MENSCHEN MACHEN MEDIEN - Ausbildung Ausbremsen gilt nicht

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MENSCHEN MACHEN MEDIEN - Ausbildung Ausbremsen gilt nicht
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                                                                              E 2814
                                                                         Jahrgang 69

                      MENSCHEN
                      MACHEN                           Medien in Kurzarbeit
                      MEDIEN                           Trotz hoher Klickzahlen

                                                       Tarifverhandlungen
Medienpolitisches ver.di-Magazin Juni 2020 Nr. 2       Perspektive für Zeitungen

                                                           Ausbildung
                                                   Ausbremsen gilt nicht
MENSCHEN MACHEN MEDIEN - Ausbildung Ausbremsen gilt nicht
INHALT

IM FOKUS:
AUSBILDUNG                                                                                                                  BERUF                              MEDIENPOLITIK

                                                                                                                            16   METERWEIT ÜBER DEN            26 SCHEINHEILIGE DEBATTE
                                                                                                                                 BODEN GESCHLEIFT                 Trotz Empfehlung der
                                 Foto: Robert Kiehn / BIBB

                                                                                               Foto: Christian v. Polentz
                                                                                                                                 Frankfurt / Main:                KEF geht Gezerre um
                                                                                                                                 Eine Journalistin berichtet      Rundfunkbeitrag weiter
                                                                                                                                 von ihrer Begegnung mit
                                                                                                                                 der Polizei                   27 GUTE ARGUMENTE FÜR
                                                                                                                                                                  DEN RUNDFUNKBEITRAG
                                                                                                                            18   SMARTER WECHSEL                  ver.di-Gutachten
6    DIGITALER LERNRAUM                                      12   BLAUE FLECKEN                                                  Genossenschaft ver­
     BERUFSSCHULE                                                 GEHÖREN DAZU                                                   zaubert Selbstständige auf    28 DIE GROSSE ZERSTÖRUNG
     Von Susanne                                                  Stuntleute: Multitalente                                       Wunsch in Angestellte            Der Ökonom Andreas
     Stracke-Neumann                                              mit viel Geduld und gesun-                                                                      Bathelmess über den
                                                                  der Selbsteinschätzung                                    20 KAPITÄNE                           digitalen Umbau der
10   AUSBREMSEN GILT NICHT                                                                                                     FÜR DIE BILDERFLUT                 Gesellschaft und ein
     Die Ausbildung im                                       14   FRAU MACHT BUCH                                              Die freie Fotoredakteurin          „Daten-#MeToo“
     Bühnenservice läuft – nur                                    Ausbildung in der                                            und Dozentin Ina-Jasmin
     eben anders als sonst                                        Buchbranche als                                              Kossatz im Gespräch mit M       29 IMPRESSUM
                                                                  Karrierechance
                                                                                                                            27 SCHON ENTDECKT?
                                                             15   EHRENAMT PRÜFER                                              DIE KORRESPONDENTIN             INTERNATIONAL
JEDEN MONAT                                                       Etwa ein Drittel Verdianer
EIN NEUER PODCAST                                                 engagieren sich in den
AUF M ONLINE                                                      Ausschüssen                                               TARIFE UND HONORARE

                                                             MEINUNG                                                        22 MIT BLICK AUF
                                                                                                                                                                                             Foto: Knut Henkel
                                                                                                                               DIE PERSPEKTIVE NACH
                                                                                                                               CORONA
                                                             4    BILDKRITIK                                                   Gespräch mit Tarifsekretär
                                                                  Symbol statt Beleg                                           Matthias von Fintel über
                                                                                                                               die Tarifverhandlungen          30 GUMMIPARAGRAF
                                                             5    MEDIEN NACH CORONA                                           der dju in ver.di                  Kuba: Geldstrafen für
                                                                                                                                                                  Journalisten bei Verstoß
                                                                                                                                                                  gegen Gesetz 370
AKTUELL: WIE IST ES DERZEIT                                                                                                 MEDIENWIRTSCHAFT
UM DEN PRIVATFUNK HIERZU-                                                                                                                                      31   AKTION FÜR
LANDE BESTELLT? GESPRÄCH                                                                                                                                            DALER SHARIPOV,
MIT TINO UTASSY, GESCHÄFTS-                                  TITELBILD SEITE 1                                              23 HOHE KLICKZAHLEN                     TADSCHIKISTAN
FÜHRER DER RTL-TOCHTER                                       Die Fotowerkstatt der Ernst-                                      UND KURZARBEIT
BROADCAST SACHSEN                                            Litfaß-Schule in Corona-Zeiten.                                   Selbstständige in
Alle M-Podcast unter                                         Foto: Markus Dupré                                                „existenziell bedrohlicher
https://mmm.verdi.de/podcast/                                /Ernst-Litfaß-Schule                                              Lage“

2 M 2.2020
MENSCHEN MACHEN MEDIEN - Ausbildung Ausbremsen gilt nicht
XXXXXXXXXXXXXXX
                                                                                                                                 XXXXXXXXXXXXXXX

CBS-Repor­terin Katie Nielsen wird
während einer Kundgebung in Oak-
land (Kalifornien) festgenommen.
Bei den landes­weiten Protesten
gegen Rassismus und Gewalt nach
dem Mord an George Floyd geht die

                                                                                                                                                       Foto: Stephen Lam/REUTERS
Polizei nicht nur gegen Demonstran­
ten brutal vor, sondern auch gegen
Medienschaffende. Sie werden mas-
siv an ihrer Arbeit behindert, einige
wurden teilweise schwer verletzt.

                                                        Kein Stillstand in der Krise
                                         n v. Polentz

                                             Es gibt keine Ausgabe des M-Magazins und kaum eine Woche auf M Online ohne aktuelle Berichte
                                             über Verletzungen der Pressefreiheit. Wie gewalttätig die Polizei derzeit in den USA mit Demon­
                                              strant*innen und Journalist*innen bei den Protesten gegen den Mord an Georg Floyd umgeht, ist
                                            Foto: Christia

                                               unerträglich. Sie schießen mit Gummigeschossen auch auf Medienschaffende, eine Journalistin
                                               wurde dabei an einem Auge schwer verletzt. Mehr dazu auf M Online unter dem Titel
                                               „Kultur der Straffreiheit statt Pressefreiheit“ (https://mmm.verdi.de). In vielen Staaten wird zudem
                                          die Corona-Krise genutzt, um mit Hilfe verschärfender Gesetze freie Meinungsäußerungen einzuschrän-
                                        ken, wie aktuell in Kuba (S. 30/31).

                                        Leider mehren sich auch in Deutschland tätliche Angriffe auf Berichterstatter*innen. Sie kommen meist
                                        aus dem rechten Spektrum wie Mitte Mai und Anfang Juni gegen Fernsehteams des ZDF. Und sehr oft
                                        greift die Polizei nicht konsequent ein oder sieht sogar weg. Auch sie selbst behindert noch zu oft Jour-
                                        nalist*innen bei ihrer Arbeit, erkennt Presseausweise nicht an, wird übergriffig, mitunter gewalttätig – so
                                        wie gegen eine Journalistin in Frankfurt am Main, die M ihre „Begegnung“ mit der Polizei während einer
                                        friedlichen Demonstration schildert (S. 16).

                                        Die Corona-Krise fordert allen viel ab. Der Shutdown hinterlässt auch in der Medienbranche tiefe Spuren.
                                        Bei so manchem Selbstständigen sinkt das Einkommen auf Null, weil es keine Aufträge gibt. Trotz hoher
                                        Klickzahlen setzen viele Verlage ihre Freien ganz frei und die Redakteur*innen auf Kurzarbeit. Um Auf­
                                        stockungen des mageren Gehalts müssen Betriebsräte hart verhandeln, die Bereitschaft der Verleger ist
                                        gering. Hilfen aus den Staats- und Ländersäckeln greifen – bedauerlicherweise aber oft zu kurz. (S. 23 – 25)
                                        Und die Tarifverhandlungen für Zeitungsjournalist*innen will ver.di mit dem Blick auf die Perspektive
                                        nach Corona gestalten – eine ganz besondere Herausforderung (S. 22).

                                        Auch Berufsschüler*innen standen im März vor den geschlossenen Türen ihrer Bildungszentren. Stillstand
                                        gibt es jedoch nicht. Man trifft sich im digitalen Lernraum, Lehrer*innen greifen zu neuen didaktischen
                                        Formaten, Prüfungen werden verschoben … (S. 6 – 9). Ausbremsen gilt auch bei der Ausbildung im Büh-
                                        nenservice bei der Stiftung Oper in Berlin nicht. Kreativität ist gefragt (S. 10/11).

