PSYCHOLOGISCHE KONSEQUENZEN - der Euro-Einführung Information
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Nr. 7 Information Tobias Greitemeyer / Eva Traut-Mattausch / Dieter Frey PSYCHOLOGISCHE KONSEQUENZEN der Euro-Einführung ISSN 1863-4834 / ISBN 978-3-941036-00-0
© 2008 ROMAN HERZOG INSTITUT e. V. ISSN 1863-4834 / ISBN 978-3-941036-00-0 Herausgeber: ROMAN HERZOG INSTITUT e. V. Max-Joseph-Straße 5 80333 München www.romanherzoginstitut.de Redaktion: Thilo Großer Gestaltung und Produktion: edition agrippa, Köln · Berlin Fotos: action press, dpa, JOKER, Ullstein Die Studie ist beim Herausgeber kostenlos erhältlich.
Information Tobias Greitemeyer / Eva Traut-Mattausch / Dieter Frey Psychologische Konsequenzen der Euro-Einführung Kapitel Inhalt Seite 1 Einleitung 2 2 Die Einstellung zum Euro 3 3 Die Wahrnehmung von Preisänderungen 6 4 Der Einfluss von D-Mark-Preisen auf die Wahrnehmung von Euro-Preisen 12 5 Fazit 15 Literatur 16 Anhang 18 1
1 Einleitung einen Preisschub erwarteten und bei den flüchtigen Preisvergleichen ihre Prophezeiung als Ausgangsbasis benutzten. Wer dem Euro Die Einführung des Euro ist in unserer Gesell- gegenüber negativ eingestellt war, hat Preisstei- schaft eine der bedeutsamsten ökonomischen gerungen während der Euro-Einführung stärker Veränderungen der letzten Jahrzehnte. Die wahrgenommen als ein Euro-Befürworter. Währungsumstellung brachte volkswirtschaftlich Zudem verzerrt die Umrechnung von D-Mark in einschneidende Konsequenzen und neue Insti- Euro bei vielen das Urteil. tutionen mit sich, wie etwa den Stabilitätspakt und die Europäische Zentralbank. Gleichzeitig Diese Ergebnisse, die sich aus einer Fülle von verschwanden die traditionellen Währungen, an Studien ergeben, welche die Euro-Einführung die sich die Bürger vieler westeuropäischer Län- begleitet haben, werden in den folgenden der über eine lange Zeit gewöhnt hatten. Abschnitten vorgestellt. Zwar wird im vorlie- genden Beitrag in erster Linie analysiert, welche Als der Euro in Deutschland am 1. Januar 1999 psychologischen Konsequenzen aufseiten der als Währung für Aktienhandel und Buchgeld- Bürger ganz konkret mit der Einführung des konten sowie am 1. Januar 2002 als Bargeld- Euro verbunden waren. Andererseits möchten Zahlungsmittel eingeführt wurde, hat sich die Autoren damit aber auch exemplarisch zei- daher nicht nur die ökonomische Landschaft gen, wie psychologisches Grundlagenwissen verändert. Über die Auswirkungen der Euro- auf aktuelle Finanzthemen angewandt werden Einführung ist viel diskutiert worden – auch kann – was in der Wirtschafts- und Sozial- über die Stimmung in der Bevölkerung. Welche psychologie unserer Ansicht nach viel zu selten psychologischen Konsequenzen waren mit der geschieht. neuen Währung verbunden? Dieser Frage geht dieser Beitrag nach. Konkret wird gezeigt, wie sich die Einführung des Euro auf die Einstellung der Deutschen gegenüber der neuen Währung, auf ihre Wahr- nehmung von Preisänderungen sowie auf ihre Vergleiche mit D-Mark-Preisen auswirkte. Wie sich zeigt, entwickeln die Deutschen dem Euro gegenüber zwar eine zunehmend positive Einstellung, aber nach wie vor vermissen sie die D-Mark. Viele überschätzen die Preisstei- gerungen in Euro – zum Teil in illusionärem Ausmaß. Das liegt vor allem daran, dass die Deutschen schon vor der Euro-Einführung 2
2 Die Einstellung zum Euro definiert wird – neben Deutschland sind das zum Beispiel die Niederlande, Schweden und Großbritannien –, hegten die Befragten im Bei der Einführung des Euro und der Abschaf- Zusammenhang mit dem Euro große Befürch- fung der D-Mark ging es um mehr als um Geld. tungen (Müller-Peters, 1998; Pepermans et al., Die D-Mark galt als nationales Symbol, die 1998; Pepermans/Verleye, 1998; Everdingen/ Deutsche Bundesbank als ehrwürdig. Damit Raaij, 1998). Der Zusammenhang ist offensicht- haben sich die Deutschen identifiziert. Um lich: Gerade weil viele Bürger nordeuropäischer die Einstellung der Bevölkerung zum Euro zu Staaten ihre nationale und persönliche Identität untersuchen, bietet sich daher die Theorie der über die nationale Währung und die starke sozialen Identität an. Die kollektive Identität, die wirtschaftliche Situation ihres Landes definieren, sich in der Geschichte, in gemeinsamen Werten, betrachteten sie die Umstellung der Währung Errungenschaften und Symbolen – und damit als Bedrohung für den nationalen Stolz. So zum Beispiel auch in der Währung – mani- waren österreichische Staatsbürger, die sich festiert, ist zwar in allen Ländern ein Teil der stark mit ihrem Land identifizierten, negativer sozialen Identität. Für viele Deutsche stand aber dem Euro gegenüber eingestellt als Österreicher die D-Mark nicht nur für eine stabile Währung, mit geringerer Identifikation (Meier-Pesti/Kirch- sondern für die Erfolgsgeschichte steigenden ler, 2003). Je geringer die Befragten den rela- Wohlstands in der Nachkriegszeit und für ein tiven Status Österreichs innerhalb von Europa hohes Ansehen im Ausland. Die Währung bot einschätzten und je stärker sie sich mit ihrem Anlass, auf etwas stolz zu sein. Die starke Land identifizierten, desto negativer war ihre D-Mark gab den Deutschen Gelegenheit, sich in Einstellung gegenüber dem Euro. der eigenen Wahrnehmung positiv von anderen Nationen abzuheben und zu unterscheiden. In den südlichen Ländern herrschte zur Euro- Einführung eine andere Stimmung. Die