Magazin - Erzbistum Berlin

 
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Magazin - Erzbistum Berlin
Magazin
                       ihrer kirchenzeitung
                       Tag des H errn
September 2015

                 Freude am
                 Glauben wecken
                 Das Erzbistum Berlin
                 und sein neuer Erzbischof

                 Heiner Koch im Porträt › Seiten 6 bis 9
                 Die bescheidene Kathedrale › Seite 22
                 Immer noch Ost und West? › Seiten 30 und 31
Magazin - Erzbistum Berlin
zahlen & fakten

                              Das Erzbistum Berlin
Geschichte: Das Bistum Berlin wurde 1930 errichtet. Es liegt auf dem Gebiet der ehemaligen Bistümer
                  Brandenburg, Havelberg, Kammin und Lebus. Heute umfasst das Bistum, das 1994 zum Erz­
                  bistum erhoben wurde, weite Teile Brandenburgs und Vorpommern.
Gebietsumfang: 			                     31 200 Quadratkilometer
Katholikenzahl: 			                    408 953
             in Berlin: 		             331 419
             in Brandenburg:		         63 325
             in Vorpommern:		14 209
Zahl der Pfarreien: 		                 105
Priester im aktiven Dienst (2013): 162
                                                                     Das Bischofswappen
Diakone: 			30
Pastoralreferenten (2013): 		          27                                                 Die Felder des
Gemeindereferenten (2013):             59                                                 Schildes zeigen die
Ordensleute (2013):		                  519                                                Wappen der vorre­
Durchschnittlicher Gottes-                                                                formatorischen Diö­
dienstbesuch am Sonntag:               ca. 43 000                                         zesen Brandenburg,
Taufen 2014: 			                       2062                                               Havelberg, Cammin
Trauungen 2014: 		                     452                                                und Lebus. Im Herz­
Erstkommunionen 2014: 		               2043                                               schild ist der Stern
Firmungen 2014: 		                     1452                                               als Symbol für die
Stand vom 31.12.2014
                                                                                          Gottesmutter Ma­
                                                                                          ria, die auf dem
                                                            Meer des Lebens als „Meeresstern“ die Richtung
                                                            weist. Das fließende Wasser verweist auf Chris­
                                                            tus als Quelle des ewigen Lebens; zugleich zeigt
                                                            der Fluss die Verbindung des Erzbischofs zu sei­
                                                            ner rheinische Heimat, zur Elbe, die durch das
                                                            Bistum Dresden-Meißen fließt, sowie zu Spree
                                                            und Havel, die Flüsse des Erzbistums Berlin.
                                                            Begleitet wird der Schild von den Insignien des
                                                            Erzbischofs: dem goldenen Doppelkreuz, dem
                                                            Pallium und dem grünen Bischofshut mit je
                                                            zehn Quasten. Das Schriftband trägt als Devise
                                                            des Erzbischofs die Aufforderung: „Freut euch
                                                            allezeit! Der Herr ist nahe“.

                                                                             i mpress u m
                                                        Das Tag des Herrn-Magazin ist eine Sonder­publikation
                                                        der katholischen Wochenzeitung Tag des Herrn.
                                                        Herausgeber: Die (Erz-) Bischöfe von Berlin, Dresden‑Meißen, Erfurt,
                                                        Görlitz und Magde­burg
                                                        Verlag: St. Benno Buch und Zeitschriften Verlags­gesellschaft mbH;
                                                        Geschäftsführer: Michael Birkner, Christiane Völkel
                                                        Redaktion: Matthias Holluba (Chefredakteur), Holger Jakobi, Dorothee
                                                        Wanzek, Eckhard Pohl, Raphael Schmidt, Alexandra Wolff
                                                        Leserservice und Anzeigen: Maria Körner
                                                        Stammerstraße 11, 04159 Leipzig
                                                        Telefon 03 41 / 4 67 77-12, Fax -7809
                                                        tdh@st-benno.de; www.tag-des-herrn.de
                                                        Titelbild: KNA
                                                        Druck: Druckerei Vetters GmbH & Co. KG, Gutenbergstraße 2,
                                                        01471 Radeburg
                                                        Nachdruck – auch auszugsweise – nur mit schriftlicher Genehmigung
                                                        der Redaktion.
Magazin - Erzbistum Berlin
Gemeinsam auf Pilgerschaft
        Willkommensgruß für den neuen Erzbischof
                                            Prälat Tobias Przytarski

„Warum habt Ihr uns den Bischof wegge-                                 terwegs auf Pilgerschaft sind. Vertrauen
nommen?“ Ich habe nicht mitgezählt, wie                                auf Gott und Zutrauen zu den Menschen
oft mir seit der Bekanntgabe der Ernen-                                in seinem neuen Erzbistum sprechen aus
nung unseres neuen Erzbischofs diese                                   diesen Worten.
Frage aus dem Bistum Dresden-Meißen                                    Und so gefällt mir auch der bischöfliche
gestellt worden ist. Ich nehme die Frage –                             Wahlspruch: „Freut Euch allezeit, der
die ja auch ein bitterer Vorwurf ist – sehr                            Herr ist nahe!“ Eine Zusammenarbeit,
ernst, zumal ich selbst mich ja beschwert                              die mit einem „Freut Euch!“ beginnt,
habe, als uns 2014 unser Erzbischof zu-                                kann keine traurige Angelegenheit wer-
gunsten einer anderen Ortskirche ge-                                   den! Dabei ist Erzbischof Koch natürlich
nommen wurde. Ich muss es gemeinsam                                    bewusst, dass auch in Berlin, Branden-
mit den anderen Mitgliedern des Metro-                                 burg und Vorpommern nicht alles eitel
politankapitels auch ertragen, dass ich                                Sonnenschein sein wird. Doch die Freu-
keine Antwort auf die Frage geben darf,                                de am Herrn ist stärker.
dies verbietet das Wahlverfahren. Manchmal ist es        Lieber Herr Erzbischof, ich habe den Termin Ihrer
nicht einfach, sich an die Spielregeln zu halten.        Amtseinführung herbeigesehnt. Mit diesem Tag darf
Und dennoch – ich freue mich von Herzen, dass Bi-        ich die Verantwortung für die Erzdiözese in Ihre Hän-
schof Heiner Koch unserer Wahl zugestimmt hat! Ich       de legen. Ich verspreche Ihnen, dass wir Sie nicht al-
bin überzeugt, er ist genau der richtige Hirte für un-   leine lassen, sondern mit Ihnen gemeinsam den Weg
ser Erzbistum Berlin. Ob im Gespräch mit der Pres-       gehen, dass wir Ihnen zur Seite stehen und mit Ihnen
se, mit dem Kapitel, mit den Mitarbeiterinnen und        immer mehr und überzeugender Kirche des Herrn
Mitarbeitern im Ordinariat oder mit dem Priesterrat      sein und werden wollen. Ich wünsche Ihnen im Heili-
– ich erlebe ihn als einen Bischof, der den Menschen     gen Geist viel Kraft, Beharrlichkeit und Ausdauer auf
zugewandt ist, der etwas zu sagen hat, der aber auch     den langen Wegen, die es im Erzbistum zurückzule-
gut zuhören kann. In seinem ersten Gruß an sein neu-     gen gilt. Und ich wünsche Ihnen die tief empfundene
es Erzbistum steht der schöne Satz: „Gerne gehe ich      „Freude allezeit“, die sich durch nichts und nieman-
mit Ihnen diesen Weg, uns unserer Berufung vor Gott      den entmutigen lässt. Die aus der Zuversicht kommt:
neu bewusst zu werden und gemeinsam nach Wegen           „Der Herr ist nahe!“
zu suchen, das Wort Gottes in unserer Zeit den Men-      In Seinem Namen und mit Seinem Segen beginnen
schen nahe zu bringen.“ Ich höre daraus eine große       Sie nun Ihren Weg mit uns. Unsere Fürbitten beglei-
Nähe unseres Erzbischofs zu allen, die mit ihm un-       ten Sie dabei!

Ein Bischof für alle!
  Liebe Leserinnen, liebe Leser, ein Bischof für alle                  A us der R edaktion
  wolle er gerne sein, sagte Erzbischof Heiner Koch      christlicher Kirchen, des Judentums und des Islam
  kurz nach der Bekanntgabe, dass er der Nachfolger      eingeladen – quasi als Stellvertreter derer, für die
  von Kardinal Rainer Maria Woelki werden wird.          er Bischof sein möchte. Ein Bischof für alle! Wer
  Ein Zeichen dafür setzte er schon vor dem eigent-      genau dieser „Eine“ und wer alles diese „Alle“ sind,
  lichen Amtsantritt beim Ablegen des staatlichen        das ist Thema dieses Magazins, das Sie gerade in
  Treueeids. Erzbischof Koch hatte dazu neben Ka-        den Händen halten.
  tholiken auch Flüchtlinge und Vertreter anderer        Viel Spaß beim Lesen wünscht Alexandra Wolff.

