Lockerung in Europa - das Virus bleibt in der Welt - Deutscher ...
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INFORMATIONEN ZUR WIRTSCHAFTSLAGE Ausgabe 2/2020 Lockerung in Europa – das Virus bleibt in der Welt In Europa gehen die Neuinfektionszahlen zurück. Die Eindäm- Berlin, 16. Juni 2020 mung der Corona-Pandemie scheint hier gelungen. Doch in anderen Regionen der Welt, nun vor allem in Südamerika und in Indien, wütet das Virus weiter ungebremst. Die Bedrohung bleibt einstweilen in der Welt. Autor: Das Wiederanfahren der stark verwobenen Weltwirtschaft wird Dr. Holger Schulz schwierig. Der Güterverkehr sollte dabei Vorrang vor dem Perso- nenverkehr haben. Und es gilt, neu aufflammenden Protektionis- Holger.Schulz@dsgv.de mus im Zaum zu halten. In Europa muss der Binnenmarkt seinem Namen wieder Ehre machen. Weiterhin hat die Corona-Rezession gleichzeitig Charakteristiken eines Nachfrage- und eines Angebotsschocks. Der Nachfrage- mangel gewinnt dabei zunehmend an Bedeutung. Die prognosti- zierten Einbrüche beim BIP in Europa und auch in Deutschland werden immer größer. Vor diesem Hintergrund hat der Koalitions- ausschuss ein umfangreiches Konjunkturpaket für Deutschland auf den Weg gebracht. Die temporäre Mehrwertsteuersenkung zielt dabei vor allem auf einen Nachfrageimpuls als Initialzündung einer Erholung. Viele der anderen Maßnahmen haben auch eine strukturelle Komponente und sollen Innovation, Ökologie und einen Abbau des Rückstands bei der Digitalisierung adressieren. Die Geldpolitik begleitet die fiskalpolitischen Initiativen vieler Länder und auch der europäischen Ebene mit einer Ausweitung ihrer Anleihekäufe. Das Geldmengenwachstum hat sich zuletzt noch einmal deutlich beschleunigt.
Lockerung in Europa – das Virus bleibt in der Welt Eindämmung in Europa einstweilig gelungen Tägliche Corona-Neuinfektionen im internationalen Vergleich seit Die Fallzahlen der Infektionen mit Covid-19 haben sich in Deutschland Jahresbeginn bis heute und in den meisten anderen europäischen Ländern günstig entwickelt. Nach dem exponentiellen Wachstum im März und dem Höhepunkt der 8k Zahl von Neuinfektionen und akuten Fällen im April, ist im Mai eine einstweilige Eindämmung gelungen. Dies ermöglichte die stufenweisen 4k Lockerungen. Es zeigt sich aber, dass das Wiederanfahren einer moder- nen, hochkomplexen und stark arbeitsteiligen Volkswirtschaft alles 0 andere als einfach wird. Deutschland Die einzelnen Produkte, Liefer- und Konsumwege, Sektoren, Regionen 7k und Länder sind stark miteinander verwoben. Weil nicht alles im Gleich- schritt wieder ineinandergreift, bleibt das Gesamtsystem gehemmt. 3,5k Für Deutschland als besonders stark in die Weltwirtschaft integriertes Land wird zum hartnäckigen Problem, dass in vielen Regionen der Welt 0 die epidemische Entwicklung weit ungünstiger als in Europa aussieht. Italien Die USA stehen an der Spitze der Infektions- und Todeszahlen. Bis Ende Mai gab es dort nur Anzeichen für ein allmähliches Abebben der Welle, 40k aber noch keinen Durchbruch zu einer grundlegenden Besserung. Noch immer sind in den Staaten tägliche Neuinfektionszahlen um die Marke 20k von 20.000 zu verzeichnen. Infektionsschwerpunkte in den Schwellenländern 0 USA In großen Schwellenländern wie Indien und Brasilien ist der Trend noch alarmierender. Die Fallzahlen sind dort zwar absolut noch nicht so hoch 13k wie in den USA. Doch folgt der dortige Verlauf noch einem exponentiel- len Wachstum. Südamerika wird zu einem Hotspot der Pandemie. In 6,5k Russland sieht der Trend ebenfalls wenig ermutigend aus, wobei von dort eine auffällig geringe Todesrate gemeldet wird. 0 All diese Entwicklungen im globalen Umfeld zeigen an, dass uns die Russland Bedrohung erhalten bleibt, zumindest bis ein Impfstoff gefunden sein 35k sollte und für breite Bevölkerungskreise zur Verfügung steht. Regeln und vorbereitete Notfallmaßnahmen 17,5k Hygienemaßnahmen und Wachsamkeit bleiben erforderlich. Weitere Öffnung wird nur bei Beachtung zahlreicher Regeln möglich sein. Das in 0 Deutschland installierte Warnsystem, das automatisiert regional ver- Brasilien schärfte Regeln auf Landkreisebene fordert, sobald 50 kumulierte Neu- 13k infektionsfälle pro 100.000 Einwohner in einer Woche auftreten, sorgt für Versachlichung und Schnelligkeit der notwendigen Reaktion. Der- 6,5k zeit liegen fast alle Landkreise deutlich unter der Alarmschwelle, zumeist sogar mit gutem Sicherheitsabstand. Aus vielen Regionen wur- den in den letzten Wochen sogar null neue Fälle gemeldet. Und doch 0 zeigt die unentbehrlich bleibende Regel an, unter welchem Damokles- Indien schwert wir weiterhin agieren. Quelle: Johns Hopkins University, Inwieweit unter den bis auf weiteres notwendigen Maßnahmen echte Stand: 15.06.2020 Konsumfreude aufkommen kann und wird, ist ebenfalls noch schwer abzuschätzen. Mit Mundschutz und Abstandsregeln bereiten manche Aktivitäten wenig Spaß. Manches bleibt schlicht unrealisierbar. 2
