114 Materialien zu Wirtschaft und Gesellschaft - Arbeiterkammer

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Materialien zu
 Wirtschaft und Gesellschaft

      Was kosten Privatsierungen?

114   Georg Feigl
      Michael Heiling
Materialien zu Wirtschaft
                        und Gesellschaft Nr. 114

Herausgegeben von der Abteilung Wirtschaftswissenschaft und Statistik
             der Kammer für Arbeiter und Angestellte
                             für Wien

              Was kosten Privatisierungen?

Eine Analyse der Auswirkungen erfolgter und allfälliger zukünftiger
         Privatisierungsschritte auf öffentliche Haushalte

                Georg Feigl und Michael Heiling

                                 März 2012

             Die in den Materialien zu Wirtschaft und Gesellschaft
               Veröffentlichten Artikel geben nicht unbedingt die
                            Meinung der AK wieder.
Die Deutsche Bibliothek – CIP-Einheitsaufnahme

          Ein Titeldatensatz für diese Publikation ist bei
               der Deutschen Bibliothek erhältlich.

                    ISBN 978-3-7063-0426-9

         Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien
A-1041 Wien, Prinz-Eugen-Straße 20-22, Tel: (01) 501 65, DW 2283
VORWORT

Spätestens mit der Finanz- und Wirtschaftskrise schien zunächst die Diskussion um weitere Privati-
sierungen beendet zu sein. Es wurde klar, dass auch privates Eigentum keine Erfolgsgarantie be-
deutet. Zudem sah sich die Bundesregierung gezwungen, sich mit mehreren Milliarden Euro an fast
allen größeren Banken zu beteiligen um das Finanzsystem zu retten.

Weitgehend unabhängig davon gibt es zwei weitere Faktoren, die für weitere Privatisierungen zu-
nehmend hinderlich sind: Zum einen sind dies mehrere Fälle dubioser Vorgänge rund um die letzten
Privatisierungen. Zum anderen ist die Privatisierungsskepsis in der Bevölkerung aufgrund nur sehr
bescheidener Ergebnisse wachsend. Beispielsweise in Deutschland führt das immer häufiger zu
Rekommunalisierung bei der Erbringung gewisser Leistungen (vgl. Schäfer 2012).

Mit dieser Studie wollen wir einen weiteren Aspekt beleuchten, der auf den ersten Blick paradox er-
scheint, nämlich eine Analyse der Kosten und Erträge von Privatisierungen. Das Ergebnis ist längst
nicht so klar wie es auf den ersten Blick erscheint, da – im Gegensatz zu kurzfristigen Privatisie-
rungserlösen – die entgangenen Beteiligungserträge der Zukunft zumeist nicht berücksichtigt wer-
den. Ein Vorgehen, das überraschender Weise dem von Privatisierungsbefürwortern immer propa-
giertem privatwirtschaftlichen Denken diametral zuwider läuft.

Gerade angesichts der angespannten Situation knapper Staatsfinanzen, die durch den Druck von
InvestorInnen und europäischen politischen Vereinbarungen verschärft wird, ist eine umfassende
Betrachtung der finanziellen Aspekte wichtig. Einseitige Analysen könnten zu vorschnellen Privatisie-
rungs-entscheidungen führen, die mittelfristig die nach Maastricht-Kriterien berechneten Budgetsal-
den verschlechtern könnten. Leider wurde diese Möglichkeit von den BefürworterInnen weiterer Pri-
vatisierungen ausgeblendet, teilweise ganz bewusst um die Konsolidierungsdebatte für einen nicht
finanziell motivierten Privatisierungsvorstoß zu nutzen. Die Frage, ob unabhängig von den Kosten
und Erträgen für die öffentlichen Haushalte andere wirtschaftspolitische Motive (zB Effizienz, Wett-
bewerb, Ideologie, Vergrößerung der Börsen-Marktkapitalisierung, Abbau staatlicher Kontrolle) Priva-
tisierungen, rechtfertigen, wird im Rahmen dieser Studie allerdings nicht behandelt.

Wir hoffen, mit dieser Studie einen Schritt in Richtung einer sachlicheren Debatte über finanzielle
Aspekte von öffentlichem Eigentum zu setzen. Aufbauend auf den Ergebnissen dieser Studie zeigt
sich, dass Privatisierungen zwar einen einmaligen Mittelzufluss bringen, allerdings langfristig zu einer
Verschlechterung der Staatsfinanzen führen können.

Silvia Angelo, Heinz Leitsmüller, Markus Marterbauer

Wien, Jänner 2012
Kurzzusammenfassung
Diese Studie überprüft mit Hilfe neuer Methoden die weit verbreitete Annahme, wonach Privatisie-
rungen eine finanzielle Verbesserung der öffentlichen Haushaltslage bewirken. Im ersten Schritt wird
gezeigt, dass lediglich eine kurzfristige Verbesserung der Liquiditätssituation gewiss ist, während die
mittel- und langfristigen Auswirkungen auf die Vermögensposition und das laufende Defizit von spe-
zifischen Bedingungen abhängt. Ob es insgesamt tatsächlich zu einer Verbesserung kommt, ist des-
halb Fall für Fall zu überprüfen.

Im auf österreichische Fallbeispiele beschränkten empirischen Teil werden die jeweils letzten Ver-
käufe öffentlicher Anteile an der OMV, der Telekom Austria sowie der Post untersucht. Je nach Be-
rechnungsmethode ergibt sich ein kumulierter Verlust von 1,25 bis 1,78 Mrd Euro, da insbesondere
bei der OMV in den Folgejahren der Ertragsentgang den Zinsvorteil durch einen niedrigeren Schul-
denstand deutlich übertroffen hat. Anschließend erfolgt eine Schätzung der finanziellen Auswirkung
möglicher weiterer Privatisierungsschritte auf die öffentlichen Finanzen mit dem Schwerpunkt Ener-
gieversorger. Es zeigt sich, dass unter den derzeitigen Bedingungen bei weiteren Privatisierungs-
schritten mit einer neuerlichen Verschlechterung der Staatsfinanzen zu rechnen wäre.

ABSTRACT

This study analyses the common assumption that privatizations improve public finances using new
methods. First, it demonstrates that an unequivocal improvement of the fiscal position can only be
projected for the liquidity position in the short run, while the medium- and long-term effects on gov-
ernment assets and deficits depend on assumptions. Therefore the overall result must be investigat-
ed on a case by case basis.

In the empirical part restricted to Austrian case studies we investigate the latest sales of shares in
OMV, Telekom Austria and the Austrian Post held by the public sector. Depending on the method of
calculation, these yield a cumulative loss for the public sector of 1.25 to 1.78 Bio. Euro, since the
foregone earnings significantly exceeded the reduced interest on public debt, especially for the OMV.
Finally, an estimation of the effects of potential future privatizations in particular of energy providers
on public finances shows that under current circumstances this would lead to a further deterioration
of public finances.
INHALTSVERZEICHNIS

1.     Einleitung .....................................................................................................................................1
2.     Bestimmungsgrössen für den finanziellen Privatisierungserfolg .................................................2
2.1 Profitabilitätsentwicklung .............................................................................................................4
2.2 Rentabilität alternativer Kapitalnutzung .......................................................................................5
2.3 Privatisierungserlös .....................................................................................................................6
3.     Historische Beispiele .................................................................................................................13
3.1 OMV AG ....................................................................................................................................14
3.2 Telekom Austria AG ..................................................................................................................15
3.3 Österreichische Post AG ...........................................................................................................16
3.4 Zusammenfassende Betrachtung der Fallbeispiele ..................................................................17
3.5 Historische Betrachtungsweise gemäß neuem Bundeshaushaltsrecht ....................................18
4.     Prognose der finanziellen Auswirkungen allfälliger weiterer Privatisierungen...........................22
4.1 Börsennotierte Unternehmen ....................................................................................................23
4.2 Landesenergieversorger ...........................................................................................................24
4.3 Münze Österreich AG ................................................................................................................26
4.4 Österreichische Bundesforste ...................................................................................................27
4.5 Bundesimmobiliengesellschaft ..................................................................................................28
4.6 Weitere Unternehmen ...............................................................................................................29
4.7 Zusammenfassung der Schätzergebnisse ................................................................................30
5.     Conclusio ...................................................................................................................................32
Literaturverzeichnis..............................................................................................................................34

