LIFE OF SURPRISES - DIE NIEMALS ENDENDE - FASZINATION COMME DES GARÇONS. REI KAWAKUBOS RADIKALE VISION FÜR DEN SOMMER PATRIK SANDBERG Text
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Alle Outfits, COMME DES GARÇONS HOMME PLUS LIFE OF SURPRISES – DIE NIEMALS ENDENDE FASZINATION COMME DES GARÇONS. REI KAWAKUBOS RADIKALE VISION FÜR DEN SOMMER HARRY CARR Foto PATRIK SANDBERG Text TOBIAS FRERICKS Styling 166 GQ STYLE GQ STYLE 167
In der Männermode-Galaxie einen Blick in die Vergangenheit Chaos mit Leidenschaft. In ihrer Kawakubos Mischung des Es- vernunftgesteuerten Kompro- herrscht derzeit kein Mangel werfen – und dann das Ganze Arbeitsweise vereint sie postda- senziellen mit dem Ekstatischen miss zwischen dem „Es“ und der an Sternen, die werden und schnell wieder vergessen. Comme daistische Methodik mit klöster- hat den Nerv einer Generation Wirklichkeit herstellt, ist vergehen. Nie zuvor haben so des Garçons 2018 ist nicht iden- licher Strenge. Jede Saison fängt getroffen, die besessen ist von Commes Geschäft. Sind die viele junge Marken mit aus- tisch mit dem von 1984, 2003, sie mit kaum mehr als nichts an, Branding und den Stil-Exzessen Modekollek t ionen Ausdruck von gefahrenen Ellenbogen um 1996 oder sogar 2017. Im letzten versehen bloß mit rudimen- der Post-Instagram-Economy. In der Struktur von Comme avantgardistischem Einfallsreich- die besten Plätze am Markt Jahr wurde Kawakubo eine der tärsten Vorstellungen und Inspi- Früher interessierten sich nur tum, so ist die Marke selbst recht konkurriert. Zum einen tut höchsten Ehren zuteil, die in der rationen, um dann mit ihren Vintage-Sammler, Moderedak- des Garçons sind Parallelen zu praxisorientiert (und lukrativ). sich die etablierte Fashion Branche zu vergeben sind: eine Schnittexperten Kollektionen zu teure, Einzelhändler und Mode- Sigmund Freuds Analyse der Bestehend aus den Elementen szene immer noch schwer, Einzelausstellung im Costume In- entwerfen, deren Einzelteile Exzentriker für Comme des Gar- Hemden (Shirt), T-Shirts (Play), menschlichen Psyche mit Models: Kerekko/Supa Model Management, Fionnan/Next Models; Haare: Philippe Tholimet/Saint Luke Artists, Nicola Britton/Saint Luke Artists; Casting: Madeleine Ostile/CLM; die Streetwear in ihre Arme stitute des Metropolitan Museum mehr wie Skulpturen wirken und çons, heute feiert die Marke den Lederwaren (Wallets) und Düf- zu schließen. Und zum ande- New York. Der letzte lebende De- nicht wie, sagen wir: Sweatshirts. Durchbruch bei Stars und Enter- einem „Es“, „Ich“ und „Über- ten (Parfums) und involviert in ren ist der Zugang zum signer, dem dies gewährt wurde, Manchmal nennt sie ein Material tainern von Miley Cyrus und ein Karussell aus Kollaborati- Know-how für die Millennial- war 1983 Yves Saint Laurent. Die „Un-Stoff“ und Kleidungsstücke Pharrell Williams bis Lil Uzi Vert Ich“ unübersehbar onen, ist Kawakubos kreative Lust Generation mit DIY-Tutorials Schau trug den Titel „Rei Kawa- „Nicht-Kleider“. Und ist sie damit oder eben Frank Ocean, der auf in überbordender Fülle in den auf dem Smartphone nicht kubo/Comme des Garçons: Die fertig, wirft sie alle Ideen weg seinem Album „Endless“ einen Store-in-Stores und in den nur leichter denn je, sie ge- Kunst des Dazwischen“ und bot und beginnt das nächste Mal wie- Song „Comme des Garçons“ Dover-Street-Läden einmal quer nießt seit einiger Zeit auch einen Überblick über Kawakubos der bei null. nannte. In einer Zeit, in der viele, durch die Kategorien gestreut. verstärkt Schutz vor Pla Schaffen, der nicht chronolo- In ihrer Homme-Plus-Kollek- von Luxuskonglomeraten bis zu Diese Zugänglichkeit legt das giaten. gisch geordnet war, sondern sich tion vom Frühjahr 2018 zeigt Ka- Streetwear-Start-ups, danach beeinflusst wie mit dem Schach- Ethos der Marke in die Hände dem Œuvre anhand von immer wakubo Blazer, die sie mit zerstö- trachten, das