Internationaler Austausch – Vorrang für den Güterverkehr Entwicklung der deutschen Exporte und Importe im Zeitablauf Der internationale Austausch wird noch eine ganze Weile eingeschränkt bleiben. Das gilt für den Personenverkehr wie für den Warenverkehr. Veränderung zum Vorjahr in % Bei ersterem ist es – gerade auch aus epidemischer Sicht – gut und 15 plausibel, wenn es zunächst bei einer begrenzten Aktivität bleibt. Per- 5 sonen-Flugverkehr mit Abstandsregeln in der Kabine ist bei wirtschaft- -5 lichem Betrieb kaum möglich; oder umgekehrt: wirtschaftlicher Betrieb -15 ist bei eingehaltenem Abstand nicht realisierbar. -25 Im Zweifel bleibt Vorsicht angebracht. Rückkehrer aus dem Sommerur- -35 laub dürfen nach Ausschwärmen der Deutschen in die an vielen Orten Jan. Mrz. Mai. Jul. Sep. Nov. Jan. Mrz. gefährlich bleibende Welt nicht zum Keim einer zweiten Infektionswelle 19 19 19 19 19 19 20 20 im Lande werden. Beim Warenverkehr ist das anders. Hier ist auf allen Ebenen und bei Exporte allen Verkehrswegen auf Belebung zu hoffen. Bestehende Einschrän- Importe kungen und Hindernisse sollten beseitigt werden. Grenzkontrollen und Abschottungen sind mehr als Sand im Getriebe. Sie halten die interna- Quelle: Statistisches Bundesamt tional verwobenen Wertschöpfungsketten im schlimmsten Fall kom- plett an. In Europa muss der „Binnenmarkt“ seinem Namen wieder Ehre machen. Zumindest eine graduelle De-Globalisierung ist nach dem Überstehen „Binnenmarkt“ muss seinem Namen der aktuellen Corona-Krise ohnehin zu erwarten. Die Aufrechterhaltung wieder Ehre machen nationaler Reservekapazitäten – bei künftig wohl deutlich breiter defi- nierten strategischen Gütern, einschließlich medizinischer Ausstattun- gen oder Grundstoffen der Pharmazie – ergibt zu einem gewissen Maße Sinn. Prognosen der OECD für Protektionismus droht weiter Weltproduktion und Welthandel Abschottung aus protektionistischen Erwägungen ist dagegen eindeu- 5 tig schädlich. Entsprechende Konflikte waren bereits vor Corona ausge- brochen. Sie drohen wieder aufzuflammen. Anfang des Jahres war bes- 0 tenfalls ein Waffenstillstand im US-chinesischen Handelsstreit erreicht worden. Auch aus politischen Erwägungen (Durchgriff Chinas auf Hong- -5 kong) könnte der Konflikt neu angeheizt werden. Die Abkehr von der -10 multilateralen Welthandelsordnung, die der Welt über Jahrzehnte 2019 2020 2021 große Wohlstandsgewinne beschert hat, war und ist ohnehin bereits in vollem Gange. Weltproduktion Die USA bleiben im Wahljahr und angesichts der Spaltung der Welthandel amerikanischen Gesellschaft, wie sie sich derzeit in den Massen- Quelle: OECD, Prognosen 2020, 2021 protesten zeigt, auch ein politischer Unsicherheitsfaktor. Welche laut „single-hit-scenario“ Eskalation droht? Wie ginge es nach einem knappen Ausgang der Präsidentschaftswahlen im November weiter? Welche vermeintlich populären Maßnahmen versucht Präsident Trump noch im Wahlkampf zu mobilisieren. Und auch im demokratischen Lager gibt es traditionell USA auch als politischer durchaus protektionistische Instinkte. Unsicherheitsfaktor Bei den Handelskonflikten neu ist, dass im Zusammenhang mit den Corona-Erschütterungen nun in vielen Ländern auch des Öfteren von „Export“-Beschränkungen die Rede ist. Zuvor waren die klassischen handelspolitischen Eingriffe, etwa mit Zöllen, fast immer Import- beschränkungen. Vormals ging es um die Kanalisierung der Güter- nachfrage zu privilegierten inländischen Anbietern. Jetzt geht es in Jetzt auch häufiger neuer Qualität auch um Verfügbarkeit von Schlüsselgütern und Exportbeschränkungen Vorprodukten. 3
Komplexe Kombination aus Angebots- und Nachfrageschocks Erstanträge auf Arbeitslosen- unterstützung in den USA, Das führt vor Augen, dass die vom Virus ausgelösten Verwerfungen der pro Woche in Millionen Weltwirtschaft noch immer sowohl eine Angebots- als auch eine Nach- fragekomponente haben. Es treffen gleich mehrere Schocks die Wirt- 8 schaft gleichzeitig. Und diese Schocks kompensieren sich bedauerns- 6 werter Weise nicht gegenseitig. Man kann die Effekte, den Gesamtscha- den minimierend, leider nicht herauskürzen. Vielmehr sind die Ange- 4 bots- und Nachfrageschocks in ihren Strukturen sehr unterschiedlich. Die Problemlagen potenzieren sich eher gegenseitig. Das macht auch 2 die wirtschaftspolitische Bekämpfung so schwierig. 0 Über die kurzfristigen Überbrückungsmaßnahmen bestand in Jan. 20 Mrz. 20 Apr. 20 Deutschland frühzeitig Einigkeit. Wie segensreich etwa die Kurzarbeits- regelungen zum Aufrechterhalten der Einkommensströme und zur Quelle: U.S. Bureau of Labor Sicherung von Beschäftigung wirken, lässt sich im internationalen Statistics Vergleich etwa zwischen Deutschland und den USA besichtigen. In den USA schoss die Arbeitslosigkeit sofort durch die Decke. Der Mai brachte immerhin eine kleine Besserung in einer Gegenbewegung, allerdings Arbeitslosenquote in den USA, in % auf weiterhin stark erhöhtem Niveau der Arbeitslosigkeit. 