Praxisleitfaden Lawinensimulationen in der WLV - BMNT

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Praxisleitfaden Lawinensimulationen in der WLV - BMNT
Praxisleitfaden
Lawinensimulationen in der WLV

Eine Einrichtung des Bundesministeriums
für Nachhaltigkeit und Tourismus
Praxisleitfaden Lawinensimulationen in der WLV - BMNT
Impressum

Medieninhaber und Herausgeber:
Wildbach- und Lawinenverbauung Forsttechnischer Dienst
Fachzentrum Geologie und Lawinen, Fachbereich Lawinen
Wilhelm-Greil-Straße 9, 6020 Innsbruck
die-wildbach.at
Autorinnen und Autoren: M. Granig, C. Tollinger, F. Oesterle, P. Siegele, A. Herbert
Gesamtumsetzung: Fachzentrum Geologie und Lawinen, Fachbereich Lawinen
Fotonachweis: Fachbereich Lawinen (Kartengrundlage basemap.at)

Innsbruck, 2019. Stand: 10. Mai 2019

Copyright und Haftung:
Auszugsweiser Abdruck ist nur mit Quellenangabe gestattet, alle sonstigen Rechte sind ohne
schriftliche Zustimmung des Medieninhabers unzulässig.
Es wird darauf verwiesen, dass alle Angaben in dieser Publikation trotz sorgfältiger Bearbei­
tung ohne Gewähr erfolgen und eine Haftung des Bundeskanzleramtes und der Autorin/des
Autors ausgeschlossen ist. Rechtausführungen stellen die unverbindliche Meinung der Auto­
rin/des Autors dar und können der Rechtsprechung der unabhängigen Gerichte keinesfalls
vorgreifen.

Rückmeldungen: Ihre Überlegungen zu vorliegender Publikation übermitteln Sie bitte an
schneelawine@die-wildbach.at.

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Inhalt

1 Ziel und Grundlagen ...................................................................................................... 4

2 Modelle .......................................................................................................................... 6

2.1 AlphaBeta 4.0 (QGIS) ................................................................................................... 6

2.2 SamosAT DFA und SamosBeta .................................................................................... 6

2.3 RAMMS ....................................................................................................................... 7

2.4 SamosAT PSA .............................................................................................................. 7

2.5 Übersicht Anwendungsbereiche .................................................................................. 8

3 Vorarbeiten.................................................................................................................... 9

3.1 Chronik ........................................................................................................................ 9

3.2 Einzugsgebiet .............................................................................................................. 9

3.3 Modellinput ............................................................................................................... 10

     3.3.1 Digitale Geländemodelle.................................................................................... 10

     3.3.2 Anbruchgebiete ................................................................................................. 11

     3.3.3 Anbruchmächtigkeit .......................................................................................... 13

     3.3.4 Entrainment und Widerstandsgebiet ................................................................. 13

4 Anwendung ................................................................................................................. 15

4.1 Lawinencharakteristik und Szenarien ........................................................................ 15

4.2 Zusammenschau der Ergebnisse ............................................................................... 16

5 Simulationssoftware, Schnittstellen .......................................................................... 17

6 Anhang ........................................................................................................................ 18

Richtlinien, Papers............................................................................................................ 18

Literatur ........................................................................................................................... 18

Praxisleitfaden                                                                                                                            3
1 Ziel und Grundlagen
Der vorliegende Praxisleitfaden stellt den Arbeitsprozesses Lawinenmodellierung für die di­
rekte Anwendung im Dienstbetrieb der Wildbach- und Lawinenverbauung (WLV) dar. Einer­
seits wird damit ein Überblick geschaffen und andererseits dient der Praxisleitfaden als Ent­
scheidungshilfe. Der Praxisleitfaden dient auch als Qualitätssicherung für den Umgang mit
Lawinensimulationen innerhalb des Dienstzweiges und bei Zusammenarbeit Externer mit der
WLV. Beschreibungen erfolgen praxis- und anwendungsorientiert. Da sowohl die Lawinen­
modelle als auch die Eingangsdaten einer ständigen Adaptierung und Weiterentwicklung un­
terliegen, wird der Stand der Technik mit dem Erscheinungsdatum des Leitfadens repräsen­
tiert.

