JOSEPH BEUYS YVES KLEIN - BEUYS-BRAUN UND YVES-KLEIN-BLAU Magdalena Broska
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JOSEPH BEUYS YVES KLEIN Magdalena Broska BEUYS-BRAUN UND YVES-KLEIN-BLAU
Beuys-Braun und Yves-Klein-Blau Magdalena Broska Der Auftritt von Yves Klein (1928–1962) in Deutschland Klein auch für Joseph Beuys ein entscheidender Impuls- dauerte vier Jahre – von seiner Einzelausstellung in der geber war – so die These meiner Ausführungen über Jo- Düsseldorfer Galerie Alfred Schmela im Januar 1957 bis seph Beuys und Yves Klein –, lässt sich ebenfalls anhand zu der im Krefelder Museum Haus Lange bei Paul Wem- des spezifischen Einsatzes von Farbe bei beiden Künstlern ber im Januar 1961. Klein trug das Konzept der Monochro- belegen. Beuys hat auf das Blau der Arbeiten von Yves mie nach Deutschland, das die künstlerische Avantgarde Klein auf die ihm eigene, in seinem Kunstverständnis be- im Rheinland entscheidend inspirierte. So war die siebte gründete Art eine Antwort gegeben: mit der Farbe Braun, Abendausstellung in Otto Pienes Düsseldorfer Atelier 1958 die seit Anfang der 1960er Jahre ebenso zu einem Erken- unter dem Titel Das rote Bild einer einzigen Farbe gewid- nungsmerkmal seiner Kunst wurde wie die Farbe Blau für met. Über den Einfluss Kleins und seines monochromen Klein. Die vergleichende Betrachtung des Bildmittels der Konzepts im Zusammenhang mit dieser Ausstellung, die Farbe ist ein Schlüssel zum Verständnis des künstlerischen als die Geburtsstunde von ZERO gilt, und auf die Künst- Konzepts beider Künstler und weist auf eine verborgene ler dieser Gruppe ist schon vieles gesagt worden. Dass Verwandtschaft hin. 2 3
Krefeld und die Tradition der französischen peinture Yves Klein – Der Künstler der reinen Farbe Auch wenn Joseph Beuys und Yves Klein sich einander Bild der französischen Malerei schuf, hatte das Licht und Paul Wember hat diese Sätze 1956 niedergeschrieben. Ich versuche, den Betrachter mit der Tatsache zu konfron- persönlich wohl nie begegnet sind – zumindest ist dies die Farbe zum alleinigen Medium seiner Kunst gemacht. Kurze Zeit später machte er in der Düsseldorfer Galerie tieren, daß Farbe ein Individuum, ein Charakter, eine Per- nicht belegt – verbindet sie die besondere Bedeutung, die Seine Entdeckung und Nutzung der Möglichkeiten, die in Alfred Schmela Bekanntschaft mit dem Werk eines fran- sönlichkeit ist. Ich biete dem Betrachter meiner Arbeiten die Stadt Krefeld mit ihrem Museum für beide hatte: für den der simultanen Wirkung der Farben liegen, hatten großen zösischen Künstlers, der nichts anderes als die Farbe eine Sensibilität, die es ihm erlaubt, alles zu erfassen, was gebürtigen Krefelder ganz zu Beginn seiner künstlerischen Einfluss auf die deutsche Künstlerbewegung des Blauen zum Thema hatte und in seiner ersten Galerie-Ausstel- das monochrome Gemälde tatsächlich umgibt. So kann er Karriere, für den Franzosen als Ort seiner ersten und einzi- Reiter, zu der auch der Krefelder Künstler Heinrich Cam- lung in Deutschland monochrome Farbtafeln in Rot, Gelb, sich selbst mit Farbe erfüllen und Farbe erfüllt sich in ihm. gen Museumausstellung.1 pendonk und im weiteren Umkreis die Rheinischen Expres- Schwarz, Blau und Gold auf unterschiedlichen Bildträgern So kann er vielleicht in die Welt der Farbe eintreten.7 sionisten Helmuth Macke und Heinrich Nauen gehörten. zeigte.5 Wember brachte durch seine Kenntnis und Affini- Das Kaiser Wilhelm Museum widmete dem Thema Farbe be- Diese Künstler richteten ihre Aufmerksamkeit vor allem da- tät in Bezug auf die französische Malerei und die Ausstel- Als erster deutscher Museumsdirektor kaufte Wember reits 1928 eine Ausstellung. Neben Arbeiten französischer rauf, die Erscheinung und die expressiven Wirkungsmög- lungstradition des Krefelder Museums alle Voraussetzun- 1959 ein monochrom blaues und dann 1963 ein mono- Impressionisten und der Fauves sowie Kubisten enthielt sie lichkeiten der Farbe zu erfassen. Für die Krefelder Ausstel- gen für ein Verständnis der künstlerischen Position Yves chrom rotes Bild (beide von 1957) von Yves Klein. auch eine künstlerisch-wissenschaftliche Abteilung, in der lung zum Thema Farbe im Jahr 1928 entwarf Campendonk Kleins mit.6 Klein erklärte: verschiedene Farbenlehren vorgestellt wurden. Zu den aus- das Ausstellungsplakat und bezog sich offensichtlich in gestellten Werken gehörten Arbeiten von Georges Braque, der Gestaltung auf die Farbsystematik von Blau, Rot und Robert Delaunay, Juan Gris, Wassily Kandinsky, Claude Gelb sowie auf die Disque simultané Delaunays. Die Ver- Monet, Pablo Picasso und Paul Signac. flechtungen der lokalen Künstler mit den jüngsten Entwick- lungen in der französischen Malerei und dem Diskurs um Paul Wember, von 1947 bis 1975 wegweisender Direktor die Farbe fielen in Krefeld auf fruchtbaren Boden, bereitet „Für die Farbe und gegen Linie und Zeichnung“ der Krefelder Kunstmuseen, zählte diese Ausstellung, wie durch engagierte Sammler, die die Entwicklungen der Mo- er in seinem umfassenden Band Kunst in Krefeld darlegte, derne nicht nur auf dem Gebiet der Malerei und der Skulp- zu den wichtigsten seines Vorgängers Max Creutz, Muse- tur, sondern auch auf dem Gebiet der Architektur unter- umsleiter von 1922 bis 1932.2 Aus Wembers Betrachtun- stützten. Zu ihnen zählten die Seidenfabrikanten Hermann gen wird deutlich, dass er dem französischen Beitrag die Lange (1874–1942) und Josef Esters (1886–1969), die in Bevor Yves Klein sein monochromes Konzept der reinen werden vergehen, bevor der Mensch diese Rufe erhört und Hauptrolle in der Entwicklung der klassischen Moderne den 1920er Jahren den Architekten Mies van der Rohe da- Farbe zum ersten Mal umsetzte und sich 1955 mit einem sich plötzlich voller Eifer daranmacht, die Farbe und sich zusprach, womit er sich im Einklang mit dem damaligen mit beauftragten, ihnen Privathäuser im Stil der Moderne orangefarbenen Bild in Paris beim Salon des Réalités be- selbst zu befreien.9 kunsthistorischen Diskurs befand. Im Vordergrund stand zu bauen. Der Textilfabrikant Fritz Steinert dagegen fand in warb, hatte er sein Konzept der Monochromie bereits in dabei die Thematisierung der Farbe, die als eine der wich- Hans Poelzig einen Architekten, der für ihn ein Wohnhaus kleineren Künstlerbüchern und einem Filmentwurf von Die Frage nach dem Rangverhältnis zwischen Zeichnung tigsten Errungenschaften der neueren französischen Ma- im Stil des Expressionismus errichtete (1929–1931). 