                                      Tag   des Herrn      magazin      3
Magazin - Erzbistum Berlin
Fotos: Walter Wetzler

                        „   Gott kommt nicht

                                                     “
                            irgendwann,
                            Er ist schon da.

                            Erzbischof Heiner Koch
Magazin - Erzbistum Berlin
„Er weiß, wo er hinkommt“
                   Berlin hat wieder einen Erzbischof
                                                Alexandra Wolff

Ein Zugticket zurück ins Bistum Dresden-Meißen. Schmitt auch drei Stücke von Karl Forster ausgewählt
Das schenkte der Vorsitzende des Diözesanrats der hat. Schmitt beeindruckt vor allem ein „Laudate Do-
Katholiken im Erzbistum Berlin, Wolfgang Klose, dem minum“, das ein Amtsvorgänger (1934-1963) in den
neuen Erzbischof, Heiner Koch, zu dessen Einfüh- letzten Kriegstagen 1945 vollendete. Zu dem Pontifi-
rung. Doch natürlich nicht zu seinem alten Amtssitz kalamt sangen der Chor und die Jugendkantorei der
nach Dresden, sondern nach Leipzig:                                            St. Hedwigs-Kathedrale. Der Kam-
„Dort wollen wir gemeinsam den                                                 mersymphonie Berlin hat sie beglei-
100. Katholikentag feiern“, erläuterte                                         tet. An der Orgel saß Domorganist
Klose in seinem Grußwort. „Dieses                                              Thomas Sauer.
Ticket ist Versprechen und Zusage,                                             Die Auswahl der Lieder, die „voller
dass wir mit ganz vielen zu ‚unserem‘                                          Inbrust mitgesungen wurden“, be-
Katholikentag fahren wollen.“                                                  wunderte Martin Kehnen, einer der
Obwohl der Einführungsgottes-                                                  Gottesdienstbesucher, aber auch,
dienst des neuen Erzbischofs auch                                              dass die Fürbitten auf deutsch, ara-
in benachbarte Gebäude übertragen                                              bisch, englisch und kroatisch vor-
wurde, reichte der Platz nicht für                                             getragen wurden. Und auch beim
alle, die gerne dabei gewesen wären.                                           anschließenden Empfang staunt
Deswegen waren viele auf die Über-                                             Kehnen: „So viele unterschiedliche
tragungen im Fernsehen und im In-                                              Kulturen.“ Unter den Gottesdienst-
ternet angewiesen.                                                             besuchern waren auch Schwester
In seiner Predigt ging Koch auf                                                Sandra und Schwester Susanne
sein Leitwort für den bischöfli-            Dompropst Rother präsentiert die    von den Missionares Identes: „Er
chen Dienst ein: „Gaudete semper! Ernennungsurkunde des neuen Erzbischofs. weiß, wo er hinkommt, kennt die
Dominus prope“, also „Freut euch                                                Diasporasituation und die damit
allezeit! Der Herr ist nahe“ (Phil 4,4.6): „Gott kommt verbundenen Herausforderungen“, zeigt sich Schwes-
nicht irgendwann, er ist da: jetzt und hier, in Kreuz- ter Sandra vom neuen Erzbischof überzeugt. Und ihre
berg, Charlottenburg und Köpenick, in Potsdam und Mitschwester ergänzt: „Es ist toll, wie unvoreingenom-
Greifswald, Brandenburg oder Frankfurt an der Oder, men er auf die Menschen zugeht.“
immer und ewig, in Freude und Leid, in Glück und Dass er so „echt und normal“ sei, bewundert auch
Not, wenn ich seine Nähe spüre und wenn er mir Schwester Margit von den Comboni-Schwestern an
fern zu sein scheint, im Leben und im Tod: Er ist und Heiner Koch. „Mit was für einer Klarheit er während
bleibt uns nahe. Setzt dem menschlichen Leben keine seiner Predigt über die Liebe gesprochen hat! Dass
Grenzen! Dafür müssen wir als Christen einstehen, der Weg zu Gott der Weg über die Menschen sei, dar-
auch wenn wir dafür nicht von allen Seiten Beifall in hat ihn ja sogar der Regierende Bürgermeister Mi-
bekommen.“                                                   chael Müller in seinem Grußwort bestärkt.“
                                                             Dass sie mit dieser Meinung nicht alleine steht, zeigte
                                                             sich bereits während des Pontifikalamtes: Nach der
Fürbitten auf deutsch, arabisch, englisch und                Inbesitznahme der Kathedra, bei einigen lobenden
kroatisch – so viele unterschiedliche Kulturen               Grußworten und sogar nach der Predigt gab es lang
                                                             anhaltenden Applaus. Und gelacht wurde auch. Bei-
Für diesen Wahlspruch hat Domkapellmeister Ha- spielsweise als der Rheinländer Koch erwähnte, dass
rald Schmitt ein Chorwerk von Edward Elgar bear- bei seinem Amtsantritt in Dresden Köln spielte und
beitet und neu orchestriert. Ein weiterer besonderer nun Köln wieder gegen Berlin antrete. Seine Dankes-
musikalischer Akzent war, dass neben Werken von worte endete er mit: „Damals hat Köln gewonnen. Ich
Josef Rheinberger und Felix Mendelssohn Bartholdy wünsche Ihnen eine schöne Woche.“

                                       Tag   des Herrn       magazin        5
Magazin - Erzbistum Berlin
Heiner Koch kann zuhören und
                                                                                   sucht bei jeder Gelegenheit das
                                                                                  persönliche Gespräch mit jungen
                                                                                    und alten Menschen – hier bei
                                                                                    einer sorbischen Wallfahrt in
                                                                                          Ralbitz-Rosenthal.
Foto: picture alliance

                         Für eine anziehende Kirche –
                               zum Greifen nah
                          Ein Porträt des neuen Berliner Erzbischofs:
                                     Wer ist Heiner Koch?
                                               Dorothee Wanzek

Advent 2012. Das Dresdner Domkapitel hatte Heiner         erzählt er dabei von Menschen, denen er selbst begeg-
Koch zum Bischof gewählt. Ein paar Tage Bedenkzeit        net ist und deren Lebenserfahrung ihn beeindruckt
räumte man ihm ein. Nach Gebeten und innerem Rin-         oder nachdenklich gestimmt hat.
gen schrieb er schließlich in der Christnacht sein „Ja“   Würdenträger sind das selten, sondern eher einfache
an Gott auf einen Zettel und legte es in die Krippe des   Menschen wie die alte Frau, die ihm vom Bombenan-
Kölner Doms.                                              griff auf die Dresdner Hofkirche erzählte, wie sie ne-
Bei seiner Ankunft in Dresden erzählte er davon. Hei-     ben ihrer Schwester stand, die von einer Brandbom-
ner Koch weiß um die Kraft von Bildern und Sym-           be getroffen war und kurz vor ihrem Tod noch ein
bolen, und das nicht erst seit seiner Zeit als Gene-      Kirchenlied sang. Oder die atheistische Großmutter,
ralsekretär des Kölner Weltjugendtags. Dass Glaube        die bei der Tauffeier ihrer erwachsenen Kinder und
Sichtbares und Greifbares braucht, um sich zu ent-        Enkel in Tränen ausbrach und fragte: „Was habe ich
zünden und zu wachsen, gilt nicht nur für junge Men-      bloß falsch gemacht, dass meine Kinder sich jetzt tau-
schen. Heiner Koch ist das bewusst. Den Zuhörern          fen lassen?“ Und auch die tief gläubigen Eltern, für
seiner Predigten bietet er selbst schwere theologische    die das Krankenzimmer ihrer schwerst behinderten
Kost immer in anschaulicher Verpackung, meistens          Tochter wie eine Hauskapelle ist.