In Österreich werden für die Gefahrenzonenplanung „Bemessungsereignisse“ mit einer ext­
remwertstatistischen Wiederkehrwahrscheinlichkeit von ca. 150 Jahren verwendet (§6 der
GZP-VO). Folgende Abgrenzung für Lawinengefahrenzonen anhand von Druckkriterien
(Richtlinien für die Gefahrenzonenplanung BMLFUW-LE.3.3.3/0185-IV/5/2007, Fassung vom
4. Feb. 2011) einer 150-jährlichen Bemessungs-Lawine sind relevant:

•         1 < maximaler Lawinendruck < 10 kPa: Gelbe Gefahrenzone Lawine
•         maximaler Lawinendruck ≥ 10 kPa: Rote Gefahrenzone Lawine

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Abbildung 1: Karbach-Lawine im Jan. 2018 und aktuelle Gefahrenzonen (Foto:WLV)

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2 Modelle
Die in der WLV verwendeten Lawinenmodelle werden nachfolgend jeweils in Form eines
Steckbriefs beschrieben.

2.1 AlphaBeta 4.0 (QGIS)

Das AlphaBeta-Modell ist ein statistisches 1D-Modell, welches anhand von 100 Referenzlawi­
nen in Österreich kalibriert wurde (Wagner et al. (2016)). Zur Verfügung stehen Parameter­
setups für Groß- und Kleinlawinen. Das AlphaBeta-Modell bietet folgende Vorteile:

•    Anwendungsbereich: Fließlawinen
•    einfache und schnelle Anwendung als QGis Plugin
•    Bestimmung und Visualisierung des 10°-Punktes
•    Ergebnis: 10°-Punkt und maximaler Lawinenauslauf auf Profillinie, sowie Standardabwei­
     chung

Für AlphaBeta v4.0 gibt es ein praxisorientiertes Handbuch (Granig et al. (2019)).

2.2 SamosAT DFA und SamosBeta

SamosBeta ist die Anwenderversion von SamosAT DFA. Grundlage ist ein tiefengemittelter
shallow water Ansatz. Das Modell ist auf Basis von Referenzlawinen auf 150-jährliche Bemes­
sungsereignisse kalibriert (Oberndorfer und Granig (2007) und Sampl und Granig (2009)). Fol­
gende Möglichkeiten bietet SamosAT DFA/SamosBeta zur Berücksichtigung in den Szena­
rien:

•    Anwendungsbereich: Fließlawinen (trocken)
•    Entrainment
•    Widerstandsgebiete (erhöhte Rauigkeiten)
•    sekundäre Anbruchgebiete
•    Ergebnis: Maximaldruck (ppr), maximale Fließtiefe (pfd) und maximale Fließgeschwin­
     digkeit (pv)

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Für SamosBeta (Version v1.4.0) gibt es eine anwendungsorientierte Bedienungsanleitung
(Granig et al. (2018)).

2.3 RAMMS

Das vom SLF entwickelte Lawinenmodell RAMMS basiert, wie auch SamosBeta/SamosAT,
auf einem tiefengemittelten shallow water Ansatz. Das Modell ist für verschiedene Lawinen­
größen (Tiny, Small, Medium, Large) und unterschiedlicher Wiederkehrdauer (30a, 100a,
300a) kalibriert. Das Modell RAMMS weist vergleichbare Möglichkeiten wie SamosAT
DFA/SamosBeta auf:

•    Anwendungsbereich: Fließlawinen
•    Waldwiderstandsgebiete (forest file)
•    sekundäre Anbruchgebiete (manuell zeitversetzt)
•    Ergebnis: ppr, pfd, pv

Das Benutzerhandbuch (RAMMS Avalanche User Manual v1.7.2 (Bartelt et al. (2017))) lässt
sich unter folgendem Link downloaden: http://ramms.slf.ch