1954 dargestellt, der den bezeichnenden Titel La guerre und Farbe sowie nach der Bewertung des streng linearen lerei, namentlich des Impressionismus, galt. An der Ruhr- (de la ligne et de la couleur) ou (vers la proposition mono- und des frei malerischen Stils hat die französische Kunst- Universität Bochum benannte die Vorlesungsreihe des In einem Aufsatz mit dem Titel „Von der Freiheit des Samm- chrome) (Der Krieg [zwischen Linie und Farbe] oder [Auf theorie seit dem 17. Jahrhundert beschäftigt. Sie findet Kunsthistorikers Max Imdahl über die Rolle der französi- lers“ würdigte Paul Wember die besonders der zeitgenös- dem Weg zu einem monochromen Vorschlag]) trug. Der In- sich in den Betrachtungen Charles Perraults, die unter dem schen Malerei seit dem 17. Jahrhundert bis in die Gegen- sischen Kunst gegenüber aufgeschlossenen Krefelder Pri- halt des Films bot seinen eigenen Aussagen zufolge „einen Titel Parallèle des Anciens et des Modernes (Paris 1688 wart einen der Hauptforschungsbereiche des von Imdahl vatsammlungen, wobei er Farbe und Form als verbindende phantastischen und utopischen Blick auf die Geschichte – 1696) bekannt geworden sind, und führte schließlich zu von den 1960 bis in die 1980er Jahre geleiteten Kunsthis- Glieder identifizierte: der Kunst, den großen, nie endenden Kampf zwischen Li- jenen heftigen Auseinandersetzungen, die man zu Anfang torischen Instituts.3 An den Epochen Le Brun, De Piles, nie und Farbe, der sich in der Kunst abspielt“.8 Der Film des 18. Jahrhunderts den Streit zwischen Poussinisten Delacroix, Chevreuil und Delaunay erläuterte Imdahl seine […] und so wird auch immer wieder an Krefeld bewundert, beginnt mit prähistorischen Beispielen, in denen die Fin- (klassizistisch-linearer Stil) und Rubenisten (Vorherrschaft These von der fortschreitenden Entbegrifflichung des Se- daß seine zeitgenössischen Sammlungen überwiegen. Tat- gerzeichnung als lineare Spur dominiert, die Farbe jedoch des malerischen Stils) genannt hat. Im 19. Jahrhundert hat hens durch die im Bild freigesetzte Farbenwelt. Er vertrat sächlich liegt das zahlenmäßige Schwergewicht des Sam- allmählich Bedeutung gewinnt: vor allem Delacroix gegen den linear-klassizistischen Stil die Ansicht, dass der Einbruch wissenschaftlich-physiolo- melns in der Gegenwartskunst, und das hat seine Gründe. von Ingres allein die Farbe für wirklich gehalten.10 gischer Farbgesetze, wie sie der Chemiker und Farbthe- Krefeld war und ist eine Seidenstadt. Die Seidenherstel- Wann immer der Mensch das Bedürfnis zu malen verspürt, oretiker Michel Eugène Chevreuil mit seinem Farbenkreis lung erfordert ein Sehen in Formen und Farben. Was könn- versucht die heroische Farbe sich ihm mitzuteilen. Sie Yves Klein sah sich in dieser kunsttheoretischen Auseinan- 1839 entwickelt hatte, in Frankreich zur gegenstandslosen te der zeitgenössischen Kunst besser entgegenkommen!4 spricht zu ihm aus seinem tiefsten Inneren, einem Ort jen- dersetzung ausdrücklich den Künstlern der Farbe zugehö- Kunst eines Delaunay geführt habe. Delaunay, der mit sei- seits seiner eigenen Seele. […] Sie blinzelt ihm zu, aber sie rig: „Ich bin ein Impressionist und ein Schüler von Delac- ner abstrakten Kreisform 1912 das erste gegenstandslose ist gefangen in gezeichneten Formen. Aber Jahrtausende roix“, heißt es in einer Tagebucheintragung vom 23. August 4 5
1957.11 Über die vom Künstler zitierte kunsthistorische Heindels Ausführungen über das Rosenkreuzertum und darunter die Reliefs bleus (Blaue Reliefs) und die Disque Für den Vorgang fortschreitender Entmaterialisierung fin- Referenz – die Farbe-Linie-Auseinandersetzung zwischen das mystische Christentum wurden für Klein bald zum the- bleu (Blaue Scheibe) von 1957. Das blaue Pigment wurde den sich in Kleins weiterem Werkverlauf die unterschied- dem Romantiker Delacroix und dem Klassizisten Ingres – oretischen Leitfaden.12 hier mit Kunstharz vermischt, um es an den verschiedenen lichsten Ausdrucksformen: die Loslösung der Farbe von hinaus entspricht diese antithetische Gegenüberstellung Objekten und Materialien haftend zu machen, so auch an ihren Bindemitteln, die Arbeit mit entstofflichten Materialien von Farbe und Linie jedoch auch hermetischen Denkstruk- Für Yves Klein bedeutet die Farbe Freiheit und Lebendig- den zwei und drei Meter langen Holzstäben des Objekts wie den Naturelementen Feuer (Feuerbilder), Wasser (Re- turen, wie sie in der Gedankenwelt des Rosenkreuzertums keit; ihr steht die Linie als Inbegriff von Beschränkung und Pluie bleue (Der blaue Regen). Die Arbeit Tapisserie bleu genskulpturen), Luft (Luftarchitektur) und Staub (Kosmogo- und einer hermetisch-gnostischen Kosmologie verankert Tod diametral gegenüber: (Blaue Tapisserie) von 1957 dagegen war von der We- nien).18 Dies alles mündete letztendlich in die Demonstrati- waren, von denen Klein maßgeblich beeinflusst wurde. Da- berin Marguerite Luginbühl mit blauem Faden hergestellt on der Leere, der Leere eines weißen Raums. Bereits in der rauf verweist Ulli Seegers in einer Studie zu Yves Klein: Im Linien sind für mich die Konkretisierung unserer Sterblich- worden.16 Die durchgängig monochrome Farbgestaltung Ausstellung bei Colette Allendy im Jahr 1957 war ein lee- Alter von neunzehn Jahren beschäftigt sich Klein mit der keit, unserer Sentimentalität, unseres Intellekts und so- machte die Rauminstallation zu einem Gesamtbild. rer Raum in der oberen Etage Teil des Konzepts gewesen. Lektüre von Max Heindels Cosmogonie des Rose-Croix gar unserer Spiritualität. Es sind unsere psychologischen Unter dem Titel Le Vide zeigte Yves Klein ein Jahr später, (Paris 1947), einem einschlägigen Handbuch der Rosen- Grenzen, unser Erbe, unsere Erziehung, unser Skelett, un- Im Garten der Galerie hatte Yves Klein für den Eröffnungs- 1958, auch in der Galerie Iris Clert nichts anderes als einen kreuzer-Gesellschaft. Heindel war vormals Anhänger der sere Laster, unser Streben, unsere Qualitäten, unsere Ver- abend der Ausstellung eine Installation für ein kurzes Feu- leeren weißen Ausstellungsraum. „Obwohl es sich um einen Anthroposophischen Gesellschaft Rudolf Steiners gewe- schlagenheit. Farbe hingegen badet in kosmischer Sensi- erwerk aufgebaut. Diese Arbeit mit dem Titel Le feu de ganz und gar weiß gestrichenen Raum handelte, sprach sen und gründete 1909 die Rosicrucian Fellowship. Ge- bilität. Sensibilität hat für mich keine Nischen. Sie ist wie die bengale bleu, ou le tableau d’une minute, ou le tableau qui der Künstler von einer Erfahrung des Blaus in ungeahnter meinsam mit seinen Freunden Arman und Claude Pascal Feuchtigkeit in der Luft. Farbe ist materialisierte Sensibili- parle après dans le souvenir bestand aus einer Staffelei Intensität: Es war wirklich Blau, das Blau der blauen Tiefe hatte Klein schon eine Zeit lang Zen-buddhistische Studien tät. Farbe badet in allem und badet alles.13 und einer blau gestrichenen Holztafel, auf der einige Feu- des Raums.