Luis Carlos Tovar, Preisträger der dritten Ausgabe des Prix Elysée, mit Unterstützung von Parmigiani Fleurier - Musée de l'Elysée

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Luis Carlos Tovar, Preisträger der dritten Ausgabe des Prix Elysée, mit Unterstützung von Parmigiani Fleurier - Musée de l'Elysée
Luis Carlos Tovar,
Preisträger der dritten Ausgabe des Prix Elysée,
mit Unterstützung von Parmigiani Fleurier

Elysée Lausanne
Luis Carlos Tovar, Preisträger der dritten Ausgabe des Prix Elysée, mit Unterstützung von Parmigiani Fleurier - Musée de l'Elysée
Prix Elysée                                 Elysée Lausanne               Press release 22.06.19   2/3
                                                                                                   2/14

Das Musée de l’Elysée hat die grosse
Freude, den Gewinner der dritten Ausgabe
des Prix Elysée bekanntzugeben: Gewonnen
hat der kolumbianische Fotograf Luis
Carlos Tovar. Sein von einer internationalen
Expertenjury unter acht Nominierten
ausgewählter Name wurde bei der Nuit des
Images am Samstag, 22. Juni 2019 öffentlich
bekannt gegeben. Luis Carlos Tovar
verfolgt mit seiner Arbeit die Absicht, „zu
entdecken, woraus eigentlich Erinnerungen
gemacht sind“ bzw. „eine Überlagerung von
persönlicher und historischer Erinnerung
herzustellen, die [ihm] Anreiz war,
einmal ganz anders über das Ökosystem
und den Stoffwechsel der Fotografien
nachzudenken.“
Das Musée de l’Elysée und Parmigiani Fleurier beglückwünschen
den 1979 in Bogotà geborenen kolumbianischen Fotografen für
sein Projekt My Father’s Garden, mit dem er den dritten Prix Elysée
gewinnt. Ausgangspunkt für Luis Carlos Tovars Werk ist eine
Fotografie, die er allerdings paradoxerweise nie zu sehen bekommen
hat. Es ist das „Lebenszeichen“ seines Vaters, der von den FARC
in Kolumbien entführt wurde. Tovar verfügt noch über andere
Anhaltspunkte, um das Schweigen seines Vaters auszufüllen: die
Titel der Bücher, die er im Dschungel las, die türkisen Schmetterlinge,
die er zwischen den Seiten dieser Bücher aufbewahrte und die
Amazonas-Landschaften, die er in seinem Garten nachzubilden
versucht. Dadurch kann er sich den Schmerz seines Vaters zwar
immerhin vorstellen, aber doch niemals vollkommen verstehen.

Luis Carlos Tovar erläutert sein Projekt wie folgt
„Ausgangspunkt für dieses Projekt bildet eine Fotografie, auf
der man sieht, wie mein Vater 1980 seine Entführung durch die
FARC (Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens) überlebte. Ich kenne
das zu unseren kleinen Familienmythen gehörende Polaroidbild
überhaupt nicht. Von seiner Existenz weiss ich nur gerüchtehalber,
durch eine Beschreibung aus dem Gedächtnis meiner Schwester
– der einzigen, die je dieses Foto zu Gesicht bekam, das mein
Vater sorgsam in seinen geheimsten und persönlichsten
Unterlagen aufbewahrt.
An dem Tag, an dem er seiner Freiheit beraubt wurde, nahm mein
Vater mich auf den Arm. Er erzählt, dass bei seiner Entführung 19
Guerillakämpfer versuchten, ihn durch drei Bücher – Das Kapital
von Karl Marx, Das bolivianische Tagebuch von Ernest Che
Guevara und Was tun? von Tschernyschewski – zu indoktrinieren.
Was meinen Vater rettete, war sein Lachen und die Behauptung,
dass er nichts gegen seinen Tod einzuwenden hätte, da er ein
schönes Leben gehabt habe. Nachdem er einige Zeit später die
Bücher gelesen hatte, versuchte mein Vater, darüber ins Gespräch
zu kommen. Dabei stellte sich heraus, dass kein einziger der ihn
bewachenden Guerillakämpfer lesen konnte.

