab der damalige Präsident General Medici knapp 2.500 km zur Asphaltierung vorgesehen. In ei- im Bundesstaat Para mit der Fällung eines Baumes den nem Flussbett verlaufen bei den überregionalen Straßen Startschuss zum Baubeginn. Knapp zwei Jahre später, nur 540 km. Zusätzlich sind weitere 7.372 km Bundes- am 27. August 1972 konnte General Medici bereits die straßen in der Nordregion geplant (Kapitel 4.7). 2.500 km lange Straße durch den Regenwald einwei- hen, die Tausende Siedler aus dem dürregeplagten 3.2 Straßen und sozio-ökonomische Nordosten des Landes in den weitgehend unbesiedelten Entwicklung Amazonas ziehen sollte15. Dem Bau der Transamazônica fielen neben der Natur zahlreiche Indianerstämme zum Die Erschließung des Amazonas durch mehr als Opfer, die entlang der Strecke lebten, wie die Beicos de 100.000 km Straßen, verbunden mit der intensiven Pau, Bororos, Carajas, Chavantes oder Cintas Largas. Ausbeutung der dortigen natürlichen Ressourcen, hat Das Volk der Arara, das man seit den 1940er Jahren für für die Mehrheit der Bevölkerung keineswegs die ausgestorben hielt, wurde im Zuge der Baumaßnahmen erhoffte Verbesserung ihrer Lebensumstände gebracht. zur Transamazônica wieder aufgespürt. Diese Kontakt- Dies lässt sich daran ablesen, inwieweit die Millenium- aufnahme bescherte den Arara Infektionskrankheiten sentwicklungsziele bis 2015 im Amazonasraum erreicht wie Grippe und Durchfall, die zu einem weiteren Rück- sein werden. Die Milleniumsziele der UN setzen Ziele gang ihrer Bevölkerung führten. Nur wenige Gruppen und Indikatoren, um Verbesserungen im sozioökonomi- überlebten und nahmen gegen Holzhändler, Viehzüch- schen und ökologischen Bereich in Entwicklungs- und ter und Landräuber den Kampf um ihr Recht, auf ihrem Schwellenländern zu messen. Eine kürzlich erschienene eigenen Land zu leben, auf. Heute durchqueren hun- Studie von IMAZON18 untersuchte die Verwirklichung derte Straßen, auf denen die Holztransporter unterwegs der Milleniumsziele im brasilianischen Amazonasgebiet sind, das Land dieses Volkes16. anhand von 17 Indikatoren. Bei der Mehrzahl dieser Indikatoren waren zwar Verbesserungen feststellbar Bereits zwei Jahre später hatte das Regime eine weitere bei einem Vergleich der Situation von 1990 und der Straße, die BR 163, von Cuiabá zum Amazonashafen von 2005. Die Verbesserungen waren allerdings immer Santarém errichtet15. Diese 1,780 Kilometer lange noch unbefriedigend und lagen unter dem nationalen Straße zerschneidet eine der ökologisch wertvollsten Durchschnitt. Besonders kritisch ist die Situation bei Regionen Brasiliens und des Amazonas. Sie blieb der Armutsbekämpfung, Malaria, Müttersterblichkeit, jedoch auf weiten Strecken ebenso wie die Transama- der Trinkwasserversorgung und Abwasserentsorgung. zônica ungeteert und in schlechtem Zustand. Im Zuge Zwei Indikatoren verschlechterten sich sogar in diesem der nun geplanten Straßenbaumaßnahmen wird sie nun Zeitraum, die gerodete Waldfläche und die AIDS- durchgängig geteert (Fallbeispiel Kapitel 4.4). Erkrankungen. Bei der Gleichstellung der Geschlechter wurden schwache Fortschritte erreicht, nur der Zugang 2004 gab es laut der offiziellen Statistik des brasili- zu Bildungseinrichtungen hat sich erheblich verbessert, anischen Verkehrsministeriums17 in der Nordregion während gleichzeitig die Säuglingssterblichkeit zu- Brasiliens, welche die im Amazonasgebiet gelegenen rückging. Einen bedeutenden Anstieg gab es auch bei Bundesstaaten Rondonia, Acre, Amazonas, Roraima, Gebieten, die unter einer Form von Schutz stehen. Pará, Amapá und Tocantins umfasst, insgesamt 110.000 Von diesen geschützten Gebieten stehen aber nur Straßenkilometer. Allerdings waren davon nur 15.000 km wenige unter strengen Naturschutz wie Nationalparks. asphaltiert. Selbst die so genannten „Highways“ im Hierunter fallen auch militärische Sperrgebiete, Amazonasgebiet sind vielfach Schlammpisten, die nur indigene Territorien und zur nachhaltigen Nutzung mit geländegängigen Fahrzeugen befahrbar sind und ausgewiesenen Waldgebiete. nach Regenfällen teilweise völlig unpassierbar werden. WWF Deutschland 13
