LUXEMBURGS WISSENSCHAFTLICHE PRODUKTIVITÄT - im Vergleich zu Deutschland, Frankreich und Belgien

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LUXEMBURGS WISSENSCHAFTLICHE PRODUKTIVITÄT - im Vergleich zu Deutschland, Frankreich und Belgien
Autorin & Autor    Jennifer Dusdal
Luxemburgs wissenschaftliche Produktivität

                                                                      		                 Justin J. W. Powell
Bildungsverläufe

                                                                         9 LUXEMBURGS
                                                                                     WISSENSCHAFTLICHE
                                                                                     PRODUKTIVITÄT
                                                                                     im Vergleich zu Deutschland, Frankreich und Belgien

                                                                      D
                                                                                ieser Beitrag vergleicht das luxemburgische Hochschul- und Wissenschaftssystem mit drei
                                                                                weiteren Mitgliedsstaaten der Europäischen Union – Deutschland, Frankreich und Belgien.
                                                                                Gemessen wird der wissenschaftliche Output anhand wissenschaftlicher peer-reviewed Zeit-
                                                                      schriftenbeiträge aus dem von Thomson Reuters (jetzt: Clarivate Analytics) bereitgestellten Web of
                                                                      Science Citation Index Expanded (SCIE).

                                                                      Ein Vergleich der vier Universitätssektoren zeigt, dass Deutschland und Belgien mit ihren forschungs-
                                                                      starken und internationalen Universitäten einen wesentlich höheren Institutionalisierungsgrad aufwei-
                                                                      sen als Frankreich und Luxemburg. Ein Vergleich der außeruniversitären Sektoren belegt eine hohe Aus-
                                                                      differenzierung Deutschlands und Frankreichs im Gegensatz zu Belgien und Luxemburg. In Luxemburg
                                                                      gibt es eine vielfältige und leistungsstarke Forschungslandschaft, die besonders internationalisiert ist.

                                             Nationaler Bildungsbericht Luxemburg 2018
LUXEMBURGS WISSENSCHAFTLICHE PRODUKTIVITÄT - im Vergleich zu Deutschland, Frankreich und Belgien
Luxemburgs wissenschaftliche Produktivität
Europa gilt als Herzstück wissenschaftlicher Pro-     in Europa, nämlich Deutschland (rund 80.000            Universitäten
duktivität zwischen Nordamerika und (Ost)Asi-         Beiträge im Jahr 2011), Großbritannien (74.000),       dienen als multi-
en, da die ältesten Forschungsuniversitäten und       Frankreich (57.000), Italien (46.000) und Spani-       kulturelle Lern-
andere wichtige Organisationsformen der Wis-          en (41.000). Weitere Zentren der Forschung sind        räume und bieten
senschaft in Europa beheimatet sind. Diese dien-      Nordamerika – USA (282.000) und Kanada (46.000)        die notwendigen
ten und dienen oft als Vorbild zur Herausbildung      – sowie Ostasien (China (153.000), Japan (69.000)      Bedingungen für

                                                                                                                                      Bildungsverläufe
neuerer Hochschul- und Wissenschaftssysteme           und Indien (43.000) (vgl. Powell et al. 2017). Euro-   wissenschaftliche
weltweit. Europäische Länder investieren große        pa bildet somit auch heute das Zentrum globaler        Entdeckungen und
Summen in den Ausbau ihrer Hochschul- und             Wissenschaft.                                          technologische
Wissenschaftssysteme sowie in die Forschung, die                                                             Entwicklungen.
als Quelle der Innovation gelten und als Sicherung    Innerhalb Europas sind diese Länder nicht nur
der Zukunft anerkannt werden. Universitäten sind      durch ihre Mitgliedschaft in der Europäischen
multikulturelle, intergenerationale Lernräume         Union und ihre direkte Nachbarschaft miteinan-
und bieten die notwendigen Bedingungen für wis-       der verbunden, sondern auch durch staatliche
senschaftliche Entdeckungen und technologische        Steuerung auf mehreren Ebenen, die Teilnahme
Entwicklungen wie das Internet, das die weltweite     an einer Vielzahl gemeinsamer Bildungs- und For-
Vernetzung und Kooperation nicht nur von Wis-         schungs(förder)programme, die Einrichtung eines
senschaftlerinnen und Wissenschaftlern grund-         gemeinsamen Europäischen Hochschulraumes
legend verändert hat. Diese Institutionalisierung     (Powell, Bernhard, Graf 2012) sowie das Netzwerk
über Jahrzehnte führte zu einer steigenden An-        „Universität der Großregion“ (www.uni-gr.eu).
zahl von Studierenden und Wissenschaftlern, ei-       Die ausgewählten Länder unterscheiden sich be-
ner Verbesserung der Forschungsinfrastrukturen        züglich ihrer gesprochenen Sprachen (Deutsch,
und starken interkulturellen Netzwerken sowie         Flämisch, Französisch und Luxemburgisch) und
wissenschaftlichen Kooperationen. Als Ergebnis        Kulturen, ihrer Einwohnerzahl und geografischen
kann ein erheblicher, gar exponentieller Anstieg      Lage und Größe sowie den Ressourcen und Infra-
wissenschaftlichen Outputs, z. B. in Form von Pu-     strukturen, die für Bildung und Wissenschaft zur
blikationen in peer-reviewed Zeitschriften in den     Verfügung gestellt werden. Hochschulbildung und
Mathematik-, Ingenieur-, Natur-, und Technikwis-      wissenschaftliche Forschung, die Produktion und
senschaften sowie der Medizin verzeichnet wer-        Vermittlung wissenschaftlichen Wissens in der
den (vgl. Powell, Baker, Fernandez 2017).             heutigen Lingua franca, Englisch, sind weltweite
                                                      Aktivitäten. Einhergehend mit einer Verschiebung
Dieser Beitrag vergleicht das luxemburgische          des globalen Zentrums wissenschaftlicher Produk-
Hochschul- und Wissenschaftssystem mit drei wei-      tivität – Frankreich um 1800, Deutschland ab 1840
teren Mitgliedsstaaten der Europäischen Union         und die USA nach den Weltkriegen – wandelte sich
– Deutschland, Frankreich und Belgien: Diese          die dominante Wissenschaftssprache vom Franzö-         Als eine der weni-
Nachbarländer unterscheiden sich hinsichtlich der     sischen ins Deutsche bis zur heutigen Dominanz         gen dreisprachi-
Größe und Institutionalisierung ihrer Hochschul-      der englischen Sprache, gegenwärtig die (notwen-       gen Universitäten
und Wissenschaftssysteme sowie ihres absoluten        dige) gemeinsame Plattform zum wissenschaftli-         weltweit kommt
und relativen wissenschaftlichen Outputs (vgl. Po-    chen Austausch, insbesondere in den Natur- und         der Universität
well, Dusdal 2017a). Anhand der historischen und      Technikwissenschaften. Die in Luxemburg gelebte        Luxemburg eine
gegenwärtigen Entwicklung der Hochschul- und          Mehrsprachigkeit spiegelt sich auch in seiner For-     besondere Rolle in
Wissenschaftssysteme werden diese Punkte mit-         schungsuniversität wider. Als eine der wenigen         der Übersetzung
einander in Beziehung gesetzt.                        dreisprachigen Universitäten weltweit kommt ihr        wissenschaftli-
                                                      eine besondere Rolle in der Übersetzung wissen-        cher Ansätze und
Zusammen tragen die untersuchten Länder maß-          schaftlicher Ansätze und Befunde zu.                   Befunde zu.
geblich zum wissenschaftlichen Output Europas
bei, da die in ihnen beschäftigten, aber internati-   In diesem Beitrag messen wir den wissenschaft-
onal stark vernetzten Wissenschaftlerinnen und        lichen Output anhand wissenschaftlicher peer-
Wissenschaftler eine große Anzahl an Artikeln         reviewed Zeitschriftenbeiträge aus dem von
publizieren. Derzeit sind die Hälfte der zehn pro-    Thomson Reuters ( jetzt: Clarivate Analytics) be-
duktivsten Länder in diesen Wissenschaftsfeldern      reitgestellten Web of Science Citation Index →

