EINE WELT - LEBEN MIT DER KLIMAKRISE KAMBODSCHA
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EINE WELT NR. 3 / SEPTEMBER 2021 Das DEZA-Magazin für Entwicklung und Zusammenarbeit www.eine-welt.ch LEBEN MIT DER KLIMAKRISE Zwischen Dürre und Überschwemmung KAMBODSCHA Schwierige Abhängigkeit MEDIKAMENTE Schnellere Zulassung dank internationaler Zusammenarbeit
INHALT DOSSIER HORIZONTE FORUM KLIMA-RESILIENZ KAMBODSCHA 8 Zwischen Dürre und Überschwemmung: 20 Kambodschas schwierige Abhängigkeit 34 Die falschen Sprachen Leben mit der Klimakrise Das Land in Südostasien steht unter Allzu oft scheitert die Kommunikation in Zunehmende Klimaschocks bedrohen das starkem Einfluss von China und entwickelt der Internationalen Zusammenarbeit an Leben von Millionen Menschen im globalen sich immer mehr zu einer Autokratie mangelhaften Übersetzungen Süden 24 37 13 Aus dem Alltag von… Das lange Warten «Die Verletzlichsten erhalten viel zu wenig Va Ros, Programmverantwortlicher Carte blanche: Die Kambodschanerin Unterstützung» Berufsbildung im Kooperationsbüro in Bopha Phorn über die Menschenrechts Maarten van Aalst, Direktor des «Climate Phnom Penh situation in ihrer Heimat Centre» des Roten Kreuz, im Interview 25 16 Die Frau mit der leuchtend grünen Jacke Widerstandsfähiger dank Kakaopulpe und Ines Sothea über Geschichten, die gleich KULTUR Photovoltaik um die Ecke liegen Ein Schweizer Start-up-Unternehmen generiert auf Kakaoplantagen in Ghana aus Abfall Mehreinkommen DEZA 18 38 Klimaresilienter Kaffee schützt Wald Damit Kleinbauern nicht mehr Wälder abholzen müssen, verhilft ihnen ein multilaterales Projekt zu alternativen Einkommensquellen Toleranz durch Tanz in Kigali Ein Tanzfestival in der Hauptstadt 19 26 Ruandas fördert den Dialog, den kulturellen Austausch und die Toleranz in Facts & Figures einer konfliktgeprägten Region Gemeinsam Medikamente schneller zulassen Swissmedic, DEZA, WHO und afrikanische Partner arbeiten gemeinsam an einem verbesserten Zugang zu Medikamenten EINE WELT im Internet: und beschleunigten Zulassungsverfahren www.eine-welt.ch www.un-seul-monde.ch www.un-solo-mondo.ch 30 www.one-world-magazine.ch Mit aktivem Chlor gegen Corona In Burkina Faso stellen Gesundheits zentren ein Desinfektionsmittel mit Geräten aus der Schweiz her 3 Editorial Die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA), die Agentur der internationalen Zusam- 4 Periskop menarbeit im Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA), ist Herausgeberin 32 28 Standpunkt von Bundesrat Ignazio Cassis von «Eine Welt». Die Zeitschrift ist aber keine offizi- Das Leben nach den Minen 29 Einblick DEZA elle Publikation im engeren Sinn; in ihr sollen auch Was passiert mit Menschen, die in Kroatien 41 Service andere Meinungen zu Wort kommen. Deshalb geben Opfern von Minenunfällen geworden sind? 43 Fernsucht mit Vito Robbiani nicht alle Beiträge notwendigerweise den Standpunkt der DEZA und der Bundesbehörden wieder. Eine Studie gibt erstmals Einblicke 43 Impressum 2 EINE WELT 03/2021
EDITORIAL RECHTZEITIG HANDELN FÜR UNSERE ZUKUNFT treme Armut treiben dürfte. Für die besonders gefähr- deten Länder mit niedrigen und mittleren Einkommen ist die Situation vielleicht noch schlimmer, weil sie am wenigsten Ressourcen haben, um mit den Auswirkun- gen des Klimawandels fertigzuwerden, so Dr. Maarten van Aalst, Direktor des Rotkreuz Klimazentrums im Interview (siehe Seite 13). © DEZA Die Erde hat sich bereits um mehr als 1 °C erwärmt. Schon jetzt zeigt sich, dass intensive Anstrengungen Durch die Luftverschmutzung in Neu-Delhi gehörten erforderlich sind, um bereits bestehende Auswirkun- Gesichtsmasken zu meinem Leben, lange bevor sie gen in den Griff zu kriegen und sich gegen künftige wegen Covid-19 weltweit das Alltagsbild bestimmten. Gefahren zu wappnen. Um eine Klimaresilienz auf- Die Fotos von Millionen von Migrantinnen und Migran- bauen zu können, müssen Regierungen und Unter- ten, die trotz Lockdown verzweifelt versuchten, die nehmen in der Lage sein, die verschiedenen Risiken zu indischen Städte zu verlassen, führten mir die Realität antizipieren, sich vorzubereiten und im Bedarfsfall zu von Covid-19 vor Augen. Zur Pandemie kamen Über- reagieren mit dem Ziel, unvermeidliche negative Aus- schwemmungen und Wirbelstürme, die die Verletz- wirkungen abzufedern und gleichzeitig die Nachhal- lichkeit der armen Landbevölkerung noch deutlicher tigkeit der Ökosysteme zu verbessern. machten. Betroffen waren 20 Millionen Menschen, die wirtschaftlichen Verluste betrugen im Jahr 2020 an In der internationalen Zusammenarbeit setzt die die 20 Milliarden US-Dollar. Während Indiens Politiker, Schweiz vor allem auf die Abschwächung des Klima- Politikerinnen und Entwicklungsstrategen darum wandels und die Anpassung an klimatische Verän- kämpfen, Leben zu retten und die angeschlagene derungen. Sie stellt wissenschaftliches und techni- Wirtschaft anzukurbeln, mehren sich die warnenden sches Know-how und Innovationen zur Verfügung, Stimmen. Wir dürfen uns durch die Pandemie nicht von um weltweit die Kapazitäten zu stärken und politi- einer Herausforderung ablenken lassen, die potenziell sche Rahmenbedingungen für klimagerechte und weitaus schwerwiegendere und langfristigere Aus- risikoresiliente Massnahmen zu ermöglichen. Mit der wirkungen haben könnte: dem Klimawandel. indischen Regierung arbeitet die Schweiz an einer klimaresistenten Planung und an Massnahmen für Fast alle Länder der Welt haben sich mit der Klima- den Himalaya und die schnell wachsenden indischen rahmenkonvention der Vereinten Nationen (UNFCCC) Städte. verpflichtet, die globale Erwärmung auf deutlich unter 2 °C über dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen. In dieser Ausgabe erfahren Sie mehr über das Engage- Mangels konzertierter, wirkungsvoller Massnahmen ment der Schweiz. Zum Beispiel über das «Somali ist es jedoch nicht gelungen, den Klimawandel und Resilience Program», ein Projekt an der Schnittstelle seine Auswirkungen zu verlangsamen. zwischen Klimaresilienz und humanitärer Hilfe, oder über das Schweizer Start-up-Unternehmen «Koa», Dieser «Krisenmultiplikator» hinterlässt zusammen mit das innovative Anwendungen erneuerbarer Energien der wachsenden Bevölkerung jedes Jahr einen grös- zur Steigerung des lokalen Einkommens testet. Pro- seren Fussabdruck in Indien. Das Land liegt auf Platz jekte, die zum Nachdenken anregen. Wie können wir fünf der durch den Klimawandel am meisten gefähr- gemeinsam an der Klimaresilienz von unserem Plane- deten Länder. Dürren und Hitzewellen nehmen zu, Wir- ten und von uns Menschen arbeiten? belstürme und Überschwemmungen werden häufiger und heftiger, in den Städten fehlt es an Wasser. Diese Divya Sharma Faktoren führen dazu, dass der Klimawandel bis 2030 Fachberaterin für Klima-und Umweltfragen im weitere 45 Millionen Inderinnen und Inder in die ex- Kooperationsbüro New Delhi EINE WELT 3/2021 3