Von den 10 Milleniumszielen, deren Erreichung die 3.3 Illegale Straßen Studie bewertet, wurde bisher nur eines erreicht, der Lokale Akteure, hauptsächlich Holzfäller, haben tau- gleichberechtigte Zugang der Geschlechter zu Bil- sende Kilometer inoffizielle und illegale Straßen auf dungseinrichtungen. Angesichts der Langsamkeit der öffentlichem Land errichtet, mit schweren ökologischen Verbesserungen können bis 2015 voraussichtlich nur und sozio-ökonomischen Auswirkungen. Der Holz- zwei weitere Ziele erreicht werden, der garantierte Zu- einschlag spielt eine tragende Rolle bei der Errich- gang zu Schulen und die Verringerung der Säuglings- tung illegaler Straßen. Daneben werden diese auch sterblichkeit. von Bergbauunternehmen, Farmern und Viehzüchter gebaut. Die brasilianischen Gesetze verlangen, dass vor In Zahlen ausgedrückt bedeutet dies, dass 2005 immer dem Straßenbau eine Umweltverträglichkeitsprüfung noch 17 Prozent der Bevölkerung im brasilianischen durchgeführt wird (CONAMA 01/869 und Genehmi- Amazonasgebiet unter der extremen Armutsgrenze, gung zum Bau und Betrieb eingeholt wird (CONAMA also von weniger als einem US$ am Tag, leben, im Ver- 237/97). Dennoch werden in den Waldgebieten des gleich zu 11 Prozent in ganz Brasilien. 35 Prozent der Amazonas tausende Straßenkilometer inoffiziell und Bevölkerung des Amazonas sind vom Hunger bedroht, damit illegal errichtet, gewöhnlich ohne Planung und in den Bundesstaaten Roraima und Maranhão sogar die den erforderlichen Genehmigungen. Manche die- Hälfte. Die Zahl der Analphabeten sank von 20 Prozent ser Straßen werden von den Gemeindeverwaltungen auf 13 Prozent. Bei den Malariaerkrankungen wird ein übernommen, erweitern die Infrastruktur und bringen Zusammenhang mit der Zerstörung des Regenwaldes so sozio-ökonomische Vorteile. In den meisten Fäl- sichtbar. Die Wahrscheinlichkeit, an Malaria zu erkran- len treibt jedoch die unkontrollierte Ausweitung des ken ist dort am größten, wo in den letzten Jahren die illegalen Straßennetzes den illegalen Holzeinschlag und meiste Entwaldung stattgefunden hat, im zentralen und die Landspekulation voran, mit einem anschließenden westlichen Pará, im nördlichen Rondonia, im nordwest- Anstieg der Waldbrände und der Entwaldung. Allein im lichen Mato Grosso und im Südteil des Bundesstaates zentralen und westlichen Teil des Bundesstaates Para, Amazonas. Der Anteil der gerodeten Waldfläche stieg der Terra do Meio, hatten diese bereits im Jahr 2001 von 10 Prozent im Jahr 1990 auf 17 Prozent im Jahr eine Länge von insgesamt 20.796 km, 86 Prozent des 2005. Wurden im Jahr 1990 noch 1.373.000 Hektar gesamten Straßennetzes19. 1990 lag ihre Länge noch Regenwald gerodet, waren es 2005 1.879.300 Hek- bei 5.072 km. tar. Besonders verschlimmert hat sich die jährliche Entwaldung in Mato Grosso (von 402.000 Hektar auf Tabelle 1: Länge verzeichneter Straßen im Amazonas- 714.500 Hektar), in Pará (von 489.000 Hektar auf gebiet (offiziell und inoffiziell) 576.300 Hektar) und Rondonia (von 167.000 Hektar auf 323.300 Hektar). 2006 waren 210 Millionen Hektar Straße Länge (km) Anteil (Prozent) oder 42,1 Prozent des brasilianischen Amazonasbe- Offiziell 25.074 10 ckens unter eine Form von Schutz gestellt. 