2.4 SamosAT PSA

Das SamosAT Staublawinenmodell (SamosAT PSA) basiert auf einer vollen 3D-Modellierung
und ist auf Basis von Referenzlawinen auf 150-jährliche Bemessungsereignisse kalibriert (ak­
tueller Parameterstand 03_2017). Der Ansatz ist komplex und benötigt lange Rechenzeiten
(>6-8h). Möglich sind sequenzielle und parallele Berechnungen unter Verwendung mehrerer
Rechenkerne. Bei den Staublawinenberechnungen können folgende Szenarien berücksichtigt
werden:

•    Anwendungsbereich: Staublawine
•    Entrainment
•    Widerstandsgebiete (z.B. Wald, ...)
•    sekundäre Anbruchgebiete
•    Ergebnis: Staubdruck in Schnittfläche von 2 m Höhe

Bei dem Modell SamosAT PSA handelt es sich um eine komplexe Modellierung, die für eine
plausible Ergebnisinterpretation entsprechende Erfahrung erfordert. Für die fachgerechte

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Anwendung wird eine entsprechende Schulung und längerfristige Anwendungsroutine emp­
fohlen.

Für Fragen zum SamosAT PSA Modell steht das FZGL gerne zur Verfügung.

2.5 Übersicht Anwendungsbereiche

Die folgende Tabelle zeigt grob die maßgeblichen Modellanwendungsbereiche nach Lawi­
nengröße bzw. Lawinentyp. Einer gesonderten Betrachtung bedarf es bei Restanbruchgebie­
ten, Leit- und Auffangdämmen, sowie Lawinengalerien.

Abbildung 2: Übersicht der üblichen Modellanwendungsbereiche

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3 Vorarbeiten
Der Arbeitsprozess der Lawinenmodellierung in der WLV erfolgt je Einzugsgebiet in folgen­
der Struktur:

•    Erhebung Chronik / Auswertung WLK / Analyse Luftbilder
•    Lokalaugenschein / Einzugsgebietsbegehung / Erhebung vor Ort
•    Übersetzung der Gegebenheiten in der Natur als Modellinput
•    Lawinencharkateristik / Lawinensimulation / Szenarien
•    Ergebnisinterpretation / Technischer Bericht
•    Umsetzung in Gefahrenzonenplanung, Maßnahmenplanung, Sachverständigentätigkeit

3.1 Chronik

Für die Auswertung historischer Daten in Bezug auf Lawinen werden vor allem folgende Me­
dien und Methoden herangezogen:

•    Historische Methode: Chroniken, Berichte von Augenzeugen, Fotos, private Sammlun­
     gen
•    Auswertung WLK.digital.Ereigniskataster (https://naturgefahren.die-wildbach.at)
•    Auswertung Luftbilder aktuell und historisch (GIS-Systeme der Bundesländer)
•    Auswertung Flurnamen (GIS-Systeme der Bundesländer)
•    Franziszeischer Kataster (Siedlungsstruktur Mitte 19. Jhdt.) (http://mapire.eu/)

3.2 Einzugsgebiet

Im Rahmen eines Lokalaugenscheins, gemeinsam mit dem Bearbeiter des Gefahrenzonen­
planes oder Projektanten etc., werden folgende Dinge erhoben bzw. festgelegt:

•    Befragung Ortsansässiger / Auskunft Gemeinde / Auskunft Lawinenkommission / ...
•    Anbruchgebiete
•    Einwehung in die Anbruchgebiete
•    zu verwendende Wetterstationen
•    Morphologische Methode: „Stumme Zeugen“, Dendromorphologie
•    Sturzbahn: kanalisiert, flächig, Aufteilung in Lawinenarme, potentielle Ausbruchstellen

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•    Entrainment / Bereiche mit Schneeaufnahme in der Sturzbahn
•    Widerstandsgebiete (relevante Waldgebiete)
•    Auslaufbereich: Ausformung Gelände, Maßnahmen
•    existierende Maßnahmen: u. a. Anbruchverbauung, Leit- und Auffangdämme, Auffors­
     tung

Nach den Erhebungen und dem Lokalaugenschein können meist auch schon folgende Fragen
diskutiert und Festlegungen dazu getroffen werden:

•    Welche Modelle machen Sinn?
•    Welche Szenarien sind repräsentativ für ein 150-jährliches Bemessungsereignis?