Titelseite: © Luis Carlos Tovar, My Father’s Garden, 2019 / Prix Elysée
Vorstehend: © Luis Carlos Tovar, My Father’s Garden, 2019 / Prix Elysée
Luis Carlos Tovar, 2018 © Mathilda Olmi
Luis Carlos Tovar, Preisträger der dritten Ausgabe des Prix Elysée, mit Unterstützung von Parmigiani Fleurier - Musée de l'Elysée
Prix Elysée                                Elysée Lausanne                 Press release 22.06.19                                                                                                            3/3
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Weil der Sohn, den er in den Armen gehalten hatte, noch so klein
                                                                              My father’s garden                                          Le jardin de mon père
war, und seine Gesichtszüge immer blasser wurden, erfand mein                 (proof of life)
                                                                                                                      Luis Carlos Tovar
                                                                                                                                          (preuve de vie)
                                                                                                                                                                                        Luis Carlos Tovar

Vater sich eine Erinnerungsstütze: Er fing türkise Schmetterlinge             The starting point for this project is a photograph         Le point de départ de cette réflexion est une photographie

(Morpho amathonte), die er dann zwischen den Buchseiten
                                                                              that reveals my father’s survival during his abduction      de mon père envoyée comme preuve de vie après son
                                                                              by the FARC (Revolutionary Armed Forces of                  enlèvement en 1980 par les Forces Armées
                                                                              Colombia) in 1980. The photograph, a Polaroid               Révolutionnaires de Colombie (FARC). Cette
                                                                              hidden among the small myths of my family history,          photographie, un Polaroïd dissimulé dans les petits
                                                                              is (an object) unknown to me. Its existence is a            mythes de mon histoire familiale, est un objet qui m’est
                                                                              rumor, a depiction from my sister’s memory, the only        inconnu. Son existence est une rumeur, enfouie dans les

aufbewahrte. Diese Schmetterlingsjagd war eine Metapher für
                                                                              person who has seen the image, which is jealously           souvenirs de ma sœur, la seule
                                                                              guarded by my father among his most hidden                  à avoir vu l’image, jalousement cachée par mon père
                                                                              and personal files.                                         dans ses archives les plus intimes et les plus secrètes.
                                                                              My sister saw the image in 1989.                            Ma sœur a vu cette image en 1989.

                                                                              The day he was stripped of his freedom, my father           Le jour où il a été privé de sa liberté, mon père célébrait

seinen Freiheitskampf. Während seiner Gefangenschaft sah mein
                                                                              celebrated his brother Luis Carlos’s birthday, and          l’anniversaire de son frère, Luis Carlos, et me tenait dans
                                                                              held me in his arms. However, the captors, were             ses bras. Ses ravisseurs étaient à la recherche de mon
                                                                              looking for my uncle, whom my father decided to             oncle, mais mon père a choisi de prendre sa place.
                                                                              supplant. The impersonation was motivated by the            Sa décision de se supplanter à son frère a été motivée
                                                                              certainty that, if my uncle, a military, was captured,      par la certitude que, si mon oncle, militaire, était capturé,
                                                                              he would be murdered.                                       il serait immanquablement assassiné.