                                     6     Tag   des Herrn     magazin
Magazin - Erzbistum Berlin
Die am Rande stehenden, Kleinen, Benachteiligten,

                                                           Foto: Dorothee Wanzek
Vergessenen sind dem neuen Erzbischof nicht erst
wichtig, seit Papst Franziskus von einer „Kirche für
die Armen“ spricht. Nicht von ungefähr hat Heiner
Koch sein Ja-Wort zu Dresden in die Krippe gelegt
und nicht vor eine Darstellung des erwachsenen oder
gar königlichen Jesus. Gott, der sich klein gemacht
hat und Mensch geworden ist, ist eines seiner bevor-
zugten Predigtthemen, nicht nur zu Weihnachten.
Dass er mit seinem pastoralen Prozess für das Bistum
Dresden-Meißen an die Eucharistie angeknüpft hat,
passt dazu: Die Selbsthingabe Christi, der sich so klein
macht, dass er für den Menschen zur Nahrung wird,          Heiner Koch weiß um die Kraft von Symbolen: Als er seinen Ab-
ist der Angelpunkt. „Wir empfangen den Leib Christi,       schied aus Dresden ankündigt, zeigt er ein Foto von seinem Emp-
                                                           fang mit dem mittlerweile verstorbenen Weihbischof Weinhold.
um mit Christus und miteinander Leib Christi zu sein
für die Menschen“, schrieb der Bischof auf das Bild,
das er bei seinem Abschiedsgottesdienst in der Dresd-
ner Kathedrale verteilen ließ.                                                       B i ograf i sches

Verhärtete Gottlosigkeit,                                                           Lebensstationen von
ein Stachel im Fleisch
                                                                                   Erzbischof Heiner Koch
Als Kirche nicht nur für die eigenen Mitglieder da zu
sein, sondern für alle Menschen, beschäftigt Heiner
Koch nicht nur in „Eigentlich-müsste-man-doch“-Re-                        Heiner Koch wurde am 13. Juni 1954 in Düssel-
den. Es lässt ihm keine Ruhe, dass offensichtlich so                      dorf als Sohn eines Justizamtsrates und einer
viele Menschen im Osten Deutschlands sich selbst-                         Hausfrau geboren, die beide aus Schlesien stam-
verständlich in einem Leben ohne Gott eingerichtet                        men. Nach dem Studium der Theologie, Philoso-
haben. Deshalb nutzt er jede sich bietende Gelegen-                       phie und Erziehungswissenschaften in Bonn und
heit, gelebten Glauben erfahrbar zu machen und über                       einer Promotion in Theologie empfing er 1980
Glaubensfragen ins Gespräch zu kommen. In Sachsen                         in Köln die Priesterweihe. Anschließend war er
und Thüringen hat er dabei besonders die Möglich-                         unter anderem Hochschulpfarrer an der Univer-
keiten schätzen gelernt, die christliche Kindergärten                     sität Düsseldorf und hatte leitende Funktionen in
und Schulen als Erfahrungs- und Gesprächsorte für                         der Verwaltung des Erzbistums Köln inne. 2002
Kinder und ihre Eltern bieten. Auch unkonventionel-                       ernannte der damalige Kölner Erzbischof, Kardi-
le Kanzeln hat er immer wieder gerne genutzt, zum                         nal Joachim Meisner, Koch zum Generalsekretär
Beispiel das Spielfeld des Dynamo-Dresden-Fußball-                        des Weltjugendtags 2005. Nach der Bischofswei-
stadions, auf dem der bekennende Fortuna-Düssel-                          he durch Meisner ein Jahr später war er Weihbi-
dorf-Fan einmal während einer Halbzeitpause das                           schof im Erzbistum Köln.
Mikrofon gereicht bekam.                                                  Im März 2013 ernannte Papst Benedikt XVI. Koch
Auch sein Mittun bei Karneval und Schützenbrüder-                         zum Bischof des Bistums Dresden-Meißen. Papst
schaften entspringt nicht allein seinem Sinn für Hu-                      Franziskus berief ihn am 8. Juni zum Erzbischof
mor und rheinische Geselligkeit, sondern auch dem                         von Berlin. Dieses Amt tritt Koch am 19. Septem-
Wunsch, als Priester und Bischof nahe bei den Men-                        ber an.
schen zu sein und mit ihnen die Sorgen, aber auch die                     Als „Familienbischof“ der Deutschen Bischofs-
Freuden zu teilen.                                                        konferenz hat er zudem eine wichtige Rolle bei
Nahe bei den Menschen zu sein, das heißt für Bischof                      der Vorbereitung der Familiensynode im Herbst
Koch nicht zuletzt auch, sich bei Stellungnahmen zu                       im Vatikan. Im Auftrag der Bischofskonferenz ist
gesellschaftlichen und politischen Fragen mit Ankla-                      er überdies für die Kirchengemeinden deutscher
gen und Pauschal-Verurteilungen zurückzuhalten,                           Katholiken im Ausland und für das Osteuropa-
bei öffentlichen Kontroversen alle Parteien im Blick                      Hilfswerk Renovabis verantwortlich. Er gehört
zu behalten und zu respektieren, das konstruktive Ge-                     der Leitung des 100. Katholikentags Leipzig 2016
spräch zu fördern. Bei den Dresdner PEGIDA-Kund-                          an, der vom 24. bis 29. Mai 2016 in Leipzig statt-
gebungen etwa machte er sich unmissverständlich                           finden soll. (kna)

                                       Tag   des Herrn             magazin             7
Magazin - Erzbistum Berlin
für eine Willkommenskultur gegenüber Flüchtlingen die Hauptstadt gelockt, sondern die Überzeugung,
und Fremden stark, suchte zugleich aber auch das Ge- dass sich Gottes Pläne mit der Kirche durchaus auch
spräch mit Bürgern, die sich vor der steigenden Zu- durch das Wort des Papstes offenbaren können, das
wanderung ängstigen.                                        machte er seit Bekanntgabe seiner Ernennung immer

                                 „
„Ich maße mir nicht an, amtlich von der Kanzel her wieder deutlich. „Ich kann nicht von meinen Pries-
zu beurteilen und zu belehren, welches die richtigen tern bei unumgänglichen, aber unliebsamen Ver-
politischen Maßnahmen sind, um Völker und in ih- setzungen Gehorsam verlangen, wenn ich ihn nicht
nen die Menschen vor dau-                                                       selbst lebe“, betont Heiner Koch
erhafter Verschuldung und                                                       und fügt das gleiche hinzu wie
Abhängigkeit in der Welt mo-           Wir wissen nicht, wohin                  schon bei seinem Wechsel nach
derner     Finanzbeziehungen                                                    Dresden: „Die Entscheidung war

                                                                       “
zu befreien“, sagte der Bischof     Gott uns führt. Wir wissen                  ein geistlicher Weg.“
in seiner Predigt zum G7-Fi-                                                    Sich Zeit zu nehmen für Gebete
nanzministertreffen in Dres-          nur, dass er uns führt.                   und Stille, ist ihm nicht nur vor
den. Aber es müsse klar sein:                                                   großen Entscheidungen wichtig.
„Letztlich geht es nicht um ein                  Edith Stein                    In seinem Anliegen, den Alltag
Finanzsystem, sondern um                                                        in enger und lebendiger Bezie-
die Würde und Größe eines                                                       hung zu Christus zu gestalten, ist
jeden Menschen, der nicht leben kann, wenn andere er besonders von Edith Stein und der karmelitischen
Menschen und Systeme ihn nicht leben lassen, wir Spiritualität geprägt. „Sich die Gegenwart Gottes zu
ihnen viel schuldig bleiben und wir eigentlich ihre vergegenwärtigen und mit dem auferstandenen, le-
Schuldner sind.“                                            bendigen Christus durch den Tag zu gehen, aktiv zu
Dass Heiner Koch sich in der Öffentlichkeit und nicht sein in der Kontemplation und kontemplativ in den
zuletzt auch auf internationalem Parkett wohlfühlt, Aktionen“ ist dabei das ständige Bemühen.
ist unübersehbar, nicht zuletzt bei seinen Reisen in „Christus ist auch in der Küche, mitten zwischen den
alle Welt als Beauftragter der Deutschen Bischofskon- Kochtöpfen“, hat die berühmte Karmelitin Teresa von
ferenz für die Auslandsseelsorge. Als Erzbischof von Ávila einmal geschrieben. „Gott ist schon längst in
Berlin wird er künftig noch näher dran sein am welt- Berlin angekommen“, sagte der Berliner Erzbischof
bewegenden politischen Geschehen.                           bei seiner Abschiedsfeier in Dresden. „Ich reise nach.“
Nicht der Kitzel des Machtzuwachses hat ihn aber in

                                                                                                      Bischof
                                                                                                      Heiner Koch
                                                                                                      enthüllt das
                                                                                                      Werbepla-
                                                                                                      kat für den
                                                                                                      Katholikentag
                                                                                                      2016. Als Me-
                                                                                                      tropolit bleibt
                                                                                                      er diesem Er-
                                                                                                      eignis weiter
                                                                                                      verbunden.