Einwoh- Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass die ner von Italien, Spanien, Griechenland und Por- Deutschen zum Euro eine vergleichsweise tugal hatten eine hoffnungsvolle Perspektive auf negative Einstellung hatten und haben. Bereits den Euro. Die Bürger dieser Länder definieren vor der Währungsumstellung standen sie der ihren nationalen Stolz zum einen stärker durch Einführung des Euro skeptisch gegenüber. So kulturelle und historische Errungenschaften, erwarteten beispielsweise im Jahr 1997 nur zum anderen konnten sie sich einen wirtschaft- 19 Prozent der Befragten, dass der Euro für lichen Gewinn durch die neue Währung erhof- Deutschland Vorteile mit sich bringen würde fen. Daher standen sie dem Euro wesentlich (Kiell et al., 2002). positiver gegenüber. Auch in anderen EU-Ländern, in denen der Wirtschaftliche Erwägungen haben die Ein- nationale Stolz stark über wirtschaftliche Errun- stellung der betroffenen EU-Bürger zum Euro genschaften und eine stabile nationale Währung natürlich beeinflusst. Sie war umso negativer, 3
geringeren Wachstums und zunehmender Arbeitslosigkeit. Ebenso gab es Befürchtungen, dass die Einführung des Euro die individuelle wirtschaftliche Situation – beispielsweise im Hinblick auf Löhne, Preise und Zinsen – ver- schlechtern könnte. Ganz allgemein führte die bevorstehende Einführung des Euro zu einer Unsicherheit, die bei den betroffenen Bürgern Ängste auslöste. Nachdem allerdings die Währungsumstellung im Jahr 2002 vollzogen war, stieg die Akzep- tanz des Euro bei den Bürgern der betroffenen Staaten deutlich an. In den Staaten, die sich nicht an der Währungsumstellung beteiligten (zum Beispiel Großbritannien), besserte sich die Einstellung gegenüber dem Euro dagegen nicht. Im Jahr 2002 gingen immerhin 35 Prozent der befragten Deutschen davon aus, dass Deutsch- land vom Euro profitieren wird (Kiell et al., 2002). Dies lässt sich mit der Dissonanztheorie erklä- ren: Einerseits fühlten sich die Deutschen der D-Mark verbunden, andererseits wurde aber die D-Mark unwiderruflich vom Euro abgelöst. Die resultierende kognitive Dissonanz kann durch eine Aufwertung des Euro reduziert werden. Man fügt sich ins Unabwendbare, arrangiert sich mit der neuen Währung – und entwickelt ihr gegenüber eine positive Einstellung. Eine Studie mit deutschen Teilnehmern konnte belegen, je stärker die Befragten der Überzeugung dass Personen, die nicht an der planmäßigen waren, die neue Währung würde die Risiken für Einführung des Euro zweifelten, den Euro posi- die nationale Wirtschaft steigern, wirtschaft- tiver bewerteten als die Personen, die sich nicht liches Wachstum bremsen und die Gefahr von sicher waren, ob der Euro tatsächlich einge- Inflation erhöhen. Gerade Bürger wirtschafts- führt werden würde (Greitemeyer et al., 2001). starker Staaten befürchteten negative Aus- Jedoch zeigte sich auch, dass die Befragten wirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung im Jahr 1999 die D-Mark dem Euro eindeutig des eigenen Landes – zum Beispiel in Form vorzogen. 4
Daran hat sich bis heute nicht viel geändert. Identität leisten, die notwendig ist in einer Welt Die Deutschen hängen nach wie vor an der der Globalisierung, wo viele bisherige Werte an D-Mark. 2007 baten wir mehr als 800 Testteil- Gültigkeit verlieren und sich viele Menschen nehmer, sowohl die D-Mark als auch den Euro immer mehr verunsichert fühlen. Es wäre daher zu bewerten. Das Resultat: Auf einer Skala von regelrecht katastrophal gewesen, wenn der Euro – 5 bis +5 wurde die D-Mark mit +2,20 deutlich ein Misserfolg geworden wäre. Dann hätten sich positiver eingestuft als der Euro mit +1,62. Der die Ängste der Bürger im Zeitalter der Globa- Stolz der Deutschen auf die D-Mark ist nach der lisierung nur noch weiter gesteigert. Insofern Währungsumstellung sogar noch gewachsen. spielt der Euro nicht nur irgendeine, sondern 39 Prozent aller Befragten nahmen im Jahr eine zentrale Rolle für die Entwicklung einer 2002 mehr Nachteile als Vorteile wahr (Kiell et Identität für die Bürger in Europa. al., 2002). Im Jahr 2004 wünschte sich mehr als die Hälfte der Bundesbürger die D-Mark Zu den wichtigen europäischen Werten, die zurück (FAZ, 18. Dezember 2004). Ein ähnliches mithilfe der neuen Währung bewahrt werden Bild ergab eine im Jahr 2007 durchgeführte können, gehören unseres Erachtens zwei Dinge: Befragung der Forschungsgruppe Wahlen: Nur Demokratie im Sinne einer offenen Gesellschaft 36,3 Prozent der Befragten fanden den Euro und eine sozial-ökologische Marktwirtschaft. gut. Im Jahr 2004 waren dies noch 42,6 Prozent. Die meisten Bürger Europas wollen weder amerikanische Hire-and-Fire-Verhältnisse noch Der Euro scheint für die Deutschen also noch Zustände wie im US-Gesundheitswesen, wo kein adäquater Ersatz für die D-Mark zu sein. 30 Prozent der Bevölkerung keine Krankenver- Dies ist umso erstaunlicher, da mit der Einfüh- sicherung haben. Viele Europäer wollen nicht, rung des Euro viele Vorteile verbunden waren. dass Bildung für ihre Kinder so teuer ist wie So hat der Euro nicht nur im Reise- und Zah- in den USA, ebenso lehnen sie chinesische lungsverkehr zu erheblichen Erleichterungen Brutalo-Kapitalismus-Verhältnisse ab. Um sol- geführt. Er stellt auch eine Chance für eine che zentralen Werte Europas zu bewahren, ist europäische Identität dar. Die Tatsache, dass ein starker Euro unverzichtbar, der eine hohe der Euro gerade gegenüber dem Dollar stabil Akzeptanz hat und damit als eins von mehre- geblieben ist, sollte vielen Skeptikern eigentlich ren Identifikationssymbolen dienen kann. Aus demonstriert haben: Nicht die Befürchtungen unserer wissenschaftlichen Perspektive gibt bezüglich des Euro haben sich erfüllt, sondern es daher gute Gründe für die optimistische die mit ihm verbundenen Chancen und Hoff- Annahme, dass der Euro – ähnlich wie früher nungen. Unserer Ansicht nach wird sich diese die D-Mark für Deutschland – diese Funktion für Denkweise im Laufe der Zeit unter den Bürgern ganz Europa übernehmen kann. durchsetzen, gerade in den Staaten und Län- dern, die bei der Einführung ähnlich skeptisch waren wie Deutschland. Damit würde der Euro als Bindeglied einen Beitrag zur europäischen 5