20,5 Prozent Illegal 172.405 71 sind indigene Territorien und 0,5 Prozent militärische In Siedlungen 44.270 18 Sperrgebiete. 21,1 Prozent sind sogenannte Unidades de Conservação, unter die sowohl zur nachhaltigen Gesamt 241.749 100 Nutzung ausgewiesene Waldgebiete wie auch stren- Quelle: IMAZON ge Naturschutzgebiete, beispielsweise Nationalparks, fallen18. Neben der bloßen Fläche ist allerdings auch die Im gesamten Amazonasgebiet wurden bis 2003 mit Qualität des Schutzes entscheidend. In der Vergangen- Hilfe von Satellitenaufnahmen 172.405 km illegale heit kam es häufig zu illegalen Rodungen in geschütz- Straßen, auch als inoffiziell bezeichnet, erfasst20. Die ten Gebieten18. Nationalparks und andere Gebiete unter Länge stellt eine Minimalangabe dar, hinzu kommt strengen Naturschutz können jedoch nach Erfahrung eine Dunkelziffer an nicht erfassten illegalen Straßen. des WWF die Entwaldung wirksam verhindern. Illegale Die bekannten illegalen Straßen umfassen bereits Aktivitäten werden jedoch nicht nur bei Holzeinschlag 71 Prozent des gesamten Straßennetzes, zieht man die und Rodungen in und außerhalb von Schutzgebieten Straßen in Siedlungen aus, sind es sogar 87 Prozent begangen, auch bei der Straßenerschließung sind sie (Tabelle 1). Die illegalen Straßen können dabei beacht- gang und gäbe. liche Längen erreichen, die längste befindet sich mit 14 WWF Deutschland
215 km zwischen dem Rio Xingu und der BR 163 und 50 km an einer offiziellen Straße4. Zumindest in dieser erschließt große, noch intakte Waldgebiete. Im Südwes- Region ist auch der Zusammenhang zwischen illegalen ten Parás, in der Nähe von Novo Progresso, erstreckt Straßen und einer Besiedelung deutlich. 62 Prozent des sich eine weitere Straße, die “Rodovia do Ouro”, Gebietes entlang illegaler Straßen wurde ist mittlerwei- von der BR 163 über 180 km bis Tapajós-Becken im le besiedelt, auf weiteren 27 Prozent wird Brandrodung Bundesstaat Amazonas. Diese Straße wurde von Gold- betrieben, um es zu besiedeln und den Wald in land- suchern errichtet. Anhand der Streckenführung kann wirtschaftliche Flächen umzuwandeln4 Darüber hinaus man an der Karte (Abbildung 2) erkennen, zu welchem drangen 60 Prozent der Strassen in grosse, geschlossene Zweck die Straßen gebaut wurden. Während die gerade Regenwaldblöcke ein, die potentiell zur Schaffung von Straßenführung entlang der Transamazônica (BR 230) Schutzgebieten geeignet gewesen wären19. auf die Errichtung durch Siedler hindeutet, ist der unre- gelmäßige Verlauf der illegalen Straßen entlang der BR Ob sich der Nutzungsdruck auf das Ökosystem des 163 und östlich davon, bei São Félix do Xingu, charak- Amazonas weiterhin intensiviert, hängt auch maßgeb- teristisch für Holzeinschlag und Bergbau19. lich davon ab, ob weiterhin in das inoffizielle Straßen- netz investiert und dieses erhalten wird. In manchen Der illegale Straßenbau hängt stark mit dem Vorhan- Gebieten geschieht dies von staatlicher Seite, da die densein einer offiziellen Straße zusammen. Im nördli- Siedler, welche die Straßen errichtet haben oder nutzen, chen Mato Grosso und im südlichen und zentralen Pará Druck auf die Behörden ausüben, diese weiterhin zu befinden sich 82 Prozent der illegalen Straßen näher als erhalten oder sogar auszubauen4. Abbildung 2: Karte der illegalen Straßen im Amazonasregenwald. Quelle: IMAZON WWF Deutschland 15