                                                                                                                          114 | 115
Luxemburgs wissenschaftliche Produktivität

                                                                      → Expanded (SCIE). Das Ausmaß wissenschaft-
                                                                      lichen Outputs unterscheidet sich, manchmal
                                                                      unerwartet, unterBerücksichtigung der institu-
                                                                      tionellen Strukturen in Hochschul- und Wissen-
                                                                      schaftssystemen. Identifiziert wurden sowohl                           9.1 Internationalisierung
                                                                      stabile als auch dynamische Muster wissenschaft-
                                                                                                                                                 wissenschaftlicher
Bildungsverläufe

                                                                      licher Produktivität in Luxemburg, Deutschland,
                                                                      Frankreich und Belgien.41 Die empirische Basis der
                                                                      differenzierten Analysen beruht auf einem Unter-
                                                                                                                                                 Produktivität

                                                                                                                                            S
                                                                      suchungszeitraum von mehr als einem Jahrhun-
                                                                      dert und umfasst die Jahre 1900 bis 2010. Unsere                              owohl in Europa als auch weltweit wird der
                                                                      Ergebnisse zeigen, vor allem in den letzten Jahr-                             supranationale Einfluss immer stärker, der
                                                                      zehnten, einen sehr deutlichen Trend exponen-                                 sich in zwischenstaatlichen Angleichungs-
                                                                      tiellen wissenschaftlichen Wachstums. Nur durch                        prozessen manifestiert, wie beispielsweise dem
                                                                      den in dieser einzigartigen Untersuchung ange-                         Bologna-Prozess zur Etablierung eines Europä-
                                                                      legten langen Zeitraum können unterschiedliche                         ischen Hochschulraums sowie einflussreichen
                                                                      Institutionalisierungspfade aufgezeigt werden, die                     Forschungsförderprogrammen der EU (bspw.
                                                                      die notwendigen Bedingungen für ein kontinuier-                        Horizon 2020) und Organisationen, die herausra-
                                                                      liches, aber auch unterschiedlich großes wissen-                       gende Forschung auf europäischer Ebene fördern
                                                                      schaftliches Wachstum in Kernländern Europas                           – etwa dem Europäischen Forschungsrat (Hönig
                                                                      darstellen. Heute investieren alle Länder erhebliche                   2017). Die anhaltende Internationalisierung und
                                                                      Mittel in Forschung und Entwicklung (FuE) und in                       Europäisierung von Wissenschaft und Hochschul-
                                                                      den Ausbau ihrer zunehmend internationalisier-                         bildung wurde von einem exponentiell ansteigen-
                                                                      ten Hochschulsysteme. In allen vier Fällen spiegelt                    den regionalen, nationalen und organisationalen
                                                                      die steigende wissenschaftliche Produktivität au-                      Wettbewerb und gleichzeitiger Kooperation zwi-
                                                                      ßerordentliche staatliche Forschungsprogramme                          schen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaft-
                                                                      wider sowie auf mehreren Ebenen Investitionen in                       lern begleitet (Powell et al. 2017). Hierdurch wird
                                                                      Bildung und Wissenschaft. Jedoch finden wir ne-                        vornehmlich die starke Diffusion weltweiter Ideen
                                                                      ben einem starken Wachstum, in absoluten Zahlen                        und Normen der Wissenschaft vorangetrieben
                                                                      und per Einwohner, wichtige Unterschiede.                              (Drori et al. 2003). Die oben bereits beschriebene
                                                                                                                                             Entwicklung, dass nahezu alle Länder weltweit in
                                                                                                            Internationalisierung            Forschungsuniversitäten investieren (Baker 2014),
                                                                                                              und Europäisierung             wird an der fortlaufenden globalen Expansion der
                                                                                                           von Hochschulbildung              Hochschulbildung deutlich (Schofer, Meyer 2005).
                                                                                                          wurde von einem expo-              Trotz weltweiter Expansion, einem zunehmenden
                                                                                                            nentiell ansteigenden            Angleichungsdruck und einer steigenden Interna-
                                                                                                          regionalen, nationalen             tionalisierung der Forschungsuniversitäten – sie
                                                                                                                 und organisatio-            folgen einem Emerging global model (Baker 2014) –,
                                                                                                               nalen Wettbewerb              zeigen vergleichende institutionelle Analysen an-
                                                                                                                und gleichzeitiger           haltende Unterschiede einzelner Hochschul- und
                                                                                                           Kooperation zwischen              Wissenschaftssysteme auf (Abbildung 45). Welt-
                                                                                                            Wissenschaftlerinnen             weit steigt der Anteil an Publikationen, die durch
                                                                                                            und Wissenschaftlern             universitäre Forscherinnen und Forscher verfasst
                                                                                                                         begleitet.          werden.