PERISKOP einer Mülldeponie in Kampala gesammelt, gewaschen, zugeschnitten und zu Jacken, Brieftaschen oder Hüten verarbeitet. Bekannt wurde das Unternehmen letztes Jahr durch das Design von wiederverwertbaren und waschbaren Gesichtsmasken. Darunter auch solche mit transparenter Folie, so dass es hörbehinderten Menschen trotz Pandemie möglich blieb, Lippen zu lesen und an Gesprächen teil- zunehmen. Mittlerweile hat das Jungunternehmen über © Frazer Solar 2000 Masken verkauft und über 500 an Menschen mit Hörbehinderungen, Marktverkäuferinnen und Gesund- heitspersonal in Kampala verteilt. Im Frühling 2021 gewann WARMES WASSER DANK COVID «Kimuli Fashionability» für sein Engagement einen Covid-19-Innovationspreis der NGO «Save the Children». (cz) Vor der Covid-19-Pandemie hatte keine der staatlichen www.instagram.com/kimulifashionability Gesundheitskliniken in Eswatini (früher Swasiland) flies- send heisses Wasser für die Patientinnen und Patienten. Um die Pandemie einzudämmen und die Hygienebedin- gungen zu verbessern, hat sich das geändert: Innert neun SCHULE AUS DEM 3D-DRUCKER Monaten konnten im Rahmen eines Solarsanitärprojekts (cz) In Madagaskar soll die erste von einem 3D-Drucker alle 92 Kliniken des Landes mit heissem Wasser versorgt produzierte Schule entstehen. Das Gebäude der NGO «Thin- werden. «Darunter sind Orte, von denen wir nie geträumt king Huts» kann innerhalb einer Woche erstellt werden hätten, dass sie heisses Wasser haben würden», sagt Liz- und ist deutlich günstiger als herkömmliche Schulen. zie Nkosi, Ministerin für Gesundheit. Vor den Kliniken wur- Die Schule soll aus Betonaggregat sowie lokal verfügbaren den Warmwasserstationen mit solarbetriebenen Tanks Baumaterialien bestehen und Platz für bis zu 20 Personen eingerichtet, die kaltes Wasser aus der Leitung beziehen. bieten. Falls das Pilotprojekt in der Stadt Fianarantsoa Das System benötigt keinen Strom und keine beweglichen erfolgreich ist, will die Organisation weitere Gebäude im Teile, weshalb während 20 Jahren keine Wartung erfor- ganzen Land erstellen. Laut «Thinking Huts» gehen in derlich sein sollte. Rund 10 000 Menschen profitieren täg- Madagaskar mehr als eine Million Kinder aufgrund man- lich von der Neuerung. gelnder Kapazitäten und langer Distanzen nicht zur Schule. www.thinkinghuts.org INNOVATIVE MASKEN 10 MILLIARDEN BÄUME (sch) Weil oft das Geld für neuen Stoff fehlte, nutzte die (cz) Saudi-Arabien will in den nächsten Jahrzehnten zehn modebegeisterte Uganderin Juliet Namujju schon früh Milliarden Bäume pflanzen, um Kohlenstoffemissionen Abfall, um neue Kleider zu schneidern. Heute ist sie zu reduzieren sowie Umweltverschmutzung und Boden Gründerin und CEO des Sozialunternehmens «Kimuli erosion zu bekämpfen. Zusätzlich möchte das repressive Fashionability», das Plastikabfälle zu Kleidern und Königreich mit anderen arabischen Staaten zusammen- Mode-Accessoires aufwertet. Dazu werden Rohstoffe auf arbeiten, um weitere 40 Milliarden Bäume zu pflanzen. Laut Kronprinz Mohammed bin Salman wäre dies das grösste Aufforstungsprogramm der Welt. Die Aktion ist Teil einer saudischen Kampagne, die auch zum Ziel hat, bis 2030 50 Prozent der benötigten Energie aus erneuerbaren Quellen zu gewinnen. Wie das ehrgeizige Bepflanzungs- projekt in einem Land mit begrenzten Wasserressourcen durchgeführt werden soll, wurde nicht bekannt gegeben. COVID-19 BREMST GLEICHSTELLUNG (zs) Die Gesundheitskrise hat laut der Jahresstudie des © Kimuli Fashionability Weltwirtschaftsforums die Fortschritte bei der Gleich- stellung der Geschlechter um mehr als eine Generation zurückgeworfen. 36 weitere Jahre wird es dauern, um die 4 EINE WELT 3/2021
PERISKOP Lücken in Politik, Wirtschaft, FERNSICHT mit Marco De Angelis (Italien) Gesundheit und Bildung zu schliessen. Weltweit wird es noch 135 Jahre dauern, bis die Gleichstellung erreicht ist. Die Pandemie hat die Doppelbelas- tung der Frauen bei Erwerbs- und Familienarbeit erhöht. Ausser- dem wurden weniger Stellen neu besetzt, was die Aussicht auf eine Anstellung in leitender Position schmälerte. Auch in der Politik hat sich der Graben vertieft. Während es in mehr als der Hälfte der 156 untersuchten Länder eine Verbesserung gab, haben Frauen weltweit nur 26.1 Prozent der Parlamentssitze und 22.6 Prozent der Ministerposten inne. Island ist zum zwölften Mal in Folge das egalitärste Land der Welt, gefolgt von Finnland und Norwegen. Die Schweiz liegt auf dem zehnten Platz. An letzter Stelle steht Afghanistan, gefolgt von Jemen und Irak. www.weforum.org WASSERSTRESS: KINDER ALS ERSTE OPFER (zs) Weltweit hat laut Unicef jedes fünfte Kind zu wenig Wasser. Mehr als 1,42 Milliarden Men- schen, darunter 450 Millionen Kinder, leben in Gebieten mit hohem oder sehr hohem Wasser- stress. Diese Analyse entstammt der Initiative «Water Security for All», die zur Mobilisie- rung internationaler Ressourcen zugunsten der Kinder in verletzlichen Regionen aufruft. Sie dokumentiert Gebiete, in denen Wasserknappheit mit einer schlechten Wasser- versorgung einhergeht. Am gravierendsten ist die Situation im östlichen und südlichen Afrika, wo über die Hälfte der Kinder keinen genügenden Zugang zu Wasser haben. Es folgen West- und Zentralafrika (31 Prozent), Südasien und der Mittlere Osten (23 Prozent). 37 Länder, darunter Afghanistan, Burkina Faso, Äthiopien, Haiti, Pakistan und © Meridith Kohut/NYT/Redux/laif Jemen, haben schwerwiegende Probleme. «Die weltweite Wasserkrise ist bereits da», unterstreicht Unicef-Gene- raldirektorin Henrietta Fore, «und der Klimawandel wird sie noch verschärfen. Kinder sind die ersten Opfer.» www.unicef.org EINE WELT 3/2021 5
DOSSIER KLIMA-RESILIENZ Herausfordernde Bedingungen erfordern vertieftes Wissen: Im Rahmen des Somrep-Projekts in Somalia erhalten Bäuerinnen und Bauern eine Weiterbildung in landwirtschaftlichen Anbautechniken. © Coopi 6 EINE WELT 3/2021
DOSSIER KLIMA-RESILIENZ DOSSIER KLIMA-RESILIENZ ZWISCHEN DÜRRE UND ÜBERSCHWEMMUNG: LEBEN MIT DER KLIMAKRISE SEITE 8 «DIE VERLETZLICHSTEN ERHALTEN VIEL ZU WENIG UNTERSTÜTZUNG» SEITE 13 WIDERSTANDSFÄHIGER DANK KAKAOPULPE UND PHOTOVOLTAIK SEITE 16 KLIMARESILIENTER KAFFEE SCHÜTZT WALD SEITE 18 FACTS & FIGURES SEITE 19 EINE WELT 3/2021 7