3.3 Modellinput

Folgende Daten finden Eingang in die Lawinenmodelle.

3.3.1 Digitale Geländemodelle
Digitale Geländemodelle, kurz DGM’s, werden standardmäßig als Laserscandaten mit 5 m
Gitterauflösung verwendet. Auf diese Rasterweite sind die Lawinen-Modelle derzeit kalib­
riert, deshalb sollte davon nur in begründeten Ausnahmefällen abgewichen werden.

Maßnahmen wie Lawinenleitdämme sind (in Abhängigkeit vom Errichtungs- bzw. Beflie­
gungszeitpunkt) schon im DGM repräsentiert, andernfalls kann das DGM auf die geplanten
Maßnahmen angepasst werden. Achtung: Im 5 m Raster sind Dammbauwerke je nach Größe
und Lage der Gitterpunkte meist nicht in der vollen Ausdehnung repräsentiert.

•    DGM mit 5 m Auflösung
•    DGM Anpassung, z.B. für Dammbauwerke

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Abbildung 3: digitales Geländemodell: Urgelände (links) und geplante Dämme (rechts)

3.3.2 Anbruchgebiete
Bei der Kartierung von Anbruchgebieten liegt die Herausforderung darin, eine sinnvolle Ab­
grenzung im Hinblick auf Lawinen mit einer 150-jährlichen Wiederkehrwahrscheinlichkeit zu
finden:

•    Neigungskartierung (> 28 Grad bis 50≈55 Grad) als maßgebliches Kriterium
•    unter Berücksichtigung der Wintergeländeoberfläche werden Anbruchgebiete in einer
     sinnvollen Größenordnung (Geländekammern) im Hinblick auf Bemessungsereignisse kar­
     tiert
•    nicht alle potentiellen Anbruchgebiete in jeder Größenordnung sind zu erfassen, die
     Maßgeblichen sollen jedoch bearbeitet werden
•    mögliche Vorverfüllungen von Tiefenlinien durch häufige Auslösung, auch kleiner Lawi­
     nen, sind zu bedenken
•    Einzugsgebiete bei denen Bemessungslawinen aus verschiedenen Expositionen wirksam
     werden können, sind anders zu bewerten als bei lediglich einem maßgeblichen Anbruch­
     bereich. Als Beispiel ist in der folgenden Abbildung 4 ersichtlich, dass drei Anbruchszena­
     rien (K1+2, K3+4, K5+6) aus unterschiedlichen Bereichen eines Einzugsgebietes (EZG) als
     Bemessungslawine möglich sind. Stark unterschiedliche Expositionen können getrennt
     berechnet werden.

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Abbildung 4: Beispiel für Bemessungsszenarien aus unterschiedlichen Expositionen eines
EZG

Um Ordnung in die meist zahlreichen Simulationsresultate zu bringen ist vorab die Überle­
gung zu einer einheitlichen Namensgebung wichtig. Die untenstehende Namenskonvention
dient als Beispiel zur Benennung der Szenarien und Simulationen:

Abbildung 5: Namenskonvention (Empfehlung)

Die Anbruchkombination der Anbruchgebiete 1 und 2 mit Entrainment und Waldwider-
standsgebieten der MaxMustermann-Lawine würde als SamosAT Staublawinenberechnung
beispielsweise wie folgt benannt werden: MM12_ent_res_PSA

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3.3.3 Anbruchmächtigkeit
Die Anbruchmächtigkeit je Anbruchgebiet wird in Anlehnung an das Prozedere der Schweizer
Richtlinien (Salm et al. (1990)) ermittelt.

