Luftqualitätssensoren kalibrieren, Algorithmen trainieren
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Low-Cost-Sensoren Luftqualitätssensoren kalibrieren, Algorithmen trainieren Neun von zehn Menschen weltweit atmen Luft ein, die nicht den Vorgaben der WHO entspricht. Messstationen zur Bestimmung von Luftschadstoffen existieren seit geraumer Zeit. Sie sind aber gross, teuer und daher wenig verbreitet. Modulare Low-Cost-Sensoren könnten in Zukunft Ergebnisse in Echtzeit liefern, um die Luftqualität räumlich und zeitlich präziser aufzulösen. Das METAS nutz sein Wissen und Infrastruktur, um solche Sensoren zu kalibrieren und deren Algorithmen zu trainieren. Georgi Tancev Laut der Weltgesundheitsorganisation WHO lassen sich welt- weit 4,2 Millionen Tote pro Jahr auf die Luftverschmutzung zurückführen. Mehr als 91 % der Menschen weltweit leben in Gebieten, in denen die Luftqualität nicht den Vorgaben der WHO entspricht. Allein in Europa könnten jährlich bis zu 70 000 frühzeitige Tode verhindert werden, wenn die Menge an Feinstaub auf die von der WHO empfohlenen Grenzwerte reduziert würden [1]. Durch die Reduktion von Stickstoffdioxid wären es laut einer Lancet-Studie immerhin noch 2 500 Men- schenleben, die gerettet werden könnten. Damit ist und bleibt Luftqualität ein aktuelles Thema, selbst in Europa, wo im welt- weiten Vergleich die Luft als eher rein gilt. Bessere Auflösung in Raum und Zeit In den Städten sind die räumliche und zeitliche Auflösung der 2: Modulare Low-Cost-Sensoren liefern im «Internet der Dinge» Ergeb- Messungen von Luftschadstoffmengen eher gering, deswe- nisse in Echtzeit, um die Luftqualität räumlich und zeitlich genauer zu gen besteht gegenwärtig grosses Interesse an preiswerten Lö- überwachen. sungen, um diese Auflösung zu erhöhen. In den letzten Jahren wurde daher viel an potenziellen günstigen Produkten zur Luftqualitätsüberwachung geforscht und gearbeitet. Diese ren anfällig für Interferenzen mit beliebigen Gasen, aber auch sollen Teil des sogenannten «internet of things» sein und in mit Umweltfaktoren wie Luftfeuchtigkeit und Temperatur, wo- Echtzeit Ergebnisse liefern. Als essenzielle Bauteile dürfen bei jeder Sensor etwas anders reagiert. Um dem entgegenzu- hierbei Gas- (CO, NO, NO2, O3) und Aerosolsensoren (PM2.5, wirken, werden meistens mehrere unterschiedliche Sensoren PM5, PM10) nicht fehlen. Solche Sensoren sind relativ günstig in einem einzelnen Gerät verbaut (der Fachbegriff lautet hier- (zwischen 50 und 250 Franken), liefern dafür aber auch eher bei «sensor fusion») und die Effekte auskorrigiert. Aufgrund unzuverlässige Messresultate. Beispielsweise sind Gassenso- von raschen Alterungsprozesse müssen die Geräte allerdings auch im Vergleich öfter rekalibiert werden. Vorausschauende Wartung Hierfür bedarf es jedoch einer Kalibrierung, die gegenwärtig meist mit Felddaten vollzogen wird, so zum Beispiel durch das Platzieren der Geräte neben Referenzstationen während eini- ger Tage oder Wochen. Mit den gesammelten Daten werden dann mathematische Modelle mittels der Trickkiste des ma- schinellen Lernens (eines Teilgebietes der künstlichen Intelli- genz (KI) und Datenwissenschaft/«data science») erstellt und in die Software programmiert. Als Forschungspartner unter- stützt das METAS gegenwärtig ein solches Unterfangen. Ge- meinsam mit LNI Swissgas und der Dienststelle für Luft, Lärm und nichtionisierende Strahlung (SABRA) des Kantons Genf in einem durch Innosuisse geförderten Projekt. Auf der einen 1: Selbst in der Schweiz, wo im weltweiten Vergleich die Luft als eher rein Seite offeriert das METAS Kompetenz in der Evaluation der gilt, bleibt die Luftqualität Thema. Sensoren; auf der anderen Seite wird neu auch im Bereich des METinfo | Vol. 28 | No. 1/2021 | 29
Low-Cost-Sensoren oder zeitlicher Verschiebung, kommt es zu falschen Messer- Referenzgas Konzentration gebnissen. Wenn die CO-Menge sinkt, sinkt dann scheinbar 4 auch die NO2 -Menge gemäss den Modellen. 