15,0 Der persistente Angebotsschock besteht in weiterhin vorhandenen Engpässen in den Wertschöpfungsketten und in der Unmöglichkeit 10,0 mancher Güterproduktion. Messen, Großveranstaltungen, Kulturereig- nisse und viele persönliche Dienstleistungen bleiben eingeschränkt. 5,0 Hier gilt es, spezifische Lösungen und Kompensationen zu finden. 0,0 Zuletzt ist aber doch eine stärkere Verlagerung der Engpässe zur Jan 19 Jun 19 Nov 19 Apr 20 Nachfrageseite festzustellen. Das spiegeln etwa die regelmäßigen Unternehmensbefragungen des IW Köln wider. Die Unternehmen Quelle: U.S. Bureau of Labor sorgen sich zuletzt vor allem um Bestellungen und Absatz. Statistics Ablesbar ist dies auch an den Auftragseingängen im Verarbeitenden Gewerbe, die im April 2020 um 25,8 Prozent unter dem März und um Auftragseingänge im deutschen 36,6 Prozent unter dem Vorjahres-April lagen. Es traf sowohl die Verarbeitenden Gewerbe, Bestellungen aus dem Inland stark als auch noch etwas stärker indexiert diejenigen aus dem Ausland. 120 Wo klemmt die Nachfrage? Der Aspekt des Nachfrageschocks trägt in sich mehrere Dimensionen: 100 Wollen, Trauen, Können. 80 Die eine Frage ist, was und wieviel die Konsumenten in der aktuellen Situation überhaupt wollen. Und in wieweit bremst die herrschende 60 Unsicherheit sowohl Konsum als auch Investitionen? Unsicherheit Jan 18 Jul 18 Jan 19 Jul 19 Jan 20 besteht zum einen über die epidemische Situation, aber auch über die weiteren Wirtschaftsaussichten: Wie sicher ist mein Arbeitsplatz? Wie Gesamt tief und wie lang wird die Rezession? Wie wird die Post-Corona-Welt Aus dem Inland wirtschaftlich aussehen? Im Zweifel werden in einer solchen Unsicher- Aus dem Ausland heitssituation Investitionen und die Anschaffung langlebiger Konsum- güter aufgeschoben. Quelle: Statistisches Bundesamt Die dritte der oben genannten Dimensionen des ökonomischen (Sich-leisten-)„Könnens“ zielt auf die finanziellen Spielräume ab. Diese Unsicherheit bremst Konsum und sind in der aktuellen Rezession sehr ungleich verteilt. Bei einer großen Investitionen Zahl von Betroffenen sind Einkommensströme zusammengebrochen. Zu denken ist hier etwa an die vielen selbständigen Existenzen in Kunst, Kultur oder auch im Gastgewerbe. 4
Andererseits ist für weite Bevölkerungskreise der Einkommensstrom weitgehend erhalten geblieben, in der Mehrheit der Fälle sogar unver- ändert. Volle Arbeitslosigkeit ist am deutschen Arbeitsmarkt bisher nur eine Randerscheinung – in starkem Kontrast etwa zur Situation in den Oft schlicht nicht zum Ausgeben USA. Bei der Mehrheit der Haushalte mit unveränderten Einkommen gekommen fehlten in den letzten Wochen und Monaten aber viele Konsum-Mög- lichkeiten. In vielen Fällen werden in diesem Sommer auch der Som- merurlaub und die damit verbundenen Ausgaben ausfallen. Steigende Sparquote… Prognosen der Sparquote Die Sparquote der privaten Haushalte ist bereits im ersten Quartal in Deutschland 2020 gestiegen. Die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung weist in der (Anteil am Einkommen der privaten ersten Berechnung saisonbereinigt 12,4 Prozent aus. In den Jahren bis Haushalte in %) 2019 lag die Quote meist stabil bei rund elf Prozent. Prognosen für das Gesamtjahr 2020 gehen von einem Anstieg auf rund 15 Prozent aus. Institut Datum 2020 2021 Über weite Teile des Jahres 2020 kamen und kommen die deutschen BMWi Mai 20 15,5 10,5 Konsumenten schlichtweg nicht zum Ausgeben. Wir beobachten als ifo Apr 20 15,0 11,0 Sparkassen diese Entwicklung auch als ein Volllaufen vieler Girokonten. IMK Apr 20 11,4 11,0 Gemeinschaftsdiagnose Apr 20 15,0 11,0 …bei sehr stabil bleibenden Lohneinkommen IfW Mrz 20 11,6 - Der Einbruch von Produktion und Volkseinkommen in der akuten Krise liegt inzwischen im ersten Niederschlag in den Daten der Volkswirt- Zusammensetzung des deutschen schaftlichen Gesamtrechnung des ersten Quartals vor. Demnach muss- Volkseinkommens ten die Einbußen des Shut Down praktisch vollständig von den Unter- nehmens- und Vermögenseinkommen getragen werden. Das Arbeit- 700 nehmerentgelt in der Summe ist dagegen bis zum Auftaktquartal 2020 sogar weiter gestiegen, egal ob man die Entwicklung im Vergleich zum 600 Vorjahresquartal oder saisonbereinigt gegenüber dem Schlussquartal 500 2019 betrachtet. 400 Das Auseinanderlaufen der Einkommensarten ist keine neue Entwick- lung seit Corona, sondern war schon länger zu beobachten. Der Trend 300 war in der schwachen Produktivitätsentwicklung und in der „Industrie- rezession“ seit Mitte 2018 bereits angelegt. Beschäftigung und Löhne 200 stiegen 2019 noch weiter, aber bei stagnierender Gesamtwirtschaft 100 eben nicht aus einem größer werdenden Gesamt-Kuchen, sondern zunehmend zu Lasten der Gewinneinkommen. Diese Entwicklung hat 0 2017 Q1 2017 Q2 2017 Q3 2017 Q4 2018 Q1 2018 Q2 2018 Q3 2018 Q4 2019 Q1 2019 Q2 2019 Q3 2019 Q4 2020 Q1 sich jetzt in der Corona-Krise weiter fortgesetzt und verschärft. Für den Schutz unterer Einkommensschichten und für den Erhalt der Kaufkraft in der Rezession ist dieser Trend in der funktionalen Einkom- Volkseinkommen insgesamt mensverteilung