                                                                      41 Im internationalen Forschungsprojekt Science Productivity, Higher Eduation, Research & Development, and the Knowledge Society
                                                                      (SPHERE) wurde ein globaler Datensatz wissenschaftlicher Zeitschriften über den Zeitraum von 1900 bis 2011 aufbereitet, neu kodiert
                                                                      und schließlich analysiert. Die Datenbank besteht aus einer von den Autoren nachträglich überarbeiteten und umfassenden histori-
                                                                      schen Informationen. Erstellt wurde eine stratifizierte Zufallsstichprobe publizierter Zeitschriftenartikel in den Mathematik-, Ingenieur-,
                                                                      Natur-, und Technikwissenschaften sowie der Medizin. Durch die Kombination von Fallstudien aus Nordamerika (USA), Europa (Belgien,
                                                                      Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Luxemburg), Asien (China, Japan, Korea, Taiwan) und dem Mittleren Osten (Katar) wurde
                                                                      eine systematische Analyse der Entwicklung von Hochschul- und Wissenschaftssystemen sowie der Herausbildung wissenschaftlicher
                                                                      Kapazität angestrebt. Nur durch die Betrachtung eines umfassenden historischen Zeitraums können die gewonnenen Ergebnisse Ein-
                                                                      blicke in das weltweite Wachstum wissenschaftlicher Produktivität geben. Das SPHERE-Projekt wurde vom Qatar National Research
                                                                      Fund (Mitglied der Qatar Foundation) unter Angabe folgender Projektnummer NPRP grant #5-1021-5-159 finanziell gefördert. Für die
                                                                      hier vorgestellten Ergebnisse sind allein die Autoren verantwortlich.

                                             Nationaler Bildungsbericht Luxemburg 2018
Luxemburgs wissenschaftliche Produktivität
                                                                                            Institutionalisierung von Forschungsuniversitäten

                                                                                        hoch                                                 niedrig

                                                                                    Deutschland                                            Frankreich
    Institutionalisierung von

                                                          hoch

                                                                         Forschungsuniversitäten (n = 126);                    Forschungsuniversitäten (n = 79);
                                Forschungsinstituten

                                                                      Vereinigungen von Forschungsinstituten               Centre national de la recherche scientifique
                                                                          (n = 256 in FhG, HGF, MPG, WGL)                        (n = 100 „Research structures“)

                                                                                                                                                                                       Bildungsverläufe
                                                                                      Belgien                                              Luxemburg
                                                          niedrig

                                                                          Forschungsuniversitäten (n = 13);                      Forschungsuniversität (n = 1);
                                                                       verschiedene Forschungsinstitute und                           Forschungsinstitute
                                                                                Wissenschaftsparks                             (Centre de Recherche Public, n = 3)

Quelle: Powell, Dusdal 2017a: 420.

Abb 45                                                 Die Institutionalisierung von Forschungsuniversitäten und außeruniversitären Forschungsinstituten in Deutschland,
                                                       Frankreich, Belgien und Luxemburg

9.2                                                    Hochschul- und Wissenschaftssysteme
                                                       unterscheiden sich in Größe und Umfang

D
          ie vier Länder unterscheiden sich                                                                   Deutschland. Allerdings investieren Erstere eher
          in der Größe, dem Umfang und der                                                                    in kleinere Forscherteams und Letztere in unab-
          Struktur ihres Hochschul- und Wissen-                                                               hängige Institute. Besonders in Belgien sowie in
schaftssystems sowie in den Entwicklungspfa-                                                                  Deutschland gelten die Forschungsuniversitäten
den ihrer Universitäten und außeruniversitären                                                                als treibende Kraft der Produktion wissenschaft-
Forschungsinstitute (Powell, Dusdal 2017a). Wäh-                                                              lichen Wissens in Form von Zeitschriftenartikeln.
rend Luxemburg im Jahr 2003 eine der jüngsten                                                                 In Frankreich, aber auch in Luxemburg, haben
Forschungsuniversitäten Europas gegründet hat,                                                                die außeruniversitären Forschungsinstitute oder
verfügen Belgien, Deutschland und Frankreich                                                                  nationale Forschungszentren im Zeitverlauf in
über Jahrhunderte alte und weltweit bekann-                                                                   den Mathematik-, Ingenieur-, Natur-, und Tech-
te Forschungsuniversitäten mit hoher globaler                                                                 nikwissenschaften sowie der Medizin federfüh-
Reputation. Unter den ältesten und forschungs-                                                                rend publiziert. Nichtsdestotrotz holen die Uni-
stärksten Universitäten weltweit befinden sich                                                                versitäten beider Länder, gemessen in absoluten
die ungefähr im Jahr 1150 gegründete Universität                                                              Publikationszahlen, auf.
Paris Sorbonne, die 1386 eingerichtete Ruprecht-
Karls-Universität Heidelberg und die 1425 ge-                                                                 Andererseits zeigt ein Vergleich der Investitio-
gründete Katholische Universität Löwen. Zu ihren                                                              nen in FuE deutliche Unterschiede zwischen den
Gemeinsamkeiten gehören die globale Vernet-                                                                   Ländern. Die FuE-Aufwendungen in % des Brut-
zung und die Publikation einer großen Anzahl an                                                               toinlandsprodukts (GERD) – also die sogenannte
Zeitschriftenartikeln. Besonders Deutschland und                                                              Forschungsintensität – betrugen im Jahr 2008,
Frankreich haben zusätzlich zum Universitätssek-                                                              zwei Jahre vor der Publikation der letzten in die-
tor starke außeruniversitäre Forschungsinstitute                                                              ser Analyse berücksichtigten Daten im Mittel der
konstituiert, die häufig in größeren Dachorgani-                                                              OECD 2,3 %, wohingegen der Mittelwert der EU-
sationen zusammengefasst werden und erheblich                                                                 15-Staaten lediglich 1,9 % betrug. Deutschland
zum wissenschaftlichen Output des Landes zur                                                                  hat seine Investitionen in FuE auf 2,6 % erhöht
weltweiten Spitzenforschung beitragen, wie das                                                                und Frankreich weist seit dem Jahr 2000 relativ
Centre national de la recherche scientifique (CNRS)                                                           stabile Investitionsraten über 2 % auf (2,1 % im
in Frankreich oder die Max-Planck-Gesellschaft                                                                Jahr 2008). Belgien investierte 1,9 %, blieb also
zur Förderung der Wissenschaften e. V. (MPG) in                                                               kurz unter den Werten Frankreichs, aber weit →