•    zur Ermittlung der 150-jährlichen Dreitagesneuschneesumme (3TNSS150j) wird das Extrem­
     wertstatistiktool EVA+ der ZAMG verwendet. Für die Verwendung von EVA+ wurde eine
     Anwendungshilfe vom Fachzentrum Geologie und Lawinen ausgearbeitet (FZGL, Kap. 6)
•    der Höhengradient der 3TNSS150j (Hölzl et al. (2019)) wird einzugsgebietsbezogen ver­
     wendet, d.h. unabhängig davon wo die Wetterstation situiert ist, außerdem ist die Hö­
     hendifferenz des jeweiligen Anbruchgebietes zur Wetterstation relevant
•    Schneeverfrachtung (derzeit gutachtlich) wird üblicherweise mit 0/0,3/0,5 m zusätzlicher
     Schneeeinwehung über die gesamte Anbruchgebietsfläche verwendet
•    Neigungskorrektur zur Ermittlung der Anbruchmächtigkeit

Vom FZGL wird dazu eine vorgefertigte Excel-Datei zur Verfügung gestellt, in die neben der
Anbruchinformation (SamosAT/SamosBeta ReleaseAreaInfo.txt), die 3TNSS150j, der Name
und die Höhenlage der verwendeten Wetterstation und der unterstellte Höhengradient () ein­
getragen werden müssen.

3.3.4 Entrainment und Widerstandsgebiet
Die Festlegung von Entrainmentgebieten im Modell SamosAT/SamosBeta erfolgt optional.
Entrainmentgebiete werden im flächigen Sturzbahnbereich und entsprechenden Hangnei­
gungen (grob nach den Kriterien für Anbruchgebiete aber auch flacher) festgelegt. Im Modell
findet Schneeaufnahme als basales Entrainment (Schneeerosion an der Basis) in den vorge­
gebenen, von der Lawine überstrichenen Flächen, statt. Als Entrainmentgebiete werden
nicht bestockte (bzw. niedriger Bewuchs) Flächen ausgewiesen. Für (stark) kanalisierte Ab­
schnitte der Sturzbahn wird im Modell üblicherweise kein Entrainmentprozess angenommen.
Die Entrainment-Mächtigkeit wird standardmäßig mit 30 cm verwendet. Größere Werte als
ca. 50 cm können numerische Instabilität bewirken, kleinere Werte können in begründeten
Fällen verwendet werden. Das Ende der Entrainmentflächen ist spätestens 100 Höhenmeter
oberhalb des Talbodens/Auslaufbereichs anzusetzen. Grund dafür ist, dass die zusätzlichen
Schneepakete (Entrainment) auf die jeweilige Lawinengeschwindigkeit gebracht werden
müssen, um keine Geschwindigkeitsabnahme durch den Entrainmentprozess zu bewirken.

•    Entrainment (30 cm): optional
•    flächiger Sturzbahnbereich ohne bzw. mit geringem Bewuchs
•    kein Entrainment bei (starker) Kanalisierung
•    bis etwa 100 Höhenmeter über Talboden (bzw. Auslaufgebiet)

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Als Anhaltspunkt für die Abgrenzung von Waldwiderstandsgebieten werden die DGM-Daten
von den DOM-Daten (digitales Oberflächenmodell mit Vegetation) subtrahiert. Somit erhält
man eine Baumhöhenkartierung zum Befliegungszeitpunkt. Baumhöhen < 10 m werden als
nicht relevant erachtet. Eine entsprechende Baumdichte ist Voraussetzung für die Berück­
sichtigung von Waldwiderstandsgebieten. Andere Typen von Widerstandsgebieten (woods,
rocks, mounds, blocked, user) können im Modell SamosAT/SamosBeta ebenso berücksichtigt
werden, wie die Hindernishöhe.

•    Widerstandsgebiete: optional
•    Baumhöhen < 10 m nicht relevant
•    Hindernishöhe (konservative Annahme 10 - 15 m, ggf. 20 m)
•    verschiedene Arten von Widerstandsgebieten möglich
•    grobe Abschätzung

Abbildung 6: Anbruchgebiete (blau), Entrainment (hellblau) und Waldgebiete (grün)

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4 Anwendung
In diesem Kapitel wird eine praktische Herangehensweise des Einsatzes von Lawinen-model­
len für verschiedene Anwendungsbereiche vermittelt. Dazu ist es notwendig die Stärken und
Schwächen der Modelle zu kennen.