im Prinzip gut, solange die Gewinnmargen der Unter- nehmen das ohne Existenzgefährdung noch hergeben. An letzterem Unternehmens- und Vermögenseinkommen muss man leider in der zugespitzten Krise in den am stärksten getroffe- nen Branchen Zweifel haben, wie die zunehmende Zahl von notwendig Arbeitnehmerentgelt werdenden Unternehmensrettungen zeigt. Alle in Mrd. Euro pro Quartal, saisonbereinigt Wie bereits gesagt: Auch unter den Lohnbeziehern gibt es viele Fälle von direkt und stark negativ Betroffenen, bei denen dies anders ist: Quelle: Statistisches Bundesamt Aber im Aggregat der Masseneinkommen (definiert als Summe der Lohn- und Transfereinkommen) ist „Geld“ nicht das Problem. Die all- gemeine Kaufkraft wäre hinreichend vorhanden. Niedrige Einkommen mit hoher Konsumquote relativ stabil Aber es gilt, die Haushalte wieder stärker zum Verbrauch zu tragen – durch Vertrauensbildung und durch preisliche Anreize. Konjunkturpaket im Umfang von 130 Mrd. Euro angekündigt Diese Gedanken spiegeln sich auch in dem vom Koalitionsausschuss verhandelten und angekündigten großen Konjunkturpaket wider. 5
Der Vertrauensbildung und Sicherung von Planbarkeit bei Unter- nehmen und privaten Haushalten soll etwa die Garantie dienen, dass die Sozialversicherungsbeiträge 2020 und 2021 nicht über die Marke von 40 Prozent steigen. Defizite bei den Sozialversicherungen würden durch den Bund ausgeglichen. Ausgewählte Elemente des „Konjunktur- und Krisenbewältigungspaketes“ des Koalitionsausschusses vom 3. Juni 2020 Befristete Senkung des Mehrwertsteuersatzes Vom 1.7.2020 bis zum 31.12.2020 soll der Mehrwertsteuersatz von 19 % auf 16 % sinken Der ermäßigte Satz soll von 7 % auf 5 % gesenkt werden Finanzbedarf: 20 Mrd. Euro Sozialgarantie 2021: Stabilisierung der Sozialversicherungsbeiträge bei maximal 40 % Finanzbedarf: 5,3 Mrd. Euro 2020, Bedarf 2021 kann erst im Rahmen der HH-Aufstellung 2021 ermittelt werden Schrittweise Senkung der EEG- Umlage: Ab 2021 soll die EEG-Umlage über Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt abgesenkt werden Geplante Strompreise: 2021 bei 6,5 ct/kwh und 2022 bei 6,0 ct/kwh Finanzbedarf: 11 Mrd. Euro Erhöhter steuerlicher Verlustrücktrag möglich: Für die Jahre 2020 und 2021 soll der Verlustrücktrag auf maximal 5 Mio. EUR bzw. 10 Mio. EUR (bei Zusammenveranlagung) erweitert werden Es wird ein Mechanismus eingeführt, der den Verlustrücktrag schon in der Steuererklärung 2019 nutzbar macht Finanzwirkung: Verschiebungseffekt 2 Mrd. Euro, davon 1 Mrd. Euro Bund Kurzarbeitergeld: Ab dem 1. Januar 2021 wird eine verlässliche Regelung für den Bezug von Kurzarbeitergelder vorgelegt Zur Stärkung der Kommunen: Der Bund wird dauerhaft weitere 25 % und insgesamt 75 % der Kosten der Unterkunft und Heizung von Bedürftigen im bestehenden System übernehmen Außerdem soll der Bund den Öffentlichen Nahverkehr sowie den Gesundheitssektor der Kommunen stärken Finanzbedarf: 4 Mrd. Euro pro Jahr Kommunales Solidarpaket 2020: Mit diesem Paket werden die aktuellen krisenbedingten Ausfälle der Gewerbesteuereinnahmen durch den Bund hälftig finanziert Bei der Gewerbesteuer wird ein Freibetrag für die existierenden Hinzurechnungstatbestände auf 200.000 Euro erhöht Finanzbedarf: 5,9 Mrd. Euro Bund Das ist sinnvoll und sachgerecht, denn die Defizite der Sozialversich- Deckelung der erungen sind teils den hoheitlich angeordneten Schließungen und Sozialversicherungsbeiträge erhält Hygienemaßnahmen zuzurechnen. Der Haushalt der Bundesagentur ist deren Funktion als automatischer durch die einmalige Sondersituation belastet. Das sollte nicht mit Stabilisator steigenden Beitragssätzen ausgeglichen werden. Nur bei konstanten Sätzen können die Sozialversicherungssysteme ihre Rolle als automatische Stabilisatoren spielen. 6
Die Mehrwertsteuersenkung ist das in dem Papier des Koalitions- ausschusses zuerst genannte, prominenteste und derzeit am stärksten diskutierte Element. Der Finanzbedarf der Senkung des allgemeinen Steuersatzes von 19 auf 16 Prozent und des privilegierten Satzes von 7 auf 5 Prozent für ein halbes Jahr wird allein auf 20 Mrd. Euro veranschlagt. Mehrwertsteuersenkung wirkt in gemischten Kanälen bei teilweiser Weitergabe Stark diskutiert wird die Frage, inwieweit die Steuersenkung in den Endkundenpreisen ankommen wird oder ob sie bei den Anbietern hängen bleibt. In der Praxis wird es wohl auf eine Mischung der Effekte hinauslaufen. Es hängt von der Marktsituation in jeder einzelnen Branche, von der Kostensituation, Krisenbetroffenheit und insbesondere von der Wettbewerbsintensität ab. Man darf hier der Marktwirtschaft eine gewisse Selbstorganisationsfähigkeit zutrauen. Und beide Effekte hätten auf ihre Art auch ihre segensreiche Wirkung. Teilweise Weitergabe der Schon bei der bereits in Kraft gesetzten zeitweisen Steuerreduktion für Mehrwertsteuersenkung die Gastronomie zielt diese auch angebotsorientiert auf eine wahrscheinlich – beide Effekte wirken Stabilisierung der Netto-Umsätze in der vom Shut Down und