                                        Karin Wenk, verantwortliche Redakteurin

                                                                                                                                        2.2020 M 3
MENSCHEN MACHEN MEDIEN - Ausbildung Ausbremsen gilt nicht
MEINUNG

 Bildkritik
  Bildkritik ist die neue Kolumne von
  Menschen Machen Medien.
  Der Journalist und Kommunikations-
  wissenschaftler Felix Koltermann
  diskutiert dort in regelmäßigen Ab-
  ständen den Umgang publizistischer
  Medien mit fotografischen Bildern.

                                                                                                                                                  Screenshot: dw.com
                              Symbol statt Beleg
                                  A
                                            bstrakte politische Themen wie Pes­         keine Bildunterschrift den Zusammenhang auflöst
                                             tizideinsatz zu visualisieren, ohne da-    liegt es nahe, im dargestellten Traktorfahrer einen der
                                             bei willkürliche Bezüge herzustellen,      Arbeiter zu sehen, auf dessen Kosten deutsche Kon-
                                              stellt eine große Herausforderung         zerne mit verbotenen Chemikalien Profite machen.
                                              dar. Wie es nicht geschehen sollte,
                              zeigt ein Aufmacherbild zu einem Artikel der Deut-        Eine Recherche des Originalbildes in der Datenbank
                              schen Welle.                                              von Picture Alliance kann diese Assoziation jedoch
                                                                                        nicht bestätigen. Zum einen stammt das von M. Har-
                              Am 12. Mai 2020 veröffentlichte die Deutsche Welle        vey fotografierte und von WILDLIFE über Picture Al-
                              auf ihrer Webseite den Artikel „Gefährliche deutsche      liance vertriebene Bild bereits aus dem Jahr 2009. Zum
                              Pestizide für Afrika“. Ausgangspunkt war die Publi­       anderen gibt das Original keine genaueren Informa­
                              kation einer von verschiedenen nationalen und inter-      tionen über die Art der Pestizide und deren Herkunft.
                              nationalen NGOs und einer deutschen Stiftung her-         Nur folgende Information wird dort vermittelt: „ZAF,
                              ausgegebenen Studie über den Einsatz in der EU            2009: Kohl (Brassica oleracea). Erntearbeiter mit ei-
                              verbotener Pestizide in Afrika. Das unter dem Teaser      nem Trecker sprüht ein Kohlfeld.“ Damit lässt sich die
                              platzierte Aufmacherbild des Artikels zeigt einen Trak-   durch die Kontextualisierung dem Bild zugeschriebene
                              tor beim Versprühen einer Flüssigkeit auf einem Feld.     Funktion, die Umweltskandalthese zu belegen, nicht
                              Aber anders als der Kontext vermuten mag, ist nicht       halten. Das kann auch die korrekt vom Original über-
                              klar, ob die gezeigte Situation den Einsatz deutscher     nommene Bildzeile beim Mouse-Over nicht retten.
                              bzw. in der EU verbotene Pestizide belegt. Damit liegt
                              eine Irreführung der Leser*innen vor.                     Die Willkürlichkeit des Bildeinsatzes wird noch deut-
                                                                                        licher bei einer Suche nach anderen Verwendungskon-
                              Entscheidend für eine mögliche Einordnung des Bil-        texten dieser Fotografie durch die Deutsche Welle.
                              des sind Überschrift, Teaser und der erste Absatz des     Eine Rückwärtssuche auf Google Bilder fördert zu Tage,
                              Textes. Während erste auf einen Umweltskandal und         dass das Bild bei drei weiteren Artikeln zwischen 2013
                              mögliche Doppelstandards beim Export deutscher            und 2017 zum Einsatz kam. Die Kontexte, in denen
                              bzw. europäischer Chemikalien verweisen, startet der      das Bild genutzt wird reichen von Landverteilung an
                              eigentliche Text mit einer Beschreibung der grünen        die schwarze Bevölkerung in Südafrika, der Notwen-
                              Idylle einer Zitrusfarm in der südafrikanischen Pro-      digkeit einer Lobby für Afrikas Bauern bis hin zur De-
                              vinz Ostkap, was offensichtlich nicht mit dem Bild        batte um die Krebsgefahr von Glyphosat. Jedes Mal
                              korrespondiert. Als Überleitung zum Aufmacherbild         musste der südafrikanische Traktorfahrer als Platz­
                              am Ende des Teasers wird gefragt „Machen deutsche         halter für die Visualisierungsnöte der Redaktion her-
                              Konzerne Profite auf Kosten der Arbeiter vor Ort?“. Da    halten.                        Felix Koltermann ‹‹

4 M 2.2020
MENSCHEN MACHEN MEDIEN - Ausbildung Ausbremsen gilt nicht
MEINUNG

                                                     Medien nach Corona
                                                        D
                                                                    ie Corona-Kurve flacht ab, nach und       Ausgerechnet in Zeiten größten Informationsbedarfs
                                                                     nach kehrt in der Gesellschaft wieder    offenbarte sich bei viele private Medien eine Art Sys-
                                                                     „normaler“ Alltag ein. Was verändert     temversagen. Printmedien erlitten dramatische Werbe­
                                                                     sich für die Medien, welche Folgen       umsatzeinbußen. Ihr schon vor dem Ausbruch der
                                                                      wird die Krise für den Journalismus     Pandemie schwächelndes Geschäftsmodell siechte
                                                     haben, wer sind die Gewinner und Verlierer?              weiter. Viele Verlage schickten ihre Beschäftigten in
                                                                                                              Kurzarbeit, private Radio- und TV-Anbieter forderten
                                                     Erste Erkenntnis: Journalist*innen sind systemrele-      vom Staat massive Finanzhilfen – sonst Konkurs! In
                                                     vant! Diese quasiamtliche Einstufung – auf gleicher      dieser Situation erwies sich speziell der öffentlich-
                                                     Höhe mit Mediziner*innen, Pfleger*innen und ja,          rechtliche Rundfunk als eine verlässliche Säule der
                                                     auch Supermarktkassierer*innen – sollte unserer Be-      Demokratie. ARD, ZDF und Deutschlandradio organi-
                                                     rufsgruppe genügend Selbstbewusstsein geben, künf-       sierten den gesellschaftlichen Dialog. Die „Tages-
                                                     tig noch konsequenter von der Politik Maßnahmen          schau“ entzündete – trotz mancher Redundanzen in
                                                     zur Absicherung ihrer Tätigkeit einzufordern. Etwa zu    den täglichen Specials – einmal mehr das „Leuchtfeuer
                                                     klären, dass wir als Gesellschaft einen unabhängigen     der Aufklärung“. Verlierer der Krise sind dagegen die
                                                     Journalismus auch finanziell langfristig ermöglichen     Boulevardpresse und viele soziale Medien. Sie verlo-
                                                     können. Oder dass Journalist*innen besser gegen An-      ren letzte Reste an Glaubwürdigkeit, profilierten sich
                                                     griffe demokratiefeindlicher Gruppierungen geschützt     eher als Verbreiter von Verschwörungsmythen und
                                                     werden. Auch gegen Attacken von Seiten rechtslasti-      Angstpropaganda.
                                                     ger Akteure in Polizei und Justiz. Oder dass das Recht
                                                     auf Informationsfreiheit garantiert und die Aushöh-      Die Konsequenz kann nur sein: Verteidigen wir den
        Günter Herkel lebt in                        lung des Redaktionsgeheimnisses durch schärfere          öffentlich-rechtlichen Rundfunk gegen seine klein-
        Berlin und arbeitet als freier               Überwachungsgesetze definitiv gestoppt wird.             geistigen Gegner vor allem in CDU, FDP und AfD!
        Medienjournalist für Branchen-                                                                        Kämpfen wir für eine solide, bedarfsgerechte Finanz-
        magazine in Print, Rundfunk                  Mit einiger Sicherheit dürfte Corona die Digitalisie-    ausstattung der sehr systemrelevanten Anstalten. Ent-
        und Online                                   rung hierzulande beschleunigen. Viele Journalist*in-     larven wir das schändliche Gefeilsche um einige Cent
                                                     nen haben Erfahrungen mit Home-Office und Zoom-          Beitragserhöhung als demokratiefeindlich. Aufgabe
                                                     Konferenzen gemacht, dieser Arbeitsweise sogar Posi-     von ARD, ZDF und Deutschlandradio ist es schließ-
                                                     tives abgewinnen können. Aber Vorsicht! Manche Ver-      lich nach Auffassung unserer Verfassungsrichter, die
                                                     lage könnten versucht sein, diese Erfahrungen für ihre   „für die freiheitliche Demokratie konstitutive Mei-
                                  Schaube

                                                     Zwecke zu kapitalisieren. Durch die Reduzierung von      nungsvielfalt“ mit zu sichern. Die Grundversorgung
                                    Foto: Jan-Timo

                                                     Mietkosten, durch Arbeitsverdichtung per Fernsteue-      mit diesem hohen Gut sollte sich die Gesellschaft al-
                                                     rung oder durch eine schleichende Verlängerung der       lemal den Gegenwert von zwei Maß Bier pro Monat
                                                     Arbeitszeiten. In dieser Hinsicht ist – auch gewerk-     und Haushalt kosten lassen.       Günter Herkel ‹‹
                                                     schaftliche – Wachsamkeit geboten.                       