                                                                                                                                                                           116 | 117
Luxemburgs wissenschaftliche Produktivität

                                                                      → unter denen Deutschlands. Luxemburg nimmt           große Firmen angesiedelt, die solche Ausgaben
                                                                      mit einem Mittelwert von 1,6 % die letzte Position    tätigen könnten (La Fondation IDEA asbl. 2017: 7).
                                                                      im Vergleich zu den drei anderen Ländern ein und
                                                                      investierte im Jahr 2008 prozentual am wenigs-        Die Auswahl der Fallstudien erfolgte auch auf Ba-
                                                                      ten in FuE. In der letzten Dekade haben sich die      sis einer unterschiedlichen Institutionalisierung
                                                                      FuE-Investitionen erhöht, allerdings konnte keiner    organisationaler Strukturen in den untersuchten
Bildungsverläufe

                                                                      der vier Nachbarstaaten bisher das europäische        Hochschul- und Wissenschaftssystemen. Ein Ver-
                                                                      Investitionsziel in „Innovationen“ von 3 % bis zum    gleich der vier Universitätssektoren zeigt, dass
                                                                      Jahr 2020 erreichen. Dementsprechend variieren        Deutschland und Belgien mit ihren forschungs-
                                                                      die Investitionen der Länder um ganze zwei Pro-       starken und internationalen Universitäten einen
                                                                      zentpunkte. Aktuelle Zahlen zeigen, dass Luxem-       wesentlich höheren Institutionalisierungsgrad
                                                                      burg im Vergleich zu den meisten anderen euro-        aufweisen als Frankreich und Luxemburg. Ein Ver-
                                                                      päischen Ländern, zwischen 2005 und 2015 einen        gleich der außeruniversitären Sektoren hingegen
                                                                      Rückgang in der Forschungsintensität zu 1,3 %,        belegt eine hohe Ausdifferenzierung Deutsch-
                                                                      also weniger als die Hälfte der Zielmarke aufweist,   lands und Frankreichs im Gegensatz zu Belgien
                                                                      insbesondere aufgrund fehlender Investition sei-      und Luxemburg.
                                                                      tens der Industrie. Im Land sind relativ wenige

                                                                      9.3        Luxemburgs Forschungsuniversität als
                                                                                 wichtigster Pfeiler wissenschaftlicher
                                                                                 Produktivität

                                                                      L
                                                                             uxemburg zeichnet sich durch eine be-          größten europäischen Infrastrukturprojekte mit
                                                                             achtliche kulturelle Diversität aus. Mit       einem Budget von bisher fast einer Milliarde Euro
                                                                             einem starken Finanzsektor, niedrigen          finanziert. Hier wird die Verschmelzung von For-
                                                                      Arbeitslosenzahlen und der Ansiedlung einzelner       schung und Lehre, Wirtschaft und Innovation – ein
                                                                      EU-Institutionen verfügt Luxemburg weltweit           sogenanntes Knowledge triangle entsteht – durch
                                                                      über eines der höchsten Bruttoinlandsprodukte         die gemeinsame Verortung der Universität, außer-
                                                                      pro EinwohnerIn. Über Jahrhunderte wurde das          universitären Forschungsinstitute und Firmen
                                                                      kleine Großherzogtum durch seine Nachbarlän-           vorangetrieben (OECD 2016: 26f.).
                                                                      der beeinflusst. Allerdings war es vor Gründung
                                                                      der staatlich finanzierten Universität auf die Ex-    Der Ausbau der Universität gilt als Antwort auf
                                                                      pertise und Infrastruktur seiner Nachbarn in der      sich wandelnde globale Normen und ökono-
                                                                      Hochschulausbildung und Forschung angewiesen          mische Entwicklungen. Luxemburg hat seinen
                                                                      (Rohstock, Schreiber 2012). Nicht nur in sozialer     ökonomischen Erfolg dazu genutzt, um einen
                                                                      und demografischer Hinsicht ist Luxemburg ein         langfristigen Wohlstand durch den Ausbau von
                                                                      höchst diverses und schnell wachsendes Land,          Bildung und Wissenschaft zu sichern. Seine wis-
                                                                      sondern auch in Bezug auf die Herausbildung sei-      senschaftliche Kapazität hat Luxemburg durch
                                                                      nes Hochschul- und Wissenschaftssystems (Meyer        außeruniversitäre Forschungsinstitute und eine
                                                                      2008). Die Errichtung des neuen Campus auf ei-        zentrale Forschungsuniversität sowie verschiede-
                                                                      nem stillgelegten Stahlwerk an der Grenze zu          ne ihrer Vorgängerorganisationen herausgebildet
                                                                      Frankreich zeigt die enge Verknüpfung eines tra-      (Harmsen, Powell im Druck). Dementsprechend ist
                                                                      ditionsreichen Industriestandortes mit einem vo-      die wissenschaftliche Produktivität des Landes in
                                                                      ranschreitenden Wandel hin zu einer „Wissensge-       den letzten 25 Jahren enorm gestiegen.
                                                                      sellschaft“ (Powell 2012: 102). Mit der Einrichtung
                                                                      der Cité des Sciences im industriellen Süden des      Luxemburgs Universität bildet das Herzstück sei-
                                                                      Landes wurde Anfang der 2000er Jahre eines der        nes kleinen und diversen Hochschul- und Wissen-