auch von den noch immer geltenden Auflagen besonders getroffenen Branche ab. Wenn hier zur Stärkung der Unternehmen etwas hängen bliebe, wäre das nicht schlecht. Das ist auch in vielen anderen Branchen die Ausgangslage. In wieder anderen Bereichen ist der erhoffte Effekt ein Mehrkonsum aufgrund eines durchgereichten Preisanreizes. Das funktioniert am ehesten bei langlebigen Konsumgütern, wo es zumindest zu einem Vorzieheffekt kommen kann. Die empirischen Ergebnisse solcher konjunkturpolitisch motivierten Mehrwertsteuersenkungen fallen allerdings ziemlich ernüchternd aus. Ein Blick auf die Erfahrungen in anderen Ländern zeigt: Japan hatte in seiner mehr als eine Dekade dauernden Stagnations- und Deflationser- fahrung seine 2006 eingeführte Sales Tax in mehreren Stufen erhöht. Großbritannien hatte seine VAT in der Finanzkrise zeitweise herabgesetzt. Der tatsächlich erreichte Mehrkonsum durch niedrigere Mehrwertsteuersätze fiel meist bescheiden aus. Am ehesten häufte sich ein zusätzlicher Verbrauch am Ende von zeitweisen Steuersenkungen als Vorzieheffekt vor der Wiedererhöhungs-Klippe. Man könnte fast sagen: Die Wiedererhöhungsankündigung war das wirksamere Instrument als die eigentliche Senkung. Befristung ist entscheidendes Diese Erkenntnis ist im deutschen Konjunkturpaket durchaus weise Element umgesetzt. Die enge zeitliche Begrenzung der Senkungsphase auf das zweite Halbjahr 2020 ist gewollt und richtig. Dadurch lassen sich zum einen die fiskalischen Kosten für eine solche Maßnahme begrenzen. Zum anderen sind die erreichbaren Effekte zielgerichtet gebündelt. Die Wiederanhebungsankündigung zum Ende 2020 ist der eigentlich wirksame Anreiz. Deshalb sind ventilierte Ideen, die Senkungsphase ggf. zu verlängern, auch verfehlt, und eine solche Diskussion ist für die Wirksamkeit der Maßnahme sogar schädlich. Es werden zwar in erster Linie Vorzieheffekte sein, die sich von der Timing eines steuerinduzierten befristeten Mehrwertsteuersenkung erreichen lassen. Doch das kann Kaufanreizes entscheidend bei gutem Timing durchaus sinnvoll und hilfreich sein. „Konjunktur- pakete“ sind definitionsgemäß immer „Strohfeuer“. Aber in extremen 7
Situationen wie der jetzigen sind sie nötig, um überhaupt die Glut zu erhalten. Jetzt geht es darum, die Lähmung und Kaufzurückhaltung zu überwinden. Der Impuls kann im zweiten Halbjahr 2020 durchaus zur Initialzündung einer allgemeinen Erholung und Belebung werden. „Krisenbewältigungs- und Zukunftspaket“ Die meisten der anderen Maßnahmen des Paketes ergänzen den kurzfristigen Impuls um verteilungspolitische Ziele und strukturelle Komponenten. Das Paket wird deshalb auch zurecht breiter bezeichnet. Das sollte man gedanklich von der reinen Konjunkturwirkung trennen. Doch wenn man schon so viel Geld in die Hand nimmt, ist es gut, damit auch qualitative Verbesserungen anzustoßen. Die Stoßrichtung, dabei auf Innnovation, ökologische Ausrichtung und ein Aufholen der Rückstände bei der Digitalisierung zu setzen, ist ebenfalls richtig. Gut ist zudem, dass auf konservierende Förderungen, die diesen Zielen entgegengestanden hätten, verzichtet wurde. Europäischer Wiederaufbaufonds Ähnliche qualitative Stoßrichtungen wie in dem deutschen Paket sind auch in dem diskutierten Europäischen Wiederaufbaufonds angerissen. 500 Mrd. sollen den Vorschlägen gemäß als Zuschüsse fließen, 250 Mrd. über Kredite ergänzt werden. Eine wichtige Komponente in dem Projekt, das noch schwierige politische Hürden nehmen muss, ist die damit einhergehende Umverteilung zwischen den Nationen. Das ist für die Netto-Geberländer ein wichtiges Akzeptanzhindernis. Aber ohne eine solche umleitende Komponente bräuchte man das Projekt gar Krise nicht für nicht auf der europäischen Ebene anzusiedeln. Es ist letztlich im Souveränitätsverschiebungen wohlverstandenen Eigeninteresse der Geberländer, wenn durch eine missbrauchen solche Konstruktion der Binnenmarkt erhalten wird und angeschlagene Absatzmärkte stabilisiert werden. Wichtig ist allerdings, darauf zu achten, dass es um diese Sache und um die Kriseneindämmungswirkung geht und dass nicht dauerhaft Budgets und Souveränität auf europäischer Ebene als Selbstzweck Quartalsentwicklung deutsches BIP etabliert werden. Die Haftungsregeln und Verantwortlichkeiten dürfen nicht verwischt und verschoben werden. Das bleibt für die Deutsche 108 2,5 Ratspräsidentschaft für das zweite Halbjahr 2020 auch angesichts der steigenden Verschuldungen die zentrale Hausaufgabe. 