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MENSCHEN MACHEN MEDIEN - Ausbildung Ausbremsen gilt nicht
IM FOKUS

                              Als das Coronavirus nach Deutschland kam, standen Mitte März auch die Aus­
                              zubildenden vor den geschlossenen Türen der Berufsbildungszentren. Betriebe
                              verlagerten die Arbeit ins Homeoffice ihrer Beschäftigten, meldeten Kurzarbeit
                              an oder mussten ganz schließen. Wie sollten Ausbildung und Prüfungen weiter­
                              gehen?

                              Digitaler Lernraum
                              Berufsschule
                              Von Susanne Stracke-Neumann

           D
                              em „Bundesverband der Lehrkräfte für Berufsbildung“       schenprüfungen ersatzlos gestrichen, die bundesein-
                              (BVLB) offenbarten sich in der Coronakrise die „ekla-     heitlichen schriftlichen Abschlussprüfungen aber ver-
                               tanten Schwächen“ des „bildungspolitischen Flicken-      legt, für die Medienberufe auf den 17. Juni. Die münd-
                               teppichs in Deutschland“, als einige Kultusministerien   lichen Prüfungen begannen später und werden, je
                                erwogen, die Abschlüsse auf der Basis der Leistungen    nach Industrie- und Handelskammer (IHK), bis weit
                                 bis Anfang März zu vergeben. Die Vorsitzenden der      in den Sommer dauern.
                                 „Berufsbildner“, wie sich der BVLB auch nennt, ver-
                                 langten Chancengleichheit und forderten, die Ab-       Bei den Berufsschulen kam der Bildungsstoff auf
                              schlussprüfungen zu verschieben, nicht abzusetzen:        neuen Wegen zu den Schüler*innen: als Lernpaket per
                              „Auch in der Krise darf die Prüfungspflicht nicht aus-    Post, per Mail oder auf digitalen Plattformen. Als Ende
                              gesetzt werden.“                                          April die Berufsschulen wieder öffneten, konnten sie
                                                                                        Präsenzunterricht zunächst nur für bestimmte Ausbil-
                              Zu diesem Schluss kamen auch die Bildungsverant-          dungs- und Abschlussklassen anbieten, die anderen
                              wortlichen der Länder: Zunächst wurden zwar die Zwi-      Jahrgänge folgten gestaffelt. Wegen der Abstandsregeln

        Gemeinsam mit den
          Ausbildern online
                                                                                                                                                  Symbolfoto: Getty Images

6 M 2.2020
MENSCHEN MACHEN MEDIEN - Ausbildung Ausbremsen gilt nicht
Foto: Lena Laurisch/Ernst-Litfaß-Schule
                                                                                                                       Drucken und fotografieren –
                                                                                                                       Präsentation von zwei
                                                                                                                       Ausbildungen an der Ernst-
wurden die Klassen in kleine Gruppen aufgeteilt und        schule, etwa ein Drittel Realschule und um die 60 Pro-      Litfaß-Schule am Tag der
nur abwechselnd unterrichtet. Für Schulorganisatoren       zent mit Abitur oder Fachabitur. Darunter sind auch         offenen Tür 2020 – noch vor
wie Wilm Diestelkamp, den Abteilungsleiter der Be-         Auszubildende mit Hochschulerfahrung oder sogar ab-         dem Corona-Shutdown.
rufsschule am Oberstufenzentrum der Ernst-Litfaß-          geschlossenem Studium.
Schule für Mediengestaltung und Medientechnologie                                                                      Interessent*innen können
in Berlin, bot sich ein buntes Puzzle mit vielen Teilen.   Kurzer „Weg“ zur Arbeit und                                 sich jedes Jahr über die
An der Ernst-Litfaß-Schule bedeutet das eine Zweitei-      fehlende Kontakte                                           schulischen Ausbildungsan-
lung: Die Mediengestalter*innen und Fotograf*innen                                                                     gebote informieren. Neben
werden fast ausschließlich im Fernunterricht beschult,     Die auszubildenden Mediengestalter*innen im ersten          Drucktechnik und Fotografie
erklärt Diestelkamp und verweist dankbar auf die vie-      und zweiten Lehrjahr an der Ernst-Litfaß-Schule se-         gibt es Einblicke in die Fach-
len Aktivitäten der Kolleg*innen in diesem Bereich.        hen den Online-Unterricht eher positiv. Auch wenn           bereiche Mediengestaltung,
Bei den Medientechnolog*innen Druck, -Druckverar-          Sarah meint, es sei schon eine „gefühlte Übergangs­         Geovisualisierung und Wei-
beitung, -Siebdruck und den Packmitteltechnolog*in-        lösung“ und merkwürdig, alle nur übers Display zu se-       terverarbeitung.
nen spielt der Präsenzunterricht neben Online-Aufga-       hen. Sie arbeitet überwiegend im Homeoffice und
ben eine große Rolle, wegen der nötigen Technik, der       fährt nur in den Betrieb, wenn es die Produktion er-
teils mangelnden Ausstattung der Azubis mit Compu-         fordert. Oder wenn Kundenkontakte im Terminkalen-
ter-Lernplätzen, aber auch wegen einer geringeren „di-     der stehen, ergänzt Vivien im natürlich per Digital-
gitalen Affinität“ und Vorbildung, erläutert Diestel-      plattform geführten Gespräch mit M.
kamp die Situation seiner Schüler*innen.
                                                           „Man muss sich seine Struktur für einen geregelten
In diesen Ausbildungsgängen ist die Zahl der Schü-         Arbeitstag selbst schaffen“, fasst Sarah ihre Tage im
ler*innen mit Hauptschulabschluss viel höher als etwa      Homeoffice zusammen. Sofie findet es eigentlich sehr
bei den Mediengestalter*innen. Die Übersicht der           angenehm im Homeoffice, wenn man sich den Tag
Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) zur          gut einteilt. Sie habe auch vorher schon viel digital ge-
schulischen Vorbildung zeigt bei den technischen Be-       arbeitet. Daniel, der seine Ausbildung in einer Grafik-
rufen, zu denen in der Statistik auch die Medientech-      abteilung im Öffentlichen Dienst absolviert, hat für
nolog*innen im Druckbereich gehören, ziemlich kon-         das Homeoffice einen Rechner bekommen und spart
stant einen Anteil von 18 Prozent Hauptschule und          wegen des kurzen Wegs zur Arbeit am heimischen
50 Prozent Realschule. Rund ein Viertel beginnen die       Schreibtisch viel Zeit. „Mir geht es sehr gut dabei“,
Ausbildung mit einer Hochschul- oder Fachhochschul-        kommentiert er die vergangenen Wochen, die er als
reife. Für die „Querschnittsberufe“ wie Mediengestal-      eine Zeit der Konzentration empfindet. „Ich finde
ter*innen verzeichnet die Statistik in den vergange-       gerne alles selbst heraus“. Sie hätten ja auch schon
nen Jahren einen Anteil von unter fünf Prozent Haupt-      vorher in der Schule sehr viel mit der Online-Platt-

                                                                                                                                         2.2020 M 7
MENSCHEN MACHEN MEDIEN - Ausbildung Ausbremsen gilt nicht
IM FOKUS

                               form „Lernraum Berlin“ gearbeitet. „Trotzdem wäre                                                   und Durchführung einer Veranstaltung und hätte zwi-
                               es mir lieber, mal wieder zur Schule zu fahren wegen                                                schen März und Mai erledigt werden sollen. Aber:
                               der sozialen Kontakte.“ Auch wenn er regelmäßig mit                                                 Keine Veranstaltungen, keine Projektarbeiten. Soweit
                               Lehrer*innen und Ausbildern telefoniert.                                                            möglich, sollten die Auszubildenden die Technik im
                                                                                                                                   Betrieb aufbauen. Prüfer besuchen diese Aufbauten
                               Erklärvideos und Quiz                                                                               stichprobenhaft, das bleibe aber ohne Einfluss auf die
                               in der Schulcloud                                                                                   Note, erklärt Stroetmann die schwierige Situation.