3 2 1 Dieses Problem ist allgegenwärtig im KI-Bereich. Die Rolle der 0 Algorithmen liegt darin, die Information in den Daten zu ein- –1 fachen Regeln zu komprimieren. Wenn nun CO und NO2 –2 dieselben Verläufe aufweisen, dann ist das eine Regel, die ge- –3 lernt wird (Grafik 3). Deswegen wird in diesem Bereich auch –4 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 an Techniken geforscht, um solche Phänomene frühzeitig zu erkennen. Denn grundsätzlich gilt, dass jedes Modell nur so CO NOx Zeit/Tage C6H6 NO 2 gut ist, wie die dafür verwendeten Daten. Um die beschriebe- nen Herausforderungen zu lösen, wird im Moment am METAS 3: Durch Standardisierung der Messresultate wird deutlich, dass die an neuen Anlagen und Messgeräten geforscht, die effizient, Schadstoffe im Feld korreliert sind, da sie dieselben Verläufe aufweisen. das heisst in möglichst wenigen Experimenten, solche Daten Durch Feldkalibration kann es daher vorkommen, dass ein Sensor plötz- erzeugen sollen. lich alle Schadstoffe «misst». Lernen mit experimentellem Design Dies ist insofern von Bedeutung, da viele Faktoren gleichzeitig variiert werden müssen, beispielsweise Temperatur und Feuch- tigkeit, aber auch die verschiedenen Gaskonzentrationen. Des Weiteren dürfen in diesen Daten natürlich keine künstlichen Korrelationen bestehen, daher bedient man sich der Methoden des experimentellen Designs, um optimale Kombination der Faktoren zu bestimmen und dies zu vermeiden. Dank seiner langjähriger Erfahrung in der Gas- und Partikel-Messtechnik bietet das METAS das meiste der nötigen Infrastruktur bereits an, um solche anspruchsvollen Experimente durchzuführen. Beispielsweise können Feinstäube nach Mass produziert wer- den (METinfo 1/2020). Die neue Anlage (PALMA) produziert «natürlichen» Feinstaub, wie er in der Umgebungsluft vor- 4: In der Gasanalytik ist angepeilt, einen Experimentalaufbau zu installie- kommt. Bei den erzeugten Mehrkomponenten-Aerosole lassen ren, mit welchem ein Satz an Messgeräten parallel und automatisiert sich Temperatur, Partikelgrössenverteilung, chemische Zusam- kalibriert werden kann, wobei mögliche Interferenzen für alle Sensoren mensetzung und Massenkonzentration unabhängig variieren. eruiert werden sollen. Literatur [1] https://www.thelancet.com/journals/lanplh/article/ maschinellen Lernens unterstützt, beispielsweise in der PIIS2542-5196(20)30272-2/fulltext#section-3d6acba1- Evaluation von möglichen Algorithmen. Weiter wird ebenfalls acea-4be2-8dc9-b7e14e5b6583 an vorausschauender Wartung (auch prädiktiver Wartung [2] https://www.mdpi.com/1424-8220/20/21/6198 vom Englischen «predictive maintanance») geforscht, womit [3] http://dx.doi.org/10.1038/s42256-019-0048-x Geräte die Nutzer informieren würden, sobald sie rekalibiert werden müssten. Das ist insofern interessant, da Rekalibra- tionsintervalle für jede Einheit optimiert werden könnten, Kontakt: wobei so im Betrieb von Sensornetzwerken die Kosten redu- Georgi Tancev ziert würden. Wissenschaftlicher Mitarbeiter Labor Gasanalytik georgi.tancev@metas.ch Richtige Korrelationen erkennen +41 58 387 04 81 Neuere Studien vom METAS haben nun allerdings aufzeigen können, dass die Daten, die die Basis für die Korrekturmodel- le bilden, räumlich und zeitlich gebunden sind und die Kalib- rierungen selten repräsentativ sind, was zu unzuverlässigen Messresultaten führen kann. Das zugrundeliegende Problem sind die Korrelationen zwischen den verschiedenen Faktoren in der Atmosphäre. Das kann dazu führen, dass ein CO-Sensor plötzlich NO2 «messen» kann, weil beide Schadstoffe ähnli- che Zeitverläufe aufweisen. Sobald sich die Beziehungen zwi- schen den Stoffen ändern, sei es aufgrund von räumlicher 30 | METinfo | Vol. 28 | No. 1/2021
Calibrage de capteurs de qualité de Tarare i sensori della qualità dell’aria, Calibrating air quality sensors, l’air, entraînement d’algorithmes addestrare gli algoritmi training algorithms L’Organisation mondiale de la santé Secondo l’Organizzazione mondiale della According to the World Health Organiza- OMS estime que 4,2 millions de per- sanità (OMS) 4,2 milioni di morti all’an- tion (WHO), 4.2 million deaths worldwide sonnes perdent chaque année la vie dans no in tutto il mondo possono essere attri- per year can be attributed to air pollution. le monde à cause de la pollution de l’air. buiti all’inquinamento atmosferico. Oltre Over 91 % of the global population lives Plus de 91 % de la population mondiale il 91 % delle persone in tutto il mondo in regions where the air quality does not vit dans des espaces dont la qualité de l’air vive in aree in cui la qualità dell’aria non meet WHO standards. Measuring sta- ne satisfait pas aux prescriptions de soddisfa gli standard dell’OMS. Da tempo tions for assessment of hazardous gas mol- l’OMS. Les stations de mesure des molé- esistono stazioni di misura per la determi- ecules and particulate matter in the air cules de gaz et poussières fines dans l’air