1,5 107 VGR des ersten Quartals bemisst den Anfang des Shut Down 0,5 Wie nötig ein aktives Begleiten der Erholung durch fiskalische Maß- 106 nahmen auf europäischer und nationaler Ebene nach dem tiefen -0,5 aktuellen Einschnitt der Wirtschaftsaktivität ist, dafür spricht das Aus- 105 maß der Rezession. Bisher liegt nur das erste Quartal in der Volkswirt- -1,5 schaftlichen Gesamtrechnung vor. Damit ist nur die Anfangsphase des Shut Down erfasst, der in Deutschland Mitte März stattfand. Immerhin 104 -2,5 sind damit aber erstmals zwei Wochen in Ist-Zahlen mit-vermessen. Q1 Q2 Q3 Q4 Q1 Q2 Q3 Q4 Q1 Das Bruttoinlandsprodukt ist in der Summe des gesamten ersten Quar- 2018 2019 2020 tals real und saisonbereinigt um 2,2 Prozent gegenüber dem Vorquar- Indexwert des saisonbereinigten BIP tal geschrumpft. Das ist der größte Rückschlag seit der Finanzkrise vor gut zehn Jahren. Und das zweite Quartal wird bereits jetzt absehbar Saison- und kalenderbereinigte noch viel stärker einbrechen, weil es mit zeitlich größerem Anteil die Veränderung zum Vorquartal in % Shut Down-Phase abbildet. Wie erwartet waren es im ersten Quartal Veränd. zum Vorjahresquartal in % sowohl der private Konsum (-3,2 Prozent zum Vorquartal), die Quelle: Statistisches Bundesamt Ausrüstungsinvestitionen (-6,9 Prozent) als auch die Exporte (-3,1 Prozent), die für den BIP-Rückgang verantwortlich zeichnen. 8
Der Staatskonsum stabilisierte sich bereits im ersten Quartal leicht Entwicklung der Ausrüstungs- und (+0,2 Prozent). Positiv wirkten auch die Bauinvestitionen (+4,1 Bauinvestitionen in Deutschland Prozent), die vom milden Winter im Januar und Februar profitierten. Saison- und kalenderbereinigt, Und der Bau ist einer der wenigen Sektoren, die auch weitgehend vom in Milliarden Euro Shut Down verschont geblieben sind. Allein kann die Bautätigkeit das BIP aber natürlich nicht tragen. 90 Für den weiteren Jahresverlauf ist das bereits weitgehend verlorene zweite Quartal inzwischen offensichtlich. Danach richten sich die Hoff- nungen auf eine mit den Lockerungen einhergehende allgemeine wirt- 70 schaftliche Erholung im zweiten Halbjahr 2020 und dann 2021. Prognosen für das Gesamtjahr 2020 haben sich ein Stück weit einge- 50 pendelt Q1 Q2 Q3 Q4 Q1 Von der ganz schnellen Erholung mit kurzem V-förmigem Einschnitt, 2019 2020 die zunächst als Hoffnung gehandelt worden war, muss man sich inzwi- Bauinvestitionen schen wohl verabschieden. In den üblich gewordenen anschaulichen „Buchstaben“ ausgedrückt, entscheidet sich der Weg dann zwischen Ausrüstungsinvestitionen einem „U“, das inzwischen das Positivszenario beschreibt, und einem Quelle: Statistisches Bundesamt „L“ mit lange bleibendem Niveauverlust. Möglich ist auch ein „W“, wenn es beim Wiederanfahren ökonomisch oder im schlimmsten Fall epide- misch wellenförmige Rückschläge geben sollte. BIP Prognosen für Deutschland Während die Jahresprognosen im März und April, als das ganze Aus- 2020 und 2021, maß des Shut Down erst deutlich wurde, sehr wild und volatil wechsel- real, in % ten, in einen regelrechten Unterbietungswettlauf mündeten, haben sich BIP-Prognose Monat 2020 2021 die Prognosen der meisten einschlägigen Institutionen im Mai inzwi- Bundesbank Jun 20 -6,8 3,2 schen weitgehend eingeschossen. Sie markieren immer noch ein ziem- Deka Jun 20 -7,3 7,5 lich breites Feld, was in der außergewöhnlichen Lage auch nicht weiter DIW Jun 20 -9,4 3,0 verwunderlich ist. Aber die Spanne ist in den letzten Wochen weitge- ifo Mai 20 -6,6 10,2 hend stationär geblieben in der Range von -5 bis -10 Prozent. EU-Kommission Mai 20 -6,5 5,9 IWF Apr 20 -7,0 5,2 Die OECD hat ihre jüngst vorgelegte Frühsommer-Prognose in zwei OECD single-hit Sz. Jun 20 -6,6 5,8 Szenarien unterteilt, je nachdem, ob die Welt von einer zweiten OECD double-hit Sz. Jun 20 -8,8 1,7 Infektionswelle verschont bleibt oder ob auch die Länder, denen bereits eine Eindämmung der Fallzahlen gelungen ist, noch einmal stärker getroffen werden. Das würde vor allem für die europäischen Wirtschaften einen Unterschied ausmachen. Für Deutschland nennt die OECD -6,6 bzw. -8,8 Prozent als BIP-Prognose 2020 in den beiden Szenarien. Beide Werte passen sich weitgehend in das ohnehin aufgemachte Feld aktueller Prognosen ein. Für 2021 ist der Unterschied in der Wiedererholungsrate bei der OECD noch stärker ausgeprägt: 5,8 Prozent BIP-Plus im „single-hit“, aber nur 1,7-Prozent im „double-hit“ Szenario. Obwohl die hypothetische Welle zeitlich noch vor Ende 2020 verortet wird, hätte sie 2021 entsprechende negative Effekte, weil die Ausgangsbasis länger gedrückt bleibt und sich das Anspringen der Erholung später in das kommende Jahr verlagert. Überhaupt heben sich die Prognosen auch der anderen Institutionen für das Jahr 2021 und den Zeitraum danach stärker voneinander ab. Dabei ist fast überall eine recht kräftige Erholung das Hauptszenario. Aber die Vorhersagen unterscheiden sich doch deutlich im Grad des Optimismus, ob das alte Vorkrisenniveau bald wieder erreicht – oder in einigen besonders zuversichtlichen Fällen sogar wieder überschritten – werden kann. Hier fällt z. B. die Prognose des ifo-Instituts auf, das im Stärke der Erholung macht den Frühjahr sehr frühzeitig sehr düstere Szenarien vom Einbruch im Unterschied laufenden Jahr gezeichnet hatte, das jetzt aber für 2021 auch eine sehr starke Erholung in Aussicht stellt. 9