ABBILUNDGSVERZEICHNIS
Abbildung 1: Vermögensrechnung, schematische Darstellung von Privatisierungen ...........................2
Abbildung 2: Ertragsrechnung, schematische Darstellung von Privatisierungen ..................................4
Abbildung 3: Unternehmenswert in Abhängigkeit des Diskontierungssatzes........................................7
Abbildung 4: Zusammenhang zwischen operativem Cash-Flow und freiem Cash-Flow ......................8
Abbildung 5: Empirischer Zusammenhang zwischen Cash-Flows und durchschnittlicher
      Marktkapitalisierung ..................................................................................................................10
Abbildung 6: Empirischer Zusammenhang zwischen Cash-Flows und Marktkapitalisierung 2011.....11
Abbildung 7: Empirischer Zusammenhang zwischen Cash-Flows und tatsächlich erzielten
      Unternehmenswerten anhand der Beispiele Post, TA und Austria Tabak (in Mio Euro,
      privatisierte Anteile in Klammern)..............................................................................................12
Abbildung 8: Privatisierungsschritte bei OMV, TA und Post seit 1990 ................................................13
Abbildung 9: Ertragsentgang und Zinsersparnis des Bundes durch den letzten
      Teilprivatisierungsschritt der OMV AG (in Mio Euro).................................................................15
Abbildung 10: Ertragsentgang und Zinsersparnis des Bundes durch den letzten
      Teilprivatisierungsschritt der Telekom Austria AG (in Mio Euro)...............................................16
Abbildung 11: Ertragsentgang und Zinsersparnis des Bundes durch den letzten
      Teilprivatisierungsschritt der Österreichischen Post AG (in Mio Euro) .....................................17
Abbildung 12: Finanzielle Auswirkungen der Privatisierung von ÖIAG-Unternehmen (in Mio Euro) ..17
Abbildung 13: Privatisierungsauswirkungen bei Post, TA und OMV – Ergebnisrechnung ..................19
Abbildung 14: Privatisierungsauswirkungen bei Post, TA und OMV – Vermögensrechnung .............20
Abbildung 15: Durchschnittliche Verzinsung sämtlicher Neuaufnahmen des Bundes 2006-2010 ......23
Abbildung 16: potentielle Privatisierungserlöse und geschätzte Ertragsauswirkung bei
      börsennotierten Unternehmen (in Mio Euro) ............................................................................ 24
Abbildung 17: potentielle Privatisierungserlöse bei Landesenergieversorgern (in Mio Euro) ............. 25
Abbildung 18: geschätzte Ertragsauswirkung bei Teilprivatisierung von
      Landesenergieversorgungsunternehmen (in Mio Euro) ........................................................... 26
Abbildung 19: potentieller Privatisierungserlös und geschätzte Ertragsauswirkung – Münze
      Österreich AG (in Mio Euro) ..................................................................................................... 26
Abbildung 20: potentieller Privatisierungserlös und geschätzte Ertragsauswirkung – Österreichischen
      Bundesforste AG (in Mio Euro) ................................................................................................ 27
Abbildung 21: potentieller Privatisierungserlös und geschätzte Ertragsauswirkung –
      Bundesimmobilien GmbH (in Mio Euro) ................................................................................... 29
Abbildung 22: Übersicht über die finanziellen Auswirkungen weiterer Privatisierungen .................... 30
Abbildung 23: erweiterte Übersicht über die finanziellen Auswirkungen aus Abb. 22 ........................ 31
1. EINLEITUNG

Im Zuge der Konsolidierungsstrategien in den europäischen Staaten nach der ersten Phase der Fi-
nanz- und Wirtschaftskrise rückten auch Privatisierungen als eine Möglichkeit ins Blickfeld. Das gilt
nicht nur für Staaten, die sich zu vernünftigen Konditionen nicht mehr an den Kapitalmärkten finan-
zieren können, sondern etwas überraschend auch für Österreich. Bereits Anfang 2010 führte das
WIFO in seiner umfassenden Konsolidierungsstudie (Aiginger et al. 2010) Privatisierungen als eine
Option an. Ein Jahr später wurde in einer Studie des Economica-Institutes abermals die potentiellen
Vorteile von Privatisierungen untersucht (Helmenstein et al. 2011), die ebenfalls den Privatisierungs-
erlös in den Mittelpunkt rückte. Zudem ist eine dreiteilige Artikelserie von Michael Böheim (2011a,
2011b, 2011c) in den WIFO-Monatsberichten zu erwähnen, die sich zwar grundsätzlich mit der Priva-
tisierung öffentlichen Eigentums als Instrument der Wirtschaftspolitik auseinander setzt, am Rande
aber auch den finanziellen Aspekt behandelt.

Ein Manko der Untersuchungen ist die Fokussierung auf den Privatisierungserlös, obwohl dieser
weder für das Maastricht-Defizit wirksam wird, noch für die langfristigen Auswirkungen auf die öffent-
lichen Haushalte aussagekräftig ist, da sich zunächst lediglich die Struktur des Vermögens ändert.
Insbesondere ist die fehlende Berücksichtigung der entgangenen Beteiligungsgewinne zu kritisieren,
welche die langfristig relevanteste Größe zur Berechnung der finanziellen Auswirkungen darstellen.
Implizit wird unterstellt, dass Privatisierungen mit höherer Effizienz Hand in Hand gehen und für alle
Beteiligten vorteilhaft sind. Außer Acht gelassen werden hingegen potenziell erlösmindernde Fakto-
ren (schlechtere Refinanzierungsbedingungen privater InvestorInnen sowie Informations- und Trans-
aktionskosten von Privatisierungen).

In der Economica-Studie findet sich – eine andere Studie von Belke/Schneider von 2005 zitierend –
in einer Fußnote (Helmenstein et al. 2011: 13) ein Hinweis bezüglich der fehlenden Berücksichtigung
der Auswirkungen auf das Maastricht-Defizits:

        “It is important to note, however, that privatization proceeds are only allowed to have an im-
        pact on the public debt but not on the public deficit. […] This is a point often neglected by au-
        thors writing on Austrian privatisation and the fiscal Maastricht criteria and also not always
        clear in Austrian political circles”.

Im Rahmen dieser Studie soll dieser Hinweis aufgegriffen werden, indem die finanziellen Auswirkun-
gen von Privatisierungen auf die Staatsfinanzen untersucht werden. Zunächst wird mit Hilfe von all-
gemeinen Rechnungslegungsgrundsätzen der Privatisierungsvorgang in den öffentlichen Haushalten
analysiert. Hier werden wir zeigen, dass über die einmaligen Einnahmen aus Vermögensverkäufen –
und den daraus resultierenden möglichen Zinsersparnissen bei Schuldenabbau – hinaus insbeson-
dere der Verlust zukünftiger Erträge miteinzubeziehen ist. Anschließend werden wir für ausgewählte
historische Fallbeispiele den bisherigen finanziellen Erfolg darstellen, ohne allerdings die kaum
schätzbaren Transaktionskosten der Privatisierung, die indirekten Effekte auf die Abgabenentwick-
lung (Umsätze, Gewinn- und Lohneinkommen) und die gesamtwirtschaftliche Effekte (zB Auswir-
kungen auf Inputpreise anderer Unternehmen) zu berücksichtigen. Zuletzt schätzen wir für einige in
Diskussion befindliche potentiell zu privatisierende Unternehmen die zu erwartenden direkten Aus-
wirkungen auf die Staatsfinanzen.