3 Die Wahrnehmung von 2002 94 Prozent der Befragten glaubten, die Preise seien mit der Einführung des Euro eher Preisänderungen gestiegen (Fischer et al., 2002). Als Folge dieser Wahrnehmung war die Konsumbereitschaft der Es gibt einen bedeutsamen Grund dafür, warum Deutschen nach der Einführung des Euro dras- viele Deutsche dem Euro gegenüber weiterhin tisch gesunken. Der Einzelhandel klagte über negativ eingestellt sind: Sie haben die neue einen massiven Umsatzrückgang. Währung als Preistreiber eingestuft – und das (merkwürdigerweise) schon bevor es den Demgegenüber wies das Statistische Bundes- Euro überhaupt gegeben hat. Bereits Jahre amt wiederholt darauf hin, dass die Inflations- vor der Einführung befürchteten die meisten raten nach der Einführung des Euro nicht höher Bürger der künftigen Euro-Länder sowie auch ausfielen als im Jahr zuvor, als es noch die Experten, dass nach der Währungsumstellung D-Mark gab. Nach der Berechnung des Statisti- die Preise von Konsumgütern deutlich steigen schen Bundesamts hat der Euro also zu keinen würden. Direkt nach der Einführung des Euro außergewöhnlichen Preissteigerungsraten in verstärkte sich diese Überzeugung noch (und Deutschland geführt. In den Medien wurde die hält bis heute an). Preissteigerungen werden Diskrepanz zwischen der Wahrnehmung der schlicht auf die Währungsumstellung zurück- Bürger und der ausgewiesenen Inflationsrate geführt – was sich auch in der Bezeichnung damit erklärt, dass die Zusammenstellung des der neuen Währung als „Teuro“ niederschlägt. Warenkorbs eine andere sei als die von den Es ist daher nicht überraschend, dass im Jahr Bürgern betrachtete (zum Beispiel: Frankfurter Rundschau, 12. Juli 2002, „Teuro kommt teuer zu stehen“): Die von den Bürgern wahrgenom- mene Teuerung ergibt sich demnach dadurch, dass vor allem die Preise für Güter des täglichen Gebrauchs angestiegen sind (beispielsweise für Gemüse und Milch), während Produkte, die nur selten gekauft werden oder nicht mit Bargeld bezahlt werden (zum Beispiel Strom und Mieten), sich nicht verteuert haben oder sogar billiger geworden sind. Laut Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW) lag die Teuerung im ersten Quartal 2002 gegenüber dem Vor- jahreszeitraum bei einem auf die Produkte des täglichen Bedarfs verkleinerten Warenkorb bei 4,1 Prozent. Der vollständige Warenkorb hin- gegen verteuerte sich lediglich um 1,2 Prozent. Daher kommt die IW-Studie zu dem Schluss, 6
Geschätzte Preisänderung in Abhängigkeit Abbildung 1 vom realen Preistrend und der persönlichen Anreizsituation 25,1 % 24,4 % Anreiz Kein Anreiz 14,5 % 8,2 % Realer Preistrend: 15 % Realer Preistrend: 0 % Quelle: Greitemeyer et al., 2002 dass die von Konsumenten wahrgenommenen steigerungen wahrnehmen, wenn die Preise von Preissteigerungen seit der Einführung des Euro D-Mark in Euro lediglich zum offiziellen Kurs korrekt seien. umgerechnet werden – also keinerlei Preiserhö- hung stattfindet. Die Zusammenstellung des Warenkorbs liefert zwar eine mögliche volkswirtschaftliche Erklä- Werden Preise in Euro tatsächlich rung für die Diskrepanz zwischen den Angaben überschätzt? des Statistischen Bundesamts und der Wahr- nehmung der Preisänderung in der Bevölkerung. Personen ziehen aus neuen Informationen zu- Allerdings muss hierbei beachtet werden, dass meist Schlussfolgerungen, die im Einklang mit die von den Verbrauchern wahrgenommenen bereits vorhandenen Erwartungen stehen. Es ist Preisanstiege weit über dem ermittelten Wert daher denkbar, dass die Preisänderungen über- von 4,1 Prozent gelegen haben. Wir haben schätzt worden sind, nur weil Preiserhöhungen daher untersucht, ob auch Urteilsverzerrungen, erwartet wurden. In unseren Studien verglichen die auf der Erwartung von Preisanstiegen die Probanden die Preise zweier Speisekarten beruhen, die Wahrnehmung gestiegener Preise eines Restaurants. unterstützt haben (Greitemeyer et al., 2007; Traut-Mattausch et al., 2007). Konkret ging es In Abbildung 1 sind die Ergebnisse wiederge- um die Frage, ob Personen auch dann Preis- geben. Verglichen mit der tatsächlichen Preis- 7