                                    8       Tag   des Herrn      magazin
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Immer den Menschen im Blick
        Dresdner geben Auskunft über Heiner Koch
                                              Raphael Schmidt

Martina Weser war zweieinhalb         wie Bischof Koch seine persönli-      aufmerksam darauf, wie es seinen
Jahre lang Sekretärin von Bischof     chen Kontakte gepflegt hat, auch      Mitarbeitern geht.“ Der Bischof
Heiner Koch. „Der Bischof ist ein     zu Menschen, die er in seiner Zeit    gehe mit viel Energie und Kraft an
ganz besonderer Mensch“, sagt sie.    in Köln und Düsseldorf kennenge-      seine Arbeit. „Manchmal im Auto

                                                                            „
„Er geht unglaublich freundlich       lernt hat. „Wenn ihn jemand besu-     auf dem Weg zu einem Termin
auf jeden Menschen zu, egal wer       chen wollte, hat er immer einen       fragt er Herrn Bittner, seinen Fah-
es ist. Auch wenn es einmal etwas     Weg und etwas Zeit gefunden. Sein     rer, wie lange es bis zur Ankunft
zu kritisieren gibt, sucht er immer   Wohnung stand immer offen, für
                                      alle. Gastfreundlichkeit ist einer
                                      seiner besonderen Charakterzüge.“             Immer ein offenes
                                      An eine kleine Begebenheit kann
                                      sich Martina Weser noch gut er-               Haus und
                                      innern: Kurz nach Beginn ihrer

                                                                                                    “
                                      Tätigkeit feierte sie ihren 50. Ge-           ein bisschen Zeit
                                      burtstag. Es war ein kalter Oster-
                                      sonntag. Am Abend klingelte es                für jeden.
                                      und vor der Tür stand der Bischof.
                                      Durchgefroren, denn er kam gera-              Martina Weser
                                      de vom Osterreiten, aber mit ei-
                                      nem großen Blumenstrauß in der
                                      Hand, um zu gratulieren. „Keinen      noch dauert. Fünf Minuten, ant-
                      Martina Weser   Geburtstag oder Namenstag hat er      wortet dieser. Für mich wäre das
                                      vergessen.“                           die Zeit noch etwas zu entspannen
zuerst das Positive. Und erst dann    Andreas Kutschke war als Gene-        und aus dem Fenster zu schauen.
kommt die Kritik, so verpackt,        ralvikar einer der engsten Mitar-     Nicht so Bischof Koch: Er führt
dass man sie immer annehmen           beiter von Bischof Koch. Er sei       noch eineinhalb Telefonate oder
kann.“ Der Bischof arbeite unheim-    im Umgang ein sehr angenehmer         diktiert einen Brief. “
lich fleißig und effizient. „Tags-    und aufmerksamer Menschen, ge-
über habe ich ihm die Mappen          tragen von einem tiefen Glauben.
vorbereitet. Abends wenn er von       „Auch in schwierigen Situationen
seinen Terminen zurückkommt,          verliert er den Menschen nicht aus
arbeitet er sie durch, oft bis spät   dem Blick. Wenn ich als Generalvi-
in die Nacht hinein. Und am Mor-      kar manchmal in der Gefahr war,
gen liegt alles erledigt auf meinem   zu sehr in Strukturen zu denken
Schreibtisch und kann von mir         und zu handeln, hat er immer wie-
weiterbearbeitet werden.“ Dabei       der darauf aufmerksam gemacht,
ging es nicht nur um die Dinge,       dass es um den Menschen geht
die im Bistum auf der Tagesord-       und die Nöte, in denen er viel-
nung stehen. Bischof Koch ist zum     leicht gerade steckt.“
Beispiel auch der Familienbischof     Von seinen Mitarbeiterinnen und
                                                                            Andreas Kutschke
der Bischofskonferenz und er ist      Mitarbeitern erwarte Bischof
zuständig für die Auslandsseelsor-    Koch Leistung, sagt Andreas
ge für die deutschsprachigen Ka-      Kutschke. „Dabei geht er selbst       „Ein großes Anliegen von Bischof
tholiken in aller Welt.               voran und arbeitet oft bis spät in    Koch ist es, dass Kirche in der
Beeindruckt hat Martina Weser,        die Nacht. Trotzdem achtet er sehr    Öffentlichkeit   wahrgenommen

                                10        Tag   des Herrn      magazin
wird. Deshalb hat er so viele Ein-     zu finden.“ Wenn schmerzliche          wäre die Zeit der Ernte gewesen;
ladungen wie möglich angenom-          Entscheidungen zu treffen seien,       jetzt muss er gehen.“
men“, sagt Andreas Kutschke. Das       versuche er, sie den Betroffenen       Der Bischof hat auch die Frak-
sei schon in Dresden schwierig         verständlich zu machen. Bischof        tionen im Sächsischen Landtag
gewesen. In Berlin werde es wohl       Koch sei jemand, „der dem ein-         besucht. Als erster katholischer
so kaum möglich sein. „Allen alles     zelnen Schaf so weit wie möglich       Bischof in Sachsen war er dabei
werden, ist ein hoher Anspruch:        nachgeht, ohne dabei die Mehrheit      auch bei der Fraktion „Die Linke“.
Letztlich kann das nur Gott ganz.“     aus dem Blick zu verlieren. Und        Pötzsch: „So etwas hat mitunter
Diesen Trost will der ehemalige        dabei hat er einen bemerkenswert       zu Irritationen geführt.“ Dass die
Generalvikar seinem bisherigen         langen Atem.“                          Fraktion „Die Linke“ später ihr
Bischof mitgeben. Für den Start        Als weitere markante Eigenschaft       Glückwunschschreiben anlässlich
in Berlin wünscht er ihm, dass er      von Bischof Koch nennt Elisabeth       der Ernennung zum Erzbischof
sich schnell in die neue Situation     Neuhaus dessen Humor. „Freude          von Berlin mit der Bitte um sein
hineinfindet, gute Mitarbeiter und     steht nicht nur in seinem Wappen-      Gebet für einen guten Nachfolger
Orte geistlicher Beheimatung. „Ich     spruch, sie lebt in seinem Herzen.     beendet hat, lässt für Christoph
bin Bischof Koch dankbar für das,      Mit dieser Freude und positiven        Pötzsch erahnen, welchen Ein-
was er für unser Bistum in dieser      Ausstrahlung öffnet er manche          druck der Bischof auf die Politi-
kurzen Zeit getan hat und wün-         Herzen und weitet scheinbar fest-      ker gemacht hat. „Mehr kann man
sche ihm im neuen Amt Gottes           gefahrene Situationen. Die Berli-      hier in Dresden nicht erreichen.“
Segen! “                               ner können sich auf einen solchen      Wie wichtig Bischof Koch die Beg-
„An Bischof Koch schätze ich sei-      Bischof freuen!“                       nungen mit Menschen sind, dafür
ne Gott verbundene Menschen-           „Heiner Koch ist ein sehr offener
                                       Mensch, der auch als Bischof nicht
                                       oben auf der Kathedra thront. Er
                                       braucht immer Menschen um sich.
                                       Und besonders wichtig sind ihm
                                       alle Arten von Kommunikations-
                                       mittel“, sagt Ordinariatsrat Chris-
                                       toph Pötzsch, Leiter des Katholi-
                                       schen Büros Sachsen. Und: „Er ist
                                       in der Lage, bei seinem Gegenüber
                                       innerhalb kürzester Zeit festzustel-
                                       len, wo dessen Stärken sind. Das ist
                                       eine faszinierende Gabe.“ Die zwei
                                       Jahre an seiner Seite waren für                          Gottfried Kschidock
                   Elisabeth Neuhaus   Christoph Pötzsch „wichtige Lehr-
                                       stunden. In dieser Zeit hat Heiner     hat Gottfried Kschidock ein paar
freundlichkeit. Neben seiner                                                  Beispiele parat: „Der Bischof kam
geistlichen Verwurzelung        be-                                           manchmal ziemlich knapp zum
eindrucken seine Energie, seine                                               Gottesdienst. Er war auf dem kur-
Innovationskraft und die Bereit-                                              zen Weg von seiner Wohnung in
schaft, sich von Menschen mit                                                 die Kathedrale von Menschen, die
unterschiedlichen Perspektiven                                                das Gespräch mit ihm suchten, auf-
beraten zu lassen, um dann seine                                              gehalten worden. Eigentlich war
Entscheidung zu treffen.“ Das sagt                                            der Bischof immer im Gespräch
Elisabeth Neuhaus. Sie leitet die                                             mit den Leuten. Selbst wenn der
Pastoralabteilung im Ordinariat                                               Gottesdienst dadurch mal etwas
in Dresden. Bischof Koch interes-                                             später begann – das machte nichts.
siere sich für die Menschen und                                               Begegnungen mit den Menschen
ihre Lebensgeschichten. Er hört zu                                            sind ihm außerordentlich wichtig.
und stellt Fragen. „Ich habe ihn in    Christoph Pötzsch                      Als er damals nach Dresden kam, hat
allen Leitungsfunktionen immer                                                er auch uns, die Sakristeibesetzung
auch als echten Seelsorger erlebt,     Koch alle wichtigen Menschen in        der Kathedrale, zum Kaffee eingela-
der versucht, Menschen entgegen        Dresden kennengelernt“. Pötzsch        den. Das hat er wohl auch mit allen
zu kommen und Lösungswege              bedauert den Weggang: „Jetzt           anderen Mitarbeitern so gemacht.“