1
2. BESTIMMUNGSGRÖSSEN FÜR DEN
   FINANZIELLEN PRIVATISIERUNGSERFOLG

Die Darstellung des finanziellen Erfolges oder Misserfolges von Privatisierungen ist neben dem ei-
gentlichen Erlös abhängig von den jeweils angewandten Prinzipien der Rechnungslegung. Bisher ist
für die Staatsfinanzen – zumindest bei rein gesetzlicher Veranschlagung – eine reine Finanzierungs-
rechnung in Gebrauch, daher lediglich eine Erfassung der Einzahlungen und Auszahlungen. Eine
solche Betrachtung greift allerdings zu kurz, da alle Vorgänge, die die wirtschaftliche Lage verändern
ohne zahlungswirksam zu werden, so keine Beachtung fänden.

Um ein illustratives Beispiel zu geben: ein Haushalt, der am Ende eines Jahres sein Haus um
100.000 Euro verkauft, würde selbst dann in dieser Rechnung einen finanziellen Erfolg ausweisen,
wenn er es in Zukunft für 10.000 Euro pro Monat wieder zurückmieten muss.

Konzeptionell ist deshalb für die Erfassung des finanziellen Privatisierungserfolgs die Ertrags- und
Vermögensrechnung besser geeignet (vgl. etwa Baake/Bach 2011), auch wenn im Falle des Staates
eine solche Rechnungsführung nur teilweise über die Berechnungen im Rahmen des Europäischen
Systems Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen (ESVG) – auch als „Maastricht-Rechnung“ be-
zeichnet – in der Praxis zur Anwendung kommt. Spätestens mit der aktuellen Verschärfung des so-
genannten Stabilitäts- und Wachstumspaktes (vgl. Rossmann 2011, Klatzer/Schlager 2011) bzw. der
Debatte über die Einführung einer sogenannten Schuldenbremse (vgl. Feigl 2011) sowie der Umset-
zung der weitgehenden Haushaltsrechtsreform auf Bundesebene, bei der ab 2013 sowohl eine Er-
trags- als auch eine Vermögensrechnung eingeführt wird, gewann diese erweiterte Rechnungsle-
gung auch politisch zunehmend an Bedeutung.

Abbildung 1: Vermögensrechnung, schematische Darstellung von Privatisierungen

                   Aktiva                                        Passiva
              Anlagevermögen                                  Eigenkapital
            darunter: Beteiligungen                           Fremdkapital
              Umlaufvermögen                              darunter: Staatsschuld

       Schuldenabbau durch Privatisierung:
                - Beteiligung                                 - Staatsschuld
Quelle: eigene Darstellung

Unternehmensbeteiligungen scheinen in der Vermögensbilanz als Aktiva des Anlagevermögens auf.
Gemeinsam mit anderen Aktiva stehen ihnen Passiva – Eigen- und Fremdkapital (insbesondere
Staatsverschuldung) – in gleicher Höhe gegenüber. Durch eine Privatisierung ist es möglich, entwe-
der die Bilanzsumme zu verkleinern (indem etwa die Staatsschuld im gleichen Ausmaß reduziert
wird), oder durch Umschichtungen innerhalb der Aktiva gleich zu belassen (etwa zu Gunsten von
Investitionen in Anlagevermögen, Aufbau anderer Beteiligungen oder Erhöhung des Umlaufvermö-

2
gens in Form von zB Sparkonten). Am Nettovermögen (Aktiva-Passiva) ändert sich durch Privatisie-
                      1
rungen zunächst nichts .

Diese triviale Erkenntnis bleibt im wirtschaftspolitischen Diskurs weitgehend ausgeklammert, nicht
zuletzt weil die Vermögensverhältnisse souveräner Staaten methodisch fast ausschließlich anhand
der Bruttostaatsschuldenquote analysiert werden. Im europäischen Kontext führen die Fiskalregeln
im Rahmen des sogenannten Stabilitäts- und Wachstumspaktes zu einer besonderen Fixierung auf
die für die finanzielle Lage eines Landes weniger aussagekräftigere Größe. Analytisch besser geeig-
net wäre etwa die Relation zwischen Nettovermögen und der Wirtschaftsleistung, die es mangels
Vermögensrechnungen aber nicht gibt. Für Österreich liegt lediglich eine bereits ältere Schätzung
von Hahn/Magerl (2006) vor, demgemäß die Bruttovermögensquote des Staates 2000 bei 113 %
des BIP gelegen ist. Dem standen deutlich geringere Staatsschulden gemäß ESVG (66 % des BIP)
bzw breiter definiertes Fremdkapital von 76 % des BIP gegenüber, sodass sich insgesamt ein be-
trächtliches gesamtstaatliches Reinvermögen ergab. Auch wenn dieses nicht zuletzt durch die relativ
hohe Neuverschuldung im Zuge der Finanzkrise geschrumpft sein dürfte, so scheint man von einer
Überschuldung im betriebswirtschaftlichen Sinn sehr weit entfernt zu sein.

Aus vermögensbilanzieller Perspektive lässt sich jedenfalls im Allgemeinen aus dem Schuldenstand
keine Notwendigkeit von Privatisierungen ableiten, da sie keine Auswirkung auf die für die Bewer-
tung der Finanzsituation relevante Nettovermögensposition – dem Saldo aus Aktiva und Fremdkapi-
tal – haben Die Nettovermögensposition ergibt sich aus dem historischen Kapitalstock (der wiederum
wesentlich von den historischen Gewinnen und Verlusten bzw Erträgen und Aufwendungen bestimmt
                                                          2
wird) – nicht aber aus einem Wechsel der Vermögensform .

Ein Problem, das sich indirekt aus der Vermögensbilanz ergeben könnte (bzw. eigentlich aus der
Finanzierungsrechnung), wäre fehlende Liquidität, das heißt notwendige Zahlungsverpflichtungen
durch verfügbare Aktiva (sei es indirekt über Kapitalaufnahmen) nicht decken zu können. Dieser Fall
scheint für Österreich derzeit unwahrscheinlich zu sein, da InvestorInnen jährlich Milliarden an
Staatsanleihen – zu im historischen Vergleich sehr günstigen Konditionen – zu zeichnen bereit sind
und sich die Republik damit praktisch jederzeit refinanzieren kann. So lange sich das nicht ändert
bleibt nur die Ertragsrechnung um über die finanzielle Sinnhaftigkeit von Privatisierungen urteilen zu
können, denn ihr Saldo bestimmt die Veränderung der Nettovermögensposition.

1
    Dies impliziert die Voraussetzung, dass die Beteiligung zuvor mit ihrem tatsächlichen Wert in der Bilanz stand. Da es
    allerdings für den Staatshaushalt noch keine richtige Bilanz gibt, ist auch kein Wert festgesetzt, sodass diese Vorausset-
    zung hinfällig ist. Gäbe es eine Bilanz und wäre diese Voraussetzung nicht erfüllt, käme es zu einem Buchgewinn oder –
    verlust (in der doppelten Buchführung mit einer „stillen Reserve“ vergleichbar, je nachdem ob der veranschlagte Wert in
    der Bilanz höher oder niedriger lag als der Privatisierungserlös).
2
    Theoretisch könnten umfangreiche Buchverluste auch zu einem negativen Eigenkapital führen. Praktisch gibt es aber
    wie erwähnt keine echte Vermögensbilanz als Voraussetzung für Buchverluste.