                               Es gebe etliche Angebote zum Austausch, erklärt Leh-                                                Durch den kompletten Ausfall von Galas, Konzerten,
                               rerin Elisabeth Lohse, wie das an der Schule übliche                                                Sportveranstaltungen und anderen Events fehlt den
                               Tutorensystem, Chats oder auch die Podcast-Reihe                                                    Auszubildenden in der Veranstaltungstechnik jetzt
                               zum Schulalltag in Corona-Zeiten von Lohse und ihrer                                                nicht nur der Präsenzunterricht in der Berufsschule,
                               Kollegin Caroline Münch. In der wöchentlichen Vi-                                                   sondern auch die betriebliche Ausbildung ist massiv
                               deokonferenz mit den Schülerinnen und Schülern                                                      eingeschränkt. Um dennoch auf die bundesweite
                               werden auch Probleme angesprochen. So hatten einige                                                 schriftliche Abschlussprüfung am 16. Juni gut vorzu-
                               berichtet, dass sie von den Betrieben nicht genug Zeit                                              bereiten, bietet die Interessengemeinschaft Veranstal-
                               zum Lernen für die Schule erhielten. Mittlerweise habe                                              tungswirtschaft (IGVW) seit 11. Mai ein Kursangebot
                               sich das gebessert, so Lohse.                                                                       auf der neuen Plattform „IGVW 4 Education“: Neben
                                                                                                                                   Einzelfragen zu Ton, Licht, Veranstaltungsorganigram-
                               Die Düsseldorfer Berufsschullehrerin Tanja Diaz von                                                 men oder Plänen werden auch ganz konkret Kurse zur
                               Lochow, die seit Mai im 14-tägigen Wechsel jeweils                                                  Prüfungsvorbereitung angeboten.
                               nur die halbe Klasse in der Schule sieht, hat in der langen
                               Zeit des „Homeschoolings“ nicht nur Arbeitsblätter,                                                 Susanne Fritzsch organisiert dieses Kursangebot, sie
                               sondern auch Erklärvideos in die Schulcloud gestellt.                                               will nicht nur die Techniker*innen, sondern auch die
                               Für die Gruppenarbeit gibt es in der Cloud eigene Ord-                                              Veranstaltungskaufleute ansprechen. Die Kurse zur
                               ner. Für die Abschlussklasse bastelte sie ein Quiz mit                                              Prüfungsvorbereitung stehen zu Zeit ganz vorn in der
                               häufigen Prüfungsfragen. Die Berliner Lehrerin Münch                                                Nachfrage. Rund 50 Azubis nutzen die jeweiligen kos-
                               hebt hervor, dass „Selbstorganisation“ auch schon vor                                               tenlosen Angebote nach der ersten Woche: „Das Feed-
                               Corona ein Thema im Unterricht war, „aber jetzt ver-                                                back von Ausbildungsbetrieben und deren Azubis ist
                               stehen die Schülerinnen und Schüler die Bedeutung                                                   sehr positiv und die Zusammenarbeit mit den Berufs-
                               aus eigener Erfahrung.“ Auch Diestelkamp sieht in                                                   verbänden der Branche rege. Täglich kommen neue
                               mehr Selbstständigkeit ein Ziel, das er künftig noch                                                Kursangebote hinzu und die Reichweite steigt“, erklärt
                               stärker im Berufsschulunterricht verfolgen will.                                                    Fritzsch. Die Dozent*innen seien selbst Ausbilder*in-
                                                                                                                                   nen und/oder Fachleute der Branche.
                               Während die Mediengestalter*innen den Vorteil ha-
                               ben, ihren Arbeitsplatz und ihre Produkte mit PC oder                                               Veränderte Regelungen
                               Laptop relativ flexibel gestalten zu können, sei es im                                              bei Fortbildungen
                               Betrieb oder im Homeoffice, sieht das für die Fach-
                               kräfte der Veranstaltungstechnik schon schwieriger                                                  Die Corona-Schließungen haben aber nicht nur die
                               aus – denn Veranstaltungen finden derzeit nicht statt.                                              berufliche Ausbildung getroffen, sondern auch die be-
                               Zu ihrer Abschlussprüfung gehört eine Projektarbeit,                                                rufliche Weiterbildung. Auf vielen IHK-Internetseiten
                               erläutert Ralf Stroetmann, Solo-Selbstständiger der                                                 findet man die Terminverschiebungen für Fortbil-
                               Veranstaltungstechnik und Prüfer sowohl für Azubis                                                  dungsprüfungen aller möglichen Fachrichtungen.
Auch Leimen will geübt sein!   wie für Meister*innen seines Fachs (s. „Ehrenamt Prü-                                               Im Mai hat das Bundesinstitut für Berufsbildung
Ein Schüler in der Buch­       fer“, S. 15). Diese Projektarbeit besteht in der Planung                                            (BIBB) drei neu geregelte Fortbildungen in der Medien-
binderwerkstatt der Ernst-                                                                                                         und Veranstaltungsbranche hervorgehoben: die/den
Lifaß-Schule.                                                                                                                      „Geprüfte/n Meister/in für Veranstaltungstechnik“,
                                                                                                                                   die/den „Geprüfte/n Industriemeister/in Fachrichtung
                                                                                                                                   Printmedien“, der jetzt auch die Buchbinderei ein-
                                                                                                                                   schließt, und die/den „Geprüfte/n Medienfachwirt/
                                                                                                                                   in“. Die Regelungen, so das BIBB, „greifen inhaltlich
                                                                                                                                   auch Veränderungen durch die zunehmende Digitali-
                                                                                                                                   sierung und Vernetzung auf. Insbesondere im mittle-
                                                                                         Foto: Lena Laurisch/Ernst-Litfaß-Schule

                                                                                                                                   ren Management bedeutet dies für Beschäftigte mit
                                                                                                                                   höherer Fachkompetenz und Führungsverantwortung
                                                                                                                                   eine deutliche Erweiterung ihres Tätigkeitfelds.“

                                                                                                                                   Neue Prüfungsverordnungen, ob für Fachkräfte oder
                                                                                                                                   Meister, werden von den Expert*innen der Berufsbildung
                                                                                                                                   zusammen mit Vertreter*innen der Arbeitgeber- und
                                                                                                                                   der Arbeitnehmerseite konzipiert. Ralf Stroetmann,

8 M 2.2020
MENSCHEN MACHEN MEDIEN - Ausbildung Ausbremsen gilt nicht
Foto: Robert Kiehn/BIBB
                                                                                                                          Schülerinnen und Schüler der
                                                                                                                          Beruflichen Schule Farmsen
                                                                                                                          BS19 Hamburg auf der Suche
ebenso wie Uta Kupfer von ver.di, bei der Erarbeitung         schiedenen Ausbildungsrichtungen und -niveaus ab-           nach der richtigen Einstellung
der neuen Prüfungsverordnung „Veranstaltungsmeis-             zustufende digitale Lehre. Er geht davon aus, dass die      bei Kamera, Licht und Ton.
ter/­in“ beteiligt, stellt besonders die verstärkte Aufgabe   Online-Vermittlung nach diesem Schuljahr nicht wie-
der Personalführung für die neuen Meister*innen he-           der zweitrangig wird, sondern dass die Einschränkun-
raus. Dazu gehöre als Teil der Prüfung auch ein Rol-          gen durch die Pandemie auch im kommenden Schul-
lenspiel zu einem Konfliktgespräch. Durch die neue            jahr noch deutlich zu spüren sein werden. Ähnliche
Prüfungsordnung, die seit Jahresbeginn in Kraft ist,          Überlegungen gibt es offenbar ebenfalls in Schulver-
fallen die früheren Meisterprüfungen ohne Fachrich-           waltungen und auch bei den organisierten Berufs-
tung und die Meisterprüfung mit den Fachrichtungen            schullehrern: „Denn die Frage ‚Homeschooling vs. Prä-
„Bühne/Studio, „Beleuchtung“ und „Halle“ weg.                 senzunterricht?‘ stellt sich nicht mehr. Der Mix aus bei-