                                       Tag   des Herrn      magazin       11
Traditionsbewusst auf neuen Wegen: Das Erzbistum Berlin ist ein vergleichsweise
junges Bistum. Es wurde als Bistum erst 1930 gegründet und 1994 zum Erzbistum
erhoben. Zugleich gründet es aber auf einer langen Tradition, denn es liegt auf dem
Gebiet der ehemaligen Bistümer Brandenburg, Havelberg, Cammin und Lebus. Diese
wurden im zehnten bis zwölften Jahrhundert gegründet und bestanden bis ins 16./17.
Jahrhundert. Vielfältige Traditionen bringt das Bistum aber auch durch seine recht
unterschiedlichen Regionen und durch den Zuzug von Menschen aus aller Welt mit.
Auf der anderen Seite ist vor allem Berlin eine moderne Großstadt, die gelegentlich
als „Hauptstadt des Atheismus“ bezeichnet wird. Für die Kirche heißt das auch, immer
wieder nach neuen Wegen zu suchen, wie sie die Botschaft des Evangeliums zu den
Menschen bringen kann.
Foto: Walter Wetzler
                       Lieber Erzbischof Koch!
                       Herzlich willkommen – so ähnlich, meist viel netter,
                       haben wir die Willkommensgrüße überschrieben, die
                       Sie in diesem Sommer von uns erhalten haben. WIR –
                       das sind: Menschen von der Ostseeküste, ansässig an
                       den Ufern von Oder, Uecker, Randow, Weise, Ucker,
                       Rhin, Havel, Elbe, Plane, Nieplitz, Dosse, Stepenitz,
                       Spree, Panke, Dahme, Löcknitz, Schlaube (das sind
                       noch nicht alle Flüsse). Fast jedes Ufer hat einen eige-
                       nen Menschenschlag hervorgebracht – auch die vielen
                       Seen. Darüber gibt es lesenswerte Geschichten – nicht nur von Fontane.
                       WIR sind reich an geprägtem Eigensinn, an praktizierter Lebensfreude,
                       an lebendigem – manchmal verstecktem – Glauben, an kritischer sponta-
                       ner Teilhabe, an (un-)geduldigem Verbesserungswillen ... WIR sind „der
                       Schatz“ des Erzbistums … Selbstbewusst sind wir auch. WIR im Erzbistum
                       Berlin, – und nun sind alle gemeint, zugereist oder zugezogen (aus 190
                       Staaten) – wir warten auf Sie als Bischof, Hirte, Lehrer … Ihre Worte in ei-
                       nem Interview hören sich spannend an: „Schließlich möchte ich nicht nur
                       der ,Hauptstadtbischof‘, sondern ein Bischof für alle sein.“
                       Traditionsbewusst auf neuen Wegen: Ein jeder, von Gott geschenkter
                       neue Tag bringt neue Wege: Wege irgendwohin, Wege zu den Menschen,
                       Wege in mein Inneres, Wege zu Gott – und umgekehrt. Ich nehme mich
                       (und meine Vergangenheit) mit auf neuen Wegen. Die Quellen der Vergan-
                       genheit unseres Erzbistums sind vielfaltig und lehrreich: Seit 1709 wur-
                       den die Interessen der Katholiken in Mitteldeutschland durch den Apos-
                       tolischen Vikar für Hannover wahrgenommen. Für katholische Soldaten
                       und Gewehrarbeiter wurden Gottesdienste in Berlin, Potsdam, Stettin und
                       Spandau gefeiert. Durch pfälzische Auswanderer entstanden in Viereck,
                       Luisenthal und Hoppenwalde katholische Gemeinden. 1761 entstand die
                       Pfarrei Stralsund, damals zu Schweden gehörig. 1773 wird die Gemeinde
                       St. Hedwig mit den Rechten einer Pfarrei ausgestattet; die Stolgebühren
                       (Vergütungen für kirchliche Handlungen, d. Red.) mussten aber an den
                       evangelischen Pfarrer abgeliefert werden. 1809 erhielten Stettin, Spandau
                       und Frankfurt (Oder) Pfarrrechte. 1821 wurden die Pfarreien Berlin, Pots-
                       dam, Spandau, Frankfurt (Oder), Stettin und Stralsund als „besonderer
                       Bezirk“ dem Fürstbischof von Breslau unterstellt. Daraus entwickelte sich
                       die Fürstbischöfliche Delegatur mit dem Propst von St. Hedwig als Delega-
                       ten. Jetzt war St. Hedwig die Mitte des künftigen Bistums.
                       Die heilige Hedwig von Schlesien kann uns Impulsgeberin sein für unsere
                       caritativen, schulischen, missionarischen oder auch organisatorischen Ak-
                       tivitäten. Wir müssen neue Antworten (Wege) finden auf die Herausforde-
                       rungen von Flüchtlingen und Asylsuchenden, den Zuzug in das deutsch/
                       polnische Grenzgebiet und ins Ballungszentrum Berlin, der Hauptstadt.
                       Unsere Vorfahren haben zum Beispiel Schulen gegründet, damit Bildung
                       und Religion fundiert sind. Warum nicht eine deutsch-polnische Schule
                       in der Uckermark und eine weitere Grundschule in Berlin?
                       Einer Ihrer Vorgänger sagte: „Wo katholisch draufsteht, muss auch katho-
                       lisch drin sein!“ Wir benötigen katholische Lehrkräfte und katholische
                       Mitarbeitende. Eine „Zweiklassengesellschaft“ innerhalb der Mitarbeiter-
                       schaft („Wir haben gute und sehr gute Mitarbeiter“), die sich nur über Zu-
                       lagen definiert, ist nicht gemeinschaftsfördernd!
                       Ich hoffe, Sie bleiben lange im Erzbistum und Ihre Freude wächst!

                       Ronald Rother, Dompropst
Kirchlich gesehen gehört das                                                              ganz anderen Erinnerungen
„Hauptstadt“-Erzbistum Ber-                                                               verbunden ist – erfolgte auf
lin nicht zu den wichtigsten                                                              der Grundlage des sogenann-
Diözesen in Deutschland.                                                                  ten Preußen-Konkordats von
Das flächenmäßig zweitgröß-                                                               1929. Bis dahin war die gro-
te (nach Hamburg) Bistum                                                                  ße Region ein Delegaturbe-
liegt mit seinen 408 953 Ka-                                                              zirk des Bistums Breslau.
tholiken und seiner gerin-                                                                (Der östlich der Oder gelege-
gen Finanzkraft im unteren                                                                ne Teil einschließlich der Ha-
Mittelfeld der 27 deutschen                                                               fenstadt Stettin fiel 1945 an
Bistümer. Auch den inoffizi-                                                              Polen und kam 1972 zu zwei
ellen Titel, das „schwierigste                                                            neugegründeten polnischen
Bistum der Weltkirche“ zu                                                                 Diözesen.)
sein, wie Papst Johannes Paul                                                             Die Geschichte des Christen-
II. einmal sagte, als es noch                                                             tums im Gebiet des heutigen
von Mauer und Stacheldraht                                                                (seit 1994) Erzbistums Berlin
durchzogen wurde, hat es                                                                  reicht mindestens 1000 Jah-
seit der Wiedervereinigung                                                                re zurück. Bereits im zehnten
Deutschlands nicht mehr.                                                                  Jahrhundert wurden hier

                                                                                 Foto: kna
Doch solche Einordnungen                                                                  die Bistümer Brandenburg
sind für das kirchliche Leben                                                             und Havelberg gegründet,
ohnehin kaum von Bedeu-           Der Bischofssitz in der St. Hedwigs-Kathedrale ist wie- im zwölften Jahrhundert
tung.                            der besetzt. Heiner Koch ist der zehnte Bischof des 1930 die weiter östlich gelegenen
Wichtiger ist da schon die Be-                    gegründeten Bistums.                    Bistümer Lebus und Kam-
merkung, die der damals neue                                                              min. Deren Entstehung war
Erzbischof      Rainer                                                                            verbunden mit den
Maria Woelki beim
Besuch von Papst
Benedikt im Olym-
                               Zwischen                                                           zwei Missionsreisen,
                                                                                                  die Bischof Otto von
                                                                                                  Bamberg, heute Ber-