“19 Dies, weil Klein auf die Idee einer Entwick- betrieben und war nun auch von der Astrologie fasziniert. erwerkskörper, die blaues Licht produzierten, montiert wa- lung von Blau – einer sichtbaren, fassbaren Farbe – über ren. Für eine Minute wurde ein blaues bengalisches Feuer Weiß zum immaterialisierten Blau hinweisen wollte.20 entzündet, bei dem sich das Blau in der Flamme losgelöst vom materiellen Träger als körperloses Stoffliches zeigte. Vier Jahre später fand sich im Krefelder Museum Haus Pigment pur Lange ein leerer, weißer Raum ebenfalls unter dem Titel In dieser Ausstellung beschritt Yves Klein für seine Zeit ra- Le Vide – diesmal integriert als ein abgeschlossener Raum dikal neue Wege im Umgang mit der Farbe, indem er sie in einer Abfolge von in Blau, Rosa und Gold inszenierten Yves Klein machte es sich zur Aufgabe, die Farbe von al- Türen. Hier hatte Yves Klein blaues Pigment auf eine Folie nicht mehr nur als Darstellungsmittel der Malerei verwen- Ausstellungsräumen. Nach Ansicht des Künstlers stellte lem Überflüssigen zu befreien. Zusammen mit seiner da- gestreut, die mit Leim versehen war, worauf das Pigment dete, sondern als autonome künstlerische Substanz, die er der leere weiße Raum „ein malerisches Klima der Sensibi- maligen Partnerin, der Architektin Bernadette Allain, stellte etwa fünf Zentimeter hoch gestreut war und von Yves Klein mit den unterschiedlichsten Materialien und Formen ver- lität des immaterialisierten Blaus [dar] […]. Ein Farb-Raum, er am Centre d’information de la couleur in Paris Experi- aufgepustet wurde. Die Wände blieben weiß. Man muss- band: als Pigment in pulverartiger Konsistenz, sozusagen der nicht sichtbar ist, aber in dem man imprägniert wird“.21 mente zur Farbwirkung an und entdeckte in diesem Zu- te als Besucher über Bohlenbretter gehen, und dann kam als prima materia der Malerei, als mit Kunstharz gebunde- sammenhang die Ausdruckskraft des reinen Pigments: man in den Hauptausstellungsraum mit Steinfliesen und ei- ne Farbe auf monochromen Farbtafeln und Gegenständen, In der Verschiedenartigkeit der gezeigten Objekte, aber ner Glasfront zum Garten hinaus. In dem Hauptraum hatte als blauen Faden, der sich zu einem Stoffbild zusammen- auch in der unterschiedlichen Thematisierung von Farbe Ich mochte keine mit Öl vermischten Farben. Sie schienen Yves Klein seine monochromen Arbeiten gehängt, im Gar- fügt, als ephemere immaterielle Erscheinung der gezünde- stand die Ausstellung bei Colette Allendy 1957 (14.–23. tot. Was mir am meisten gefiel, waren reine Pigmente in ten seine Feuerwerkskörper installiert.15 ten Feuerwerkskörper einer Gasflamme. Mai) in deutlichem Gegensatz zu der im selben Jahr (10.– Puderform, wie ich sie oft beim Farbenhändler en gros ge- 25. Mai 1957) in der Galerie von Iris Clert, die parallel lief sehen hatte. Sie hatten ein natürliches, außergewöhnlich In dem blauen Pigmentraum, wo pures Pigment ohne Bin- Die hier vollzogene Bindung von Farbe an verschiedene und die Yves Klein vier Tage früher in Paris eröffnet hatte. autonomes Leben. Es war wirklich Farbe in Reinform. Le- demittel oder Öl in pulveriger Materialität auf dem Boden Stofflichkeiten demonstriert die Veränderung und Ver- In dem einzigen Raum bei Iris Clert zeigte Klein monochro- bendiges und faßbares Farbmaterial.14 verteilt war, wurde Farbe nicht nur in neuartiger Intensität wandlung des Materiellen, was sich als ein grundsätzlich me Bilder, alle im gleichen Ultramarinblau, und eine blaue erlebt, sondern auch als Teil einer Rauminstallation wahr- alchemistischer Vorgang interpretieren ließe. Ziel eines Schwammskulptur. Die Ausstellungseröffnung, die bei Die Idee, reines Pigment zu zeigen, realisierte Klein im Mai genommen, zusammen mit einem großen blauen Para- solchen Vorgangs ist letztendlich die Auflösung des Mate- Colette Allendy in dem Abbrennen der Feuerwerkskörper 1957 in seiner zweiten Ausstellung bei Colette Allendy. vent (Paravent bleu), den der Künstler diagonal in das riellen zugunsten einer spirituellen Substanz. So war denn ihren Höhepunkt fand, wurde bei Iris Clert mit zwei Ereig- Unter dem Titel Pigment pur (14.–23. Mai 1957) bespielte Pigmentfeld gestellt hatte: Dieser dreieinhalb Meter breite auch der Vortrag, den Yves Klein am 3. Juni 1959 an der nissen zelebriert: Der Künstler und die Gäste der Galerie er die Räume und den Garten der Galerie mit drei unter- Wandschirm aus fünf gleich großen Platten war mit dünnen Sorbonne hielt, „der Entwicklung der Kunst zum Immateri- ließen zur Vernissage eintausendundeins blaue Luftballons schiedlichen Werkgruppen. Der Krefelder Künstler Paul Stäbchen abgestützt, die den Schirm ein wenig vom Bo- ellen“ gewidmet. Mit Bezug auf eine Stelle in Gaston Ba- in den Himmel steigen. Danach wurde zum ersten Mal Kamper, der zu dieser Zeit in Paris lebte und arbeitete, er- den abhoben, so dass der Eindruck entstand, er schwebe chelards Essay L’Air et les songes. Essai sur l’imagination Kleins Symphonie Monoton-Silence von 1947 öffentlich innert sich im Zusammenhang mit seinem Besuch der Ver- losgelöst im Raum. Entsprechend hatte Klein im Hauptaus- du mouvement (Die Luft und die Traumbilder. Versuch gespielt. „Der für seine konkrete und phonische Musik be- nissage gemeinsam mit der niederländischen Künstlerin stellungsraum seine Monochrome in einigem Abstand zur über die Imagination der Bewegung) erklärte Klein: kannte Komponist Pierre Henry hatte die aus einem Akkord Ansèl Sandberg vor allem an den blauen „Pigmentraum“ Wand angebracht. Diese Art der Präsentation bewirkte, bestehende Komposition auf Tonband aufgenommen, die (Klein selbst nannte den Raum Pigment pur): dass der Raum als solcher in seinen Dimensionen erfahrbar [E]s gibt ein imaginäres Jenseits, ein reines und substanz- in der Galerie als musikalische Ergänzung zu den mono- und mit in die Gestaltung einbezogen wurde. Einen Dialog loses Jenseits, in dem der schöne Satz Bachelards behei- chromen Gemälden ertönte.“22 Vorne in der Diele befand sich der Schreibtisch der Gale- mit dem Raum gingen auch die dreidimensionalen mo- matet ist: „Am Anfang ist das Nichts, dann folgt ein tiefes ristin, von da aus betrat man den Zwischenraum mit vier nochrom blauen Objekte im Hauptausstellungsraum ein, Nichts und am Ende steht eine blaue Tiefe.“17 6 7