Vater ausserdem unglaubliche Landschaften in verschiedenen                    My father says that during the months of his
                                                                              kidnapping, nineteen guerrillas attempted to
                                                                              indoctrinate him, through three books: Karl Marx’s
                                                                              The Capital, Che’s diary in Bolivia, Che Guevara’s
                                                                                                                                          Mon père raconte que, durant les mois de sa
                                                                                                                                          séquestration, dix-neuf guérilleros ont essayé de
                                                                                                                                          l’endoctriner à travers la lecture de trois livres : Le
                                                                                                                                          Capital de Karl Marx, Journal de Bolivie, du Che

Teilen des Amazonasgebietes. Er beobachtete den Dschungel,
                                                                              and What to do? by Lenine. The guerrillas narrated          Guevara, et Que faire ? de Lénine. Les guérilleros
                                                                              their guilts in their sleep, and my father’s salvation      racontaient leurs exactions dans leur sommeil, et la
                                                                              was the laughter and the bold statement that if he          réaction de mon père était le rire et l’audace d’affirmer
                                                                              parted, he would do so with the satisfaction of             que, s’il devait finir ainsi, il s’en irait avec la satisfaction
                                                                              having lived a full life.                                   d’une vie accomplie.

als habe er genau das vorgehabt, und lebte nach seiner
                                                                              Having read the books of indoctrination, my father          Après avoir lu les livres d’endoctrinement, mon père
                                                                              tried to strike dialogue. This initiative revealed that     a essayé d’instaurer un dialogue avec ses ravisseurs.
                                                                              most of the guerrillas who guarded him couldn’t read.       Son initiative lui permit de comprendre que la majorité
                                                                                                                                          des guérilleros qui le surveillaient ne savaient pas lire.
                                                                              Because the son in his arms was so small and the
                                                                              memory of his features was blurry, my father                Parce que le fils qu’il tenait dans ses bras au moment

Freilassung nur noch an von Pflanzen umgebenen Orten. Seither
                                                                              invented a way of remembering: he hunted butterflies,       de son enlèvement était si petit et que ses traits étaient
                                                                              preserving them among the leaves of the books.              encore imprécis, mon père inventa une autre manière
                                                                              Butterflies chasing as a metaphor of his struggle for       de se souvenir : il chassait des papillons et les conservait
                                                                              freedom.                                                    entre les pages des livres. Ces papillons sont la
                                                                                                                                          métaphore de son combat pour la liberté.
                                                                              During his kidnapping, my father toured Amazonian

versucht er an seinem neuen Wohnsitz in der Stadt, weit entfernt
                                                                              stretches and witnessed landscapes never before             Durant sa captivité, mon père a parcouru les étendues
                                                                              traveled. The jungle has been his house for a few           du territoire amazonien, et découvert des paysages
                                                                              months, that he describes as a house where the sun          qui lui étaient inconnus. La jungle a été sa maison
                                                                              never rises ; blue and deep. When he was freed              pour quelques mois, qu’il décrit comme une maison
                                                                              and moved to another city, he began to inhabit              où le jour ne se lève jamais ; bleue et profonde.
                                                                              his new spaces through the obsessive act of being           Après avoir retrouvé

vom Dorf, in dem er aufgewachsen ist, die Natur wieder zu
                                                                              surrounded by plants, seeking to recreate his               sa liberté et changé de ville, il a commencé à habiter
                                                                              childhood garden.                                           ses nouveaux espaces à travers l’acte obsessif
                                                                                                                                          de s’entourer de plantes, cherchant à recréer le
                                                                              The pain of others always comes to us in an                 jardin de son enfance.
                                                                              abstract and blurred way. We can intuit it in a very

erschaffen. Zum Leiden der Anderen dringen wir nur auf abstrakte,
                                                                              elusive way. We can also imagine it, but never              La douleur de l’autre nous touche toujours de manière
                                                                              fully understand it, never truly inhabit it. This           abstraite et trouble. Nous pouvons la deviner mais
                                                                              impossibility is symbolized in two ways: my                 elle reste insaisissable. Nous pouvons l’imaginer,
                                                                              father has been adamantly reluctant to grant the            peut-être, mais jamais la comprendre entièrement, jamais
                                                                              photograph, and my work on it begins without                l’habiter réellement. Cette impossibilité est symbolisée
                                                                              having ever seen it.                                        ici à travers deux faits : que mon père se soit montré si