3
Abbildung 2: Ertragsrechnung, schematische Darstellung von Privatisierungen

                     Ertrag                                      Aufwand
             Steuern und Abgaben                        Personal- und Sachaufwand
              sonstige Einnahmen                               Zinsaufwand
        darunter: Beteiligungseinnahmen                             …
               Ergebnis (=Defizit)

    Privatisierungseffekt, abhängig von alternativer Kapitalverwendung
             - Beteiligungseinnahmen
        Variante B: + sonstige Einnahmen                 Variante A: - Zinsaufwand
          nicht enthalten: einmaliger Privatisierungserlös (nur Zahlung, kein Ertrag)
Quelle: eigene Darstellung

Betrachtet man die Ertragsrechnung – also die laufende Rechnungsführung über Aufwände und
Erträge, die im Saldo in etwa das staatliche Defizit nach Maastricht ergibt –, so führen Privatisierun-
gen zunächst zu einem Ausfall der Beteiligungseinnahmen. Wirft der zu privatisierende Betrieb Ge-
winne ab, ergibt sich aus der Privatisierung im ersten Schritt ein geringerer Ertrag und somit eine
Verschlechterung der Staatsfinanzen. Im zweiten Schritt wird das zuvor gebundene Kapital nun aber
frei für eine alternative Verwendung, die das Ergebnis verbessert. Wird damit die Bilanz verkürzt,
sprich werden Schulden zurückgezahlt, kann zB der (Zins-)Aufwand reduziert werden. Denkbar wä-
ren aber auch neue Erträge aus alternativer Veranlagung (wie sie etwa das Land Niederösterreich
beim Verkauf der Wohnbaudarlehen unternommen hat, vgl. Rechnungshof 2010). A priori ist in bei-
den Fällen unklar, ob in Summe ein Ergebnisverbesserung oder –verschlechterung erzielt wird.

Ob eine Verbesserung erzielt wird hängt letztlich vom betrachteten Zeithorizont ab sowie davon, wie
1.) die zukünftige Profitabilität, 2.) die Rentabilität alternativer Kapitalnutzung (zB Zinsersparnis aus
Schuldenabbau) und 3.) der mögliche Privatisierungserlös eingeschätzt wird.

2.1      Profitabilitätsentwicklung

Entscheidend für die finanzielle Bewertung von Privatisierungen ist sowohl für den Staat als auch für
potentielle InvestorInnen die zu erwartende Gewinnentwicklung. Diese ist nur bedingt objektivierbar,
da Prognosen für die Zukunft nur anhand bestimmter Annahmen möglich sind, deren Eintrittswahr-
scheinlichkeit aber unbestimmt ist. Zu den wichtigsten objektiven Faktoren zählen auf der Ebene der
Unternehmung zB die operative Geschäftsplanung, die historische Performance des Unternehmens
und die Analyse einzelner Werttreiber (vgl. zB Rappaport 1999), auf Meso- und Makroebene insbe-
sondere das gesamtwirtschaftliche Umfeld, rechtlichen Rahmenbedingungen und die Wettbewerbs-
bedingungen.

Im Zusammenhang mit Privatisierungen interessiert insbesondere die Frage, ob die erwartete Profi-
tabilität systematisch von den Eigentumsverhältnissen abhängt. Ist dies der Fall, so könnte der Staat
durch Privatisierungen systematisch profitieren (verlieren). Diskontierte Gewinnzuwächse (Verluste),
die bei einem weiteren staatlichen Besitz gar nicht erst anfallen würden, gingen in den Verkaufserlös
zumindest teilweise ein.

Theoretisch dürften zwei wesentliche Effekte die Profitabilität privatisierter Unternehmen beeinflus-
sen: Zum einen eine eventuell höhere Effizienz in privatwirtschaftlichen Unternehmen, die zu stei-

4
genden Gewinnen führet, und zum anderen eine eventuelle Wettbewerbsintensivierung (Böheim
2011a), die die Profitabilität senken sollte. Zumindest hinsichtlich der Effizienz dürfte der Großteil der
theoretischen wirtschaftswissenschaftlichen Literatur einen klaren Vorteil durch Privatisierungen
erkennen.

Empirisch ist die Literatur relativ eindeutig was den Vergleich zwischen den beiden Extremen –
100 % öffentlicher und 100 % privater Besitz – hinsichtlich der Profitabilität anbelangt (vgl. Böheim
2011b): Private Unternehmen scheinen profitabler zu sein. Was Mischformen anbelangt, ist das Er-
gebnis jedoch weniger eindeutig. Beispielsweise wertete Ahnefeld (2007: 104) internationale Literatur
danach aus, ob Unternehmen, an denen der Staat nur mehr Minderheitenanteile hält, eine bessere
Performance aufweisen als jene mit einem staatlichen Beteiligungsanteil über 50 %. Dabei findet er
keine signifikanten Unterschiede. .

Selbst eine höhere erwartete Profitabilität (teil-)privatisierter Unternehmen ist noch keine Garantie für
eine finanziell erfolgreiche Privatisierung. Als erste Nebenbedingung muss gelten, dass die Erwar-
tungen privater InvestorInnen hinsichtlich ihres Kapitalrendite nicht zu hoch sein dürfen. Zweitens
muss für den Staat gelten, dass die Rentabilität einer alternativen Kapitalnutzung trotz Einrechnung
der kapitalisierbaren zukünftigen Effizienzsteigerungen geringer ist als der Verlust der anteiligen
Gewinne des privatisierten Unternehmens. Als – in dieser Studie in Folge nicht weiter behandelten –
dritte Nebenbedingung müsste zudem gewährleistet sein, dass die neuen Eigentumsverhältnisse zu
keinen negativen indirekten Effekten führen (zB Verlagerungen ins Ausland mit einem einher gehen-
den starken Stellenabbau wie etwa bei der Austria Tabak oder internationale Steueroptimierung,) –
denn das ginge wiederum zu Lasten zukünftiger öffentlicher Einnahmen.

2.2     Rentabilität alternativer Kapitalnutzung

Finanziell lohnt sich eine Privatisierung für die öffentlichen Haushalte nur dann, wenn für das frei
werdende Kapital eine rentablere neue Verwendungsform gefunden wird, als bei einer unveränder-
ten Unternehmensbeteiligung zu erwarten wäre. Zumeist wird diese alternative Verwendung ein Ab-
bau der Staatsverschuldung sein, weshalb im Rahmen dieser Studie der Fokus auf diesem Aspekt
liegt. Ebenso könnte man jedoch sinnvolle Einmalinvestitionen mit hoher Rendite vornehmen. Oder
es wird eine Art Fonds gründen, aus dessen Erträgen laufend zB höhere Bildungsausgaben (vgl.
Böheim 2011c) getätigt werden, wodurch allerdings die Ertragsrechnung belastet werden würde und
somit das Maastricht-Defizit höher wäre – was zumindest aktuell weder mit den europäischen Vor-
gaben noch mit den Defizitzielen der Bundesregierung vereinbar wäre.

Die Wahl einer empirisch fundierten Annahme hinsichtlich des Ertrags (respektive der Aufwandser-
sparnis) der Verwendung der Privatisierungserlöse für den Schuldenabbau spielt für die Bewertung
eine große Rolle. Beispielsweise wäre bei einer Zinshöhe wie in Japan (rund 1 %) praktisch jede
Privatisierung eines gewinnbringenden Unternehmens ein finanzieller Verlust, wenn damit ein Schul-
denabbau finanziert werden soll. Hingegen wäre wohl jedes Privatisierungsvorhaben lukrativ, wenn
die Zinsen zB jenseits von 20 % lägen.