Farbe als Attribut der Künstlerpersönlichkeit Zu beiden Ausstellungen hatte Yves Klein mit einer Post- und so ließ er sie sich als International Klein Blue, abge- kenwelt Kleins, die sich aus verschiedenen Quellen christ- führer der ZERO-Gruppe, sprach von der „personifizierten karte eingeladen, die er mit einer blauen Briefmarke verse- kürzt I.K.B., patentieren.23 Beim I.K.B. handelt es sich um licher, anthroposophischer, buddhistischer und mystischer Genialität“ des Künstlers. Von ihm sei „einer der ursprüngli- hen hatte. Nach den beiden Ausstellungen in den Pariser Ultramarinblau, das an einem ganz bestimmten Pigment Herkunft speiste, mit.28 Bestätigung scheint seine Inter- chen Impulse zu ZERO ausgegangen“.30 Die Ähnlichkeiten Galerien Allendy und Clert, denen eine erste ausschließlich besonders intensiv und strahlend hervortritt. Warum er die- pretation darin zu finden, dass Klein nach der Krefelder zu ZERO bestanden vor allem auf formal-ästhetischer Ebe- monochrom blau inszenierte Ausstellung in der Mailänder se Farbe wählte? Klein selbst führte ein Erlebnis am Strand Ausstellung eine Pilgerreise zum Schrein der Heiligen Rita ne, wie in der Absage an das traditionelle Tafelbild durch Galleria Apollinaire unter dem Titel Proposte monocrome, von Nizza an: Auf dem Rücken liegend habe er das in- nach Cascia in Italien unternahm, wo er eine Votivgabe aus die monochromen Farbstrukturen und in der Eliminierung epoca blu (Monochrome Vorschläge, Blaue Epoche, 2.– tensive Blau eines südfranzösischen Himmels gesehen, reinen Pigmenten in den Farben der Trias hinterließ. der künstlerischen Handschrift. Aber es gab einen wesent- 12. Januar 1957) vorausgegangen war, hatte der Künstler das er wie ein Gemälde erlebte habe; ein intensives Blau, lichen Unterschied, der eine inhaltlich-philosophische Sei- die Farbe Blau als sein Erkennungszeichen etabliert. Mit zugleich von immaterieller und von unendlicher Weite und Wembers Deutung sorgte in Krefeld für einen aufsehen- te betrifft und, wie Ingrid Pfeiffer treffend bemerkt, dieser Farbe wollte er seinen Namen verbunden wissen, Tiefe. Sein „erstes und größtes Monochrom“.24 erregenden Kunstskandal und trug ihm den Vorwurf der Blasphemie ein. In seiner acht Jahre später veröffentlichten weniger im Erscheinungsbild einzelner Arbeiten als viel- Monografie über Yves Klein führte er diesen Zusammen- mehr in der antimetaphysischen Grundhaltung der ZE- hang noch einmal aus und erweiterte ihn zugunsten einer RO-Künstler [bestand]. Ihr Ziel [das der ZERO-Künstler, vorrangig alchemistischen Farbauffassung. So widmete er d. Verf.] war, kurz gesagt, […] eine Verschmelzung von Farbe im alchemistischen Weltbild: sich im ersten Kapitel dieser Publikation dem Thema „Farb- Kunst, Technik und Wissenschaft, primär rationalistisch, pigmente in Puderform und Alchemie“ und wies darin auf zum Teil auch idealistisch geprägt und weit entfernt von Monochrome und Feuer, Krefeld 1961 die Bedeutung des Goldes für Klein im Zusammenhang mit Kleins messianischem Auftreten und seiner Suche nach dem mystischen Weltbild der Alchemie hin: „Nach Yves einer „Weltharmonie“, der absoluten Gleichsetzung von existiert in jedem Menschen der Stein der Weisen, der ihm „Kunst und Religion“, wie Mack es ausdrückte.31 die ungewöhnliche Macht verleiht, alles, was er anfaßt, zu Nachdem Paul Wember 1959 bei Alfred Schmela eine einen Künstler, für den „die Malerei nicht in erster Linie ein Gold werden zu lassen.“29 Jenseits von ZERO war es jedoch Joseph Beuys, damals blaue monochrome Arbeit von Yves Klein erworben hatte, Problem des Auges ist“.26 ein noch relativ unbekannter Künstler, der Yves Klein auf wurde dieses Werk anlässlich der Einzelausstellung des Yves Kleins Auftritt wirkte nachhaltig auf die Kunstszene einer spirituell-geistigen Ebene durch sein hermetisch- Künstlers im Krefelder Museum Haus Lange 1961 durch In seiner Eröffnungsrede zur Ausstellung ging Wember im des gesamten Rheinlandes. Otto Piene, einer der Wort- esoterisches Weltbild besonders verbunden war.32 die Schenkung eines goldenen Bildes ergänzt. Die Aus- Besonderen auf die Farben und ihre Inszenierung in den stellung von vierundfünfzig Objekten, einem Raum der Räumen ein und stellte sie in einen Zusammenhang mit Leere und einer Feuerwerksinstallation geriet in der Rück- christlicher Symbolik – der religiösen Idee der Trinitas: schau zu einer Retrospektive des Künstlers, der im folgen- den Jahr plötzlich verstarb. Die Farben Blau, Rosa, Gold Blau, Rosa, Gold, die drei Farben der Krefelder Ausstel- waren in dieser Abfolge einzelnen Räumen in Haus Lange lung, sind für ihn [Yves Klein] eine Dreiheit im Sinne theo- zugeteilt. Im Katalog zur Ausstellung stellte Wember Klein logisch-spekulativer Dreifaltigkeit. Gold symbolisiert den als „Begründer der Monochromie, des Immateriellen und Alten Bund, ist das Gesetz und Gottvater. Rosa gründet in der Leere in der gegenwärtigen Kunst, sowie des neuen Golgatha, symbolisiert das Christentum, ist die Liebe und Realismus“ vor.25 Er verwies auf die frühe Fokussierung das Fleisch, deswegen Gottsohn, Blau ist das Immaterielle, des Künstlers auf die Farbe Blau: „In einem Jugendspiel, es ist immer; deswegen nicht im wörtlichen Sinne ein an- in dem jeder Junge erklären muß, von welchem Reich er derer neuer Bund, ein neues religiöses Zeitalter; Blau war König ist, erklärte er, König des blauen Himmels zu sein. Er auch schon im Alten Bund und in der Golgatha-Epoche. nahm dies wörtlicher, als seine Kameraden glaubten. […] Blau ist Gott, Heiliger Geist.27 So glaubte er wirklich mit 18 Jahren, im Himmel sein ers- tes großes Bild zu besitzen.“ Wember beschrieb Klein mit Einen Bezug der Farben der Trias Blau, Rosa, Gold im Zu- seinen Aktivitäten Judo, Jazzmusik, Reisen („nach Japan sammenhang mit der christlichen Ikonografie herzustellen wollte er sich mit einem Pferd aufmachen“), seiner „Be- lag in Wembers Denken nahe. Vor seinem Studium der schäftigung mit der Farblehre, mit der Alchemie, mit dem Kunstgeschichte hatte er katholische Theologie studiert Theater, mit seiner Affinität zu philosophischen Fragen“ als und brachte das theoretische Fundament für die Gedan- 8 9
Joseph Beuys – Farbe als Substanz Den Parallelen in den Werken von Joseph Beuys und Yves an der Theosophie herausgestellt. Aus Beuys’ ersten Jah- […] So sollte das, was der Mensch im Physischen gehabt zur Figur des Hermes Trismegistos lange für eine reale his- Klein ist schon verschiedentlich nachgegangen worden. In ren an der Kunstakademie Düsseldorf bei Ewald Mataré hat, erhalten bleiben“.36 Die Inszenierung von Beuys in ei- torische Gestalt gehalten und galt als Erfinder der Alche- ihrer umfassenden und detailreichen Arbeit Der Künstler rührte seine intensive Auseinandersetzung mit Denkfiguren nem goldfarben gestalteten Raum erinnert an diese Grab- mie und der Magie. Daher die Bezeichnung „hermetische als Magier und Alchemist hat Verena Kuni besonders auf der Geheimlehre Rudolf Steiners, die an Theosophie, Ro- malgestaltungen des alten Ägyptens, in der Pharaonen wie Kunst“ für die Alchemie, die in einer hermetischen Kette die Berührungspunkte zwischen Beuys und Klein hingewie- senkreuzertum und Gnosis anknüpften, aber auch an die der junge Tutanchamun in einem Sarkophag aus purem als Geheimlehre vom Lehrer an die Schüler weitergegeben sen und dabei das gemeinsame Interesse beider Künstler Schriften Goethes zur Farbenlehre.33 Gold mit goldenen Grabbeigaben auf die Jenseitsreise ge- wurde. An