DOSSIER KLIMA-RESILIENZ ZWISCHEN DÜRRE UND ÜBERSCHWEMMUNG: LEBEN MIT DER KLIMAKRISE Zunehmende Klimaschocks bedrohen das Leben von Millionen Menschen im globalen Süden. Sie haben am wenigsten zur globalen Erhitzung beigetragen, leiden jedoch heute schon am stärksten darunter – so auch in Somalia. Beispielhaft zeigt dort ein breit abgestütztes Projekt mit Beteiligung der Schweiz, wie humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit ineinandergreifend die Verletzlichsten dabei unterstützen, sich an die neue Klimarealität anzupassen. Text: Samuel Schlaefli Kevin Mackey arbeitet seit 14 Jahren Somalia steckt seit 30 Jahren in einer in Somalia. Während seiner Arbeit politischen Krise. Nach dem Sturz des als Programmkoordinator für die in- Diktators Siad Barre versank das Land ternationale NGO «World Vision» in 1991 in einem blutigen Bürgerkrieg. In- Mogadischu ist er oft mit bis zu sechs nenpolitische Konflikte und der Kampf Wächtern in einem gepanzerten Fahr- zwischen der Zentralregierung und der zeug unterwegs. Bombenanschläge auf militanten islamistischen Miliz al-Sha- Hotels und Konferenzzentren sind in baab, die weite Teile von Somalias Süden der Hauptstadt Somalias keine Selten- kontrolliert, dauern bis heute an. 2020 heit. Kevin Mackey bringt so schnell kam die Covid-19-Pandemie hinzu, die nichts mehr aus der Ruhe. Auch nicht, den isolierten Staat am Horn von Afrika dass das Land seit Februar wieder ein- vor allem wirtschaftlich hart traf. mal ohne offizielle Regierung ist, nach- dem Präsident Mohamed Abdullahi Weitere wichtige Stressfaktoren für die Mohamed, auch Farmajo genannt, sich über 15 Millionen Somalierinnen und weigerte, seinen Platz zu räumen. Die Somalier sind Wetter und Klima. Seit angekündigten Wahlen waren schlicht 1990 hat das Land mehr als 30 klima- versäumt worden. bezogene Katastrophen erlebt, darunter 12 Dürren und 19 Überschwemmungen Was Kevin Mackey jedoch Sorgen be- unterschiedlicher Intensität – das sind reitet, ist der Blick auf eine Landkarte dreimal so viel wie während der Zeit- Somalias, auf der die meisten Regionen spanne von 1970 bis 1990. Als Kevin Ma- orange eingefärbt sind. Die Farben zei- gen, wie bedroht die Ernährungssicher- heit ist. Orange ist Stufe 3 auf der 5er- Skala und steht für «Krise», zwei Stufen vor der «Hungersnot». «Wir laufen auf eine verheerende Phase zu, wenn wir Sorgfältiger und effizienter Umgang mit kostbarer Ressource: Kanäle nicht bald handeln und mehr huma- und Rinnen ermöglichen eine nitäre Hilfe leisten», sagt Kevin Mackey verbesserte Wassernutzung. besorgt. © Coopi 8 EINE WELT 3/2021
DOSSIER KLIMA-RESILIENZ ckey im April auf die Landkarte schaut, kam zu spät und erreichte aufgrund und Landwirtschaftsorganisation der bahnt sich gerade eine weitere Dürre an: der tobenden Kämpfe im Land die am Vereinten Nationen (FAO) für Somalia Die Regenfälle zwischen Oktober und stärksten betroffene Landbevölkerung erhebt, fliessen heute in ein nationa- Dezember waren unterdurchschnittlich kaum. Deshalb starteten verschiedene les Frühwarnsystem, mit dem Dürren, und Prognosen für die zweite Regenzeit NGOs in Somalia gemeinsam ein lang- Überschwemmungen und Hitzewellen zwischen April und Juni sind düster. fristiges Projekt an der Schnittstelle prognostiziert werden. Das alleine ge- zwischen humanitärer Hilfe und Ent- nügt jedoch nicht: «Am Ende sind es wicklungszusammenarbeit. Ziel des die Menschen in den einzelnen Regi- Wirkungsvolles nationales «Somali Resilience Program» (Somrep) onen, welche ihr Land bestellen», sagt Frühwarnsystem bis heute ist, die Widerstandsfähigkeit Kevin Mackey. «Sie müssen etwas mit der Landbevölkerung gegenüber Klima- diesen Daten anfangen können.» Dafür Kevin Mackey weiss, wieviel mensch- schocks zu stärken. «Wenn ein Bauer wurden durch Somrep landesweit über liches Leid die Kulmination von Krieg, aus Verzweiflung Pickel und Hacke ver- 100 sogenannte Frühwarnkomitees ge- fehlender Regierung und klimatischen kauft und in die Stadt zieht, ist es sehr gründet. Deren Mitglieder sind darin Schocks anrichten kann: «Als ich 2008 schwierig – und teuer – ihn später wie- geschult, die Klima- und Wetterdaten, nach Somalia kam war die Situation be- der aufs Land zurückzubringen», sagt die ihnen von den regionalen Behörden reits furchtbar – und mit der Dürre und Kevin Mackey, der das Programm heute übermittelt werden, richtig zu inter- Hungersnot von 2011 wurde sie noch viel vor Ort betreut. pretieren und darauf basierend Anpas- schlimmer.» 260 000 Menschen starben sungsstrategien zu entwickeln. damals an Unterernährung; die Hälfte Eine wichtige Komponente des Som- davon waren Kinder unter fünf Jahren. rep ist die Frühwarnung. Wetter und Bäuerinnen und Bauern kennen Wet- Die internationale humanitäre Hilfe Klimadaten, welche die Ernährungs- ter und Klima in ihrer Region bestens. WIDERSTANDSFÄHIGER GEGEN SCHOCKS Nach der Hungersnot von 2011 initiierten in Somalia aktive NGOs gemeinsam das langfristige und breit angelegte Programm «Somali Resilience Program» (Somrep). Dieses arbeitet an der Schnittstelle zwischen humanitärer Hilfe und Entwick- lungszusammenarbeit. Finanziert wird Somrep heute durch die EU, Deutschland, Schweden, USA, Australien und die Schweiz. Letztere wird in der Periode 2020 bis 2023 rund 15 Prozent der Gesamtkosten von 102 Millionen US-Dollar tragen. Das Programm stärke die Kapazitäten der Men- schen auf drei Ebenen, erklärt Dorothee Lötscher, Programm- verantwortliche für das Horn von Afrika bei der DEZA: «Sie können Schocks besser absorbieren, sich besser an solche anpassen und durch gesellschaftliche Veränderungen ihre Resilienz längerfristig ausbauen.» Dabei setze man stark auf die Zusam- menarbeit mit lokalen Behörden und der Diaspora. www.somrep.org EINE WELT 3/2021 9
DOSSIER KLIMA-RESILIENZ Im Rahmen eines Treffens der lokalen Spar- und Kreditvereinigung Dieses Wissen fliesst ebenfalls in die werden unter den beteiligten Frauen regelmässig Gelder Notfallszenarios ein. «Unsere Erfah- eingesammelt und verteilt. rung zeigt: Die Dorfbevölkerung re- © Coopi GLOBAL VERNETZT INNOVIEREN agiert heute schneller und weiss, was zu Das «Somali Response Innova- tion Lab» (Somril) ist Teil eines tun ist, wenn sich ein Sturm oder eine globalen Netzwerks von Innova- Dürre anbahnt», sagt Kevin Mackey. tionslaboren, die in Konfliktge- Zum Beispiel reinigen sie vor starkem bieten die humanitäre Hilfe und Regenfall Abwasserkanäle und graben Entwicklungszusammenarbeit Rinnen, damit das Wasser besser aus schwemmungen führen – auch weil der mit Forschung, Ideen und Kontak- den Dörfern und von den Feldern ablau- trockene Boden kein Wasser mehr auf- ten unterstützen. In Somalia gehört das Labor zu Somrep und fen kann. zunehmen vermag. unterstützt die involvierten NGOs mit Forschung und Entwicklung. Hinzu kommen Praktiken der Bevöl- Zu Beginn der Covid-19-Pandemie Erodierte Böden, steigende kerung, welche die Klimakrise weiter wurde das Somril zur zentralen Temperaturen verschärfen: Für die Herstellung von Stelle für die Pandemiebekämp- fung in Somalia. Noch bevor das Holzkohle – für den Eigengebrauch Coronavirus im Land nachge- Laut den letzten für Somalia verfüg- zum Kochen mangels Alternativen wiesen wurde, hatte das Team in baren Klimadaten aus dem Jahr 2013 oder für den lukrativen Export nach Zusammenarbeit mit internatio- sind die durchschnittlichen Tempera- Kenia – wurde in den letzten Jahren nalen Forschungspartnern und turen gegenüber der vorindustriellen grossflächig Wald gerodet. Böden ohne dem Gesundheitsministerium die Zeit bereits um 1.5 °C angestiegen. Ohne Vegetationsschutz erodieren und wer- WHO-Anweisungen in die lokalen Sprachen übersetzt und über einschneidende globale Massnahmen den unfruchtbar. Über 70 Prozent der sozialen Medien breit gestreut. könnten diese bis Ende Jahrhundert auf somalischen Bevölkerung leben von Dazu wurden u.a. 19 Kurzvideos bis zu 4.3 °C klettern. Die Konsequen- der Landwirtschaft oder sind Nomaden gedreht, in welchen Puppen Kin- zen sind schon heute spürbar: Lange oder Halbnomaden. Millionen haben in dern und Erwachsenen in ihrer Perioden ohne Regenfälle führen zu den vergangenen Jahren ihre Lebens- Sprache spielerisch erklären, wie sie sich am besten vor einer Dürren und komplett ausgetrockneten grundlagen – den Boden oder die Tiere Ansteckung schützen. Böden. Darauf folgen oft kurze, dafür verloren. Alleine während der Dürre responseinnovationlab.com umso stärkere Regenfälle, die zu Über- 2016/17 verendeten in stark betroffenen 10 EINE WELT 3/2021