entwicklung haben die Teilnehmer signifikant Preissteigerungen in der Bilanz aufgehoben. Die überhöhte Preissteigerungen wahrgenommen. Einstufung des Euro als Teuro steht daher für Insgesamt überschätzten sie das Ausmaß der einen wahrgenommenen Verlust an Kaufkraft. Preisänderungen im Durchschnitt um 11 Pro- zent. Diejenigen Probanden, denen ein Anreiz Die Überschätzung von Preisänderungen in für eine möglichst genaue Schätzung gegeben Richtung erwarteter Preisanstiege zeigte sich wurde, waren in ihren Schätzungen nicht signifi- unabhängig davon, ob den Versuchsteilnehmern kant akkurater. Zudem zeigte sich sehr deutlich, beim Preisvergleich beide Speisekarten zur Ver- dass die Schätzung der Preisänderung von der fügung standen oder ob sie den Vergleich aus erwarteten Preisänderung beeinflusst wurde: dem Gedächtnis heraus vornehmen mussten. Je höhere Preissteigerungen im Zuge der Ein- Die Verzerrungen sind somit keine Folge fehler- führung des Euro angenommen wurden, desto hafter Erinnerungsanpassung (D-Mark-Preise stärker gestiegene Preise wurden anschließend würden als niedriger erinnert, als sie tatsächlich geschätzt. Diese Verzerrung zieht sich durch waren). Die Schätzergebnisse können auch alle Versuche: Bei um tatsächlich 15 Prozent nicht dadurch erklärt werden, dass die Proban- gesenkten Preisen wurden konstante Preise, bei den bei den Preisvergleichen den näherungs- konstanten Preisen um rund 10 Prozent gestie- weisen Umrechnungsfaktor von 2 D-Mark zu gene Preise und bei um 15 Prozent gestiegenen 1 Euro verwendet haben (statt des korrekten Preisen Erhöhungen um rund 25 Prozent wahr- Faktors von 1,95583 D-Mark zu 1 Euro). Dem- genommen (Traut-Mattausch et al., 2004). gegenüber zeigte sich – wie bereits oben aufge- führt –, dass die verzerrten Einschätzungen des Vor dieser fehlerhaften Wahrnehmung ist offen- Preistrends von der erwarteten Preisänderung bar kaum einer gefeit. Nicht nur Personen aus abhängen: Je höhere Preissteigerungen die Ver- einem Querschnitt der Bevölkerung haben den suchsteilnehmer erwartet hatten, desto höhere realen Preistrend deutlich überschätzt, sondern Überschätzungen zeigten sich bei der Einschät- auch Studenten und Experten, die in ihren zung des Preistrends. Berufen als Banker und Controller täglich mit Zahlen, mit Berechnungen von Prozenten und Weckt man dagegen bei Personen die Erwar- unterschiedlichen Währungen konfrontiert sind. tung, dass die Preise konstant geblieben sind, Ähnliche Aussagen gelten auch für Österreich reduzieren sich deren Preisüberschätzungen (Hofmann et al., 2006). Hier konnte zusätzlich substanziell (Abbildung 2). Besonders inte- nachgewiesen werden, dass die überschätzte ressant ist dabei, dass bei einer erwarteten Preissteigerung – die „Teuro-Illusion“, nicht zu Preisänderung von 0 Prozent und einem verwechseln mit der noch zu beschreibenden tatsächlichen Preisanstieg von 15 Prozent „Euro-Illusion“ – nicht von ebenso illusionären die Schätzung in Richtung konstanter Preise Lohnanstiegen infolge der Euro-Einführung verzerrt wird (Greitemeyer et al., 2005). Dies begleitet wurde. Diese hätten – sofern sie wahr- bedeutet, dass die reale Preisänderung in genommen worden wären – die illusionären Abhängigkeit von der induzierten Erwartung 8
Geschätzte Preisänderung in Abhängigkeit Abbildung 2 vom realen und vom induzierten Preistrend Keine Induktion 20 % Induzierter Preistrend 15% Induzierter Preistrend 0% 16 % 12 % 10 % 10 % 5% Realer Preistrend: 15 % Realer Preistrend: 0 % Quelle: Greitemeyer et al., 2002 unterschätzt wird. Dieser Befund ist ein starker Wie kommen die Preisüberschätzungen Beleg für die Annahme, dass Preistrenderwar- zustande? tungen die Einschätzung von Preisänderungen beeinflussen, da die Erwartung stabiler Preise Welcher Mechanismus ist nun dafür verant- im Gegensatz zu der weit verbreiteten Meinung wortlich, dass die eigenen Erwartungen trotz stand, wonach durch die Euro-Einführung die widersprechender Fakten beibehalten werden? Preise steigen würden. Dieses Phänomen lässt sich mit der asymmet- rischen Verarbeitung von erwartungskonformen Allein die Erwartung, mit der Einführung des und erwartungskonträren Informationen erklä- Euro sei eine Preissteigerung verbunden, führte ren. Während erwartungskonforme Informa- also zur Wahrnehmung von Preisänderungen, tionen nach bloßem Augenschein akzeptiert die objektiv nicht vorlagen. Und diese fehler- werden, werden konträre Informationen intensiv haften Eindrücke vom Preisschub durch den und kritisch getestet. Durch diese systemati- Euro halten sich hartnäckig. Sogar im Jahr sche Überprüfung steigt die Wahrscheinlichkeit, 2007 durchgeführte Studien zeigen, dass Schwachstellen in den erwartungskonträren Testpersonen nach wie vor die Preise in Euro Informationen ausfindig zu machen – sie überschätzen. Die durchschnittliche Differenz erscheinen somit im Durchschnitt als weniger zwischen der Schätzung und der tatsächlichen stichhaltig. Damit ein solcher Mechanismus Preissteigerung betrug rund 18 Prozent. greifen kann, müssen die zugrundeliegenden 9
Informationen aber einen gewissen Interpreta- werden, erkennen die Bürger erwartungsinkon- tionsspielraum aufweisen. Nur in diesem Fall sistente Rechenfehler (Preis für einen Artikel ist ist es möglich, bei einer intensiven Prüfung gesunken) mit einer höheren Wahrscheinlichkeit Schwachstellen zu finden. Erwartungskonträre als erwartungskonsistente Rechenfehler (Preis Informationen werden aber, wenn sie nach für einen Artikel ist gestiegen). Ferner korrigie- Überprüfung als unumstößlich richtig erkannt ren sie mit einer höheren Wahrscheinlichkeit werden, akzeptiert und führen zu einer Revision korrekte erwartungsinkonsistente Rechen- der Erwartung oder Meinung. ergebnisse (fälschlicherweise) als korrekte erwartungskonsistente Rechenergebnisse. Falls Im Fall der illusionären Preisüberschätzungen nun die kognitiven