eine solche Kette erinnern im Werk von Beuys schickt wurden. Die Farbe Gold steht hier zugleich als ur- aus den beginnenden 1960er Jahren seine Notizzettel altes Symbol für die Macht und die Herrschaft der Könige. oder auch Namenslisten: In einer als Partitur bezeichneten Auflistung „Beuys, 1962. Dieses Lied singen gemeinsam, In Beuys’ Palazzo Regale und auch in Kleins Ci-gît l’Espace moduliert nur durch ihre jeweilige Existenzform“ finden sich steht das Gold aber auch für das Ziel jedes alchemisti- neben Yves Klein Namen von Albrecht Dürer bis Ds[c]hin- Hermetisch inszeniert: Gold schen Weges: eine Veredelung und Läuterung des Men- gis Khan, darunter auch Kleins Künstlerfreund Arman, der schen, einen Prozess, der zu den Prozessen der Transmu- französische Okkultist und Rosenkreuzer Joséphin Péladan tation, der Veredelung von Metallen, in Analogie gesetzt und der als Gralssucher bekannte Joseph von Arimathäa, wird: Diesem analogen Prozess entsprechend ist das Gold aber auch der Naturfilmer Heinz Sielmann, der Krefelder nicht im bloßen materiellen Sinne Endpunkt aller Bestre- Dichter und Freund von Beuys A. R. Lynen oder der Gale- Ein Vergleich zweier Werke, Ci-gît L’Espace (1960) von die wie eine Grabplatte wirkt – darstellt. In der Krefelder Aus- bungen, sondern auch im spirituellen Sinne Ziel einer gra- rist Alfred Schmela neben Leonardo, Bernini, Brâncuși und Yves Klein und Palazzo Regale (1985) von Joseph Beuys, stellung ließ Klein sich mit Ci-gît L’Espace von dem Düssel- duellen Verwandlung zu höherer spiritueller Vollkommen- anderen.37 Beuys spielt hier nicht nur mit der Magie und verweist auf eine ähnliche Auffassung hinsichtlich der Ma- dorfer Charles Wilp in einer anderen Konstellation, diesmal heit, für die der Tod Voraussetzung ist. Joseph Beuys und Assoziationskraft von Namen, er bildet mit dieser Auflis- terialität und Essenz von Gold. seitlich vor der goldenen Tafel knieend, fotografieren.35 Yves Klein als Anhängern der hermetischen Denkweise tung von Personen aus verschiedenen historischen Epo- des Rosenkreuzertums und der Theosophie sollten diese chen, wissenschaftlichen und künstlerischen Kontexten In der Krefelder Ausstellung Monochrome und Feuer zeig- Als ein Vermächtnis seines künstlerischen Lebens hinter- Zusammenhänge bekannt gewesen sein, da in den Schrif- darüber hinaus auch die hermetische Kette als ein esote- te Yves Klein in dem goldenen Ausstellungsraum die ei- ließ Joseph Beuys fünfundzwanzig Jahre später, einen ten dieser Geheimlogen das alte Ägypten und seine My- risches Gesetz der Kontinuität spiritueller Gemeinschaften nem Grabmal ähnelnde Skulptur Ci-gît L’Espace (Hier ruht Monat vor seinem Tod, die Arbeit Palazzo Regale (Königs- then als Ursprung der hermetischen Philosophie beschrie- nach, das besagt, dass der Handelnde sich bewusst in der Raum), bestehend aus einer auf dem Boden liegenden palast), eine Installation, die ebenso wie die von Yves Klein ben werden. den lebendigen Fluss von Vergangenheit, Gegenwart und monochrom goldenen Tafel mit Abdrücken von Blättern, in einem goldfarbenen Raum installiert ist. In einer anthro- Zukunft hineinstellen muss, in einen Zeitenstrom, in dem einem Strauß künstlicher weißer Rosen und einem blauen pomorphen Anordnung finden sich in einer der beiden in Thot, der ibisköpfige Mondgott der alten Ägypter, wurde in das Künftige ebenso auf Vergangenem beruht, wie Ver- Schwamm in Kranzform. Sie wurde von dem Fotografen Har- goldglänzendem Messing eingefassten Vitrinen ein Eisen- seiner Verschmelzung mit dem griechischen Gott Hermes gangenes Künftiges erdulden lernen muss.38 ry Shunk in einer Foto-Session mit Yves Klein dokumentiert: kopf, ein Luchsmantel, zwei Orchesterbecken aus goldfar- benem Messing und eine Muschel niedergelegt. Bei dem Eine der Aufnahmen zeigt Klein, wie er neben der aufge- Kopf handelt es sich um einen Abguss des Kopfes aus der richteten Tafel steht und Rosen darauf anbringt. Auf einer Installation Straßenbahnhaltestelle (1976), bei dem blau anderen liegt die Tafel flach auf dem Boden und Blattgold gefütterten Luchsmantel und den beiden an das Vitrinen- fällt auf sie hinab. Auf der dritten Photographie ist Klein zu glas gelehnten Orchesterbecken um Relikte aus der Aktion sehen, der unter seiner Arbeit liegt, während Rotraut ei- Iphigenie/Titus Andronicus von 1969. Das letzte Element nen blauen Kranz darauf legt. Im großen Finale schließlich der Vitrine ist ein Tritonshorn, eine rosig schimmernde erscheint Klein alleine, begraben unter der Tafel, nur sein Meeresschnecke. Zusammen mit der zweiten Vitrine, in der Kopf schaut am hinteren Ende hinaus.34 sich ebenfalls Beuys-Insignien und Relikte aus der Aktion Manresa von 1966 befinden, steht sie in einem Raum, der Vor allem das letzte Foto nimmt auf unheimliche Weise den mit sieben monumentalen goldbestäubten Messingtafeln nahen Tod des Künstlers voraus. Es ist aber auch so etwas ausgestattet ist. wie ein Selbstporträt des Künstlers, der sich als „peintre de l’espace“, als Maler des Raums, mit den farblichen Insignien In der alten ägyptischen Kultur bestand der Brauch, den seiner Arbeit – dem blauen Schwamm, den roten oder auch Verstorbenen ins Grab „Gerätschaften, Besitztümer als Er- weißen Rosen und unter einer mit Blattgold belegten Tafel, innerung an das verflossene physische Leben [mitzugeben] 10 11
Spirituelle Gemeinschaften: “Demonstration zur Todesstunde von Yves Klein”, 1962 Dass Beuys sich in den frühen 1960er Jahren besonders Das Winkelmaß als ein Hauptsymbol der Freimaurer und die Begehung eines spirituellen Weges gegeben, der über „Demonstration“ aus Anlass des Todes von Yves Klein mitein- intensiv mit Yves Klein auseinandergesetzt hat, zeigt die die Guillotine führen beim analogen Denken, das Ähnlich- verschiedene Verkörperungen des Menschen als stufen- ander in Zusammenhang bringt. Arbeit, die er 1962 dem soeben verstorbenen französi- keiten zwischen den Phänomenen herstellt, zu deren Na- weiser Aufstieg zu höherer geistiger Vollkommenheit zu ver- schen Künstler gewidmet hat – eine geheimnisvolle Zeich- mensgeber Joseph-Ignace Guillotin, einem französischen stehen ist.44 Für diese Prozesse einer graduellen Wandlung Die Zeichnung ist auf einfachem, unregelmäßig braun nung voller verschlüsselter Symbolik mit dem Titel De- Arzt und Politiker sowie Logenmeister der Freimaurerloge zu höherer spiritueller Vollkommenheit stehen im alchemis- gefärbtem Papier ausgeführt. Am oberen Bildrand links monstration zur Todesstunde von Yves Klein.39 Aus den La Concorde Fraternelle. Zur Zeit der Französischen Revo- tischen Denken Farben zur Verfügung, wie sie auch in der erscheint ein Hexagramm, Symbol der Freimaurer und schnell skizzierten skripturalen Chiffren, die in Bleistift und lution41 plädierte Guillotin für die Einführung