                             Hauptstadt und
piastadion im Sep-                                                                                liner Bistumspatron,
tember 2011 machte:                                                                               1124/28 nach Pom-
Berlin sei keineswegs                                                                             mern unternahm. In
eine gottlose Stadt,                                                                              der ersten urkundli-
sondern      „vielmehr
sogar eine Stadt der
Märtyrer“. In keiner
                                Provinz                                                           chen Erwähnung von
                                                                                                  Berlins mittelalterli-
                                                                                                  cher Vorgängerstadt
deutschen Stadt seien                                                                             Cölln 1237 wird ein
„im 20. Jahrhundert
mehr Christen als
                                   Das Erzbistum Berlin                                           Pfarrer namens Sime-
                                                                                                  on von der Petrikirche
Zeugen für Christus                                                                               zu Cölln unter den
und seine Botschaft                               Norbert Zonker                                  Zeugen aufgeführt.
gestorben“ als in Ber-                                                                            Gründungen von Zis-
lin. Unter den Geistli-                                                                           terzienserklöstern
chen und Laien des Bistums, die ihren Einsatz für die wie Lehnin, Zinna oder Chorin im 12. und 13. Jahr-
Verfolgten oder ihren Widerstand gegen die Nazis mit hundert, aber auch eines Benediktinerinnenklosters
dem Leben bezahlten, ist der 1996 seliggesprochene in Spandau sowie von Klöstern der Franziskaner und
Dompropst Bernhard Lichtenberg (1875–1943). Die Dominikaner in Berlin und Cölln zeugen von einem
Erinnerung an die Märtyrer des Nationalsozialismus reichhaltigen kirchlichen Leben.
– und an die vielen, die in den Zeiten des Kommu- Nach der Reformation wurde Brandenburg 1540
nismus ihren Glauben bewahrt haben – gehört, auch protestantisch, die mittelalterlichen Bistümer sowie
wenn nur noch wenige Zeitzeugen der NS-Zeit leben, katholische Einrichtungen und Klöster wurden auf-
zu den bleibenden Aufgaben der Berliner Ortskirche.             gelöst. Doch die Expansion Brandenburg-Preußens
Als eigenes Bistum besteht sie noch keine 100 Jahre. führte dazu, dass auch wieder Katholiken zum Land
Die Gründung 1930 – an einem 13. August, einem Da- gehörten. Preußenkönig Friedrich II. ließ für sie nach
tum, das durch den Bau der Berliner Mauer 1961 mit den Schlesischen Kriegen die 1773 geweihte Sankt-

                                   14         Tag   des Herrn       magazin
Hedwigs-Kirche – die heutige Kathedrale des Bistums              Einen besonderen Akzent setzt das (Erz-)Bistum Ber-
– bauen.                                                         lin seit jeher auf Schule und Bildung; in der Haupt-
Unter den zehn Berliner Bischöfen waren mehrere                  stadt ist es der größte Träger von freien Schulen.
prägende Gestalten. Der aus Bayern stammende Kon-                Ebenfalls stark engagiert ist das Erzbistum in der ka-
rad Graf von Preysing (1935-50), von Anfang an ein               ritativen Arbeit. In den Krankenhäusern, Sozialstatio-
entschiedener Gegner des NS-Regimes, gehörte zu                  nen, Beratungsstellen und anderen Einrichtungen in
den herausragenden Köpfen des damaligen Episko-                  Trägerschaft des Diözesancaritasverbands sind rund
pats. Auch sein Kurs gegenüber dem sich nach dem                 11 000 hauptamtliche Mitarbeiter tätig.
Krieg herausbildenden SED-Staat setzte Maßstäbe.
Unter seinen Nachfolgern war Julius Döpfner (1957–
61), später Vorsitzender der Deutschen Bischofskon-              Nur in Köln und München leben
ferenz. Auf ihn folgte der bisher einzige gebürtige Ber-         mehr Katholiken als in Berlin
liner, Alfred Bengsch (1961–80), der unmittelbar nach
dem Mauerbau ernannt wurde und zwei Jahrzehnte                   Ein Vierteljahrhundert nach der Wiedervereinigung
den kirchenpolitischen Kurs einer „loyalen Distanz“              des 28 Jahre durch die Mauer getrennten Bistums gibt
– so der Historiker und Publizist Martin Höllen – in             es noch Mentalitätsunterschiede in Ost und West, de-
der DDR prägte. Ihm gelang es trotz aller Schwierig-             ren Stellenwert allerdings nachlässt. Das hängt nicht
keiten, die Einheit des Bistums zu bewahren.                     zuletzt damit zusammen, dass Berlin immer noch –
Aus Erfurt kamen dann Joachim Meisner (1981–89),                 wie meist in seiner Geschichte – durch Zuwanderung
der noch zu DDR-Zeiten auf spektakuläre Weise nach               geprägt ist. Aufgrund dieses Zustroms bleibt hier zu-
Köln berufen wurde, sowie Georg Sterzinsky (1989–                gleich auch der Katholikenanteil seit Jahren mit gut
2011). Dieser stand vor der schwierigen Aufgabe, das             neun Prozent relativ stabil. Zum Vergleich: Der Anteil
politisch, aber nicht kirchenrechtlich geteilte Bistum           der Protestanten sank in zwei Jahrzehnten um ein
wieder zusammenzuführen, was sich als schwieriger                Drittel, von 26 auf 17,5 Prozent. Mit ihren derzeit gut
erwies als zunächst angenommen und um die Jahr-                  331 000 Katholiken (leicht steigende Tendenz) liegt die
tausendwende zu einer massiven Finanzkrise führ-                 Hauptstadt jedenfalls – Diaspora hin oder her – nach
te. Sein Nachfolger Woelki startete in seiner kurzen             Köln und München zahlenmäßig auf dem dritten Platz
Amtszeit eine einschneidende Strukturreform des                  in Deutschland. Ganz anders sind die Verhältnisse in
Erzbistums und nahm eine Sanierung und Umgestal-                 den zum Erzbistum gehörenden Regionen Branden-
tung der Kathedrale in Angriff – beides nicht unum-              burgs und in Vorpommern: die dort lebenden 63 000
strittene Projekte, die jetzt der neue Erzbischof Hei-           bzw. 14 000 Katholiken verteilen sich auf weiträumige
ner Koch zu Ende bringen muss.                                   Pfarreien mit relativ wenigen Mitgliedern.

                                                                                                                     Foto: Pictures Alliance
                                                     Foto: kna

Das Bistum Berlin (seit 1994 Erzbistum) hat mit Heiner Koch jetzt den zehnten Bischof seit seiner Gründung 1930.
Hier einige Vorgänger: Kardinal Alfred Bengsch (Foto links Mitte) mit seinem Vorgänger Kardinal Julius Döpfner
(links; rechts: Weihbischof Johannes Kleineidam). Das rechte Foto entstand beim Katholikentag 1990 und zeigt die
Kardinäle Joachim Meisner (rechts) und Georg Sterzinsky.

                                       Tag   des Herrn            magazin       15
Im Zentrum der Coolness
      Was erwartet den Erzbischof? Ein Kommentar
                                                 Volker Resing

Berlin ist ein bisschen verkehrte Welt – zumindest aus bigen reden, so wird er wohl lernen müssen, dass die
katholischem Blickwinkel. In der Hauptstadt wächst auf das Gespräch nicht gerade warten. An Berliner
die Zahl der Katholiken, obwohl kaum irgendwo anders Schulen wird Humanismus als Bekenntnisunterricht
das Katholische derart marginalisiert ist. Die Christen gelehrt, parallel zum Religionsunterricht. In so einer
machen nur noch rund ein Drittel der Stadt aus, die zugigen Umgebung ist die Versuchung groß, sich in
Katholiken nur zehn Prozent, dennoch ist Berlin mit die eigenen vier Wände zurückzuziehen. Dem muss
300 000 Katholiken die drittgrößte katholische Stadt der neue Erzbischof widerstehen. Aber zu der ver-
Deutschlands. Und trotz der geringen Zahl                               kehrten Welt gehört auch, dass es bis-
sind die Katholiken auch gespalten in Ost                               weilen in der Stadt eine große Neugierde
und West. Ein Konflikt, der bis ins Ordi-                               für Religion und Religionen gibt. Jüngst
nariat hereinreicht. Es gibt im Westen der                              lief auf der Museumsinsel eine Ausstel-
Stadt katholische Gemeinden, die auch                                   lung mit dem simplen Titel „Gott“. Doch
durch Zuzug sehr vom Mehrheitskatholi-                                  man muss aufpassen, dass sich die Ber-
zismus „Westdeutschlands“, wie man hier                                 liner für das Christentum nicht so inte-
sagt, geprägt sind. Und im Osten tummelt                                ressieren, wie für die Inka oder Maya.
sich weiter eine Diasporakirche, die bis-                               Faszinierend, aber vorbei.
weilen immer noch stark aus der Erfah-                                  Berlin ist auch die Stadt der sozialen
rung der DDR-Vergangenheit lebt.                                        Spannungen. Wie überall ist die katho-
Dazwischen ist zusätzlich noch ein ei-                                  lische Kirche als Helferin gefragt und
gentümlicher Hauptstadt-Katholizismus                                   präsent. Doch darf sie sich darauf nicht
entstanden, der gespeist wird aus neu Volker Resing ist Chefredak- reduzieren lassen.
sich ansiedelnden Gruppierungen und teur der Herderkorrespondenz Berlin ist die Stadt der religiösen Vielfalt.
Ordensgemeinschaften, die gerne in der                                  Kaum eine Sekte der Welt, die nicht auch