Ressourcen der Versuchs- existiert ein objektiver Standard, an dem man personen soweit eingeschränkt werden, dass die eigene Einschätzung messen kann: Jeder sie überhaupt keine Fehlerkorrektur (sowohl von kann nachrechnen und exakt bestimmen, ob erwartungskonsistenten als auch von erwar- und gegebenenfalls wie stark die Preise tatsäch- tungsinkonsistenten Fehlern) mehr vornehmen lich erhöht wurden. Dass es dennoch zu illusio- können, sollten genauere Preisschätzungen die nären Preisschätzungen gekommen ist, scheint Folge sein. Genau dieser Effekt stellte sich ein, an einer selektiven Korrektur von Rechenergeb- als eine Gruppe während der Preisvergleiche nissen zu liegen (Traut-Mattausch et al., 2004). abgelenkt wurde. Die nicht abgelenkte Gruppe Weil erwartungskonsistente Rechenergebnisse überschätzte die Preise in Euro um rund 11 Pro- oberflächlich geprüft und erwartungsinkon- zent, während die abgelenkte die Preise deutlich sistente Rechenergebnisse intensiver getestet akkurater wahrnahm – diese Testteilnehmer überschätzten die Euro-Preise lediglich um 4 Prozent. Erwartungen werden oftmals auch dann beibe- halten, wenn sie unzweifelhaft widerlegt werden. Das liegt – in den genannten Beispielen – an der selektiven Korrektur von Rechenfehlern. Dies ist ein Mechanismus, der nicht nur im Euro-Kontext wirkt, sondern vermutlich bei allen numerischen Rechenoperationen inklusive der zugehörigen Korrekturprozesse. Zusammenfassend ist fest- zustellen, dass die Einflüsse von Erwartungen auf die nachfolgende Informationsverarbeitung in der bisherigen Forschung zu wenig beachtet worden sind. 10
Was lässt sich gegen die verzerrte Drei Maßnahmen erweisen sich als wirksame Wahrnehmung tun? Gegenstrategie, um die Urteilsverzerrungen zu verringern: die experimentellen Methoden Diese Befunde sind vor allem aus praktischer „Testing the opposite“, „Consider the opposite“ Sicht bedeutsam. Viele Einzelhändler wären in und „Counter explanation“ (Traut-Mattausch den Monaten nach der Euro-Bargeld-Einführung et al., 2008). So fallen die Schätzungen der froh gewesen, wenn sie gewusst hätten, wie sie tatsächlichen Preissteigerungen realistischer ihren Kunden die vermeintliche Teuro-Welle als aus, wenn Versuchspersonen gebeten werden, Illusion nachweisen könnten. Um in Deutschland Gründe dafür aufzuschreiben, warum die Preise eine Preisunsicherheit zu vermeiden, hatte der im Zuge der Euro-Einführung stabil geblieben Gesetzgeber immerhin eine Vorkehrung getrof- sind oder wenn sie während des Preisver- fen. Der Handel wurde verpflichtet, im Zuge gleichs die Perspektive einnehmen sollen, dass der Einführung des neuen Bargelds Produkte die Preise bei der Währungsumstellung stabil und Dienstleistungen doppelt auszuzeichnen. geblieben seien. Dies sollte die Verbraucher davor schützen, Preisanstiege nicht zu erkennen und überteuerte Die Urteilsverzerrung wird davon beeinflusst, Produkte zu kaufen. Nach der Einführung des ob die Bürger über Argumente für oder gegen Euro zeigte sich dennoch eine Kaufzurückhal- Euro-Preiserhöhungen nachgedacht haben. tung. Die gesunkenen Umsätze führte die Euro- Testteilnehmer, die sich Argumente für gestie- päische Zentralbank auf die mit der Einführung gene Restaurant-Preise überlegt hatten, über- der neuen Währung verbundene Unsicherheit schätzten die Preisänderung in Euro ebenso zurück. Die Frage ist also offen: Welche Inter- wie solche, die sich gar keine Gedanken über ventionen könnten die Konsumenten davon Argumente gemacht hatten. Wenn aber Pro- überzeugen, dass die Einführung des Euro nicht banden vor der Einschätzung des Preistrends zu übermäßigen Preissteigerungen geführt hat? über Gründe nachdachten, warum die Preise nicht gestiegen sind, reduzierte sich die Urteils- Typische Fehler aus erwartungskonformen verzerrung deutlich. Real gestiegene Preise Informationsverarbeitungsprozessen können wurden dann nahezu korrekt wahrgenommen, mit verschiedenen Methoden reduziert werden. wenn die Testteilnehmer zuvor Gründe für sta- Übertragen auf den Kontext der Preiswahr- bile oder für gesunkene Preise suchen sollten. nehmungen in Euro wäre es zum Beispiel Die Verbraucher zu neuen Perspektiven auf die erfolgversprechend, wenn Testpersonen, die Euro-Preisänderungen oder zu neuen Begrün- von Preissteigerungen in Euro ausgehen, einen dungsversuchen anzuregen, bewirkt also relativ Preisvergleich unter der Annahme vornehmen, genaue Preisschätzungen. Der Handel hatte dass der Euro zu keiner Preissteigerung geführt diese simple Idee vereinzelt auch aufgegriffen: hat. Indem man nämlich ihre Ausgangsbasis für Anbieter wiesen explizit darauf hin, dass die den Schätzvergleich beeinflusst, verändern sich D-Mark-Preise „fair“ in Euro umgerechnet wur- die Schätzergebnisse. den – sie forderten also zum Nachrechnen auf. 11
