Inklusives Aufwachsen in Kindertagesstätten, Schulen und offener Kinder- und Jugendarbeit - Dokumentation Fachtag 2010

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Inklusives Aufwachsen in Kindertagesstätten, Schulen und offener Kinder- und Jugendarbeit - Dokumentation Fachtag 2010
Inklusives Aufwachsen
in Kindertagesstätten, Schulen und
offener Kinder- und Jugendarbeit

Dokumentation Fachtag 2010

Veranstalter: Behindertenbeirat und Behindertenbauftragter
mit Unterstützung der Landeshauptstadt München, Sozialreferat
Impressum

Herausgeber:                                 Titelfoto:
Behindertenbeirat                            Michael Nagy/Presseamt München
der Landeshauptstadt München
Verantwortlich: Heinz Karrer, Vorsitzender   Gestaltung:
                                             victorswerbung
Burgstr. 4, 80331 München                    denk- und designstudio
Tel. (089) 233-211 78                        Elisabeth-Kohn-Str. 29
                                             80797 München
E-Mail: behindertenbeirat.soz@muenchen.de
www.behindertenbeirat-muenchen.de            Druck, Herstellung:
                                             Stadtkanzlei
Redaktion: Christa Schmidt                   gedruckt auf recyclingfähigen Papier
Gabi Steinfelder, Angela Setzke de Soto
                                             März 2011
Fotos: Behindertenbeirat, privat
Inklusives Aufwachsen
in Kindertagesstätten, Schulen und
offener Kinder- und Jugendarbeit

Dokumentation Fachtag 2010

Freitag, 5. März 2010
DGB - Haus München, Schwanthalerstr. 64
INHALT

Vorwort:
Heinz Karrer, Vorsitzender ................................................................................................................. 6

Grußworte:
Christian Müller, Stadtrat .................................................................................................................. 7
Monika Monat, Schulreferat ............................................................................................................ 8
Stefanie Krüger, stellvertr. Leitung Stadtjugendamt ...................................................... 9

HAUPTVORTRAG:

Inklusion - (k)ein neues Modewort!? -
Die Wirkungen der UN-Konvention für die Rechte von
Menschen mit Behinderungen auf die Bildung aller Kinder ..................................... 12
Frau Prof. Dr. Jutta Schoeler

EINFÜHRUNG:

Auf dem Weg zur Inklusion – Praxis, Methoden, Inspiration .................................... 20
Das Netzwerk Inklusion Praktisch stellt sich vor
Christa Schmidt, Stadtjugendamt, GIBS Stabsstelle

Wie wird man eine inklusive Einrichtung
der Offenen Kinder- und Jugendarbeit? .................................................................................. 24
Kerstin Günter, MOP 27

Inklusion in der Kindertagesstätte ............................................................................................. 25
Franziska Rützel-Richthammer, Referat für Bildung und Sport

WORKSHOPS ZU OFFENER KINDER- UND JUGENDARBEIT

Von der Integration zur Inklusion: .............................................................................................. 26
Spielratz e.V. im Transformationsprozess
Georg Staudacher, Spielratz e.V. / Netzwerk Inklusion

Ehrenamtlichkeit und Partizipation ............................................................................................ 30
Juanita Lesser, evangelische Jugend München

Inklusionsindex für Einrichtungen .............................................................................................. 31
Das Fortbildungsmodul – Informationsgrundlage
und Multiplikator/-innenschulung
Prof. Dr. Clemens Dannenbeck, Hochschule für Soziales Landshut

Selbsterfahrung und Sensibilisierung ...................................................................................... 37
Netzwerk Inklusion
WORKSHOPS ZUR KINDERTAGESBETREUUNG

Wie werden wir eine Integrationseinrichtung? ................................................................ 38
Inklusive Haltung – äußere Rahmenbedingungen
Gabriele Theobald und Irmgard Schlögl-Loder, Schulreferat, Fachabtlg. 5

Von der Integration zur Inklusion in den städt. Kinderkrippen ............................. 40
Elfriede Maria Daschner, Fachbereichsltg. der städt. Kinderkrippen
Christine Steiner, Steuerung der Kinderkrippen freier u. sonstiger Träger
Edeltraud Prokop, Leiterin einer Regeleinrichtung mit Einzelintegration
Manuela Teschendorf, Heilpädagogin in einer integrativen Kinderkrippe

Ich bin anders, Du bist anders ...................................................................................................... 42
Was brauchen Eltern für eine gelungene Integration ihres Kindes
in den Kindergarten ihrer Wahl? – Kreisjugendring München-Stadt

WORKSHOPS ZU SCHULE

Inklusives Schulleben 2020 ............................................................................................................ 43
Mit Phantasie den Blick in die Zukunft gerichtet! Franz Göppel, BIB e.V.

Modellprojekt Inklusion an einer städtischen Schule in München .................... 45
Alexander Lungmus, Schul- und Kultusreferat der
Landeshauptstadt München

Die inklusive Schule ............................................................................................................................ 46
Begründung - Konzept - Bildungspolitik
Architektur eines inklusiven Bildungswesens
Eine bildungspolitische Skizze – Prof. Dr. Hans Wocken

WORKSHOPS ZU KOOPERATIONEN:

Zusammenarbeit von Regelschule und
integrativer Kindertageseinrichtung ........................................................................................ 52
Gabriele Theobald und Kristina Mayer, Schulreferat, Fachabteilung 5

Für die einen noch spannend – für die anderen noch machbar ............................ 54
Träger der offenen Kinder- und Jugendarbeit realisieren gemeinsame
Schulklassenprogramme für Förder- und Regelschulen
Brigitte Wurbs, Echo e.V., Kreisjugendring München-Stadt

Barrierefrei vom Kindergarten in die Schule ....................................................................... 56
Empirische Ergebnisse einer Befragung von Münchener Eltern
zur Kontinuität von Integration und Inklusion
Was kommt nach der vorschulischen Integration?
Carmen Dorrance

Fazit der Fachveranstaltung ........................................................................................................... 63
cher und freier Trägern, Eltern und
                                                             Betroffen wurden in den zwölf Work-
                                                             shops neue Lösungsansätze zur
                                                             Umsetzung der Inklusion erörtert.

                                   Vorwort                   Mit der vorliegenden Dokumenta-
                                                             tion wird versucht, die Fragestellun-
                                                             gen und Ergebnisse der Beteiligten
                                                             in einer Weise wiederzugeben, die
                                                             dem Charakter der Tagung gerecht
                                                             wird.

                                                             Mögen die hier festgehaltenen Er-
                                                             gebnisse maßgeblich dazu beitra-
      Heinz Karrer   „Inklusives Aufwach(s)en in Kinder-     gen, dass die drei diskutierten
  Vorsitzender des   tagesstätten, Schulen und offener       Lebensbereiche von Kindern und
Behindertenbeirats   Kinder- und Jugendarbeit“ war der       Jugendlichen: Kindertagesbetreu-
                     Titel einer ganztägigen Fachveran-      ung, Schule und der Bereich der
                     staltung am 5. März 2010 in Mün-        offenen Kinder- und Jugendarbeit
                     chen.                                   sich mehr und mehr einer inklusiven
                                                             Kultur öffnen und diese täglich mit
                     Als Veranstalter dieses Fachtags        neuen Ideen und Impulsen berei-
                     konnte der Behindertenbeirat der        chern!
                     Landeshauptstadt München schon
                     im Vorfeld feststellen, dass die Wahl   Entscheidend wird es aber vor allem
                     dieses Themas auf sehr hohe Reso-       sein, wie die neuen Erkenntnisse in
                     nanz stieß: schnell war die Anmelde-    der Praxis umzusetzen sind. Dafür
                     kapazität von 280 TeilnehmerInnen       braucht es viel Mut, Neugierde und
                     erreicht, mehr passten nicht ins        oft eine Menge Durchhaltevermö-
                     DGB-Haus München, leider mussten        gen. Möge der erfolgreiche Verlauf
                     dadurch einigen Personen Absagen        der Fachtagung ein gutes Omen für
                     erteilt werden.                         gelungene Inklusion in München
                                                             werden!
                     Auch für diejenigen ist diese Doku-
                     mentation gedacht, damit sie die        Allen Mitwirkenden sei auch auf die-
                     Chance haben, die Ergebnisse der        sem Wege herzlich für ihr Engage-
                     Fachveranstaltung zu erfahren. Es       ment gedankt, denn nur unter der
                     stellte sich heraus, dass die Notwen-   Beteiligung Vieler, können solche
                     digkeit der Inklusion allgegenwärtig    Projekte funktionieren, gelingen und
                     auf den verschiedensten Aktions-        wirken.
                     ebenen anerkannt wird.
                                                             Das Zusammenarbeiten mit allen
                     Der Fachtag hatte deshalb zahlreiche    Beteiligten mit oder ohne Behinde-
                     Fachleute aus Theorie und Praxis        rungen ist aus unserer Sicht ein gu-
                     eingeladen, um über gelungene           tes Beispiel für gelungene Inklusion.
                     Konzepte zu informieren, aber auch      Herzliche Grüße
                     um den Blick für Defizite und Hand-
                     lungsbedarfe zu schärfen. Gemein-       Heinz Karrer
                     sam mit zahlreichen Mitwirkenden        Vorsitzender des Behindertenbeirats
                     aus den Reihen verschiedener Ver-       der Landeshauptstadt München
                     eine, städtischer Referate, öffentli-