Geschäftsmodell zug, Satelliten ihrer Marke an (und Geldbeutel) der Öffentlich- Foto-Assistenz: Alessandro Trachini, Alaric MacDonald; Mode-Assistenz: Georgia Medley wiederkehrenden Themen und rerischer Fröhlichkeit umgedreht von Supreme zu kopieren (neue ehemalige Assistenten und Assis keit und schafft eine Beziehung, Motiven näherte. Dekonstruk hat: Das Futter ist nach außen Produkte jede Woche, forcierte tentinnen zu geben, etwa Junya die auf dem Realitätsprinzip tion, Abstraktion, Spontaneität gestülpt und zeigt ein Finish wie Kooperationen, eingeschränkter Watanabe Man, Noir Kei Nino basiert. und eine dezidierte Anti-Fashion- ein Oberstoff. („Es sind die inne- Nachschub, unendliche Nachfra- miya und Ganryu. Als Gosha Der Part des „Über-Ich“ fällt Wie eindrucksvoll ist es, dass die Ästhetik haben ihr Werk geprägt, ren Werte, die zählen“, kommen- ge) ist es schon eine Erwähnung Rubchinskiy mit seiner Sowjet- in diesem Denkmodell zweifellos coolste kreative Kraft in der Mode seit sie 1973 mit dem Entwerfen begann. Dabei gilt Kawakubo als tiert sie mit kryptischem Humor.) Das Futter wiederum setzt sich wert, dass sich der Gründer von Supreme, James Jebbia selbst, an- inspirierten Skatewear das Inte- resse von Adrian Joffe geweckt an Joffe und dessen kritisches Be- wusstsein, das die unterschied- von einer 75-jährigen Japanerin eines der größten Rätsel der Fa- aus Patchwork von Kunstfell und scheinend Kawakubo zum Vorbild hatte, war es Kawakubo, die ihm lichen Teile der Marke zusam- ausgeht, die sich selbst am liebsten shion-Welt. Selten gibt sie Inter- Animal-Prints zusammen, was es erkoren hat. Supreme und nicht nur bei der Produktion half, menhält und das „Es“ und „Ich“ Foto: Eiichiro Sakata views. Und wenn, sind ihre Ant- streng genommen dysfunktional Comme des Garçons verbindet sie platzierte diese auch promi- effektiv arbeiten lässt. Beide unsichtbar machen würde? worten kurz und klug und macht, man bei Kawakubo aber eine lange Zusammenarbeit bei nent in allen Dover-Street-Mar- Sphären existieren bei Comme in erinnern in ihrem geistreichen als Hinweis lesen darf, dass es Schuhen, T-Shirts und Hemden. ket-Geschäften – und machte natürlicher Symbiose: Die Krea Ingrimm an Andy Warhol. Ein unser wildes Inneres ist, welches Und Dover Street Market, die damit Rubchinskiys Trainingsan- tivität nährt das Geschäft und Reporter der „New York Times“ uns sicher durch den aktuellen Retail-Stores von Kawakubo und züge, Sweater, Sneakers und Per- wird ihrerseits durch das Ge- fragte sie anlässlich der Ausstel- Schlaf der Vernunft geleiten Adrian Joffe, sind die einzigen sianer-Mäntel weltweit zu Basics schäft finanziert. Im kontinuier- lung im Met, was ihre Botschaft wird. So wie Reagan und That- Läden, denen Jebbia gestattet, ihrer jugendlichen Klientel. lichen, stabilen Wachstum stehen Wie eindrucksvoll ist es da, an die Nachwelt sei. Kawakubo cher die elektrisierende Ära des sein Label zu führen. Doch was ist es, das bei Comme des Garçons und Dover dass die coolste kreative Kraft in antwortete, sie wolle „einfach Punkrock auslösten und Bush Betrachtet man das Spek- Comme des Garçons besser Street Market exemplarisch da- der Mode von einer 75-jährigen vergessen werden“. Diese Ver- und Quayle die von Rave und trum aufsteigender Modemarken, funktioniert als bei vielen ande- für, was schöpferische Kraft und Japanerin ausgeht, die sich selbst weigerungshaltung hat einen Madchester, so scheint Kawakubo von Virgil Ablohs Off-White und ren Marken, die es irgendwann Branding heute alles erreichen am liebsten unsichtbar machen doppelten Vorteil: Ihre Entwürfe auch jetzt für ekstatischen Wi- Demna Gvasalias Vetements über einfach zerstäubt? Nimmt man können. Denn Kawakubo und würde? Dass in der Industrie je- umgibt sie so mit einem Mysteri- derstand zu optieren. Bei ihrer Streetwear-Brands wie Palace die