3.4 Straßen und Entwaldung Straße. So gut wie die gesamte Entwaldung 2004 und 2005 fand in weniger als 45 km Entfernung zur nächs- Der Zusammenhang zwischen Straßenbau und Entwal- ten Straße statt, aber nur wenig mehr als die Hälfte in dung ist für das Amazonasgebiet in zahlreichen Studien weniger als 45 km Entfernung zur nächsten offiziellen nachgewiesen worden. So befinden sich etwa 80 Pro- Straße20. zent der entwaldeten Fläche näher als 30 km an einer offiziellen Straße, nur zehn Prozent in einer Entfernung Betrachtet man sich die Wahrscheinlichkeit, mit der über 60 km4. eine Waldfläche in Abhängigkeit von der Entfernung zur Straße gerodet wird, ergeben sich zwei unter- Noch deutlicher wird der Zusammenhang zwischen schiedliche Bilder, ein vereinfachtes, wenn man nur die Straßen und Entwaldung, wenn man das offizielle und offiziellen Straßen betrachtet, und ein realistischeres, das illegale Straßensystem gemeinsam betrachtet. Das wenn illegale Straßen einbezogen und das gesamte illegale Straßennetz wurde mittlerweile mit moderner Straßennetz betrachtet wird (Abbildung 3). Die Wahr- Satellitentechnik großteils erfasst und mit den Entwal- scheinlichkeit einer Entwaldung wächst in beiden Fäl- dungszonen verglichen. Die Ergebnisse daraus wurden len exponential mit der Nähe zu einer Straße. Werden von IMAZON im April 2007 auf Portugiesisch veröf- nur offizielle Straßen betrachtet, nimmt sie allerdings fentlicht20. Demnach befindet sich der Großteil, nämlich einen deutlich flacheren Verlauf. Die Wahrscheinlich- 92 Prozent der Fläche, die vor 2003 entwaldet wurde, keit einer Entwaldung ist also in größerer Entfernung in weniger als 5 km Entfernung zur nächsten Straße. zur Straße immer noch hoch. Auf die Karte übertragen Davon befinden sich jedoch nur 27 Prozent näher als befindet sich links und rechts der Straße ein über 60 km fünf km zur nächsten offiziellen Straße. Von der 2004 breiter Streifen, in dem das Entwaldungsrisiko langsam und 2005 entwaldeten Fläche befinden sich 80 Prozent abnimmt. Von diesem Modell wurde in älteren Studien in unter fünf km Entfernung zur nächsten Straße, aber ausgegangen, als das illegale Straßennetz noch nicht nur 11 Prozent näher als fünf km zu einer offiziellen ausreichend erfasst war. Abbildung 3: Der Zusammenhang zwischen Straßennetz und Entwaldung. Oben offizielle Straßen, unten offizielle und illegale Straßen. Quelle: IMAZON 16 WWF Deutschland
Betrachtet man das gesamte Straßensystem, ist die So ist beispielsweise die Mehrzahl der Waldbrandzonen Wahrscheinlichkeit, dass eine Fläche nahe der Straße über illegale Straßen und befahrbare Flüsse zugäng- entwaldet wird, extrem hoch. Sie fällt rapide ab und lich. 45 Prozent sind sogar ausschließlich über illegale tendiert bereits bei 45 km Entfernung gegen Null, Straßen erreichbar. Die Waldbrandzonen können damit vorausgesetzt, der Einflussbereich einer anderen Straße als Indikatoren für den menschlichen Nutzungsdruck in überschneidet sich nicht. Auf die Karte übertragen Gebieten dienen, in denen keine ausreichenden Daten ergibt sich ein weitaus unregelmäßigeres Bild. Dort, über die Verkehrsinfrastruktur vorliegen4. wo sich viele illegale Straßen befinden, gibt es Aus- buchtungen, die Entwaldungszonen dringen weit in den Die Gebiete, die unter Siedlungsdruck stehen, kon- Regenwald ein. Überlagert man auf der Karte das Ent- zentrieren sich ebenfalls in Straßennähe. Die meisten waldungsrisiko mit den tatsächlich gerodeten Flächen, befinden sich im Bogen der Entwaldung, wo auch die die grau markiert sind, wird die Realitätsnähe dieser Straßendichte am höchsten ist. Weitere Siedlungszonen berechneten Funktion deutlich. Durch die Einbeziehung befinden sich entlang der Transamazônica und der BR des illegalen Straßennetzes lässt sich also ein Großteil 163 von Cuiabá nach Santarém, aber auch entlang des der Entwaldung erklären und in Zukunft besser prog- Amazonasflusses zwischen Manaus und Belém4. Unter nostizieren20. Da