DOSSIER KLIMA-RESILIENZ Gebieten bis zu 60 Prozent der Herden. und sein Team aktuell auch am Aufbau beim Aufbau von Trinkwasserinfra- Die Folge: Die Menschen wandern in die einer indexbasierten Versicherung für strukturen. Mit dem Lohn können sie Städte ab oder schliessen sich mangels den Tierbestand. Die Versicherung soll sich neue Tiere kaufen. Alternativen der al-Shabaab an. Bei- an Klima- und Wetterprognosen gekop- nahe drei Millionen Somalierinnen pelt sein, so dass bei einer herannahen- «Das kostet uns pro Person monatlich und Somalier sind heute Flüchtlinge den Krise frühzeitig Gelder ausbezahlt 84 US-Dollar», sagt Mackey. «Eine Tier- im eigenen Land. In den improvisierten werden, mit welchen Betroffene Medi- versicherung hingegen kostet basierend Lagern an der Stadtperipherie rekru- kamente, Futter oder Wasser für den auf Erfahrungen aus anderen Ländern tiert die islamistische Miliz regelmässig Viehbestand besorgen können. nur 22 US-Dollar pro Jahr. Das wäre also neue Soldaten. ziemlich ökonomisch». Mit finanzieller Für die Finanzierung will Kevin Ma- Unterstützung der Schweiz wurde im Mehr Widerstandsfähigkeit gegenüber ckey sowohl internationale Geldgeber, Ministerium für Viehwirtschaft bereits unberechenbarem Wetter ist ein ent- die Regierung als auch Private an Bord eine Stelle etabliert, welche dieses Pro- scheidendes Element des Somrep. Seit holen. Eine Versicherung lohne sich für jekt auf administrativer Seite voran- 2013 wurden im ganzen Land 165 Feld- alle, ist er überzeugt. Dazu macht er ei- treibt. Gleichzeitig arbeitet World Vision schulen für Viehzucht und über 600 für nen Vergleich: Viehzüchter, deren Tiere mit dem «Somali Response Innovation die Landwirtschaft aufgebaut. Dort ler- Opfer eines Klimaschocks werden, wird Lab» (siehe Kasten Seite 10) zusammen, nen Viehzüchter wie man die Gesund- als Teil der humanitären Hilfe oft mit um die Privatwirtschaft zu involvieren heit der Tiere sichert oder Futterreser- «Cash for Work»-Programmen gehol- und Prototypen für ein funktionieren- ven rechtzeitig einplant. Bäuerinnen fen. Sie stellen beispielsweise landwirt- des System zu entwickeln. lernen wie man durch Düngung mehr schaftliche Flächen instand oder helfen Ernte erzielt, welche Mais-, Sorghum- und Bohnensorten wenig Wasser be- nötigen und sich deshalb besonders für den Anbau eignen. Oder wie man durch einen Mix verschiedener Saaten das Risiko von kompletten Ernteausfällen minimiert. Hinzu kommt Wissen über Marktmechanismen, damit die Bauern auf dem Markt bessere Preise erzielen können. Gleichzeitig sind solche Feldschulen auch Hubs, um die Tiere – vor allem Zie- gen, Kamele und Schafe – gegen Krank- heiten zu impfen und die Gesundheit der Herden zu garantieren. Dafür wur- den im Rahmen des Somrep beinahe 1400 Veterinärinnen und Veterinäre ausgebildet. Viehzucht ist ein wesentli- cher Bestandteil der somalischen Wirt- schaft, darum arbeiten Kevin Mackey Grossflächige Waldrodungen für die Produktion von Kohle lassen in Somalia die Böden erodieren und verschärfen die Klimakrise (oben). Viehzüchter während einer Weiterbildung: Über 70 Prozent der somalischen Bevölkerung lebt von der Landwirtschaft (links). © Christoph Goedan/laif © Somrep EINE WELT 3/2021 11
DOSSIER KLIMA-RESILIENZ Eine Bäuerin zeigt stolz ihre Zitronen: Ausbildung und Diversifikation erhöhen die Widerstandsfähigkeit gegenüber der Klimarealität. © Somrep IC FORUM SWITZERLAND 2022: ENTWICKLUNG UND DER KLIMAWANDEL Vom 31. März bis 1. April 2022 organisiert die DEZA in Genf zum ersten Mal das International Cooperation Forum Switzerland zu Fragen rund um die Inter- nationale Zusammenarbeit Doch wie sollen Bäuerinnen und Halb- Jahren erreicht worden; die Fähigkeit (IZA) und deren Wirksamkeit bezüglich des Klimawandels. Im nomaden in entlegenen Gebieten in auf Klimaschocks zu reagieren sei heute Zentrum stehen unter anderem Somaliland oder Puntland sich für eine grösser. folgende Fragen: Wie wirkt sich solche Versicherung registrieren? Ge- der Klimawandel in Bezug auf schweige denn die Auszahlungen der Doch mit Blick auf die orange einge- die Zielsetzungen der Agenda Versicherung vor einer Dürre rechtzei- färbte Landkarte, macht ihm die nahe 2030 aus? Welche Rolle soll die IZA im Systemwechsel spie- tig erhalten? «Über ihr Smartphone», Zukunft Sorgen. Somrep umfasse zwar len, der nötig sein wird, um die sagt Kevin Mackey. «Praktisch alle Programmbestandteile, um bei kleine- globale Erhitzung einzudämmen? Menschen in Somalia besitzen heute ren Krisen kurzfristig humanitäre Hilfe Wie müsste sich die IZA selbst ein solches und nutzen bereits ‹Mobile zu leisten. Die aktuelle Dürre und die wandeln, um die nötige Wirkung Money› für ihre Zahlungen.» sich abzeichnende Hungerkatastrophe zu erzeugen? Und wie können übersteige jedoch die Mittel des Pro- Entwicklung und Klimaschutz in Einklang gebracht werden? gramms. Ökonomische und Lesen Sie mehr über das IC Forum soziale Resilienz Das Amt der Vereinten Nationen für Switzerland 2022 in der nächsten die Koordinierung humanitärer An- Ausgabe von EINE WELT. Mit Somrep wurden dörfliche Spar- und gelegenheiten (OCHA) gab Ende April Kreditvereinigungen gegründet, deren bekannt, dass von den 1.09 Milliarden Mitglieder Kredite aufnehmen können, US-Dollar, welche für humanitäre Hilfe um damit zum Beispiel ein kleines Ge- in Somalia voraussichtlich benötigt DER JUGEND- UND schäft zu eröffnen oder Tiere zu kaufen. werden, bislang nur 15 Prozent von in- ZUKUNFTSPREIS DER SCHWEIZ Im Fokus stehen dabei Frauen und Ju- ternationalen Geldgebern zur Verfü- «TOGETHER WE’RE BETTER 2022» Wichtiger Aspekt des IC Forums gendliche, von denen heute über 60 Pro- gung gestellt wurden. Essrationen für Switzerland ist der aktive zent arbeitslos sind. Dieser Zusammen- 400 000 Somalierinnen und Somalier Miteinbezug der Jugend, deren schluss von Dorfbewohnerinnen und mussten aufgrund von fehlenden Gel- Wissen und Engagement für eine -bewohner – inzwischen gibt es 240 – dern bereits halbiert werden. nachhaltige IZA gefördert werden sind aber auch wichtige Treffpunkte sollen. Deshalb suchen DEZA und SECO erneut Projekte, Initiativen und dienen als soziale Netzwerke. Eine Million Kinder sind akut oder stark und Ideen von jungen Menschen unterernährt; 50 000 könnten ohne unter 35 aus der Schweiz, die Frauen organisieren sich untereinander baldige Hilfe sterben. «Wenn die in- zur nachhaltigen Entwicklung und werden wirtschaftlich autonomer ternationale Gemeinschaft nun nicht und Armutsbekämpfung in einem und selbstbewusster, was sie ermutigt, eingreift, dann werden wir sehr viel von Schweizer Partnerland der sich auch in anderen Interessengrup- der Resilienz verlieren, die wir in den internationalen Zusammenarbeit beitragen. Eingabeschluss ist pen zu engagieren. «Ich bin grundsätz- letzten Jahren aufgebaut haben», sagt der 30. November 2021. Die Preis- lich sehr optimistisch was die weitere Kevin Mackey. ■ verleihung findet am IC Forum Entwicklung Somalias angeht», sagt Switzerland statt. Kevin Mackey. Viel sei in den letzten www.togetherwerebetter.ch 12 EINE WELT 3/2021