                                                                              „
„hippesten Stadt der Welt“ präsent sein wollen. Außer- in Berlin eine Niederlassung hat. Islam und Juden-
dem kommen an die Spree Institutionen, die vor allem tum wiederum genießen in Berlin bisweilen eine viel
als katholische Lobbyarbeiter in Berlin-Mitte noch mal größere öffent-
ein ganz eigenes Milieu abgeben. Der neue Erzbischof    liche Aufmerk-
Heiner Koch muss mit dieser Gemengelage umgehen. samkeit als das
Auf der einen Seite ist er Oberhirte einer armen und C h r i s t e n t u m .           Mit der Rolle des
versprengten Herde, auf der anderen Seite Hauptstadt- Auch da muss
bischof der politisch wichtigsten Stadt Europas – und der neue Erzbi-                  belächelten Exo-
des weltweit beäugten Zentrums für Coolness und schof Stellung
Hippieness – und Hedonismus (Vergnügen als Zweck der Kirche in                         ten darf sich der
des Handelns, d. Red.). Wer den berühmten Club „Berg- der Stadt neu

                                                                                                           “
hain“ als angesagtesten der Stadt bezeichnet, wird hier ausfüllen,       im
                                                                                       neue Erzbischof
schon mal belehrt, er sei der wichtigste des Univer- Religionsdialog                   nicht abfinden.
sums. Nun, Orte für Bischöfe sind das für gewöhnlich und auch im Er-
nicht. Aber wie geht ein Erzbischof damit um, wenn klären des Eige-
die städtischen Busse mit der bebilderten Werbung für nen. Wenn die                    Volker Resing
ein Riesenbordell herumfahren, seine Kathedrale aber Katholiken mit
kaum einer kennt. Die Postadresse des Bischofssitzes ein paar Tausend Menschen an Fronleichnam über
lautet bekanntlich: Hinter der Katholischen Kirche 3.   die Friedrichstraße ziehen, dann schütteln die meisten
Es gibt in Berlin einen selbstbewussten wie religions- mit dem Kopf und die Japaner knipsen den Himmel
kritischen bisweilen sogar aggressiven Atheismus. mit Monstranz. Mit der Rolle des belächelten Exoten
Wenn Erzbischof Koch sagt, er wolle mit den Ungläu- darf sich der neue Oberhirte aber nicht abfinden.

                                16         Tag   des Herrn       magazin
Glaubens-Räume
               Erfahrungen mit dem Pastoralen Prozess
                                                          Alfred Herrmann

„Wir wollen unser Votum für einen Pastoralen Raum                      die geistliche Bedeutung des Prozesses vor Augen
noch vor der Wahl abgeben, damit neu Pfarrgemein-                      und vergewissern sich ihrer selbst, stellen sich Fra-
derat (PGR) nicht noch einmal von neuem diskutieren                    gen nach Altersverteilung, sozialer Situation, Haupt-
muss.“ Tina Heller ist PGR-Vorsitzende von Herz-Jesu                   verkehrswegen. Mit diesen Erkenntnissen halten sie
in Berlin-Prenzlauer Berg. Am 22. November wird ein                    Ausschau nach passenden Nachbarpfarreien, mit wel-
neuer PGR gewählt – mitten im Pastoralen Prozess „Wo                   chen sie einen Pastoralen Raum bilden möchten, aus
Glauben Raum gewinnt“. Die Pfarreien St. Hedwig,                       dem bis 2020/21 eine neue Pfarrei erwachsen soll.
Herz-Jesu, St. Bonifatius und St. Marien Liebfrauen im                 In neun Arbeitsgruppen, die beim Steuerkreis im Or-
Herzen Berlins wollen die sogenannte Findungspha-                      dinariat angesiedelt sind, diskutieren derweil Verant-
se vorher abschließen. Dann kann wie in zahlreichen                    wortliche die Auswirkungen, Chancen und Möglich-
weiteren Pfarreien die zweite Phase des Prozesses, die                 keiten auf das ganze Erzbistum. Zum Beispiel wie sich
dreijährige Entwicklungsphase, beginnen.                               das Berufsbild der Priester verändert, wie sich das Or-
Seit der ehemalige Erzbischof von Berlin, Kardinal                     dinariat umorganisieren muss, inwieweit eine neue
Rainer Maria Woelki, im Advent 2012 den Pastoralen                     Trägerstruktur für Kitas entlastend sein kann, wie die
Prozess angestoßen hat, ist im Erzbistum viel pas-                     PGRs und Kirchenvorstände der Zukunft aussehen
siert. So gut wie alle Pfarreien befinden sich in der                  sollen, ob es Sakramentenkatechese auch an katholi-
Findungsphase. In dieser ersten Zeit führen sie sich                   schen Schulen geben darf …

                                                                                                                                        Foto: Alfred Herrmann

In der Findungsphase kamen die Pfarrei Herz Jesu und ihre Orte kirchlichen Lebens miteinander ins Gespräch (v.l.n.r.): Pfarrer Pater Jacek
Mleczko und Pfarrgemeinderatsvorsitzende Tina Heller sowie Daniela Bethge, Projektleiterin „Caritas rund um den Kirchturm“, und Frank
Petratschek, Leiter der Caritas Region Berlin-Nord.

                                        18           Tag    des Herrn          magazin
Nicht überall trifft der Pastorale Prozess auf Gegen- teil des Bezirks Mitte. „Den Pfarreien ist es nicht be-
liebe. Der Verlust der kirchenrechtlichen Selbststän- sonders schwergefallen, sich zusammenzutun“, meint
digkeit der bisherigen Pfarreien – aus 105 Pfarreien Pater Michael Dillmann. Der Dominikaner leitet St.
sollen rund 30 Pfarreien neuen Typs entstehen – sieht Paulus und St. Petrus sowie das Dekanat Berlin-Mitte,

                                     „
mancher kritisch. Die Angst vor weiten Wegen zum dem alle fünf Pfarreien angehören. Ähnliche Sozial-
nächsten Kirchort sitzt in Brandenburg und Vorpom- struktur, Kooperationserfahrungen und historische
mern besonders tief. Befürchtet                                                    Argumente führten die Pfarrei-
wird, dass Pfarrer und Seelsorger                                                  en zusammen.
die Gläubigen und ihre Lebensver-                                                  In der nun anstehenden dreijäh-
hältnisse kaum noch persönlich               Wie kann Kirche                       rigen Entwicklungsphase wer-
wahrnehmen können. Dass die neu-                                                   den sich die Pfarreien zunächst
                                             ihren Auftrag auch

                                                                     “
en, größeren Pfarreien zu zentralis-                                               die Zeit nehmen, sich kennen-
tisch geführt werden und somit das                                                 zulernen und mit ihren Orten
kirchliche Leben in den Gemeinden            morgen erfüllen?                      kirchlichen Lebens stärker zu
vor Ort erlöschen könnte.                                                          vernetzen. Im zweiten Jahr gilt
                                             Kardinal Rainer Maria Woelki
Andere beginnen mit dem Pastora-                                                   es dann, ein Pastoralkonzept
len Prozessen einen Neuaufbruch.                                                   zu entwerfen. Dabei bieten die
Sich selbst kennenzulernen und                                                     zentralen Fragen der Pastora-
einen anderen Blick auf die Kirche                                                 len Leitlinien Orientierung,
vor Ort zu gewinnen, inspiriert sie, Kirche neu zu den- die Erzbischof Woelki 2013 verabschiedet hat: „Wie
ken und das gemeinsame Priestertum aller Gläubigen kann die Kirche ihren Auftrag in dieser Pfarrei auch
zu leben. Nachbargemeinden mit ihrem kirchlichen morgen erfüllen? Wie kann es die Pfarrei schaffen, in
Leben wahrzunehmen und Orte kirchlichen Lebens einer veränderten gesellschaftlichen und kirchlichen
wie katholische Schulen, Einrichtungen der Caritas, Situation, Menschen mit Jesus Christus in Berührung
geistliche Gruppen und Ordensgemeinschaften zu zu bringen? Wie erreicht sie diejenigen, die Gott nicht
entdecken, eröffnen neue Perspektiven.                       kennen? Wie kann die pastorale Arbeit unter den ge-
                                                             genwärtigen Bedingungen neue Früchte tragen?“ Im
                                                             dritten Jahr sollen schließlich anhand des Pastoral-
Christen auf der Suche, wie Kirche                           konzepts Fragen der Struktur, des Personals und der
in den nächsten 40 Jahren funktionieren kann                 Finanzen geklärt werden.
                                                             Pater Michael Dillmann sieht in der Profilierung der
„Es ist beeindruckend, dass sich so viele Menschen in Gemeinden die zentrale Herausforderung für die Ent-
unseren Gemeinden und Orten kirchlichen Lebens so wicklungsphase. Jede Gemeinde habe die Aufgabe,
intensiv auf den Weg gemacht haben“, sagt Markus für sich zu überlegen, was ihr Schwerpunkt im Kon-
Weber, Leiter der Stabsstelle „Wo Glauben Raum ge- text eines Pastoralen Raums sein kann. „Erst wenn
winnt“. Vieles sei in der Findungsphase in Bewegung wir uns richtig kennengelernt haben, können wir
gekommen. „Wir haben zahlreiche Beispiele, die zei- intensiv zusammenarbeiten“, betont Ernst Pulsfort,
gen: Katholische Christen machen sich auf die Suche, Pfarradministrator von St. Laurentius. Von der Ent-
wie Kirche in den nächsten 40 Jahren funktionieren wicklungsphase erhofft er sich, dass sich jede Pfarrei
kann.“ Wie die neuen Pfarreien letztendlich aussehen, so viel eigenständiges Leben wie möglich bewahren
liege vor allem in den Händen der Gläubigen vor Ort: kann. „Wenn wir es schaffen wollen, eine gemeinsame
„Bleibt ,Wo Glauben Raum gewinnt‘ in einem bloßen Pfarrei zu werden, müssen wir gutwillig mit kleinen
Fusionsprozess stecken, scheitert der ganze Prozess.“ Es Dingen beginnen, die der Zusammenarbeit bedürfen.“
könne nur durch eine geistliche Erneuerung gelingen.         St. Hildegard, Maria Gnaden und St. Martin in Berlin-
Ihre Findungsphase abgeschlossen haben bislang drei Reinickendorf bilden bereits seit Herbst 2014 einen
Pfarreien in Brandenburg, drei in Vorpommern und gemeinsamen Pastoralen Raum. Sie machen nun vor,
25 in Berlin. Sie gaben ihr Votum für neun Pastorale wie es bei den anderen weitergehen wird mit Pastoral-
Räume ab und warten nun auf die Zustimmung des ausschuss, Leitendem Pfarrer, Moderator und haupt-
Entscheiderkreises, sprich auf das „Ja“ des neuen Erz- beruflichem Verwaltungsleiter, vom Kennenlernen
bischofs unterstützt durch Weihbischof und General- über die Entwicklung eines Pastoralkonzeptes hin zu
vikar. Als erstes reichten die fünf Berliner Pfarreien einer neuen Pfarrei. Anfang 2017 soll mit Reinicken-
St. Laurentius, St. Paulus, St. Joseph-Aloysius, St. Pet- dorf-Nord die erste Pfarrei der Zukunft im Erzbistum
rus und St. Sebastian Anfang März ihr Votum ein. Ihr gegründet werden.
geplanter Pastoraler Raum umfasst mit Moabit, Wed-                        ---> www.erzbistumberlin.de/wir-sind/
ding und gut der Hälfte des Tiergartens einen Groß-                                     wo-glaube-raum-gewinnt