4 Der Einfluss von D-Mark- men. Touristen unterliegen häufig diesem Irrtum, wenn sie im Urlaubsland mit ungewöhnlich klei- Preisen auf die Wahrneh- nen oder großen Zahlen bezüglich der Preise für mung von Euro-Preisen bestimmte Güter konfrontiert werden. Nach der Währungsumstellung waren die Zwar haben die Deutschen im Zuge der Euro- nominalen Werte in Euro in den Euro-Ländern Einführung überwiegend Preissteigerungen – je nach dem Wert der ehemaligen nationalen wahrgenommen. Aber inwieweit vergleichen sie Währung – im Vergleich entweder kleiner oder heute noch Euro- mit früheren D-Mark-Preisen? größer. Niedrigere Zahlen in Euro gegenüber Laut Umfragen rechnen viele Deutsche die der ursprünglichen Währung, so ist nach der aktuellen Euro-Preise noch immer in D-Mark Theorie der „Money illusion“ zu vermuten, führ- um. Ein halbes Jahr nach Einführung des Euro ten daher zu der Wahrnehmung von günstigen gaben nur 14 Prozent der Befragten einer Studie Euro-Preisen. Experimente in Schweden mit an, sie würden selten oder nie die Euro-Preise Preisen für verschiedene Güter wie Mieten oder in D-Mark umrechnen (Fischer et al., 2002). Zeitschriften in Euro und Kronen bestätigten 50 Prozent der Befragten dagegen behaupte- diese Hypothese – die Verbraucher nahmen die ten, sie würden „immer“ und 22 Prozent „oft“ Preise in schwedischen Kronen tatsächlich als umrechnen. Im Jahr 2007 sagten 75,2 Prozent teurer wahr als die entsprechenden Euro-Preise. der Befragten gegenüber der Forschungsgruppe Das Phänomen erhielt die Bezeichnung „Euro- Wahlen, dass sie beim Einkaufen den Euro- Illusion“ (Gamble et al., 2002). Preis in D-Mark kalkulieren. Beim Umgang mit Euro-Preisen stellen demzufolge die vertrauten Ein der „Euro-Illusion“ verwandtes Phänomen D-Mark-Preise wichtige Richtwerte (Anker) dar, stellen Kompressionseffekte dar, die ebenfalls an denen sich die Deutschen orientieren. mit der Einführung des Euro zu beobachten waren (Marques, 1999). Ein Kompressionseffekt Beim Vergleich der Preise von bestimmten ist die Neigung von Personen, Abstände zwi- Gütern in unterschiedlichen Währungen tre- schen Zahlen als unterschiedlich groß aufzufas- ten Verzerrungen auf, die in Verbindung mit sen, je nachdem wie groß die Zahlen sind. Auch Anker-Effekten andauern können. Der Begriff wenn Versuchspersonen mitgeteilt wird, sie soll- „Money illusion“ bezeichnet beispielsweise das ten der Einfachheit halber mit einem Kurs von Phänomen, wonach Personen ausschließlich 2 D-Mark zu 1 Euro rechnen, zeigt sich dieser auf den Nominalwert eines Betrags fokussieren Kompressionseffekt: Sie nehmen den Abstand und den tatsächlichen Wert eines Preises (in zwischen 1 und 2 Euro als geringer wahr als den Abhängigkeit von äußeren Einflüssen wie der Unterschied zwischen 2 und 4 D-Mark. Inflation) außer Acht lassen. Als Folge werden nominell kleine Zahlen als preiswert, nominell große Zahlen dagegen als teuer wahrgenom- 12
Wie wirkt sich die Euro-Illusion aus? Die Euro-Illusion ist erklärungsbedürftig. Zwar scheint sie der latenten Preisüberschätzung, die sich aufgrund von Erwartungen ergeben hat, entgegenzuwirken. Dennoch bewerteten Versuchspersonen die Güter in einem Katalog (zum Beispiel Kamera, Lederjacke, Mikrowelle, CD-Player) schon vor der Einführung der neuen Währung in Euro mit einem höheren Preis als in D-Mark (Jonas et al., 2002a). Dieser Effekt kann weder dadurch erklärt werden, dass Personen bei Preisschätzungen in Euro automatisch an Preise für das Jahr 2002 mit entsprechendem Inflationsaufschlag dachten, noch durch eine insgesamt negative Einstellung zum Euro. Es handelte sich auch nicht um ein reines „Money illusion“-Phänomen (welches besagt, dass nominell kleinere Beträge intuitiv als preiswerter „nach oben“ verzerren – die Güter also schein- und größere Beträge als teurer eingeschätzt bar verteuern. Die Versuchsteilnehmer denken, werden). Denn im Vergleich zu anderen Wäh- die Beträge in Euro sind zu niedrig, deshalb rungen, wie dem Britischen Pfund oder dem schätzen sie höhere Preise. Österreichischen Schilling, ergaben sich keine Unterschiede in den Preisschätzungen. Solche Referenzpreise funktionieren jedoch nur im inländischen Umfeld – also nicht, wenn Vielmehr rührten die höheren Preisschätzungen sich Personen bei Preisvergleichen gedanklich in Euro aus Anker-Effekten der nationalen Wäh- im Ausland aufhalten. Im Kontext eines frem- rung, der D-Mark. Anker-Effekte werden defi- den Landes kommt es nicht zu Anker-Effekten niert als die Angleichung eines Urteils an einen (Jonas et al., 2002a, Studie 5). Deutsche Ver- Basiswert. Demnach benutzen Personen durch suchsteilnehmer, die sich vorstellen sollten, die Gewöhnung an ihre inländische Währung sie gingen in Irland einkaufen, verwendeten für Referenzpreise, auf die sie bei der Wahrneh- diesen virtuellen Einkauf in Irland in der Tat die mung neuer mit Geld verbundener Situationen vertrauten D-Mark-Preise nicht mehr als Anker automatisch und intuitiv zugreifen. Das beein- für die Preisschätzungen in Euro. Daher gab es flusst die Preisschätzungen in Euro. Da die auch keine Unterschiede mehr zwischen ihren nominalen Preise der D-Mark ungefähr doppelt Einschätzungen in D-Mark und Euro. Wurden so hoch waren wie die Euro-Preise, würde dies die Preise allerdings wiederum für Deutschland die Preisschätzungen in Euro systematisch geschätzt, so ergab sich auch noch ein halbes 13