DOSSIER KLIMA-RESILIENZ «DIE VERLETZLICHSTEN ERHALTEN VIEL ZU WENIG UNTERSTÜTZUNG» Effiziente humanitäre Hilfe beginne bereits vor Eintritt einer Katastrophe, sagt Maarten van Aalst, Direktor des «Climate Centre» des Roten Kreuz. Frühwarnsysteme und damit gekoppelte Finanzierungs mechanismen seien entscheidend, um die Widerstandsfähigkeit von Benachteiligten gegenüber Klimaschocks zu stärken. Interview: Samuel Schlaefli Als das «Climate Centre» vor 20 Jahren gegründet wurde, schenkte man der globalen Erhitzung in der humanitären Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit noch wenig Aufmerksamkeit. Wie hat sich dies über die Jahre verändert? Der Fokus lag damals noch stark auf den Veränderungen von globalen Phä- nomenen, wie dem Anstieg der Durch- schnittstemperatur oder des Meeres- spiegels. Man erwartete, dass die kli- mabedingten Risiken graduell zuneh- men und wir uns graduell an diese an- passen können – in meiner Heimat, den Niederlanden, zum Beispiel indem wir die Deiche erhöhen. Wir mussten dann © IFRC Climate Centre aber lernen, dass Anpassungen an Kli- maveränderungen an Orten wie Bangla- desch etwas komplett anderes bedeutet. Dort gab es keine Flutmauern, die man MAARTEN VAN AALST ist Direktor des global operierenden «Climate hätte erhöhen können. Wir muss- Centre», welches die Organisa- Herr van Aalst, Sie beschäftigen sich ten also umdenken und begannen in tionen des Roten Kreuzes und als Klimaforscher praktisch täglich mit Frühwarnsysteme und das Wissen der Roten Halbmonds in Fragen des Risiken und Verlusten aufgrund der Menschen vor Ort zu investieren. Heute Risikomanagements und der Klimakrise. Wie stark haben wetter- und können wir Hurrikane ja oft schon Tage Klimakrise berät. Er ist Professor klimabedingte Katastrophen in den im Voraus prognostizieren. In Bangla- für Klima- und Katastrophenre- silienz an der Universität Twente letzten Jahren zugenommen? desch konnten dadurch Millionen von (Niederlande). Zudem gehört er Unser «World Disasters Report» von Menschenleben gerettet werden. zu den koordinierenden Haupt- 2020 zeigt, dass diese viel schneller zu- autoren des «Intergovernmental nehmen als zum Beispiel Vulkanaus- Panel on Climate Change» (IPCC), brüche oder Erdbeben. 97 Prozent der Wie schwierig war es, die internationale das in seinen Sachstandberich- ten alle fünf bis sieben Jahre beinahe 100 Millionen Menschen, die Gemeinschaft und die grossen staatli- die aktuelle wissenschaftliche im Jahr 2019 von einer Katastrophe chen Geldgeber dafür zu gewinnen, in Evidenz für die globale Erhitzung betroffen waren, litten unter Dürren, Frühwarnsysteme und die Resilienz der zusammenträgt. Van Aalst hat Überschwemmungen, Waldbränden, Menschen vor Ort zu investieren? Atmosphärenphysik studiert Hitzewellen, Stürmen, Erdrutschen Zu Beginn sehr schwierig: Die humani- und arbeitete für die Weltbank, oder Krankheitsausbrüchen nach ei- täre Hilfe operierte lange Zeit gemäss regionale Entwicklungsbanken, die OECD und mehrere Staaten. nem wetter- und klimabedingten Er- den Spendenmechanismen, dass Gelder www.climatecentre.org eignis. Mit Hilfe von Studien gelingt es erst dann flossen, wenn eine Katastro- uns immer besser, direkte Zusammen- phe bereits eingetreten war. Erst 2015 hänge zwischen der Klimaerhitzung hatten wir unsere Partner soweit, dass – und diesen Katastrophen zu belegen. basierend auf unseren Prognosen – EINE WELT 3/2021 13
DOSSIER KLIMA-RESILIENZ Hilfsgelder auch vor dem Eintritt eines lerweile über sehr gute Daten zur Pro- KLIMAGERECHTIGKEIT UND DER Ereignisses aktiviert werden konnten. gnose von Überschwemmungen auf «GREEN CLIMATE FUND» Wir nennen das heute «Forecast-Based der ganzen Welt. In Zusammenarbeit Laut dem Klima-Risiko-Index der Financing». mit dem meteorologischen Institut in NGO «Germanwatch» sind acht von zehn Ländern, die 2019 am Uganda haben wir einen Mechanismus stärksten unter Extremwette- entwickelt, über den automatisch Gel- rereignissen litten, solche mit Können Sie ein konkretes Beispiel der aus einem Fonds des Roten Kreuzes niedrigen und unteren mittleren nennen? frei werden, sobald eine Warnung aus- Einkommen. Die Hälfte gehört zu Stellen Sie sich vor, Sie sind ein Katas- gelöst wird. Dadurch können Wasser- den am wenigsten entwickelten trophenmanager für das Rote Kreuz in behälter und Chlortabletten verteilt Staaten. Sie haben historisch am wenigsten zur Klimaerhit- Uganda, wo wir erstmals mit einem sol- werden, wodurch die Betroffenen auch zung beigetragen, leiden jedoch chen Instrument experimentiert hat- während einer Überschwemmung wei- bereits am stärksten unter der ten. Sie erhalten eine Warnung für eine terhin Zugang zu sauberem Trinkwas- Klimakrise. Die Industrieländer grosse Überschwemmung und wissen, ser haben. Selbst wenn die Katastrophe haben sich dazu verpflichtet, dass solche in der Vergangenheit oft zu am Ende nicht eintreten sollte, ist das im Rahmen des «Green Climate Fund» ab 2020 jährlich 100 Cholera-Ausbrüchen geführt haben. Sie noch immer etwa hundert Mal güns- Milliarden US-Dollar für Mitigation möchten also Vorbereitungen treffen, tiger, als wenn wir vor Ort einen Cho- (Reduktion von Treibhausgasen) können dies aber nicht, weil dafür keine leraausbruch bekämpfen und medi- und Adaption (Schutz vor den Gelder zur Verfügung stehen. Falls sie zinische Teams schicken müssen. Wir Auswirkungen der globalen Erhit- nun andere Finanzierungsquellen nut- retten also nicht nur Leben, sondern zung) in Entwicklungsländern zen und dann keine Überschwemmung wir sparen auch viele Spendengelder. zu investieren. Das UN-Um- weltprogramm (UNEP) schätzt, eintritt, könnten Sie später dafür be- Heute arbeiten wir in 35 Staaten mit dass bereits heute jährlich 70 schuldigt werden, die Spendengelder solchen Vorsorgemechanismen. Milliarden US-Dollar alleine für die unverantwortlich eingesetzt zu haben. Klimaadaption von Entwicklungs- Es fehlten also Anreize, um voraus- ländern nötig wären. Bis 2030 schauend zu handeln. Alleine durch Wasserbehälter und könnte diese Summe auf 140 bis 300 Milliarden ansteigen. 2020 Chlortabletten ist das Überleben der haben 49 Staaten insgesamt Betroffenen aber nicht gesichert. 10.3 Milliarden US-Dollar in den Und wie arbeitet der Katastrophen Was kommt danach? «Green Climate Fund» einbezahlt manager in Uganda heute? Richtig. Nehmen wir das Beispiel des (Schweizer Beitrag: 100 Millionen Dank des EU-Systems «Global Flood Superzyklons «Amphan», der im Mai US-Dollar). Das entspricht rund Awareness System» verfügen wir mitt- 2020 viele Dörfer in Ostindien und zehn Prozent der ursprünglich vereinbarten Summe.