                                       Tag   des Herrn      magazin       19
Vorbild Pantheon
                            Die Kathedrale von Berlin

Die Berliner St. Hedwigs-Kathedrale gehört zu den        Geweiht wurde der Kuppelbau vor 240 Jahren, am 1.
wichtigen katholischen Gotteshäusern in Deutsch-         November 1773. Er gehört zu den wenigen erhalte-
land. Sie ist die Bischofskirche des Erzbistums Berlin   nen Bauzeugnissen dieser Zeit in der Stadt. Zusam-
mit jährlich über 200 000 Besuchern. Dort finden         men mit Humboldt-Universität, Staatsoper und Kö-
auch Gottesdienste aus staatlichen Anlässen statt,       niglicher Bibliothek bildet die Kirche am Boulevard
zuletzt vor der konstituierenden Sitzung des neuen       Unter den Linden das Ensemble des Forum Friderici-
Bundestags. Überdies ist sie ein bedeutender Ort der     anum. Mit den Planungen befasst waren Wenzeslaus
Kirchenmusik mit dem Hedwigschor, der auch als           von Knobelsdorff, Jean Laurent Legeay und Johann
Konzertchor bekannt ist.                                 Boumann der Ältere.

                                                                                Mit dem Bau der St. Hedwigs-Kathe-

                                                                                                                       Foto: Picture Alliance
                                                                                drale wollte Friedrich der Große ein
                                                                                 Zeichen religiöser Toleranz setzen.

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Die Initiative dazu kam auch von Friedrich dem                   GLAUBENSZEUGEN
Großen. Anlass war die wachsende Zahl der Katho-
liken in Preußen durch den Ausbau der Armee und
die Eroberung Schlesiens. Die Kirche ist nach der             Heilige Hedwig und
Patronin der neuen Provinz, der heiligen Hedwig
von Schlesien (1147-1243), benannt. Zudem wollte
                                                         seliger Bernhard Lichtenberg
der Preußen-König durch den Kirchbau seine reli-
giöse Toleranz unter Beweis stellen. Mitte des 18.
Jahrhunderts war knapp jeder Zehnte der 110 000                                     Hedwig von Andechs
Berliner katholisch. Öffentliche katholische Gottes-                                (auch Hedwig von Schl­
dienste hatte es seit Reformation in der Stadt nicht                                esien), wahrscheinlich
mehr gegeben, sie fanden allenfalls etwa in diploma-                                1174 geboren, wurde
tischen Vertretungen statt.                                                         mit zwölf Jahren mit
                                                                                    Heinrich I., Herzog von
                                                                                    Schlesien, ver­hei­ratet.
Friedrich der Große nahm auch                                                       Ihrer Ehe entstammten
auf die Gestaltung Einfluss                                                         sieben Kinder. Hed­wig
                                                                                    und Heinrich I. förder-
Friedrich nahm auch auf die Gestalt des Gotteshau-                                  ten die Vertiefung des
ses Einfluss. Es entstand nach dem Vorbild des rö-                                  christlichen Glaubens
mischen Pantheons aus dem zweiten Jahrhundert           Heilige Hedwig              und die kulturelle Ent-
nach Christus. Der Überlieferung nach beteiligte                                    wicklung Schlesiens.
sich Friedrich an den ersten Skizzen für den Rund-      1202 gründeten sie die Zisterzienserinnen-Abtei
bau. Zudem stellte er das Grundstück und einen          in Trebnitz. Als Vorbild christlicher Nächsten-
Teil des Baumaterials unentgeltlich zur Verfügung.      liebe unterstützte Hedwig die Kirche, half den
Den größten Teil der Baukosten brachten indes eu-       Armen und soll selbst im Winter barfuß gegan-
ropäische Katholiken vor allem in Italien, Spanien      gen sein. Angeblich ermahnte sie ihr Beichtvater,
und Polen auf. Aus Spendenmangel stagnierten die        Schuhe zu tragen, woraufhin sie die Schuhe in
Arbeiten zeitweise. Nach Vorwürfen, finanzielle Mit-    die Hand nahm. Deshalb wird die heilige Hed-
tel seien falsch verwendet worden, sah sich die Kir-    wig häufig mit Schuhen und einer Kirche in den
chengemeinde genötigt, Einnahmen und Ausgaben           Händen       dargestellt.
detailliert zu veröffentlichen.                         Nach­  dem ihr Mann
Seit der Weihe wurde die Kirche dreimal umgestaltet.    1238 gestorben war,
Der stärkste Eingriff fand nach dem Zweiten Welt-       trat Hedwig in das von
krieg statt, in dem Bomben das Gotteshaus bis auf die   ihr gegründete Kloster
Umfassungsmauern zerstörten. Bis 1963 baute der re-     Trebnitz ein. Sie starb
nommierte Düsseldorfer Architekt Hans Schwippert        1243 in Trebnitz.
(1899-1973) es innen in modernen Formen wieder          Bernhard Lichtenberg
auf.                                                    war von 1938 bis 1941
                                                        leitender Priester an
                                                        der St.-Hedwigs-Kathe­
Umstrittene Besonderheit:                               drale, der Berliner Bi-
Acht Meter große Bodenöffnung                           schofskirche, in deren
                                                                                  Seliger Bernhard Lichtenberg
                                                        Krypta er bestattet ist.
Eine architektonische Besonderheit ist eine rund acht   Wegen seiner öffentlichen Gebete „für die ver-
Meter große Bodenöffnung, die Schwippert im Zent-       folgten Juden“ und weitere Opfer des Regimes
rum des Kirchenraums anlegte. Über eine Treppe ist      verhafteten ihn die Nationalsozialisten. Am 5. No-
damit die Unterkirche mit den Grabkapellen der Berli-   vember 1943 starb er auf dem Transport in das
ner Bischöfe sowie des seliggesprochenen Domprops-      Konzentrationslager Dachau. 1996 sprach Papst
tes Bernhard Lichtenberg (1875-1943) erreichbar.        Johannes Paul II. ihn bei seinem Berlin-Besuch
Das „Loch“ war von Anfang an unter anderem wegen        selig und erhob ihn damit zum Glaubensvorbild.
seiner einschränkenden Konsequenzen für die Gestal-     2004 nahm die israelische Gedenkstätte Yad Vas-
tung der Gottesdienste umstritten. Bei der anstehen-    hem den Dompropst unter die „Gerechten unter
den Sanierung der Kathedrale stehen auch alternative    den Völkern“ auf. Das Erzbistum strebt auch seine
architektonische Lösungen zur Debatte. (kna)            Heiligsprechung an.

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