Preise noch gedrückt – EZB erhöht Ankäufe Der Preisauftrieb bleibt in der aktuellen Phase deutlich gedrückt. Die Energie und Rohstoffpreise sind aufgrund der geringeren wirtschaftli- chen Aktivitäten unter Druck, weil das Angebot der Förderanlagen in der Regel kurzfristig unelastisch ist. Aber auch auf Endverbraucher- ebene ist Abwärts-Preisdruck bei vielen Gütern beobachtbar. So ver- sucht derzeit z. B. der Textil-Einzelhandel seine vollen Lagerbestände Ausgewählte Teilkomponenten abzuverkaufen. Während der Ladenschließungen blieb praktisch eine der Preisentwicklung in komplette Kollektion in den Beständen liegen. Deutschland Nach der ersten Schätzung für den Juni sind die Verbraucherpreise im 112 Euroraum nur noch mit einer Jahresrate von 0,1 Prozent gestiegen, in Deutschland mit 0,2 Prozent (HVPI). Die gedrückte Entwicklung lag vor 110 allem an den Energiepreisen. Die Kernraten halten sich stabiler um ein 108 Prozent. Wobei die Preisindizes derzeit mit hoher Unsicherheit erhoben werden, viele Preise müssen weiter wegen ausgesetzter tatsächlicher 106 Aktivität geschätzt werden. 104 Trotz des derzeitigen Abwärtsdrucks ist es mittelfristig offen, wie es mit Januar Februar März April der Preisentwicklung weitergeht. Der Produktivitäts-Niederschlag, ver- teuernde Hygieneauflagen und der deutliche Druck auf die Gewinnmar- Indexwerte 2020; Basisjahr 2015 gen könnte die Unternehmen in vielen Branchen über kurz oder lang zu Nahrungsmittel und alkoholfreie Preisanhebungen zwingen. Nahrungsmittel zeigen bereits erhöhte Getränke Preissteigerungen auf. Verkehr In dieser Preis- und Konjunktursituation hat die Europäische Gesundheitspflege Zentralbank noch einmal mit einer Ausweitung reagiert. Grundlage Insgesamt waren die zur EZB-Ratssitzung am 4. Juni vorliegenden neuen Quelle: Statistisches Bundesamt makroökonomischen Projektionen. Nach deren Hauptszenario soll die Wirtschaft des Euroraums im laufenden Jahr um 8,7 Prozent schrumpfen. 2021 geht die EZB von einer kräftigen Erholung um 5,2 Prozent aus. Das Vorkrisen-Niveau soll beim BIP des Euroraums aber erst 2022 wieder erreicht werden. Auch auf Ebene des Euroraums bleibt der Preisauftrieb entsprechend gedrückt. Die Projektionen unterstellen für 2020 einen Anstieg des HVPI um nur 0,3 Prozent. 2021 sollen es dann 0,8 Prozent werden. Die langfristigen Inflationserwartungen sieht die EZB aber noch leidlich auf Zielhöhe verankert. In den prognostizierten Inflationsraten ist der Effekt der neu angekündigten temporären deutschen Konsolidierte Bilanzsumme des Mehrwertsteuersenkung noch nicht eingepreist. Deutschland als Eurosystems, gewichtigstes Mitglied des Euroraums dürfte auch den Gesamt- in Billionen Euro Euroraum-HVPI mit beeinflussen und zwar im verbleibenden Jahresverlauf 2020 mit einer weiteren Drückung. Dafür hilft die 2021 6 wiederangehobene Steuer dann auch dem Turn-Around der Inflationsrate. 5 Die EZB hat in Reaktion auf den scharfen aktuellen Einbruch noch 4 einmal in ihrer ohnehin sehr expansiven Geldpolitik nachgelegt. Sie hat dafür das erst im Frühjahr eingeführte "Pandemic emergency purchase 3 programme" (PEPP) als Instrument gewählt. Dessen Volumen wird von 750 Mrd. Euro auf 1.350 Mrd. Euro aufgestockt. Und die Laufzeit der 2 Nettoankäufe wird vom zuvor avisierten Jahresende 2020 auf Mitte 01.2015 01.2016 01.2017 01.2018 01.2019 01.2020 2021 verlängert. Die EZB will hier in diesem Zeitraum flexibel Anleihen ankaufen. Erst in der Summe will sich auch das PEPP dann am Kapital- schlüssel der EZB orientieren. Quelle: EZB Dabei kommt ihr zupass, dass die Materialknappheit bei Bundes- anleihen sich durch den expansiven 10
finanzpolitischen Kurs hierzulande relativiert. Dem Kapitalschlüssel der EZB folgend rund ein Viertel des nun um 600 Mrd. Euro aufgestockten PEPP entspricht in der Größenordnung in etwa dem Volumen des deutschen Konjunkturpaketes. Monetäre Expansion beschleunigt sich Angesichts der monetären Entwicklung ist ein weiteres Gasgeben der Entwicklung der Kreditarten EZB nicht nötig. Denn das auch in den letzten Jahren schon nicht im Euroraum schwache Geldmengenwachstum beschleunigte sich zuletzt sehr stark. Hier spiegelt sich die in der Krise stark angezogene Kreditvergabe, Veränderung ggü. d. Vorjahr in %, etwa bei den zahlreichen Überbrückungs- und Unterstützungskrediten saisonbereinigt wider. 7 6 Die Kreditvergabe-Dynamik hat sich im Euroraum in der Krise von den 5 Krediten an private Haushalte hin zu den Unternehmenskrediten verla- 4 gert. 3 Im April ist das breite Geldmengenaggregat M3 im Euroraum mit einer 2 Jahresrate von 8,3 Prozent gewachsen. M1 hat sogar um 11,9 Prozent 1 zugelegt. Hier zeigt sich, dass die monetäre Expansion einerseits kre- 0 -1 ditgetrieben ist, sich andererseits auf der Passivseite der Bankbilanzen -2 vor allem in den volllaufenden Girokonten der privaten Haushalte 01.2015 01.2016 01.2017 01.2018 01.2019 01.2020 abspielt. Das Wachstum der Geldmengenaggregate bedeutet aber auch, dass die Kreditfinanzierung gut klappt, der geldpolitisch gewollte Impuls ankommt. Von Seiten des Bankensystems steht dem Wiederauf- Bereinigte Kredite an schwung in Post-Corona-Zeiten nichts im Wege. nichtfinanzielle Unternehmen des Euro-Währungsgebiets Bereinigte Kredite an private Haushalte Bereinigte Kredite an den privaten Sektor insgesamt Quelle: EZB 11