Jahr vor der tatsächlichen Einführung des sich recht schnell gelegt. So war drei Wochen Euro wieder der Effekt, dass die Preise in Euro nach der Einführung des Euro der Anker-Effekt signifikant höher eingeschätzt wurden als die in der höheren Preisschätzung in Euro nur noch D-Mark. marginal nachweisbar. Nach zwölf Wochen waren bereits keine Unterschiede zwischen den Weitere Unterstützung für die Anker-Hypo- D-Mark- und Euro-Preisschätzungen zu beob- these ergab eine Studie in Großbritannien. achten (Jonas et al., 2002b). In einer neueren Da die Preise in Pfund mit kleineren Zahlen Untersuchung haben Marques und Dehaene verbunden sind als die Preise in Euro, sollte es (2004) gezeigt, dass auch in Portugal und entsprechend der Anker-Hypothese zu einem Österreich die Preisschätzungen in der neuen umgekehrten Anker-Effekt kommen. Im Einklang Währung Euro mit der Zeit akkurater wurden. mit dieser Hypothese ergaben sich niedrigere Demnach werden heutige Preisschätzungen Preisschätzungen in Euro als in Pfund (Jonas in Euro vermutlich kaum noch von den alten et al., 2002c). D-Mark-Preisen beeinflusst. Die Wahrnehmung von Euro-Preisen wird also von den vergangenen D-Mark-Preisen beeinflusst. Allerdings: Der Anker-Effekt hat 14
5 Fazit deshalb, wie sich gezeigt hat, übertrieben wahr- genommen. Zwar haben verschiedene Anbieter im Einzelhandel und Dienstleistungsgewerbe bei In der Wirtschafts- und Sozialpsychologie wird der Gelegenheit sicherlich ihre Preise deutlich oft beklagt, dass sich diese Wissenschaft zu erhöht. Jedoch übersteigt die Wahrnehmung wenig mit aktuellen, tagespolitischen Themen in der Bevölkerung das reale Ausmaß der Preis- beschäftigt. Wie die Forschung rund um die änderungen. Einführung des Euro und die damit verbun- denen psychologischen Konsequenzen zeigt, Ein anderes psychologisches Phänomen, das kann psychologisches Grundlagenwissen aber bei der Währungsumstellung eine Rolle spielte, durchaus erweitert und auf aktuelle Themen ist die sogenannte Euro-Illusion. Sie tritt bei der angewendet werden. Diese Verbindung von Umrechnung von D-Mark- und Euro-Beträgen tagespolitischen Themen und der Überprüfung auf. Personen achten eher auf den Nominalwert der wissenschaftlichen Theorien ist ein frucht- eines Betrags und weniger auf den tatsäch- bares Feld – es entstehen aktuelle Beiträge zu lichen Wert. So werden selbst exakt umgerech- gesellschaftlichen Debatten. nete Preise in D-Mark als höher wahrgenommen als in Euro, da die Euro-Zahl nur etwa die Hälfte Diese Einmischung vonseiten der Psychologie der D-Mark-Zahl beträgt. Weil die Preise wegen ist gerade in der Euro-Debatte sinnvoll. Die der kleinen Euro-Zahl zu niedrig erschienen, Währungsumstellung ist nämlich keineswegs nahmen die Deutschen einen Aufschlag vor. nur ein ökonomisches Thema. Die Einführung Jedoch gewöhnten sie sich relativ schnell an des Euro hatte auch bedeutsame psycho- die Euro-Beträge, sodass dieser Anker-Effekt logische Konsequenzen. Die Euro-Einführung mit zunehmender Gewöhnung an den Euro sel- hat die Einstellung der Bevölkerung gegenüber tener auftrat oder sogar ganz verschwunden ist. ihrer Währung verändert, sie hat Erwartungen Neben diesen Ergebnissen zeigten die verschie- und Befürchtungen geweckt. Diese haben die denen Studien zur Euro-Einführung auch: Die Einschätzung von Preisänderungen beeinflusst Einstellung der Deutschen dem Euro gegenüber und typische Umrechnungsfehler zwischen hat sich mit der Zeit gebessert. D-Mark und Euro bewirkt. Die Währungs- umstellung ist inzwischen mehrere Jahre her – einige Verzerrungen in der Wahrnehmung der Preisänderungen dauern aber an. Und noch immer würden viele Deutsche – vor die Wahl gestellt – die D-Mark dem Euro vorziehen. Das liegt vor allem an den vermeintlichen Preisstei- gerungen, die schon vor der Einführung des Euro regelrecht erwartet wurden. Die tatsäch- lichen Preiserhöhungen haben die Deutschen 15
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Anhang DM-Speisekarte in Abbildung 3 den verwendeten Studien Wie lässt sich der Einfluss von Erwartungen auf die Preisschätzung messen? in DM PIZZAS 1 Margherita mit Tomaten und Käse 8,90 Zum Design des Speisekarten-Experiments: 2 Funghi mit Tomaten, Käse und Cham- Die Methodik der Studien zur Wahrnehmung pignons 10,15 der Preisveränderung wird im Folgenden am 3 Prosciutto mit Tomaten, Käse, Form- Beispiel von Greitemeyer et al. (2002) darge- vorderschinken 11,45 stellt. Die Probanden erhielten zwei Speisekar- 4 Hawaii mit Tomaten, Käse, Ananas und Schinken 12,60 ten – eine stammte aus der Zeit direkt vor der 5 Regina mit Tomaten, Käse, Cham- Einführung des Euro (D-Mark-Preise), während pignons, Schinken und Peperoni 12,60 die andere nach der Einführung des Euro ver- 6 Shrimps mit Tomaten, Käse, Champig- nons und Shrimps 14,45 wendet wurde. 7 Quattro Stagioni mit Tomaten, Käse, Artischocken, Oliven und Peperoni 16,85 Nach einer allgemeinen Begrüßung der Ver- 8 Calzone mit Tomaten, Käse, Champig- suchsteilnehmer erhielten sie zunächst die nons, Salami, Schinken und Peperoni 18,50 SALATE D-Mark-Speisekarten zusammen mit der Infor- 10 Salat Italia mit Schafskäse, Peperoni mation, sie stammten aus einem italienischen und Zwiebeln 10,15 Restaurant in München und seien dort bis zum 11 Chefsalat Nach Art des Hauses 12,65 31. Dezember 2001 verwendet worden. Die Kar- SUPPEN ten wurden zwar von uns angefertigt, allerdings 20 Tomatensuppe 6,80 nach der Vorlage einer Original-Speisekarte. Die 21 Zwiebelsuppe 7,50 Original-Preise haben wir zum Teil verändert. 22 Minestrone 10,65 Die Speisekarte enthielt insgesamt 21 Gerichte NUDELN (Abbildung 3). 30 Lasagne mit Käse überbacken 16,85 31 Tortellini in Schinken-Sahnesauce 14,45 Die Probanden gaben an, welche Speisen sie 32 Spaghetti Bolognese mit Fleischsauce 11,45 33 Spaghetti Carbonara mit Schinken, bei einem Besuch dieses Restaurants aus- Sahne und Ei 12,65 wählen würden. Außerdem wurden sie nach 34 Rigatoni mit verschiedenen Käsen ihrer Erwartung gefragt, wie sich ihrer Ansicht (Mozzarella, Gorgonzola, Edamer) 18,50 nach der Durchschnittspreis der Speisen bei DESSERT der Umstellung der Speisekarte auf die Euro- 40 Tiramisu (hausgemacht) 7,50 Währung prozentual verändert hat. Zur Orien- 41 Eisbecher (Vanille, Schoko und Nuss) 8,90 42 Spaghetti Eis tierung wurde den Versuchspersonen gesagt, (Vanille und Himbeersauce) 8,20 dass +50 Prozent bedeuten würde, die Preise Eigene Zusammenstellung wären um die Hälfte gestiegen. 0 Prozent würde 18