In Österreich bestand die Staatsschuld zuletzt zu rund drei Viertel aus Bundesanleihen, die je nach
Laufzeit, der Finanzmarktsituation beim Ausgabezeitpunkt und anderen Faktoren unterschiedliche
hohe Zinskosten zur Folge haben. 2010 betrug die Durchschnittsverzinsung der für den Bund in die-
sem Jahr neu aufgenommene Schulden 3,4 %, für alle ausstehenden Anleihen 4,1 % (BMF 2011).
Im Jahr 2011 sank das Zinsniveau weiter (vgl. OeNB 2012) – trotz steigendem Zinsspread zu
Deutschland und Rating-Herabstufung. Für die Berechnung der Zinsersparnis bei der Verwendung

5
der Privatisierungserlöse für einen Schuldenabbau wird man daher von einem Zinssatz in einer Grö-
ßenordnung von 3 bis 4 % ausgehen.

Ein anderer Aspekt ist an dieser Stelle zu erwähnen: Je stärker man davon ausgeht, dass der Unter-
nehmenserfolg unabhängig von den EigentümerInnenstrukturen ist, desto unwahrscheinlicher ist der
finanzielle Privatisierungserfolg in Staaten mit guter Bonität. Die Republik Österreich verfügt derzeit
über eine sehr gute Bonität und damit das fast geringstmögliche Risiko für eine Veranlagung in Ös-
terreich. Die Kapitalkosten sind dementsprechend sehr niedrig – jedenfalls niedriger als die mittelfris-
tige Eigenkapitalrentabilität jedes funktionierenden Unternehmens. Umgekehrt werden private Inves-
torInnen aufgrund des höheren Ertragsrisikos einer Unternehmensbeteiligung im Normalfall eine
höhere Renditeerwartung haben. Folglich kann ein finanzieller Gewinn für den Staat theoretisch nur
dann eintreten, wenn die Kaufangebote der an der Privatisierung beteiligten privaten InvestorInnen
deutliche Effizienzsteigerungen einpreisen (oder ex post die Unternehmensentwicklung wesentlich
hinter den Erwartungen zurückbleiben).

2.3      Privatisierungserlös

Der tatsächlich zu erzielende Erlös aus zukünftigen Privatisierungen hängt maßgeblich von den Er-
wartungen der potentiellen KäuferInnen ab. Drei wesentliche Einflussfaktoren lassen sich finden:
Erstens die zukünftige Ertragslage des Unternehmens (Effizienz- und Wachstumspotentiale), zwei-
tens die eigene Renditeerwartungen der InvestorInnen, die wiederum in Relation zur allgemeinen
Rendite- und Risikoeinschätzung stehen; Und drittens empirisch zu beobachtende Verzerrungen der
Erwartungen, die sich in einer signifikant positiven längerfristigen Aktien-Outperformance von Priva-
tisierungen (Ahnefeld 2007; unkritisch auch Helmenstein et al. 2011 bzw. Böheim 2011b) zeigen,
was im Umkehrschluss zu einem signifikant zu niedrigen Privatisierungserlös – gemessen an der
zukünftigen Ertragslage – führt. Als mögliche Gründe (vgl. Ahnefeld 2007: 257ff.) für diese systema-
tischen Verzerrungen werden Vorurteile hinsichtlich der Reformfähigkeit großer staatlicher Organisa-
tionen, höhere Informationskosten betreffend zukünftiger Information, die zu einer Übergewichtung
vergangener Information führen, die Unterschätzung der Persistenz von Marktmacht sowie das
mangelhafte Management der Privatisierung in Form unerfahrener Kapitalmarktkommunikation oder
                                           3
zwecks eigenem Vorteil für ManagerInnen (sei es in Form von Aktienoptionen oder Reputationsstei-
gerung) angeführt. Ahnefeld kommt anhand seiner eigenen empirischen Untersuchung zum Schluss,
dass „die Hypothese informationseffizienter Kapitalmärkte für Privatisierungen nicht gestützt werden
[kann]“ (Ahnefeld 2007: 292).

Selbst wenn es keine systematischen Verzerrungen gäbe, kann es angesichts fehlender Gewissheit
hinsichtlich der zukünftigen Ertragserwartung und der Abhängigkeit von den allgemeinen Kapital-
marktaussichten keine genaue Schätzung des zu erzielenden Verkaufspreises a priori geben. Das
heißt jedoch nicht, dass nicht zumindest eine näherungsweise Schätzung möglich ist. Für börsenno-
tierte, teilprivatisierte Unternehmen kann als Näherungswert der Börsenkurs herangezogen werden.

Bei nicht-börsennotierten Unternehmen ist die Methode der diskontierten Cash-Flows (Discounted-
Cash-Flow-Methode oder DCF-Methode) eine Möglichkeit sich anzunähern (Kammer der Wirt-
schaftstreuhänder, 2008). Dabei wird die zukünftige tatsächliche Ertragskraft des Unternehmens –

3
    Ähnliches dürfte auch für PolitikerInnen gelten, die für die Privatisierung verantwortlich sind: Da in der medialen Bericht-
    erstattung der Erfolg oft vereinfacht anhand der Kurssteigerungen gemessen wird, können bewusst niedriger festgelegte
    Ausgabepreise als politischer Erfolg verkauft werden.

6
daher bereinigt um Abschreibungen, Rückstellungen, etc – anhand des Barwerts der zukünftig zu
erwartenden Zahlungsströme (= Einnahmen und Ausgaben) mit einem von der Renditeerwartung
abhängigen Diskontierungssatz geschätzt. Dies kann in der unmittelbaren Zukunft durch Schätzun-
gen für jedes einzelne Geschäftsjahr geschehen, in der langfristigen Perspektive werden grobe Zah-
lungsströme als Annuitäten einer ewigen Rente betrachtet. Je höher der verwendete Diskontierungs-
    4
satz , desto geringer wird der Privatisierungserlös sein, wie dieses fiktive grafische Beispiel bei An-
nahme eines durchschnittlichen jährlichen Cash-Flows von 100 000 Euro zeigt:

Abbildung 3: Unternehmenswert in Abhängigkeit des Diskontierungssatzes

                                    3,5

                                     3
    Unternehmenswert in Mio. Euro

                                    2,5

                                     2

                                    1,5

                                     1

                                    0,5

                                     0
                                          3%   4%   6%   7%   8%   9%   11% 12% 13% 14% 16% 17% 18% 19%

                                                                          Diskontierungssatz

Quelle: eigene Darstellung

In den Studien von WIFO (Aiginger et al. 2010) bzw. Economica (Helmenstein et al. 2011) werden
zur Schätzung des Unternehmenswertes – und damit des potenziellen Privatisierungsvolumens –
zwecks Vereinfachung keine prognostizierten Werte, sondern lediglich die arithmetischen Mittel der
operativen Cash-Flows der letzten 5 bis 10 Jahre zu aktuellen Preisen und Diskontierungssätze in
der Höhe von 5 % und 10 % verwendet.

Im Gegensatz zur Praxis von Helmenstein et al. (2010) wird in der Literatur für die DCF-Methode die
Verwendung des freien Cash-Flows vorgeschlagen (zB Kammer der Wirtschaftstreuhänder 2008
oder Riegler 2000). Der freie Cash-Flow stellt dabei den für das Unternehmen tatsächlich verfügba-

4
      Der Diskontierungssatz kann auch als Präferenzmaß für den gegenwärtigen zum zukünftigen Wert gesehen werden. Je
      höher er ist umso weniger ist man bereit heute für Zahlungen von morgen zu zahlen. Bei einem Diskontierungssatz von 0
      wird der Barwert einer ewigen Rente unendlich.