                 6
Grußwort

Liebe Mitglieder des Behinderten-
beirats, meine sehr geehrten
Damen und Herren,

Sie greifen heute eines der wichtig-
sten Themen für junge Behinderte
auf:

Wie können vorhandene Hürden
und Grenzen überwunden werden?
In den öffentlichen Institutionen gibt   Zugleich vermindert sie die Lebens-    Stadtrat
es dabei vielerlei Handlungsbedarf.      qualität nicht nur der Betroffenen     Christian Müller
Zugleich stellt sich die Frage, ob In-   und ihres persönlichen Umfeldes,
klusion als grundsätzlicher Paradig-     das darunter ein Leben lang ebenso
menwechsel tatsächlich immer             zu leiden hat.
teurer ist als unser derzeit im we-
sentlichen exklusiv agierendes           Inklusion ist damit ein Ansatz, ein-
System.                                  fach menschlich zu denken und zu
                                         handeln - was aber schon immer
Die Kosten für Förderschulen und         am schwersten war.
deren Folgen, die Kosten früher und
schneller Exklusion in unserem           In diesem Sinne wünsche ich Ihnen
Schulsystem werden zwar nicht un-        und uns allen viele gute Gedanken
mittelbar deutlich, zeigen aber in       und Schritte in eine Zukunft unter
den Lebensbiographien der Betrof-        der Teilhabe aller!"
fenen - allzu vieler Betroffener -
deutliche Folgen, die sich wiederum      Christian Müller
in den öffentlichen Sozialsystemen       Stadtrat
niederschlagen.

                                                                                7
Förderbedarf besucht eine Regel-
                                                         schule. Dies muss sich ändern, weil
                                                         die Teilhabe am „normalen“ gesell-
                                                         schaftlichen Leben ein Grundrecht
                                                         ist!

                               Grußwort                  Aber warum besuchen so wenig
                                                         Schülerinnen und Schüler mit Be-
                                                         hinderung die Regelschulen?
                                                         Dies liegt zum Einen daran, dass die
                                                         Förderschulen sehr gut mit bedarfs-
                               Sehr geehrte Damen        gerechten Angeboten ausgestattet
                               und Herren,               sind, z.B. kleineren Klassen, geregel-
                                                         ten und abgestimmten Fahrdiensten
Monika Monat,    behindert ist man nicht, behindert      und den medizinisch-therapeutischen
  Schulreferat   wird man! So alt dieser Spruch sein     Angeboten.
                 mag, so richtig ist er nach wie vor.
                 Im Schulbereich wird man etwa be-       Zum Anderen sind Regelschulen
                 hindert durch den faktischen Aus-       häufig nicht barrierefrei, haben
                 schluss aus der Regelschule. Die        große Klassen und zumeist kein zu-
                 Regelschule für behinderte Kinder in    sätzliches pädagogisches Personal
                 Deutschland und auch in Bayern ist      (etwa Heilpädagogen), besitzen aber
                 die Förderschule, welche fast alle      auch kaum Erfahrung im Umgang
                 Schülerinnen und Schüler mit son-       mit behinderten Kindern und Jugend-
                 derpädagogischem Förderbedarf be-       lichen.
                 suchen.
                                                         Zudem haben Eltern von Schülerin-
                 Dies geschieht, obwohl in Bayern        nen und Schülern mit Behinderung
                 laut dem Bayerischen Gesetz über        häufig schon resigniert im Kampf
                 das Erziehungs- und Unterrichtswe-      mit verschiedenen Behörden und In-
                 sen (BayEUG) eigentlich der Grund-      stitutionen und wählen den Weg des
                 satz der Regelbeschulung auch           geringsten Widerstands, also die
                 behinderter Kinder gilt: „Die sonder-   Förderschule. Eltern nichtbehinder-
                 pädagogische Förderung ist im Rah-      ter Kinder dagegen haben ange-
                 men ihrer Möglichkeiten Aufgabe         sichts zu großer Klassen mit immer
                 aller Schulen“ (Art. 2 Abs. 1 Satz 2    mehr Erziehungsproblemen oft
                 BayEUG).                                Angst um die Lernfortschritte der
                                                         eigenen Sprösslinge.
                 Nur etwa 11.500 Schülerinnen und
                 Schüler mit sonderpädagogischem         Das Haupthindernis (behinderten-)
                 Förderbedarf von ca. 1,2 Millionen      inklusiver Beschulung stellt jedoch
                 Vollzeitschulpflichtigen (und etwa      die Schulfinanzierung dar. Die Schul-
                 1,9 Millionen Schüler/innen insge-      träger (staatliche, kommunale und
                 samt) werden an Regelschulen un-        private) erhalten eine zu geringe
                 terrichtet. Diesen gegenüber stehen     Ressourcenausstattung durch den
                 ca. 60.000 (= 5%) Schülerinnen und      Freistaat. Das Schulfinanzierungsge-
                 Schüler an Förderschulen und ca.        setz muss nicht nur in dieser Hin-
                 16.000 an Förderberufsschulen. Nur      sicht dringend angepasst werden!
                 etwa jede/r Hundertste Vollzeitschul-
                 pflichtige und nur etwa jede/r siebte   Zuletzt sei noch auf ein Haupthinder-
                 Schüler/in mit sonderpädagogischem      nis der Behinderteninklusion hinge-

             8
wiesen – sowohl im schulischen als
auch im außerschulischen Kontext.
Es herrscht ein gigantisches Kompe-
tenzgestrüpp, innerhalb dessen sich
die Betroffenen bzw. ihre Eltern be-
wegen müssen. Verschiedene Zu-
ständigkeiten unterschiedlicher
Behörden und kommunaler Ebenen,
die sich ständig gegenseitig die –
v.a. finanzielle – Verantwortung zu-   Sehr geehrte Damen
schieben, zermürben Menschen mit       und Herren,
Behinderungen sowie ihre Angehö-       liebe Kolleginnen und
rigen.                                 Kollegen,

Die Schaffung einer zentralen Bewil-
ligungsstelle für alle Ansprüche ge-   ich freue mich sehr, Sie heute hier      Stefanie Krüger,
genüber der öffentlichen Hand und      begrüßen zu dürfen und möchte Ih-        stellvertretende
den Sozialversicherungen (die ja       nen gleichzeitig auch die besten         Leitung
dann untereinander klären können,      Grüße von Dr. Kurz-Adam, der Leite-      Stadtjugendamt
wer welchen Anteil bezahlen muss)      rin des Stadtjugendamtes übermit-
mit einem/r einzigen Ansprechpart-     teln.
ner/in sowie die Einführung von
Ombudsleuten als Interessenvertre-     Als Stadtjugendamt bemühen wir
ter der Behinderten würde das öf-      uns, unsere Angebote so zu gestal-
fentlich so gerne bekundete Grund-     ten, dass sie für alle Kinder, Jugend-
anliegen der Behinderteninklusion      liche und deren Familien gleicher-
sehr viel weiter voranbringen. Bay-    maßen erreichbar, erkennbar und
ern ist hier Entwicklungsland.         benutzbar sind.

Monika Monat, Schulreferat             In der Praxis stehen dem jedoch
                                       verschiedene soziokulturelle Exklusi-
                                       onsrisiken entgegen. Diese bedin-
                                       gen sich (teilweise) gegenseitig
                                       und sind unter anderem Geschlecht,
                                       Herkunft (Migration), Behinderung,
                                       Sexuelle Identität, aber auch das
                                       Fehlen von Netzwerken und die
                                       Fähigkeit diese zu knüpfen.