der mechani- Beuys-Zeichnung zu finden sind: Schwarz als Farbe des To- vielfach als Logenzeichen verwendet. In der Alchemie Kohle auf knittrigem bräunlichem Makulaturpapier ausge- schen Fallschwertmaschine, die qualvolle und entehrende des, im Kontrast dazu die weiße Ölfarbe in Form eines Recht- symbolisiert es das Chaos, das aus der Vereinigung von führt sind, sowie den Stellen in deckender weißer Ölfarbe Hinrichtungsarten ablösen sollte. Das Motiv der Enthaup- ecks, dessen Konturen sich zur linken Bildhälfte hin auflösen, Feuer und Wasser entsteht. Bleibt man im analogen Den- lässt sich auf den ersten Blick kein sinnstiftender Inhalt he- tung findet sich um 1960 mehrfach im Werk von Beuys, so um sich in wolkenähnlichen Gebilden zum linken Bildrand hin ken, so lässt sich in den Farbübergängen des vom Brau- rauslesen. Folgt man jedoch einer Betrachtungsweise, die in den Aquarellen Enthaupteter König (1959) und in der zu bewegen. Nach Rudolf Steiner stellt Weiß als Analogie zum nen ins Hellbraune und Ockerfarbene changierenden analoges Denken und die geheimnisvollen Chiffrierungen Zeichnung Hogan (abgeschlagener Königskopf) (1960). Licht das seelische Bild des Geistes dar.45 Im alchemistischen Bildträgers ein Indikator für etwas Prozesshaftes, eine der Hermetik berücksichtigt, so bilden die Zeichen und Auch der von Beuys verehrte Revolutionär Anacharsis Weltbild bezeichnet die Phase der „Weißung“ (Albedo) aber Bewegung oder auch die Verflüchtigung im Ocker erken- Farben dieses Blattes Anhaltspunkte, die mit dem Thema Cloots (geb. 1755 in Gnadenthal bei Kleve) wurde wegen auch das „Kleine Werk“, die völlige Trennung der Elemente nen. Dies ist mit dem Eindruck einer Aufwärtsbewegung des Todes, genauer der „Todesstunde“, von Yves Klein in seiner radikalen politischen und religiösen Schriften in der im Zustand der Auflösung.46 Noch eine weitere Farbe kommt verbunden, wie Beuys sie in einer anderen Zeichnung aus Verbindung gebracht werden können. Dominierend ist eine Revolutionszeit 1794 in Paris Opfer der Guillotine.42 Beuys, ins Spiel, wenn auch nur als geschriebenes Wort: die Farbe dieser Zeit, Aufsteigendes Färbebild (1958),47 realisiert geometrische Dreiecksfigur in der Mitte des Blattes, die der sich zeitweilig „JosephAnacharsis Clootsbeuys“ nann- Rot, im Schriftzug neben dem Namen Yves Klein zu lesen. hat, wo die braune Wasserfarbe sich stufenweise zum Assoziationen eines Winkelmaßes, aber auch des Fallbeils te, verehrte ihn als Verteidiger der Menschenrechte und der Rot wird im alchemistischen Weltbild als Zustand höchster oberen Bildrand erhellt. Auf- und Abwärtsbewegungen einer (wenn auch spiegelbildlich dargestellten) Guillotine universellen Freiheit des Menschen und setzte ihm in seiner Vollkommenheit dem Opus Magnum gleichgesetzt. Dass die können im analogen Denken als Spiritualisierung und Ma- hervorruft.40 Sie findet sich wiederholt dargestellt, kleiner schon erwähnten Installation Straßenbahnhaltestelle auf der Farbe in dieser Zeichnung nur benannt, jedoch nicht materiell terialisierung gedeutet werden: die Aufwärtsbewegung und vollständig mit schwarzer Kohle und einem schwar- Biennale Venedig 1976 ein Denkmal in Form eines Kopfes, verwendet wird, ist möglicherweise ein Hinweis auf einen zum als eine Spiritualisierung und damit Loslösung von der zen Punkt ausgemalt neben dem Schriftzug „Yves Klein“ der sein schmerzvolles Bildnis darstellen sollte. Es ist der Zeitpunkt der Todesstunde von Yves Klein noch nicht erreich- materiellen Welt zugunsten eines geistigen Zustands; die auf der linken Bildseite oder rasch skizziert auf der rechten Abguss dieses Kopfes, den Beuys in Palazzo Regale integ- ten Zustand. Zusätzlich ist durch den geschriebenen Namen Abwärtsbewegung, wie sie in Demonstration zur Todes- Bildseite in horizontaler Ausrichtung, das weiße Rechteck rierte. Auch Yves Kleins Kopf wirkt auf dem beschriebenen Yves Kleins immer auch „sein“ Blau anwesend – als Assoziati- stunde von Yves Klein in dem nach unten gerichteten Pfeil berührend und wie aus dem männlichen Profil mit spitz- Foto von Harry Shunk wie abgetrennt. In Beuys’ Palazzo on und Hintergrundfolie des Bildgeschehens. Anwesend sind angezeigt wird, als ein Prozess der Materialisierung – ein winkliger Nase herausgefallen. In der Geheimschrift der Regale ist der Verweis auf den abgetrennten Kopf evident.43 auf diese Weise mit Rot, Weiß und Blau auch die Farben der dem Tod zugeordneter Vorgang. Freimaurer weist die spitzwinklige Form mit einem Punkt Trikolore und damit das innerbildliche Geschehen um die Er- auf ein Y hin, den Buchstaben, der sowohl in dem Namen Auf der Gedankenebene der Freimaurerei, des Rosenkreu- eignisse der Französischen Revolution: für den in Analogien „Yves“ als auch in dem Namen „Beuys“ vorkommt. zertums und der Theosophie ist mit der Enthauptung, also denkenden Künstler Beuys ein Kreis, der sich schließt, oder dem Tod durch Abtrennen des Kopfes, die Voraussetzung für eine Kette von Personen und Ereignissen, die er in dieser 12 13
Braunfarbe Gerade auf der Ebene des Gebrauchs der Farbe lässt sich als das Collageelement als eine Öffnung zu deuten ist, die fahrung machen: Das Zusammenpressen des Materials be- An anderer Stelle spricht Beuys im Hinblick auf die Braun- seit den monochromen Auftritten Yves Kleins in der Galerie einen Blick auf das sonst Abgedeckte erlaubt. Eine derart nötigt Kraft, die im Zusammengepressten eine Gegenkraft farbe von dem Versuch, einen Impetus oder eine Initiative Schmela 1957 und im Krefelder Haus Lange 1961 der Ein- deckende Anwendung der Ölfarbe, wie sie uns in diesen bewirkt, Energie, und diese speichert.“53 Zu der Vorstellung, zu setzen auf eine andere Auseinandersetzung mit der Far- fluss Kleins auf Beuys erkennen: Seit Ende der 1950er Jah- beiden Arbeiten begegnet, ist für viele der in Öl ausgeführ- dass die durch die umfassenden Kräfte der Schnur erzeug- be als wie gemeinhin verstanden wird in den Farbenleh- re taucht im Werk von Beuys eine deckende braune Farbe ten Arbeiten von Beuys charakteristisch. ten Gegenkräfte des zusammengepressten Materials wie ren usw., die man kennt, oder Farbe als kompositorisches auf, die er selbst als Fußbodenfarbe oder Braunkreuzfarbe bei einer Batterie als Energie gespeichert werden, trägt die Element oder als Auseinandersetzung zwischen warm und bezeichnete. Vergleichbar den Materialien Fett und Filz ist In einigen von Beuys mit dem Titel Braunkreuz versehenen braunfarbene Übermalung bei, die wie auf dem Bündel zu kalt oder laut und leise. So könnte es durchaus sein, daß diese Farbe zu einer Art Erkennungszeichen seiner Künst- Zeichnungen hat sich die braune Ölfarbe zu einer Fläche aus- lasten und dessen Energie zu bewahren scheint. Das opa- viele Leute, die also von solchen Harmoniebegriffen