DOSSIER KLIMA-RESILIENZ Für diese Bäuerin in Bangladesch ermöglicht der Besitz einer Kuh oder eines Rinds auch nach einer an einen sicheren Standort zu bringen Dieses Ziel wurde noch längst nicht Naturkatastrophe ein gewisses erreicht. Zudem gehen die Beiträge bis- und Essen für sich und ihre Kinder für Einkommen (oben). Nach dem Superzyklon «Amphan» die Dauer des Zyklons zu kaufen. Wenn lang meist nicht an die Verletzlichsten, im Mai 2020 standen viele sie nach der Evakuation ins zerstörte sondern an Regierungen mit gut ausge- Menschen in Ostindien und Dorf zurückkehrt, so hat sie immerhin arbeiteten Adaptionsplänen. Nur wer Bangladesch vor dem Nichts noch ihre Kuh, die ihr die Versorgung die Mechanismen des «Green Climate (links unten). © Ben Depp/Polaris/laif mit Milch und ein kleines Einkommen Fund» kennt, kann davon profitieren. © Stringer Xinhua/eyevine/laif garantiert. Das ist sowohl aus huma- Dafür müssen Regierungen mit Stu- nitärer als auch aus wirtschaftlicher dien belegen, wieso bestimmte Inves- Perspektive sehr sinnvoll. Künftig titionen nötig sind. Fragile Staaten mit Bangladesch zerstörte. Die Menschen möchten wir solche Bargeldauszah- einer Vielzahl von Konflikten können wurden zwar erfolgreich evakuiert, lungen noch stärker an bestehende das meist nicht. Im bereits erwähnten standen danach aber vor dem Nichts. staatliche Sozialversicherungssysteme «World Disasters Report» haben wir Entweder sind sie nun lange von huma- koppeln. Sozialversicherungen müssen auch analysiert, wieviel Adaptionsgel- nitärer Hilfe abhängig oder sie leben in zunehmend Klimaschocks antizipieren der pro Kopf ausbezahlt werden, relativ extremer Armut und kämpfen täglich können oder zumindest viel schneller zur Klimavulnerabilität. Dabei zeigte ums Überleben. Wir haben dann zwar reagieren, so dass zum Beispiel Bauern sich: Die Verletzlichsten erhalten oft Leben, aber keine Existenzen gerettet. während einer Dürre nicht wochenlang noch viel zu wenig Unterstützung. Die Deshalb begannen wir vor drei Jahren auf Hilfszahlungen warten. Finanzierungsmechanismen für die bereits vor dem Katastrophenereignis Adaption wurden aus einer globalen Bargeld an bedrohte Menschen auszu- Perspektive auf die Klimaproblematik bezahlen. Die Klimakrise wird sich den meisten heraus entwickelt, aber nicht aus dem Prognosen zufolge weiter verschärfen. Blickwinkel der Verletzlichsten. Es feh- Wo liegen die grössten Herausforde- len nach wie vor gute Konzepte, wie wir Und wofür nutzen diese das Geld? rungen, um die Verletzlichsten darauf diese am besten erreichen können. ■ Nehmen wir das Beispiel einer allein- vorzubereiten? erziehenden Frau in Bangladesch mit Reiche Nationen haben an der UN- mehreren Kindern und einer Kuh als Klimakonferenz in Paris 2015 verspro- einzige Einkommensquelle. Das Geld chen, jährlich 100 Milliarden US-Dol- ermöglicht der Frau, die Kuh frühzeitig lar für die Klimaadaption auszugeben. EINE WELT 3/2021 15
DOSSIER KLIMA-RESILIENZ WIDERSTANDSFÄHIGER DANK KAKAOPULPE UND PHOTOVOLTAIK Der Umstieg auf nachhaltige Energien bietet auch im globalen Süden grosse Chancen. Das Schweizer Start-up-Unternehmen «Koa» nutzt Photovoltaik und Digitalisierung, um auf Kakaoplantagen in Ghana aus Abfall Mehreinkommen zu generieren. (sch) Mit einer Jahresproduktion von Anian Schreiber wollte das ändern und Zürcher Hochschule für Angewandte rund 800 000 Tonnen getrockneten Ka- aus der Pulpe ein ebenso genussvolles Wissenschaften (ZHAW) sowie finan kaobohnen ist Ghana der zweitgrösste Produkt produzieren wie aus den Boh- ziell unterstützt durch die Förderplatt- Kakaoproduzent der Welt. Die dortigen nen. Doch dafür muss der Saft aus dem form «Repic» (siehe Kasten 17) eine Plantagen liegen meist schwer zugäng- Fruchtfleisch sofort nach der Ernte ex- mobile Kakaofrucht-Verarbeitungssta- lich im Dschungel und verfügen über trahiert, gekühlt und konserviert wer- tion, die mit Sonnenenergie betrieben wenig Infrastruktur; die Bauern sind oft den. Das benötigt viel Energie – und dies wird. arm und von fluktuierenden Grosshan- an Orten, wo es meist keine Stromver- delspreisen abhängig. Unsere Freude sorgung gibt. Hier kam nun Schreibers «Die Photovoltaik hat in Afrika un- an der süssen Delikatesse hat einen Know-how in Photovoltaik ins Spiel. glaubliches Potenzial», sagt Anian bitteren Nachgeschmack: Über 1,5 Mil- Schreiber. «In ihr liegt die Basis für eine lionen Kinder arbeiten in Ghana und Gemeinsam mit seinem Kollegen Ben- Mikroindustrialisierung auf dem Konti- der Elfenbeinküste bis heute auf Kakao- jamin Kuschnik entwickelte er in Part- nent, ohne dass dafür neue Stromnetze plantagen. nerschaft mit der ETH Zürich und der gebaut werden müssten.» Heute sind in Mit der Photovoltaik im Hinterkopf Als Anian Schreiber 2017 als Vertreter für ein internationales Photovoltaikun- ternehmen durch Westafrika reiste, suchte er nach einer Geschäftsidee, um die Armut der Menschen zu lindern und ihre Abhängigkeit vom globalen Grosshandel zu mindern. Erst dachte er daran, Sonnenenergie möglichst vielen Menschen zugänglich zu machen. Doch während seiner Reisen hatte er oft Kon- takt zu Kakaobauern. Dabei fiel ihm auf: Für die Schokoladenproduktion wer- den nur die Bohnen der Kakaofrucht genutzt. Das Fruchtfleisch, auch Pulpe genannt, macht 25 Prozent des Gesamt- gewichts aus und landet im Abfall. Kakaoernte auf einer Farm in Ghana: Dank sofortiger Kühlung kann nun auch das Fruchtfleisch weiterverarbeitet werden. © Ben Rotthoff 16 EINE WELT 3/2021