                                       Die UN Behindertenrechtskonven-
                                       tion, das Übereinkommen und das
                                       Zusatzprotokoll wurden am 13. De-
                                       zember 2006 am Sitz der Vereinten
                                       Nationen in New York verabschiedet.

                                       Zwei Jahre nach der Unterzeichnung
                                       trat am 26. März 2009 die UN-Behin-
                                       dertenrechtskonvention auch in
                                       Deutschland in Kraft. Darüber wird
                                       Frau Prof. Dr. Jutta Schöler referie-
                                       ren. Aber lassen Sie uns nicht ver-

                                                                                9
gessen, dass wir in diesem Jahr           verschieden Versionen „übersetzt“:
     auch 20 Jahre UN Kinderrechte fei-        es gibt sie zwischenzeitlich sowohl
     ern. Hier möchte ich vor allem auf        in Standardsprache, als auch in ein-
     die Rechte Nr. 10, Recht auf Betreu-      facher (leichter) Sprache, als Hör-
     ung bei Behinderung und auf das           buch (beide Fassungen) und die
     Recht Nr.4, das Recht auf (inklusive)     einfache Sprache konnte sogar in
     Bildung und Ausbildung hinweisen.         Braille Schrift verfasst werden.
     Das sind die rechtlichen Rahmenbe-
     dingungen die weltweit geschaffen         Parallel zur Entstehung der Leitlinien
     wurden, um Chancengleichheit zu           wurden einige Modellprojekte in
     garantieren.                              München in Kooperation mit ver-
                                               schiedenen freien Trägern der Ju-
     Aber auch auf kommunaler Ebene            gendhilfe durchgeführt. Da war die
     können und möchten wir uns der            Erfahrung durchweg positiv und die
     Verantwortung nicht entziehen, Teil-      Rückmeldung war, dass Kinder mit
     habe für alle Kinder und Jugendli-        und ohne Behinderung sich wech-
     che und ihren Familien zu gewähr-         selseitig als kompetent erfahren und
     leisten.                                  viel voneinander lernen konnten.

     Das Stadtjugendamt engagiert sich         Aber vor allem die Umsetzung der
     schon seit vielen Jahren in vielfältig-   Inklusion in unserer täglichen Arbeit
     ster Weise mit den Ressourcen und         ist uns ein großes Anliegen: seit Ok-
     Bedürfnissen der Zielgruppen Mäd-         tober 2009 ist im Jugendamt bei
     chen und Jungen, mit und ohne Mi-         den stadteigenen Ferienanbietern
     grationshintergrund und mit und           ein Pilotprojekt zum Inklusionspro-
     ohne Behinderung. Es wurden Leitli-       zess gestartet. Nach der Evaluation
     nien im Rahmen der Kommunalen             dieser Ergebnisse werden andere
     Kinder- und Jugendplanung für alle        Abteilungen/Produktteams den In-
     Querschnittsthemen erarbeitet und         klusionsprozess beginnen. Auch die-
     vor allem die Mitarbeiterinnen und        ser Prozess findet unter wissenschaft-
     Mitarbeiter der Basis setzen diese        licher Begleitung der Forschungs-
     Leitlinien in vielen Angeboten und        werkstatt Landshut, unter der Lei-
     Maßnahmen sehr aktiv um.                  tung von Herr Prof. Dr. Dannnenbeck
                                               statt.
     Die Leitlinien für die Arbeit mit Kin-
     dern und Jugendlichen mit und             Die gesamten Ferien- und Betreu-
     ohne Behinderung wurden im Rah-           ungsangebote des Stadtjugendam-
     men der Kommunalen Kinder- und            tes ermöglichen Inklusion und
     Jugendplanung der Landeshaupt-            Integration. Ziel ist es allen jungen
     stadt München erstellt und am 19.         Menschen unabhängig von Ge-
     September vom Kinder- und Jugend-         schlecht, Behinderung, Religion, Mi-
     hilfeausschuss verabschiedet. Es          gration, sexueller Selbstbestimmung
     sind bundesweit die ersten und –          eine Teilnahme an den Projekten der
     leider! - meines Wissens immer            Ferienmaßnahmen zu ermöglichen
     noch die einzigen Leitlinien dieser       und auf die vielfältigen Bedürfnisse
     Art.                                      einzugehen.

     Um unserem eigenen Anspruch an            Die Projekte der Ferienangebote
     Barrierefreiheit zu genügen, haben        sind Bestandteil des Prozesses und
     wir die Leitlinien nach und nach in       der Zielerreichung einer inklusiven

10
Gesellschaft. Die jungen Menschen        Wenn alle Beteiligten bereit sind,
erleben Vielfalt, können Berührungs-     täglich aufs Neue reflexiv zu arbei-
ängste spielerisch abbauen, Gemein-      ten, dann besteht die berechtigte
samkeiten trotz Differenz entdecken      Hoffnung, dass alle Kinder und Ju-
und somit Differenz und Vielfalt sub-    gendliche, ob mit oder ohne Behin-
jektiv anerkennen und wertschätzen.      derung, die Unterstützung bekom-
Aber auch die Städtischen Kinder-        men, die sie benötigen.
krippen stehen der Aufnahme von
behinderten oder von Behinderung         In diesem Sinne wünschen wir der
bedrohten Kindern seit nunmehr           Fachveranstaltung viel Erfolg und
15 Jahren sehr offen gegenüber.          gutes Gelingen.

Die Unterschiedlichkeit wird als         Für die Umsetzung der neu erworbe-
Chance und Bereicherung für alle         nen Kenntnisse über inklusives Auf-
gesehen. Es gibt derzeit vier integra-   wachsen und inklusive Bildung
tive Kinderkrippen, neben der Auf-       wünschen wir uns neugierige Kin-
nahme in einer der Integrativen          der, mutige Erwachsene und enga-
Kinderkrippen ist Einzelintegration      gierte Fachkräfte!
grundsätzlich in jeder städtischen
Kinderkrippe möglich. Im Jahre           Stefanie Krüger,
2007 wurde das Projekt QUINK             stellvertretende Leitung
(Qualitätsstandards in integrativen      Stadtjugendamt
Kinderkrippen der LHM) durchge-
führt und in den Jahren danach die
Ergebnisse dieses wissenschaftli-
chen Begleitforschungsprojektes in
den Einrichtungen implementiert.

Das sind nur einige Beispiele aus
unserer Arbeit. Uns war und ist bei
allen Arbeitsschritten immer wichtig,
die Begriffe Inklusion, Teilhabe, Bei-
tragen, Barrierefreiheit etc. so mit
Leben zu füllen, dass in unseren An-
geboten jegliche Ausgrenzung ver-
mieden wird und dass allen Kindern
und Jugendlichen die Chance auf
Teilhabe ermöglicht wird, unabhän-
gig von ihrem Geschlecht, ihrer se-
xuellen Identität, ihrer kulturellen
und sozialen Herkunft, ihren Schwä-
chen, Stärken und Fähigkeiten.

Das kann nur gelingen, wenn alle
bereit sind, ein Umdenken und eine
neue Geisteshaltung zu wagen.
Wenn alle bereit sind, die verschie-
denen Bedürfnisse, Interessen und
Fähigkeiten der Kinder und Jugend-
lichen zu erkennen, anzuerkennen
und zu berücksichtigen.

                                                                                11
sten die Vertragsstaaten ein integra-
                                                              tives Bildungssystem auf allen Ebe-
                                                              nen und lebenslange Fortbildung.“
                                                              siehe: http://www2.institut-fuer-men-
                                                              schenrechte.de

                                                              In den Originalsprachen der UN
                                                              wird durchgängig der Begriff „inclu-
                                                              sion“ im Vertragstext benutzt und
                                                              auch in Abgrenzung zum Begriff
                                                              „integration“ definiert. Die deutsch-
                                                              sprachigen Länder haben sich bei
                                                              der Übersetzung auf den Begriff
                                                              „Integration“ geeinigt. Zu dieser
                                                              begrifflichen Problematik siehe die
         Frau Prof.    Hauptvortrag                           Schattenübersetzung:
Dr. Jutta Schoeler                                            http://www.netzwerk-artikel-3.de

                                                              Worin besteht der Unterschied in
                       Inklusion - (k)ein                     der Bedeutung der beiden Begriffe
                                                              „Integration“ und „Inklusion“ für
                       neues Modewort!?                       die Rechte von Menschen mit Behin-
                                                              derung?