                                                                                                                                  i
                                                              dem … ist gelebte Realität – und bleibt es auch auf
Den ersten Kurs für den neuen Abschluss als „Geprüf-          Dauer.“ Das macht die Planung für das neue Schuljahr
te/r Meister/in für Veranstaltungstechnik“ erlebte Stro-      ebenso schwierig wie Diestelkamps Befürchtung, im                           nfo
etmann, der selbst Dozent ist, an der Deutschen Event         nächsten Jahr weniger Schüler*innen begrüßen zu
Akademie in Hannover mit. Aber nur einen Tag lang,            können. Betriebe könnten als Folge der Krise Ausbil-
dann kam auch hier die Corona-Schließung. Ge-                 dungsplätze abbauen. Eine Sorge, mit der er nicht al-       Bundesverband der
schäftsführerin Anke Lohmann musste zehn Männer               lein ist. Auch die IHKs, Handwerkskammern (HWK),            Lehrkräfte für Berufsbildung
und eine Frau gleich wieder verabschieden. Weiter             Gewerkschaften, Arbeitsagenturen, Verwaltungen und          (BVLB):
ging es mit dem Kurs, der eigentlich sehr stark auf Prä-      Unternehmerverbände fordern dazu auf, Betrieben für         www.bvlb.de
senz und Projekte ausgerichtet ist, am PC. Das war für        den Erhalt von Ausbildungsplätzen Hilfe anzubieten
die Teilnehmer*innen ziemlich herausfordernd. Nor-            und wollen dafür zum Beispiel in Berlin und Branden-        Plattform
malerweise treffen sie sich zum zwei- bis dreiwöchi-          burg enger zusammenarbeiten.                                www.lernraum-berlin.de/
gen Blockunterricht an der Akademie und absolvieren                                                                       start/
nur ein Fünftel der 850 Lerneinheiten à 45 Minuten            Als Konsequenz aus den Schulschließungen haben die
im Selbstlernen.                                              „Berufsbildner“ vom BVLB und ihre Realschulkolle-           Kursangebot
                                                              gen, die Bildungsallianz Mittelstand und der Bundes-        https://igvw4edu.de/
Neu entwickelte Didaktik                                      verband der mittelständischen Wirtschaft „ein digita-
                                                              les Fitnessprogramm für die Schulen“ gefordert. Es          Bundesinstitut für Berufs­
für Online-Unterricht                                         gebe keine übergreifende „Bildungscloud“, sondern           bildung – neue Regelungen
Auch für die Dozent*innen war das eine grundlegende           bisher nur „digitale Insellösungen“. Für Caroline           Fortbildung:
Veränderung des Fortbildungsformats. Für diesen On-           Münch, die Berufsschullehrerin aus Berlin, hat die Co-      https://tinyurl.com/Neue-
line-Unterricht müsse man eine ganz neue Didaktik             ronakrise bei aller Tragik und allen Einschränkungen,       Fortb-Medien-Veranst
entwickeln, sagt Stroetmann. Das sehen auch Wilm              die sie gebracht hat, doch ein Gutes als Chance für
Diestelkamp von der Ernst-Litfaß-Schule und seine             „mehr Bewegung in der Bildungspolitik“. Ihre Kolle-
Kolleginnen so. Für Diestelkamp ist dabei nicht die           gin Elisabeth Lohse ergänzt: als „Zwang, sich neuen
Technik das Problem, sondern die jeweils auf die ver-         Herausforderungen zu stellen“.                     ‹‹

                                                                                                                                            2.2020 M 9
MENSCHEN MACHEN MEDIEN - Ausbildung Ausbremsen gilt nicht
IM FOKUS

                                 Ausbremsen gilt nicht
                                 Die Ausbildung im Bühnenservice läuft – nur eben anders als sonst

                                      F
                                                ünf Wochen Shutdown. So wird dieser                                     Krause, der die Lehrwerkstatt leitet, ist ein exzellenter
                                                Corona-Frühling auch in die Biogra-                                     Fachmann und hat ein gutes Händchen bei der Aus-
                                                 fien der Auszubildenden des Bühnen-                                    wahl seiner Azubis. 230 Bewerbungen sichtet er aktu-
                                                 service Berlin eingehen. Der Theater-                                  ell für drei Ausbildungsplätze ab Herbst. „Wir nehmen
                                                 dienstleister unter dem Dach der                                       nicht nur Abiturienten. Warum soll jemand mit
                                 hauptstädtischen Opernstiftung ist der größte Ausbil-                                  Hauptschulabschluss kein guter Tischler werden?“ Mo-
                                 dungsbetrieb in der Berliner Kulturbranche. Was be-                                    tivation und handwerkliches Geschick seien das Wich-
                                 deutet der Ausfall für die angehenden Fachkräfte für                                   tigste. Gut, einen Blick auf die Noten wirft der Ausbil-
                                 Kostüm- und Requisitenfertigung oder Bühnenbild-                                       der natürlich auch. Bestergebnisse bei Prüfungen und
                                 produktion? Wir fragten vor Ort nach.                                                  Preise bei Berufswettbewerben geben ihm Recht.

                                 Drei sind ausgebremst. In der Montagehalle bauen sie                                   Mit dem Niveau seines ersten Lehrjahres ist er erneut
                                 an einer riesigen Dekorationswand für eine Neuinsze-                                   sehr zufrieden. Hier geht es zunächst um handwerk-
                                 nierung an der Deutschen Staatsoper. „Neun Meter                                       liche Techniken, Maschinen kommen später zum Ein-
                                 hoch und zwei Meter breit. Die Wand soll irgendwie                                     satz. Im Lehrprogramm seien sie bisher so gut voran-
                                 einschweben“, wissen sie. Doch gerade fehlt eine                                       gekommen, dass sie den Ausfall im März und April,
                                 Lösung. Und der Mann, der entscheiden müsste, ist                                      der durch die coronabedingte Schließung des Bühnen-
                                 wegen Kurzarbeit nicht in der Werkstatt. So muss der                                   service entstanden ist, „ganz sicher kompensieren“
                                 Bau pausieren. Wilfried Klingbeil und seine Azubi-Kol-                                 können. Auch Svenja Haarmann-Thiemann, Camilla
                                 legen aus dem zweiten Lehrjahr werkeln deshalb an                                      Schlief und Alexander Stuker sind, was die handwerk-
                                 ihren Hobelbänken, füllen Berichtshefte aus, lesen in                                  liche Seite angeht, optimistisch. Die Praxis sei „nicht
                                 Arbeitsmaterialien. In die Berufsschule sollen sie erst                                das Ding“. Bedenklicher stimmt sie der Unterrichts-
                                 Ende Juni wieder. Ob die anstehende Zwischenprü-                                       ausfall in der Berufsschule. „Jein“, heißt es auf die
                                 fung abgenommen wird, ist noch unklar. „Dafür kön-                                     Frage, ob sie zwischenzeitlich Aufgaben bekommen
                                 nen wir ja jetzt hier genug üben“, sagt Wilfried. „Zeit                                hätten. Theorie-Unterweisungen seien Ausbilder
                                 zum Lernen bekommen wir auch.“                                                         Krause überantwortet worden. Mit den digitalen Mög-
                                                                                                                        lichkeiten hapere es in der Berufsschule eher noch.

                                                                                                                        Abteilungsleiter Jörg Wiedemann von der Max-Bill-
                                                                                                                        Schule, dem Berliner Oberstufenzentrum Planen,
                                                                                                                        Bauen, Gestalten, will das bei späterer Nachfrage so
                                                                                                                        nicht gelten lassen. Er verweist auf die Plattform
                                                                                                                        „Lernraum Berlin“, wo Lehrmaterialien eingestellt und
                                                                                                                        Aufgaben auch kontrolliert würden. Doch sei „die Si-
                                                                                                                        tuation für alle neu“ gewesen, 30 Prozent der Lehrer
                                                                                                                        zählten zur Risikogruppe. Man konzentriere sich auf
                                                                                                                        die Abschlussjahrgänge, schon bei den Tischlern an
                                                                                                                        die 200 Azubis. Solange die Berufsschulpflicht ausge-
                                                                                           Foto: Christian v. Polentz

                                                                                                                        setzt sei, liege die Verantwortung bei den Ausbildungs-
                                                                                                                        betrieben. Doch im Mai habe man Möglichkeiten di-
                                                                                                                        gitaler Fernbeschulung so richtig ausgetestet. Flächen-
                                                                                                                        deckend eingeführt werden soll Unterricht an Com-
                                                                                                                        putern nach den Sommerferien. Erst dann kommen
                                                                                                                        auch die Azubis des jetzigen ersten Lehrjahres wieder
Bühnenservice der Stiftung       Ein hölzerner Werkstattbock, vielfältig zu gebrauchen,                                 zum Präsenzunterricht an der Schule.
Oper in Berlin,                  sei „ein Knaller zum Bauen“ für angehende Tischler –
Lehrwerkstatt für Tischler.      wegen der vielen schrägen Teile. Heute hat Lehraus-                                    Anfang Mai sind zumindest die Abschlussjahrgänge
Ausbilder Ronny Krause (Mitte)   bilder Ronny Krause dazu eine seiner Lieblingsauf­                                     dorthin zurückgerufen worden. Prüfungsvorbereitung
mit Svenja, Alexander und der    gaben gestellt: Die Winkel an der Diagonalschräge                                      steht an. Vom Bühnenservice betrifft das, nachdem
Diagonalleiste.                  ermitteln. Knifflige Sache. Nur einmal bisher sei ein                                  seine zwei Jahrgangskolleginnen vorzeitig ausgelernt
                                 Azubi ganz allein auf die Lösung gekommen. „Die drei                                   haben, nur noch Jonathan Hilliger. Der JAV-Vorsitzende
                                 knobeln noch“, meint Krause mit Blick auf die Aus-                                     der Stiftung Oper in Berlin weiß über den Stand bei
                                 zubildenden des ersten Lehrjahres. „Wir klären das                                     den anderen Auszubildenden im Bühnenservice genau
                                 dann gemeinsam.“                                                                       Bescheid. Ihm selbst bringe die Schule momentan