diese Ergebnisse erst wenige Monate hohem Nutzungsdruck durch Menschen steht auch der alt sind, konnten sie noch nicht in die Computersimu- weitere Umkreis von Boa Vista, im Norden des Amazo- lation eingehen, mit der in den folgenden Kapiteln die nas, entlang der BR 174 und hinauf bis an die Grenze Auswirkungen geplanter Straßenbaumaßnahmen auf zu Venezuela und Guiana. die Entwaldung untersucht werden. Dies wird jedoch weitestgehend durch eine Reihe von Indikatoren aus- geglichen, die in engem Zusammenhang mit Straßen stehen. WWF Deutschland 17
4 Aktuelle und zukünftige Entwicklung 4.1 Aktuelle Straßenbaumaßnahmen (neue den verbleibenden Kilometern erfolgen Wiederherstel- Straßen und zu teerende Straßen) lungsmaßnahmen. Die derzeit geplanten Infrastrukturprojekte beruhen Für die Nordregion, die große Teile des Amazonasge- auf dem „Plan zur Beschleunigung des Wachstums“ (PAC) der brasilianischen Regierung. Darin enthalten biets umfasst, sind von 2007 bis 2010 Investitionen sind auch transnationale Infrastrukturprojekte, die im von 2,4 Milliarden Euro in die Verkehrsinfrastruktur Rahmen von IIRSAVI geplant werden, sofern sie bra- vorgesehen. Hinzu kommen weitere Investitionen im silianisches Territorium betreffen. Der PAC ist auf der angrenzenden Bundesstaat Mato Grosso, der zur zen- Internetseite des brasilianischen Verkehrsministeriums tral-östlichen Region zählt. Neben zahlreichen Straßen- öffentlich einsehbar. Nach Expertenmeinung werden bauprojekten ist auch der Ausbau des Amazonasflusses sowohl die geplanten Infrastrukturprojekte als auch die von Manaus bis an die Grenze zu Peru und Kolumbien danach folgende unkontrollierte Erschließung durch geplant. Von dort sollen sich Eisenbahnlinien zur Pazi- Siedler und Privatunternehmen erhebliche ökologische fikküste anschließen. Konsequenzen haben, auch wenn ihnen bei der Vorstel- lung des Plans im Januar 2007 kein Gewicht zugemes- Im Umsetzungsbericht zum Nationalen Logistik- und sen wurde21. Verkehrsplan25 vom April 2007 sind die geplanten Straßenbaumaßnahmen detailliert mit den einzelnen Im PAC sind insgesamt knapp 33,5 Milliarden R$ an Kosten aufgeführt (Tabelle 2). So sind für die BR 163 Investitionen für den Straßenbau vorgesehen, acht Mil- von Cuiabá nach Santarém vier Baumaßnahmen aufge- liarden davon noch für das Jahr 2007. Die Baumaßnah- führt, darunter die Asphaltierung eines 750 km langen men betreffen insgesamt 45.337 km, davon sollen auf Teilstücks von Matupa nach Itaituba, auf welche in 6.876 km Straßen neu gebaut und auf weiteren Kapitel 4.4 detailliert eingegangen wird. Die BR 230, 3.214 km bestehende Straßen ausgebaut werden. Auf als Transamazônica bekannt, soll zwischen 2008 und Abbildung 4: Karte der derzeit geplanten Straßenbaumaßnahmen im brasilianischen Amazonasgebiet VI Integration der regionalen Infrastruktur in Südamerika 18 WWF Deutschland
2011 in 2 Teilabschnitten von Maraba über Altamira wärts Richtung Rio Branco, gelangt man auf die BR bis nach Itaituba asphaltiert werden, wo sie die BR 163 317. Diese wird gerade asphaltiert und führt von dort quert. Nach 2015 soll sie von dort über mehr als 1200 aus über Assis Brasil nach Porto Maldonado in Peru km Länge bis nach Lábrea tief im unberührten, intakten und weiter nach Cuzco. Die BR 364 ist in westlicher Nordwestteil des Amazonasregenwaldes asphaltiert Richtung weiter bis nach Sena Madureira asphaltiert. werden. Das Teilstück, das Lábrea mit der BR 319 Die weitere, 210 km lange Strecke nach Cruzeiro do (Manaus-Porto Velho) verbindet, soll bereits bis 2011 Sul wird bis 2011 asphaltiert. Von hier aus ist eine Ver- asphaltiert werden. bindung über Pucalpa nach Lima, die