                       Die Wirkungen der UN-Konven-           Wir sprechen von Integration, wenn
                       tion für die Rechte von Men-           zusammen geführt wird, was zuvor
                       schen mit Behinderungen auf            getrennt war. Es ist z. B. richtig von
                       die Bildung aller Kinder               der Integration von Kindern nicht-
                                                              deutscher Muttersprache in Kinder-
                       (nach dem Vortrag überarbeitete        garten und Schule zu sprechen.
                       Textfassung)                           Andererseits: Kinder mit einer Lern-
                                                              schwierigkeit, oder einer psychi-
                       Die UN-Konvention für die Rechte       schen Erkrankung, Kinder mit einer
                       von Menschen mit Behinderungen         Hör- oder Sehschädigung oder einer
                       regelt viele Lebensbereiche von        körperlichen oder geistigen Beein-
                       Menschen mit Behinderung, das          trächtigung sind ein Teil dieser Ge-
                       Recht auf selbstbestimmtes Woh-        sellschaft.
                       nen, das Recht auf Unterstützung
                       am Arbeitsplatz und vieles mehr.       Sie sind hier in Deutschland in eine
                                                              Familie hineingeboren, hoffentlich
                       Ich werde in meinem Vortrag heute –    von Mutter und Vater, den Großel-
                       entsprechend dem Thema dieses Ta-      tern und den Freunden der Eltern
                       ges – nur auf den Artikel 24, Absatz   mit vielen Hoffnungen erwartet. In
                       1 eingehen, der sich auf die Bildung   dem Augenblick, in dem dann davon
                       bezieht.                               gesprochen wird, dass dieses Kind
                       „Die Vertragsstaaten anerkennen        irgendwie nicht normal sei, begin-
                       das Recht behinderter Menschen auf     nen die Gedanken der Aussonde-
                       Bildung. Um die Verwirklichung die-    rung. Wenn wir in Deutschland
                       ses Rechtes ohne Diskriminierung       davon sprechen, dass diese „nicht
                       auf der Grundlage der Chancen-         normalen“ Kinder integriert werden
                       gleichheit zu erreichen, gewährlei-    sollen, bedeutet dies, dass sie zuvor

                  12
ausgesondert wurden, zumindest in       enle hat angekündigt, der Eltern-
den Gedanken und mit dem profes-        wille bei der Wahl der Schule von
sionellen Handeln der meisten Fach-     Kindern und Jugendlichen mit Be-
leute.                                  hinderung, solle gestärkt werden.
                                        Wie vielen Menschen in Deutsch-
Wir leben in Deutschland in einer       land ist bewusst, dass derzeit gegen
Gesellschaft, in der es noch als Nor-   den Willen der Eltern Kinder in Son-
malität akzeptiert wird, (von der       derkindergärten oder auf Sonder-
Mehrheit, nicht mehr von allen Men-     schulen verwiesen werden können?
schen), dass Kinder bereits vor dem
Eintritt in die Schule nach ihren Fä-   Mit der Verabschiedung des Geset-
higkeiten oder nach besonderen          zes zur Übernahme der UN-Konven-
Lernbedürfnissen sortiert werden.       tion im Dezember 2008 hat der
Manche Kinder werden nicht einmal       deutsche Bundestag die UN-Kon-
im Kindergarten ihres Wohnortes         vention übernommen; dieses ist
akzeptiert. Sobald ein Entwicklungs-    fast auf den Tag genau seit einem
problem festgestellt wird, beginnt      Jahr gültiges Recht in Deutschland.
das Debattieren: „Gehört dieses         Unabhängig davon, ob der deutsche
Kind an einen anderen Ort als in        Text den Begriff „Integration“ oder
den Kindergarten oder in die Schule,    „Inklusion“ verwendet, rechtsgültig
welche von den Geschwister- oder        ist die Wortbedeutung in den Ver-
Nachbarskindern besucht wird?“          tragssprachen der UN.
Inklusion bedeutet: Alle Menschen
haben das uneingeschränkte Recht,       Damit ist es nicht mehr zulässig,
dabei zu sein – inkludiert in dieser    dass das einzelne Kind per „Passier-
Gesellschaft.                           schein“ nach einem komplizierten
                                        Antragsverfahren als „Sonderfall“
Es ist keine Frage mehr: Auch das       in die Bildungseinrichtungen des
Kind mit besonderen Lernbedürfnis-      Wohnortes aufgenommen wird –
sen hat das uneingeschränkte Recht,     oder auch nicht, sondern: Ange-
denselben Kindergarten, dieselbe        strebt wird eine Gesellschaft, in der
Schule zu besuchen wie Geschwi-         am Beginn einer erkannten Entwick-
ster- oder Nachbarkinder.               lungsstörung gefragt wird: Welche
                                        besondere Unterstützung, welche
Mit der Diagnose einer besonderen       ausgleichenden Maßnahmen
Lebenssituation erhalten die Eltern     braucht dieser Mensch, damit er in-
die Gewissheit: alle Maßnahmen          mitten dieser Gesellschaft seine Le-
der Frühförderung, der besonderen       bensform entwickeln und seine
Unterstützung führen in die Gesell-     Rechte als Bürger in einer Gemein-
schaft, wie sie ist; – ohne „sonder-    schaft autonom vertreten kann?
pädagogische Passierscheinver-
fahren“, mit denen die Eltern Befra-    Diese veränderte Sichtweise bedeu-
gungen ausgesetzt sind, von denen       tet eine große Erleichterung für alle,
sie nicht wissen, ob ihre Antworten     die von der Geburt eines Kindes an
dafür genutzt werden, die angebli-      die Eltern beraten und begleiten.
che Notwendigkeit von Sonderkin-        Therapeuten, Erzieherinnen in den
dergarten oder Sonderschule zu          Kindertagesstätten oder Tagesmütter
begründen.                              stehen nicht mehr unter dem Druck,
                                        bis zum Einschulungstermin dieses
Der bayerische Staatsminister für       Kind so weit gebracht zu haben,
Unterricht und Kultus, Ludwig Spa-      dass es die „normalen“ Erwartun-

                                                                                 13
gen der Schule erfüllt. Sondern: Je-     Charlotte zu einer ca. 30 km vom
     der Kindergarten, jede Schule muss       Wohnort entfernten Körperbehinder-
     sich darauf einrichten und diese Kin-    ten-Sonderschule. Nachdem der Wi-
     der willkommen heißen: Die Kinder,       derspruch der Eltern beim Schulamt
     die nach einer Frühgeburt oder einer     eingegangen war, fragte der zustän-
     schwerwiegenden Erkrankung viel          dige Schulrat zwei Tage später tele-
     nachzuholen haben.                       fonisch bei der Mutter nach, ob sie
                                              den Widerspruch zurücknehmen
     Auch die Kinder, die von Pflege-         würde, wenn das Mädchen zwar
     oder Adoptiveltern in ihrer Familie      nicht in die Grundschule am Wohn-
     aufgenommen wurden und auf-              ort jedoch in die nächste, ca. 5 km
     grund von Alkoholmissbrauch der          entfernte Grundschule gehen könne.
     leiblichen Mutter oder aufgrund ei-      – Im Nachbardorf ist Charlotte jetzt
     nes langen Heimaufenthaltes in ih-       „einzeln integriert“.
     rer Entwicklung stark verzögert und
     beeinträchtigt sind. Der Kindergar-      Zu Beginn musste die Integrations-
     ten und die Schule des Wohnortes         helferin Charlotte die drei Stufen zu
     müssen sich künftig darauf vorberei-     den Klassenräumen tragen. Inzwi-
     ten, jedes Kind so zu akzeptieren,       schen ist eine Rampe von außen an
     wie es ist.                              die Schule angebaut worden. Char-
                                              lotte fährt selbstbewusst mit ihrem
     In den Leitlinien des Stadtjugend-       Elektrorollstuhl durch die Schule.
     amtes der Stadt München ist das
     Ziel klar formuliert: „Inklusion be-     Bei dem sowieso anstehenden Neu-
     deutet, dass sozialpädagogisches         bau einer Toilette für die Nachmit-
     Handeln auf gruppenspezifische           tagsbetreuung wurde berücksichtigt,
     Aussonderung verzichtet. Die Hete-       dass diese Toilette rollstuhlgerecht
     rogenität von Kindern und Jugendli-      ist. Von diesen Umbauten profitieren
     chen wird als pädagogische Chance        inzwischen etliche Erwachsene, die
     begriffen, voneinander und mitein-       bei einer Wahl oder einer öffentli-
     ander zu lernen.“ (Leitlinien S. 16)     chen Veranstaltung die Schulräume
     Dieses unterschiedliche Verständnis      nutzen. Diese Umbauten haben
     von Integration/Inklusion möchte         etwa so viel gekostet wie ein Jahr
     ich für die Schule an einem Beispiel     Spezialtransport von Charlotte in die
     deutlich machen:                         Körperbehindertenschule.
     Charlotte kann wegen einer spasti-
     schen Behinderung nicht laufen. Sie      Der größte Klassenraum der Schule
     ist in der Motorik der Hände stark       erhielt eine Zwischenwand mit einer
     eingeschränkt. Sie kann normal hö-       Glasscheibe. So besteht für Char-
     ren, sehen und sprechen. Sie ist ein     lotte die Möglichkeit, sich etwas zu-
     fröhliches, selbstbewusstes Mäd-         rückzuziehen oder mit der Sonderpä-
     chen. Gemeinsam mit ihren Nach-          dagogin im Einzelunterricht oder mit
     barkindern hat sie am Wohnort            einer kleinen Gruppe zu arbeiten.
     einen Integrationskindergarten be-       Zumeist nimmt Charlotte am gemein-
     sucht und die Eltern haben sehr          samen Unterricht in der Klasse teil.
     rechtzeitig am Wohnort den Antrag        Charlotte ist ein Beispiel für die Ein-
     gestellt, dass sie dort auch weiter in   zelintegration eines Kindes mit ei-
     die Schule gehen kann. Mit einem         ner körperlichen Behinderung – ein
     Schreiben des Schulamtes, unmittel-      bisher überwiegend positives Bei-
     bar vor Beginn des Schuljahres, er-      spiel – und dennoch beschämend.
     hielt die Familie die Zuweisung von      Ohne den erbitterten Widerstand der