heißen, die Preise hätten sich nicht verändert, Euro-Speisekarte in Abbildung 4 während bei – 50 Prozent die Preise um die den verwendeten Studien Hälfte gesunken wären. Daraufhin erhielten die Teilnehmer die Euro-Speisekarte mit den glei- in Euro chen 21 Gerichten und der Information, dass PIZZAS diese Karte in demselben Restaurant ab dem 1 Margherita mit Tomaten und Käse 5,46 1. Januar 2002 verwendet wurde (Abbildung 4). 2 Funghi mit Tomaten, Käse und Cham- pignons 4,15 3 Prosciutto mit Tomaten, Käse, Form- Die Testteilnehmer wählten wiederum Speisen vorderschinken 5,85 aus. Danach gaben sie an, um wie viel Prozent 4 Hawaii mit Tomaten, Käse, Ananas und sich die Preise aller Speisen bei der Umstellung Schinken 7,09 der Speisekarte auf die Euro-Währung nach 5 Regina mit Tomaten, Käse, Cham- pignons, Schinken und Peperoni 5,80 ihrer Schätzung verändert haben. Zur Erläute- 6 Shrimps mit Tomaten, Käse, Champig- rung dieser Frage wurden den Probanden die nons und Shrimps 5,91 gleichen Beispiele wie zuvor gegeben, wobei 7 Quattro Stagioni mit Tomaten, Käse, Artischocken, Oliven und Peperoni 9,91 ihnen die D-Mark-Speisekarte zum Vergleich 8 Calzone mit Tomaten, Käse, Champig- weiterhin vorlag. nons, Salami, Schinken und Peperoni 11,35 SALATE Tatsächlich lagen die Euro-Preise im Durch- 10 Salat Italia mit Schafskäse, Peperoni und Zwiebeln 6,23 schnitt entweder um 15 Prozent über den 11 Chefsalat Nach Art des Hauses 6,47 D-Mark-Preisen oder blieben unverändert. Die SUPPEN Preisentwicklung der verschiedenen Speisen 20 Tomatensuppe 3,48 wurde dabei variabel gestaltet. In der Bedin- 21 Zwiebelsuppe 3,26 gung „0 Prozent Preisänderung“ beispielsweise 22 Minestrone 5,45 wurde jede Preissteigerung eines Gerichts von NUDELN einer identischen Preissenkung eines anderen 30 Lasagne mit Käse überbacken 7,32 Gerichts begleitet. Zudem erhielten einige Pro- 31 Tortellini in Schinken-Sahnesauce 8,87 banden einen Anreiz für genaue Schätzungen, 32 Spaghetti Bolognese mit Fleischsauce 5,85 andere dagegen nicht. In der „Anreiz vorhan- 33 Spaghetti Carbonara mit Schinken, Sahne und Ei 6,47 den“-Bedingung wurde den Testteilnehmern 34 Rigatoni mit verschiedenen Käsen mitgeteilt, dass die fünf Probanden, welche die (Mozzarella, Gorgonzola, Edamer) 7,57 Preisänderung am genauesten einschätzen, DESSERT jeweils zwei Kinogutscheine erhalten werden. In 40 Tiramisu (hausgemacht) 4,41 der „Anreiz nicht vorhanden“-Bedingung wur- 41 Eisbecher (Vanille, Schoko und Nuss) 3,64 den die Versuchspersonen darüber informiert, 42 Spaghetti Eis (Vanille und Himbeersauce) 4,19 dass die Kinogutscheine unter allen Teilnehmern – unabhängig von ihrem Schätzergebnis – Eigene Zusammenstellung verlost werden. 19
Die Autoren PD Dr. Tobias Greitemeyer, geboren 1969 in Tübingen; wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl für Sozial- und Wirtschaftspsychologie der Ludwig-Maximilians-Universität München; Arbeitsschwerpunkte: Entscheidungen in Gruppen, Informationsverarbeitungsprozesse, pro- und antisoziales Verhalten. Dr. phil. Eva Traut-Mattausch, geboren 1974 in Offenbach; Ausbildung zur Bankkauffrau; Studium der Psychologie und der Betriebswirtschaft in München und Promotion in München; seit 2001 wissenschaftliche Mitarbeiterin und Assistentin am Lehrstuhl für Sozial- und Wirtschaftspsycho- logie der Ludwig-Maximilians-Universität München; Arbeitsschwerpunkte: Psychologie des Geldes, Überwindung von Widerständen gegen politische Reformen und Veränderungen in Organisationen, Innovations- und Ideenmanagement sowie förderliche Faktoren für die Karriere von weiblichen Führungskräften. Prof. Dr. Dieter Frey, geboren 1946 in Baiersbronn; Studium der Sozialwissenschaften in Mann- heim und Hamburg; 1978–1993 Professur für Sozial- und Organisationspsychologie an der Uni- versität Kiel; 1998–1999 Theodor-Heuss-Professor an der Graduate Faculty der New School for Social Research in New York; seit 1993 Professor für Sozial- und Wirtschaftspsychologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München; Arbeitsschwerpunkte: Sozialpsychologie, Organisations- psychologie, Wirtschaftspsychologie; Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Akademischer Leiter der Bayerischen Eliteakademie, Dekan der Fakultät für Psychologie und Pädagogik der Ludwig-Maximilians-Universität München. 20
© 2008 ROMAN HERZOG INSTITUT e. V. ISSN 1863-4834 / ISBN 978-3-941036-00-0 Herausgeber: ROMAN HERZOG INSTITUT e. V. Max-Joseph-Straße 5 80333 München www.romanherzoginstitut.de Redaktion: Thilo Großer Gestaltung und Produktion: edition agrippa, Köln · Berlin Fotos: action press, dpa, JOKER, Ullstein Die Studie ist beim Herausgeber kostenlos erhältlich.
Nr. 7 Information Tobias Greitemeyer / Eva Traut-Mattausch / Dieter Frey PSYCHOLOGISCHE KONSEQUENZEN der Euro-Einführung ISSN 1863-4834 / ISBN 978-3-941036-00-0
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