                                             Nationaler Bildungsbericht Luxemburg 2018
Luxemburgs wissenschaftliche Produktivität
schaftssystems. Sie wird ergänzt durch außeruni-                de l’Ensignement Supérieur et de la Recherche zu-                Trotz der Kleinheit
versitäre Forschungsinstitute und medizinische                  sammen mit Verantwortlichen der Universität                      des Landes gibt
Einrichtungen, die in unterschiedlichen Feldern                 und den drei großen Forschungszentren LIST, LIH                  es eine vielfältige
Forschung betreiben (vgl. Meyer 2008; Powell                    und LISER auf Forschungsinvestitionen von ins-                   und leistungsstar-
2015; OECD 2016; La Fondation IDEA asbl. 2017).42               gesamt 1,4 Mrd. € für die nächsten vier Jahre ge-                ke Forschungs-
Im Jahr 2015 fusionierten die beiden öffentlich                 einigt. Dies entspricht einem Zuwachs von 25 %                   landschaft, die

                                                                                                                                                          Bildungsverläufe
finanzierten Forschungszentren „Henry Tudor“                    gegenüber dem Zeitraum von 2014 bis 2017. Vom                    besonders interna-
und „Gabriel Lippmann“ zum neu gegründeten                      Gesamtbetrag erhält die Universität 767 Mio. €,                  tional ist.
Luxembourg Institute of Science and Technology                  also 178 Mio. € mehr als im letzten Vertragszeit-
(LIST), um innerhalb und außerhalb des Landes                   raum. Das LIST bekommt 186 Mio. €, LIH 150 Mio. €
eine höhere wissenschaftliche Sichtbarkeit zu er-               und LISER 47 Mio. €. Zusätzlich erhält die For-
reichen. Bereits einige Jahre zuvor wurde zwischen              schungsförderungsorganisation Fonds national de
der Universität und den außeruniversitären For-                 la recherche zusätzliche finanzielle Mittel in Höhe
schungsinstituten ein Vertrag geschlossen, um be-               von 265 Mio. €, das entspricht einem Plus von 11 %.
stimmte Forschungsbereiche auszubauen und die
Wirtschaft des Landes zu stärken. Im sogenannten                Erwerben die Einrichtungen europäische For-
3LIU Consortium hat sich die Universität mit dem                schungsgelder im Rahmen des Forschungsför-
LIST, dem Luxembourg Institute of Socio-Economic                derprogramms HORIZON 2020, können Bonus-
Research (LISER), und dem Luxembourg Institute                  zahlungen für besondere Leistungen in Höhe von
of Health (LIH) zusammengeschlossen (Powell,                    20,5 Mio. € vergeben werden. Um die finanziellen
Dusdal 2017a: 428). Das LIH ist eine hybride Orga-              Mittel zu erhalten, sind die Einrichtungen ver-
nisationsform, die aus dem nationalen For-                      pflichtet, ihre Forschungsergebnisse in wissen-
schungszentrum für Gesundheit (CRP Santé) und                   schaftlichen Zeitschriften zu veröffentlichen, en-
der Integrated Biobank of Luxembourg, hervorge-                 ger miteinander zu kooperieren (beispielsweise in
gangen ist. Weitere weltweit genutzte Dateninfra-               Form gemeinsamer Publikationen) und Drittmit-
struktur ist im LIS Data Center sowie bei Eurostat              tel in Höhe von insgesamt 433 Mio. € einzuwerben
beheimatet. Trotz der kleinen Größe des Landes                  (MESR 2018, Luxemburger Wort 2018). Der klare
gibt es somit eine vielfältige und leistungsstarke              wirtschaftliche Impakt dieser Investitionen sollte
Forschungslandschaft, die besonders internatio-                 erforscht werden.
nalisiert ist. Im Januar 2018 hat sich das Ministère

42 Eine detaillierte Beschreibung der luxemburgischen Hochschulbildung und Forschung sowie den wichtigsten Organisationen kann
dem Beitrag von Justin Powell aus dem Luxemburgischen Bildungsbericht 2015 entnommen werden.

                                                                                                                                              118 | 119
Luxemburgs wissenschaftliche Produktivität

                                                                       9.4       Deutschlands Symbiose starker
                                                                                 Forschungsuniversitäten und
                                                                                 außeruniversitärer Forschungsinstitute
Bildungsverläufe