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Eltern wäre Charlotte in eine Körper-    die Menschen nicht vor diese Art
behinderten-Sonderschule ausge-          von Konflikten gestellt.
sondert worden.
                                         Wenn die Schule an ihrem Wohnort
Sie würde jeden Morgen mit einem         eine inklusive Schule wäre, dann
Spezialtransport abgeholt und am         hätte sich das Kollegium minde-
Nachmittag nach Hause gebracht –         stens ein Jahr zuvor auf den Besuch
wie so viele körper- oder sinnesge-      von Charlotte vorbereitet, z.B. durch
schädigte Kinder oder die Kinder,        Hospitationen in dem Integrations-
die zu lern- oder geistigbehinderten     kindergarten, den Charlotte besucht
erklärt wurden. Am Wohnort würde         hat oder dadurch, dass einzelne Leh-
sich dann die Leitung einer Freizeit-    rerinnen und Lehrer in anderen
einrichtung vielleicht den Kopf zer-     Schulen hospitieren, die bereits Er-
brechen, wie so ein Kind wenigstens      fahrungen mit dem gemeinsamen
in der Freizeit integriert werden        Unterricht haben. (Beispiele hierzu
könnte, obwohl die anderen am            siehe Internetseite des Bundesbe-
Wohnort dieses Kind kaum kennen.         hindertenbeauftragten und der Ber-
Charlotte wird jetzt von ihrer Mutter    telsmann-Stiftung. Dort sind die
in die Schule des Nachbarortes ge-       Preisträgerschulen des Jakob-Muth-
fahren und am Schultor von ihren         Schulpreises für Inklusive Schulen
Mitschülerinnen und Mitschülern          und eine Liste der Schulen abzuru-
erwartet.                                fen, die sich für diesen Schulpreis
                                         beworben haben.)
Inklusion hätte für Charlotte bedeu-
tet: Sie kann von ihrer Haustür an       Auch das Schulgebäude am Wohn-
den Weg gemeinsam mit den Nach-          ort hätte ohne großen Aufwand so
barskindern in die Schule rollen. Die    umgebaut werden können, dass
örtliche Grundschule hätte sich recht-   Charlotte die Klassenräume alleine
zeitig auf den Unterricht mit ihr vor-   erreichen kann. Rechtzeitig hätte ge-
bereitet. Diese Schule ist ca. 150m      plant werden können, was für Char-
von ihrem Wohnort entfernt. Bereits      lotte verändert werden muss, damit
ihre Großmutter, ihr Vater und zwei      ihre besonderen Bedürfnisse be-
ältere Brüder besuchten diese            rücksichtigt werden. – All dies ist
Schule.                                  nicht geschehen.

Charlotte fühlt sich in ihrer jetzigen   Die bisherige Rechtslage gab der
Schule sehr wohl; allerdings können      Schulleitung und dem Lehrerkolle-
ihre Mitschülerinnen und Mitschüler      gium am Wohnort die Sicherheit:
sie nicht alleine besuchen – der Weg     „Wenn wir nicht wollen, dann müs-
ist zu weit. Und: Charlotte musste       sen wir auch ein Kind mit einer Be-
sich entscheiden, ob sie ihre Erst-      hinderung nicht aufnehmen!“
kommunion an ihrem Wohnort fei-          Was bedeutet die oben zitierte An-
ern möchte, in der Kirche, die sie       kündigung von Staatsminister Dr.
regelmäßig mit ihrer Großmutter          Spaenle für Bayern konkret, dass
besucht, oder ob sie sich mit ihren      der Elternwille bei der Wahl der
Schulfreundinnen und Klassenka-          Schule von Kindern und Jugendli-
meraden gemeinsam im Nachbar-            chen mit Behinderung gestärkt wer-
dorf auf dieses wichtige Ereignis        den solle? – Werden tatsächlich
vorbereiten will. – Sie hat sich für     Maßnahmen geplant, welche die Re-
ihre Klassengruppe entschieden. In       gelkindergärten und Regelschulen in
einer inklusiven Gesellschaft werden     die Lage versetzen, den besonderen

                                                                                 15
Lernbedürfnissen aller Schülerinnen      Kinder und Jugendliche in dem Kin-
     und Schüler gerecht zu werden?           dergarten und in der Schule, in die
     Die Ausbildung der Erzieherinnen         auch die Geschwister- oder Nachbar-
     und Erzieher sowie die aller Lehre-      kinder gehen, daran darf es keine
     rinnen und Lehrer muss neu geord-        Zweifel mehr geben!
     net werden.
                                              Jetzt muss damit begonnen werden,
     Finanzierungsregelungen müssen           für jedes Bundesland und für jede
     verändert werden. Der Konflikt be-       Region bzw. Kommune konkrete
     steht für die Eltern an vielen Orten     Pläne auszuarbeiten: Bis zu wel-
     in der Tatsache, dass bei einem Son-     chem Zeitpunkt haben sich die be-
     derschulbesuch der Staat die Orga-       stehenden Sonderkindergärten und
     nisation und die Kosten für den          -schulen in attraktive Einrichtungen
     Transport des Kindes, die Nachmit-       für alle Heranwachsenden umstruk-
     tagsbetreuung, häufig auch die The-      turiert oder sind geschlossen? Und
     rapien übernimmt.                        wie werden die Regeleinrichtungen
                                              darauf vorbereitet, dass kein Kind
     Andererseits müssen zumeist die El-      abgewiesen wird und dort, wo es im
     tern viele Anstrengungen überneh-        Gemeinwesen lebt die besondere
     men, um am Wohnort den gemein-           Unterstützung erhält, die es für
     samen Unterricht zu ermöglichen.         seine optimale Förderung benötigt?
     Dies führt derzeit noch dazu, dass
     der gemeinsame Unterricht eines          Was oft vergessen wird: Mit der Ent-
     Kindes mit einer Behinderung das         scheidung für den Sonderkindergar-
     Privileg der Familien ist, die in der    ten oder die Sonderschule beginnt
     Lage sind, mit ihren privaten Res-       ein Sonderweg. Lange Schulwege
     sourcen die Nachteile der gegenwär-      isolieren die Kinder. Sie können sich
     tigen Halbtagsschule auszugleichen.      nicht am Vormittag verabreden für
                                              das Spiel am Nachmittag oder am
     Der angebliche Schonraum Sonder-         Wochenende. Sie trauen sich nach
     schule ist nicht notwendig – er er-      einer gewissen Zeit nicht mehr auf
     weist sich für nahezu alle Kinder, die   den Spielplatz – weil sie dort nie-
     einmal in diese besonderen Einrich-      manden kennen.
     tungen gelangt sind, als Falle, aus
     der sie nur sehr selten herauskom-       Die anderen „ganz normalen“ Kin-
     men! Praxis sollte werden: Sobald        der als Vorbild, Unterstützung und
     ein Entwicklungsproblem bei einem        Partner kann kein Erwachsener –
     Kind festgestellt wird, beginnt das      und sei er noch so gut ausgebildet –
     Fragen: Welche zusätzliche Unter-        dem Kind mit den besonderen Lern-
     stützung braucht dieses Kind? Wel-       problemen ersetzen. Geschwister-
     che Lernangebote sind für dieses         kinder sind häufig überlastet, wenn
     Kind von Vorteil? Wer ist für die Or-    sie für das Kind mit Behinderung die
     ganisation und die Finanzierung der      einzigen zuverlässigen Spielpartner
     besonderen Unterstützungsmaß-            sind. Mit der Erstkommunion oder
     nahmen zuständig? Sind eventuell         der Einsegnung müssen die Eltern
     bauliche Maßnahmen in der Schule         und das Kind entscheiden, ob dieses
     notwendig? Wie werden die Regel-         Kind in die Kirchengemeinde am Ort
     schulpädagogen und die Sonder-           integriert wird oder ob auch dieses –
     pädagogen auf die neue Aufgabe           für Heranwachsende so wichtige Er-
     vorbereitet? An dem Ziel selbst: Ge-     eignis – gemeinsam mit den ande-
     meinsames Leben und Lernen für           ren ausgesonderten Kindern an