7
ren Geldmittelzufluss pro Periode dar, während der operative Cash-Flow (auch: Cash-Flow aus be-
trieblicher Tätigkeit) nur jene Zahlungsströme berücksichtigt, die keine Investitions- oder Finanzie-
rungstätigkeiten darstellen (vgl. zB Eiselt/Müller 2008).

Der freie Cash-Flow berücksichtigt hingegen auch den Cash-Flow aus Investitionen. Der Cash-Flow
aus der Investitionstätigkeit beinhaltet dabei in erster Linie Investitionen bzw. Einzahlungen aus An-
lagenabgängen. Eine vereinfachte Übersicht über diesen Zusammenhang zeigt die folgende Abbil-
dung:

Abbildung 4: Zusammenhang zwischen operativem Cash-Flow und freiem Cash-Flow

                                       Jahresergebnis

                                                                Nicht-zahlungswirksame
                    operativer Cash-Flow
                                                                Erträge + Aufwendungen

                                                                Nicht-zahlungswirksame
            freier Cash-Flow                Investitionen
                                                                Erträge + Aufwendungen

Quelle: eigene Darstellung

Für die Ermittlung des freien Cash-Flows werden also „die für Investitionen benötigten liquiden Mittel
zum Abzug gebracht“ (Riegler 2000). Unter der Prämisse, dass ein Unternehmen, das einen positi-
ven operativen Cash-Flow erwirtschaftet, Investitionen tätigt, ist also der freie Cash-Flow regelmäßig
geringer als der operative Cash-Flow. Für eine Unternehmenswertberechnung bedeutet dies, dass
bei konstantem Zinssatz die Verwendung von operativen Cash-Flows höhere Unternehmenswerte –
und somit höhere Privatisierungserlöse – ergibt, als die übliche Verwendung der freien Cash-Flows.

Da neben Erwartungswerten und Berechnungsmethode zukünftiger Zahlungsströme der zu wählen-
de Diskontierungssatz besonders ergebnisrelevant ist, sind die diesbezüglichen Annahmen gut zu
begründen. Im Rahmen dieser Studie erfolgt die Fundierung mittels empirisch ermittelten impliziten
Diskontierungssätzen basierend auf historischen Privatisierungsbeispielen bzw den börsennotierten
teilstaatlichen Unternehmen. Mit anderen Worten: Welcher Diskontierungssatz muss verwendet
werden, damit die Zahlungsströme in Form von Cash-Flows – als Annuitäten einer ewigen Rente
betrachtet – einen Barwert ergeben, der der Marktkapitalisierung – und somit dem Marktwert – des
Unternehmens entspricht?

Der in Aiginger et al. (2010) bzw. Helmenstein et al. (2011) gewählte Ansatz ist somit aus drei Grün-
den problematisch: Erstens entspricht der operative Cash-Flow nicht dem sonst üblichen freien
Cash-Flow, was wohl auch darauf zurückzuführen ist, dass oft nur die operativen Cash-Flows in den
Unternehmensabschlüssen direkt ausgewiesen werden (weshalb auch wir diese methodische Ab-
weichung anwenden). Zweitens werden die Annahmen hinsichtlich der Diskontsätze von 5 bzw 10 %
weder theoretisch noch empirisch begründet. Und drittens stellt sich die Frage, ob die durchschnittli-
chen Werte aus der Vergangenheit geeignet sind um die zukünftigen Cash-Flows zu bestimmen –
angesichts ihrer leichten Verfügbarkeit (Geschäftsdaten der Unternehmen) und ihrer simplen Be-
rechnung im Vergleich zu detaillierten Analysen einzelner Unternehmen gibt es aber zu diesem Kri-
tikpunkt keine pragmatischen Alternativen.

Für den Zweck der Berechnung potentieller österreichischer Privatisierungserlöse werden hier die
jeweilige durchschnittliche Marktkapitalisierung seit 2006 mit den operativen Cash-Flows seit 2006

8
gegenüber gestellt, und zwar für jene Unternehmen, die sich noch teilweise in öffentlichem Besitz
befinden und gleichzeitig an der Wiener Börse notieren. Es sind dies die Österreichische Post AG,
die Telekom Austria AG, die OMV AG, die Verbund AG, die Flughafen Wien AG sowie die EVN AG.
In diesem Kontext ist darauf hinzuweisen, dass die Marktkapitalisierung einen Tageswert darstellt,
der von einer Reihe externer Einflüsse abhängt. Aus diesem Grund wird in der vorliegenden Unter-
suchung nicht die tagesaktuelle Marktkapitalisierung verwendet, sondern ein Durchschnitt der letzten
fünf Jahre, um etwaige tagesaktuelle Volatilitäten über einen längeren Betrachtungszeitraum zu glät-
ten. Geht man davon aus, dass die Marktkapitalisierung jeweils den Wert der jeweils verfügbaren
letzten Cash-Flow-Ergebnisse darstellt, müssten diese Durchschnittswerte dem jeweiligen Betrach-
tungsjahr angepasst werden (daher zB der Marktwert 2008 aus den Cash-Flow der Jahre 2003-2007
geschätzt werden). Eine durchgängige Betrachtung aller Cash-Flows in den Perioden bis 2005, die
dann den Mittelwert der Kapitalisierung ab 2006 ergeben, würde jedoch kaum plausiblere Ergebnisse
liefern wie ein beispielhafter Vergleich für das Jahr 2011 zeigt (Abbildung 6). Ein reines Abstellen auf
den tagesaktuellen Wert könnte wiederum aufgrund der Volatilität Ergebnisse liefern, die nicht der
Betrachtung der langfristigen Unternehmenswertentwicklung Stand halten. So zeigen beispielsweise
die Kursverläufe 2011 massive Unterschiede in den Tageskursen zwischen der ersten und der zwei-
ten Jahreshälfte. Ein langfristig geglätteter Durchschnittswert erscheint folglich sinnvoller, insbeson-
dere auch um die Unsicherheit des Zeitpunktes einer etwaigen Privatisierung darzustellen.

Allgemein ist darauf zu verweisen, dass für genaue Schätzungen potentieller Privatisierungserlöse
weiterer Aufwand (insbesondere eine exaktere Bestimmung des Erwartungswerts zukünftiger Cash-
Flows basierend auf detaillierten Business-Plänen) notwendig wäre, der den Rahmen dieser Studie
jedoch sprengen würde. Auch sei an dieser Stelle ein weiteres Mal darauf hingewiesen, dass die
Verwendung von operativen Cash-Flows anstelle von freien Cash-Flows nicht der sonst üblichen
Bewertungsmethode entspricht und bei identen Zinssätzen in der Regel zu überhöhten Marktwerten
und somit überschätzten potentiellen Privatisierungserlösen führt. In dieser Studie werden für die
Berechnung der potentiellen Privatisierungserlöse trotzdem die operativen Cash-Flows herangezo-
gen, um eine stärkere Vergleichbarkeit mit Aiginger et al. (2010) bzw. Helmenstein et al. (2011) zu
gewährleisten und zweitens die freien Cash-Flows nicht in allen Geschäftsberichten direkt ausgewie-
sen werden.

Aus diesen Gründen ist es aber umso notwendiger plausible Annahmen hinsichtlich der Diskontie-
rungssätze zu treffen. In Folge werden diese implizit aus dem Verhältnis Marktkapitalisierung zu
Cash-Flows bestimmt. Die Untersuchung des Zusammenhanges zwischen der durchschnittlichen
Marktkapitalisierung und den durchschnittlichen operativen Cash-Flows in der Vergangenheit liefert
                      5
das folgende Ergebnis :

5
    Die aktuellen Preise wurden dabei auf Basis des BIP-Deflators mit dem Basisjahr 2005 berechnet. Dies gilt auch für die
    folgenden Berechnungen.