A. Wachstum der Weltwirtschaftsregionen, Veränderung zum Vorjahr 2018 2019 2020* 2021* Welthandelsvolumen 3,7% 1,0% -11,0% 8,4% BIP - Welt 3,6% 2,9% -3,0% 5,8% USA 2,9% 2,3% -5,9% 4,7% Japan 0,3% 0,7% -5,2% 3,0% China 6,6% 6,1% 1,2% 9,2% EU 2,1% 1,7% -7,1% 4,8% Euroraum 1,9% 1,2% -7,5% 4,7% Deutschland 1,5% 0,6% -7,0% 5,2% * Prognosen des Internationalen Währungsfonds vom April 2020 B. Prognosen für das Wirtschaftswachstum in Deutschland für 2020, in % C. BIP im Euroraum und in Deutschland Jahr 2019 Q II - 2019 Q III - 2019 Q IV - 2019 Q I - 2020 reale Veränderung zum Vorjahresquartal real ggü. Vorjahr und saisonbereinigte reale Veränderung zum Vorquartal +1,2% +1,3% +1,0% -3,1% Euroraum +1,3% +0,1% +0,3% +0,1% -3,6% BIP Deutschland -0,1% +1,2% +0,2% -1,9% +0,6% BIP -0,2% +0,3% -0,1% -2,2% +1,8% +2,3% +1,2% -2,2% +1,6% Privater Konsum +0,2% +0,2% 0,0% -3,2% +2,2% +3,2% +0,4% -0,2% +2,6% Bruttoanlageinvestition -0,3% -0,1% -0,4% -0,2% -1,3% +2,7% +0,8% -3,2% +0,9% Exporte -1,4% +1,3% -0,6% -3,1% Niveau, nicht Veränderungsrate; Quartalszahlen saisonbereinigt Sparquote 10,9% 10,7% 10,9% 11,1% 12,4% 12
D. Verbraucherpreise (linke Skala) und Geldmenge M3 (rechte Skala), jährliche Änderungsraten in % Euroraum - harmonisierte Verbraucherpreise 2,5 8,5 Deutschland - Verbraucherpreise (nationale Definition) 8,0 Euroraum - Geldmenge M3 2,0 7,5 7,0 1,5 6,5 6,0 5,5 1,0 5,0 4,5 0,5 4,0 3,5 0,0 3,0 Feb. 19 Feb. 20 Okt. 18 Nov. 18 Dez. 18 Jan. 19 Mrz. 19 Apr. 19 Mai. 19 Jun. 19 Jul. 19 Aug. 19 Sep. 19 Okt. 19 Nov. 19 Dez. 19 Jan. 20 Mrz. 20 Apr. 20 Mai. 20 E. Monatliche Konjunkturindikatoren Deutschland Jan 20 Feb 20 Mrz 20 Apr 20 Mai 20 Preise (nat. Definition) Veränderung zum Vorjahresmonat Verbraucherpreise +1,6% +1,7% +1,4% +0,9% +0,6% - Ohne Nahrungsmittel und Energie (Kerninflation) +1,5% +1,5% 1,3% +1,2% - Erzeugerpreis gew. Produkte +0,2% -0,1% -0,8% -1,9% - Einfuhrpreise -0,9% -2,0% -5,5% -7,4% - Stimmungsindikatoren ifo-Geschäftsklimaindex 95,9 96,0 86,0 74,2 79,5 ZEW- Konjunkturerwartung 26,7 8,7 -49,5 28,2 51,0 Auftragseingang Veränderung zum Vorjahresmonat Verarbeitendes Gewerbe -1,9% +0,7% -11,9% -36,7% - aus dem Inland -7,7% -4,0% -9,3% -32,0% - aus dem Ausland +2,4% +4,3% -13,7% -39,8% - Investitionsgüterproduzenten -2,9% -0,3% -21,7% -47,2% - Produktion arbeitstäglich bereinigte Veränderung zum Vorjahresmonat Prod. Gewerbe insgesamt -1,5% -1,8% -11,3% -25,3% - davon Bau +15,0% +4,5% +4,4% +0,9% - davon Industrie -3,0% -2,6% -14,0% -31,2% - Außenhandel Veränderung zum Vorjahresmonat Export -1,9% +0,3% -7,7% -31,1% - Import -1,5% -2,8% -4,4% -21,6% - Arbeitsmarkt Stand der Quote bzw. Veränderung zum Vorjahresmonat in 1000 Arbeitslosenquote 4,9% 5,3% 5,1% 5,8% 6,1% Arbeitslose +20 +23 +34 +415 +577 Erwerbstätige (mit Arbeitsort im Inland) +199 +160 +82 -218 - Sozialversicherungspflichtige Beschäftigte +434 +394 +330 - - 13
F. Rohstoff-, Devisen- und Finanzmärkte Feb 20 Mrz 20 Apr 20 Mai 20 12.6.2020 Ölpreis Brent in US $ 50,5 22,7 25,3 35,3 41,7 (10.) Wechselkurse US- Dollar / EUR 1,0905 1,1063 1,0862 1,0902 1,1348 (11.) Japanische Yen / EUR 120,03 118,9 116,97 116,87 121,52 (11.) Aktienmärkte Deutscher Aktienindex DAX, Monatsende 11.890,35 9.935,84 10.861,64 11.586,85 12.072 Veränderung zum Vorjahresmonat +3,25% -13,8% -12,01% -1,2% - Geld- und Kapitalmarktzinsen Tagesgeld (EONIA) -0,45% -0,45% -0,45% -0,46% -0,46% (11.) 1- Monatsgeld (EURIBOR) -0,47% -0,48% -0,43% -0,46% -0,48% (11.) 3-Monatsgeld (EURIBOR) -0,41% -0,42% -0,25% -0,27% -0,36% (11.) Umlaufsrendite von Bundesanleihen mit -0,61% -0,47% -0,50% -0,41% -0,40% einer Restlaufzeit von zehn Jahren Zinsen der Kreditinstitute, im Neugeschäft Täglich fällige Einlagen priv, Haushalte in D 0,00% 0,00% 0,00%* - - zum Vergleich im gesamten Euroraum 0,02% 0,02% 0,02%* - - Einlagen privater Haushalte bis 1 Jahr in D 0,15% 0,12% 0,14%* - - zum Vergleich im gesamten Euroraum 0,33% 0,31% 0,22%* - - Unternehmenskredite bis 1 Mio,€ über 5J in D 1,47% 1,47% 1,76%* - - zum Vergleich im gesamten Euroraum 1,48% 1,59% 1,69%* - - *vorläufiger Wert Impressum Herausgeber Verantwortlich Deutscher Sparkassen- und Giroverband Pia Jankowski – DSGV Abteilung Volkswirtschaft, Finanzmärkte Leitung Abteilung Volkswirtschaft, Finanzmärkte und Wirtschaftspolitik und Wirtschaftspolitik Pia.Jankowski@dsgv.de Charlottenstrasse 47 10117 Berlin Dr. Reinhold Rickes - DSGV Telefon: 030 20225-5303 Leiter der Gruppe Volkswirtschaft DSGV-Volkswirtschaft@DSGV.de Reinhold.Rickes@dsgv.de www.DSGV.de Autor Redaktionsschluss dieser Ausgabe Dr. Holger Schulz 15. Juni 2020 Holger.Schulz@dsgv.de Gestaltung Hinweis Franz Metz, Berlin Alle Publikationen dieser Reihe finden Sie unter Bildnachweis https://www.dsgv.de/positionen.html#wirtschaftslage Titelseite: Plainpicture/Westend61 ISSN 2509-3835 14
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