                                                                       D
                                                       Das deutsche              as deutsche Hochschul- und Wissen-        tionen, aber auch zwischen den organisationalen
                                                      Hochschulsys-              schaftssystem besteht aus einer Duali-    Feldern Hochschule und Wissenschaft. Der Erfolg
                                                  tem zeichnet sich              tät von 126 starken Forschungsuniver-     der Einführung forschungsbasierter Lehre in den
                                                einerseits durch die   sitäten und ungefähr 300 außeruniversitären         Universitäten gründet sich auf den Prinzipien
                                                   Vereinigung von     Forschungsinstituten, die vornehmlich in vier       akademischer Freiheit und Selbstverwaltung, ins-
                                                     Forschung und     großen Dachorganisationen (Max-Planck-Gesell-       titutionellen und organisationalen Wachstum so-
                                                    Lehre aus, ande-   schaft, Fraunhofer-Gesellschaft, Leibniz-Gemein-    wie seiner Allgemeingültigkeit (Ben-David [1977]
                                                  rerseits durch die   schaft und Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher         1992). Die jährlichen Investitionen in FuE gehö-
                                                  Dualität von For-    Forschungszentren) zusammengefasst werden,          ren zu den höchsten in Europa; die Finanzierung
                                                schungsuniversitä-     sowie 232 Fachhochschulen und 51 Kunst- und         stammt vornehmlich vom Bundesministerium für
                                                ten und hunderten      Musikhochschulen. Und obwohl das Hochschul-         Bildung und Forschung (BMBF). Projektbasierte
                                                außeruniversitären     system seit Jahrzehnten unterfinanziert ist (Len-   Forschung wird hauptsächlich durch die Deutsche
                                                   Forschungsinsti-    hardt 2005; Baker 2014), sind die Hochschulen       Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert. Des
                                                              tuten.   immer noch unter den produktivsten Organisa-        Weiteren tragen die Europäische Kommission so-
                                                                       tionen. Das „Humboldtsche“ Modell universitäts-     wie mehr als 16.000 Stiftungen zur Förderung der
                                                                       basierter Forschung und Wissenschaft gehört         FuE in Deutschland bei (Hinze 2016). Deutschlands
                                                                       zu den ältesten und einflussreichsten Konzepten     Dualität von Massenuniversitäten und unabhän-
                                                                       der Organisation der Hochschulbildung weltweit.     gigen Forschungsinstituten führte und führt im
                                                                       Sein Mythos (Ash 1999) hatte ungeachtet andau-      Zeitverlauf zu einem anhaltenden und außeror-
                                                                       ernder Transformationen, wie beispielsweise der     dentlichen Wachstum wissenschaftlichen Outputs.
                                                                       Wiedervereinigung im Jahr 1990 (Pritchard 2006),    Die Universität erhält ihre zentrale Position als
                                                                       unvorhergesehene und dramatische Auswirkun-         treibende Kraft wissenschaftlicher Produktivität,
                                                                       gen auf die Wissenschaft. Sein Basisprinzip, die    obwohl ihre finanzielle Unterstützung durch den
                                                                       Vereinigung von Forschung und Lehre, hat welt-      Staat nicht mit den steigenden Studierendenraten
                                                                       weite Aufmerksamkeit erreicht. Trotzdem bleibt      und Erwartungen der Gesellschaft Schritt hält.
                                                                       diese Beziehung komplex innerhalb der Organisa-

                                             Nationaler Bildungsbericht Luxemburg 2018
Luxemburgs wissenschaftliche Produktivität
9.5        Frankreich zwischen außeruniversitärer
           Spitzenforschung und der Ausbildung
           französischer Führungseliten

                                                                                                                                      Bildungsverläufe
F
        rankreichs Hochschul- und Wissen-            spezialisierten Hochschulen (Grandes écoles) zur      Frankreichs
        schaftssystem zeichnet sich durch eine       Ausbildung der französischen Eliten und gelten        Hochschul- und
        Organisation elitärer und professioneller    als Kaderschmieden für Führungskräfte in Politik      Wissenschaftssys-
Hochschulbildung, Hierarchien und Zugangs-           und Wirtschaft.                                       tem ist stratifiziert
schwierigkeiten aus: Die Trennung zwischen                                                                 und zeichnet sich
Grandes écoles und Universitäten oder die Spal-      Im Bereich der Forschung dominieren nationale         durch seine Orga-
tung zwischen selektiven und nicht-selektiven        Forschungszentren und besonders das CNRS, auch        nisation elitärer
Segmenten. Außerdem stehen Wissenschaftlerin-        wenn viele der beschäftigten Wissenschaftlerin-       und professionel-
nen und Wissenschaftler, die am renommierten         nen und Wissenschaftler ihre Arbeit örtlich in For-   ler Hochschul-
Centre national de la scientifique (CNRS) oder der   schungslaboratorien innerhalb der Universitäten       bildung, durch
Nationalen Akademie der Wissenschaft beschäf-        verrichten. Heute sind französische Universitäten     Hierarchien und
tigt sind, an der Spitze und Universitätsmitarbei-   vermehrt in Konsortien organisiert, um ihre For-      Zugangsschwierig-
ter am unteren Ende der hierarchischen Ordnung       schungsnetzwerke und regionalen Strukturen zu         keiten aus.
(Musselin 2017). Das stark ausdifferenzierte Hoch-   stärken und um mit anderen Organisationsfor-
schulsystem besteht sowohl aus Universitäten,        men zu kooperieren, beispielsweise im Cluster
die sich stark auf die Forschung ausrichten, und     Paris-Saclay. Nichtdestotrotz sind Forschung und
anderen, die sich vornehmlich auf die Lehre kon-     Lehre in Frankreich weniger stark miteinander ver-
zentrieren. Sie stehen im Wettbewerb mit den         bunden als in Deutschland.

                                                                                                                          120 | 121
Luxemburgs wissenschaftliche Produktivität

                                                                      9.6        Belgien: Starke Forschungsuniversitäten
                                                                                 trotz sozialer und politischer Konfliktlinien

                                                                      D
                                                                                ie Analyse Belgiens zeigt tiefgreifende      die Communauté française und die Communauté
Bildungsverläufe

                                                                                Veränderungen seiner Hochschul- und          flamande, verfügen im Gegensatz zur kleinen,
                                                                                Wissenschaftssysteme, sowohl aufgrund        Communauté germanophone über eigene Univer-
                                                                      europäischer als auch innerstaatlicher Eingriffe.      sitäten (Dassen, Luijten-Lub 2007: 9f.). Belgien ist
                                                                      Belgiens Hochschul- und Wissenschaftssystem            in drei Regionen unterteilt: Flandern, Wallonien
                                                                      weist beträchtliche Dynamiken auf, die auf sei-        und die Hauptstadtregion Brüssel. In der Haupt-
                                                                      ner inneren Spaltung aufgrund lange zurück-            stadtregion Brüssel überlappen sich die walloni-
                                                                      liegender religiöser, sprachlicher Unterschiede        sche und die flämische Sprachgemeinschaften;
                                                                      und geografischer Grenzen basieren. Ungeachtet         für beide wurden Universitäten errichtet (METRIS
                                                                      seiner Stellung mit Brüssel als wichtigster euro-      2012). Obwohl Belgien auch über einige wenige
                                                                      päischer Hauptstadt ist Belgien mit politischen        außeruniversitäre Forschungsinstitute verfügt, ist
                                                                      Herausforderungen konfrontiert, um einen funk-         die Universität die wichtigste Organisationsform,
                                                                      tionierenden Nationalstaat aufrechtzuerhalten.         die zur Produktion wissenschaftlichen Wissens
                                                                      Die Forschungsuniversitäten des Landes spie-           beiträgt (Huisman, Mampaey 2016). Im Kern sind
                                                                      geln diese Herausforderungen wider, da Belgien         es die internationalisierten Forschungsuniversitä-
                                                                      in Sprachgemeinschaften unterteilt ist, die auch       ten, die die sozialen und politischen Konfliktlinien
                                                                      für Hochschul- und Wissenschaftspolitik zustän-        überwinden und die starke wissenschaftliche Pro-
                                                                      dig sind. Die beiden größten Gemeinschaften,           duktivität Belgiens sichern.