DOSSIER KLIMA-RESILIENZ Ghana 13 Dreiradmopeds mit einer son- 250 000 Liter Kakaofruchtsaft produ- fänglicher verwertet werde, sei der nenbetriebenen Kakaofrucht-Verarbei- ziert werden. Heute beschäftigt Koa 35 erste Schritt dafür. Laut Koa können tungsstation in Betrieb. Während der ghanaische Mitarbeitende, davon acht Kleinbauern bei einer ganzjährigen Zu- Ernte fahren diese in die unmittelbare in Managementpositionen. Während sammenarbeit ein Zusatzeinkommen Umgebung von Kakaofarmen. Dort wer- der Ernte kommen nochmals rund 30 von bis zu 30 Prozent erwirtschaften. den die Früchte geöffnet und von der saisonale Arbeiterinnen und Arbeiter «Das ist auch ein wichtiger Beitrag ge- Schale befreit. Danach wird das Boh- hinzu. gen Kinderarbeit, denn diese geht oft nen-Fruchtfleisch-Gemisch zur Verar- auf fehlende Einkommen zurück», ist beitungsstation gebracht, um die Pulpe Eine der grossen Herausforderungen Anian Schreiber überzeugt. zu extrahieren. Die wertvollen Bohnen für Koa war der Aufbau einer Liefer- für die Schokoladenproduktion gehen kette. Anian Schreiber erinnert sich: Die Verarbeitung des Produkts findet danach zurück an die Bauern. «Experten aus der Schokoladenindus- bei Koa heute vollumfänglich in Ghana trie haben uns gesagt: Das ist unmög- statt. Doch da der Kakaofruchtsaft und lich – ihr könnt nicht eine verlässliche das -pulver bislang ausschliesslich ex- Mehr Transparenz dank Lieferkette direkt mit den afrikani- portiert werden, fällt nach wie vor ein Digitalisierung schen Kleinbauern aufbauen.» Koa be- bedeutender Teil der Wertschöpfung wies das Gegenteil und setzte dafür auf im Ausland an. Das soll sich jedoch bald Im Verarbeitungszentrum in Assin Digitalisierung. Das Team hat eine App ändern: «Ab 2022 wollen wir unsere Akrofuom im Süden Ghanas wird der entwickelt, mit welcher jeder Bauer, der Produkte auch in Ghana einführen», Saft pasteurisiert und haltbar gemacht Kakaofrüchte für das Unternehmen sagt Anian Schreiber. ■ sowie für den internationalen Export liefert, seinen Betrieb registriert, inklu- vorbereitet. Bis Mitte 2021 haben rund sive der Anzahl bepflanzter Hektaren www.koa-impact.com 1000 Kleinbetriebe ihre Ernte an Koa sowie Kontakt- und Zahlungsdaten. geliefert. Im Zentrum können jährlich Der Vertrag wird per Smartphone mit einem Fingerabdruck unterschrieben und den Lohn erhalten die Bauern per «Mobile Money» direkt auf ihr Handy. Dank der lückenlosen digitalen Ver- PLATTFORM FÜR NACHHALTIGE PROJEKTE IM GLOBALEN SÜDEN folgung des Safts, kann der Endkunde Repic (Renewable Energy, Energy über einen QR-Code die gesamte Pro- and Resource Efficiency Promo- duktkette nachverfolgen. Er weiss aus tion in International Cooperation) welcher Gemeinde sein Saft kommt ist eine interdepartementale und wieviel Geld dort an die Bauern ge- Plattform zur Förderung der erneuerbaren Energien sowie flossen ist. Mittlerweile setzen in Europa der Energie- und Ressourcen- namhafte Confiseure und Barkeeper effizienz in der internationalen zur Verfeinerung von Drinks, Desserts Zusammenarbeit. Sie wird von und Patisserie auf Koas Kakaofrucht- vier Bundesämtern getragen: saft. Und seit kurzem kooperiert das Dem Staatssekretariat für Start-up mit dem Schokoladenprodu- Wirtschaft (SECO), der DEZA, dem Bundesamt für Umwelt (BAFU) zenten «Lindt & Sprüngli», der Anfang und dem Bundesamt für Energie Jahr erstmals eine Schokolade lan- (BFE). Ziel ist die vorkommerzielle cierte, die zu 18 Prozent aus dem Pulver Unterstützung von Projekten der Kakaopulpe besteht und dadurch im Nachhaltigkeitsbereich mit ihre Süsse alleine aus der Kakaofrucht starker Ausrichtung auf lokale Bedürfnisse. Die finanziellen Bei- bezieht. träge umfassen maximal 150 000 Franken pro Projekt. Seit Beginn im Jahr 2004 wurden über 30 Prozent Mehreinkommen 140 Projekte gefördert. Koa- Gründer Anian Schreiber sagt: «Unser eigentliches Ziel ist es, die In- «Repic war der Grundstein für alles. Die Förderung hat unsere dustrie dorthin zu bewegen, dass mehr Glaubwürdigkeit gestärkt und Wertschöpfung aus der Kakaoproduk- einen Zugang für weitere Inves- tion in Afrika zurückbleibt», sagt Anian toren eröffnet.» Schreiber. Dass die Frucht vollum- www.repic.ch EINE WELT 3/2021 17
DOSSIER KLIMA-RESILIENZ KLIMARESILIENTER KAFFEE SCHÜTZT WALD Ein multilaterales Projekt mit Beteiligung der Schweiz hilft Kleinbauern alternative Einkommensquellen zu erschliessen, damit sie nicht mehr auf die Abholzung von Wäldern angewiesen sind. (sch) In den vergangenen Jahren hat die arbeitet sie mit den Regierungen Ko- In Äthiopien unterstützt die Initiative globale Waldfläche rapide abgenom- lumbiens, Äthiopiens, Indonesiens, Me- in Zusammenarbeit mit «Nespresso» men, in erster Linie als Folge von Vieh- xikos und Sambias zusammen. ein Programm zur verbesserten Wald- zucht für den stark steigenden Fleisch- bewirtschaftung. Die Waldfläche in konsum. Alleine im Jahr 2020 wurden den Kaffeeanbaugebieten ist stark ge- 42 000 Quadratkilometer Wald in tropi- Exportschlager «Cacay»-Früchte schrumpft, weil Holz für die meisten schen Regionen zerstört – eine Fläche so Menschen auf dem Land die primäre gross wie die Schweiz. In Kolumbien ist die Region Orinoquia Energiequelle darstellt und die Bewirt- stark von illegalem Holzschlag für die schaftung der Wälder nicht kommunal Die «BioCarbon Fund Initiative for Rinderzucht betroffen. Hinzu kommen geregelt ist. Mitarbeitende von Instituti- Sustainable Forest Landscapes» (ISFL) Konflikte um den Kokaanbau. Im Rah- onen und Behörden werden deshalb für kooperiert mit Staaten und Unterneh- men der ISFL wird deshalb die Kulti- eine nachhaltige Forstbewirtschaftung men, um die Zerstörung von Wäldern vierung der «Cacay»-Frucht gefördert, weitergebildet. durch klimaintelligente Planungen um Land neu zu bepflanzen, das zuvor und neue Regulierungen zu bremsen. als unproduktiv galt. Die zitrusähn- Gleichzeitig erhielten rund 50 000 Bäu- Das Grossprojekt wird von der Schweiz, liche Frucht hat Kerne, die zu Milch erinnen und Bauern Trainings für ei- Deutschland, Norwegen, Grossbritan- oder Mehl verarbeitet werden sowie zu nen klimaresilienten Kaffeeanbau. Die nien und den USA finanziert sowie einem hochwertigen Öl, das in der Kos- DEZA unterstützt derzeit die grossflä- von der Weltbank verwaltet. Seit 2013 metik genutzt wird. chige Umsetzung eines erfolgreichen wurden für die Initiative 355 Millionen Pilotversuchs. Dieser beinhaltet unter US-Dollar zur Verfügung gestellt. Heute Die Produkte werden mittlerweile in die anderem die Einführung einer nach- USA und nach Europa exportiert. Als haltigen Schnittweise der Kaffeepflan- integraler Bestandteil der ISFL werden zen, wodurch die Bauern ihre Erträge die Partnerregionen in den globalen und ihr Einkommen deutlich verbes- Klimakompensationsmechanismus sern können. ■ REDD+ miteinbezogen. Darüber werden Kaffeeanbaugebiet in Äthiopien: Anstrengungen der Bauern zur Reduk- www.biocarbonfund-isfl.org Eine nachhaltige Schnittweise tion von Treibhausgasemissionen und der Kaffeepflanzen verbessert sowohl Erträge wie Einkommen zum Erhalt der Wälder als Kohlendio- der Bäuerinnen und Bauern. xidsenken finanziell abgegolten. © Juan Manuel Castro Prieto/VU/laif