aus- lerpersönlichkeit geworden.48 gebreitet, die fast das gesamte Blatt bedeckt. In Braunkreuz ke Braun macht auf visueller Ebene den konkreten physika- gehen, wie sie in der Malerei vorhanden sind, vielleicht sa- mit Transmission (1961) befindet sich in der Aussparung lischen Vorgang, den die Verschnürung bedingt, erfahrbar. gen würden, das ist überhaupt nicht malerisch.55 Anfang der 1960er Jahre lässt sich insbesondere anhand oben rechts eine in Bleistift gezeichnete „Transmissions- In anderer Hinsicht wirkt es wie eine Art Versiegelung: Das der Frauendarstellungen von Beuys ein Wandel im Ge- Maschinerie“, gemäß Beuys eine Vorrichtung zur Kraft- und Bündel kann als gespeicherte, potenziell wirkende Energie Wie eine bildhafte Umsetzung dieser Gedanken erscheint brauch der Farbe konstatieren. Auf das Jahr 1961 ist seine Energieübertragung. Dieses Motiv weist auf die Bedeutung weggestellt und aufbewahrt werden. die Arbeit Farben und plastische Substanz (1962). Braune Actrice datiert.49 Die Figur ist mit rotbrauner Fußbodenfar- der Braunfarbe im Sinne einer Wärmehülle oder eines Ener- Fußbodenfarbe bedeckt beinahe die Hälfte einer Tabelle, be gemalt und scheint einer anderen Intention zu folgen giespeichers hin, die in seinen plastischen Arbeiten der Beuys betont, dass es sich bei der braunen Fußbodenfar- die Muster von Malfarben mit den dazugehörigen Farb- als die Frauendarstellungen der frühen 1950er Jahre, die 1960er Jahre durch das Material Filz repräsentiert werden. be nicht nur um eine Farbe, sondern vor allem um eine nummern zeigt. Schon durch die fast halbseitige Bede- in Blut und den damit assoziierbaren Farbsubstanzen Für den Künstler handelt es sich bei der zu speichernden plastische Substanz handele: ckung des Bildträgers mit Braunfarbe wird auf Polarität und Jod und Eisenchlorid oder auch mithilfe von oxidierenden Energie oder Wärme nicht um „physische Wärme“: „Ich Gegensatz verwiesen. Es ist der Gegensatz, der zwischen Farbmitteln wie Beize ausgeführt wurden. Scheinen diese habe eigentlich eine ganz andere Wärme gemeint, nämlich Ich wähle also […] Braun, um eine plastische Substanz der braunen Ölfarbe in ihrer Eigenschaft und Funktion als Farben aufgrund des transparent und flüssig gehaltenen geistige Wärme oder evolutionäre Wärme oder einen Evo- vorzuführen, um damit etwas auszudrücken, was sich auf überlagernde und deckende Farbmasse, als plastische Auftrags die Körper der Frauen in einer kreislaufähnlichen lutionsbeginn […] Also: Wärme als evolutionäres Prinzip.“51 alle Formen von Substantialität bezieht, das versuche ich Substanz also, einerseits und den „malerischen Farben“, Dynamik zu durchströmen, so ist die Wirkung der in rot- Entwickeln kann sich etwas Neues vor allem, wenn es vor eben in diesem überlagerten Rot auszudrücken. Ich will also den Buntwerten der Farben, andererseits besteht. brauner Ölfarbe dargestellten Actrice-Figur eine grund- Einflüssen aus der Außenwelt geschützt wird. Dies ist eine hier nur die Brücke schlagen zwischen einer Diskussion sätzlich andere. Der Duktus, der glatt und ohne Modulation Funktion des isolierenden Materials Filz, aber auch der der Farbe und dem Problem der Substantialität.54 ist, sowie „die materielle Dichte der trocken angesetzten braunen Fußbodenfarbe. Sie deckt ab, schützt und isoliert, Ölfarbe“50 und ihre Opazität verweigern jede Vorstellung damit sich ungehindert Kräfte entfalten und zu gegebener von einem Körperinnern. Es fehlt hier auch das selbststän- Zeit „übertragen“, „gesendet“, wirksam werden können. Die dige Körpergerüst aus Bleistiftlinien, das von den flüssig Entstehungsgeschichte der Braunkreuz-Arbeiten geht zu- „Le Vide” und „Braunraum“ gehaltenen Farbsubstanzen wie ein Gefäß ausgefüllt wird. rück auf kreuzförmig verschnürte Bündel von alten Zeitun- Die dicht und flächig aufgetragene Farbe lässt vielmehr gen, die Beuys mit Braunfarbe abdeckte. So ergaben sich den Eindruck entstehen, als verberge sich hinter dieser Braunkreuze auf Zeitungsbündeln. Beuys spricht in Bezug mächtigen, übergroßen Silhouette die eigentliche Figur. auf diese Objekte von „Batterien“, in denen sozusagen die Die Rauminstallation Le Vide im Werk Yves Kleins verkör- Im Vergleich und äußersten Gegensatz zu dem weißen geistige Arbeit und Energie unserer Zeit gespeichert sei: perte den Verzicht auf jegliche Farbe – eine extreme Re- Raum der Leere, wie Yves Klein ihn als eine Rauminstallati- In einer Arbeit aus demselben Zeitraum, Zukünftige Frau „Eine kompakte Batterie von Ideen. Wenn dieses Zeitungs- duktion, für Klein die Voraussetzung für höchste malerische on in situ in Paris (Galerie Iris Clert) und in Krefeld (Museum des Sohnes II (1961), die zwar in grauer Ölfarbe ausge- bündel alles wäre, was von unserem Jahrhundert bliebe, Sensibilität. Sie lässt an die fernöstliche Philosophie von der Haus Lange) realisiert hat, begegnet im Werk von Joseph führt ist, aber hinsichtlich des dichten und deckenden würde es immer noch mehr Informationen über unsere Zi- Fülle der Leere als eine wichtige Kategorie im ZEN-Bud- Beuys 1964 der Begriff „Braunraum“. Er taucht in seinem Farbauftrags Stilmerkmale der davor entstandenen Actri- vilisation und unsere Gesellschaft vermitteln, als uns aus dhismus denken. Yves Klein, der Anfang der 1950er Jahre selbst verfassten Lebenslauf/Werklauf auf und bezeichnet ce zeigt, erscheint im Beckenbereich der Frau ein kleines vielen früheren Jahrhunderten überliefert ist.“52 ein Jahr in Japan gelebt hatte und sich in der asiatischen in diesem Zusammenhang verschiedene Fluxus-Aktionen chamoisfarbenes Stück Papier, auf welchem in Bleistift Kampfsportart des Judo hatte ausbilden lassen, waren die- und Happenings sowie seine sogenannte „Vehicle Art“, die Seitenansicht eines Frauentorsos wiedergegeben ist. Wie Martin Kunz feststellt, wird der Batteriecharakter auch se Gedankengebäude vertraut. Sie begegnen in den traditi- aber auch Werke, die er als Beuys Filzbilder und Fettecken Dieses aufgeklebte helle Papier kontrastiert mit dem dun- aufgrund konkreter physikalischer Gegebenheiten spürbar: onellen japanischen Teezeremonien ebenso wie in den asi- und Beuys Hirschjagd (hinten) bezeichnet hat. Zeichen aus kelfarbenen Grund. Was in der Actrice Vermutung bleibt – „Das Zeitungsbündel zeigt sich als zusammengepresster atischen Kampfsportarten, die auf der ZEN-Philosophie des dem Braunraum ist auch der Titel des großen Konvoluts sei- dass die Ölfarbe etwas der Wahrnehmung entzieht –, wird Körper, der durch die Braunschicht in Kreuzform gefasst leeren Geistes und einer meditativen Haltung aufbauen. ner Multiples zur Verbreitung seiner Idee von einem erwei- in Zukünftige Frau des Sohnes II zur Gewissheit insofern, wird. Ohne Beuys’ Theorie zu kennen, läßt sich folgende Er- terten Gestaltungs- und Kunstbegriff. 14 15