Struktur von Comme des Joffe haben ihren Erfolg mit an- mand seit 1978 ganz oben steht um, ihr Label bewahrt sie davor, Show ließ sie Models mit Topffri- und Pigalle bis Opening Ceremo- Garçons, sind Parallelen zu Sig- deren geteilt und junge Künstler (damals wurde Comme des Gar- medialer Übersättigung ausge- suren und Glitter über einen ny, ist es leicht, den roten Faden mund Freuds Analyse der und Designer aufgebaut, an die çons Homme Plus gegründet), ist setzt zu sein. Nie wird man Dancefloor in Regenbogenfarben der Inspiration zu entdecken, der menschlichen Psyche mit einem sie glaubten. (Ist dies nicht der tatsächlich ziemlich einmalig. Comme des Garçons überdrüs- stolpern, um die Besucher aus ih- mit Comme des Garçons begann. „Es“, einem „Ich“ und einem Traum eines jeden aufstrebenden Während etliche bahnbrechende sig, stets bleibt man neugierig, rer Catwalk-Lethargie zu reißen Die Kunst, mit einer Vielzahl von „Über-Ich“ unübersehbar. Nach Kreativen?) Das junge Publikum Gestalter der 80er und 90er was als Nächstes kommt. und ihnen ein Gefühl von Opti- Kollaborationen zu jonglieren, Freud ist das „Es“ von drei Fak- wiederum ist sich dieser Zusam- m itansehen mussten, wie ihre La- Wenn es etwas gibt, das Ka- mismus zu vermitteln. Ihre eben- beherrscht Kawakubo seit Lan- toren bestimmt: dem Instinkt, menhänge bewusst – und erkennt bels verschwanden (Claude Mon- wakubos innere Widersprüche falls mit Glitter überzogenen gem. Sie hat mit Persönlichkeiten dem Sexualtrieb und dem Todes darin einen Einklang mit den ei- tana), zu Parfüm-Franchises mu- eint, dann ist es der antikonven Basketball-Shorts haben sich be- und Labels zusammengearbeitet trieb. All dies verkörpert Kawa- genen Ideen und Anschauungen. tierten (Mugler, Gaultier) oder bis tionelle Impuls: eine Punk-Attitü- reits als absoluter Hit erwiesen – wie Peggy Moffitt, Stephen Jones, REI KAWAKUBO kubo: Sie ist instinktiv bezau- Andererseits: So besessen der- zur Unkenntlichkeit die Besitzer de, die es der Designerin erlaubt, sie und nichts anderes trug Frank Colette, Fred Perry, Speedo, Su- bernd, hemmungslos, impulsiv zeit alle von Branding und Kolla- wechselten (Helmut Lang, Martin permanent Erwartungen zu un- Ocean auf zwei aktuellen Covern, preme, Moncler, Nike, Disney und und aggressiv und folgt aus- borationen sind, so wahrt Kawa- Margiela), hat eine Designerin die terlaufen und sich dabei konstant dem von Petra Collins für „032c“ Pharrell, und das sind längst schließlich dem Lustprinzip. In kubos „Es“ doch immer auch Träume und Geldbörsen der an zu erneuern. Während viele in und jenem, das er selbst im Auf- nicht alle. Durch die Entwicklung ihren Kollektionen gibt es keiner- Abstand und Würde. Die Au- der Avantgarde interessierten, der Mode „das Risiko“ (oder noch trag von „i-D“ gestaltete. Auch ihrer Marke, aus der sie in den lei Einschränkungen durch kom- thentizität und der kreative ständig nachwachsenden Jugend schlimmer: „den Bruch“) als Zau Kawakubos Kollaboration mit 80ern Tricot, Homme Plus, merzielle Erwägungen – und Wahnsinn von Comme des Gar- im Griff behalten: Rei Kawakubo. berworte vor sich hertragen, um Nike, die „Air Max 180“ in Bar- Homme Deux und Shirt ausglie- genau das ist es, was die inter çons lassen sich nicht kopieren Um die fortgesetzte Anzie- ihren trendy Sachen eine Prise bie-Rosa, ist so gut wie ausver- derte, hat sie die Konzepte ande- nationalen Beobachter daran so oder nachahmen. Es scheint, als hungskraft von Kawakubos De gekaufter Anarchie auf den Weg kauft, Manna für hype beasts von rer Unternehmen der Luxusgü- fasziniert. Das „Ich“ wiederum, sei Originalität immer noch ein signs zu verstehen, muss man zu geben, umarmt Kawakubo das Brooklyn bis Berlin. terindustrie ebenso maßgeblich das an der Oberfläche einen Wert für sich. 176 GQ STYLE GQ STYLE 177
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