DOSSIER KLIMA-RESILIENZ FACTS & FIGURES Krasses Klima Hitzewellen, Stürme und Überschwemmungen 1 ,7 Milliarden Menschen waren in den letzten zehn Jahren forderten seit dem Jahr 2011 410 000 Tote – die von Hitzewellen, Stürmen und Überschwemmungen überwiegende Mehrheit in Staaten mit tiefen oder betroffen. unteren mittleren Einkommen. 200 Millionen Menschen könnten bis 2050 jährlich 3454 Menschen starben zwischen Juni und humanitäre Hilfe benötigen, unter anderem wegen der August 2018 in Belgien, Frankreich, Deutschland, Klimakrise – das sind doppelt so viele wie noch 2018. Italien Spanien, Grossbritannien und der Schweiz aufgrund von drei Hitzewellen. 83 Prozent aller Katastrophen der letzten zehn Jahre waren klimaabhängige Ereignisse. Schlüsselzahlen – 12 von 20 Staaten, die am meisten – In den vergangenen 40 Jahren wurde ein Drittel durch die Klimakrise betroffen sind, leiden der landwirtschaftlich genutzten Fläche aufgrund von auch unter bewaffneten Konflikten. Bodenerosion aufgegeben. – Im Jahr 2017 waren 14 von 34 Staaten, – Deutschland verfügt über 166 Wetterstationen. die unter einer Ernährungskrise litten, auch Die Zentralafrikanische Republik ist doppelt so gross von bewaffneten Konflikten und Klimaschocks wie Deutschland und hat nur 14 Wetterstationen. betroffen. Diese sind wichtig, um Klimadaten für Adaptionsszenarien zu sammeln. Quellen und Links www.ifrc.org www.icrc.org www.unep.org (Suche: World Disasters Report 2020) (Suche: When rain turns to dust) (Suche: Adaptation Gap Report 2020) Der «World Disasters Report 2020» der IFRC Der Bericht «When rain turns to dust» des Der «Adaptation Gap Report 2020» des beschäftigt sich mit den Auswirkungen der ICRC zeigt die Wechselwirkungen zwischen Umweltprogramms der Vereinten Nationen UNEP Klimakrise auf die humanitäre Hilfe. bewaffneten Konflikten, Klima und Umwelt- zeigt den aktuellen Stand der Umsetzung von krisen. Klimaadaptionsprojekten in Entwicklungsländern. EINE WELT 3/2021 19
HORIZONTE KAMBODSCHA
HORIZONTE KAMBODSCHA KAMBODSCHAS SCHWIERIGE ABHÄNGIGKEIT Vor 40 Jahren ging in Kambodscha eines der brutalsten Kapitel der Weltgeschichte zu Ende: Unter dem mörderischen Regime der Roten Khmer war ein Viertel der Bevölkerung umgebracht worden, die Wirtschaft des Landes war zerstört, die Gesellschaft traumatisiert. Doch seit dem Friedensabkommen von 1991 wächst Kambodschas Wirtschaft schneller als die meisten anderen in Asien und die Armut konnte reduziert werden. Politisch jedoch entwickelt sich das Land immer mehr zu einer Autokratie. Text: Karin Wenger In einer lichtdurchfluteten Fabrik Produktion 2011 von China nach Kam- Mitarbeiter entlassen. So wie ihm ging ausserhalb der Stadt Siem Reap sitzen bodscha verlegt, weil die Produktions- es vielen Unternehmen im Land. Der Frauen über ihre Nähmaschinen ge- kosten hier niedriger seien und es weni- Wirtschaftseinbruch und die hohen beugt. Die 30-jährige Lem Somaly näht ger Restriktionen gebe, erklärt Laan. In Stellenverluste haben laut der Welt- eben eine kleine Tasche. Sie ist seit zwei Kambodscha liegt der Mindestlohn bei bank dazu geführt, dass viele Familien Jahren in der Fabrik angestellt: «Es 192 US-Dollar im Monat und da mehr in die Armut abgerutscht sind und sich gefällt mir hier. Der Lohn ist gut, die als die Hälfte der Bevölkerung jünger heute weniger leisten können. Zudem Fabrik ist hell, wir bekommen ein Mit- als 30 Jahre alt ist, sei es nicht schwierig, beschloss die EU-Kommission im ver- tagessen und es hat eine Kinderkrippe. Arbeitskräfte zu finden, so Arjen Laan. gangenen Jahr, Kambodscha den be- Früher arbeitete ich in Thailand, dort vorzugten Zugang zum europäischen wurden wir nicht so gut behandelt», Markt, den es im Rahmen des Pro- sagt die Mutter einer kleinen Tochter. Fortschritte und Rückschläge gramms «Alles ausser Waffen» genoss, teilweise zu entziehen. Bisher konnten Die Fabrik gehört dem niederländischen Nach dem Ende des Bürgerkriegs in den ärmere Länder alle Waren ausser Waf- Unternehmen Pactics. Rund 500 Mitar- 90er-Jahren lag Kambodschas Wirt- fen zollfrei in die EU exportieren und beiterinnen und Mitarbeiter fertigten schaft in Trümmern, die Infrastruktur von einem Wettbewerbsvorteil gegen- hier vor Corona-Zeiten Taschen und Mi- war zerstört, staatliche Institutionen über Produkten aus China profitieren. krofaser-Tücher für Brillen und Zube- existierten nicht mehr und die Bevöl- Diese bevorteilte Behandlung ist aber hör für Marken wie Gucci, Ray-Ban oder kerung war verarmt. Zudem war fast an Kriterien gebunden, beispielsweise Oakley. 70 bis 80 Prozent der Angestell- die ganze intellektuelle Elite des Landes an die Einhaltung von Menschenrech- ten seien Frauen, sagt Geschäftsfüh- unter der Herrschaft der Roten Khmer ten. Nun aber verliert Kambodscha rer Arjen Laan: «Sie sind alle zwischen von 1975 bis 1979 ermordet worden oder rund einen Fünftel seiner Vorrechte, 20 und 30 Jahre alt und konnten vom ins Ausland geflohen. Vieles hat sich was Ausfuhren in die EU von rund einer Wirtschaftswachstum in Kambod- seither verändert: Die Armut wurde Milliarde Euro entspricht. In Kambod- scha vor der Pandemie und Firmen wie stark reduziert, es wurden deutliche Er- scha würden die Menschenrechte je- uns profitieren.» Pactics habe seine folge bei der Senkung der Kinder- und doch systematisch verletzt, begründete Müttersterblichkeitsrate erzielt und das die EU-Kommission ihre Massnahmen. Wirtschaftswachstum lag vor der Coro- na-Pandemie bei über sieben Prozent. Die Corona-Pandemie hat Kambodscha hart getroffen: Auch Desolate Menschenrechtslage in dieser Fabrik ausserhalb der Die Corona-Pandemie hat Kambod- Stadt Siem Reap mussten infolge scha jedoch hart getroffen. Bei Pactics Polizisten mit Trillerpfeifen, eine Pa- des massiven Nachfrageeinbruchs Mitarbeiterinnen entlassen werden. brach die Nachfrage ein und Arjen Laan rade von Polizeiwagen und Regierungs- © Karin Wenger musste rund 100 Mitarbeiterinnen und spione, die all jene filmen und fotogra- EINE WELT 3/2021 21
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