nazione delle molecole di gas nocivi e del- have been available for some time now. des villes existent depuis un certain temps le polveri sottili nell’aria. Tuttavia, esse However, the existing stations are large déjà. Elles sont toutefois volumineuses, sono grandi, costose e quindi poco diffuse. and expensive – and thus not widely used. chères et donc peu répandues. Per questi motivi, negli ultimi anni è stato Accordingly, various measuring devices Voilà pourquoi, ces dernières années, un sviluppato un gran numero di strumenti have been developed in recent years that grand nombre d’instruments de mesure di misurazione costituiti da sensori di gas use smaller, inexpensive gas and particu- composés de capteurs de gaz et particules e di polveri sottili più piccoli ed economici. late matter sensors. Thanks to their lower fines plus petits et moins onéreux ont Grazie ai costi inferiori e alle dimensioni cost and smaller size, a large number of été développés. Les coûts et dimensions ridotte un’ampia gamma di sensori po- these sensors could be interconnected via moindres ont permis de réunir un grand trebbe essere interconnessa per formare the Internet of Things into a dense moni- nombre de capteurs, qui à l’aide de l’Inter- una rete di misurazione a maglia fine con toring network that is capable of supply- net des choses ont constitué un réseau de l’ausilio dell’Internet degli oggetti, fornen- ing high-resolution air quality data, in mesure dense fournissant, en temps et en do dati ad alta risoluzione sulla qualità space and time. lieu, des données de haute résolution sur dell’aria e questo nello spazio e nel tempo. la qualité de l’air. However, there are questions regarding Tuttavia, sorgono domande sulla sensibi- the sensitivity, potential interference with Des questions sur la sensibilité et les inter- lità e sulle possibili interferenze con altre other quantities, time constancy of the férences possibles avec d’autres grandeurs, variabili, sulla costanza temporale dei va- measured values (signal drift), and meas- sur la constance temporelle des valeurs de lori misurati (deriva del segnale) e sull’in- urement uncertainty. In this context, the mesure (signal drift) et sur l’incertitude de certezza di misura. In questo contesto, il Gas Analysis laboratory at METAS has mesure sont toutefois soulevées. Dans ce laboratorio Analisi di gas del METAS ha joined forces with an industrial partner, contexte, le laboratoire Analyse de gaz collaborato con il partner industriale LNI Swissgas, and the Office for Air, Noise de METAS s’est joint à un projet soutenu LNI Swissgas e con il Service de l’air, du and Non-ionising Radiation (SABRA) of par Innosuisse qui comprend le partenaire bruit et des rayonnements non ionisants the Canton of Geneva in a project funded industriel LNI Swissgas et le Service de (SABRA) (Servizio dell’aria, del rumore e by Innosuisse. The goal is to combine these l’air, du bruit et des rayonnements non delle radiazioni non ionizzanti) del Canton inexpensive pollutant sensors in a single ionisants (SABRA) du canton de Genève. Ginevra in un progetto finanziato da In- device. Artificial intelligence will be used L’objectif est de combiner en un appareil nosuisse. L’obiettivo è quello di combinare to filter out any outliers and interference les capteurs de polluants avantageux. Des i sensori a basso costo di sostanze inqui- during measurement of various gases. An- méthodes d’intelligence artificielle per- nanti in un unico dispositivo. I metodi di other goal is to facilitate efficient metro- mettront de filtrer les aberrations et inter- intelligenza artificiale devono essere utiliz- logical characterisation of this new device férences dans les mesures de divers gaz. zati per filtrare i valori anomali e le inter- and develop a simple calibration proce- Un autre objectif est la caractérisation ferenze durante la misurazione dei diversi dure for the sensor network using tech- efficace en métrologie du nouvel appareil gas. Un altro obiettivo è l’efficiente carat- niques from experimental design. et le développement d’un calibrage simple terizzazione metrologica del nuovo dispo- du réseau de capteurs au moyen des mé- sitivo e lo sviluppo di una semplice taratu- thodes du design expérimental. ra della rete di sensori utilizzando metodi del cosiddetto design sperimentale. Low-Cost-Sensoren METinfo | Vol. 28 | No. 1/2021 | 31
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