9
Abbildung 5: Empirischer Zusammenhang zwischen Cash-Flows und durchschnittlicher
Marktkapitalisierung

                              Durchschnittliche            Durchschnittliche
                              operative Cash-Flows         Marktkapitalisierung seit             impliziter
        Unternehmen
                              2006-2010 zu Preisen 2011    2006 zu Preisen 2011 (in    Diskontierungssatz
                              (in Mio Euro)                Mio Euro)

Österreichische Post AG                            248,7                     1.787,2                13,9%
Telekom Austria AG                               1.622,2                     6.492,4                25,0%
OMV AG                                           2.534,0                    10.717,2                23,6%
Verbund AG                                         894,1                    11.091,7                 8,1%
Flughafen Wien AG                                  164,4                     1.109,0                14,8%
EVN AG                                             412,8                     2.739,9                15,1%

Summen                                           5.876,1                    33.937,2
Arithmetisches Mittel                              979,4                     5.656,2               16,75%
Standardabweichung                                                                                  6,41%

Quelle: eigene Berechnungen basierend auf den jeweiligen Geschäftsberichten sowie Preisangaben der Wie-
ner Börse AG

Durchschnittlich ergibt sich ein Diskontierungssatz von 16,75% um den Barwert der operativen
Cash-Flows in Einklang mit den Unternehmenswerten gemäß durchschnittlichen Aktienkursen zu
bringen. Dieser Wert liegt deutlich über dem im Basisszenario bei Helmenstein et al. (2011) ange-
nommenen 5 % als auch über der Minimalvariante bei Aiginger et al. (2010) von 10 %. Bezogen auf
die Schätzung des potentiellen Privatisierungserlöses hat dies zur Folge, dass die bisherigen Schät-
zungen in Höhe von bis zu 25 Mrd Euro deutlich zu hoch erscheinen.

Zur Kontrolle werden zwei weitere Berechnungen angestellt. Erstens werden alternativ die aktuellen
Kapitalisierungswerte anstelle der durchschnittlichen Marktkapitalisierung der letzten sechs Jahre
herangezogen, was konzeptionell der Unternehmensbewertung basierend auf vergangenen Ergeb-
nisdaten eher entsprechen würde. Zweitens werden für die wenigen Beispiele vergangener (Teil-)Pri-
vatisierungen, für die Daten über die Cash-Flows aus den jeweils vorangegangen fünf Jahren ver-
fügbar sind, ebenfalls die impliziten Diskontierungssätze ermittelt.

Die Verwendung der durchschnittlichen Marktkapitalisierung des Jahres 2011 ergibt folgendes Bild:

10
Abbildung 6: Empirischer Zusammenhang zwischen Cash-Flows und Marktkapitalisierung
2011

                                    Durchschnittliche
                                                               Durchschnittliche
                                    operative Cash-Flows                                            impliziter
          Unternehmen                                          Marktkapitalisierung
                                    2006-2010 zu Preisen 2011                             Diskontierungssatz
                                                               2011 (in Mio Euro)
                                    (in Mio Euro)
Österreichische Post AG                                  248,7                    1.574,0              15,8%
Telekom Austria AG                                     1.622,2                    4.092,4              39,6%
OMV AG                                                 2.534,0                    7.671,3              33,0%
Verbund AG                                               894,1                    7.203,7              12,4%
Flughafen Wien AG                                        164,4                      614,2              26,8%
EVN AG                                                   412,8                    1.937,3              21,3%

Summen                                                     5.876,1                     23.092,8
Arithmetisches Mittel                                        979,4                      3.848,8                 24,83%
Standardabweichung                                                                                              10,38%

Quelle: eigene Berechnungen basierend auf den jeweiligen Geschäftsberichten sowie Preisangaben der Wie-
ner Börse AG.

Es ist zu vermuten, dass diese weit höheren Diskontierungssätze jedoch eher auf eine 2011 pessi-
mistischere Kapitalmarktstimmung bzw den unmittelbaren negativen wirtschaftlichen Ausblick als auf
angemessenere Diskontierungssätze zurückzuführen sind. In dieser Studie wird in Folge daher der
niedrigere ermittelte Durchschnittswert aus Abbildung 5 für die Basisschätzung zu Grunde gelegt.

Zudem wird aufgrund der recht großen Bandbreite der Einzelergebnisse ein alternatives optimisti-
sches Szenario für die Prognosen der potentiellen Privatisierungserlöse herangezogen, und zwar
jenes, das auch in den vorangegangenen Studien von Helmenstein et al. (2010) bzw. Aiginger et al.
(2010) verwendet wird. Die dort herangezogenen 10 % liegen zwar ganz knapp außerhalb der unte-
                                                       6
ren Grenze (10,01 %) eines Konfidenzintervalls von 99 % – aus Gründen der besseren Vergleich-
barkeit werden sie trotzdem zur Berechnung der Obergrenze für den Privatisierungserlös herange-
zogen.

Als weitere Kontrollrechnung zur Bestimmung eines plausiblen Diskontierungssatzes werden in Fol-
ge die sich bei den zuletzt erfolgten Privatisierungen ergebenden impliziten Werte ermittelt. Die Aus-
wahl der Beispiele erfolgt dabei ausschließlich aufgrund des Kriteriums „einfache Datenverfügbar-
keit“: Im Unterschied zu älteren Beteiligungsverkäufen können sowohl für die Verkaufsschritte der
Telekom Austria AG in den Jahren 2004 und 2006, als auch für die endgültige Privatisierung der
Austria Tabak 2001 sowie für die Teilprivatisierung der vormals zur Gänze im Staatsbesitz befindli-
chen Österreichischen Post AG 2006 die tatsächlich erzielten Privatisierungserlöse als auch die in
den fünf Jahren davor erzielten operativen Cash-Flows aus den digital verfügbaren Geschäftsberich-
ten der Unternehmen entnommen werden.

6
     Die obere Grenze des Konfidenzintervalls beträgt 23,49 %. Dieser Wert könnte zur Berechnung eines Worst-Case-
     Szenarios verwendet werden. Im Rahmen dieser Studie wird allerdings darauf verzichtet, da sich sonst nur noch größere
     geschätzte Verluste für zukünftige Privatisierungen ergeben würden.

11
Abbildung 7: Empirischer Zusammenhang zwischen Cash-Flows und tatsächlich erzielten
Unternehmenswerten anhand der Beispiele Post, TA und Austria Tabak (in Mio Euro, privati-
sierte Anteile in Klammern)

anteilige Cash-Flows                                                                    Austria Tabak
(Preisbasis = Jahr d. Privat.)   Post (49% 2006)     TA (4,9% 2006)     TA (17% 2004)    (41,4% 2001)
t-1                                         253,0             1542,3           1240,6            278,3
t-2                                         295,6             1358,2           1206,0            223,9
t-3                                         178,0             1291,5            878,8            205,1
t-4                                         129,8             1255,6           1071,1            186,4
t-5                                         109,0              914,9           1302,9            192,5
Mittelwert                                  193,1             1272,5           1139,9            217,2

Privatisierungserlös                        651,7              323,0           1109,3            770,0
Unternehmenswert zu
Privatisierungspreis                       1330,0             6591,8           6525,3           1859,9

impliziter Diskontierungssatz             14,52%             19,30%            17,47%          11,68%
Mittelwert = 15,74%

Quelle: eigene Berechnungen basierend auf den jeweiligen Geschäftsberichten.

In diesen erfolgten Privatisierungsfällen betrug der sich aus der Beziehung zwischen Cash-Flows in
den fünf Jahren vor der Privatisierung und dem tatsächlichen Privatisierungserlös ergebende durch-
schnittliche implizite Diskontierungssatz 15,74 %. In allen Fällen liegen sie innerhalb der Berechnung
gemäß Abbildung 5 ermittelten Konfidenzintervalls. Im betrachteten Fall liefert die langfristige Durch-
schnittsbetrachtung gemäß Abbildung 5 bessere Ergebnisse als die Berechnung aufgrund der aktu-
ellen Unternehmenswerte in Abbildung 6.