Gegenbild und Transsubstantiation Beuys-Braun und Yves-Klein-Blau Ihre spezielle Bedeutung gewinnt die Braunfarbe bei Beuys sondern vom Geist. Eigentlich in derselben Weise wie die Mit dem Gebrauch der Braunfarbe, die „das äußerste Ma- Yves Kleins Konzept der Monochromie, auf die Beuys – aus dem jeweiligen Kontext, in dem sie erscheint, das heißt Transsubstantiation, Wandlung einer Hostie im alten Kir- terielle meint“,61 ist eine therapeutische Wirkung verbun- so die These dieser Ausführungen – seine Antwort gege- aus den Motiven, die sie „unüberstrichen“ stehen lässt. So chenbrauch. Da wird formuliert: Dies ist nur scheinbar, äu- den, die beim Betrachter Empfindungen auslösen und ihn ben hat. Joseph Beuys setzt dem Yves-Klein-Blau, das für kann sie für Materie, Erde, für Wärmehülle und Isolierung ßerlich Brot, aber in Wirklichkeit ist es Christus, das heißt gemäß der homöopathischen Leitidee „similia similibus cu- immaterielle Erscheinungen, den Himmel, das Meer, das stehen, aber auch für Blut. Über diese inhaltlichen Aspekte also Transsubstantiation von Materie. Solche Dinge spielen rantur“ provozieren soll, das Gesehene in sein Gegenbild Licht des Südens steht, Raum und Weite vermittelt, die hinaus sind mit der Braunfarbe, wie mit den grauen Mate- auch beim Filz und Fett eine Rolle.58 zu transformieren. Auf diese Weise werden in Arbeiten, wo braune Ölfarbe entgegen. Sie ist von ihrer Konsistenz her rialien Fett und Filz, bei Beuys Intentionen verknüpft, die braune Ölfarbe flächig und deckend aufgetragen ist, eine reine Abdeckfarbe und wird im alltäglichen Umgang beim Betrachter ein Gegenbild hervorrufen sollen. Analog Bei C. G. Jung findet sich der für diesen Kontext aufschluss Transformationsprozesse nicht im Bild selbst realisiert, wie als Rostschutzmittel benutzt. Ihr optischer Eindruck verbin- dem homöopathischen Verfahren „similia similibus cu- reiche Gedanke vom alchemistischen Charakter der Trans- es durch Wasserfarbe, Blut, Eisenchlorid, Jod und Gold- det sich mit Erde, Schwere, Dunkelheit, aber auch mit Blut. rantur“ will Beuys durch Wiederholung des Gleichen, mit substantiation: bronze geschieht. Das Transformationsereignis vollzieht „wirklich kladdriger brauner Fußbodenfarbe“56 sich erst in einem Gegenbild, das heißt in einer Leistung Beuys’ Braun und Yves Kleins Blau bilden ein Gegen- Indem der Priester durch das Aussprechen der Konsekra- des Betrachters: Dieser ist in die Transformation einbe- satzpaar: Nach dem hermetisch-alchemistischen Welt- eine lichte Welt, eine klare lichte, unter Umständen eine tionsworte die Wandlung herbeiführt, erlöst er die Kreatur zogen. „Dies einerseits, das Gleiche mit dem Gleichen bild verbirgt sich darin die geheime Kraft polarer Unter- übersinnliche geistige Welt […] provozieren, durch eine des Brotes und des Weines von ihrer elementarischen Un- heilen, und andererseits der Gegenbildungsprozeß, die schiedlichkeit, die nach Ergänzung und Zusammenfügung Sache, die ganz anders aussieht, eben durch ein Gegen- vollkommenheit. Dieser Gedanke ist durchaus unchristlich, Erzeugung der Anti-Welt, der Versuch mit dem Gegenbild strebt. Dieses polare, auf Zusammenfügung ausgerichtete bild. Denn Nachbilder oder Gegenbilder kann man nur er- aber er ist alchemistisch. Während der katholische Stand- die Umklammerung durchs Erstarrte zu lösen, Bewegung, Denken durchzieht das Gesamtwerk von Joseph Beuys. zeugen, indem man nicht das tut, was als Gegenbild da punkt die wirkende Gegenwart Christi betont, interessiert Evolution zu erzeugen.“62 Diese Konzeption liegt auch den Es bestimmt sein bildnerisches Werk ebenso wie seine ist – immer in einem Gegenbildprozeß.57 sich der Alchemist für das Schicksal und die offenkundige Arbeiten mit Fett und Filz zugrunde. Ebenso wie die Fußbo- Auseinandersetzungen mit der zeitgenössischen Kunst. In Erlösung der Substanzen […] Nicht der Mensch ist ihm in denfarbe sollen auch die grauen und als hässlich empfun- diesen Zusammenhang gehören die Auseinandersetzun- Beuys’ Materialien sind in diesem Sinne nicht wörtlich, von erster Linie erlösungsbedürftig, sondern die im Stoff verlo- denen Materialien Fett und Filz durch ihre ausdrückliche gen mit Marcel Duchamp, Nam June Paik oder auch Andy der äußeren Erscheinung her zu verstehen: „[D]er reale rene und schlafende Gottheit […]. Also nicht Christus geht Thematisierung ihr Gegenbild provozieren. Dieser Schritt Warhol, die Beuys im Laufe seines Schaffens explizit, wenn und realistisch eingesetzte Stoff ist für Beuys nur schein- aus dieser Wandlung hervor, sondern ein unfaßliches Stoff- über das Innerbildlich-Anschauliche hinaus ist grundle- auch auf unterschiedliche Weise, zu seinen Gegenspielern bar real, ganz im philosophischen Sinne: Phänomen für ein wesen, genannt „Stein“, das aber die paradoxesten Eigen- gend für einen Neuansatz im Werk von Joseph Beuys, der wählte. Dem Werk des französischen Künstlers Yves Klein, Wesenhaftes, das hinter den Erscheinungen liegt“ und das schaften aufweist, neben dem Besitz von „corpus“, „ani- seit Ende der 1950er Jahre in der Verwendung der Braun- das Beuys zu einem Zeitpunkt kennenlernte, da er sich durch eine Art Gegenbildprozess hervorgerufen werden ma“, „spiritus“ und übernatürlichen Kräften obendrein.59 farbe in seinen Zeichnungen und der Verwendung von Fett selbst in einem künstlerischen Umbruch befand, kam da- soll. Auch von Transsubstantiation der Materie ist in die- und Filz auszumachen ist und zeitlich zusammenfällt mit bei jedoch eine frühe und entscheidende Rolle zu. sem Zusammenhang die Rede, womit ebenso die Forde- Wenn Beuys die alchemistische Idee von der Geistigkeit rung nach Überführung des Stoffes in sein Wesen, der Ma- der Materie, die sich im Prozessualen, in der Verwandlung terie in Geist erhoben ist. So erklärt Beuys im Hinblick auf zu erkennen gibt, in einen Zusammenhang mit dem christ- das Multiple Zwei Fräulein mit leuchtendem Brot (1966): lichen Begriff der Transsubstantiation bringt, so wird die- se Analogie möglicherweise erst vor dem Hintergrund der […] warum leuchtet das Brot? Ja, das ist […] ein direkter Ausführungen C. G. Jungs nachvollziehbar. Denn in der Hinweis auf die Geistigkeit von Materie. Das Brot, also eine katholischen Lehre bedeutet Transsubstantiation genau Substanz, die die elementarste Substanz für die menschli- genommen die Wandlung von einem materiellen Zustand che Ernährung darstellt, hat in dem Wort vom leuchtenden in einen anderen, nämlich die Wandlung von Brot und Wein Brot die Bedeutung, daß es seinen Ursprung im Geistigen in den Leib Christi. Es geht um die Realpräsenz des Leibes hat, also daß der Mensch sich nicht vom Brot allein ernährt, und Blutes Christi und nicht um den Geist in der Materie.60 16 17
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