                                                                      9.7        Die wissenschaftliche Produktivität
                                                                                 im Vergleich

                                                                      U
                                                                                nsere Analysen im Zeitverlauf und län-       Bei einem Vergleich von Ländern unterschiedli-
                                                                                derübergreifend zeigen, dass Luxem-          cher geografischer Größe müssen differierende
                                                                                burg, Deutschland, Frankreich und Bel-       Umfänge ihrer Hochschul- und Wissenschaftssys-
                                                                      gien als kleinere und größere Nachbarstaaten, die      teme zwingend berücksichtigt werden. Somit ist
                                                                      alle Mitglied der Europäischen Union sind, über        eine Berechnung der absoluten Publikationszah-
                                                                      unterschiedlich ausgebaute Hochschul- und Wis-         len wenig zielführend, um zu einer zuverlässigen
                                                                      senschaftssysteme verfügen und eine differente         Messung der wissenschaftlichen Produktivität in
                                                                      Verteilung von Mitteln für Forschung und Entwick-      Form von peer-reviewed Zeitschriftenartikeln zu
                                                                      lung verfolgen. Ihre Hochschul- und Wissenschafts-     kommen. Folglich wurden aus der SCIE-Daten-
                                                                      systeme reflektieren unterschiedliche institutionel-   bank die Publikationen pro eine Million Einwohner
                                                                      le Pfade und zeichnen sich durch eine einzigartige     berechnet (siehe Abbildung 46). Die beachtliche
                                                                      Kombination von Forschungsuniversitäten und au-        wissenschaftliche Stärke Deutschlands, die auch
                                                                      ßeruniversitären Forschungsinstituten aus, die zu      während der Zeit der Teilung Deutschlands in Ost
                                                                      mehr oder weniger großen Anteilen zum wissen-          und West anhielt, besteht bis heute. Jedoch führt
                                                                      schaftlichen Output beitragen. Allerdings ist die      Belgien mit seinen forschungsstarken Forschungs-
                                                                      Universität in diesen untersuchten Ländern die (zu-    universitäten und wenigen international ausge-
                                                                      nehmend) wichtigste Organisationsform.                 richteten außeruniversitären Forschungsinstituten
                                                                                                                             den Vergleich der wissenschaftlichen Produktivität
                                                                                                                             pro Einwohner an. Dann folgen Deutschland und

                                             Nationaler Bildungsbericht Luxemburg 2018
Luxemburgs wissenschaftliche Produktivität
       Frankreich, beide auf relativ gleichbleibendem

                                                                                                                                                                         Bildungsverläufe
       Niveau. Luxemburgs schnell wachsendes Hoch-
       schul- und Wissenschaftssystem mit seiner spä-
       ten, aber intensiven Expansion der Universität
       produziert nun auch vermehrt wissenschaftliche
       Zeitschriftenartikel in den führenden Journalen.
                                                                           Abb 46     Wissenschaftliche Produktivität (SCIE) per eine Million
                                                                                      Einwohner, 1975–2010

1400

1200

1000

800

600

400

200

  0
            1975             1980            1985            1990            1995              2000           2005            2010

                 Luxemburg                     Frankreich                    Deutschland                       Belgien

       Quelle: OECD.stat. (2017): Main Science and Technology Indicators. Stand: 13.11.2017;
       SPHERE-Projektdatenbank von SCIE-Publikationen (Thomson Reuters Web of Science).

       Ein historischer Vergleich der absoluten Publika-                   bauen. Deutschland konnte sich mit gezielten                         Obwohl Luxem-
       tionszahlen aller Länder zeigt die dramatische Ex-                  Investitionen erfolgreich von den Auswirkungen                       burg prozentual
       pansion der Hochschulbildung und des Ausbaus                        der Wiedervereinigung auf das Hochschul- und                         (gemessen an
       der Wissenschaft. Die vier Länder verzeichnen seit                  Wissenschaftssystem erholen, jedoch nicht wieder                     FuE-Ausgaben am
       den 1980er Jahren einen enormen Anstieg wissen-                     die Spitzenposition der untersuchten westeuropä-                     Bruttoinlandspro-
       schaftlicher Zeitschriftenartikel in den Mathema-                   ischen Länder erreichen, die es vor der Wiederver-                   dukt) weniger als
       tik-, Ingenieur-, Natur-, und Technikwissenschaf-                   einigung im Jahr 1990 innehatte.                                     seine Nachbarn
       ten sowie der Medizin. Auch wenn Deutschland                                                                                             in FuE investiert,
       bei Weitem am meisten in FuE investiert, gefolgt                    Ein Vergleich der Beiträge unterschiedlicher Or-                     konnte es seine
       von Frankreich, Belgien und Luxemburg, erreicht                     ganisationsformen zur wissenschaftlichen Pro-                        wissenschaftli-
       keines der vier Länder das von der EU gesetzte                      duktivität zeigt, dass die untersuchten Länder                       che Kapazität
       Ziel von 3 % (OECD.stat 2017). Allerdings können                    ihre Publikationen in wissenschaftlichen Zeit-                       in strategischen
       finanzielle Mittel allein die Expansion wissen-                     schriften in voneinander abgegrenzten und un-                        Bereichen effektiv
       schaftlichen Outputs oder die Länderunterschie-                     terschiedlich institutionalisierten Hochschul- und                   ausbauen.
       de nicht vollständig erklären. Obwohl Luxemburg                     Wissenschaftssystemen veröffentlicht haben.
       prozentual (gemessen an FuE-Ausgaben am Brut-                       In Deutschland produzieren altehrwürdige For-
       toinlandsprodukt) weniger als seine Nachbarn in                     schungsuniversitäten und starke außeruniver-
       FuE investiert, konnte es seine wissenschaftliche                   sitäre Forschungsinstitute eine große Anzahl
       Kapazität in strategischen Bereichen effektiv aus-                  wissenschaftlicher Zeitschriftenartikel – mehr →