Unter der Voraussetzung, dass sich keine Verzerrungen durch die Verwendung der operativen an-
stelle der freien Cash-Flows ergibt, folgt aus dieser Rechnung, dass in diesen Fällen die InvestorIn-
nen auch keine signifikanten Profitabilitätssteigerungen durch die Privatisierung selbst eingepreist
haben. Wäre das der Fall gewesen, müssten die Diskontierungssätze deutlich niedriger sein.

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3. HISTORISCHE BEISPIELE

Obwohl die Privatisierungsbeispiele der letzten Jahrzehnte recht zahlreich sind, fehlen bisher syste-
matische Evaluierungen hinsichtlich der Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte (Truger
2008).In Folge werden aber zumindest Teilergebnisse für ausgewählte Fallbeispiele in Österreich
präsentiert (ohne Berücksichtigung der kaum schätzbaren Transaktionskosten der Privatisie-
rung,etwa Kosten durch aufgetretene Unregelmäßigkeiten oder indirekten Effekte insbesondere auf
die Abgabenentwicklung).

Zu diesem Zweck betrachten wir die Auswirkungen der jeweils letzten Privatisierungsschritte jener
börsennotierten Unternehmen, an denen die ÖIAG noch beteiligt ist. Diese eignen sich für eine Un-
tersuchung besonders aufgrund der guten Datenlage über eine längere Zeitperiode sowie der wirt-
schaftspolitischen Relevanz bzw Größe. Im Falle von OMV und Telekom kommt hinzu, dass die
letzten Teilprivatisierungsschritte keine relevante Änderung der Besitzverhältnisse (Minderheitenan-
teile weiter reduziert bei unveränderter Sperrminorität bzw Syndikatsmehrheit). Die weitere Gewinn-
entwicklung, die wesentlich für die Errechnung des finanziellen Erfolges ist, kann somit nicht durch
allfällige Effizienzgewinne als Folgewirkung der Privatisierung selbst bestimmt sein.

Abbildung 8: Privatisierungsschritte bei OMV, TA und Post seit 1990

Unternehmen                  Jahr                  Privatisierungsanteil        Erlös (in Mio. Euro)
OMV AG                       1994                                     23,0%                   271,8
                             1996                                     14,9%                   308,4
Telekom Austria AG           1998                                     25,0%                  1977,0
                             2000                                     27,2%                  1009,3
                             2004                                     17,0%                  1109,3
                             2005                                   nahe Null                    8,6
                             2006                                       4,9%                  323,0
Österreichische              2006                                     49,0%                   651,7
Post AG
Quelle: Geschäftsberichte der ÖIAG bzw. Helmenstein et al. (2011)

Im Rahmen dieser Studie werden daher folgende Privatisierungsschritte dieser drei Unternehmen
untersucht: Der Verkauf von 14,9 % der OMV AG im Jahr 1996 sowie der bislang erste und einzige
Privatisierungsschritt bei der Österreichischen Post AG (49 %) und die Veräußerung von weiteren
4,9 % bei der Telekom Austria AG 2006.

Für die Berechnung der Auswirkungen dieser Teilprivatsierungen auf die Staatsfinanzen wird unter-
stellt, dass die Erlöse jeweils zu 100 % für eine Reduktion der Staatsschulden eingesetzt wurden.
Obwohl diese Verkäufe über die Beteiligungsholding ÖIAG abgewickelt wurden, wird zwecks Verein-
fachung angenommen, dass mit den Privatisierungserlösen jeweils das Ausgabevolumen der etwa
zu diesem Zeitpunkt tatsächlich begebenen 10-jährigen Staatsanleihe gesenkt wurde. Deren Zins-

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satz bestimmt somit für den Laufzeitraum der Anleihe näherungsweise die Zinsersparnis, weshalb
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sie jeweils in den folgenden Berechnungen zu Grunde gelegt wird . Zur weiteren Vereinfachung wird
auf eine genaue zeitliche Abgrenzung der Jahresüberschüsse und Zinsen verzichtet, da es sich nur
um eine zeitliche Verschiebung ohne finanzielle Auswirkungen über die mehrjährige Betrachtung
handelt.

Die so geschätzte Zinsersparnis wird dem Wertverlust aus entgangenen reinvestierten Gewinnen
und Ausschüttungen gegenübergestellt. Hierbei stellen die Dividenden die tatsächlichen, die Jahres-
überschüsse der Unternehmen hingegen die potenziellen Ausschüttungen dar, die – einen entspre-
chenden GesellschafterInnenbeschluss vorausgesetzt – der Republik jährlich anteilig zu Gute kom-
men können. Mit dem Fokus auf Jahresüberschüsse folgt diese Studie konzeptionell etwa der Au-
ßenwirtschaftsstatistik, in der das Kapitaleinkommen der Direktinvestitionen sowohl aus ausgeschüt-
                                                       8
teten als auch reinvestierten Gewinnen berechnet wird . Würde man nur die ausgeschütteten Ge-
winne berücksichtigen, ginge verloren, dass das Einbehalten von Gewinnen eine bewusste Ent-
scheidung der EigentümerInnen ist, die im Normalfall zu höhere Investitionen und damit zu noch
höheren Gewinnen in der Zukunft führen sollte. Nur die ausgeschütteten Anteile am Jahresüber-
schuss zu berücksichtigen würde der ökonomische Vorteil aus der Beteiligung unterschätzen. Zur
Verdeutlichung dieses Vorgehens kann man sich eine langjährige Nullkuponanleihe vorstellen, wo
man ebenso schlecht beraten wäre lediglich die jährlichen Zahlungen in einer Ertragsschätzung zu
berücksichtigen.

Letztlich wird zur weiteren Vereinfachung der Zinseszinseffekt aus Finanzierungsvor- bzw -nachteilen
vernachlässigt. Wenn zB der Dividendenentgang 2000 um 1 Mio Euro höher lag als die Zinserspar-
nis, so mussten dafür 1 Mio Euro neue Schulden aufgenommen (bzw Steuern erhöht oder Ausgaben
gekürzt) werden, was sich in den Folgejahren dauerhaft niederschlägt (zB höhere Zinsausgaben).
Hierfür jeweils Annahmen zu treffen und Berechnungen anzustellen würde den Rahmen dieser Stu-
die sprengen ohne zu qualitativ wesentlichen Änderungen zu führen: So ergibt sich beispielhaft für
die OMV, die den längsten Betrachtungszeitraum abdeckt und damit am stärksten vom Zinseszinsef-
fekt betroffen wäre, auf Basis der jährlichen Emissionsrendite des Bundes gemäß OeNB-Daten eine
Ergebnisverbesserung von lediglich 1 % für den Gesamtzeitraum von 15 Jahren.

3.1       OMV AG

Eine Betrachtung der Privatisierung des 14,9 %-Anteils an der OMV AG aus dem Jahr 1996 zeigt bis
zum heutigen Tag das folgende Bild:

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     Im Falle der OMV-Berechnung wurde für die Refinanzierung der 2006 auslaufenden Anleihe gleich vorgegangen, daher
     Durchschnittsrendite der letzten vor der Refinanzierung begebenen Anleihe.
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     Deutsche Bundesbank (2011: 16): „Als reinvestierte Gewinne gelten jene Teile des gewöhnlichen Geschäftsergebnisses,
     welche die getätigten Ausschüttungen übersteigen. Der Direktinvestor entscheidet über ihren Verbleib im Direktinvestiti-
     onsobjekt, was somit einer impliziten Wiederanlage entspricht.“

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