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einem anderen Ort als dem Wohnort       gelklasse nach Auflösung der Son-
vorbereitet und gefeiert werden soll.   derschulen statistisch gesehen 1 – 2
                                        Kinder mit sonderpädagogischem
Mit der Verabschiedung der UN-          Förderbedarf – nicht mehr.
Konvention für die Rechte behinder-     • in jeder Klasse ein Kind mit Lern-,
ter Menschen soll auch in Deutsch-        Verhaltens- oder Sprachproblemen
land Realität werden, was in vielen     • in jeder 6. Klasse ein Kind mit
anderen Staaten eine Selbstver-           geistiger Behinderung
ständlichkeit ist: Alle Kinder lernen   • in jeder 14. Klasse ein körperlich
gemeinsam in einer Schule.                behindertes Kind
                                        • in jeder 62. Klasse ein sehgeschä-
Eine Klasse mit ca. 20 ganz „norma-       digtes Kind.
len“ Kindern bietet für ein Kind mit    (errechnet aus Bertelsmann-Studie,
einer Behinderung 20x die Chance,       Zahlen 2006/07)
eine Freundschaft in der Schule zu
schließen und in der Freizeit weiter    Es kann nicht davon ausgegangen
zu führen. Nicht die Kinder müssen      werden, dass schlagartig alle Son-
zu den speziell ausgebildeten Leh-      derschulen aufgelöst werden. In den
rern gefahren werden, sondern: Die      Köpfen der Menschen müssen sich
Sonderpädagog/innen begleiten in        die Vorstellungen verändern. Guter
den Regelschulen die Kinder und ko-     Unterricht bedeutet: Alle Kinder er-
operieren dort im Unterricht mit al-    halten Lernangebote, die ihren Fä-
len anderen Lehrer/innen.               higkeiten und Interessen entsprechen
                                        und erleben das Lernen als etwas
Die Kooperationsbereitschaft und        Positives, wofür sie sich auch nach
die Kooperationsfähigkeit der betei-    der Schulzeit noch interessieren.
ligten Erwachsenen sind die wichtig-
sten Voraussetzungen für einen          Alle Kinder sollten während der
gelingenden Prozess des gemeinsa-       Pflichtschulzeit gemeinsam lernen
men Lehrens und Lernens.                dürfen – kein Kind darf beschämt,
                                        kein Kind ausgesondert werden.
Viele Länder haben seit ca. 30 Jah-     In Deutschland besuchen derzeit nur
ren Erfahrungen gesammelt mit ei-       15 % aller Schülerinnen und Schüler
nem Schulsystem, wo kein Kind           mit sonderpädagogischem Förder-
gegen den Willen seiner Eltern von      bedarf eine Regelschule. Der Durch-
der Wohnort-Schule abgewiesen           schnitt der Integration von Kindern
werden darf. Integration/Inklusion      mit sonderpädagogischem Förder-
ist nicht teurer als das Nebeneinan-    bedarf in den übrigen westeuropäi-
derbestehen von Sonderschulen           schen Ländern liegt bei 80%.
und Regelschulen. Dies hat Ende         In vielen dieser Länder, aber auch in
2009 die Bertelsmann-Stiftung mit       Deutschland gibt es sehr gute Bei-
einer Studie von Klaus Klemm ein-       spiele, wie das gemeinsame Lernen
deutig belegt. Förderschulen sind       im Kindergarten und in der Schule
teuer und ineffektiv.                   für alle Kinder gut gestaltet werden
                                        kann.
Was käme auf die Regelschulen zu,
wenn alle die ca. 500 000 Kinder, die   Ich habe vor 30 Jahren begonnen,
in Deutschland derzeit Sonderschu-      mich mit dem Schwerpunkt „Ge-
len besuchen, in die Regelschulen       meinsames Lernen von behinderten
gingen? Bei einer Klassenfrequenz       und nicht behinderten Kindern“ zu
von 20 Kindern wären in jeder Re-       beschäftigen. Damals gab es in

                                                                                17
Deutschland die ersten Initiativen      teilnehmen, die sich miteinander
     von Eltern für Integrationskindergär-   vernetzen können. Jede und jeder
     ten und in ganz Deutschland zwei in-    Einzelne kann Anregungen bekom-
     tegrative Grundschulen. – Die pri-      men, was im jeweiligen privaten
     vate Montessorischule in München        und beruflichen Einflussbereich ge-
     und die staatliche Fläming-Grund-       tan werden kann, um von der Inte-
     schule in Berlin.                       gration der einzelnen Menschen mit
                                             einer Lernschwierigkeit oder einer
     Damals musste man nach Italien          Behinderung dahin zu gelangen,
     fahren, um Beispiele auch in den        dass wir von Inklusion sprechen
     weiterführenden Schulen zu sehen        können.
     und: Von dem damaligen Vorsitzen-
     den des Verbandes der Sonderschul-      Das kann mit der Beratung der Eltern
     lehrer wurde vor der „italienischen     beginnen, wenn sie mit der Dia-
     Seuche“ gewarnt. Diese Warnung          gnose einer Behinderung von Ärz-
     vor einer angeblichen Seuche ist        ten, Hebammen, Therapeuten oder
     nach meiner Einschätzung eine der       Sozialamtsmitarbeiter/innen so be-
     Ursachen, warum in den vergange-        raten werden, dass diese Eltern sich
     nen Jahren so wenig getan wurde,        an dem Ziel des gemeinsamen Ler-
     um diese Reform tatsächlich vorzu-      nens orientieren und nicht mehr auf
     bereiten.                               Sondereinrichtungen verwiesen
                                             werden.
     Aber es gibt auch in Bayern bereits
     gute Beispiele von Schulen, die sich    Für die Stadt München sollte klar
     auf den Weg gemacht haben.              sein, dass jedes Kind denselben Kin-
     (Jakob-Muth-Schule Nürnberg, eine       dergarten und anschließend dieselbe
     Schule für geistig behinderte Kinder    Grundschule besuchen kann, die
     in Trägerschaft der Lebenshilfe, die    auch Geschwister- oder Nachbarkin-
     konsequent auf dem Weg ist von der      der besuchen. Dabei darf es keine
     Kooperation über Integration zur In-    Grenzen geben, die bereits am Be-
     klusion.)                               ginn des Weges in die Gesellschaft
                                             aufgestellt werden: Das Recht auf
     Zum Abschluss zitiere ich aus dem       ein Leben in der Gemeinschaft ha-
     Text, der gemeinsam von der CSU,        ben auch die wenigen, schwer be-
     SPD, Freien Wählern, Bündnis 90/Die     hinderten Kinder: Je schwerer ein
     Grünen und FDP zur Umsetzung der        Kind behindert ist, umso notwendi-
     UN-Behindertenrechtskonvention im       ger braucht dieses Kind und seine
     bayerischen Schulwesen am 25. Fe-       Familie die Anregungen und die Un-
     bruar 2010 verabschiedet wurde:         terstützung der Gesellschaft.
     „Der Freistaat Bayern verfolgt bis-
     her den Weg der Integration durch       Es gibt auch keine Grenze mit fort-
     Kooperation (...) Dieser Weg muss       schreitendem Alter der Heranwach-
     im Sinne eines inklusiven Bildungs-     senden. Nach der Grundschulzeit
     systems weiterentwickelt werden.“       wäre es mit Sicherheit am günstig-
                                             sten, wenn die Kinder mit besonde-
     Was kann das für die Stadt Mün-         ren Lernbedürfnissen in eine gemein-
     chen konkret bedeuten? – Ein wichti-    same Schule für alle Kinder gehen
     ger Schritt ist mit Sicherheit, einen   könnten, wie dies in den skandinavi-
     solchen Tag zu veranstalten, wie die-   schen Ländern oder in Italien und
     sen, an dem viele Menschen aus          Spanien selbstverständlich ist.
     den unterschiedlichen Bereichen         Auch einige Gesamtschulen in