                                                                                                                                                             122 | 123
Luxemburgs wissenschaftliche Produktivität

                                                                       → als vergleichbare Organisationen im Aggregat       relativ produktiver (May 1997). Cole und Phelan
                                                                       in Frankreich, Belgien und Luxemburg. Frank-         (1999) argumentieren, dass Wohlstand einen star-
                                                                       reich setzt auf eine kleinere Anzahl starker Uni-    ken, aber nicht vollumfassenden Einfluss auf den
                                                                       versitäten, die sich auf die akademische Lehre       wissenschaftlichen Output eines Landes hat. Zwar
                                                                       fokussieren. Hinzu kommen gut etablierte auße-       unterscheidet sich der Anteil der Wissenschaftler
                                                                       runiversitäre Forschungsinstitute und andere Or-     in Bezug auf die gesamte erwerbstätige Bevölke-
Bildungsverläufe

                                                                       ganisationsformen, einschließlich der einflussrei-   rung in diesen Ländern nur geringfügig, von 9,7
                                                                       chen und höchst produktiven Einheiten des CNRS.      pro 1.000 Beschäftigte in Belgien, 9,2 in Frank-
                                                                       Gemessen in absoluten Produktionszahlen folgt        reich, 8,6 in Luxemburg und 8,4 in Deutschland
                                                                       Frankreich dem Spitzenreiter Deutschland. Belgi-     (OECD.stat. 2017). Somit können Unterschiede der
                                                                       ens wissenschaftliche Kapazität basiert auf einer    wissenschaftlichen Produktivität in diesen vier
                                                                       geringen Anzahl außeruniversitärer Forschungs-       europäischen Ländern nicht vollständig durch Un-
                                                                       institute und einer kleinen Gruppe wichtiger und     terschiede in den Investitionen in FuE oder der An-
                                                                       höchst internationalisierter Forschungsuniversi-     zahl der beschäftigten Wissenschaftlerinnen und
                                                                       täten. Das Land führt den Vergleich des wissen-      Wissenschaftler erklärt werden. Vielmehr spielen
                                                                       schaftlichen Outputs per Einwohner an.               die Institutionalisierung und Verteilung der Orga-
                                                                                                                            nisationsformen, in denen Forschung betrieben
                                                                       Unser Hauptergebnis ist, dass die Institutio-        und letztendlich publiziert wird, sowie die Ausprä-
                                                                       nalisierung von Forschungsuniversitäten und          gung internationaler Forschungskooperationen
                                                                       der Ausbau des universitären Sektors eine hohe       eine entscheidende Rolle bei der Produktion wis-
                                                                       wissenschaftliche Produktivität fördert (vgl. Po-    senschaftlichen Outputs (siehe auch ausführlich
                                                                       well et al. 2017, Dusdal 2018); dies wird im Falle   am Beispiel Deutschlands; Dusdal 2018).
                                                                       Großbritanniens, mit starker Fokussierung auf
                                                                       universitärer Forschung, bestätigt (Dusdal & Po-     Zusammenfassend finden wir im europäischen
                                                                       well 2017b). Tatsächlich weisen große und dual       Zentrum wissenschaftlicher Produktivität ein au-
                                                                       strukturierte Systeme mit einem hoch institutio-     ßergewöhnliches und langanhaltendes, in den
                                                                       nalisierten außeruniversitären Forschungssektor,     letzten Jahrzehnten gar exponentielles Wachs-
                                                                       wie Frankreich und Deutschland, einen geringe-       tum, das sich auf eine fortlaufend sich entwickeln-
                                                                       ren wissenschaftlichen Output pro Einwohner auf      de Institutionalisierung von Forschungsuniversitä-
                                                                       als Belgien mit seinen sehr gut finanzierten und     ten und außeruniversitären Forschungsinstituten
                                                                       hoch entwickelten Forschungsuniversitäten. Lu-       sowie deren Einbettung in regionale und weltwei-
                                                                       xemburg mit seiner erst im Jahr 2003 gegründeten     te Netzwerke wissenschaftlicher Kooperationen
                                                                       Universität und verschiedenen Forschungsinsti-       stützt. Die Entwicklung wissenschaftlicher Kom-
                                                       Institutiona-   tuten holt in Bezug auf seinen wissenschaftlichen    munikation durch wissenschaftliche Zeitschriften
                                                       lisierung von   Output sehr schnell auf. Diese Ergebnisse stützen    basiert auf steigendem nationalem und internati-
                                                    Forschungsuni-     die These, dass kleine Länder bei ihrer Anpassung    onalem Wettbewerb sowie auf Kooperation in den
                                                 versitäten und der    einen Vorteil nutzen können (Meyer 2008). Kleine-    Mathematik-, Ingenieur-, Natur-, und Technikwis-
                                                    Ausbau des uni-    re Länder Europas, in denen Grundlagenforschung      senschaften sowie der Medizin. Mit Europa als glo-
                                                  versitären Sektors   vorwiegend in Universitäten betrieben wird, sind     balem Zentrum wissenschaftlicher Produktivität
                                                  fördern eine hohe    im Vergleich zu mittelgroßen oder sogar größe-       wird das weltweite Wachstum wissenschaftlicher
                                                  wissenschaftliche    ren Ländern, die über einen starken und sehr gut     Produktivität angekurbelt.
                                                      Produktivität.   finanzierten außeruniversitären Sektor verfügen,

                                             Nationaler Bildungsbericht Luxemburg 2018
Luxemburgs wissenschaftliche Produktivität
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