Hauptstadt Perus, geplant28. In östlicher Richtung führt die BR 364 von Die BR 319 von Manaus nach Porto Velho (Kapitel Porto Velho aus asphaltiert bis nach Cárceres, von wo 4.2) soll ebenfalls in der Periode von 2008 bis 2011 aus wiederum eine Straße, die BR 070, nach Santa Cruz auf einer Länge von mehr als 700 km geteert werden. in Bolivien führt. Die Asphaltierung der bisher unge- Die geplante Asphaltierung der BR 319 wird besonders teerten Teilabschnitte ist ebenfalls geplant. In entgegen schädliche Auswirkungen haben, da sie große, bisher gesetzter Richtung führt die BR 070 durchgehend unzugängliche Regenwaldblöcke für Siedler öffnet21. geteert in die Hauptstadt Brasilia. Auf dieser Strecke Die Asphaltierung erfolgt in zwei Teilstücken und liegt Cuiabá, womit sich der Kreis schließt, denn hier soll bis 2012, bzw. 2018 abgeschlossen sein22. Mit der beginnt die BR 163 nach Santarém. bereits asphaltierten BR 174, die von Manaus über Boa Vista bis zur Grenze zu Venezuela führt, würde damit Zusammen ergeben die geplanten Baumaßnahmen die erste, durchgehend asphaltierte und ganzjährig gemeinsam mit den bereits geteerten Straßen also eine befahrbare Straßenverbindung vom Süden Brasiliens durchgehend asphaltierte Verbindung zwischen Vene- quer durch den Amazonas geschaffen. Geplante Sei- zuela und Guiana im Nordosten Südamerikas an der tenstraßen würden den gewaltigen unberührten Regen- Atlantikküste sowie Peru und Bolivien am südwestli- waldblock im Westteil des Bundesstaates Amazonas chen Rand des Amazonasbeckens. Zudem ist damit ein erschließen. Der Zustrom der Siedler weiter entlang ganzjähriger Warentransport aus dem Amazonasgebiet der BR 174 von Manaus Richtung Boa Vista bringt die an die Pazifikküste und von dort aus weiter auf die Landrechtskonflikte und die unrechtmäßige Aneignung asiatischen Absatzmärkte möglich. Dies kann die Um- von Land, wie sie aus dem Bogen der Entwaldung wandlung von Regenwald in Agrarfläche im „Bogen bekannt ist, in den Nordteil des Amazonasgebietes21. der Entwaldung“ weiter antreiben. Gleichzeitig könnten Die Asphaltierung der BR 319 wird trotz der enorm mit dem Zustrom von Siedlern aus diesem Gebiet in hohen Kosten damit begründet, Waren aus den Fabri- das Herz des Amazonas weitere Entwaldungsfronten ken in Manaus nach São Paolo zu transportieren. Ein eröffnet werden. Im folgenden sollen deshalb die Aus- Ausbau des Hafens von Manaus und der Warentrans- wirkungen dieser Straßenbaumaßnahmen untersucht port auf dem Wasserweg wären jedoch weitaus kos- werden, mit einem Schwerpunkt auf zwei der ökolo- tengünstiger und hätten erheblich weniger ökologische gisch bedenklichsten Projekte des PAC, die BR 163 von Auswirkungen21. Folgt man von Porto Velho aus der Cuiabá nach Santarém und die BR 319 von Porto Velho bereits asphaltierten BR 364, die im Zuge der geplanten nach Manaus. Baumaßnahmen auf dieser Strecke erneuert wird, west- Tabelle 2: Übersicht der laut Umsetzungsbericht zum Nationalen Logistik- und Verkehrsplan vom April 2007 geplanten Straßenbaumaßnahmen im brasilianischen Amazonasgebiet. Straße Baumaßnahme Beschreibung Länge (km) Kosten (Euro) Periode BR 010 Erweiterung Estreito - Imperatriz 618 31.612.656 2012 - 2015 BR 010 Erweiterung Imperatriz - Acailandia 66 51.163.200 nach 2015 BR 156 Konstruktion/ Ferreira Gomes - Oiapoque 224 74.675.016 2008 - 2011 Asphaltierung (Grenze zu Fr. Guiana) BR 156 Konstruktion/ Laranjal do Jari - 244 104.078.352 nach 2015 Asphaltierung Marzagao - Macapa BR 158 Asphaltierung Trecho Ribeirao 400 65.116.800 2008 - 2011 Cascalheira - Sanatana do Araguaia WWF Deutschland 19
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