18
Deutschland haben damit bereits           Literatur:
sehr gute Erfahrungen gemacht.
                                          FRITZSCHE, Rita und Alrun SCHASTOK:
So lange es jedoch das viergliedrige      Ein Kindergarten für alle – Kinder mit und
Sekundarstufen-Schulwesen in              ohne Behinderung spielen und lernen ge-
Deutschland noch gibt (Haupt-, Real-,     meinsam. Berlin, Düsseldorf, Mannheim,
Sonderschulen und Gymnasien), ge-         20052 (Hrsg.: Jutta SCHÖLER)
hören die Kinder, die das meiste Ver-
ständnis für zieldifferentes Lernen       KLEMM, Klaus: Sonderweg Förderschulen:
                                          Hoher Einsatz, wenig Perspektiven. Eine
benötigen, ins Gymnasium. – Hierzu
                                          Studie zu den Ausgaben und zur Wirksam-
habe ich bisher sehr gute Erfahrun-
                                          keit von Förderschulen in Deutschland. Im
gen in der Beratung und Begleitung        Auftrag der Bertelsmann Stiftung, Gütersloh
gemacht. – (vgl. Schöler 2009a) Je-       2009 auch abrufbar: http://www.bertels-
des gute Beispiel ist ein Anreiz zum      mannstiftung.de/bst/de/media/xcms_bst_dm
eigenen Weiterdenken.                     s_29959_29960_2.pdf

Inklusion ist kein Modewort. Gegen-       LEITLINIEN für die Landeshauptstadt Mün-
                                          chen zur kommunalen Arbeit mit Kindern
wärtig ist es noch richtig, von der In-
                                          und Jugendlichen mit und ohne Behinde-
tegration der Menschen mit Behin-         rung. München 2007. Projektleitung: Cle-
derung zu sprechen. Das Ziel ist          mens Dannenbeck
aber eindeutig die Inklusion: Men-
schen mit einer Behinderung dürfen        PRÄNDL, Bruno:1982, S. 804 – In: Zs. für
nicht mehr ausgesondert werden,           Heilpädagogik 32 (1981) 11 (S. 802 – 804)
um Integration vielleicht mit Mühen
im Erwachsenenalter und in der            SCHÖLER, Jutta: Leitfaden zur Kooperation
                                          von Lehrerinnen und Lehrern - nicht nur in
Freizeit möglich zu machen, son-
                                          Integrations- klassen, Heinsberg : Dieck,
dern: Das gemeinsame Leben und            1997
Lernen sehr verschiedener Men-
schen ist eine Bereicherung für alle.     SCHÖLER, Jutta (Hrsg.): Normalität für Kin-
                                          der mit Behinderungen: Integration. Texte
Wir bewegen uns auf dem Weg hin           und Wirkungen von Ludwig-Otto Roser.
zu einer inklusiven Gesellschaft, in      Neuwied, Kriftel, Berlin : Luchterhand, 1998,
der Kinder und Jugendliche bereits        auch als Volltext abrufbar:
                                          http://bidok.uibk.ac.at/library/schoeler-nor-
im Kindergarten und in der Schule
                                          malitaet.html
die Gelegenheit erhalten, verantwor-
tungsvolles Handeln zu lernen und         SCHÖLER, Jutta: Die Aufgaben der Schullei-
die Anstrengungen und Lernvoraus-         tung bei der gemeinsamen Erziehung be-
setzungen benachteiligter und unter       hinderter und nichtbehinderter Kinder. In:
schwierigen Lebensverhältnissen           Zs. Gemeinsam Leben. Heft 3; 1999: S. 118 –
aufwachsender Gleichaltriger zu er-       124 (auch als Volltext abrufbar über www.bi-
                                          dok.uibk.ac.at/)
fahren. An die Stelle des Angst ma-
chenden Konkurrenzkampfes jeder
                                          SCHÖLER, Jutta: Bilder in den Köpfen. In:
gegen jeden kann dann erfahren            Zs.: „Gemeinsam leben“ 12 (2004) S. 191 –
werden, dass Freundschaft und em-         194 (auch als Volltext abrufbar über www.bi-
pathische Nähe das Wichtigste ist,        dok.uibk.ac.at/)
für das Leben in der Gemeinschaft.
                                          SCHÖLER, Jutta: „Geistig Behinderte“ am
Frau Prof. Dr. Jutta Schoeler             Gymnasium – Integration an der Schule für
                                          „Geistig Behinderte“. In: JERG, Jo; MERZ-
                                          ATALIK, Kerstin; THÜMMLER, Ramona; TIE-
                                          MANN, Heike (Hrsg.): Perspektiven auf
                                          Entgrenzung. Bad Heilbrunn : Klinkhardt,

                                                                                          19
2009a, S. 95 – 102 und:
     http://bidok.uibk.ac.at/library/schoeler-gym-
     nasium.html

     SCHÖLER, Jutta: Alle sind verschieden. –
     Auf dem Weg zur Inklusion in der Schule.
     Weinheim und Basel : Beltz-Verlag, 2009b

     SPAENLE, Ludwig: Qualität und Gerechtig-
     keit als Ziel der Bildungspolitik. In: Nachrich-
     ten der Evange- lisch-Lutherischen Kirche in
     Bayern, Nr. 1, Januar 2010, S. 1 - 4

                                                        Auf dem Weg zur
                                                        Inklusion – Praxis,
                                                        Methoden, Inspiration

                                                        Einführung Christa Schmidt, Stadt-
                                                        jugendamt, GIBS Stabsstelle

                                                        Schon seit vielen Jahren haben sich
                                                        verschiedene Interessengruppen
                                                        aus den unterschiedlichsten Zusam-
                                                        menhängen dafür eingesetzt, dass
                                                        das Stadtjugendamt München sich
                                                        auch für die Belange der Kinder und
                                                        Jugendlichen mit Behinderungen
                                                        einsetzt.

                                                        Im Stadtjugendamt sowie in ver-
                                                        schiedenen Einrichtungen der Kin-
                                                        der- und Jugendarbeit in München
                                                        gab es eine breite Diskussion über/
                                                        integrative/inklusive Prozesse, Qua-
                                                        litätsentwicklung und Qualifizierung
                                                        zu diesem Thema. In diesem Zusam-
                                                        menhang sind u.a. Leitlinien für die
                                                        Arbeit von Kindern und Jugendli-
                                                        chen mit und ohne Behinderung (LL)
                                                        entstanden. Diese LL wurden am 19.
                                                        Sept. 2006 vom Stadtrat verabschie-
                                                        det. Die seit 2008 initiierte Stabs-
                                                        stelle für Querschnittsaufgaben