10 M 2.2020
AUSBILDUNG

„richtig viel“. Mit 1,50 m Abstand und neun Schüler*­        richtseinheit zeigt, hat sie auf dem Handy. In ihren 40
innen im Klassenraum macht er sich für seine Prüfun-         Dienstjahren an der Staatsoper und beim Bühnen­
gen fit. Die Termine im Juni stehen fest. Sein Ge­           service gab es so etwas schließlich noch nie.
sellenstück, einen ausziehbaren Tisch, muss er bis
Anfang August fertig haben …                                 Seit 22. April sind auch die Auszubildenden in der
                                                             Schuhmacherei, die angehenden Bühnenmaler und
Mit etwas „Sinnvollem“ wurde in der Kostümabtei-             -plastiker, wieder zurück in den Werkstätten. Für sie
lung die Zwangspause ab Mitte März überbrückt: Wie           gilt keine Kurzarbeit. Für die nichtkünstlerischen Be-
alle anderen Beschäftigten sind die Azubis auf „mobi-        schäftigten des Bühnenservice und der gesamten Stif-
les Arbeiten“ umgestiegen und haben auf heimischen           tung Oper in Berlin dagegen schon. Mit ver.di wurde
Maschinen Masken genäht. Den Prototyp in verschie-           ein Covid-19-Tarifvertrag vereinbart, der unter ande-
denen Varianten zeigt Ausbilderin Monika Krenz. Die          rem das Kurzarbeitergelt auf 100 Prozent aufstockt.
Gewandmeisterinnen hätten vor Ort zugeschnitten,
die „Näher*innen“, unter die sich auch die Schuhma-
cher mischten, holten sich Material ab oder bekamen
es über einen Shuttle zugeliefert. Fertige Teile kamen
zurück. 20.000 Masken entstanden so, die vorwiegend
an Alters- und Pflegeheime, Krankenhäuser, Arztpra-
xen, aber auch in die Berliner Verwaltung gegangen
seien. „Zuletzt haben wir 1.800 Stück an die Zentral-
und Landesbibliothek geliefert, als die Häuser wieder
öffnen durften“, erklärt Geschäftsführer Rolf D. Suhl.
Da Anproben in der Kostümschneiderei bis auf wei­
teres nicht möglich sein werden, wolle man leer­

                                                                                                                                                          Foto: Christian v. Polentz
stehende Flächen nutzen, die Arbeitsplätze der Auszu-
bildenden mit Abstandsgebot weiter räumlich zu ent-
zerren. Mehr angehende Damen- und Herrenschnei-
der*innen könnten so zeitgleich wieder an ihren
Ausbildungsplatz zurück.

Noch wird rolliert. Die zwei Damen- und zwei Herren-         Er sei froh, dass mit einem entsprechenden Hygiene-          Bühnenservice der Stiftung
schneider-Azubis des zweiten Lehrjahres üben gerade          und Sicherheitskonzept ab 11. Mai zunächst der Be-           Oper in Berlin, Lehrwerkstatt
an Teilen, die für ihre zunächst ausgefallene Zwischen-      trieb in der Tischlerei und den gesamten Dekorations-        für Damen- und Herrenmaß-
prüfung auf dem Programm stehen. Bei den Herren              werkstätten wieder hochgefahren werden konnte.               schneider*innen.
kann das rechte Bein einer Hose vorgearbeitet werden.        „Alles, was wir nun für künftige Premieren vorprodu-         Elisabeth (vorn) und Nico
Das linke ist dann mit Zeitlimit in der Prüfung zu nä-       zieren, wird zunächst eingelagert“, erläutert Bühnen-        nähen Herrenhosen auf Probe
hen. Nico Vanni hat die Taschen für seine graue              service-Geschäftsführer Suhl. „Wir haben immer sehr          für die Zwischenprüfung.
Übungshose fertig und kümmert sich nun um eine               intensiv ausgebildet, auch um die theaterspezifische
Leineneinlage im Bund. Wie seine Jahrgangskollegin           Qualifikation und das Know-how zu sichern.“ Die Aus-
Elisabeth Riele investiert er zusätzlich Zeit für die The-   bildungsplätze seien einmalig und begehrt, speziell
orie. Aus dem Oberstufenzentrum Mode kommen Auf-             im handwerklichen Bereich. 30 Auszubildende gibt es
gaben: „Für Stoffkunde legen wir gerade ein Stoff-­          im Bühnenservice aktuell, im Stiftungsdach fast noch-
Lexikon an.“ Elisabeth fürchtet keine großen Ausfälle.       mal so viele. Dort werden vorrangig Kaufleute für
Sie ist „sehr glücklich“ über ihren Ausbildungsplatz         Büromanagement und Fachkräfte für Veranstaltungs-
und den hohen Standard. Melissa Roxanne Hebold als           management ausgebildet. Es sei „immer wieder toll,
angehende Damenschneiderin wird bei der Zwischen-            wie viel die jungen Leute lernen. Sie bringen auch
prüfung einen Rock mit Taschen und Schlitz anferti-          Munterkeit und Dynamik ins Haus.“, Man könne so
gen müssen, soviel ist inzwischen klar. Ihr gefällt in       gut wie allen Ausgelernten eine Übernahme anbieten
ihrem Metier ein „noch größeres Spektrum“ an gestal-         – teilweise befristet. Das dürfte so bleiben, „mittelfris-
terischen Möglichkeiten, vor allem durch Schmuck-            tig gibt es Personalbedarf“, so der Geschäftsführer.
techniken.
                                                             Kontinuität sei für das kommende Ausbildungsjahr
Die werden auch beim Gesellenstück der Azubis aus            2020/21 beschlossen worden, auch wenn noch offen
dem 3. Lehrjahr gefragt sein, wenn es um die Gestal-         ist, ob die bisherige hälftige Förderung der Azubi-­
tung eines kompletten „Ensembles“ geht. Die Herren-          Entgelte aus dem solidarischen Finanzausgleich des
schneider*innen fertigen dagegen ein Sakko. Ausbil-          Berliner Senats fortgeführt wird. Dafür hat sich auch
derin Karin Krenz fürchtet für den aktuellen Ab-             der Personalrat bei der Finanzverwaltung stark ge-
schlussjahrgang keine ernsthaften Lücken. Auch das           macht. „Wir wollen den gegenwärtigen Umfang und
Oberstufenzentrum sei sehr aktiv – „sogar mit Video-         das Niveau der Ausbildung unbedingt halten“, so das
konferenzen“. Ein Foto, das die Akteure des dritten          für die Jugendvertretung zuständige Personalratsmit-
Lehrjahres maskentragend bei einer solchen Unter-            glied Klaus Grunow.             Helma Nehrlich ‹‹

                                                                                                                                           2.2020 M 11
IM FOKUS

Blaue Flecken gehören dazu
Stuntleute: Multitalente mit viel Geduld und gesunder Selbsteinschätzung

     S
                 tuntleute können spektakulär
                 kämpfen, stürzen oder sich
                  mit dem Auto überschla-
                  gen. Doch sie können
                  auch Dinge, die auf der
Leinwand nicht so deutlich zu sehen
sind: Sie sorgen für die Sicherheit am
Seil oder unter Wasser und bauen auch
mal ein Glasdach für eine Actionszene
selbst. Wer sich für diesen Beruf entschei-
det, sollte belastbar und furchtlos sein –
und die eigenen Fähigkeiten gut einschätzen
können.

Sie kommt zur Hilfe, als ihre Kollegin in einem Zwei-
kampf mit einem Bösewicht steckt. Nimmt Anlauf und springt mit
gestrecktem Bein auf den Mann zu, dreht sich um die eigene Achse
und will ihm einen Schlag ins Gesicht verpassen. Den kann der Mann
abwehren – dafür verpasst sie ihm nur wenige Sekunden später ei-
nen fiesen Tritt in die Kniebeuge. Die Zuschauer*­innen von „3 Engel
für Charlie“ von 2019 sehen in dieser Kampfszene eine gnadenlose
Kristen Stewart im knappen Glitzerkleid – sie sehen aber auch Han-
nah Spreitzenbarth, eines der drei Doubles der US-Schauspielerin.
                                                                       Fotos (2): Kay Herschelmann

Als Stuntfrau kam sie in den Actionszenen des Films zum Einsatz.