4.1 Lawinencharakteristik und Szenarien

Nach der Übersetzung der Naturgegebenheiten als Input-Daten für die Modellierung, soll
auch die Lawinencharakteristik bestmöglich im Modell repräsentiert werden.

•    DFA bzw. PSA: Sind PSA-Prozesse relevant?
•    Entrainment: Spielt der Entrainmentprozess eine entscheidende Rolle?
•    Wald / Widerstandsgebiete: Sind Widerstandsgebiete maßgebend?
•    Lawinengröße: Welche Modelle?
•    Sturzbahnverlauf: 1D und/oder 2D Modelle?
•    Höhenlage > 1.800 m Seehöhe (inneralpin): Achtung! große Auslauflängen sind möglich.
•    sekundäre Anbruchgebiete: eigenes Szenario?
•    Restanbruch: Als Teil eines realistischen Gesamtanbruchs.
•    Maßnahmenplanung (Anbruchverbauung, Dämme, ...): Berechnung am Urgelände zum
     Vergleich
•    vorgegebene Kategorien der Lawinengröße: v.a. in größeren Höhenlagen oder im Grenz­
     bereich auch mit der nächsten Kategorie rechnen (Lawinengröße bzw. Jährlichkeit)!
•    Waldwiderstandsgebiete (forest) zeigen im Modell RAMMS eine stärkere Wirkung

Im Regelfall wird jedes Anbruchgebiet zuerst als sogenannte Nullvariante, sprich Anbruch-
gebiete ohne Berücksichtigung von Entrainment etc. berechnet. Die Berücksichtigung von
Entrainment, Widerstandsgebieten, usw. wird je Parameter durchgeführt, d.h. die Anpassung
an die Naturgegebenheiten erfolgt Schrittweise und wird jeweils mit den vorangegangenen
Ergebnissen bzw. der Nullvariante verglichen. Anbruchgebietskombinationen werden ebenso
Schrittweise zusammengefügt und beginnend mit der Nullvariante berechnet. In Zusammen­
schau mit vorhandenen Chronikdaten, technischen Erhebungen, etc. wird schließlich das Be­
messungsszenario ausgearbeitet.

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4.2 Zusammenschau der Ergebnisse

Die Modellergebnisse müssen für die entsprechende Nachvollziehbarkeit in einem Techni­
schen Bericht dargestellt werden. Im Zuge der Interpretation erfolgt eine Zusammenschau
der Berechnungsergebnisse die dokumentiert werden müssen. Folgende Grundsätze sind da­
bei zu beachten:

•    kein Modell allein deckt alles ab (Prozesse, Unsicherheiten, ...)
•    Nachvollziehbarkeit, Objektivität, Transparenz

Der Technische Endbericht mit Lawinenchronik, Inputdaten, Modellergebnissen, verwende­
ten Parametersets und logfiles wird den Mitarbeitern in den Sektionen und Gebietsbau-lei­
tungen zur Verfügung gestellt. Im FZGL wird versucht, wesentlich Erkenntnisse aus der Mo­
dellierung zusammenzufassen und in Form einer Gesamtinterpretation abzubilden.

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5 Simulationssoftware, Schnittstellen
Grundsätzlich ist die WLV offen für neue Lawinen-Simulationssoftware. Als Voraussetzung
dafür müssen bestimmte Rahmenbedingungen erfüllt werden: Entwicklung und Support des
Modells müssen sichergestellt sein, genauso wie Tests und Nachweise zur Kalibrierung an­
hand von Beispielen bzw. Referenzlawinen.

Schnittstellen der Lawinenmodellierung sind in der Weiterverarbeitung von Daten gegeben,
wie z.B. als Input für das Dammtool oder das Galerietool.

Für Fragestellungen, Ideen und Anregungen stehen die Mitarbeiter des FZGL (Fachbereich
Lawinen) gerne zur Verfügung (schneelawine@die-wildbach.at).