undeutliche Weise vor. Wir können es erahnen. Wir können es uns
                                                                                                                                          réticent à partager cette photographie et que mon travail
                                                                              Julian Herbet, in his poem Silencio: “There is              sur elle se soit engagé sans jamais l’avoir vue.
                                                                              silence between a father and son when the father
                                                                              can not explain his life, although it is the source of      Comme le dit Julian Herbert dans son poème Silencio :
                                                                              misunderstanding”                                           « Il y a du silence entre un père et son fils lorsqu’un père
                                                                                                                                          ne peut pas expliquer sa vie, même si c’est une source

auch ausmalen, aber doch nie ganz verstehen, niemals wirklich
                                                                                                                                          d’incompréhension »

selbst empfinden. Diese Unmöglichkeit wird an zwei Umständen
deutlich: mein Vater ist ausgesprochen zögerlich, mir die besagte
Fotografie zu zeigen, und ich selbst habe bereits mit der Arbeit zu
diesem Bild begonnen, noch ehe ich es gesehen habe.“

Luis Carlos Tovars Werdegang
Der bildende Künstler und Erzieher Luis Carlos Tovar lebt und
arbeitet in Paris. In seinen Augen kann Kunst Denkweisen
vermitteln, Widerstandskräfte mobilisieren und innere und
äussere Veränderungen bewirken. Tovar erkundet im Wandel
begriffene Geografien (Ortsveränderungen), das Herausbilden von
Andersartigkeit und die Funktion der Erinnerung für die Gegenwart.
Er hat in seinem Heimatland mit prekären Bevölkerungsgruppen
und in Europa mit Geflüchteten gearbeitet. Als Verteidiger
von sozialer Gerechtigkeit hat er dezentrale Unterrichtsräume
eingerichtet, in denen die Besucher allein oder zu mehreren Reisen
unternehmen können. Bei seiner Arbeit greift er auf verschiedene
Medien wie Fotografie, Malerei und Video zurück. Ausstellungen
seiner Werke wurden in Buenos Aires, Bogotà, Rom, Paris, Madrid
und Pingyao gezeigt. Er erhielt 2017 den Nachwuchspreis bei
PhotoEspaña (Madrid) und Künstlerresidenzen im Musée du quai
Branly (2017-18) und in der Cité Internationale des Arts in Paris (2018-
19).

Die Preisjury dieser Ausgabe
Die Jury bestand aus Anahita Ghabaian Etehadieh, Gründerin
und Direktorin der Silk Road Galerie (Teheran), Curt Holtz,
Programmleiter beim Prestel Verlag (München), Yasufumi
Nakamori, leitender Kurator für internationale Kunst (Fotografie) an
der Tate Modern (London), agnès b., Modedesignerin, Galeristin
und Sammlerin (Paris) sowie den Gründungspartnern Tatyana
Franck, der Direktorin des Musée de l’Elysée, und Michel
Parmigiani, dem Gründer von Parmigiani Fleurier. Die Jury dankt
auch den sieben Nominierten Laia Abril, Mathieu Asselin,
Claude Baechtold, Nicola Lo Calzo, Alexandra Catière, Alinka
Echevarría und Gregory Halpern für ihre vielseitigen Beiträge,
speziell im Rahmen des gemeinsamen Buches, dem Livre des
nominés.

www.prixelysee.ch

© Luis Carlos Tovar, My Father’s Garden, 2019 / Prix Elysée
© Luis Carlos Tovar, My Father’s Garden, 2019 / Prix Elysée
Luis Carlos Tovar, Preisträger der dritten Ausgabe des Prix Elysée, mit Unterstützung von Parmigiani Fleurier - Musée de l'Elysée Luis Carlos Tovar, Preisträger der dritten Ausgabe des Prix Elysée, mit Unterstützung von Parmigiani Fleurier - Musée de l'Elysée
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