 Weniger actiongeladen geht es an diesem Tag Anfang Mai zu. Nor-
  malerweise würden Hannah Spreitzenbarth und ihr Freund Nik-
   las Kinzel jetzt mit anderen Stuntleuten trainieren, vielleicht
               Kampfsport machen oder einen Workshop für Auto-
                  stunts belegen. Doch wegen der Corona-Pande-                                       Hannah Spreitzenbarth (links) und Niklas Kinzel (oben), Dani Stein (rechts)
                      mie haben die Hallen geschlossen, Filmdrehs
                         wurden abgesagt. Da muss der Park in der
                             Nähe ihrer Berliner Wohnung reichen.                                    lich, dass ich diesen Beruf machen kann.“ Auch wenn das bedeute,
                                                Dort machen sie                                      dass man bei einem Dreh nicht nur einmal, sondern vielleicht mehr
                                                    Boxtraining,                                     als ein Dutzend Mal eine Treppe hinunterstürzen müsse. „Es wird
                                                       schlagen und                                  immer von uns erwartet, dass wir nicht meckern“, sagt er.
                                                        kicken ab-
                                                        wechselnd                                    Kein anerkannter Beruf
                                                        gegen das
                                                       Schlagpols-                                   Der 31-Jährige hatte eigentlich vor, Sozialarbeiter zu werden. Aber
                                                     ter und stellen                                 da war diese Leidenschaft für den Kampfsport, die ihn schon seit sei-
                                                  eine Mini-Kampf­                                   ner Kindheit begleitet. Über Kontakte landete er als Stuntman bei
                                                 szene nach.                                         der RTL-Serie „Lasko – Die Faust Gottes“. Hinter der Serie steht die
                                                                                                     in Hürth bei Köln ansässige Filmproduktionsfirma Action Concept,
                                             „Ich bin nicht für den                                  die sich auf Formate spezialisiert hat, in denen Stunts eine große
                                           Schreibtisch geboren“,                                    Rolle spielen und die auch die Serie „Alarm für Cobra 11“ produziert.
                                     sagt Niklas Kinzel. Trotz der                                   Niklas Kinzel fasste Fuß im Stungeschäft. Als Quereinsteiger ist er
                                   Unsicherheit, die er und seine                                    eher die Regel als die Ausnahme unter den Stuntleuten. Stuntleute
                                  Kolleg*innen derzeit erleben,                                      können auch Sachen machen, die für Filmzuschauer*innen weniger
                                  schwärmt er von seinem Job. Er                                     sichtbar sind. Niklas Kinzel ist zum Beispiel auch Stuntrigger. Das be-
                                 könne reisen und arbeite mit Men-                                   deutet, dass er am Set Stunts betreut, für die Seile genutzt werden.
                                schen, die andere nur auf der Lein-                                  Die kommen oft dann zum Einsatz, wenn Darsteller*innen durch
                                wand erleben. „Ich bin sehr glück-                                   die Luft fliegen, etwa nach einem kräftigen Schlag.

12 M 2.2020
AUSBILDUNG

„Stuntman ist kein anerkannter Beruf, für den es eine fest-                                                       schub, den der Job ihr gebe. Dafür nimmt sie eini-
gelegte Ausbildung und dann einen Abschluss gibt“, sagt                                                          ges in Kauf: Arbeitstage, die 16 Stunden dauern kön-
Pamela Gräbe, Geschäftsführerin der German Stunt As-                                                             nen, und kurzfristig angekündigte oder verschobene
sociation – das ist der Bundesverband deutscher Stunt-                                                            Drehtage, Phasen, in denen es am Stück sehr viel,
leute. Praxiserfahrungen am Filmset seien entscheidend.                                                             dann wieder weniger zu tun gibt. Das sei nicht
„Die praktische Seite ist ganz wichtig.                                                                                einfach gewesen, als ihre Tochter noch klein
Learning by doing mit erfahrenen Stunt­                                                                                 war. „Das war hart als alleinerziehende Mutter.
koordinatoren“ sei der beste                                                                                           Ich habe an die 30 Kindermädchen und Baby-
Weg, um in den Beruf einzu-                                                                                           sitter verschlissen.“
steigen. Besondere Fähigkei-
ten eignen sich Stuntleute                                                                                         Oft seien Stuntleute nur tageweise in Filmprojek-
auch über Workshops und                                                                                             ten tätig, sagt Pamela Gräbe. Bei großen, interna-
Weiterbildungen an. In Work-                                                                                           tionalen Produktionen wirkten sie aber auch
shops, die unter anderem die Ger-                                                                                        mehrere Wochen oder Monate am Stück mit.
man Stunt Association anbietet, üben sie                                                                                   Nur wenige Stuntleute seien fest angestellt,
Autostunts, Theaterfechten und Kampfchoreografien oder lernen,                                                              die meisten arbeiteten freiberuflich, viele
wie ein Stunt vor der Kamera am besten zur Geltung kommt. Einige                                                               seien in der Künstlersozialkasse. Trotzdem
Stuntleute haben zusätzliche Qualifikationen, etwa als Industrieklet-                                                            gebe es über den Status der Freiberuf-

                                                                            Foto: Elke Schmidt
ter*in oder als so genannter Rescue Diver, der für die Sicherheit bei                                                            lichkeit immer wieder Auseinanderset­
Tauchszenen sorgt. Als Voraussetzung für diesen Beruf sieht der Ver-                                                             zungen mit der Rentenversicherung.
band eine abgeschlossene Berufsausbildung oder ein Studium an –
auf eine bestimmte Fachrichtung ist man jedoch nicht festgelegt.                                 Studienabschluss für die Zukunft
„Learning by doing“ – diesen Weg wählte Hannah Spreitzenbarth.                                   Superreich könne man hierzulande als Stuntfrau oder -mann nicht
Sie ist ausgebildete Balletttänzerin, stellte aber fest, dass diese Bran-                        unbedingt werden – anders als in den USA, dem Land der großen
che nichts für sie ist, und beschloss, Stuntfrau zu werden. „Dafür                               Actionfilme. Dort seien manche Stuntleute Millionäre, sagt Dani
habe ich fünf Jahre trainiert“, sagt die 30-Jährige. So oft es ging, nahm                        Stein. In deutschen Produktionen hingegen, vor allem fürs Fernse-
sie am Training von Stuntleuten teil. Immer wieder bot sie sich für                              hen, spielten Actionszenen eine geringere Rolle. Das bestätigt auch
Tests an, mit denen Stunts vorab ausprobiert und geprobt werden.                                 Niklas Kinzel: „Wenn man sparen muss, sind wir die ersten, die da-
Dabei kam ihr zugute, dass sie bereits Leute in der Szene kannte. Die                            runter leiden“. Doch auch in Deutschland lasse sich von dem Job
Branche in Deutschland ist überschaubar, man kennt sich. „Das Netz-                              gut leben. „Man kann gut bis sehr gut verdienen“, sagt Dani Stein.
werk ist alles“, sagt Hannah Spreitzenbarth.                                                     Vor Corona habe es ausreichend Aufträge gegeben. Das habe zu gro-
                                                                                                 ßen Teilen an der Streamingplattform Netflix gelegen, die Filme und
Die German Stunt Association schätzt, dass es in Deutschland bis zu                              Serien in hoher Zahl selbst produziert und auch in Deutschland
160 Stuntleute gibt, von denen nur etwa 20 Prozent Frauen sind. Das                              dreht. Wie es weitergeht, weiß sie nicht. Vielleicht, sagt sie, erlebe
liege daran, dass es in TV- und Kinoproduktionen generell weniger                                die Branche einen Boom. „Die Menschen wollen Filme gucken.“ In
Rollen für Frauen gebe, sagt Gräbe. Zudem seien in den Drehbüchern                               der Krise kommt ihr möglicherweise eine Eigenschaft zugute, die den
weniger Actionszenen für weibliche Charaktere vorgesehen. Der Ver-                               Job aus ihrer Sicht erst möglich macht: „Man darf keine Angst ha-
band der Stuntleute unterscheidet zwischen neun verschiedenen Be-                                ben“, sagt Dani Stein. Nur dann funktioniere auch ein Treppensturz.
rufsbildern in der Branche – das sind neben den Stuntperformern                                  Der Körper stecke die Stunts am besten weg, wenn er locker und un-
und -riggern unter anderem Choreograph*innen für Kampfszenen                                     verkrampft sei. Sie habe sich noch nie bei einem Stunt einen Kno-
oder Expert*innen für Stunts mit Pferden. Eine tragende Rolle hat                                chen gebrochen. Doch blaue Flecken gehörten dazu. „Und meine
der Stunt Coordinator, der für die Umsetzung der Actionszenen zu-                                Schienbeine sehen auch nicht so toll aus“, lacht sie.
ständig ist.
                                                                                                 Die wohl wichtigste Voraussetzung für den Beruf sei eine gesunde
„Der Stunt Coordinator ist am Set das Bindeglied zwischen der Re-                                Selbsteinschätzung, sagt Hannah Spreitzenbarth. Falscher Stolz sei
gie und den Stuntleuten“, sagt Dani Stein im Telefongespräch mit                                 fehl am Platz. Niklas Kinzel ergänzt: „Wenn man eine Sache noch
„M“. Die Wahlberlinerin ist eine der wenigen weiblichen Stuntko-                                 nicht gut beherrscht oder einen anderen Schwerpunkt hat, muss
ordinatoren weltweit. Sie entscheidet, welche Szenen gedoubelt wer-                              man auch mal einen Job ablehnen.“ Die beiden haben sich darauf
den und sorgt dafür, dass die Ausstattung stimmt. „Wenn jemand in                                eingestellt, dass sie nicht bis zur Rente Stunts umsetzen werden. Han-
einem Film durch ein Glasdach fällt, weiß ich, wie das Dach gebaut                               nah Spreitzenbarth hat im Fernstudium ihren Abschluss in Kultur-
werden muss.“ Häufig baut sie die Sachen gleich selbst – handwerk-                               und Medienmanagement gemacht, um für die Zeit nach den aktiven
liches Geschick kann im Stuntgeschäft nicht schaden. Zuletzt hat sie                             Stunts als Produktionsassistenz am Set arbeiten zu können. Niklas
unter anderem die Stunts für die Serie „Babylon Berlin“ koordiniert.                             Kinzel will später verstärkt auf seine Arbeit als Stuntrigger setzen.