20
(GIBS – Gender, Interkulturalität,       • Teilhaben und Beitragen. Auch
Behinderung und sexuelle Orientie-         das Netzwerk handelt nach diesem
rung) im Stadtjugendamt konzipiert         Motto. Man bringt Ideen und Wis-
und plant in Zusammenarbeit mit            sen ein und kann Fragen stellen
der Hochschule Landshut, Fakultät          und wird von Ideen inspiriert,
für Soziale Arbeit, weitere Projekte,      bekommt Wissen vermittelt und
Fortbildungsmaßnahmen sowie ein            beantwortet Fragen anderer.
Weiterbildungsmodul für Multiplika-      • Raum für Theorie-Praxis-Transfer
torinnen und Multiplikatoren der         • ein Gremium, zu dem alle kom-
Kinder und Jugendarbeit in Sachen          men sollen und können, die sich
Inklusion.                                 mit Inklusion schon beschäftigt
                                           haben bzw. sich zukünftig damit
Darüber hinaus ist inzwischen auch         beschäftigen wollen.
eine Reihe von Initiativen entstanden,   • Weiterentwicklung zu der Frage,
die die vielfältigen Bemühungen um         was Inklusion „braucht“
Inklusion in den verschie- denen Le-     • Forum zum Austausch von
benswelten von Kindern, Jugendli-          Expertenwissen
chen und Erwachsenen in München          • gegenseitige Unterstützung
beobachten und koordinieren.             • Möglichkeit, Synergieeffekte zu
                                           schaffen und zu nutzen
Im Zuge der Entstehung der LL für
Kinder und Jugendliche mit und           Themenbereiche des Netzwerkes
ohne Behinderung entstand das            sind oder können sein:
„Netzwerk Inklusion Praktisch“ (NIP)
in München. Die konstituierende Sit-     • Dokumentation der Umsetzung
zung fand anlässlich eines Fachtags        von Inklusion in den einzelnen
im MOP am 4. Juli 2007 statt.              Einrichtungen, die dann in einem
                                           Handbuch Inklusion zusammenge-
Das Netzwerk Inklusion versteht            fasst werden können
sich als                                 • Kollegiale Beratung und kollegia-
                                           les Feedback
• eine wesentlich verbesserte Ver-       • Gemeinsame Arbeit an einem
  netzung aller Initiativen und Ein-       praktischen Projekt
  richtungen im Kinder- und              • Organisation und Teilnahme an
  Jugend(hilfe)bereich, die inklusiv       Fachtagen, um zu zeigen, was
  oder integrativ arbeiten                 praktisch geht
• Ziel: Hinwirken auf Vernetzung bei     • Durchführung von eigenen Fortbil-
  Einrichtungen, die entweder nicht        dungsangeboten zum Thema
  mit Kindern/Jugendlichen mit Be-         Inklusion
  hinderung arbeiten oder aus-
  schließlich mit Kindern/Jugendli-      Turnus
  chen mit Behinderung arbeiten,         Das Netzwerk Inklusion trifft sich ca.
  d. h., ein Hinwirken auf Öffnung       alle 8 Wochen.
  beiderseits. (Dazu sind von Seiten
  des Jugendamtes sicherlich einige      Wie werden Informationen über die
  Hilfestellungen zu entwickeln und      einzelnen Einrichtungen ausge-
  zu leisten).                           tauscht:
• Teil der Umsetzung und Weiterfüh-
  rung der Leitlinien der Landes-        Zurzeit:
  hauptstadt München                     Es gibt einen sog. „Steckbrief“ für
                                         alle Einrichtungen, die alle anderen

                                                                                  21
Einrichtungen des Netzwerkes erhal-     Wissenschaftliche Bedarfserhebung:
     ten können.                             Wie viele Jugendliche mit Behinde-
                                             rung haben welche Bedarfe? Ziel:
     Zweck dieses Steckbriefes ist es,       Wie und wo können diese Bedarfe
     Informationen über die einzelnen        umgesetzt werden
     Einrichtungen - als Voraussetzung
     für Vernetzung und Synergieeffekte -    Unser größtes Hindernis ist: die Ver-
     zu dokumentieren, zwischen den          säulung der Zuständigkeiten: (Be-
     Treffen eine schnelle Kontaktauf-       hindertenhilfe auf der einen und
     nahme zu ermöglichen sowie neuen        Jugendarbeit auf der anderen Seite)
     Teilnehmenden einen schnellen           was eine eindeutige Zuständigkeit
     Überblick über die bereits beteilig-    gerade von Kostenträgern schier un-
     ten Netzwerkler geben zu können.        möglich macht
     Momentan werden auch Informatio-
     nen zu Inklusion allgemein bis hin      Folgende Ressourcen haben wir /
     zu Inklusion in den spezifischen Ein-   streben wir an:
     richtungen so zusammengestellt,
     dass sie auf den Homepages der          • Bereitstellung von Ressourcen
     einzelnen Einrichtungen miteinan-         (Personal / Zeit / Finanzen) für Ver-
     der verlinkt werden können.               netzung, Fort- und Weiterbildung
                                               (als Zeichen von Qualität)
     Wichtige Themen / Voraussetzun-         • Vernetzung der Einrichtungen
     gen für Inklusion sind:                   untereinander für Kooperationen,
                                               Kollegiales Feedback, …
     Mobilität: Erleichterung für Jugend-    • Eine Einbettung in und eine
     liche mit Behinderung, damit sie          Fürsprache durch die Kommunale
     selbstbestimmt (außerhalb des             Struktur der LH München, auch
     Schulweges) mobil sind                    um Synergieeffekte zu nutzen
     Angebote für ältere Jugendliche:
     Generell fehlen inklusive Angebote      In der Praxis müssen wir darauf
     für ältere Jugendliche / junge Er-      achten:
     wachsene mit Behinderung
                                             • Welche Bedarfe gibt es und wie
     Zuständigkeiten: Für inklusive Ange-      können diese umgesetzt werden
     bote bedarf es definitiver Zuständig-   • Gemeinsame Aktionen, Öffentlich-
     keiten im rechtlichen, bürokra-           keitsarbeit
     tischen und personellen Bereich
                                             •   Internetpräsenz
     (Zwischen)Finanzierung:                 •   Multiplikator/innen
                                             •   Wissen verbreiten
     Wichtig ist: Einen Ansprechpartner      •   Infos weitergeben
     zu haben, welcher bei einer Zwi-        •   Teilhaben und Beitragen
     schenfinanzierung entscheiden kann
     (da Finanzierung oft über verschie-     Fortwährende Aufgabe des Netz-
     dene Töpfe läuft)                       werkes ist es:

     Wohnortnähe: Wohnortnahe An-            • Was können wir tun, um mehr
     sprechpartner (vgl. Regsam) zur Ver-      Interessierte und damit Mitstreite-
     netzung und zum Informations-             rinnen zu bekommen. Kooperatio-
     austausch von/bei sozialräumlich          nen mit Schulen sind / wären sehr
     orientierten Angeboten                    interessant

22
• Diskussion der aktuellen Themen       Projekte / Vorhaben für die Zukunft:
  und ihre Auswirkungen in Hinblick
  auf Inklusion (z.B. KJHG § 8a)        • Inklusives Fest 2011
  Kompetenzenpool zu schaffen           • Geschulte Assistenz
• Aufmerksam-machen der Lehr-           • Rahmenkonzeption Offene Kinder-
  Institutionen (z.B. LMU), die noch      und Jugendarbeit
  gar nicht den Begriff der Inklusion   • aufmerksam sein, dass Inklusion
  verwenden, da wir in der Diskus-        nicht zu kurz kommt
  sion mit Wissenschaftlern immer       • Beschreibung und Reflexion
  wieder erkennen, dass der Inklusi-      welche Einrichtung wie auf dem
  onsgedanke in der wissenschaft-         Weg zur Inklusion ist
  lichen Öffentlichkeit kaum ange-
  kommen ist                            Dauerhaft teilnehmende
• Praktische Inputs / Erfahrungen       Institutionen:
  z.B. bei Fachtagen präsentieren
• Feste, Aktionen, … inklusiv zu ge-    Christa Schmidt (GIBS, Stadtjugend-
  stalten (z.B. Kinderkultursommer)     amt München)
                                        Georg Staudacher (Spielratz e.V.),
Chancen und Hürden auf dem Weg          Michael Liebmann (HPT Lebenshilfe
zur Inklusion:                          Unterhaching),
                                        Brigitte Wurbs (Quax),
• Woran hakt es, dass Einrichtungen     Kerstin Günter (MOP Integrativer
  fern bleiben?                         Jugendtreff)
• Kapazitäten                           Nicki Endrich (ebs Projekt KJR Mün-
• „Machen eh schon Inklusion“           chen-Stadt)
• Klammern der Eltern und Nicht-        Franz Göppel (BIB e.V.)
  Zutrauen                              Juanita Lesser (SozReha der Evan-
• Barriere der Betreuenden der Kin-     gelischen Jugend München)
  der u. Jugendlichen mit Behinde-
  rung: Trauen ihnen nix zu             Hier wird nun eine Zusammenschau
                                        gelungener Praxisbeispiele darge-
(Wie) Kann das Netzwerk / Prakti-       stellt, nebst der Methoden „WIE“
kerinnen Hilfestellung leisten, um      diese gelungen sind. Diese Bereiche
Inklusion voranzutreiben?               stammen aus der verbandlichen, der
                                        kulturellen und der Offenen Jugend-
• Ideen                                 arbeit.
• Austausch, Hospitieren, Koopera-      Workshopleiter/Innen:
  tionen                                Nicole Endrich, Kerstin Günter,
• Reflexion, wie Veranstaltungen        Juanita Lesser, Georg Staudacher,
  gelaufen sind, was gut war und        Brigitte Wurbs
  was in Zukunft zu beachten ist

                                                                               23
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