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6 Anhang

Richtlinien, Papers

•     ONR
•     EVA+ (Schellander et al. (2011))
•     Anwendungshilfe für die Ermittlung der 3TNSS150j mit EVA+ in der WLV (Tollinger (2014))
•     Bedienungsanleitung SamosBeta für die Version v1.4.0 (Granig et al. (2018))
•     RAMMS Avalanche User Manual v1.7.0 (Bartelt et al. (2017))
•     Bestimmung der Höhengradienten der 150-jährlichen Schneehöhe und 3-Tages-Neu­
      schneesumme für Österreich (Hölzl et al. (2019))
•     Handbuch Alpha-Beta v4.0 (Granig et al. (2016)) bzw. (Wagner et al. (2016))
•     Arbeitsbehelf zur Abgrenzung von Schneegleiten, Schneerutschen und Kleinlawinen in
      der Gefahrenzonenplanung (Granig et al. (2018))
•     Samos Basics (wird aktuell erarbeitet)

Literatur

Bartelt, P.,Y. Buehler, M. Christen,Y. Deubelbeiss, M. Salz, M. Schneider, und L. Schu­
macher (2017): User Manual v1.7.0. Avalanche. WSL Institut für Schnee- und Lawinenfor­
schung SLF. SLF.

Christen, M., J. Kowalski, und P. Bartelt (2010): RAMMS: Numerical simulation of dense
snow avalanches in three-dimensional terrain. Cold Regions Science and Technology, 63, 1–
14.

Fischer, J.T. (2014): Optimization and Evaluation Approaches in computational Snow
Avalanche Dynamics. Ph. D. thesis, Universität Innsbruck.

Granig, M. (2012): Grundlagen und Anwendung von Lawinensimulationsmodellen. Wildbach
und Lawinenverbauung, 169, 68–77.

Granig, M., Oesterle F und C. Tollinger (2019): Handbuch Alpha-Beta v4.0. WLV, Fachzent­
rum Geologie und Lawinen, Fachbereich Lawinen.

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Granig, M., und S. Oberndorfer (2008): Entwicklung und Kalibrierung de Fließ- und Staubla­
winenmodells Samos-AT. WLV, Stabstelle Schnee und Lawinen.

Granig, M., F. Oesterle, und C. Tollinger (2018): Bedienungsanleitung SamosBeta für die
Version v1.4.0. WLV, Stabstelle Schnee und Lawinen.

Granig, M., F. Oesterle, C. Tollinger, A. Vogl, und M. Pittracher (2018): Arbeitsbehelf zur
Abgrenzung von Schneegleiten, Schneerutschen und Kleinlawinen in der Gefahrenzonen-pla­
nung. WLV, Sektion Tirol und Stabstelle Schnee und Lawinen.

Hölzl, S., H. Schellander, und M. Winkler (2019): Bestimmung der Höhengradienten der
150-jährlichen Schneehöhe und 3-Tages-Neuschneesumme für Österreich. Endbericht (v11).
ZAMG.

Oberndorfer, S., und M. Granig (2007): Modellkalibrierung des Lawinensimulations-pro­
gramms SamosAT. Abschlussbericht. WLV, Stabstelle Schnee und Lawinen.

Salm, B., A. Burkard, und H. Gubler (1990): Berechnung von Fließlawinen – Eine Anleitung
für Praktiker mit Beispielen. Mitteilung des Eidgenössischen Instituts für Schnee und Lawi­
nenforschung.

Sampl, P. (2007): SamosAT - Modelltheorie und Numerik. AVL List GmbH.

Sampl, P., und M. Granig (2009): Avalanche Simulation with SAMOS-AT. International Snow
Science Workshop Davos.

Schellander, H., Z. Christoph, und M. Buchauer (2011): EVA+ Extreme Value Analysis
(http:// eva.zamg.ac.at/evaplus). ZAMG.

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Praxisleitfaden                                                                               19
Wildbach- und Lawinenverbauung
Forsttechnischer Dienst
Fachzentrum Geologie und Lawinen, Fachbereich Lawinen
Wilhelm-Greil-Straße 9, 6020 Innsbruck
die-wildbach.at
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