Seit 30 Jahren ist Dani Stein außerdem als Stuntfrau aktiv, ihr Alter                            Dani Stein hingegen möchte nicht von einem Höchstalter ausgehen.
verrät sie grundsätzlich nicht. Wer sich ihre Website ansieht, kann                              Autostunts werde sie noch eine Weile machen können, und ihre Ar-
ihr dabei zuschauen, wie sie in eine Fensterscheibe kracht, mit ei-                              beit als Stuntkoordinatorin sowieso. Wie lange man in diesem Job
nem Auto über eine Parkschranke hinweg fliegt oder auf einem bren-                               bleiben könne, das sei individuell. Es brauche eben eine gewisse
nenden Motorrad ins Wasser stürzt. Ihre Begeisterung gilt allem, was                             Grundfitness. „Man darf nicht aufhören, man muss immer weiter
schnell fährt. Sie „liebe Geschwindigkeit“, brauche den Adrenalin-                               machen.“                                      Sarah Schaefer «

                                                                                                                                                            2.2020 M 13
IM FOKUS
XXXXXXXXXXXXXXX

                           Frau macht Buch
                           Ausbildung in der Buchbranche als Karrierechance

                             D
                                          ie Buchbranche ist größtenteils weib-     Medienkaufleuten Digital und Print im Buchverlag
                                           lich geprägt – das belegen auch die      75 Prozent und im Buchhandel sogar 83 Prozent aller
                                            Zahlen zu den aktuell laufenden Aus-    Neu-Azubis Frauen waren. Dem entspricht ein im Ver-
                                            bildungsverträgen, von denen rund       gleich zu anderen Medienbranchen deutlich höherer
                                            80 Prozent durch Frauen unterschrie-    Anteil von Frauen in Führungspositionen. So waren
Anteil von Frauen in       ben wurden. Im Gegensatz zu anderen Medienberei-         nach einer Analyse des Branchenmediums „Buchre-
Führungspositionen,        chen – wie etwa dem Journalismus – entsprechen diese     port“ 2019 rund 40 Prozent der Führungspositionen
Geschäftsführungs- und     Zahlen aber auch einem vergleichsweise hohen und         auf Geschäftsführungs- und Leitungs-Ebene weiblich
Leitungs-Ebene bei Buch-   erfreulicherweise wachsenden Anteil von Frauen in        besetzt. Tendenz steigend mit 33 Prozent im Jahr 2017
handel und Buchverlagen    Führungspositionen. Drei Ausbildungsberufe bietet        und 29 Prozent im Jahr 2010. Erfreulich hohe Zahlen
                           die Branche. Und zahlreiche Möglichkeiten für den        vor allem im Vergleich zum Journalismus, wo – ob-
                           Nachwuchs, sich aktiv einzubringen.                      wohl die Branche insgesamt auch hier mehrheitlich
                                                                                    weiblich geprägt ist – nach Angaben des Vereins Pro-
           2010:
           29%             „Was mit Buch“, das heißt für den Ausbildungs­           Quote Medien 2019 etwa bei den Regionalzeitungen
                           bereich: Buchhändler*in, Medienkauffrau/mann Di-         zu 93 Prozent Männer in den Chefsesseln saßen, der
                           gital und Print oder Kaufmann/frau im E-Commerce.        Frauenanteil demnach nur sieben Prozent betrug.
                           Der Berufsausbildung im Buchladen – mit Fokus auf
                           den direkten Kontakt zu den Kund*innen und eher          „Die Ausbildung im Verlag hat zum Glück, im Gegen-
                           weniger Arbeit im Büro – entspricht im Buchverlag die    satz zu den Volontariaten, einen gesetzlich veranker-
           2017:           Ausbildung zum Medienkaufmann oder zu Medien-            ten Ausbildungsplan. So haben die Azubis im Verlag
           33%             kauffrau Digital und Print. Seit 2017 bietet die Buch-   im Gegensatz zu den meisten Volontär*innen klare
                           branche außerdem die Möglichkeit für eine Ausbildung     Vorgaben, wie die Ausbildung gestaltet sein muss“,
                           zum Kaufmann oder zu Kauffrau im E-Commerce in           sagt Lynne Forster, Schriftführerin im Verein Junge
                           Medienunternehmen, die ihre Bücher ausschließlich        Verlagsmenschen. Der 2009 gegründete Zusammen-
                           oder auch online vertreiben.                             schluss von inzwischen mehr als 800 Mitgliedern ist
                                                                                    der größte Nachwuchsverein der Buch- und Medien-
                           464 junge Männer und Frauen haben nach Angaben           branche und in 15 Städtegruppen organisiert. Berufs-
           2019:           des Deutschen Industrie- und Handelskammertags           einsteiger*innen und Student*innen finden hier eine
           40%
                           (DIHK) im Jahr 2019 eine Ausbildung zur Buchhänd-        unabhängige Plattform, um sich auszutauschen und
                           ler*in begonnen. Bei den Medienkaufleuten Digital        weiterzubilden.
                           und Print im Verlag waren es 579. Ob sich die Corona-
                           Krise auch auf das Angebot von Ausbildungsplätzen        Zur Qualität der Ausbildung im Verlag habe man keine
                           in diesem Jahr auswirken werde, lasse sich momentan      Zahlen und Fakten, so Forster. Berufsanfänger*innen,
Zum Vergleich:             noch nicht beantworten, sagt Monika Kolb-Klausch,        die sich über ihre Rechte informieren oder auf Miss-
Anteil von Frauen in       Bildungsdirektorin beim Börsenverein des Deutschen       stände aufmerksam machen wollen, könnten sich je-
Chefsesseln                Buchhandels und Geschäftsführerin des mediacam-          doch direkt an die Arbeitsgruppe Nachwuchsrechte
bei Regionalzeitungen      pus frankfurt, eine zentrale Aus- und Weiterbildungs-    wenden, die 2014 innerhalb des Junge Verlagsmen-
                           einrichtung des Börsenvereins, die auch als Berufs-      schen e.V. geschaffen wurde. Deren Ziel ist es, die Ar-
                           schule fungiert. „Die Buchhandlungen und Verlage         beitsbedingungen des Nachwuchses in der Buch- und
                           gehen sehr individuell mit den Herausforderungen         Medienbranche zu untersuchen und kritisch zu hin-
                           um Corona um. Viele halten an ihren Planstellen fest,    terfragen. In tarif- und arbeitsrechtlichen Fragen ko-
                           andere legen beim Rekrutieren zunächst eine Pause        operiert der Verein seit 2016 außerdem mit ver.di.
           2019:
           7%              ein und beobachten die Entwicklung des Geschäfts.
                           Unseres Wissens bleibt die Mehrheit allerdings bei den   Aktiv einbringen können sich Azubis der Buchbran-
                           ausgeschriebenen Ausbildungsplätzen.“                    che zudem beim Börsenverein. Auch hier entstand im
                                                                                    September 2019 eine Nachwuchs-AG – im Anschluss
                           Etwas weniger genaue Angaben lassen sich zur Zahl        an das ebenfalls vom Börsenverein ins Leben gerufene
                           der Ausbildungsplätze zum/r Medienkaufmann/frau          Nachwuchsparlament, bei dem Fachthemen diskutiert
                           im E-Commerce machen, da es sich hier nicht um eine      und Workshops gestaltet werden, und das Nachwuchs-
                           branchenspezifische Ausbildung handelt. Laut DIHK        sprecher*innen wählt, die auch Ansprechpersonen für
                           haben 2019 über alle Handelsbranchen hinweg 2.700        Berufsanfänger*innen mit ihren Fragen sind. Mit dem
                           junge Menschen diesen Berufsweg eingeschlagen, da-       Nachwuchsparlament startet zudem jedes Jahr ein
                           runter knapp 40 Prozent Frauen. Ziemlich genau lässt     Mentoring-Programm, das Branchenprofis und -nach-
                           sich dagegen sagen, dass im letzten Jahr bei den         wuchs zusammenbringt.        Monique Hofmann ‹‹

14 M 2.2020
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